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AHB 254_PDF24 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen

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30<br />

die letzten Stunden ganz nahe zu<br />

sein. Das vielerlei Herzeleid ließ uns<br />

aber nicht schlafen. Da war die Sorge<br />

um beide Söhne, unser Abschied<br />

voneinander, vom schönen, trauten,<br />

eigenen Heim, von allen ererbten und<br />

geschenkten Andenken, vom schönen<br />

<strong>Ostpreußen</strong>, welches uns zur<br />

zweiten Heimat geworden war. Aber<br />

nicht nur in uns war es unruhig, auch<br />

im Hause war ein Rumoren und Rennen.<br />

Alles packte, sowohl die Einwohner<br />

als auch das Telegrafenbauamt.<br />

Dann wurde Vati plötzlich<br />

wieder zum Volkssturm alarmiert. Ich<br />

ging wieder ans Packen. Meine<br />

Hausgehilfin erschien an diesem<br />

Morgen nicht mehr. Das Lager der<br />

Ausländer, sie war eine Ukrainerin,<br />

war wohl schon in der Nacht aufgebrochen.<br />

Gegen 10 Uhr vormittags<br />

brachte eine Mitbewohnerin die<br />

Nachricht aus der Stadt, der Oberbürgermeister<br />

hätte durch die öffentlichen<br />

Pilzlautsprecher gesagt: „Der<br />

Feind ist durchgebrochen, rette sich,<br />

wer kann, evakuiert kann nicht mehr<br />

werden, Züge werden auf der Bahn<br />

zusammengestellt. Die Einwohner<br />

werden ortsgruppenweise durch<br />

Drahtfunk aufgerufen, zur Bahn zu<br />

gehen, damit keine Panik entsteht.“<br />

Gleichzeitig kam für Vati ein Befehl,<br />

zur Behörde zu kommen. Der Landgerichtspräsident<br />

wollte zu seinen<br />

Beamten sprechen. An Vatis Stelle<br />

ging ich hin. Obgleich ich danach<br />

sterbensmüde war durch die schlaflosen<br />

Nächte, Leid und Aufregungen,<br />

trieb es mich doch, zu Vati zur Kaserne<br />

„Friedrich der Große“ am<br />

Langsee zu gehen, um noch einmal<br />

Abschied zu nehmen und ihm von<br />

der Rede des Präsidenten zu berichten.<br />

Dort sah ich auf dem Hof Gruppen<br />

von angetretenen Soldaten mit<br />

ihren Vorgesetzten stehen, ebenso<br />

Lastwagen, auf denen Frauen und<br />

Kinder verladen wurden. Allmählich<br />

fragte ich mich zu dem Gebäude<br />

durch, in welchem der Volkssturm<br />

lag. Dort traf ich auf der Treppe Herrn<br />

Tilke, von dem ich erfuhr, dass Allenstein<br />

von drei Seiten umzingelt<br />

wäre. Der Feind könnte in 20 Minuten<br />

hier sein, wenn es den jetzt antretenden<br />

Truppen nicht gelänge, ihn aufzuhalten,<br />

bis die Flüchtlinge die Stadt<br />

verlassen hätten. Dann riet er mir<br />

dringend, den Vati mitzunehmen, da<br />

er am Zusammenbrechen sei. Dies<br />

erkannte ich auch sofort, als ich ihn<br />

in seinem Zimmer sah. So ging ich<br />

zum Kompanieführer, dann zum<br />

Bat.-Führer und erreichte schließlich,<br />

dass ich ihn mitnehmen konnte. Vati<br />

selbst sträubte sich, kam aber dann<br />

doch mit. Ach, war ich froh, wenigstens<br />

einen von meiner Familie bei mir<br />

zu haben.<br />

Zu Hause ging ich Abschied nehmend<br />

durch die Wohnung, umfasste<br />

mein geliebtes Klavier, schlug noch<br />

einige Akkorde an und schaffte mit<br />

dem kranken Mann das Gepäck hinunter.<br />

Unten auf dem Flur warteten<br />

alle Einwohner mit dem Gepäck auf<br />

den Drahtfunk. Wir warteten aber<br />

vergebens. So zogen wir um 4 Uhr<br />

mit hoch vollgepackten Rodelschlitten<br />

zur Bahn. Es war der erste Zug<br />

des Jammers, den ich sah und mitmachte.<br />

Zu beiden Seiten des Fahrdamms<br />

die Menschen mit den beladenen<br />

Schlitten in ununterbrochener<br />

Kette. Dazwischen rasten in der Mitte<br />

die Autos mit den Verwundeten zur<br />

Bahn. Am Hotel Rittel staute sich die<br />

Menge. Nach langem Warten kamen<br />

wir mühsam zum 1. Bahnsteig. Auch

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