Ausgabe 1207.pdf - Theater-Zytig
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06 Vorhang auf 1207 | The(ll)ater The(ll)ater |<br />
1207 Vorhang auf 07<br />
Die Liste der Regisseure liest sich wie das<br />
Who is who der Schweizerischen <strong>Theater</strong>szene.<br />
Eine Tradition allerdings wurde nie<br />
gebrochen. Die Rollen werden sämtliche<br />
von Amateurtheaterschaffenden gespielt,<br />
welche sich zum Teil über Jahre hinweg<br />
immer wieder für den Stoff begeistern lassen<br />
und die nicht selten eine <strong>Theater</strong>karriere<br />
vom Tellknaben bis zum Attinghausen<br />
bewältigen.<br />
Gleiches lässt sich – durch die jährlich<br />
wiederkehrenden Inszenierungen wohl<br />
sogar noch stärker – von den Tellspielen<br />
in Interlaken berichten. 1912 hatte<br />
August Flückiger, ein Lehrer von Matten<br />
bei Interlaken, die Idee, mit seinen<br />
Schülern einige Szenen aus Friedrich<br />
Schillers Drama aufzuführen. Dieses<br />
Ansinnen wurde mit so viel Begeisterung<br />
aufgenommen, dass er sich kurz darauf<br />
an die damals existierende «Dramatische<br />
Gesellschaft» in Interlaken wandte, um<br />
das ganze Stück auf die Bühne zu bringen.<br />
Damit wurde 1912 der entscheidende<br />
Grundstein für die TELL-Freilichtspiele<br />
Interlaken gelegt, die fortan jährlich auf<br />
dem Rugen bei Matten zur Aufführung<br />
gelangten.<br />
Einzig unterbrochen während der beiden<br />
Weltkriege 1914–1918 und 1939–1945,<br />
begann die nunmehr bald 100-jährige<br />
Erfolgsgeschichte eines Kulturguts im<br />
Berner Oberland. Jahr für Jahr finden<br />
25'000–30'000 Zuschauer den Weg zum<br />
Rugen, um in der einzigartigen Natur auf<br />
der grössten fest eingerichteten Freilichtbühne<br />
der Schweiz Schillers Schauspiel<br />
zu bestaunen. Erst vor zehn Jahren wurde<br />
als technische Neuerung die elektronische<br />
Verstärkung der Stimmen eingeführt.<br />
Vorher hatten die Stimmen zum Teil über<br />
70 Meter zu überbrücken, was natürlich<br />
der feineren sprachlichen Umsetzung des<br />
Stoffes widersprach.<br />
Ihre Jubiläen dieses Jahr begehen die<br />
beiden Bühnen mit Gemeinsamkeiten<br />
aber auch völlig unterschiedlich. Anfang<br />
Mai wurden von der Schweizerischen<br />
Post zu Ehren der beiden Jubiläen zwei<br />
Postmarken lanciert, mit welchen auf die<br />
Ereignisse aufmerksam gemacht wird.<br />
Beide Bühnen sind natürlich bemüht, ihre<br />
Jubiläums-Inszenierung zu etwas Besonderem<br />
zu machen. Der Weg dorthin könnte<br />
allerdings unterschiedlicher nicht sein.<br />
Während man in Altdorf zum zweiten Mal<br />
nach 2008 auf den <strong>Theater</strong>profi Volker<br />
Hesse setzt, der sich auch mit zum Teil<br />
spektakulären Welttheaterinszenierungen<br />
in Einsiedeln einen Namen als gespüriger<br />
Regisseur für <strong>Theater</strong> mit Laien geschaffen<br />
hat, hat Interlaken Sven Allenbach<br />
verpflichtet. Dieser ist quasi ein Kind<br />
der Tellspiele Interlaken, ist er doch in<br />
Ringgenberg aufgewachsen und wurde<br />
durch die Familie vom Tellvirus infisziert.<br />
Sieben Jahre lang spielte er den jungen<br />
Melchtal, die letzten vier Jahre stand er<br />
gar als Tell auf der Bühne und nun trägt<br />
er die Verantwortung für die Inszenierung.<br />
Es verwundert daher nicht, dass er bereits<br />
angekündigt hat, dass er zwischendurch<br />
wohl auch als Mann im Volk auf der<br />
Bühne auftauchen werde. Oft gilt der<br />
Prophet zu Hause am wenigsten. Nicht<br />
so bei den Tellspielen. August Flückiger,<br />
als geistiger Vater der Spiele und Georges<br />
Wäckerlin, der erste Regisseur, stammten<br />
aus Matten und Interlaken. Sie kannten<br />
die Möglichkeiten, welche die Region<br />
zu bieten vermag und die Menschen mit<br />
ihren besonderen Begabungen. Ein Miteinander<br />
auf Augenhöhe brachte denn auch<br />
den Erfolg. In Sven Allenbach haben die<br />
Tellspiele einen jungen Regisseur aus den<br />
Aufgrund der Geschichte werden über die<br />
Jahrhunderte verschiedene Gebäude im<br />
Gedenken an Wilhelm Tell errichtet. Alle<br />
sollen sie einen Bezug zum Leben und<br />
Wirken unseres Nationalhelden haben,<br />
letztlich lässt sich aber nichts davon historisch<br />
wirklich belegen.<br />
1648 wird in Altdorf ein «zierliches<br />
und von Kleidern köstliches Spiel vom<br />
Ursprung der Eydgenossenschaft, von<br />
Ausreuthung der Zwingherren und Wilhelm<br />
Tellen» aufgeführt. Der Dichter ist<br />
unbekannt, das Stück selber verschollen.<br />
1745 wird die Tradition der Tellspiele<br />
erneuert mit einem Stück, das sich «florierendes<br />
Uri» nennt.<br />
1802 fasst der deutsche Dichter Friedrich<br />
Schiller den Plan, den Stoff von<br />
Wilhelm Tell in ein <strong>Theater</strong>stück zu fassen.<br />
Angeregt wird er unter anderen von<br />
Johann Wolfgang Goethe, der ihn auf die<br />
Tell-Sage aufmerksam machte. Als Quellen<br />
benützt Schiller die Chroniken von<br />
Etterlin, Stumpf, Tschudi und Johannes<br />
von Müller. Daneben stützt er sich auf<br />
Schilderungen und Reiseberichte, die<br />
«Naturgeschichte des Schweizerlandes»<br />
von Schleuchzer, aber auch auf das alte<br />
Urner Tellspiel (Druck 1698). Im folgenden<br />
Jahr geht er an die dramatische<br />
Ausarbeitung. Am 17. März 1804 kommt<br />
es zur Uraufführung des Wilhelm Tell in<br />
Weimar. Im gleichen Jahr am 4. November<br />
sieht Luzern die Erstaufführung unter<br />
der Leitung von Vinzenz Weiss aus Dresden<br />
im Komödienhaus ob der Sakristei der<br />
Jesuitenkirche und anschliessend folgt die<br />
Zürcher Erstaufführung durch die gleiche<br />
Wanderbühne. Die Kritik rügt jedoch die<br />
starken Kürzungen.<br />
1823 sehen die Urner zum ersten Mal<br />
Schillers Tell im alten Kornmagazin, dem<br />
heutigen Kollegium in Altdorf.<br />
Am 21. Oktober 1860 wird erstmals die<br />
Rütliszene an historischer Stätte aufgeführt.<br />
Am 18. Oktober 1898 beschloss<br />
eine Volksversammlung im Gemeindehaus<br />
Altdorf einstimmig, Schillers «Wilhelm<br />
Tell» auf dem klassischen Boden seiner<br />
Heimat aufzuführen. Es war ein kühnes<br />
Unterfangen, galt es doch, bis zur ersten<br />
Aufführung im Juli des folgenden Jahres<br />
die Spielleute zu rekrutieren, das Stück<br />
einzustudieren und erst noch ein <strong>Theater</strong>haus<br />
zu bauen.<br />
Am 25. Juni 1899 schliesslich findet die<br />
erste Aufführung von Schillers «Wilhelm<br />
Tell» durch den «Verein für Tellaufführungen»<br />
im eigens dafür aus Holz erbauten<br />
«Tellspielhaus» auf der Schützenmatte<br />
(heute Sportplatz) statt, das 1200 Sitzplätze<br />
aufweist. Regisseur ist Gustav Thiess<br />
aus Wien, damals Direktor des Stadttheaters<br />
Luzern.<br />
Von da an werden in unregelmässigen<br />
Abständen immer wieder Inszenierungen<br />
des Tellstoffs im eigenen <strong>Theater</strong> produziert.<br />
Am Anfang noch dem historischen<br />
Text verpflichtet, im Verlaufe des 20.<br />
Jahrhunderts aber immer mehr mit Interpretationen<br />
zum Teil nahmhafter <strong>Theater</strong>schaffender<br />
aus dem Berufstheater.<br />
Während mehr als 100 Jahren verstanden<br />
es die Altdorfer Spielleute, die Inszenierungen<br />
jeweils aus dem Zeitgeist heraus<br />
neu zu gestalten. Dies war nicht immer<br />
einfach, wartete doch das 20. Jahrhundert<br />
mit ständig grösseren Umwälzungen auf.<br />
Schnelle Verkehrsmittel, moderne Informationsmedien<br />
prägten die Gesellschaft.<br />
Ein kritischeres Geschichts- und <strong>Theater</strong>verständnis<br />
mit dadurch anspruchsvollerem<br />
Publikum stellte die Tellspiele Altdorf<br />
immer wieder vor neue Herausforderungen.