Kindheit, Jugend, Sozialisation - ZAG der Universität Freiburg
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50 Mona Hanafi El Siofi/ Sven Kommer/ Meike Penkwitt<br />
Auch <strong>der</strong> sich anschließende Beitrag stammt aus <strong>der</strong> Literaturwissenschaft und<br />
auch hier spielen die Themen Migration und Hybridität eine wichtige Rolle: Der<br />
neuerdings wie<strong>der</strong> in Braunschweig lehrende Anglist Rüdiger Heinze widmet<br />
sich mit Jeffrey Eugenides’ Middlesex einem „Roman, <strong>der</strong> aus einer Vielzahl von<br />
Geschichten besteht, die immer wie<strong>der</strong> die Frage nach Identität und Hybridität<br />
aufwerfen“, wobei Identität und Hybridität hier sowohl die Kategorie Geschlecht<br />
als auch das ‚typisch US-amerikanische‘ Einwan<strong>der</strong>erschicksal betreffen: Cal,<br />
Enkelkind eines in die USA migrierten Geschwisterpaares, wird als Mädchen<br />
aufgezogen, nach einem Unfall im Teenageralter dann jedoch überraschend als<br />
(‚biologischer‘) Junge klassifiziert. Als <strong>der</strong> Arzt Dr. Luce nach einem psychologischen<br />
Test mit <strong>der</strong> Begründung, das Kind offenbare „trotz eines dem entgegenstehenden<br />
Chromosomensatzes“ „[b]ezüglich Sprache, Gebaren und Kleidung<br />
(…) eine weibliche geschlechtliche Identität“ eine ‚(re-)feminisierende‘, Operation<br />
empfiehlt, entzieht sich Cal diesem vereindeutigenden Eingriff. Seine/ihre<br />
uneindeutigen Genitalien zur Schau stellend, firmiert er/sie statt dessen in<br />
einem Sexclub als mythischer Gott Hermaphrodit und lernt in diesem Kontext<br />
durch eine befreundete Kollegin, dass Normalität keineswegs normal ist:<br />
Normalität war nicht normal. Das ging gar nicht. Wenn Normalität nicht normal<br />
wäre, dann könnte je<strong>der</strong> damit leben. (…) Doch die Menschen – und vor allem die<br />
Ärzte – hatten in Bezug auf Normalität ihre Zweifel. Sie waren sich nicht sicher,<br />
ob die Normalität ihrer Aufgabe gewachsen war. Und daher halfen sie ihr ein<br />
wenig nach.<br />
Cal lässt sich seine ‚Monströsität‘ jedoch nicht nehmen und ist auch für seine<br />
Familie, zu <strong>der</strong> er nach dem Tod des Vaters zurückkehrt, „dasselbe Kind, nur<br />
an<strong>der</strong>s“: „[Der] ... Wechsel vom Mädchen zum Jungen war weit weniger dramatisch<br />
als die Entfernung, die je<strong>der</strong> von <strong>der</strong> <strong>Kindheit</strong> zum Erwachsensein zurücklegt.“<br />
Wie Heinze unterstreicht, bietet <strong>der</strong> Roman keine beruhigende „epische Auflösung“:<br />
„Zahlreiche Fäden werden nicht zusammengeführt, Entscheidungen nicht<br />
begründet, Motive nicht homogenisiert.“ Das Geschichtengeflecht bleibt dadurch<br />
„polyphon, heterogen und offen“. Selbst <strong>der</strong> „selbstreferenzielle Verweis auf das<br />
Erzählen“ als Antwort auf die Frage nach <strong>der</strong> Identität („So verstehen wir, wer<br />
wir sind, woher wir kommen. Geschichten sind alles.“) wird, wie Heinze deutlich<br />
macht, durch die Wirkmächtigkeit <strong>der</strong> genetischen Mutation, die die erzählte<br />
Geschichte ja allererst in Gang setzte, konterkariert: „Was die Menschen vergessen,<br />
bewahren die Zellen.“ Wie Heinze abschließend konstatiert, erteilt <strong>der</strong><br />
Roman mit dieser Aussage einem radikalen Konstruktivismus „eine Absage“.<br />
Im Gegensatz dazu zielen die beiden Skandinavistinnen Svenja Blume und<br />
Angelika Nix auf die Etablierung einer radikal-konstruktivistischen Perspektive<br />
in <strong>der</strong> Literaturwissenschaft im Zuge eines Age-Mainstreaming ab. Die<br />
Anerkennung <strong>der</strong> „generelle[n] Bedeutung <strong>der</strong> Generation als soziales Organisationsprinzip“<br />
wäre für ein solches zentral. Nix und Blume knüpfen hier an<br />
Ausführungen <strong>der</strong> finnischen Soziologin Leena Alanen an, die eine Integration<br />
eines „kindlichen Blickwinkels“ in die Sozialwissenschaften nach dem Vorbild<br />
<strong>Freiburg</strong>er GeschlechterStudien 22