ZEITSCHRIFT
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7. August 1924. Der französische Wirtschaf '.si nperialismus.<br />
S ta h l und E isen . 947<br />
Der französische Wirtschaftsimperialismus und die deutsche Großeisenindustrie.<br />
ornearé versucht in immer neuen Aufsätzen__<br />
besonders verwiesen sei auf den zuletzt in der<br />
Daily Mail erschienenen — die Gefahr an die Wand<br />
zu malen, daß die deutsche Wirtschaft einen wirtschaftsbeherrschenden<br />
Einfluß gewinnen werde, und<br />
daß vor allem die deutsche eisenschaffende Industrie<br />
binnen kurzem die Herrschaft auf dem Weltmarkt<br />
auszuüben in der Lage sei. Die von Poincare zur<br />
Stützung seiner Behauptungen angeführten Beweise<br />
sind nicht stichhaltig. In Wirklichkeit besteht<br />
leider nicht die Gefahr, daß die deutsche Eisenindustrie<br />
in Zukunft auf dem Weltmarkt bestimmend<br />
ist; diese Bolle dürfte vielmehr der französischen<br />
Eisenindustrie zufallen. Diese Entwicklungsrichtung<br />
läßt sich ganz deutlich erkennen und beweisen.<br />
Das vorwiegend landwirtschaftliche Frankreich mit<br />
40 Millionen Einwohnern verfügt in seinem jetzigen<br />
Staatsgebiet — nach den Förderungsverhältnissen<br />
des Jahres 1913 — über mehr als das 6fache der<br />
deutschen Eisenerzförderung und einschließlich der<br />
von ihm kontrollierten Erzförderung in den westlichen<br />
und östlichen Grenzstaaten Deutschlands über<br />
ungefähr die Hälfte der europäischen Eisenerzförderung.<br />
Frankreich ist damit auf diesem Gebiet<br />
in Europa das ausschlaggebende Land. Seine Leistungsfähigkeit<br />
ist (nach dem Stande von 1913)<br />
etwa dreimal so groß wie die Englands, und sie kann<br />
(namentlich bei weiterer Aufschließung der reichen<br />
Erzlagerstätten in der Normandie) noch ganz gewaltig<br />
gesteigert werden. Deutschland dagegen mit<br />
seiner Fläche von 472 000 km2und mit seinen 61 Millionen<br />
Einwohnern verfügt nur über eine Eisenerzförderung,<br />
die so groß ist wie die Luxemburgs, eines<br />
Landes mit 2600 km2 Fläche und 267000 Einwohnern.<br />
Die vorzügliche französische Erzgrundlage<br />
findet eine vortreffliche Ergänzung in der Kohle.<br />
An Kohlenvorkommen verfügt Frankreich einschließlich<br />
des Saarbeckens über 33 Milliarden t, d. i. über<br />
doppelt so viel, als es vor dem Kriege hatte. Außerdem<br />
erstreckt sich die französische Kontrolle noch<br />
über Belgien, die Tschecho-Slowakei und Polen,<br />
mithin auf Kolilengebiete, die sich insgesamt auf<br />
etwa 226,2 Milliarden t belaufen, d. h. ein Drittel<br />
der gesamten europäischen Kohlenvorräte umfassen,<br />
von den Deutschland verbliebenen Kohlenvorkommen<br />
im Gesamtumfange von 250 Milliarden t<br />
hegen — abgesehen vom Saargebiet — über 225 Milharden<br />
t im besetzten Gebiet und nur rd. 27 Milliarden<br />
t im unbesetzten Deutschland. Würde Frankreich<br />
die mit der militärischen Buhrbesetzung verfolgten<br />
Ziele erreicht haben, so würde es von den<br />
gesamten europäischen Kohlenvorräten im Betrage<br />
von 759 Milliarden t über 450 Milliarden t oder drei<br />
fünftel teils unmittelbar besitzen, teils mittelbar beherrschen.<br />
Es würde damit über 2%mal so große<br />
AonlenVorräte verfügen wie England.“ An Boheisen<br />
esi zt Frankreich auf seinem jetzigen Staatsgebiet<br />
e wa die gleiche Leistungsfähigkeit wie England<br />
so au er in üssen.<br />
(nach dem Stande der Erzeugung von 1913). Zusammen<br />
mit der von ihm mehr oder weniger vollständig<br />
beherrschten Schwerindustrie des Saargebietes,<br />
Luxemburgs, Belgiens sowie Polens und der<br />
Tschecho-Slowakei kontrolliert es eine eisenschaffende<br />
Industrie mit einer Leistungsfähigkeit von 18 Millionen<br />
t Boheisen, also des 3 Hi fachen der englischen<br />
Eisenerzeugung des Jahres 1922 in Höhe von 4,98<br />
Mill. t. Von der deutschen Boheisenerzeugung (ohne<br />
Saar) des Jahres 1913 entfallen auf das unbesetzte<br />
Gebiet nur 2,79 Mill. t, dagegen auf das besetzte<br />
Gebiet 8,13 Mill. t. Bechnet man die letztere Menge<br />
der schon bisher von Frankreich kontrollierten Boheisenerzeugung<br />
hinzu, so würde Frankreich, wenn die<br />
Bulirbesetzung des Herrn Poincaré zu dem von ihm<br />
angestrebten Ziele geführt hätte, mit einer vorkriegsmäßigen<br />
Boheisenerzeugung von 26 Mill. t, d. h. dem<br />
2 j/^fachen der englischen Leistungsfähigkeit, weit an der<br />
Spitze Europas stehen und selbst der amerikanis hen<br />
Boheisenerzeugung ernsthaften Wettbewerb machen l).<br />
Auf dieser glänzenden Grundlage ist die französische<br />
Eisenindustrie so kräftig geworden, daß sie<br />
den Inlandsbedarf bereits dann decken kann, wenn<br />
sie nur 50 % ihrer Leistungsfähigkeit erzeugt; die<br />
Saareisenwerke allein sind imstande, den gesamten<br />
französischen Inlandsbedarf sicherzustellen. Genau<br />
umgekehrt ist die Lage der deutschen Eisenindustrie<br />
geworden. Während Deutschland 1913 19,3 Mill. t<br />
Boheisen erzeugte, wird es in dem nach Poincaré so<br />
besonders günstigen Jahre 1922 höchstens 8,5 Mill. t<br />
hergestellt haben. Die Lage ist für Deutschland aber<br />
noch dadurch außerordentlich ungünstig, daß ihm<br />
seine eisenschaffende Industrie durch die Abtrennung<br />
Oberschlesiens, der Saar, Lothringens usw. zwar<br />
genommen, ihm dafür aber die eisenverarbeitende<br />
Industrie (Maschinen-, Lokomotivfabriken, Werften,<br />
Böhrenwerke, Eisenbau usw.) fast ganz belassen ist.<br />
Dazu kam, daß durch den Friedens vertrag in Deutschland<br />
ein ganz gewaltiger Eisenhunger künstlich erzeugt<br />
wurde durch die uns auferlegte Ablieferung<br />
der Handelsflotte, die Abgabe ungeheurer Mengen<br />
Eisenbahnzeugs, die von uns verlangte Zerstörung<br />
bedeutender Anlagen zur Herstellung von Friedens”<br />
und Kriegsgerät usw. Wenn die deutsche eisenerzeugende<br />
Industrie allen an sie herangetretenen Forderungen<br />
hätte gerecht werden wollen, dann hätte die<br />
Buhrindustrie, die von allen eisenerzeugenden Gebieten<br />
allein in vollem Umfange bei Deutschland<br />
geblieben ist, nicht — wie es in den Nachkriegsjahren<br />
durchschnittlich der Fall war — 75% ihrer Vorkriegsleistung<br />
erzeugen müssen, sondern mindestens<br />
150 %. Selbst die von Poincaré angegebene, aber<br />
falsche Zahl von 120% Vorkriegserzeugung würde<br />
den eigenen Bedarf kaum decken, geschweige denn<br />
eine Eroberung des Weltmarktes gestatten.<br />
0 Die in diesem Absatz angeführten Zahlen entstammen<br />
großenteils der a m t l i c h e n Quelle von<br />
„Wirtschaft und Statistik“.