ZEITSCHRIFT
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7. Angust 1924. Wirtschaftliche Sundschau. Stahl nnd Eisen. 969<br />
geordnet, daß, wenn sie für Rechnung eines anderen, der<br />
ihr für Wagenbeschädigungen haftet, Wagen wiederherstellt,<br />
für die Zeit, während welcher der Wagen der Benutzung<br />
entzogen wird, Standgeld gezahlt werden muß.<br />
Wie bürokratisch die Reichsbahn nach wie vor eine überaus<br />
wichtige Frage behandelt, zeigt sich in der höchst<br />
weitschichtigen Umfrage, welche sie kürzlich gehalten<br />
hat, um zur Beurteilung der Notwendigkeit einer Frachtermäßigung<br />
für Eisen und Stahl bei der Ausfuhr über die<br />
trockene Grenze Unterlagen zu erhalten. Für den, der die<br />
Lage der deutschen Eisenindustrie auch nur e in ig e r <br />
maßen übersieht, bedarf es solcher Umfrage überhaupt<br />
nicht, weshalb sie auch nichts weniger als beifällig aufgenommen<br />
ist; für den Kenner ist die Notwendigkeit von<br />
Frachterleichterungen für die so überaus dringliche Ausfuhr<br />
von Eisen und Stahl ohne weiteres selbstverständlich.<br />
Dennoch aber bemüht die Reichsbahn die vielen<br />
Eisen- und Stahlwerke mit umfangreichen Ermittlungen,<br />
die obendrein die Gefahr erkennen lassen, daß aus ihnen<br />
unrichtige Schlüsse gezogen werden. Den Erwägungen<br />
über den Wettbewerb zwischen den deutschen und ausländischen<br />
Seehäfen kann man beim besten Willen nicht<br />
beipflichten, ebensowenig den über Artikel 365 des Versailler<br />
Friedensvertrages. Endlich auch scheint nur etwas<br />
Halbes geplant zu sein; denn Ausnahmetarife nach den<br />
deutschen G renzü b ergängen genügen nicht und bringen<br />
auch nicht die so dringend nötige Erleichterung,<br />
vielmehr sind u n m itte lb a r e Ausnahmetarife und überhaupt<br />
Verbandstarife — das kann nicht zweifelhaft sein —<br />
jetzt noch nötiger als in der früheren Friedenszeit. — In<br />
einer gelegentlichen Amtsblattverfügung ist ausgesprochen,<br />
„der Eisenbahnfiskus sei heute gezwungen, die<br />
früher aus Kreisen der Industrie, des Handels und Gewerbes<br />
so oft geforderte kaufmännische Geschäftsgebarung<br />
in allen Verwaltungszweigen rücksichtslos durchzuführen<br />
und sich ihm bietende Erwerbsquellen restlos<br />
auszuschöpfen“. Darin wie auch in allen den beanstandeten<br />
Maßnahmen zeigt sich eine völlige Verkennung der<br />
„kaufmännischen Geschäftsgebarung“. Kaufmännischer<br />
Geist besteht keineswegs darin, rücksichtslos zu<br />
sein, einseitig und unzeitig hohe Preise zu fordern und<br />
zähe an diesen festzuhalten, denn dadurch werden die<br />
Käufer nur unzufrieden und verärgert. Kaufmännischer<br />
Geist sieht vielmehr weiter als auf den Augenblick, ohne<br />
damit die Wahrung des eigenen Vorteils aufzuseben.<br />
Günstiger und rechtzeitiger Einkauf, kluge Geldverwaltung,<br />
4 erbilligung der Selbstkosten durch Fortschritte<br />
in Technik und Organisation, geschickte A n p a ssu n g<br />
an die jeweiligen Verhältnisse auch in den Verkaufspreisen,<br />
Wahrung der Vorteile auch der K u n d sc h a ft, deren Gedeihen<br />
und Zufriedenheit dem Kaufmann selbst nützt,<br />
und nicht zuletzt: den rechten Mann an den rechten Platz<br />
stellen und die Angestellten dazu erziehen, daß sie freudig<br />
arbeiten, als geschähe es zu ihrem eigenen Nutzen — das<br />
ist einiges von dem wirklichen kaufmännischen Geist, in<br />
dem eine große \ erwaltung wie die Reichsbahn arbeiten<br />
sollte, die auch mit Wagemut sich rüsten und stets bedenken<br />
muß, daß b illig e Frachten den Verkehr heb en<br />
und beleben und damit ihr selbst wie der Allgemeinheit<br />
nützen, keineswegs also stets Einnahmeausfälle<br />
zur Folge haben! Das muß notwendig einmal ausgesprochen<br />
werden, und nicht minder das andere, was außerhalb<br />
des I ergleiehs mit dem Kaufmann liegt: die Reichsbahn<br />
muß sich dessen bewußt bleiben, in wie hohem Maße<br />
sie nicht nur für ihr eigenes Bestehen, sondern auch für<br />
die deutsche Gesamtwirtschaft mitverantwortlich ist!<br />
Etwaige Reichsbahn-Ueberschüsse bedeuten nichts im<br />
Vergleich mit dem großen Schaden, den Deutschland<br />
durch zu hohe Bahnfrachten erleidet.<br />
Dies Klagelied könnte noch fortgesetzt werden. Es<br />
ist neuerdings in kräftigen Tönen auch vom Verkehrsausschuß<br />
des Reichsverbandes der Deutschen Industrie<br />
gesungen worden, der in seiner Sitzung vom 21. Juli<br />
924 folgenden Antrag einstimmig angenommen hat:<br />
1. Der Preisabbau kann ohne Eisenbahntarifabbau<br />
nicht erhalten werden.<br />
2. Dem bisherigen durchschnittlichen Preisabbau entspräche<br />
ein Tarifabbau von mindestens 25>%. Indessen<br />
XXXII.U<br />
darf die Frachtermäßigung den Durchfuhrtarifen<br />
nicht zugute kommen.<br />
3. Dieser Tarifabbau darf sich nicht auf die Normalfrachtsätze<br />
beschränken, sondern muß in gleichem<br />
Maße den zugehörigen Ausnahmetarifen zugute<br />
kommen.<br />
4. Die Frachtsätze für Materialien wie Kohle und<br />
Eisen müssen in gleichem Maße wie für die anderen<br />
Güter ermäßigt werden.<br />
5. In Zukunft muß der Tarifabbau gleichen Schritt<br />
mit dem Preisabbau halten, mit dem Ziele, das Friedensverhältnis<br />
für alle Güter herbeizuführen. Schon<br />
jetzt bedarf das Verhältnis der einzelnen Tarifklassen<br />
unter Berücksichtigung der Vorkriegsverhältnisse<br />
einer eingehenden Nachprüfung.<br />
Wo dies durch die zu 2 beantragte allgemeine<br />
Frachtermäßigung nicht erreicht wird, muß die Friedensklassifikation<br />
wiederhergestellt werden. Schon<br />
jetzt hedarf ferner das Verhältnis der einzelnen<br />
Tarifklassen zueinander unter Berücksichtigung der<br />
Friedenstarife besonderer Beachtung.<br />
6. An eine Beseitigung von Ausnahmetarifen kann<br />
heute nicht gedacht werden.<br />
7. Im Gegenteil verlangt die besondere Lage verschiedener<br />
Wirtschaftszweige und die Förderung der<br />
Ausfuhr die Weiterentwicklung von Ausnahmetarifen.<br />
8. Die Durchführung bereits genehmigter oder in Vorbereitung<br />
befindlicher Ausnahmetarife darf durch<br />
vorstehende Anträge keine Verzögerung erleiden.<br />
9. Auf kurze Entfernungen bis 100 km ist die ermäßigte<br />
Abfertigungsgebühr wieder einzuführen.<br />
10. \ orstehende Anträge sollen mit sofortiger Wirkung<br />
genehmigt werden.<br />
In der Besprechung im Reichs Verkehrsministerium<br />
am 22. Juli, an der Vertreter des Reichsverbandes der<br />
Deutschen Industrie, des Deutschen Industrie- und Handelstages,<br />
des Deutschen Landwirtschaftsrates und des<br />
Ausschusses der Verkehrsinteressenten bei der Ständigen<br />
Tarifkommission der deutschen Eisenbahnen teilnahmen,<br />
trat der Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelstages<br />
zunächst für eine 10% ige und im Verlauf der Verhandlung<br />
für eine 15% ige Tarifeimäßigung ein. Der Vertreter<br />
des Ministers für Ernährung und Landwirtschaft<br />
erklärte, daß mit einer 10%igen Ermäßigung, wie sie<br />
der Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelstages<br />
gefordert habe, nicht geholfen sei. Der Vertreter<br />
der Gewerkschaften stimmte für die Forderung des Reichsverbandes<br />
der Deutschen Industrie, allerdings mit der<br />
Einschränkung, daß ihm Ausnahmetarife ganz allgemein<br />
unerwünscht seien.<br />
Die Industrie- und Handelskammer Essen hat am<br />
26. Juli 1924 zugleich für die Handelskammern Düsseldorf,<br />
Duisburg, Bochum, Dortmund und Münster und<br />
folgende Verbände: die Nordwestliche Gruppe des Vereins<br />
Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, den Stahlwerksverband,<br />
den Bergbaulichen Verein und die Verkaufsvereinigung<br />
Ruhrkohle, nach einer eingehenden<br />
Beratung mit Vertretern dieser Körperschaften an den<br />
Reichsverkehrsminister folgenden Fernspruch abgesandt:<br />
„Unterzeichnete Verbände und Wirtschaftskreise<br />
des Westens halten die vom Vertreter des Deutschen<br />
Industrie- und Handelstages geforderte allgemeine<br />
Tarifsenkung von 10 % für durchaus ungenügend, um<br />
die schwerwiegende deutsche Wirtschaft zu retten.<br />
Die Forderung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie<br />
auf Frachtabbau wird in vollem Umfange<br />
unterstützt. Sofortige durchgreifende 25% ige Tarifermäßigung<br />
so schwerwiegend und wichtig wie nie<br />
zuvor. Reichsbahn ladet schwerste Verantwortung<br />
auf sich, wenn sie im gegenwärtigen Augenblick die Zeichen<br />
der Zeiten verkennt.“<br />
In dem Bestätigungsschreiben wurde noch erklärt,<br />
die genannten Körperschaften seien übereinstimmend<br />
der Meinung, daß im Hinblick auf die außerordentlich<br />
großen Schwierigkeiten, in denen sich die deutsche Wirtschaft<br />
befindet, auch die Reichseisenbahn eine wirksame<br />
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