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Landtag von Baden-Württemberg

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Plenarprotokoll 12 / 102<br />

31. 01. 2001<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

102. Sitzung 12. Wahlperiode<br />

Stuttgart, Mittwoch, 31. Januar 2001 • Haus des <strong>Landtag</strong>s<br />

Beginn: 10:01 Uhr Schluss: 18:44 Uhr<br />

Eröffnung – Mitteilungen des Präsidenten . . . . . . . . . . 7971<br />

Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Scheuermann . . 7971<br />

1. Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme<br />

des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport –<br />

Lernmittelfreiheit – Drucksache 12/5738 . . . . . . . 7971<br />

Abg. Maurer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7971, 7978<br />

Abg. Rau CDU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7972, 7980<br />

Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen . . 7973<br />

Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP . . . . . . 7974, 7980<br />

Abg. König REP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7975<br />

Ministerin Dr. Annette Schavan . . . . . . . . . . . . . . 7976<br />

Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7981<br />

2. Große Anfrage der Fraktion der CDU mit der<br />

Antwort der Landesregierung – Stärkung der<br />

Wettbewerbsfähigkeit des ländlichen Raums in<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – Drucksache 12/5422 . . . . 7981<br />

Abg. Traub CDU. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7981<br />

Abg. Teßmer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7983<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen . . . . . . . 7985<br />

Abg. Drautz FDP/DVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7986<br />

Abg. Dagenbach REP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7987<br />

Abg. Hauk CDU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7989<br />

Ministerin Gerdi Staiblin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7990<br />

INHALT<br />

3. Aktuelle Debatte – Die negativen wirtschaftspolitischen<br />

Auswirkungen des geplanten Betriebsverfassungsgesetzes<br />

auf den Mittelstand,<br />

das Handwerk und die freien Berufe in <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> – beantragt <strong>von</strong> der Fraktion der<br />

FDP/DVP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7993<br />

Abg. Beate Fauser FDP/DVP . . . . . . . . . . . 7993, 8002<br />

Abg. Kurz CDU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7995, 8003<br />

Abg. Nagel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7996, 8004<br />

Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die<br />

Grünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7997, 8005<br />

Abg. Deuschle REP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7999, 8006<br />

Minister Dr. Döring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8000<br />

4. Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung<br />

– Gesetz über die Weiterentwicklung<br />

der Regionen und zur Änderung des Landesabfallgesetzes<br />

– Drucksache 12/5877 . . . . . . . . . . 8007<br />

Staatssekretär Dr. Mehrländer . . . . . . . . . . . . . . . 8007<br />

Abg. Fleischer CDU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8009<br />

Abg. Schmiedel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 8010, 8019<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen . . . . . . . 8012<br />

Abg. Hofer FDP/DVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8014<br />

Abg. Deuschle REP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8016<br />

Abg. List CDU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8018<br />

Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8019<br />

I


II<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

5. Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung<br />

– Gesetz über die Unterbringung<br />

besonders rückfallgefährdeter Straftäter<br />

(Straftäter-Unterbringungsgesetz – StrUBG) –<br />

Drucksache 12/5911 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8020<br />

Minister Dr. Schäuble . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8020<br />

Abg. Hans-Michael Bender CDU . . . . . . . . . . . . . 8021<br />

Abg. Bebber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8023<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen . . . . . . . 8024<br />

Abg. Kiesswetter FDP/DVP . . . . . . . . . . . . . . . . . 8025<br />

Abg. Käs REP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8026<br />

Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8027<br />

6. Mündlicher Bericht des Petitionsausschusses<br />

und Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8027<br />

Abg. Veigel FDP/DVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8027<br />

Abg. Behringer CDU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8030<br />

Abg. Schmiedel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8031<br />

Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen . . . . . . . . . . 8032<br />

Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP . . . . . . . . . 8033<br />

Abg. Wilhelm REP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8034<br />

7. Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung<br />

– Gesetz zur Neuorganisation der<br />

Führungsakademie des Landes <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

– Drucksache 12/5671<br />

Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen<br />

Ausschusses – Drucksache 12/5798 . . . . . . . . . . . . 8035<br />

Abg. Brechtken SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8035<br />

Abg. Dr. Vetter CDU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8036<br />

Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis 90/Die<br />

Grünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8037<br />

Abg. Veigel FDP/DVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8037<br />

Abg. Herbricht REP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8038<br />

Minister Dr. Palmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8038<br />

Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8040<br />

8. Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung<br />

– Gesetz zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes<br />

– Drucksache 12/5606<br />

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses<br />

– Drucksache 12/5920 . . . . . . . . . . . . . . . 8040<br />

Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8040<br />

9. Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion<br />

CDU und der Fraktion der FDP/DVP – Gesetz<br />

zur Änderung des Kirchensteuergesetzes –<br />

Drucksache 12/5792<br />

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses<br />

– Drucksache 12/5921 . . . . . . . . . . . . . . . 8041<br />

Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8041<br />

10. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses<br />

zu dem Antrag des Rechnungshofs vom<br />

19. September 2000 – Prüfung der Rechnung<br />

des Rechnungshofs (Einzelplan 11) für das<br />

Haushaltsjahr 1998 durch den <strong>Landtag</strong> –<br />

Drucksachen 12/5532, 12/5604. . . . . . . . . . . . . . . . 8041<br />

Abg. Brechtken SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8041, 8043<br />

Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU . . . . . . . . . . . . . . 8042<br />

Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis 90/Die<br />

Grünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8045<br />

Abg. Kiel FDP/DVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8046<br />

Abg. Rapp REP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8047<br />

Abg. Brechtken SPD (zur Geschäftsordnung) . . . 8048<br />

Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8048<br />

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8049<br />

Anlage<br />

Anlage zum mündlichen Bericht des Petitionsausschusses<br />

nach § 69 der Geschäftsordnung . . . . . . . . . . . 8050


<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Präsident Straub: Guten Morgen, meine Damen und Herren!<br />

Ich eröffne die 102. Sitzung des 12. <strong>Landtag</strong>s <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

und begrüße Sie.<br />

Urlaub für heute habe ich Frau Abg. Dr. Carmina Brenner<br />

erteilt.<br />

Krank gemeldet sind die Herren Abg. Lorenz, Troll und<br />

Weiser.<br />

Meine Damen und Herren, heute hat Herr Kollege Scheuermann<br />

Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere<br />

ich Ihnen sehr herzlich, Herr Kollege Scheuermann, und<br />

wünsche Ihnen alles Gute.<br />

(Beifall bei allen Fraktionen)<br />

Im Eingang befindet sich der Bericht des SWR vom<br />

19. Dezember 2000 über die Nutzung der Übertragungswege<br />

gemäß § 42 Abs. 3 des Staatsvertrags über den SWR.<br />

Der Bericht ist Ihnen als Drucksache 12/5875 zugegangen.<br />

Außerdem ist eine Mitteilung der Landesregierung vom<br />

29. Januar 2001 mit den Berichten des SWR, des ZDF und<br />

des Deutschlandradios über die Finanz-, Haushalts- und<br />

Personalkostenentwicklung in den Jahren 1999 bis 2002<br />

eingegangen. Diese Mitteilung wird Ihnen als Drucksache<br />

12/5950 zugehen.<br />

Ich schlage Ihnen vor, beide Berichte an den Ständigen<br />

Ausschuss zu überweisen. – Sie stimmen dem zu.<br />

Wir treten damit in die Tagesordnung ein.<br />

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:<br />

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des<br />

Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Lernmittelfreiheit<br />

– Drucksache 12/5738<br />

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die<br />

Begründung des Antrags fünf Minuten, für die Aussprache<br />

fünf Minuten je Fraktion, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.<br />

Das Wort zur Begründung des Antrags erteile ich Herrn<br />

Abg. Maurer.<br />

(Zurufe <strong>von</strong> der CDU und den Republikanern: Oi!)<br />

Abg. Maurer SPD: Herr Präsident, meine sehr geehrten<br />

Damen und Herren, insbesondere sehr geehrte Kolleginnen<br />

und Kollegen <strong>von</strong> der CDU, werte Frau Schavan!<br />

Protokoll<br />

über die 102. Sitzung vom 31. Januar 2001<br />

Beginn: 10:01 Uhr<br />

(Zurufe <strong>von</strong> der CDU, u. a. Abg. Dr. Reinhart:<br />

Welche Ehre!)<br />

– Haben Sie neuerdings etwas gegen Höflichkeit?<br />

(Abg. Seimetz CDU: Ganz neuer Stil! – Zuruf des<br />

Abg. König REP)<br />

Ich habe diesen Eindruck bei Ihnen öfter.<br />

Wir möchten Ihnen heute ein letztes Mal Gelegenheit geben,<br />

Ihren permanenten Verstoß gegen die Landesverfassung<br />

hinsichtlich der Lernmittelfreiheit zu beenden. Wir<br />

fordern Sie entsprechend dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> auf, die gegenwärtige, nicht<br />

verfassungsgemäße Praxis unverzüglich zu beenden und<br />

die in der Landesverfassung garantierte Lernmittelfreiheit<br />

wieder herzustellen.<br />

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bündnisses<br />

90/Die Grünen)<br />

Frau Ministerin, das oberste Verwaltungsgericht <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

hat Ihnen bescheinigt, dass das Gemeindehaushaltsstrukturgesetz<br />

der Landesregierung <strong>von</strong> 1996<br />

zur Aufhebung der Bagatellgrenze <strong>von</strong> 5 DM für Lernmittel<br />

nicht mit der Landesverfassung vereinbar ist. Der Verwaltungsgerichtshof<br />

hat damit auf der ganzen Linie bestätigt,<br />

was wir Ihnen seit Jahren näher zu bringen versucht<br />

haben und was Sie über Jahre hinweg mit ziemlich viel<br />

Ignoranz verweigert haben.<br />

Es geht nicht – das sage ich hier zum wiederholten Mal –,<br />

dass Sie eine Politik betreiben, mit der Sie den Eltern und<br />

den Familien klammheimlich und offen immer größere Belastungen<br />

für die Ausbildung ihrer Kinder aufbürden.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Nach den Berechnungen des Städtetags haben Sie es durch<br />

Ihre verfassungswidrige Praxis geschafft, insgesamt<br />

60 Millionen DM auf die Eltern zu übertragen. Die Eltern<br />

haben festgestellt, dass sie zu Beginn des Schuljahrs in der<br />

Regel schon weit über 100 DM für die Beschaffung <strong>von</strong><br />

Lernmitteln für ihre Kinder ausgeben müssen.<br />

Diese ganze Praxis fügt sich natürlich ein in eine politische<br />

Linie, die Sie insgesamt verfolgen. Das Gleiche haben Sie<br />

im selben Zusammenhang mit der Überwälzung der Schülerbeförderungskosten<br />

auf die Eltern und Familien gemacht.<br />

Das Gleiche machen Sie, indem Sie planmäßig an<br />

den Schulen den Förderunterricht so zusammenstreichen,<br />

dass die Eltern gezwungen sind, immer höhere Aufwen-<br />

7971


(Maurer)<br />

7972<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

dungen für Nachhilfe auszugeben, jedenfalls die Eltern, die<br />

es noch können; die Kinder der anderen bleiben auf der<br />

Strecke. Was Sie hier betreiben, ist, dass Sie sich schrittweise<br />

und konsequent Ihrer Verpflichtung für die Schulen<br />

entziehen und die Kosten für das Schulsystem in <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> auf die Kommunen und die Eltern abwälzen.<br />

Das ist die durchgehende Linie Ihrer Politik.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Natürlich verrät der Trick, mit dem Sie da immer operieren<br />

– das will ich deutlich sagen –, die Handschrift Ihres Herrn<br />

und Meisters aus der Villa Reitzenstein. Man kann sich das<br />

bei diesem glorreichen Haushaltsstrukturgesetz richtig vorstellen.<br />

Den Herren Bürgermeistern sagt man: „Jetzt haben<br />

wir euch aber eine Gelegenheit gegeben; da könnt ihr Geld<br />

einsparen, und die kommunale Handlungsfreiheit wird erhöht.“<br />

Und den Eltern sagt man: „Ich kann aber nichts dafür,<br />

wenn die Kommunen <strong>von</strong> Ihnen so viel Geld verlangen;<br />

das ist deren Entscheidung.“ Diese Art <strong>von</strong> Scheinheiligkeit<br />

geht dem Ende entgegen. Und dafür ist es höchste<br />

Zeit.<br />

(Beifall bei der SPD – Abg. Haasis CDU: Das<br />

weiß er noch <strong>von</strong> der großen Koalition, wie man<br />

das macht!)<br />

– Stimmt, ja. Ich habe die Erfahrung schon früher gemacht,<br />

Herr Kollege Haasis. Deswegen bin ich ein intimer Kenner<br />

dieser Methode.<br />

(Heiterkeit)<br />

Ich habe sie zwar immer wieder abgewehrt, aber ich kenne<br />

sie <strong>von</strong> daher.<br />

Sie können, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch nicht<br />

behaupten, dass Sie dies alles nicht gewusst hätten. Unmittelbar<br />

danach hat damals Frau Schavan gesagt, sie habe ein<br />

gewisses Interesse daran, zu einer einheitlichen Praxis zu<br />

kommen. Man beachte die Wortwahl. Aber sie hat das Interesse<br />

nicht umgesetzt, sondern noch im Dezember letzten<br />

Jahres hat man gesagt: „Nein, wir machen nichts; es ist<br />

nicht notwendig, da irgendeine Regelung herbeizuführen.“<br />

Frau Ministerin, Sie haben versucht, das Thema auszusitzen.<br />

Und Sie haben jetzt das wirklich Schlimmste erlebt,<br />

was man eigentlich erleben kann, nämlich dass das oberste<br />

Gericht in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> Ihnen als Ministerin bescheinigt<br />

hat, dass Sie über Jahre hinweg gegen die Landesverfassung<br />

gehandelt haben.<br />

(Beifall bei der SPD – Abg. Haasis CDU: Haben<br />

Sie eigentlich einmal den Urteilsspruch gelesen?)<br />

– Natürlich, Herr Kollege Haasis.<br />

Deswegen fordere ich Sie auf: Beenden Sie diesen permanenten<br />

Verfassungsbruch. Flüchten Sie sich nicht, wie ich<br />

das wieder in Ihrem Antrag gelesen habe, in diese typische<br />

Methode „Jetzt prüfen wir einmal wieder“. Nein, beenden<br />

Sie das wenigstens zum Ende der Legislaturperiode. Machen<br />

Sie wenigstens einen kleinen Schritt zur Wiederherstellung<br />

<strong>von</strong> Chancengleichheit in unserem Bildungssystem.<br />

Andere Schritte werden folgen müssen. Das machen<br />

wir dann nach der Wahl. Aber gestehen Sie endlich we-<br />

nigstens ein, dass Sie gegen die Landesverfassung verstoßen<br />

haben, dass Sie die Eltern zu Unrecht belastet haben<br />

und dass Sie wenigstens am Ende Ihrer Amtszeit gewillt<br />

sind, die Verfassung dieses Landes einzuhalten.<br />

(Lebhafter Beifall bei der SPD)<br />

Präsident Straub: Zur Aussprache rufe ich zwei Entschließungsanträge<br />

auf: den Entschließungsantrag der<br />

Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,<br />

Drucksache 12/5958, und den Entschließungsantrag<br />

der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP,<br />

Drucksache 12/5961.<br />

In der Aussprache erteile ich Herrn Abg. Rau das Wort.<br />

(Abg. Haas CDU: Rau ist schlau! Der macht das<br />

schon!)<br />

Abg. Rau CDU: Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen<br />

und Herren! Was uns hier gerade vorgeführt wurde,<br />

ist schon allerhand. Vielleicht sollte Herr Maurer nicht nur<br />

das nachlesen, was man ihm aufschreibt,<br />

(Abg. Drexler SPD: Sie lesen doch ab!)<br />

sondern einmal einen Blick ins Urteil werfen.<br />

(Beifall bei der CDU)<br />

Dann würde er feststellen, dass ein Einzelfall Gegenstand<br />

dieses Urteils war<br />

(Lachen bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter<br />

Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Brechtken SPD:<br />

Ihr habt gewonnen!)<br />

und dass das Haushaltsstrukturgesetz in diesem Urteil<br />

überhaupt nicht infrage gestellt worden ist,<br />

(Abg. Brechtken SPD: Also eigentlich habt ihr gewonnen!)<br />

sondern dass es darum ging, wie dieses Gesetz Anwendung<br />

findet. Dafür sind in der Tat Grenzen gezogen worden, die<br />

Anlass dazu geben, dass wir mit den Betroffenen noch einmal<br />

ins Gespräch treten. Dies ist auch Gegenstand unseres<br />

eigenen Antrags.<br />

(Abg. Christine Rudolf SPD: Und das hat mit dem<br />

Gesetz nichts zu tun, oder was?)<br />

Derzeit tagt eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Landesregierung<br />

und der kommunalen Landesverbände. Dabei geht<br />

es um die Sachkosten der Schulen, und dort gehört dieser<br />

Sachverhalt hin. Alles andere ist eine maßlose Überinterpretation<br />

des Herrn Maurer.<br />

(Beifall bei der CDU – Abg. Hans-Michael Bender<br />

CDU: Richtig! – Abg. Haasis CDU: Sehr gut! –<br />

Lachen bei der SPD)<br />

Es war auch klar, dass am Ende seiner Einlassungen das<br />

Thema „Wiederherstellung <strong>von</strong> Chancengleichheit“ eine<br />

Rolle spielen musste.


(Rau)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

(Abg. Christine Rudolf SPD: Wenn ihr es vernachlässigt!)<br />

Die Chancengleichheit aller Schülerinnen und Schüler in<br />

diesem Bundesland ist in vollem Umfang gewahrt<br />

(Oh-Rufe <strong>von</strong> der SPD – Beifall bei der CDU –<br />

Abg. Christine Rudolf SPD: Wann haben Sie das<br />

letzte Mal mit den Eltern gesprochen?)<br />

und wird durch einen Betrag in der Größenordnung, um die<br />

es hier geht, nicht infrage gestellt.<br />

(Abg. Christine Rudolf SPD: Reden Sie doch mal<br />

mit den Eltern! Genau das tun Sie nicht! – Gegenruf<br />

<strong>von</strong> der CDU: Lieber Gott!)<br />

– Genau das tun wir ja. Dieses Gesetz ist seit vier Jahren in<br />

Kraft. Innerhalb <strong>von</strong> vier Jahren hat ein einziger Elternteil<br />

wegen eines Betrags <strong>von</strong> 9,90 DM geklagt. Da wollen Sie<br />

mir sagen, dass <strong>von</strong> der Elternschaft in ihrer ganzen Breite<br />

die Chancengleichheit in diesem Land infrage gestellt würde.<br />

Das ist doch wohl eine maßlose Übertreibung, die Sie<br />

hier vornehmen.<br />

(Zurufe <strong>von</strong> der SPD)<br />

Wir haben bei der Neuordnung der kommunalen Finanzen<br />

unter der Beteiligung des Landes dafür gesorgt, dass den<br />

Schulen Pauschbeträge zur Verfügung gestellt werden, die<br />

dazu dienen sollen, solche Lernmittel zu kaufen, die nicht<br />

ausdrücklich in der Lernmittelverordnung aufgeführt sind.<br />

Dafür stehen jeder Schule Mittel zur Verfügung. Wir halten<br />

sehr viel <strong>von</strong> dem Ansatz, den Schulen ein Budget zu<br />

geben, mit dem sie eigenverantwortlich umgehen müssen.<br />

(Abg. Maurer SPD: Also sind die Schulen schuld!)<br />

– Die Schulen sind überhaupt nicht schuld. Die Schulen<br />

sollen – auch gemäß ihren eigenen Vorstellungen – mehr<br />

Kompetenzen erhalten. Es ist ein Teil der Kompetenz <strong>von</strong><br />

Schulen, wenn sie ein eigenes Budget erhalten, um Lernmittel<br />

zu erwerben, die sie dann für den Unterricht einsetzen<br />

können.<br />

(Abg. Zeller SPD: Das steht doch in der Landesverfassung!<br />

Haben Sie denn die Landesverfassung<br />

nicht gelesen? – Gegenruf des Abg. Haas CDU:<br />

Oh, Herr Zeller, Sie verstehen hier gar nichts! Halten<br />

Sie sich raus!)<br />

Die Chancengleichheit im Land <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> wird<br />

dadurch in keiner Weise berührt.<br />

Ich denke, es schadet nicht, wenn man sich Beispiele vor<br />

Augen führt, wie es in anderen Ländern gemacht wird. Unser<br />

Nachbarland Rheinland-Pfalz kennt überhaupt keine<br />

grundsätzliche Lernmittelfreiheit. In Rheinland-Pfalz können<br />

lediglich Familien, die unterhalb einer niedrig bemessenen<br />

Einkommensgrenze liegen, einen Zuschuss beantragen,<br />

um die Lernmittel der Kinder bezahlen zu können.<br />

(Abg. Zeller SPD: Wollen Sie die Landesverfassung<br />

ändern?)<br />

Dort werden für ganz normale Schulbücher, die im täglichen<br />

Gebrauch sind, <strong>von</strong> allen Eltern, auch <strong>von</strong> den sozial<br />

schwächsten, Beiträge verlangt.<br />

(Zurufe <strong>von</strong> der SPD – Abg. Hans-Michael Bender<br />

CDU zur SPD: Jetzt hört mal zu!)<br />

Also kommen Sie mir hier doch nicht mit dem Thema<br />

Chancengleichheit daher.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)<br />

Präsident Straub: Herr Abg. Rau, gestatten Sie eine Zwischenfrage<br />

des Herrn Abg. Zeller?<br />

Abg. Rau CDU: In der zweiten Runde. Ich lasse ein bisschen<br />

Redezeit übrig. Ich will das jetzt zu Ende führen.<br />

(Abg. Rech CDU: Wenn der nicht reden darf, soll<br />

er sich auch mit Fragen zurückhalten!)<br />

Ich habe klar gesagt: Diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs<br />

besitzt nicht mehr politische Dimension als<br />

die Tatsache, dass wir gemeinsam mit den Kommunen eine<br />

Klarstellung darüber erreichen müssen, was künftig vom<br />

Schulträger und <strong>von</strong> der Schule übernommen werden muss<br />

und was für die Eltern ein zumutbarer Betrag ist. Genau in<br />

dieser Größenordnung behandeln wir das politische Thema,<br />

und alles andere, was hier gesagt wurde, weisen wir<br />

entschieden zurück.<br />

Ich danke Ihnen.<br />

(Beifall bei der CDU)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter.<br />

Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen: Herr Präsident,<br />

meine Damen und Herren! Der Elternprozess zur<br />

Wiederherstellung der Lernmittelfreiheit ist der Gipfel einer<br />

Reihe <strong>von</strong> Prozessen im Bildungsbereich, bei denen Eltern<br />

oder Betroffene sich gegen die hohen finanziellen Belastungen<br />

durch die Kultusbürokratie gewehrt haben. Die<br />

Landesregierung hat alle Prozesse verloren. Ich erinnere<br />

nur an die Verpflichtung zur Zurücknahme der hohen<br />

Rückmeldegebühren für Studierende oder an die Pflicht,<br />

die Zuschüsse für die Privatschulen zu erhöhen, damit das<br />

verfassungsrechtliche Gebot des freien Zugangs auch zu<br />

Privatschulen für alle Kinder gewährleistet wird.<br />

Meine Damen und Herren <strong>von</strong> der CDU und <strong>von</strong> der FDP/<br />

DVP, hier hätte Ihnen doch allmählich ein Licht aufgehen<br />

müssen,<br />

(Abg. Drexler SPD: Die haben kein Licht! – Abg.<br />

Capezzuto SPD: Woher nehmen?)<br />

bzw. es hätten Ihnen Alarmglocken läuten sollen, was an<br />

Zumutbarkeit für die Eltern gesetzlich nicht zulässig ist.<br />

Mit dem jetzt vorliegenden Urteil wird endlich die schleichende<br />

Aushöhlung der Lernmittelfreiheit gestoppt, und<br />

das zu Recht. Wir Grünen begrüßen dieses Urteil. Denn die<br />

1953 in unserer Landesverfassung verankerte Unentgeltlichkeit<br />

<strong>von</strong> Unterricht und Lernmitteln ist schließlich ein<br />

Grundpfeiler unseres Bildungswesens. In einem demokrati-<br />

7973


(Renate Rastätter)<br />

7974<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

schen Gemeinwesen darf die schulische Chancengleichheit<br />

<strong>von</strong> Kindern nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängen.<br />

Aber gerade weil inzwischen – Sie wissen das – der<br />

private Bildungsmarkt boomt – Nachhilfeinstitute schießen<br />

wie Pilze aus dem Boden –, darf es nicht sein, dass Eltern,<br />

die sich keine teuren Nachhilfestunden für ihre Kinder leisten<br />

können, im staatlich verantworteten Bildungsbereich<br />

immer stärker zur Kasse gebeten werden.<br />

Meine Damen und Herren, Studien belegen: Kinder sind in<br />

unserer Gesellschaft das Armutsrisiko Nummer 1. Nach 16<br />

Jahren CDU-geführter Regierungszeit in Bonn hat das<br />

Bundesverfassungsgericht <strong>von</strong> der Politik einen umfassenden<br />

Lastenausgleich für Familien eingefordert. Im Gegensatz<br />

zur familienfeindlichen Politik der damaligen CDU-<br />

Regierung –<br />

(Abg. Ingrid Blank CDU: Das ist eine Unverschämtheit!)<br />

es gab ja genügend Lippenbekenntnisse, aber die Taten<br />

blieben dahinter zurück –<br />

(Zuruf der Abg. Dr. Eva Stanienda CDU)<br />

hat unsere rot-grüne Bundesregierung sofort erste Schritte<br />

zur Entlastung der Familien eingeleitet.<br />

(Widerspruch bei der CDU – Zuruf der Abg. Ingrid<br />

Blank CDU)<br />

Ich nenne die steuerliche Entlastung, die Erhöhung des<br />

Kindergelds und des Bundeserziehungsgelds, meine liebe<br />

Kollegin Blank.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der<br />

SPD – Abg. Ingrid Blank CDU: Wer hat denn das<br />

alles eingeführt?)<br />

Deshalb sage ich, meine Damen und Herren: Unsere rotgrüne<br />

familienpolitische Bilanz nach nur zwei Jahren kann<br />

sich sehen lassen.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der<br />

SPD – Widerspruch bei der CDU)<br />

Sie dagegen ziehen den Eltern das Geld aus der Tasche.<br />

(Abg. Drexler SPD: Und wie! Sehr gut! – Zuruf<br />

des Abg. König REP)<br />

Ich meine hier nicht nur die Lernmittel, sondern ich nenne<br />

als Beispiele auch die steigenden Schülerbeförderungskosten,<br />

das Geld für die verlässliche Grundschule, die Einführung<br />

<strong>von</strong> Schulgeld durch die Hintertür. Es ist abzusehen,<br />

dass auch in diesen Bereichen die Eltern vor die Gerichte<br />

ziehen werden.<br />

Meine Damen und Herren, was die Lernmittelfreiheit anbelangt:<br />

Warnungen gab es ja genug, dass die Praxis in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

verfassungswidrig ist. Auch das Gutachten<br />

des Justizministeriums <strong>von</strong> 1994, das ja das Kultusministerium<br />

selbst in Auftrag gegeben hat, hat eindeutig festgestellt,<br />

dass eine Bagatellgrenze selbst aus verfassungsrechtlicher<br />

Sicht bereits äußerst fragwürdig ist, und hat eine<br />

Heraufsetzung der Bagatellgrenze auf 15 DM radikal<br />

abgelehnt. Aber Sie sind in diesem Punkt belehrungsresistent<br />

gewesen und sind es heute noch, wenn ich Herrn Rau<br />

höre, der <strong>von</strong> einem Einzelfall spricht, der <strong>von</strong> einer maßlosen<br />

Überinterpretation des Urteils spricht. Offensichtlich<br />

sind Sie immer noch nicht bereit, die notwendigen Konsequenzen<br />

aus diesen Urteilen zu ziehen.<br />

(Zuruf <strong>von</strong> der CDU: Frau Abg. Rastätter, lesen<br />

Sie doch mal unseren Entschließungsantragstext!)<br />

– „Wischiwaschi“ kann ich da nur sagen.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der<br />

SPD)<br />

Mit der Wahl eines unbestimmten Rechtsbegriffs, den Sie<br />

dann gewählt haben – „Gegenstände geringen Werts“ müssen<br />

<strong>von</strong> den Eltern bezahlt werden; das war ein Griff in die<br />

Trickkiste –, haben Sie dann doch erreicht, dass Eltern und<br />

Kommunen stärker belastet wurden.<br />

Damit jetzt endgültig Schluss ist mit der Aushöhlung der<br />

Lernmittelfreiheit, haben wir heute gemeinsam mit den Sozialdemokraten<br />

einen Entschließungsantrag vorgestellt, der<br />

fordert, dass diese verfassungswidrige Praxis sofort beendet<br />

wird und dass zweitens zusammen mit den Kommunen<br />

ein runder Tisch gebildet wird mit dem Ziel, eine seriöse<br />

und solide Einigung mit den Kommunen herbeizuführen,<br />

was die hohen finanziellen Kosten im Bildungsbereich angeht,<br />

und zwar unter Einbeziehung der Kosten für die<br />

Lernmittel, die Schülerbeförderung, die Computer an den<br />

Schulen und auch die verlässliche Grundschule. Schließlich<br />

muss natürlich das Schulgesetz geändert werden. Dieses<br />

werden wir hoffentlich in einer neuen Regierungsmehrheit<br />

in der nächsten Legislaturperiode tun können.<br />

(Lachen bei der CDU und bei der FDP/DVP)<br />

Lassen Sie mich aber abschließend noch eines sagen, speziell<br />

Ihnen, meine Damen und Herren <strong>von</strong> der CDU: Wer<br />

solche Windeier wie „Laptops für alle Schüler in <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>“<br />

(Abg. Drexler SPD: 2 Milliarden DM!)<br />

auf seinem Landesparteitag beschließt, mit 2 Milliarden<br />

DM Kosten, der ist wenig glaubwürdig, wenn er jetzt<br />

erklärt, er wolle die Lernmittelfreiheit verfassungsgemäß<br />

regeln. Machen Sie zuerst Ihre Hausaufgaben, und sorgen<br />

Sie bei Ihren Parteitagen für Beschlüsse, die auch praktisch<br />

umsetzbar sind und die vor allem auch pädagogisch sinnvoll<br />

sind.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der<br />

SPD – Zurufe der Abg. Döpper und Hans-Michael<br />

Bender CDU)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Frau Abg. Berroth.<br />

Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Herr Präsident, meine<br />

Damen und Herren! Man könnte an dieser Stelle darauf<br />

hinweisen, dass zur Entstehungszeit unserer Verfassung die<br />

Situation an unseren Schulen eine völlig andere war als<br />

heute und dass zum Zeitpunkt der Konkretisierung auf die


(Heiderose Berroth)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Bagatellgrenze <strong>von</strong> 1 DM eine Brezel 6 Pfennig gekostet<br />

hat und sich trotzdem nur wenige Menschen regelmäßig<br />

eine solche leisten konnten, wohingegen heute viele Mütter<br />

selbstverständlich beim Einkaufen täglich ihre Kinder mit<br />

einer Brezel versorgen, die inzwischen immerhin 95 Pfennig<br />

wert ist.<br />

Es wäre dann auch zu bedenken,<br />

(Abg. Moser SPD: Ändern Sie doch! – Abg. Zeller<br />

SPD: Ihr habt doch die Mehrheit!)<br />

dass Unterricht zu jener Zeit mit sehr viel weniger Hilfsmitteln<br />

auskommen musste, dass Didaktik und Methoden<br />

und vor allem Produktvielfalt und technische Möglichkeiten<br />

sich inzwischen jedoch enorm weiterentwickelt haben,<br />

dass eine moderne und effiziente Arbeitsweise zu Recht in<br />

Büchern Wichtiges markiert und eigene Bemerkungen direkt<br />

dazuschreibt, weil wir herausgefunden haben, dass<br />

dies den Lernprozess fördert, und weil Bücher heute in<br />

großer Menge und zu akzeptablen Preisen produziert werden<br />

können.<br />

Aber das alles brauchen wir hier überhaupt nicht zu diskutieren,<br />

weil wir ja an unserer Verfassung festhalten und im<br />

Übrigen <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> gerade bei der Lernmittelfreiheit<br />

die großzügigste Regelung aller Länder hat.<br />

Ich zeige Ihnen als Beispiel diese Broschüre aus dem Jahr<br />

1997. Sie hat zwar den Titel „Lernmittelfreiheit in der Krise“,<br />

aber im ganzen Heft ist immer <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> als<br />

bestes Bundesland und als hervorragendes Beispiel für alle<br />

anderen dargestellt.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg.<br />

Maurer SPD: Das war 1997!)<br />

Gerade Sie, meine Damen und Herren <strong>von</strong> der Opposition,<br />

rufen <strong>von</strong> dieser Stelle aus mit großer Regelmäßigkeit und<br />

Intensität die autonome Schule als Schule der Zukunft aus.<br />

Auch wir Liberalen möchten mehr Freiheit in unser Bildungswesen<br />

bringen,<br />

(Lachen bei der SPD)<br />

sehen aber klar, dass zum Beispiel zur Entscheidungsfreiheit<br />

über den Einsatz <strong>von</strong> Lernmitteln auch die Verantwortung<br />

für die dadurch entstehenden Kosten gehört. Die Änderung<br />

des Schulgesetzes im Jahr 1996 sah vor, dem Rechnung<br />

zu tragen und das Prinzip der Subsidiarität zu stärken.<br />

Die genaue Begründung des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs<br />

zur Lernmittelfreiheit in einem Einzelfall liegt<br />

leider noch nicht vor. Deshalb führen wir diese Debatte<br />

heute mindestens zwei Wochen zu früh. Im Moment deutet<br />

überhaupt nichts darauf hin, dass die Verfassungsmäßigkeit<br />

unserer Regelung infrage gestellt wäre. Sollte das Urteil<br />

dennoch in eine andere Richtung zeigen, werden wir<br />

selbstverständlich im Zusammenwirken mit den Kommunen<br />

die erforderlichen Konsequenzen ziehen. Diese könnten<br />

dann darin liegen, dass wir wieder einen ganz konkreten<br />

Wert als Geringfügigkeitsgrenze festlegen.<br />

Wenn wir allerdings gleichzeitig da<strong>von</strong> ausgehen, dass der<br />

wirtschaftliche Umgang mit dem Geld der Steuerzahler<br />

und ein effizienter Einsatz staatlicher Mittel wichtige Ziele<br />

zukunftsorientierter Politik sind, hilft letztlich nur die<br />

Hoffnung auf die wachsende Eigenverantwortung der<br />

Lehrkräfte und der Selbstverwaltung an den Schulen.<br />

Die aus gutem Grund in immer mehr Städten und Gemeinden<br />

auch für die Schulen angewandte Finanzierungsform<br />

der großflächigeren Budgetierung kann hilfreich sein und<br />

einen Rahmen geben – einen Rahmen, der sicherstellt, dass<br />

einerseits Familien wirklich nur in erträglichem Maße direkt<br />

mit den Kosten konfrontiert werden, die Bildung nun<br />

einmal auch im Bereich der Lernmittel verursacht, und<br />

dass andererseits genügend Geld übrig bleibt, um die anderen<br />

Aufgaben erledigen zu können; einen Rahmen, der zum<br />

Beispiel die Mittel für eine sachgerechte Ausstattung mit<br />

neuen Medien, deren Einsatz und Wartung sowie die Stabilisierung<br />

der Unterrichtsversorgung und die damit notwendige<br />

Aufstockung der Personalausgaben, die auf uns zukommen,<br />

vorgibt.<br />

Geld, meine Damen und Herren, erhält seinen Wert erst dadurch,<br />

dass es knapp und damit endlich ist.<br />

(Lachen bei der SPD)<br />

Der verantwortliche Umgang mit öffentlichen Mitteln ist<br />

eine Herausforderung, der sich in der Demokratie nicht nur<br />

die Politik, sondern auch jeder einzelne Staatsbürger stetig<br />

neu stellen muss. Dabei steht eines ganz klar fest: Wir in<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> werden auch weiterhin für den<br />

chancengleichen Zugang zum Bildungswesen sorgen, der<br />

ein wichtiger Punkt unserer Politik ist und <strong>von</strong> uns gewährleistet<br />

wird.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. König.<br />

Abg. König REP: Herr Präsident, meine sehr verehrten<br />

Damen und Herren! Es wundert mich schon, dass der Kollege<br />

Rau <strong>von</strong> der CDU sich hier hinstellte und behauptete,<br />

die Landesregierung, getragen <strong>von</strong> der Fraktion der CDU<br />

und der Fraktion der FDP/DVP, hätte bezüglich der Lernmittelfreiheit<br />

verfassungsgemäß gehandelt. Gerade das<br />

VGH-Urteil der letzten Woche hat doch klar und deutlich<br />

gezeigt,<br />

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Kennen Sie<br />

das denn schon? Haben Sie direkte Beziehungen<br />

dahin?)<br />

dass die Landesregierung gegen die Landesverfassung verstoßen<br />

hat.<br />

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Rau CDU:<br />

Wenn Sie dem Herrn Maurer nachschwätzen, liegen<br />

Sie falsch!)<br />

– Sie hat dagegen verstoßen!<br />

Herr Kollege Rau, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen,<br />

Rheinland-Pfalz erhebe <strong>von</strong> den Eltern höhere Beiträge für<br />

Lernmittel, muss ich einfach sagen: Jedes Bundesland hat<br />

seine eigene Verfassung. In der Landesverfassung <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

steht nun einmal, dass Unterricht und<br />

Lernmittel frei sein müssen und dies in Stufen zu erreichen<br />

sei. Wir hatten schon eine Stufe erreicht. In der Landes-<br />

7975


(König)<br />

7976<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

verfassung und auch sonst steht nirgends, dass man das in<br />

Stufen wieder aushöhlen können soll.<br />

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)<br />

Genau darum geht es hier jedoch.<br />

Man muss einmal überlegen, wie das Ganze zustande gekommen<br />

ist. Die Landesregierung, knapp bei Kasse, hat<br />

1996 versucht, Kosten abzuwälzen – zunächst auf die<br />

Kommunen, und diese mussten das an die einzelnen Schüler<br />

und deren Eltern weitergeben. Das war doch die Ursache,<br />

insbesondere für die sehr starke Kürzung der Mittel<br />

für die Schülerbeförderung. Die Kommunen haben aufgemuckt,<br />

und ihre Reaktion war verständlich. Die Landesregierung<br />

hat ihnen dann ein „Zuckerle“ hingehalten und gesagt:<br />

„So, ihr könnt euch refinanzieren, indem wir Tür und<br />

Tor für die Erhöhung des Elternanteils öffnen.“ Das ist<br />

doch Fakt, und das war die Ausgangslage.<br />

Wenn man dann so schwammige Begriffe wie „Gegenstände<br />

geringen Werts“ ins Haushaltsstrukturgesetz und in der<br />

Übertragung dann ins Schulgesetz schreibt, braucht man<br />

sich nicht zu wundern, dass sie vor Ort unterschiedlich ausgelegt<br />

werden. Der Begriff wurde auch unterschiedlich<br />

ausgelegt, wie man verschiedenen Schulberichten, aber<br />

auch der Presse entnehmen konnte. Das aber kann nicht<br />

sein.<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind froh,<br />

dass endlich wieder einmal ein Gericht entschieden hat,<br />

dass auch eine Landesregierung an die Verfassung gebunden<br />

ist.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)<br />

Wenn die Politik nicht fähig ist, sich selbst Zügel anzulegen,<br />

brauchen wir eben immer wieder die Justiz. Das<br />

schwächt aber die Position der Politik, und dann brauchen<br />

wir uns nicht länger über Politikverdrossenheit zu unterhalten.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt kommt ein<br />

wichtiger Punkt. Es gibt sowohl einen Entschließungsantrag<br />

der Grünen und der SPD als auch gleichzeitig einen<br />

Entschließungsantrag desselben Inhalts <strong>von</strong> der CDU und<br />

der FDP/DVP. Was Sie hier vorführen, ist doch scheinheilig.<br />

(Abg. Drexler SPD: Genau! – Abg. Kluck FDP/<br />

DVP: Wer? Wir?)<br />

Sie wollen einem vernünftigen Antrag der Linken – ich stehe<br />

bestimmt nicht in dem Verdacht, mit den Linken zu<br />

sympathisieren oder gar zu kungeln –<br />

(Abg. Zeller SPD: Ach, Herr König! – Abg. Döpper<br />

CDU: Wer weiß!)<br />

nicht zustimmen und reichen selber einen etwas verwässerten<br />

ein. Das ist doch Taktik.<br />

Wenn ich die Frau Kollegin Berroth höre, die ja in typischer<br />

FDP-Manier sehr viel geschwätzt, aber überhaupt<br />

nichts gesagt hat,<br />

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Nichts über<br />

Ausländerinnen!)<br />

muss ich Sie einfach daran erinnern,<br />

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wer schwätzt hier?)<br />

liebe Frau Berroth:<br />

(Abg. Dr. Birk CDU: König faselt!)<br />

Die FDP/DVP hat in der 11. Legislaturperiode <strong>von</strong> 1992<br />

bis 1996, als sie in der Opposition war – dorthin gehört sie<br />

auch wieder; denn da hat sie eine viel bessere Politik gemacht<br />

–, die gleiche Auffassung vertreten. Heute aber hat<br />

sie einen Schwenk um 180 Grad gemacht.<br />

Es wird höchste Zeit, dass die Politik genügend Mut aufbringt,<br />

alles selbst zu regeln, damit sie es sich nicht <strong>von</strong><br />

Gerichten vorschreiben und damit sie sich nicht abwatschen<br />

lassen muss.<br />

(Abg. Rech CDU: Vorher haben Sie das Gegenteil<br />

gesagt!)<br />

Mit ihrem Haushaltsstrukturgesetz hat die Landesregierung<br />

die Watschen damals regelrecht herausgefordert, und jetzt<br />

hat sie sie auch erhalten. Warnungen <strong>von</strong>seiten der Opposition<br />

– <strong>von</strong>seiten <strong>von</strong> uns Republikanern – wurden belächelt.<br />

Jetzt aber versucht man, das Ganze etwas schönzureden.<br />

Meine Damen und Herren, das nicht verfassungsgemäße<br />

Handeln einer CDU-geführten Regierung reiht sich nahtlos<br />

in all das ein, was in den vergangenen Monaten und Jahren<br />

passiert ist. Immer wieder hat man feststellen müssen: Die<br />

CDU und <strong>von</strong> ihr geführte Regierungen handeln verfassungswidrig.<br />

Ich erinnere nur an die in der Verfassung stehende<br />

Verpflichtung, dass sich die Landesregierung <strong>von</strong><br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> eine Geschäftsordnung geben muss.<br />

(Abg. Deuschle REP: Richtig!)<br />

Bis heute ist das nicht geschehen. Auch hier werden Sie<br />

eine Watschen erhalten, und zwar zu Recht.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich der Ministerin für<br />

Kultus, Jugend und Sport, Frau Dr. Schavan.<br />

Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Dr. Annette<br />

Schavan: Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und<br />

Herren! Frau Rastätter hat darauf hingewiesen, dass die in<br />

die Verfassung aufgenommene Lernmittelfreiheit ein<br />

Grundpfeiler unseres Bildungswesens ist. Es gibt sie in der<br />

Bundesrepublik Deutschland ansonsten nur in Hessen, in<br />

Bremen und in Brandenburg. In keiner sonstigen Landesverfassung<br />

hat die Lernmittelfreiheit einen solchen Stellenwert<br />

wie bei uns. Sie ist ein hohes Gut.<br />

(Abg. Maurer SPD: Ah, ja!)<br />

Das zeigt sich auch faktisch im Vergleich der Praxis und<br />

der tatsächlichen Bildungsausgaben in den Bundesländern,<br />

über die wir hier ja auch schon mehrfach gestritten haben.


(Ministerin Dr. Annette Schavan)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

(Abg. Zeller SPD: Jetzt lenkt sie schon wieder ab!<br />

Ablenkung!)<br />

In Rheinland-Pfalz werden Schulbücher privat bezahlt; für<br />

Einkommensschwache gibt es Gutscheine. In Niedersachsen<br />

erhalten Schulen pro Schüler – –<br />

(Abg. Zeller SPD: Wir sind jetzt aber in <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>! – Zuruf des Abg. Wintruff SPD)<br />

– Jetzt reden wir einmal über Fakten.<br />

(Beifall bei der CDU – Abg. Birzele SPD: Die<br />

Landesverfassung ist ein Faktum! – Weitere Zurufe<br />

<strong>von</strong> der SPD)<br />

– Jetzt bin ich dran, und dann sind Sie wieder dran. Sie haben<br />

noch vier Minuten Redezeit. Also ist alles paletti.<br />

(Zurufe <strong>von</strong> der SPD, u. a. Abg. Carla Bregenzer:<br />

Nicht ablenken!)<br />

In Niedersachsen erhalten Schulen 45 DM pro Schüler für<br />

Klassenfahrten, Lehrerfortbildung, Schulpartnerschaften<br />

und Lernmittel.<br />

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Was sagt das Gericht?<br />

– Abg. Wieser CDU: Oh Gott, oh Gott!)<br />

In Nordrhein-Westfalen gibt es einen Pauschbetrag, der zu<br />

einem Drittel <strong>von</strong> den Eltern finanziert wird.<br />

(Abg. Wintruff SPD: Sie sind aber nicht in Nordrhein-Westfalen!)<br />

Das heißt, im Vergleich der Flächenländer – und nur mit<br />

denen können wir uns vergleichen – ist der Anteil der Elternbeiträge<br />

in anderen Ländern weitaus höher als bei uns.<br />

Er ist sogar um ein Vielfaches höher als bei uns.<br />

(Abg. Drexler SPD: Ändern Sie doch die Verfassung!<br />

– Abg. Carla Bregenzer SPD: Dann müssen<br />

Sie doch die Verfassung ändern! – Abg. Brechtken<br />

SPD: Wir haben eine andere Verfassungslage!<br />

Dann müssen Sie die Verfassung ändern! – Unruhe)<br />

Deshalb zeigt der Ländervergleich zwischen den alten Flächenländern,<br />

dass Bayern und <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> bei den<br />

Bildungsausgaben pro Schüler an der Spitze liegen. Und<br />

das soll auch so bleiben.<br />

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser<br />

FDP/DVP – Zurufe der Abg. Brechtken und Carla<br />

Bregenzer SPD – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/<br />

Die Grünen: Das Protokoll verzeichnet „heitere<br />

Gelassenheit“!)<br />

Das soll so bleiben, weil wir wissen und da<strong>von</strong> überzeugt<br />

sind, dass Bildung, ob in Schule oder Hochschule, nicht<br />

vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein darf.<br />

(Oh-Rufe <strong>von</strong> der SPD)<br />

Deshalb wird <strong>von</strong> unseren Städten und Gemeinden und<br />

vom Land investiert, und zwar jedes Jahr mehr als im Jahr<br />

zuvor.<br />

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Zur<br />

Sache!)<br />

Zweitens – damit komme ich zum eigentlichen Vorgang –:<br />

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Es<br />

wird auch Zeit! – Abg. Zeller SPD: Bisher haben<br />

Sie das Thema verfehlt! – Abg. Bebber SPD: Jetzt<br />

kommen wir zur Debatte! – Gegenruf des Abg.<br />

Rau CDU: So, Herr Oberlehrer! – Unruhe)<br />

– Zum Thema gehört immer nur das, was Sie dazu definiert<br />

haben. Das ist Ihr Problem, weshalb Sie als Landes-SPD in<br />

vielen bildungspolitischen Themen weit hinter der sonstigen<br />

SPD herhinken.<br />

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Abg. Zeller SPD:<br />

Sie lenken ab! Sie haben das Problem! – Abg.<br />

Bebber SPD: Sie haben ein Problem! – Zuruf der<br />

Abg. Carla Bregenzer SPD)<br />

Wir haben 1996 das Gemeindehaushaltsstrukturgesetz verabschiedet.<br />

(Zuruf des Abg. Dr. Birk CDU – Gegenruf des<br />

Abg. Drexler SPD)<br />

In Verbindung damit haben wir eine Schulgesetzänderung<br />

vorgenommen und schließlich 1998 eine neue Lernmittelverordnung<br />

erlassen.<br />

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, das bislang ausschließlich<br />

mündlich vorliegt – die schriftliche Begründung<br />

liegt noch nicht vor; das heißt, was wir bis heute haben,<br />

sind mündliche Aussagen bzw. die mündliche Urteilsbegründung,<br />

die meine Mitarbeiter erhalten haben –, bezieht<br />

sich eindeutig nicht auf eine Verfassungswidrigkeit<br />

dieser Lernmittelverordnung. Es bezieht sich nicht auf eine<br />

Verfassungswidrigkeit der Schulgesetzänderung, sondern<br />

ausschließlich – so ist die Feststellung – auf die Definition<br />

der Bagatellgrenze durch die Stadt Gengenbach und nur<br />

darauf.<br />

(Zuruf des Abg. Wintruff SPD)<br />

Damit komme ich zu dem, was Sie zitiert haben, nämlich<br />

zu meiner damaligen Aussage, es wäre gut, wir würden<br />

hier über Spielräume reden. Daraufhin sind Empfehlungen<br />

des Städtetags und des Gemeindetags an die Kommunen<br />

erfolgt. Die anwesenden Bürgermeister und Oberbürgermeister<br />

können das bestätigen. Städtetag und Gemeindetag<br />

haben eine Empfehlung an die Gemeinden abgegeben, die<br />

Bagatellgrenze, also die Beschreibung dessen, was unter<br />

der Rubrik „geringfügiger Wert“ erfolgt, in einer bestimmten<br />

Bandbreite anzusiedeln. Diese einzelne Kommune ist<br />

deutlich über diese Bandbreite hinausgegangen. Insofern<br />

hat das Urteil, so wie es bisher vorliegt, überhaupt nichts<br />

mit unserer Lernmittelverordnung oder mit der Schulgesetzänderung<br />

zu tun.<br />

(Beifall bei der CDU – Abg. Carla Bregenzer SPD:<br />

Was eiern Sie denn herum? – Zuruf des Abg. Wintruff<br />

SPD – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die<br />

Grünen: Es wird auf Zeit gespielt!)<br />

7977


(Ministerin Dr. Annette Schavan)<br />

7978<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Es ist völlig klar – und das ist auch in den damaligen Beratungen<br />

jedem klar gewesen –: Wenn ich eine Lernmittelverordnung<br />

erlasse, die keinen Betrag enthält, sondern eine<br />

Beschreibung, die dann auf dem Wege der kommunalen<br />

Selbstverwaltung <strong>von</strong> einer Kommune ausgefüllt werden<br />

muss, dann kann es zu Situationen kommen, in denen das<br />

nicht vernünftig gehandhabt wird,<br />

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)<br />

oder aber es kann zu Auseinandersetzungen zwischen Eltern<br />

und Schulen kommen,<br />

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)<br />

wobei Sie auch wissen, dass immer mehr Kommunen dazu<br />

übergehen, der Schule insgesamt ein Budget zur Verfügung<br />

zu stellen.<br />

Über das Budget wird innerhalb der Schulkonferenz beraten<br />

und verhandelt, und in 99,9 % der Fälle wird dieses<br />

Budget in großem Einvernehmen verteilt.<br />

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/<br />

DVP)<br />

Deshalb kann ich uns allen nur raten: Diesen Weg sollte<br />

man konsequent fortsetzen. Das hilft den Schulen, das hilft<br />

der Konsensfindung in unseren Schulen, das hat sich bewährt.<br />

(Zuruf des Abg. Haas CDU)<br />

Die unmittelbare Reaktion etwa der Stadt Stuttgart auf dieses<br />

Urteil war ja auch, zu sagen: Wir haben einen Pauschbetrag<br />

pro Schüler festgelegt, wir haben eine Regelung<br />

zwischen den Schulen und der Stadt, welche stimmt und<br />

über die Konsens besteht, übrigens auch mit den Eltern.<br />

Deshalb rate ich uns sehr – das tut nicht nur Juristen gut,<br />

sondern auch Politikern –, einmal abzuwarten, was in der<br />

Urteilsbegründung dann schriftlich steht. Es ist nicht so<br />

schlecht, wenn man als Politiker, bevor man redet und Thesen<br />

aufstellt, einfach einmal nachliest.<br />

Zweitens zu der Aufforderung, jetzt mit den Kommunen zu<br />

reden: Das machen Kultusministerium und Finanzministerium<br />

bereits seit Wochen, und zwar in einer Arbeitsgruppe,<br />

die Sie kennen,<br />

(Abg. Wintruff SPD: Seit Monaten, nicht seit Wochen!)<br />

da wir ja längst nicht nur über Lernmittel sprechen, sondern<br />

über explosionsartig steigende Kosten im Bildungswesen<br />

in den nächsten Jahren sprechen, die gemeinsam<br />

verantwortet und gemeinsam getragen werden müssen.<br />

Diese Arbeitsgruppe arbeitet unter der Leitung meines Ministerialdirektors,<br />

und sie wird zu Ergebnissen führen.<br />

(Abg. Wintruff SPD: Wann?)<br />

Ich bin da<strong>von</strong> überzeugt: Diese Ergebnisse werden die<br />

kommunale Selbstverwaltung nicht schwächen. Kommunale<br />

Selbstverwaltung gehört zur politischen Kultur in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>!<br />

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP<br />

– Zuruf des Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die<br />

Grünen)<br />

– Und wer regieren will, der sollte einfach einmal anfangen,<br />

das zu begreifen. Das ist eine gute Grundlage hier im<br />

Land.<br />

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/<br />

DVP)<br />

Als letzter Satz – jetzt ganz ernsthaft –: Diese kommunale<br />

Selbstverwaltung, die Gestaltungsspielräume, die die Städte<br />

und Gemeinden haben, werden in diesem Land <strong>von</strong> vielen,<br />

vielen schulfreundlichen Städten und Gemeinden so<br />

genutzt, dass die Eltern in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> nicht nur<br />

im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern, sondern<br />

aus der Situation heraus sehr wohl wissen, was sie daran<br />

haben und dass die Chancengleichheit in diesem Land und<br />

die Priorität für Bildung auch in unseren Kommunen eingehalten<br />

werden.<br />

Ich danke Ihnen.<br />

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/<br />

DVP – Lachen des Abg. Maurer SPD – Abg. Dr.<br />

Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Wärmster Dank<br />

und heiße Luft!)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Maurer.<br />

(Unruhe – Abg. Keitel CDU: Zeller darf heute<br />

nicht reden? – Abg. König REP: Wann kommt<br />

endlich Zeller? – Weitere Zurufe <strong>von</strong> der CDU)<br />

Abg. Maurer SPD: Na, steigt der Adrenalinspiegel bei<br />

euch? Dann ist es okay.<br />

(Unruhe)<br />

Das war jetzt wieder typisch Frau Schavan: Erst ein weihevoller<br />

Vorspruch auf das hohe Gut unserer Landesverfassung,<br />

ein weihevoller Vorspruch, wie hoch dieses Gut ist,<br />

und anschließend das Ablenkungsmanöver, indem man<br />

Beispiele aus Ländern nimmt, die dieses Verfassungsgebot<br />

in ihrer Landesverfassung gar nicht haben. Wenn das nicht<br />

getrickst ist, Frau Schavan, dann weiß ich es auch nicht<br />

mehr.<br />

Sie haben einen Amtseid nicht auf die Praxis anderer Länder,<br />

sondern auf die Verfassung <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

geschworen.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Im Übrigen: Warum bemühen Sie denn eigentlich eine solche<br />

Verfassungsdiskussion, wenn Sie drei Minuten später<br />

sagen, das Urteil habe die Verfassungsproblematik gar<br />

nicht aufgeworfen?<br />

(Abg. Zeller SPD: So ist es!)<br />

Das war hochinteressant! Sie sollten einmal über die Stringenz<br />

Ihrer eigenen Logik nachdenken.<br />

Herr Kollege Rau hat uns als Erfahrungsjurist hier mitgeteilt,<br />

das hätte schon deswegen nichts zu sagen, weil es


(Maurer)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

sich um einen Einzelfall handeln würde. Das hat auch Frau<br />

Schavan gesagt. Lieber Kollege Rau, es ist das Wesen unseres<br />

Justiz- und Rechtssystems, dass anhand <strong>von</strong> Einzelfällen<br />

über die Gesetzmäßigkeit und die Verfassungsgemäßheit<br />

der Praxis entschieden wird. Jede Verfassungsbeschwerde,<br />

lieber Kollege Rau, ist eine Entscheidung über<br />

einen Einzelfall. Man muss sich bei dem, was man sich da<br />

alles anhören muss, wirklich an den Kopf langen.<br />

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)<br />

Kommen wir zum Kern der Sache. Das ist halt ein Stein in<br />

Ihrer Strategie. Ich zähle es Ihnen noch einmal auf, Frau<br />

Ministerin: Ihre Strategie, die Strategie <strong>von</strong> Herrn Teufel,<br />

besteht darin, sich Kosten vom Hals zu schaffen, indem<br />

man sie zunächst auf die kommunale Seite abwälzt und<br />

dann händereibend daneben steht, wenn die Eltern und die<br />

Kommunen darüber miteinander in Streit geraten. Dann<br />

kommt die Pontius-Pilatus-Nummer: „Wir waschen unsere<br />

Hände in Unschuld,<br />

(Abg. Haas CDU: Quatsch!)<br />

wir haben mit alldem nichts zu tun. Wendet euch an die<br />

Gemeinden und an die Landkreise.“ Das ist die Strategie,<br />

die hier in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> betrieben wird.<br />

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bündnisses<br />

90/Die Grünen)<br />

Frau Kollegin Berroth, wir sind in der Tat sehr für Autonomie<br />

(Abg. Haas CDU: Na, na, na! – Abg. Kluck FDP/<br />

DVP: Seit wann denn das?)<br />

und sehr für mehr Freiheit und Gestaltungsraum an unseren<br />

Schulen.<br />

(Abg. Rau CDU: Passt halt nicht!)<br />

Aber mehr Freiheit bedeutet, dass Eltern und Schüler mehr<br />

zu sagen haben an den Schulen, aber nicht die Freiheit,<br />

mehr zu zahlen. Das ist das Problem.<br />

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bündnisses<br />

90/Die Grünen)<br />

Ihr Verständnis <strong>von</strong> Autonomie und Freiheit an den Schulen,<br />

jedenfalls in dieser zu Ende gehenden Legislaturperiode,<br />

ist:<br />

(Abg. Zeller SPD: Zur Kasse bitten!)<br />

Die Eltern und die Schüler kriegen nicht mehr Mitspracherechte,<br />

aber sie werden mehr zur Kasse gebeten.<br />

(Abg. Birzele SPD: So ist es!)<br />

Wenn ich Sie recht verstanden habe, ist das sogar ein erzieherischer<br />

Gedanke: Je mehr die Leute zur Kasse gebeten<br />

werden, desto mehr lernen sie den Wert des Geldes zu<br />

schätzen. Da sprengt es einem fast die Birne.<br />

(Zuruf des Abg. Haas CDU – Abg. Brechtken<br />

SPD: Für die FDP ist das nicht ungewöhnlich! –<br />

Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Für die<br />

FDP ist das der Anfang und das Ende jeder Logik!)<br />

Denken Sie darüber noch einmal nach; das meine ich als<br />

Einladung.<br />

Wenn Sie es mit Kommunalfreundlichkeit und mehr Autonomie<br />

wirklich ernst meinen, dann müssen Sie die erforderlichen<br />

Finanzmittel erst einmal an die kommunale Seite<br />

weitergeben<br />

(Beifall bei der SPD und der Abg. Marianne Erdrich-Sommer<br />

Bündnis 90/Die Grünen)<br />

und die Eltern- und Schülerrechte stärken. Was man aber<br />

nicht machen kann, ist die Methode Teufel: die kommunale<br />

Seite finanziell zu belasten und dann augenzwinkernd zu<br />

sagen: „Wir haben euch zwar Geld weggenommen, aber<br />

ihr könnt es euch ja bei den Eltern wieder holen.“ Das ist<br />

nämlich die Methode, die Sie hier praktiziert haben.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Haas<br />

CDU: Das ist die Methode Eichel!)<br />

Das führt im Ergebnis zu gewaltigen Beschädigungen der<br />

Chancengleichheit, Frau Ministerin, die Sie zu verantworten<br />

haben.<br />

Wie gesagt, so hat man es bei der Schülerbeförderung gemacht.<br />

Man hat gesagt: „Das ist dann eine Frage, wie die<br />

kommunalen Verkehrsträger das handhaben werden“ – sie<br />

handhaben es natürlich auch unterschiedlich –, „haltet euch<br />

gefälligst in Zukunft an sie.“ Ihre Mogelpackung <strong>von</strong> der<br />

„verlässlichen Grundschule“ ist die Zuspitzung dieses Prinzips.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oh-Rufe <strong>von</strong><br />

der CDU – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP:<br />

Was hat das mit der Lernmittelfreiheit zu tun?)<br />

Wenn wir schon beim Vergleich mit anderen Ländern sind:<br />

Es ist in der Tat ein großer Unterschied, ob zum Beispiel<br />

wie in Hamburg die verlässliche Grundschule als ein Angebot<br />

des Staates finanziert und als qualifizierter Unterricht<br />

angeboten wird<br />

(Zuruf der Abg. Dr. Eva Stanienda CDU)<br />

oder ob man, wie Sie es hier treiben, eine Betreuung veranlasst,<br />

die dann nur <strong>von</strong> 8 % angenommen wird, weil sie damit<br />

verbunden ist, dass entweder die Eltern oder die Kommunen<br />

das Ganze bezahlen dürfen. Das ist ein gewaltiger<br />

Unterschied.<br />

(Beifall bei der SPD – Abg. Haas CDU: Sie haben<br />

keine Ahnung, Herr Maurer! – Abg. Hans-Michael<br />

Bender CDU: Hören Sie doch auf!)<br />

Damit wir uns recht verstehen: Es ist ein schwerer Verstoß<br />

gegen die Chancengleichheit, dass wir mittlerweile in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

je nach Gemeinde riesige Unterschiede<br />

haben bei dem, was man im Namen der Freiheit bezahlen<br />

darf<br />

(Abg. Zeller SPD: Bis zu 180 DM!)<br />

für den Besuch der Grundschule, für Lernmittel, für Schülerbeförderung.<br />

Was soll das mit Chancengleichheit zu tun<br />

7979


(Maurer)<br />

7980<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

haben? Wer in der falschen Gemeinde lebt, hat nach Ihrer<br />

Methode dann eben Pech gehabt.<br />

Ich sage Ihnen: Unsere Verfassung sagt bisher noch – aber<br />

man könnte fast meinen, Sie wollten sie ändern –: Eine<br />

gute Schule ist eine Bringschuld des Staates, des Landes<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>. Diese<br />

(Abg. Seimetz CDU: Haben wir!)<br />

werden wir wieder herstellen. Es muss Schluss damit sein,<br />

dass Sie sich Ihrer finanziellen Verantwortung schrittweise<br />

entziehen. Ich sehe schon, wie Sie Ihren grandiosen Parteitagsbeschluss<br />

revidieren wollen. Wahrscheinlich dürfen<br />

dann auch die Kommunen und die Eltern darüber streiten,<br />

wer die Laptops bezahlen muss. Stehen Sie endlich zu Ihrem<br />

Verfassungsauftrag,<br />

(Abg. Haas CDU: Und Sie gehen zurück in die erste<br />

Klasse!)<br />

und garantieren Sie in diesem Land eine Schule,<br />

(Abg. Haas CDU: Keine Ahnung <strong>von</strong> der Schule!)<br />

die vom Staat auch ausgestattet und bezahlt wird und die<br />

damit auch die Chancengleichheit wieder garantiert.<br />

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bündnisses<br />

90/Die Grünen – Abg. Haas CDU: Null Ahnung,<br />

der Maurer!)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Rau.<br />

Abg. Rau CDU: Herr Maurer, Sie mögen sich noch so mühen:<br />

Ihre Botschaft kommt nicht rüber, weil sie sachlich<br />

kein Fundament hat.<br />

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD)<br />

Wenn Sie hier voller Geifer über die verlässliche Grundschule<br />

reden, dann nehmen Sie einfach einmal zur Kenntnis:<br />

Das, was wir getan haben, entspricht dem Bedürfnis<br />

der Familien. Genau danach haben wir die Schulen eingerichtet.<br />

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD)<br />

Wir haben uns noch immer geweigert, Ideologie zur<br />

Grundlage <strong>von</strong> schulpolitischen Entscheidungen zu machen.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Oh-Rufe<br />

<strong>von</strong> der SPD)<br />

Wir haben die Grundschule so eingerichtet, dass die Familien<br />

<strong>von</strong> der Zeiteinteilung der Grundschule profitieren.<br />

(Zurufe <strong>von</strong> der SPD)<br />

Ihre Bedürfnisse sind durch den regelmäßigen Unterricht<br />

so gut wie gedeckt. Wer darüber hinaus der Betreuung bedarf,<br />

bekommt diese Betreuung. Die Zahlen belegen dies:<br />

An 80 % der Schulen besteht die Gelegenheit dazu. Das ist<br />

eine Erfolgsgeschichte. Diese lassen wir uns nicht nehmen.<br />

(Beifall bei der CDU)<br />

Sie versuchen hier, das Thema Chancengleichheit am ungeeigneten<br />

Objekt hochzuziehen.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf <strong>von</strong><br />

der CDU: Richtig!)<br />

Das Objekt ist deshalb ungeeignet, weil es einem Ländervergleich<br />

überhaupt nicht standhält.<br />

(Lachen bei der SPD – Abg. Birzele SPD: Verfassung!)<br />

Dann wäre es um die Chancen in den anderen Bundesländern<br />

noch viel miserabler bestellt.<br />

(Abg. Birzele SPD: Verfassung!)<br />

Was die Verfassung angeht, so sage ich Ihnen noch einmal:<br />

Es adelt Sie ja, dass Sie hier das gleiche Verfassungsverständnis<br />

wie Herr König haben. Darüber sollten Sie einmal<br />

nachdenken.<br />

(Lachen des Abg. Hans-Michael Bender CDU –<br />

Abg. König REP: Jetzt bin ich im Boot <strong>von</strong> den<br />

Sozis! – Zuruf des Abg. Wintruff SPD)<br />

Es geht um eine Entscheidung, die in der mündlichen Begründung<br />

die Lernmittelverordnung und das Gemeindehaushaltsstrukturgesetz<br />

mit keinem Wort infrage gestellt<br />

hat. Wir werden das, was sich aus diesem Urteil ergibt, in<br />

den Gesprächsrunden mit den kommunalen Landesverbänden<br />

umsetzen, damit klar ist, dass der Verfassung auf jeden<br />

Fall Genüge getan wird. Dies ist ein eindeutiger Auftrag,<br />

den wir natürlich auch annehmen.<br />

(Beifall bei der CDU – Abg. Drexler SPD: Das<br />

hätten Sie schon vorher machen müssen!)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Frau Abg. Berroth.<br />

Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Meine Damen und<br />

Herren! Die Kollegen der Opposition müssen offensichtlich<br />

auf andere Themen ausweichen, weil das jetzt aufgerufene<br />

Thema nicht genug hergibt.<br />

Sie haben offensichtlich auch einen besseren Draht zum<br />

Gericht. Denn, Herr Maurer, nach meiner Kenntnis ist es<br />

ein Wesensmerkmal unseres Justiz- und Rechtssystems, die<br />

Begründung eines Urteils abzuwarten, bevor man es analysiert.<br />

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg.<br />

Drexler SPD: Lesen Sie doch erst einmal das Urteil!<br />

– Zuruf des Abg. König REP)<br />

Natürlich wäre es gut gewesen, wenn sich die Stadt Gengenbach<br />

und vielleicht auch noch ein paar andere Städte an<br />

die Verbandsempfehlung gehalten hätten. Aber man kann<br />

aus diesem Einzelfall mitnichten aufs Ganze schließen.<br />

Für mich besteht Autonomie in Mitbestimmung, auch in<br />

Mitbestimmung darüber, wofür und wie das Geld ausgegeben<br />

wird. Wir geben in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> für Lernmittel<br />

weit mehr Geld aus als alle anderen Bundesländer, unter<br />

anderem auch deshalb, weil bei uns nicht, wie zum Beispiel<br />

in SPD-regierten Bundesländern, nur die Bücher zählen,<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)


(Heiderose Berroth)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

sondern weil wir als Lernmittel auch andere Gegenstände<br />

mitfinanzieren.<br />

Ich gehe da<strong>von</strong> aus und hoffe, dass dies auch künftig möglich<br />

sein wird, dass den Kommunen und den Schulen in<br />

diesem Bereich keine Fesseln angelegt werden, sondern<br />

dass sie flexibel und sachgerecht handeln können, ein Handeln,<br />

(Zuruf der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die<br />

Grünen)<br />

das im Einzelfall viel sozialere Lösungen zulässt, als dies<br />

jeder fixierte Betrag tun könnte.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der<br />

CDU – Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die<br />

Grünen: Dann muss man die Verfassung ändern!)<br />

Präsident Straub: Meine Damen und Herren, es liegen<br />

keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen daher<br />

zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der zum Antrag<br />

Drucksache 12/5738 eingebrachten Entschließungsanträge.<br />

Ich rufe zunächst den Entschließungsantrag der Fraktion<br />

der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache<br />

12/5958, auf. Wer diesem Antrag zustimmen möchte,<br />

den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –<br />

Enthaltungen? – Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.<br />

Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU<br />

und der FDP/DVP, Drucksache 12/5961, auf. Wer diesem<br />

Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.<br />

– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag<br />

ist mehrheitlich angenommen.<br />

Der Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 12/5738, ist<br />

ein Berichtsantrag. Er ist erledigt.<br />

Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.<br />

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:<br />

Große Anfrage der Fraktion der CDU mit der Antwort<br />

der Landesregierung – Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit<br />

des ländlichen Raums in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> –<br />

Drucksache 12/5422<br />

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die<br />

Besprechung fünf Minuten je Fraktion bei gestaffelten Redezeiten,<br />

für das Schlusswort fünf Minuten.<br />

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Traub.<br />

Abg. Traub CDU: Herr Präsident, meine sehr verehrten<br />

Damen und Herren! Lassen Sie es mich vorab sagen: Die<br />

Politik für den ländlichen Raum weist eine besondere Erfolgsbilanz<br />

auf, wie wir sie in der Politik gerne öfter hätten.<br />

(Lachen des Abg. Brechtken SPD)<br />

Lassen Sie mich dazu einige Fakten nennen, die den Erfolg<br />

dieser Politik für den ländlichen Raum eindrucksvoll unterstreichen.<br />

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)<br />

Das Problem Abwanderung, mit dem viele ländliche Räume<br />

zu kämpfen haben, ist in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> unbekannt.<br />

Im Gegenteil, der ländliche Raum gehört zu den Gewinnern<br />

beim Bevölkerungszuwachs. Auf 1 000 Einwohner<br />

sind in den letzten 15 Jahren 114 zugezogen. In den<br />

Verdichtungsräumen waren es lediglich 78. So also die<br />

Statistik.<br />

Unsere Instrumente zur Erhaltung <strong>von</strong> Natur und Landschaft<br />

haben den ländlichen Raum für die Wirtschaft als<br />

Standortfaktor attraktiv gemacht. In den meisten ländlichen<br />

Räumen liegt die Arbeitslosigkeit mit 3 % bis 4 % unter<br />

der Quote in den Ballungsräumen. Allen Unkenrufen zum<br />

Trotz wurde der ländliche Bereich in der Verkehrsentwicklung<br />

nicht abgehängt. Der ländliche Raum ist im Bereich<br />

der Straße wie auch im ÖPNV, in der Schiene, attraktiv geblieben.<br />

Auch dies ist ein wichtiger Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der Wirtschaft und für die Lebensqualität.<br />

(Beifall des Abg. Rech CDU)<br />

Allerdings müssen wir im Bereich der Straße in einigen<br />

Regionen zulegen.<br />

(Beifall bei der CDU)<br />

Die Politik der Landesregierung hat das Konzept der dezentralen<br />

Schulversorgung trotz des Sparzwangs der letzten<br />

Jahre durchhalten können, und wir stehen zu den kleinen<br />

Grundschulen. Mit 390 000 Kindergartenplätzen ist<br />

auch im ländlichen Raum die Vollversorgung sichergestellt.<br />

Auch dies ist Lebensqualität.<br />

(Beifall bei der CDU)<br />

Ein besonderes Problem der ländlichen Räume war und ist<br />

der Strukturwandel in der Landwirtschaft, der die Zahl der<br />

Betriebe im Land in den letzten 20 Jahren <strong>von</strong> 116 000 auf<br />

62 000 halbiert hat. Der Wandel <strong>von</strong> einer landwirtschaftlich<br />

geprägten Erwerbsstruktur hin zur vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeit<br />

wurde bewältigt, ohne dass die<br />

ländliche Raumschaft eine Strukturkrise erlebt hätte.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Ist das<br />

das Konzept der Landesregierung, Herr Kollege?)<br />

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft konnte mithilfe<br />

der zahlreichen Programme des Landes sowohl ökonomisch<br />

wie auch sozial abgefedert werden. Unseren Bauern<br />

wird durch die Politik der Landesregierung die Möglichkeit<br />

gegeben, sich sozialverträglich auf die Veränderungen der<br />

Rahmenbedingungen einzustellen. Das Land hat sich dabei<br />

immer als verlässlicher Partner für Bauern und Landwirte<br />

insgesamt erwiesen.<br />

(Beifall bei der CDU)<br />

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas<br />

konkreter werden und auch einzelne Aspekte zur Weiterentwicklung<br />

der ländlichen Raumschaft in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

nennen. Dieser ländliche Raum umfasst knapp<br />

75 % der Landesfläche. Rund 42 % der Bevölkerung leben<br />

und 38 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten<br />

arbeiten im ländlichen Raum. Damit ist der ländliche Raum<br />

7981


(Traub)<br />

7982<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, anders als in vielen anderen Gebieten,<br />

verhältnismäßig dicht besiedelt und bildet einen wichtigen<br />

Standort der mittelständisch geprägten Wirtschaftsstruktur.<br />

Die Unterschiede in den natürlichen und räumlichen Gegebenheiten,<br />

in den Erwerbs- und Unternehmensstrukturen,<br />

in der Infrastrukturausstattung und in den vorhandenen<br />

Ressourcen insgesamt führten in den einzelnen Regionen<br />

jedoch zu unterschiedlichen Entwicklungen – mit vielen<br />

positiven und einigen negativen Trends. Deshalb weisen<br />

die ländlichen Räume im Landes- und sogar im Bundesvergleich<br />

den geringsten Anteil an Erwerbslosen auf. <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

ist auch hier Spitze.<br />

Statt der in den Siebziger- und Achtzigerjahren befürchteten<br />

Abwanderung der Bevölkerung erfährt die Raumschaft<br />

beträchtliche Zuwanderungsgewinne. Das ist nicht wegzudiskutieren.<br />

Allerdings bestehen in einigen Teilgebieten<br />

nach wie vor Strukturprobleme.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Aha! „Heile Welt“ war alles<br />

gelogen! – Gegenruf des Abg. Haas CDU: Guten<br />

Morgen!)<br />

Dank der Entwicklungsanstrengungen der letzten Jahre ist<br />

der ländliche Raum insgesamt ein Wohn- und Wirtschaftsstandort<br />

mit beträchtlicher Dynamik, spezifischen Entwicklungsmöglichkeiten<br />

und guten Zukunftsperspektiven.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Rech<br />

CDU: Sehr richtig!)<br />

Die Bedeutung und die Attraktivität hängen zum einem mit<br />

Überlastungserscheinungen im städtischen Bereich und den<br />

da<strong>von</strong> ausgehenden Kräften zusammen. Entscheidend sind<br />

jedoch auch die besonderen Standortqualitäten wie preisgünstiges<br />

Wohnen, ausreichende Gewerbeflächen, attraktive<br />

Landschaft und wachsendes kulturelles und soziales Angebot.<br />

Insbesondere sind es aber weiche Standortfaktoren,<br />

die mit Blick auf Standortentscheidungen <strong>von</strong> Unternehmen,<br />

deren Produktion auf Informationstechnologie und<br />

anderem basiert, besonders ausschlaggebend sind.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Zum<br />

Beispiel Umwelt und Natur, Herr Kollege!)<br />

Um künftige Ziele der Politik für den ländlichen Raum zu<br />

vertiefen, muss die bereits jetzt erfolgende, zukunftsorientierte<br />

Politik weiterentwickelt und müssen die bevorstehenden<br />

Kernprobleme in Angriff genommen werden. Darüber<br />

hinaus muss die Politik mit den Trümpfen des ländlichen<br />

Raums sorgsam umgehen – das ist uns allen sehr bewusst<br />

–, um die durch die bisherige Politik erarbeiteten Standortvorteile<br />

langfristig zu sichern.<br />

Aufbauend auf den bisherigen Leistungen verfolgen wir<br />

für den ländlichen Raum folgende Ziele: den weiteren Abbau<br />

regionaler Unterschiede in den verschiedenen Regionen,<br />

die Steigerung <strong>von</strong> Erwerbsmöglichkeiten privater Initiativen,<br />

die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen im<br />

ländlichen Raum, Unterstützung der Kommunen bei Gewerbe-<br />

und Dienstleistungsansiedlungen, öffentlichem Personennahverkehr<br />

– Straße, Schiene – und Verkehrsinfra-<br />

struktur, Sicherung und Ausbau attraktiver Lebens- und<br />

Freizeitbedingungen, Unterstützung der ländlichen Sozialstrukturen,<br />

Entwicklung der natürlichen Freiräume als<br />

Standortfaktoren, Sicherung der Zukunftsperspektiven für<br />

unternehmerisch denkende Landwirte und die Abfederung<br />

des Strukturwandels in der Landwirtschaft.<br />

Nun die Instrumente dazu: Zunächst einmal profitiert der<br />

ländliche Raum gleichberechtigt <strong>von</strong> allen Infrastrukturinvestitionen<br />

im allgemeinen Leistungsnetz des Landes. So<br />

profitiert die Raumschaft beispielsweise im Hinblick auf<br />

allgemeine Wirtschaftsförderung oder Investitionen in die<br />

Schulen und die Ausbildungsinfrastruktur in gleicher Weise<br />

wie die Ballungsräume im Land. Im ländlichen Raum<br />

finden sich ebenso Gründer und Technologiezentren wie<br />

bei den städtischen Nachbarn.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Wo? Stimmt doch gar nicht! –<br />

Weitere Zurufe <strong>von</strong> der SPD)<br />

– Das ist schade, wenn Sie das nicht wissen.<br />

(Abg. Nagel SPD: Was? – Abg. Oelmayer Bündnis<br />

90/Die Grünen: Ich habe gedacht, Sie sagen es<br />

uns, Herr Kollege! – Abg. Bebber SPD: Sie wissen<br />

es nicht! – Weitere Zurufe)<br />

Darüber hinaus hat <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> noch eine Reihe<br />

<strong>von</strong> zusätzlichen Instrumenten entwickelt, um auf die besonderen<br />

Problemlagen des ländlichen Raums einzugehen<br />

und seine Zukunftschancen zu nutzen.<br />

(Zuruf <strong>von</strong> der SPD: Seien Sie doch nicht so aufgeregt!)<br />

– Wenn nur Sie nicht aufgeregt sind. Wir haben keine Aufregung.<br />

(Abg. Bebber SPD: Das stimmt! Sie sind ein Langweiler!)<br />

Herr Kollege Oelmayer, ich weiß, dass Sie in den nächsten<br />

Wochen aufgeregt sein werden.<br />

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU – Zuruf <strong>von</strong><br />

der CDU: Sehr gut!)<br />

Beispielhaft seien folgende Instrumente genannt, die in anderen<br />

Bundesländern nicht bestehen oder erst dem Beispiel<br />

unseres Landes folgend entstanden sind: das Entwicklungsprogramm<br />

Ländlicher Raum, die Strukturförderung durch<br />

Land und EU, das Agrarinvestitionsprogramm, MEKA,<br />

SchALVO, Ausgleichszulage Wald, HQZ und einiges<br />

mehr.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Insbesondere<br />

HQZ! Das macht gerade Furore, Kollege<br />

Traub!)<br />

– Das mögen Sie bloß nicht hören, weil das gut ist, lieber<br />

Herr Oelmayer.<br />

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)<br />

Im Rahmen der Reformen zur Agenda 2000 hat <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> die Förderung neu geordnet


(Traub)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Darüber<br />

diskutieren wir morgen, Kollege, was daran gut<br />

ist!)<br />

und alle Fördermaßnahmen übersichtlich in dem Maßnahmen-<br />

und Entwicklungsplan für den ländlichen Raum zusammengefasst.<br />

In schwierigen Verhandlungen mit dem<br />

Bund ist es auch gelungen – das konnte die Landesregierung<br />

erreichen –,<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Seit<br />

wann verhandelt die Landesregierung mit dem<br />

Bund? Das ist ja ganz etwas Neues!)<br />

dass <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> im Zeitraum <strong>von</strong> 2000 bis 2006<br />

insgesamt 1,5 Milliarden DM aus der EU-Kasse erhalten<br />

wird.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)<br />

Auf <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> entfällt rund ein Siebtel der Gesamtmittel,<br />

die <strong>von</strong> Brüssel für die gesamte Republik zur<br />

Verfügung gestellt werden. Das muss man auch deutlich<br />

herausstellen. Dieser überdurchschnittlich hohe Anteil <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>s<br />

ist ein anschaulicher Beweis für das<br />

Vertrauen in die ländlichen Programme in unserem Land<br />

und für deren Qualität.<br />

(Abg. Kiefl CDU: Sehr gut! – Abg. Teßmer SPD:<br />

Und für den Nachholbedarf!)<br />

Meine Damen und Herren, nichts wird so leicht für Übertreibung<br />

gehalten wie die Schilderung der reinen Wahrheit.<br />

Diese mögen bestimmte Leute halt nicht hören. Wir sind<br />

da<strong>von</strong> überzeugt, dass, aufbauend auf den bisherigen Erfolgen<br />

und mit unseren Plänen, der ländliche Raum <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>s gut gerüstet ist für die Herausforderungen<br />

der Zukunft.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/<br />

DVP)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Teßmer.<br />

Abg. Teßmer SPD: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Wenn man die unter der Federführung des Ministeriums<br />

Ländlicher Raum vorgelegten Antworten der Landesregierung<br />

zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des<br />

ländlichen Raums liest, dann hat man das Gefühl, unser<br />

Bundesland wäre die heile Welt<br />

(Abg. Döpper CDU: Das stimmt doch!)<br />

und stünde unter ständiger Bedrohung <strong>von</strong> rot-grünen<br />

Mächten fernab in Berlin.<br />

Kein Wort ist zu lesen <strong>von</strong> der überproportionalen Förderung<br />

des Bundesstraßenbaus in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> durch<br />

die Bundesregierung.<br />

(Abg. Scheuermann CDU: Glauben Sie das?)<br />

– Ja. – Nichts ist da<strong>von</strong> zu hören, dass der Strukturwandel,<br />

also der Rückgang der Zahl der bäuerlichen Familienbe-<br />

triebe, in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> leider genauso rasant erfolgt<br />

wie anderswo.<br />

(Abg. Göbel CDU: Haben Sie gerade nicht zugehört?)<br />

Oder sprechen die Rückgänge bei den Hofstellen <strong>von</strong><br />

209 493 im Jahr 1960 auf 63 220 im Jahr 1999 keine deutliche<br />

Sprache? An diesem Trend kann die rot-grüne Bundesregierung<br />

nicht schuld sein, dauert die sich beschleunigende<br />

Entwicklung doch schon seit Jahrzehnten an<br />

(Zuruf <strong>von</strong> der CDU: Da<strong>von</strong> war vorhin schon die<br />

Rede, Herr Kollege!)<br />

und trug doch im Agrarbereich hier im Land immer nur die<br />

CDU Verantwortung. Der ländliche Raum ist heute eben<br />

nicht mehr die Agraridylle aus früheren Schulbüchern. Er<br />

war es auch nie. Da soll dann plötzlich die Ökosteuer Ursache<br />

für den Strukturwandel sein,<br />

(Zuruf <strong>von</strong> der CDU: Das stimmt doch!)<br />

obwohl es diese Steuer erst seit etwa zwei Jahren gibt und<br />

sich die Lohnnebenkosten auch im ländlichen Raum senken<br />

ließen.<br />

Die Bevölkerungszunahme im ländlichen Raum, mit<br />

16,1 % fast doppelt so hoch wie in den Verdichtungsräumen,<br />

wird hier als Wanderungsgewinn erläutert. Dabei ist<br />

hier überhaupt nichts gewandert. Im Gegenteil, man hat einerseits<br />

überproportional viele Aussiedler neu angesiedelt,<br />

ohne vorher die nötige Infrastruktur geschaffen oder die<br />

vorhandene verbessert zu haben, und zum andern wandern<br />

die jungen Menschen weiterhin ab. Sie werden durch immer<br />

größere Zuwächse in weiterhin neu entstehenden Einrichtungen<br />

im Schwerstpflege-, Pflege- und Betreutes-<br />

Wohnen-Bereich ersetzt. Es ist gut, wenn unsere älteren<br />

Mitbürgerinnen und Mitbürger im ländlichen Raum preiswertere<br />

Unterbringungsmöglichkeiten angeboten bekommen<br />

als in den Verdichtungsräumen. Für die in diesen Einrichtungen<br />

und Häusern Arbeitenden werden aber durchaus<br />

nicht immer Tariflöhne gezahlt und versicherungspflichtige<br />

Arbeitsverhältnisse angeboten.<br />

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU – Abg. Göbel<br />

CDU: Langsamer vorlesen!)<br />

Die Landesregierung hat aber dafür Sorge zu tragen, dass<br />

der ländliche Raum nicht mittelfristig zum Altersheim und<br />

Niedriglohngebiet wird.<br />

Noch schlimmer sieht es bei der Förderung regionalspezifischer<br />

Profile aus. Von dieser Regierung kommen keine Impulse<br />

für nachwachsende Rohstoffe aus <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

als Grundstoffe für Industrie und Gewerbe, keine Impulse<br />

für innovative Techniken. Warum hat <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

keine eigene Anlage, in der baden-württembergischer<br />

Raps zu Biodiesel verestert wird? Warum muss man<br />

dafür nach Bayern gehen? Warum fördert man das nicht<br />

hier? Mit dem HQZ <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> wird geworben.<br />

Einverstanden!<br />

(Zuruf des Abg. Haas CDU)<br />

Man kann damit vielleicht den Appetit auf einheimische<br />

Produkte wecken. Mehreinnahmen für unsere Erzeuger und<br />

7983


(Teßmer)<br />

7984<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

besondere Qualitätsvorteile bringt dieses Zeichen für den<br />

Verbraucher aber bisher noch nicht.<br />

Dabei müssen wir erreichen, dass jede Region unseres Landes<br />

ihr spezifisches Profil herausstellt. Auch im ländlichen<br />

Raum wollen die Menschen dort arbeiten, wo sie wohnen.<br />

Aber die Zahl der Auspendler nimmt ständig weiter zu, Sie<br />

wollen jedoch die Segnungen der Technik dort benutzen,<br />

wo sie wohnen. Sie möchten auch zukunftsfähige Arbeitsplätze<br />

haben, sie möchten auch Kaufangebote in größerem<br />

Umfang vor Ort anfahren können. Was macht die Landesregierung?<br />

Sie verlagert gerade einmal ihre Schweinezucht<br />

aus dem badischen Verdichtungsraum um Karlsruhe ins<br />

Ländliche, bloß weil sie den Bewohnern dort seit Jahrzehnten<br />

Arbeitsplätze versprochen hat und nichts anderes anzusiedeln<br />

weiß.<br />

(Abg. Mühlbeyer CDU: Wer hat denn Boxberg abgelehnt?<br />

SPD und Grüne!)<br />

In Boxberg hat sich erfreulicherweise Bosch angesiedelt.<br />

(Zuruf <strong>von</strong> der CDU: Wer hat denn die Ansiedlung<br />

in Boxberg verhindert?)<br />

Warum lässt man nicht moderne Technologie folgen?<br />

(Zuruf <strong>von</strong> der CDU: Wer war denn dies?)<br />

– Das war damals Ihr eigener Ministerpräsident! – Warum<br />

lässt man sich nichts einfallen? Warum wird nicht in Boxberg<br />

mit modernster Agrartechnik eine zeitgemäße zukunftsfähige<br />

Landwirtschaftsausbildung für junge Landwirtschaftsmeister<br />

konzentriert?<br />

(Zuruf <strong>von</strong> der CDU)<br />

– Seien Sie mal ruhig, Sie waren auch dabei mit den leeren<br />

Versprechungen! – Unsere jungen Landwirte strömen zurzeit<br />

noch in Scharen ins bayerische Triesdorf zur Ausbildung.<br />

Bosch wird sich in Zukunft über die neuen Nachbarn<br />

der Schweinezuchtanstalt kaum Impulse für zusätzliche<br />

Hochtechnologie erhoffen dürfen, wohl aber würde der<br />

Raum Boxberg <strong>von</strong> einem zentralen baden-württembergischen<br />

Bildungszentrum zur landwirtschaftlichen Aus- und<br />

Weiterbildung profitieren.<br />

Wir verstehen unter Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit<br />

des ländlichen Raums etwas anderes.<br />

(Zuruf des Abg. Göbel CDU)<br />

– Herr Göbel, ich habe gedacht, Sie wären heute produktiv.<br />

Es muss modernes Know-how dazugehören, nehmen Sie<br />

das wenigstens zur Kenntnis!<br />

Wo sind die Internetarbeitsplätze, die Solartechnik, Satellitentechnik<br />

à la DGPS, Telehäuser und Fremdenverkehrsförderung,<br />

die spezifische Entwicklungsprofile für die Region<br />

fördern? Das zaghafte PLENUM-Programm im Allgäu<br />

könnte so etwas werden, wenn Sie es nicht sterben lassen,<br />

Frau Ministerin. Die Fremdenverkehrsförderung muss<br />

regionale Produkte, örtliche Besonderheiten mit den Bedürfnissen<br />

der Erholungsuchenden in Einklang bringen.<br />

Ferien auf dem Bauernhof sind sicher eine Attraktion, aber<br />

mehr für die Touristen als für die Anbieter, die entweder<br />

fast nur noch Gastronomen mit Vorzeigelandwirtschaft<br />

sind oder sich in Doppelbeanspruchung als Landwirt und<br />

Herbergsgeber gesundheitlich fast ruinieren. Warum gibt<br />

es in waldreichen Gemeinden nicht deutlich mehr Heizkraftwerke<br />

mit CO 2 -neutraler Hackschnitzelverbrennung?<br />

Wo bleiben die fortschrittlichen Bildungsangebote, wo die<br />

Ganztagsschulen im ländlichen Raum?<br />

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Jawohl!<br />

– Beifall der Abg. Renate Thon Bündnis 90/<br />

Die Grünen)<br />

Osterburken hat uns gezeigt, welche Bildungsreserven im<br />

ländlichen Raum schlummern. Will man sie nicht nutzen?<br />

Auch mehr Berufsakademien oder Außenstellen gehören in<br />

den ländlichen Raum. Warum gibt es bei uns im ländlichen<br />

Raum kaum verlässliche Halbtagsschulen? Wir haben es<br />

gerade gehört: Man schreckt die Eltern mit Kosten ab.<br />

Es ist der Landesregierung auch nicht gelungen, Firmen<br />

<strong>von</strong> dem Trend abzubringen, Neuansiedlungen dort zu tätigen,<br />

wo schon andere innovative Betriebe sind. Vielleicht<br />

nutzen wir jetzt die Chance bei der Konversionsförderung,<br />

neue Techniken in die ländlichen Räume zu verlagern.<br />

Liebe Frau Ministerin, hören Sie lieber auf, über Rot-grün<br />

in Berlin zu klagen. Wir müssen unsere Hausaufgaben im<br />

Land machen.<br />

(Beifall bei der SPD – Glocke des Präsidenten)<br />

Präsident Straub: Herr Abg. Teßmer, darf ich Sie bitten,<br />

zum Ende zu kommen.<br />

Abg. Teßmer SPD: Ich komme gleich zum Ende, Herr<br />

Präsident.<br />

Sie wissen genau, dass die Entwicklung unserer ländlichen<br />

Räume mit Berlin – wie früher mit Bonn – weit weniger zu<br />

tun hat als mit dem sträflichen Irrtum <strong>von</strong> Ihnen und Ihren<br />

Vorgängern, man könnte durch Honorierung <strong>von</strong> Wohlverhalten,<br />

guten Verbindungen und persönlichen Verzahnungen<br />

im ländlichen Raum Strukturen erhalten, die nicht konkurrenz-<br />

und entwicklungsfähig sind, oder durch das alleinige<br />

Beschreiben der Schönheit seiner Landschaft zur Profilierung<br />

des ländlichen Raums beitragen.<br />

Wenn dann noch Krisen wie BSE – –<br />

(Glocke des Präsidenten)<br />

– Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.<br />

Präsident Straub: Herr Abg. Teßmer, Ihre Redezeit ist abgelaufen.<br />

Ich kann Sie jetzt nicht weiterreden lassen. Bitte<br />

kommen Sie zum Ende.<br />

(Abg. Bebber SPD: Der ist doch erkältet, der<br />

Mann!)<br />

Abg. Teßmer SPD: Ich komme zum Schlusssatz: Wenn<br />

dann noch Krisen wie BSE den ländlichen Raum heimsuchen,<br />

dann merken wir, wie empfindlich die Strukturen<br />

dort sind. Landwirte, Metzgereien, Fleischverarbeitung,<br />

Gastronomie, alles wird – –


(Teßmer)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

(Glocke des Präsidenten – Große Unruhe bei der<br />

CDU – Abg. Brechtken SPD zur CDU: Das ist<br />

doch die drittletzte Sitzung!)<br />

Präsident Straub: Herr Abg. Teßmer, ich darf Sie bitten,<br />

jetzt – –<br />

Abg. Teßmer SPD: Ich komme zum Schluss: Alles wird in<br />

Mitleidenschaft gezogen. Diese Regierung hat den ländlichen<br />

Raum nicht nach vorne gebracht. Wir wollen es in<br />

Zukunft besser machen.<br />

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die<br />

Grünen – Lachen bei der CDU)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oelmayer.<br />

(Unruhe – Abg. Haas CDU: So ein Quatsch vom<br />

Teßmer!)<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Herr Präsident,<br />

meine Damen und Herren! Eine Große Anfrage der Fraktion<br />

der CDU, die mit der These „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit<br />

des ländlichen Raums in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>“<br />

überschrieben ist, steht hier zur Debatte. Ich habe<br />

mir die insgesamt 95 Seiten der Antwort der Landesregierung<br />

zu Gemüte geführt<br />

(Abg. Haas CDU: Und nichts verstanden!)<br />

und versucht, die Antwort auf die gewählte Fragestellung<br />

zu finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mir nicht<br />

gelungen, diese Antwort zu finden.<br />

(Abg. Haas CDU: Das haben wir vermutet! Wir<br />

haben vermutet, dass Sie das nicht verstehen!)<br />

Ich darf in fünf Punkten zum Thema „Ländlicher Raum<br />

und dessen Wettbewerbsfähigkeit, dessen Zukunftschancen“<br />

Stellung beziehen.<br />

Erster Punkt: Ich glaube – das sieht unsere Fraktion insgesamt<br />

so –, dass die Entwicklungschancen und die Entwicklungsfortschritte,<br />

die es im ländlichen Raum durchaus gibt<br />

– wir haben das insbesondere mit einer gesonderten Großen<br />

Anfrage für die Raumschaft Oberschwaben <strong>von</strong> der<br />

Landesregierung untersuchen und beantworten lassen –,<br />

(Abg. Rech CDU: Oh, jetzt Oberschwaben!)<br />

die Entwicklungstendenzen sehr wohl zu erkennen sind,<br />

dass dies aber kein Verdienst dieser Landesregierung, sondern<br />

ein Verdienst der aktiven und engagierten Menschen<br />

in den Regionen dieses Landes ist.<br />

(Abg. Haas CDU: Und der Landesregierung! Beides<br />

muss zusammenkommen!)<br />

Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte:<br />

(Abg. Hauk CDU: Sie versteigen sich aber nicht<br />

dazu, zu sagen: „trotz dieser Landesregierung“!<br />

Darauf habe ich gewartet!)<br />

– Trotz dieser Landesregierung. Diese Formulierung gefällt<br />

mir auch gut, Kollege Hauk. Der kann ich mich anschließen.<br />

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die<br />

Grünen und der SPD – Abg. Brechtken SPD: Der<br />

Hauk ist kreativ! – Abg. Nagel SPD: Und ehrlich!)<br />

Ein zweiter Punkt: Das MLR veranstaltete im Herbst des<br />

vergangenen Jahres einen Kongress mit dem Thema „Das<br />

neue Dorf entsteht im Kopf“. Ich glaube, dass dieses Thema<br />

gut gewählt war.<br />

(Abg. Traub CDU: Ja!)<br />

Nur: Lieber Kollege Traub, ich hätte eigentlich erwartet,<br />

dass Sie das Ergebnis dieses Kongresses hier vortragen<br />

würden. Man hat im Rahmen dieses Kongresses und auch<br />

in der umfangreichen Antwort der Landesregierung auf die<br />

Große Anfrage festgestellt, dass es jetzt eine ziel- und problemorientierte<br />

Standortpolitik für den ländlichen Raum<br />

geben muss, dass wir dafür Konzepte brauchen und dass<br />

die Landesregierung solche Konzepte vorlegen will. Ich<br />

habe versucht, diese Konzepte auf den 95 Seiten der Antwort<br />

der Landesregierung zu finden.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Fehlanzeige!)<br />

Dort habe ich sie nicht gefunden. Fehlanzeige!<br />

Ich habe dann gedacht, Herr Kollege Traub würde uns dies<br />

hier im Plenum in freier Rede vortragen.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Nichts wars!)<br />

Fehlanzeige! Liebe Kolleginnen und Kollegen, offensichtlich<br />

mangelt es der Landesregierung an solchen Konzepten<br />

für den ländlichen Raum. Ich will sogar noch etwas weiter<br />

gehen: Die Landesregierung hat keine Konzepte für den<br />

ländlichen Raum.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der<br />

SPD – Abg. Pfister FDP/DVP: Hoppla! Ein Satz<br />

wie in Stein gemeißelt!)<br />

Ein weiterer Punkt: Ich befasse mich seit mehreren Wochen,<br />

ja seit Monaten mit dem Entwurf des fortgeschriebenen<br />

Landesentwicklungsplans. Ich habe gedacht – wie bei<br />

dieser Antwort –, ich fände, wenn ich ihn in die Hand nehme,<br />

dort die Konzepte für den ländlichen Raum.<br />

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Fehlanzeige!)<br />

Fehlanzeige! Wieder 100 Seiten umsonst gelesen, liebe<br />

Kolleginnen und Kollegen! In Ansätzen angedeutet, aber<br />

keinesfalls Konzepte dargelegt, keinesfalls Konzepte ausgeführt!<br />

Eine große Chance vertan!<br />

Das Besondere an dem Landesentwicklungsplan ist ja die<br />

Tatsache, dass die Gemeinden in dem Maße, wie sie bisher<br />

über ein formales Anhörungsverfahren beteiligt worden<br />

sind – gerade auch die Gemeinden im ländlichen Raum –,<br />

mit ihren Anliegen, mit ihren Vorstellungen <strong>von</strong> Entwicklungen<br />

<strong>von</strong> Ihnen bisher überhaupt nicht gehört worden<br />

sind. Ein weiterer Schritt wird wohl der sein, dass die Lan-<br />

7985


(Oelmayer)<br />

7986<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

desregierung – ich hoffe inbrünstig, dass das eine andere<br />

Landesregierung sein wird –,<br />

(Beifall des Abg. Teßmer SPD – Abg. Teßmer<br />

SPD: Wir auch!)<br />

die abschließend über den Landesentwicklungsplan zu beraten<br />

hat, in diesen dann auch Konzepte hineinschreibt.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der<br />

SPD)<br />

Ich darf Ihnen einmal sagen, woran man die Konzepte festmachen<br />

muss. Ich hätte eigentlich erwartet, dass die Landesregierung<br />

die Entwicklungen im Landesentwicklungsplan<br />

und auch in dieser Großen Anfrage aufgreift. Ich finde<br />

aber keine Ausführungen zur demographischen Entwicklung<br />

und keine sich daran anschließenden Infrastrukturkonzepte,<br />

die natürlich, wenn die Bevölkerung zurückgeht, anders<br />

aussehen müssen, als wenn die Bevölkerung in den<br />

nächsten 50 Jahren weiter wächst.<br />

Weiter möchte ich die Auswirkungen der neuen Medien<br />

auf den ländlichen Raum nennen. Welche Veränderungen<br />

erfährt die Arbeitswelt dadurch und welche die Verkehrsstruktur?<br />

Das alles sind Themenbereiche, die meines Erachtens<br />

einer konzeptionellen Überlegung und Darlegung<br />

bedürfen und zutiefst eine Aufgabe der Landespolitik sind.<br />

Aber im Landesentwicklungsplan Fehlanzeige und in der<br />

Großen Anfrage Fehlanzeige. Ich kann also wirklich nur zu<br />

dem Ergebnis kommen, dass die Landesregierung solche<br />

Konzepte nicht hat.<br />

Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen. Wie sieht<br />

es denn in anderen Ländern aus? Wir hören <strong>von</strong> der Landesregierung<br />

bei jedem Themenbereich immer den Vergleich<br />

mit den anderen. Ich möchte nur zwei Länder als<br />

Beispiel nehmen. Zunächst Nordrhein-Westfalen,<br />

(Abg. Kiefl CDU: Bremen!)<br />

um ein rot-grün geführtes Land zu nehmen. Dort gibt es einen<br />

Luftverkehrsplan, dort gibt es einen ÖPNV-Bedarfsplan,<br />

und dort gibt es einen Agendaprozess auf Landesebene.<br />

(Abg. Hauk CDU: Das ist wahr!)<br />

Wo sind solche Pläne und solche Prozesse in diesem Land,<br />

liebe Kolleginnen und Kollegen?<br />

(Zurufe <strong>von</strong> der CDU – Unruhe)<br />

Wir finden sie nirgends, weder im Landesentwicklungsplan<br />

noch in Ihren Redebeiträgen.<br />

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Ich verweise<br />

noch auf Bayern.<br />

(Abg. Hauk CDU: Heiße Luft ist das! – Abg.<br />

Traub CDU: Das ist Luft!)<br />

Die Bayern haben etwas Intelligentes gemacht. Kollege<br />

Traub, hören Sie gut zu! Da können Sie <strong>von</strong> Ihren bayerischen<br />

Kollegen noch etwas lernen. Sie schreiben ihr Landesentwicklungsprogramm<br />

auch fort. Sie schreiben es aber<br />

auch für den ländlichen Raum fort, aber nicht <strong>von</strong> oben<br />

herab. Vielmehr veranstalten Sie Zukunftswerkstätten zu<br />

den Themen, die ich vorhin genannt habe: Infrastrukturmaßnahmen,<br />

neue Medien etc. pp.<br />

(Abg. Hauk CDU: Ich weiß gar nicht, worüber Sie<br />

reden! Sie haben sich mit der Thematik offensichtlich<br />

nicht beschäftigt!)<br />

Das sind die Aufgaben, die die Landesregierung im ländlichen<br />

Raum hat. All dies, Herr Kollege Hauk, sind Sie bisher<br />

schuldig geblieben. Sie können schreien, so laut Sie<br />

wollen, das ändert daran nichts. Ich bin der Meinung, die<br />

Landesregierung hat wirklich quasi eine Bankrotterklärung<br />

ihrer Landesentwicklungsinitiativen vorgelegt.<br />

(Lachen bei der CDU – Beifall beim Bündnis 90/<br />

Die Grünen und der Abg. Birgit Kipfer SPD)<br />

Es ist höchste Zeit, dass wir Konzepte für den ländlichen<br />

Raum bekommen.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg.<br />

Traub CDU: Herr Kollege Oelmayer, was Sie da<br />

erzählt haben, glauben Sie ja selbst nicht! – Abg.<br />

Hans-Michael Bender CDU: Herr Kollege Oelmayer<br />

kann bei diesen Worten nur schwer das Lachen<br />

unterdrücken!)<br />

Das tut weh, das verstehe ich; aber das muss es.<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg.<br />

Drautz.<br />

Abg. Drautz FDP/DVP: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Die Wettbewerbsfähigkeit des ländlichen Raumes<br />

konnte in dieser Legislaturperiode merklich verbessert<br />

werden. Dies wird deutlich, wenn man sich die Strukturdaten<br />

einmal genauer ansieht. Die Bevölkerungszunahme<br />

im Zeitraum <strong>von</strong> 1985 bis 1998 war im ländlichen Raum<br />

mit 16,1 % etwa doppelt so hoch wie in den Verdichtungsräumen.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Stimmt!)<br />

Die Steuerkraftsumme, Herr Kollege Teßmer, hat sich im<br />

gleichen Zeitraum im ländlichen Raum mit 63,4 % stärker<br />

als im restlichen Land mit im Durchschnitt 47,3 % erhöht.<br />

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)<br />

Entscheidend dabei sind die Beschäftigtenzahlen, die sich<br />

im ländlichen Raum sensationell positiv entwickelt haben.<br />

(Abg. Traub CDU: Das ist richtig! – Zuruf des<br />

Abg. Göbel CDU)<br />

Allein im Dienstleistungssektor konnten wir in den letzten<br />

15 Jahren einen Zuwachs an neuen Arbeitsplätzen <strong>von</strong><br />

40 % verzeichnen.<br />

(Abg. Göbel CDU: Das hat Herr Oelmayer nicht<br />

mitbekommen, weil er aus der Stadt kommt!)<br />

Seit 1995 hat das Land <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> im Entwicklungsprogramm<br />

Ländlicher Raum 740 Millionen DM für<br />

die Förderung bereitgestellt. Damit, meine Damen und<br />

Herren, sind Investitionen <strong>von</strong> 5 Milliarden DM ausgelöst


(Drautz)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

worden, die zur Schaffung <strong>von</strong> knapp 10 000 Arbeitsplätzen<br />

geführt haben.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der<br />

CDU – Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist doch ein<br />

Wort!)<br />

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Beispiele<br />

anhand meiner Heimatregion aufzählen. Wie keine andere<br />

Region im Land hat sich die Region Franken in den letzten<br />

Jahren besonders positiv entwickelt. In dieser Region ist es<br />

gelungen, den Anteil an der Wertschöpfung des Landes<br />

<strong>von</strong> 7 % auf 7,2 % zu steigern. Die Arbeitsmarktstatistik ist<br />

bei diesen Rahmendaten natürlich auch sensationell positiv<br />

ausgefallen, meine Damen und Herren.<br />

Bei der verkehrlichen Entwicklung ist zum Beispiel der<br />

Hohenlohekreis im Land an der Spitze. Obwohl der ÖPNV<br />

in diesem Kreis vorbildlich ist und landesweit eine Spitzenposition<br />

einnimmt,<br />

(Abg. Teßmer SPD: Das war ja auch ein Millionenprojekt!)<br />

kommen dort durchschnittlich 621 Autos auf 1 000 Einwohner.<br />

Zum Vergleich: Der Landesschnitt liegt bei 497<br />

Pkws pro 1 000 Einwohner.<br />

(Zuruf des Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen)<br />

Meine Damen und Herren, in Zeiten <strong>von</strong> BSE und des Verfalls<br />

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Der<br />

Landesregierung! – Heiterkeit bei Abgeordneten<br />

des Bündnisses 90/Die Grünen)<br />

der Marktpreise für landwirtschaftliche Produkte<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Wo sind<br />

denn da die Konzepte, Kollege?)<br />

müssen wir die Situation unserer Landwirte sowie der gesamten<br />

Landwirtschaft besonders im Auge haben, wenn<br />

wir über die Zukunft des ländlichen Raums reden wollen.<br />

Obwohl unsere Landwirtschaft stets leistungsfähiger geworden<br />

ist, ist sie <strong>von</strong> der allgemeinen Einkommenssituation,<br />

meine Damen und Herren, abgekoppelt. So verdient<br />

ein Landwirt heute rund 40 % weniger als eine Fachkraft in<br />

der freien Wirtschaft, und das bei durchschnittlich 60 Stunden<br />

in der Woche.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Das ist aber dann keine Erfolgsbilanz!)<br />

– Aber das ist das Thema, das Sie noch nicht kapiert haben,<br />

Herr Teßmer.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Was?)<br />

Ich habe zuerst <strong>von</strong> der Erfolgsbilanz, der wirtschaftlichen<br />

Bilanz im ländlichen Raum gesprochen, spreche aber genauso<br />

<strong>von</strong> einem Wirtschaftszweig, der Landwirtschaft, wo<br />

durch außer-baden-württembergische Einflüsse riesige<br />

Strukturprobleme bestehen und sich ein Riesenstrukturwandel<br />

vollzieht.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Quatsch! Wenn die weniger<br />

verdienen, dann ist doch nicht der Bund schuld!)<br />

Trotz allem Fleiß ist der Anteil der Land- und Forstwirtschaft<br />

an der gesamten Bruttowertschöpfung in Franken –<br />

das sage ich hier auch offen – <strong>von</strong> 4,5 % auf 3 % gesunken.<br />

Die Tatsache, dass diese Wertschöpfung immer noch<br />

dreimal so hoch ist wie in anderen Regionen <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>, darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass<br />

unsere Landwirtschaft im gesamten Land einem erheblichen<br />

Strukturwandel ausgesetzt ist.<br />

(Abg. Reddemann CDU: Sehr richtig!)<br />

Die Zahl der aufgelassenen Höfe und der Anstieg der Betriebsgrößen<br />

machen dies überdeutlich.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Und was macht ihr dagegen?<br />

Nichts! – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen:<br />

Das ist ja diese Fehlentwicklung! Und was macht<br />

ihr da, Herr Kollege? Sagen Sie es!)<br />

Ich will es bei diesem Hinweis zur Landwirtschaft heute<br />

belassen, weil wir am morgigen Tage in der Plenardebatte<br />

diese ernste Thematik, Herr Kollege Oelmayer, vertieft diskutieren<br />

werden.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Es geht<br />

um die Wettbewerbsfähigkeit!)<br />

Meine Damen und Herren, uns allen ist hoffentlich klar,<br />

dass der ländliche Raum trotz aller positiven Strukturen<br />

nur dann eine Zukunft haben wird, wenn die Politik den<br />

richtigen Rahmen vorgibt,<br />

(Abg. Teßmer SPD: Darauf warten wir ja, richtig!)<br />

um den erforderlichen Strukturwandel zu begleiten. Dabei<br />

werden der touristische Sektor und alles, was damit zusammenhängt,<br />

zukünftig <strong>von</strong> entscheidender Bedeutung sein.<br />

Die Entwicklung des touristischen Sektors im ländlichen<br />

Raum wird – das sage ich Ihnen heute auch ganz klar – nur<br />

mit den Landwirten erfolgreich sein.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Richtig!)<br />

Das ist die Garantie dafür, dass unsere Kulturlandschaften<br />

erhalten bleiben und der ländliche Raum fortentwickelt<br />

werden kann.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Walter Bündnis<br />

90/Die Grünen: Das muss man dem Herrn Hofer<br />

ständig sagen! Der hört es nicht!)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dagenbach.<br />

Abg. Dagenbach REP: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Was es mit der Großen Anfrage der Fraktion der<br />

CDU – Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des ländlichen<br />

Raums in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – auf sich hat und was damit<br />

bezweckt wird, dürfte doch wohl klar auf der Hand liegen:<br />

Es ist eine <strong>von</strong> der Regierung bestellte Große Anfrage,<br />

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)<br />

7987


(Dagenbach)<br />

7988<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

die jetzt pünktlich zum Ende der Legislaturperiode fertig<br />

gestellt und gezogen wird,<br />

(Abg. Hauk CDU: Das ist doch Quatsch!)<br />

um die verheerende Bilanz der letzten fünf Jahre Landwirtschaftspolitik<br />

in diesem unserem Lande zu übertünchen<br />

und schönzureden.<br />

(Beifall bei den Republikanern – Unruhe)<br />

Sie behaupten in der Begründung, das Land – und damit<br />

meinen Sie doch wohl nur Ihre eigene Regierung – habe<br />

sich sehr frühzeitig für eine aktive Politik für den ländlichen<br />

Raum eingesetzt und seinen Spielraum wirkungsvoll<br />

ausgenutzt.<br />

Ich kann das in keiner Weise erkennen. Ich kann mich nur<br />

daran erinnern, dass jedes Problem, das angesprochen wurde,<br />

sofort mit dem Hinweis auf die leider unabänderlichen<br />

Bestimmungen der EU abgewimmelt wurde, und neuerdings<br />

schieben Sie jegliche Schuld auf die gewiss nicht<br />

sonderlich gute Politik in Berlin.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Na, na, na!)<br />

Haben Sie die Bonner Sparbeschlüsse der Regierung Kohl<br />

<strong>von</strong> 1996 vergessen, Frau Staiblin? Sie sind keinesfalls<br />

besser.<br />

Die CDU wiegelt in der Begründung das <strong>von</strong> ihr erkannte<br />

Problem damit ab, dass sie sagt: Die Politik des Landes für<br />

den ländlichen Raum wird immer mehr <strong>von</strong> Außenfaktoren<br />

beeinflusst. So machen der Strukturwandel und die Globalisierung<br />

auch vor dem ländlichen Raum nicht Halt.<br />

Sehr richtig, meine Damen und Herren. Doch wer hier im<br />

Raum hat denn stets alles bejubelt und verteidigt,<br />

(Abg. Deuschle REP: Wer?)<br />

was uns <strong>von</strong> außen – sprich <strong>von</strong> der EU, <strong>von</strong> GATT und<br />

WTO, also <strong>von</strong> den Globalisierern – aufgezwängt wurde?<br />

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig! Wer war es?)<br />

Wer außer uns Republikanern stimmt denn noch gegen den<br />

Unsinn, der uns jährlich Milliarden kostet und uns nichts<br />

anderes bringt als immer mehr vernichtete Existenzen in<br />

der Landwirtschaft?<br />

(Beifall bei den Republikanern – Abg. König REP:<br />

Das muss man einmal deutlich sagen!)<br />

Sie sind das nicht! Denn Sie sitzen in Brüssel am Katzentisch<br />

und dürfen dort alles abnicken, was der große Herr<br />

Fischler und seine Genossen ausbrüten.<br />

(Abg. Zeiher CDU: Fischler ist kein Genosse!)<br />

– Noch schlimmer. – Ob es sich um die Agenda 2000 oder<br />

um die SchALVO dreht, um Tiermehlexporte oder BSE,<br />

immer ist letzten Endes unser Bauer der Dumme bei der<br />

Geschichte, und Sie versuchen, dies dann auch noch als erfolgreiche<br />

Politik für den ländlichen Raum zu verkaufen.<br />

Sie, Frau Staiblin, können nichts anderes vorlegen, als Ihre<br />

verheerende Bilanz als Landwirtschaftsministerin mit Sta-<br />

tistiken zu übertünchen, die mit Ihrer Kernaufgabe nichts<br />

oder nur wenig zu tun haben.<br />

So beschreiben Sie die Entwicklung der Zahl der Studierenden<br />

an den Hochschulen und Berufsakademien in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

ebenso wie den Luftverkehr und die Informations-<br />

und Kommunikationstechnik. Dann beschäftigen<br />

Sie sich mit der rot-grünen Verkehrspolitik. Als ob es<br />

unter Kohl und Ihnen jemals im Land besser gewesen wäre!<br />

(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Viel besser!)<br />

Weshalb haben wir immer mehr Verkehrsstaus auf der einen<br />

Seite, während es auf der anderen Seite bei den Straßenbaufirmen<br />

an Aufträgen mangelt? Das Land hat sich<br />

doch beim Straßenbau ausgeklinkt, und Sie zeigen jetzt mit<br />

dem Finger auf andere. Aber nein, Sie beschreiben ja auch<br />

die Denkmalförderung – eine wichtige Aufgabe Ihres Ministeriums,<br />

könnte man meinen –, die Städtebauförderung<br />

nicht zu verschweigen. Als wären Stuttgart und Mannheim<br />

Kernzonen des ländlichen Raums! Deswegen bringen Sie<br />

ja auch die Förderbilanz des Wohnungsbaus und des Landeswohnungsbauprogramms<br />

als Anlage in die Antwort mit<br />

hinein. Sie vergessen auch nicht die Beschreibung der übrigen<br />

Bundesländer.<br />

Frau Staiblin, wir haben Sie ja völlig unterschätzt! Denn<br />

nach dieser Eigendarstellung sind Sie ja eine Superministerin.<br />

(Heiterkeit des Abg. Deuschle REP)<br />

Sie leiten quasi das Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft,<br />

Umwelt und Verkehr, Arbeit und Soziales mit der<br />

darin eingegliederten Abteilung für den ländlichen Raum.<br />

(Abg. Schonath REP: Da kann man sehr viel einsparen!)<br />

Aber Sie finden kein Wort zum Höfesterben, das sich mit<br />

Einführung der <strong>von</strong> Ihnen befürworteten Agenda 2000<br />

noch dramatisch verschärfen wird.<br />

Sie finden auch kein Wort zur zunehmenden Belastung der<br />

landwirtschaftlichen Betriebe wegen steigender Sozialabgaben,<br />

zu denen die Betriebe gezwungen sind, weil sie<br />

nicht wie Arbeitnehmer die Kasse wechseln können. Sie<br />

finden kein Wort zu dem <strong>von</strong> Ihnen angerichteten Imageschaden<br />

für unsere Bauernverbände durch die vorauseilenden<br />

Strafanzeigen wegen der <strong>von</strong> Ihrer früheren Regierung<br />

beschlossenen Förderung der ländlichen Sozialberatung.<br />

(Abg. Hauk CDU: Ja, wer hat denn den Untersuchungsausschuss<br />

angestrengt?)<br />

Sie finden kein Wort – –<br />

(Abg. Hauk CDU: Wer hat denn den Untersuchungsausschuss<br />

angestrengt?)<br />

– Ich habe doch keine Strafanzeige erstattet. Das war doch<br />

Ihre Ministerin. – Sie finden kaum ein Wort zu den sagenhaften<br />

neuen Bestimmungen der neuen SchALVO, mit der<br />

den Bauern künftig der Anbau nach der guten fachlichen


(Dagenbach)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Praxis erschwert oder gar unmöglich gemacht wird. Sie<br />

finden kein Wort zum Verbraucherschutz in unserem Land<br />

und dazu, wie oberflächlich die Lebensmittelkontrolle tatsächlich<br />

vorgenommen wurde.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Ich nenne nur die Stichworte Leukose, Streptomyzin und<br />

Tierarznei.<br />

Sie finden kein Wort zu Ihrem Versagen in Sachen BSE,<br />

zu Ihrer falschen Spurenlegung in Bezug auf die Herstellung<br />

und die mangelhafte Kontrolle bei der Einfuhr <strong>von</strong><br />

Tiermehl. Sie finden kein Wort dazu, wie Sie den Landwirten,<br />

Metzgern und anderen <strong>von</strong> der BSE-Krise betroffenen<br />

Menschen wirksam helfen wollen, außer die oft bereits<br />

hoch verschuldeten Betriebe zur Aufnahme <strong>von</strong> noch mehr<br />

Krediten zu ermuntern. Sie finden auch kein Wort dazu,<br />

weshalb Sie jahrelang dieses Problem ignoriert und verniedlicht<br />

haben und weshalb Sie es trotz Aufforderung unterlassen<br />

haben, Ursachenforschung zu betreiben, und erst<br />

jetzt unter dem Druck des Faktischen zu handeln vorgeben.<br />

Nein, Frau Ministerin, Ihre Bilanz ist niederschmetternd,<br />

und das wissen Sie. Darüber hilft auch ein Übertünchen<br />

und das Schmücken mit fremden Federn nicht mehr hinweg.<br />

Sie haben nichts bewegt, Sie haben immer nur abgenickt.<br />

Sie haben den Dingen freien Lauf gelassen.<br />

Politik für den ländlichen Raum muss aber immer zuallererst<br />

Politik für die Landwirtschaft sein, denn ohne diese<br />

wird es keinen ländlichen Raum mehr geben.<br />

(Glocke des Präsidenten)<br />

Präsident Straub: Herr Abg. Dagenbach, ich darf Sie bitten,<br />

mit dem Vorlesen zu Ende zu kommen.<br />

Abg. Dagenbach REP: Ich komme zum Ende, Herr Präsident.<br />

Dass dies in nicht allzu ferner Zukunft so sein wird, dazu<br />

haben Sie inzwischen genügend beigetragen. Ihre Zukunft,<br />

Frau Ministerin, ist gesichert.<br />

(Abg. Mappus CDU: Das ist die Rede <strong>von</strong> morgen!)<br />

Viele Bauern in unserem Land haben keine Zukunft. Das,<br />

Frau Staiblin, ist Ihre wahre Bilanz.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hauk.<br />

Abg. Hauk CDU: Herr Präsident, meine sehr verehrten<br />

Damen und Herren! Aus den Worten <strong>von</strong> Herrn Oelmayer<br />

ist eines wieder deutlich geworden,<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Bitte<br />

lauter und zu mir, sonst höre ich es nicht!)<br />

nämlich der andere Politikansatz, den Sie pflegen. Sie haben<br />

<strong>von</strong> großen Plänen in Nordrhein-Westfalen gesprochen,<br />

vom Umweltplan etc. regelrecht geschwärmt.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Nein,<br />

nein! Vom Luftverkehrsplan! Einen Umweltplan<br />

haben wir auch, bloß machen Sie mit dem nichts!)<br />

Aber Sie haben vergessen, dass Plänen auch die Umsetzung<br />

folgen muss. Das ist das eine.<br />

Das andere ist aber der grundlegende Unterschied: Wir in<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> haben einen ganzheitlichen Politikansatz<br />

– und ich glaube, das ist auch unsere Stärke –, einen<br />

Ansatz, der in die Kommunalpolitik hineinreicht.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Dann reden<br />

Sie doch mit den Leuten vor Ort!)<br />

Das bedeutet eben auch, dass wir den Kommunen den nötigen<br />

Freiraum geben, und das ist auch das Erfolgsgeheimnis<br />

im ländlichen Raum: Freiheit und Freiraum für die Kommunen,<br />

selbst zu gestalten.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)<br />

Es geht aber nicht nur um Freiraum und Freiheit, sondern<br />

auch um Geld. Als es vor eineinhalb Jahren um die Neuordnung<br />

des Finanzausgleichs ging, da habe ich Sie vermisst.<br />

Wo war denn die Stimme der Grünen, vor allem der<br />

oberschwäbischen, die Sie immer so gern pflegen,<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Das ist<br />

der pure Neid, lieber Kollege!)<br />

als es darum ging, die Freiräume der Kommunen und<br />

Landkreise entsprechend zu sichern?<br />

Wir haben einen ganzheitlichen Ansatz, Herr Kollege Oelmayer,<br />

und das hat damit zu tun, dass wir den Leuten etwas<br />

zutrauen.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Wir<br />

auch! Aber der Regierung trauen wir nichts zu! –<br />

Abg. Teßmer SPD: Was hat das mit Wettbewerbschancen<br />

zu tun?)<br />

Wir trauen nicht nur uns etwas zu, sondern wir trauen auch<br />

den Leuten vor Ort etwas zu.<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss jetzt<br />

ein Zitat des Chefstatistikers unseres Landes bringen. Tatsache<br />

ist doch – und das werden Sie auch nicht wegreden<br />

können –:<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Ich rede<br />

nie was weg!)<br />

Sowohl was die Länder als auch was die ländlichen Räume<br />

betrifft, muss man feststellen, dass in Deutschland de facto<br />

mit den Füßen abgestimmt wird. Wenn man die Binnenwanderung<br />

– nicht die Zuwanderung <strong>von</strong> außen – betrachtet,<br />

stellt man fest, dass <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> per saldo positiv<br />

abschneidet. Das heißt, dass wir einen Bevölkerungszuwachs<br />

aus der Binnenwanderung innerhalb der Bundesrepublik<br />

Deutschland haben, und das muss ja wohl einen<br />

Grund haben.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Jawohl, hat es!)<br />

Es überlegt sich doch jeder einen Umzug genau.<br />

7989


(Hauk)<br />

7990<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Dasselbe findet verstärkt auch in den ländlichen Räumen<br />

statt. Es kommt doch nicht <strong>von</strong> ungefähr, dass die stärksten<br />

Bevölkerungszuwächse innerhalb dieser Binnenwanderung<br />

in den letzten zwanzig Jahren in den ländlichen Räumen<br />

stattfanden. Da muss doch etwas passiert sein. Da wirken<br />

eben politische Ansätze, die nicht <strong>von</strong> heute auf morgen<br />

und in den Tag hinein mit einem Miniprogramm oder wie<br />

auch immer gestaltet werden, sondern die langfristig angelegt<br />

werden müssen.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Das hat etwas mit Daimler,<br />

aber nichts mit Frau Staiblin zu tun!)<br />

– Das hat schon etwas damit zu tun, Herr Brechtken, einfach<br />

deshalb, weil sich die Ministerin für den ländlichen<br />

Raum eben nicht nur als Landwirtschaftsministerin versteht,<br />

sondern auch zu einem umfassenden Strukturanspruch<br />

steht, der finanziell durch entsprechende Programme<br />

untermauert ist.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: EU-Programme!)<br />

Ich nenne das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum,<br />

das finanziell entsprechend ausgestaltet ist und bei dem es<br />

auch Gestaltungsmöglichkeiten gibt.<br />

Da geht es eben nicht nur um den Strukturwandel, den Sie,<br />

Herr Dagenbach, beklagen mögen. Ich beklage höchstens<br />

die Rasanz, mit der der Strukturwandel stattfindet. Aber eines<br />

ist doch klar: Auch Bauern brauchen Überlebensstrategien.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Wo haben<br />

Sie die?)<br />

Zum Überleben gehört eine umfassende Strategie.<br />

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Kommen Sie doch<br />

mal zur Sache!)<br />

Das bedeutet in der Realität eben auch, dass viele Landwirte<br />

auf das Weichen ihres Nachbarn in der Fläche angewiesen<br />

sind.<br />

Herr Dagenbach, wir wollen in der Landwirtschaftspolitik<br />

eines: Wir wollen die Flächengebundenheit der Landwirtschaft<br />

erhalten, eine Flächengebundenheit, die wir in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

haben und die es anderswo, in den ehemaligen<br />

Kolchosen im Osten und im Norden, nicht mehr<br />

gibt.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg.<br />

Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Schonath REP:<br />

Warum macht ihr es denn nicht?)<br />

Das ist der große Unterschied, meine sehr verehrten Damen<br />

und Herren – ein ganzheitlicher Politikansatz, der den<br />

ländlichen Raum in den letzten 20 Jahren<br />

(Glocke des Präsidenten)<br />

massiv nach vorn gebracht hat.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser<br />

FDP/DVP)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich der Ministerin für<br />

den ländlichen Raum, Gerdi Staiblin.<br />

Ministerin für den ländlichen Raum Gerdi Staiblin:<br />

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!<br />

Wir haben in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> einen funktionierenden,<br />

einen attraktiven, einen aktiven ländlichen Raum. Wir hatten<br />

zu keiner Zeit so schöne, so aktive Dörfer wie heute.<br />

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/<br />

DVP – Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die<br />

Grünen)<br />

Der ländliche Raum hat durch den Strukturwandel in der<br />

Landwirtschaft eine rasante Veränderung erfahren. Er hat<br />

unseren Dörfern aber gerade dadurch ein neues Profil gegeben.<br />

Man muss aber hinzufügen, dass sich dieser Strukturwandel<br />

nicht nur bei uns, nicht nur innerhalb der Bundesrepublik,<br />

sondern europaweit vollzieht. Europaweit wird die<br />

Hälfte der derzeit praktizierenden landwirtschaftlichen Betriebe<br />

in der Folgegeneration nicht mehr fortgeführt werden.<br />

Auch muss festgestellt werden, dass trotz dieses Strukturwandels<br />

mithilfe der Technik vieles abgefedert werden<br />

konnte und musste. Auch haben wir in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

trotz des Strukturwandels keine Fläche, die nicht bewirtschaftet<br />

wird.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Ja, aber<br />

wo sind denn die Konzepte gegen das Sterben der<br />

Höfe, Frau Ministerin? – Gegenruf des Abg. Haas<br />

CDU – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen:<br />

Herr Kollege Haas, haben Sie die in der Tasche,<br />

oder wie?)<br />

– Herr Oelmayer, lassen Sie mich meine Ausführungen<br />

doch einmal zu Ende bringen.<br />

(Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen)<br />

Warten Sie es doch bitte ab.<br />

(Zuruf des Abg. Haas CDU)<br />

Ich denke, dass sich gerade durch den Strukturwandel eine<br />

enorm dynamische Entwicklung vollzogen hat, weil sich<br />

die Menschen mit dem ländlichen Raum identifizieren,<br />

weil Brauchtum und Modernität keine Gegensätze sind,<br />

sondern einander hervorragend ergänzen. Wir haben einen<br />

lebendigen, innovativen ländlichen Raum, und, wohlgemerkt,<br />

wir haben Standortvorteile zum Beispiel durch einen<br />

geringeren Investitionsbedarf für Immobilien und<br />

Grundstücke. Der Produktionsstandort wird in Zukunft mit<br />

neuen Technologien auch neue Chancen eröffnen. Ich bin<br />

da<strong>von</strong> überzeugt, dass die Lebensform der Zukunft das Leben<br />

im ländlichen Raum sein wird – mit Unterstützung der<br />

derzeit gegebenen modernen Kommunikationsmöglichkeiten.<br />

70 % der Fläche des Landes <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> sind<br />

ländlicher Raum, und 42 % der Bevölkerung leben in diesem<br />

Raum. Innerhalb <strong>von</strong> zehn Jahren hat sich die Einwoh-


(Ministerin Gerdi Staiblin)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

nerzahl um 7 % erhöht, stieg die Zahl der Erwerbstätigen<br />

um 3 %, hat die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten<br />

zugenommen, ist die Steuerkraftsumme gestiegen.<br />

Die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen ist im ländlichen<br />

Raum größer.<br />

(Abg. Göbel CDU: Das hat der Oelmayer alles<br />

nicht gelesen!)<br />

Gesicherte Grund- und Hauptschulen, der Rechtsanspruch<br />

auf einen Kindergartenplatz,<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Aber dafür<br />

kann diese Landesregierung nichts! – Gegenruf<br />

des Abg. Göbel CDU: Wenn es gut ist, kann sie<br />

nichts dafür!)<br />

betreutes Wohnen, Alten- und Seniorenheime sind wichtige<br />

Einrichtungen, die unseren ländlichen Raum, meine Damen<br />

und Herren, attraktiv machen.<br />

Freizeitangebote sind im ländlichen Raum wichtig und<br />

auch vorhanden. Das Eingebundensein in ein reges Vereinsleben<br />

macht das Besondere und die besondere Attraktivität<br />

der ländlichen Räume und unserer Dörfer aus.<br />

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)<br />

Viele Menschen wollen aus der Anonymität in den Städten<br />

heraustreten und engagieren sich in den ländlichen Räumen.<br />

Das bürgerschaftliche Engagement ist beispielhaft.<br />

(Zuruf <strong>von</strong> der SPD)<br />

Die große Chance der Zukunft besteht in den modernen<br />

Möglichkeiten, die über das Internet gegeben sind. Dadurch<br />

sind neue Verkaufsstrukturen eröffnet worden. Wir<br />

haben schon längst pfiffige Bäuerinnen, die per Internetshop<br />

ihre besonderen, ihre regionalen und ihre saisonalen<br />

Produkte verkaufen. Sie stellen darüber hinaus die Landschaft,<br />

den Bauernhof, ihre selbst hergestellten Produkte,<br />

Regionales und Spezialitäten vor.<br />

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)<br />

Urlaub auf dem Bauernhof wird immer beliebter. Der Bauernhof<br />

zum Anfassen in der Kooperation<br />

(Abg. Dagenbach REP: Wie lange gibt es die<br />

noch?)<br />

mit der Gastronomie und die Menschen, die <strong>von</strong> Jahr zu<br />

Jahr zahlreicher nach <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> kommen, bieten<br />

dem ländlichen Raum eine Chance, insbesondere im<br />

Dienstleistungsbereich.<br />

Als einziges Bundesland haben wir innerhalb der Europäischen<br />

Union über den Maßnahmen- und Entwicklungsplan<br />

mit einem Programm zum Thema „Chancengleichheit für<br />

Frauen im ländlichen Raum“ europaweit ein Beispiel gegeben.<br />

(Abg. Christine Rudolf SPD: Das gibt es aber woanders<br />

auch, in fünf oder sechs europäischen Ländern!)<br />

6,2 Millionen DM können in den Jahren 2000 bis 2006 eingesetzt<br />

werden, um dadurch den Strukturwandel abzufedern<br />

und dadurch gerade Frauen Existenzgründungen zu<br />

ermöglichen, um die Einkommenskombination zu fördern.<br />

(Beifall des Abg. Göbel CDU)<br />

Die künftige Wohnortbestimmung – auch da<strong>von</strong> bin ich<br />

überzeugt – wird sich verstärkt auch daran orientieren, ob<br />

und inwieweit Frauenarbeitsplätze im ländlichen Raum<br />

vorhanden sind. Wir, die Landesregierung und die CDU,<br />

stehen zu der Herausforderung, künftig Familie und Beruf<br />

vereinbaren zu können.<br />

(Abg. Christine Rudolf SPD: Ach, das machen Sie<br />

künftig? Da wird es aber Zeit!)<br />

Dies wird auch im ländlichen Raum, im Dorf, Zukunft haben.<br />

Ich komme jetzt zu dem Kongress, den Sie angesprochen<br />

haben, den wir mit 320 Delegierten aus elf europäischen<br />

Ländern im September vergangenen Jahres in Konstanz<br />

durchgeführt haben. Da haben wir darüber nachgedacht,<br />

wie das künftige Profil unserer Dörfer aussehen kann. Interessante<br />

Denkansätze, viele Impulse und Ideen wurden<br />

gesammelt. Viele Visionen wurden auch angesprochen,<br />

wie das neue Dorf künftig aussehen könnte,<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Das entsteht<br />

im Kopf, das neue Dorf! Da muss auch etwas<br />

herauskommen!)<br />

zum Beispiel das Mediendorf – wir haben in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

mit Sternenfels und Pfullendorf zwei hervorragende<br />

Beispiele –, das Tourismusdorf, das Bürgerdorf, das<br />

Kulturdorf.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Museumsdorf!)<br />

Melchingen ist auch hierfür heute schon ein herausragendes<br />

Beispiel.<br />

Ich bin <strong>von</strong> der Zukunft des ländlichen Raums voll überzeugt.<br />

Der hohe Wohnwert, der Freizeitwert, der Erholungswert<br />

sind wichtige Standortfaktoren für die Ansiedlung<br />

im ländlichen Raum.<br />

Nun komme ich zum Bereich der Hochtechnologie.<br />

(Glocke des Präsidenten)<br />

Präsident Straub: Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage<br />

des Herrn Abg. Oelmayer?<br />

Ministerin für den ländlichen Raum Gerdi Staiblin:<br />

Bitte.<br />

Präsident Straub: Herr Abg. Oelmayer, bitte schön.<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Frau Ministerin,<br />

ich habe ja schon vorhin zu dieser Großen Anfrage und der<br />

Antwort, die Sie gegeben haben und die ja sehr umfassend<br />

ist, Konzepte eingefordert. Jetzt sprechen Sie den Tourismus<br />

an. Ich frage Sie: Wo sind die Konzepte der Landesregierung<br />

beim Tourismus? Ich frage Sie: Warum wird das<br />

7991


(Oelmayer)<br />

7992<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

PLENUM-Projekt <strong>von</strong> der Landesregierung nur so zögerlich<br />

vorangetrieben?<br />

(Abg. Drautz FDP/DVP: In welchem Land leben<br />

Sie?)<br />

Ein weiterer Punkt, zu dem ich Sie an dieser Stelle fragen<br />

möchte, betrifft Widersprüchlichkeiten, die sich einfach in<br />

Ihrer Antwort auf die Große Anfrage befinden. Sie sagen<br />

auf der einen Seite, die Bedeutung kleinräumiger landwirtschaftlicher<br />

Strukturen sei für den Erhalt der Kulturlandschaft<br />

wichtig.<br />

(Abg. Traub CDU: Sie wollten eine Frage stellen!)<br />

Auf der anderen Seite sagen Sie, in Zeiten der Globalisierung<br />

komme es auch auf die Fusion <strong>von</strong> landwirtschaftlichen<br />

Betrieben an. Wo ist da das Konzept, Frau Ministerin?<br />

Wie sollen sich ländlicher Raum in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

und insbesondere die Landwirtschaft entwickeln?<br />

Ministerin für den ländlichen Raum Gerdi Staiblin:<br />

Herr Oelmayer, jetzt warten Sie einmal, bis ich mit meinen<br />

Ausführungen fertig bin. Dann können Sie die Fragen stellen,<br />

wenn Sie nicht zufrieden sind.<br />

(Beifall bei der CDU)<br />

Ich komme jetzt zum Bereich der Hochtechnologie. Anscheinend<br />

haben Sie bis heute noch nicht mitbekommen,<br />

dass die Landesregierung in Riedhausen ein Modellprojekt<br />

mit dem Ziel fördert, dass eine ganze Gemeinde bzw. die<br />

Gemarkung gemeinsam mithilfe des GPS bewirtschaftet<br />

wird. Ich denke, es ist ein zukunftsorientierter, wichtiger<br />

Ansatz,<br />

(Abg. Teßmer SPD: Zehn Jahre zu spät! Das gibt<br />

es in Rheinland-Pfalz schon seit zehn Jahren!)<br />

dass mit wenigen Praktikern, mit Landwirtschaftsmeistern,<br />

mit dem ortsansässigen Landmaschinenmechaniker und mit<br />

ein paar wenigen sonstigen Personen eine ganze Gemarkung<br />

mithilfe der modernen Technik über die Flurgrenzen<br />

hinaus bewirtschaftet wird. Diese Technik ermöglicht es,<br />

die Düngung haarscharf auszubringen, auch die Ernte haarscharf<br />

zu erfassen. Dies wird für viele Gemeinden und viele<br />

Bereiche in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> eine Möglichkeit sein,<br />

die Landschaft künftig weiterhin zu pflegen, und es wird<br />

auch noch Produktion ermöglichen.<br />

Ich weise auf ein zweites Projekt hin, auf das ich seit Beginn<br />

der Legislaturperiode den Schwerpunkt gelegt habe,<br />

nämlich auf Kooperationen. Wir haben hierfür hervorragende<br />

Beispiele, dass sich unterschiedliche Familienstrukturen<br />

zusammentun können. Da gibt es das Altenteilerehepaar<br />

ohne Hofnachfolge, das seine Fläche einbringt; da<br />

gibt es den unverheirateten Steuerberater, der sich dann<br />

insbesondere mit der Buchführung beschäftigt; da gibt es<br />

den allein erziehenden Ehegatten; da gibt es die Frau, die<br />

im Betrieb nur halbtags beschäftigt sein kann; da gibt es<br />

den Vollerwerbsbetrieb. Ich denke, diese Integration ist genau<br />

der Ansatz, den auch Sie, Herr Teßmer, angesprochen<br />

haben.<br />

(Abg. Schonath REP: Das ist <strong>von</strong> „Big Brother“!)<br />

Das bietet eine Möglichkeit, zu verhindern, dass vor allem<br />

die Bäuerinnen ständig überbelastet sind.<br />

Ich erinnere auch an Holzhackschnitzelheizanlagen. Wir<br />

haben bis jetzt 110 Anlagen in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> im<br />

Einsatz und für die Produktion freigegeben. Damit sind wir<br />

bundesweit beispielhaft. Wir haben bis heute 150 Biogasanlagen<br />

gefördert. Und warten Sie doch einmal ab, was<br />

noch aus Boxberg wird.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Wir warten<br />

schon die ganze Zeit, Frau Ministerin! Es<br />

kommt nichts! – Zurufe <strong>von</strong> der SPD)<br />

Ich denke, die Ansätze sind richtig. Boxberg wurde politisch<br />

entschieden und soll auch so schnell wie möglich verwirklicht<br />

werden.<br />

(Abg. Dagenbach REP: Das soll es seit zehn Jahren!)<br />

Dort bietet sich auch die Möglichkeit, mit neuen Techniken<br />

zukunftsweisende Maßnahmen zu treffen.<br />

Nun haben Sie, Herr Oelmayer, hier das Beispiel Nordrhein-Westfalen<br />

gebracht. Das war das absolut schlechteste<br />

Beispiel. Wir können über den Maßnahmen- und Entwicklungsplan<br />

in den Jahren 2000 bis einschließlich 2006, also<br />

sieben Jahre lang, in Brüssel 1,5 Milliarden DM für genau<br />

die Maßnahmen, die Sie angesprochen haben, abrufen.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)<br />

Meine Kollegin Höhn holt – –<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Das ist<br />

doch kein Verdienst der Landesregierung!)<br />

– Wieso nicht?<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Aber<br />

Frau Ministerin!)<br />

– Das ist deswegen ein Verdienst der Landesregierung,<br />

weil die Landesregierung bereit ist, 1,5 Milliarden DM dazuzulegen.<br />

Deswegen ist es ein Verdienst der Landesregierung!<br />

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/<br />

DVP – Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die<br />

Grünen)<br />

Weil die Kollegin Höhn in Nordrhein-Westfalen aus ihrem<br />

Haushalt nur 500 Millionen DM hierfür bereitstellen kann,<br />

kann sie im gleichen Zeitraum nur 500 Millionen DM abrufen,<br />

also nur ein Drittel dessen, was wir erhalten können.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Aber das<br />

Abrufen <strong>von</strong> Mitteln ist doch kein Konzept! – Zuruf<br />

<strong>von</strong> der CDU: Wir sind Ihnen dankbar, Herr<br />

Oelmayer!)<br />

Um dieses Geld abrufen zu können, brauche ich ein Konzept,<br />

Herr Oelmayer. Wenn kein Konzept vorliegt, bekomme<br />

ich auch kein Geld.


(Ministerin Gerdi Staiblin)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

(Abg. Kiefl CDU: Gutes Konzept! – Abg. Teßmer<br />

SPD: Aber damit haben Sie doch bestätigt bekommen,<br />

dass Sie Nachholbedarf haben! – Abg. Oelmayer<br />

Bündnis 90/Die Grünen: Wo sind denn die<br />

Konzepte?)<br />

Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zum erfolgreichen<br />

Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum. Auch hier<br />

habe ich über viereinhalb Jahre hinweg neue Weichen gestellt,<br />

etwa indem wir verstärkt junge Familien mit dem<br />

Ziel gefördert haben, Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu<br />

schaffen. In den Jahren 1995 bis 2000 haben wir landesweit<br />

740 Millionen DM an Fördermitteln zur Verfügung<br />

gestellt und damit ein Investitionsvolumen <strong>von</strong> 5 Milliarden<br />

DM angestoßen<br />

(Abg. Birzele SPD: Sie haben die zur Verfügung<br />

gestellt? Da schau her! Der <strong>Landtag</strong> hat die zur<br />

Verfügung gestellt!)<br />

und gleichzeitig 10 000 Arbeitsplätze geschaffen.<br />

Über die Ziel-5-b-Förderung haben wir 150 Millionen DM<br />

in Brüssel abrufen können. Über die Ziel-2-Gebiete können<br />

wir künftig, bis zum Jahr 2006, zusätzlich 111 Millionen<br />

DM für die Strukturförderung der ländlichen Räume<br />

abrufen.<br />

Der Schwerpunkt in der kommenden Legislaturperiode,<br />

meine Damen und Herren, ist für mich ein neuer Weg.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Ich glaube,<br />

dass Sie da keine Schwerpunkte mehr haben,<br />

Frau Ministerin!)<br />

Zum einen geht es um die Nutzung alter Bausubstanz, die<br />

Nutzung <strong>von</strong> Ökonomiegebäuden in unseren Dorfstrukturen.<br />

Ich denke, dass wir damit auch den Zielen der Agenda<br />

21 entgegenkommen können. Immerhin verbrauchen<br />

wir in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> derzeit 11 Hektar Fläche pro<br />

Tag, die neu in Anspruch genommen wird. Hier will ich<br />

ein Zeichen setzen, damit vorhandene Bausubstanz genutzt<br />

werden kann. In leer stehenden Ökonomiegebäuden kann<br />

zum Beispiel für Handwerksbetriebe Platz gemacht werden.<br />

In diesem Sinne können wir künftig einen neuen, einen<br />

anderen Weg gehen, gemeinsam mit dem Mittelstand,<br />

mit Handwerk und Gewerbe.<br />

Anscheinend haben Sie bis heute noch nicht festgestellt,<br />

dass ich eine Bauernhofbörse eröffnet habe, die sehr gut<br />

ankommt und landesweit sehr gut angenommen wird. Auch<br />

sie wird dem Ziel, das ich eben angesprochen habe, gerecht.<br />

98 % aller Betriebe in unserem Land haben weniger als<br />

50 Beschäftigte. Rund zwei Drittel aller Arbeitsplätze und<br />

vier Fünftel aller Ausbildungsplätze werden <strong>von</strong> mittelständischen<br />

Unternehmen bereitgestellt. Diese finden wir<br />

insbesondere im ländlichen Raum. Ich denke, dies ist die<br />

Kombination, die unseren ländlichen Raum in unserem<br />

Land <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> so aktiv und so attraktiv macht<br />

und die auch landwirtschaftliches und außerlandwirtschaftliches<br />

Einkommen ermöglicht. Mir ist der Nebenerwerbslandwirt,<br />

der nach Feierabend mit seinem Traktor noch die<br />

Landschaft pflegt und noch ein klein wenig dazuverdienen<br />

kann, auf jeden Fall so lieb wie derjenige, der nach Feierabend<br />

den Golfplatz und den Tennisplatz aufsucht. Ich<br />

denke, dass dies eine wichtige Investition in unserem ländlichen<br />

Raum bedeutet.<br />

(Beifall bei der CDU)<br />

Wir richten unsere Politik, meine Damen und Herren, an<br />

den Stärken aus.<br />

(Abg. Teßmer SPD: Dann fangen Sie mal an!)<br />

Wir haben in den vergangenen viereinhalb Jahren Stärken<br />

gestärkt und Schwächen geschwächt. Pessimisten wie Sie<br />

haben die Welt natürlich noch nie verändert und schon gar<br />

nicht verbessert.<br />

(Beifall bei der CDU – Abg. Teßmer SPD: Wir<br />

sind keine Pessimisten!)<br />

Wir können uns auch auf ein tragfähiges Sozialgefüge der<br />

Menschen im ländlichen Raum verlassen. Heimat- und regionale<br />

Verbundenheit tragen mit dazu bei, dass wir einen<br />

zukunftsorientierten ländlichen Raum haben. Wir haben<br />

mutige und mitdenkende Menschen, wie wir sie im ländlichen<br />

Raum schon immer vorgefunden haben. Damit geht<br />

es im ländlichen Raum in unserem Land <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

vorwärts.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)<br />

Präsident Straub: Meine Damen und Herren, es liegen<br />

keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Große Anfrage ist<br />

damit erledigt.<br />

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:<br />

Aktuelle Debatte – Die negativen wirtschaftspolitischen<br />

Auswirkungen des geplanten Betriebsverfassungsgesetzes<br />

auf den Mittelstand, das Handwerk und die freien<br />

Berufe in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – beantragt <strong>von</strong> der<br />

Fraktion der FDP/DVP<br />

Es gelten die üblichen Redezeiten: 50 Minuten Gesamtdauer,<br />

worauf die Redezeit der Regierung nicht angerechnet<br />

wird, fünf Minuten für die Redner in der ersten Runde und<br />

fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.<br />

Ich darf darauf hinweisen, dass nach der Geschäftsordnung<br />

die Aktuelle Debatte in freier Rede zu führen ist.<br />

Das Wort erteile ich Frau Abg. Fauser.<br />

Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Sehr geehrter Herr Präsident,<br />

sehr geehrte Damen und Herren! Die Bürokratie in<br />

unserem Land wächst exponentiell, seit die rot-grüne Regierung<br />

in Berlin an der Macht ist.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg.<br />

Hofer FDP/DVP: Sehr gut! – Widerspruch bei der<br />

SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg.<br />

Walter Bündnis 90/Die Grünen: Jesses Maria!)<br />

Der Mittelstand im Würgegriff der Politiker, anders kann<br />

man dies nicht ausdrücken.<br />

7993


(Beate Fauser)<br />

7994<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Deswegen<br />

haben die Grünen den Mittelstandspreis bekommen!<br />

Keine Ahnung!)<br />

Ich überlege mir derzeit, ob bei den 8 Millionen DM Wahlkampfhilfe<br />

der Gewerkschaften an die SPD das neue Betriebsverfassungsgesetz<br />

bereits eingeschlossen war.<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Freie Rede<br />

bei der Aktuellen Debatte!)<br />

Meine Damen und Herren, statt mehr Flexibilität mehr Reglementierung,<br />

mehr Kosten, eine Verlangsamung der Arbeitsabläufe.<br />

Man könnte sagen: Denn sie wissen nicht,<br />

was sie tun.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)<br />

Aber man hat ja SPD und Grüne nicht gewählt, weil sie<br />

<strong>von</strong> der Wirtschaft eine Ahnung haben. Es besteht nur die<br />

Gefahr, dass unsere armen Bürger ausbaden müssen, was<br />

hier angerichtet wird.<br />

(Abg. Nagel SPD: Mir kommen gleich die Tränen!)<br />

Sie wissen, in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> haben wir 55 000<br />

Selbstständige, Unternehmen, Handwerker, die in den<br />

nächsten Jahren ihren Betrieb weitergeben wollen. Ich<br />

möchte Sie fragen, wer eigentlich noch Lust hat, in diesem<br />

Land der Reglementierung ein Unternehmen zu übernehmen.<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Wer hat<br />

denn die Rede geschrieben? Freie Rede in der Aktuellen<br />

Debatte!)<br />

Es ist im Grunde genommen schon ein gutes Zeichen, dass<br />

Wirtschaftsminister Müller betont, dass dieses neue Betriebsverfassungsgesetz<br />

Kosten verursache, dass es teuer<br />

und völlig überzogen sei. Aber Minister Müller scheint in<br />

Berlin nur mehr zu Dekorationszwecken zu fungieren.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Bis auf weiteres!)<br />

Ich habe manchmal den Eindruck, er sitzt in Berlin seine<br />

Rente ab und hofft, dass er damit irgendwie da<strong>von</strong>kommt.<br />

Er ist nicht einmal mehr ein Feigenblatt in Ihrer Regierung.<br />

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Entweder er macht zu<br />

viel Bürokratie, oder er macht nichts! Was jetzt?)<br />

Meine Damen und Herren, ein Selbstständiger, ein Unternehmer<br />

darf in Zukunft fast nur noch darüber bestimmen,<br />

wie er sein Kapital einsetzt. Wie es nachher ausgegeben<br />

wird, darüber bestimmt dann der Betriebsrat.<br />

Es ist eine ungeheuerliche Tatsache, dass in Zukunft bereits<br />

bei Unternehmen mit fünf Mitarbeitern – das heißt<br />

keineswegs Vollzeitmitarbeiter, sondern es können auch<br />

Leasingmitarbeiter sein, die länger als ein Vierteljahr in<br />

dem Betrieb arbeiten, es können auch Teilzeitmitarbeiter<br />

sein – diese Personen darüber bestimmen können, wie Investitionsabläufe<br />

gestaltet werden.<br />

Das Handwerk schätzt eine Kostenbelastung <strong>von</strong> 4,4 Milliarden<br />

DM,<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Hört, hört!)<br />

die auf die Unternehmen und die Selbstständigen zukommt.<br />

Die Bürokratiekosten pro Unternehmen, pro Arbeitnehmer<br />

und pro Jahr betragen derzeit 4 000 DM, und<br />

diese sind im Steigen begriffen.<br />

Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, sind Betriebsräte<br />

unkündbar, und bei fünf Mitarbeitern sind dann zwei<br />

Betriebsräte unkündbar.<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Das ist wie<br />

bei der FDP, dass jeder ein Pöstchen hat!)<br />

Das ist also eine bedeutende Erweiterung des Kündigungsschutzes.<br />

(Zuruf)<br />

– Herr Nagel, Sie sollten es nachher einmal durchlesen.<br />

Meine Damen und Herren, ich zitiere:<br />

Nach dem Entwurf soll in Betrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern<br />

der Betriebsrat in einer Wahlversammlung<br />

gewählt werden können. Die Wahlvorschläge können<br />

auf dieser Versammlung auf Zuruf erfolgen. Zudem<br />

soll der Wahlvorstand, der die Betriebsratswahl vorbereiten<br />

und organisieren soll, in betriebsratslosen Betrieben<br />

ebenfalls erst in dieser Wahlversammlung gewählt<br />

werden.<br />

(Glocke des Präsidenten)<br />

Präsident Straub: Frau Abg. Fauser, gestatten Sie eine<br />

Zwischenfrage des Herrn Abg. Haas?<br />

Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Nein.<br />

Die Briefwahl ist bei solchen Wahlen ausgeschlossen.<br />

Meine Damen und Herren, es ist ein Gesetz, das über die<br />

Köpfe auch der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen hinweggeht.<br />

Im Grunde genommen wird die Vernunft im<br />

Zweifel ausgeschlossen.<br />

Die Erhöhung der Zahl der Betriebsräte ab 101 Mitarbeitern<br />

bzw. die Erhöhung der Zahl der Betriebsräte bei 101<br />

Mitarbeitern auf sieben statt bisher fünf Betriebsräte verursacht<br />

einen erheblichen weiteren Kostenschub, da diese<br />

Betriebsräte Freistellungen in Anspruch nehmen können.<br />

Wie gesagt: Ein Betrieb, der viele Teilzeitarbeiter hat, ist<br />

schnell in diesem Bereich <strong>von</strong> 100 Mitarbeitern.<br />

Der Entwurf sieht darüber hinaus massiv erweiterte Mitwirkungs-,<br />

Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte vor,<br />

die Mitbestimmung bei der Änderung <strong>von</strong> Arbeitsplätzen,<br />

<strong>von</strong> Arbeitsabläufen und Arbeitsumgebungen. Was bisher<br />

ein korrigierendes Mittel war, wird nun ein massiver Eingriff.<br />

Er verlangsamt Arbeitsprozesse, und man kann sich<br />

nur wundern, wer auf solche Ideen überhaupt kommt.<br />

Eine besondere Belastung stellt auch der § 89 Abs. 1 dar.<br />

Dort wird der Arbeitgeber verpflichtet – ich zitiere –, „den<br />

Betriebsrat bei allen im Zusammenhang mit dem betrieblichen<br />

Umweltschutz stehenden Maßnahmen hinzuzuzie-


(Beate Fauser)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

hen.“ Welche Auswirkungen hat dies im Falle einer geänderten<br />

Produktionsmaßnahme?<br />

Überdies sollen auch Umweltfragen zu den wirtschaftlichen<br />

Angelegenheiten im Sinne <strong>von</strong> § 106 gerechnet werden,<br />

die vom Wirtschaftsausschuss mit dem Unternehmer<br />

beraten werden.<br />

Meine Damen und Herren, die Investitionen hier in der<br />

Bundesrepublik werden zurückgehen. Darauf dürfen Sie<br />

wetten.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der<br />

CDU)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kurz.<br />

(Abg. Nagel SPD: Der Chef <strong>von</strong> den Sozialausschüssen!<br />

Die haben alle Redeverbot!)<br />

Abg. Kurz CDU: Herr Präsident, verehrte Kolleginnen<br />

und Kollegen! Das Betriebsverfassungsgesetz hat sich meines<br />

Erachtens in den letzten 30 Jahren auch bewährt.<br />

(Minister Dr. Repnik: Das hört sich einmal gut<br />

an!)<br />

Auch das soll man in dieser Runde sagen. Es hat den ehrlichen<br />

Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit zur<br />

Grundlage.<br />

Die Mitbestimmung wurde im Montanbereich unter Adenauer<br />

entworfen und später am 15. Januar 1971 als wesentliche<br />

Essenz des Betriebsverfassungsgesetzes für die gesamte<br />

Wirtschaft verbindlich. Wenngleich <strong>von</strong> einer sozialliberalen<br />

Koalition eingeführt, ist dieses Gesetzeswerk als<br />

ein tragendes Element unserer gesellschaftlichen Ordnung<br />

heute rundum <strong>von</strong> der CDU akzeptiert.<br />

In der Zwischenzeit hat sich viel verändert. Diesen Veränderungen<br />

muss auch Rechnung getragen werden. Nur<br />

bleibt sicherlich die Frage, mit welcher Zielsetzung das geschehen<br />

soll.<br />

Nachdem sich die Arbeitswelt total verändert hat, wäre die<br />

eigentliche und die richtige Zielsetzung einer Novellierung<br />

des Betriebsverfassungsgesetzes, Arbeitsplätze zu sichern,<br />

zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen, junge Unternehmer<br />

und Existenzgründer zu motivieren und vor allem Investoren<br />

in die Bundesrepublik zu locken.<br />

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser<br />

FDP/DVP)<br />

Doch <strong>von</strong> solchen Zielsetzungen ist dieser Entwurf meilenweit<br />

entfernt.<br />

Mehr Betriebsratsposten, mehr Freistellungen, mehr Ausschüsse,<br />

auch über die Betriebsgrenzen hinaus mehr Bürokratie,<br />

eine Erstarrung in alten Strukturen – das kann nicht<br />

der Anreiz sein. Vor allem dient das nicht den Interessen<br />

der Arbeitnehmer, auch nicht den mittelständischen Betrieben.<br />

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg.<br />

Hofer FDP/DVP: So ist es!)<br />

Mit ganz großer Sorge erfüllt mich die vorgesehene Ausweitung<br />

der Rechte des Betriebsrats in die Kleinbetriebe<br />

mit weniger als 20 Mitarbeitern hinein.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Unglaublich! –<br />

Abg. Rosely Schweizer CDU: Ein Wahnsinn!)<br />

Die Inhaber solcher Betriebe, die mit ihrem Kapital voll im<br />

Risiko stehen, sollen in ihren Entscheidungskompetenzen<br />

weitgehend entmündigt werden. Mitspracherecht und damit<br />

zwangsläufig verbundene Entscheidungsverzögerungen bei<br />

normalen Arbeitsabläufen, Qualifizierung, Gruppenarbeit<br />

und Umweltschutz überfordern kleine und mittlere Betriebe,<br />

weil die personellen und sachlichen Ressourcen nicht<br />

vorhanden sind. Es werden unlösbare Probleme entstehen.<br />

Meine Damen und Herren, was heute Umweltschutz bedeutet,<br />

ist definiert. Selbst die Anschaffung eines Pkw<br />

kann unter diesem Aspekt des betrieblichen Umweltschutzes<br />

gesehen werden.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Logisch!)<br />

Damit haben wir auch in den kleinen Unternehmen eine totale<br />

Mitbestimmung.<br />

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

Hinzu kommt noch die Auflösung des Begriffs „Unternehmen<br />

und Betriebsstätte“. Das wird vereinheitlicht. Damit<br />

haben wir für jede Betriebsstätte mit drei Arbeitnehmern<br />

bereits einen Anspruch auf eine Vertretung entsprechend<br />

dem Betriebsverfassungsgesetz.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Kleiner als eine Skatrunde!)<br />

– Richtig! – Wo kommen wir da eigentlich hin?<br />

(Abg. Nagel SPD: Nach vorne!)<br />

Meine Damen und Herren, die materielle Grundlage der<br />

Betriebsverfassung muss ein an dem Organisations- und<br />

Leistungsrecht des Arbeitgebers ausgerichteter Begriff<br />

bleiben. Nicht Zwang und Regulierung, sondern Flexibilität<br />

und Eigenverantwortung der Betriebspartner sind angesagt.<br />

(Abg. Haas CDU: Das wollen die ja nicht! Der Gewerkschaftseinfluss<br />

würde ja verloren gehen!)<br />

Vorbild einer Reform in Deutschland könnte die Europäische<br />

Betriebsratsrichtlinie <strong>von</strong> 1994 sein, die eine hohe<br />

Flexibilität für die Betriebs- bzw. Sozialpartner zulässt und<br />

nur subsidiär greifende gesetzliche Mindeststandards sicherstellt.<br />

Nahezu alle Unternehmen, die nach diesem Modell einen<br />

Betriebsrat eingerichtet haben, nutzen die Möglichkeiten<br />

maßgeschneiderter und betriebsindividueller Vereinbarungen.<br />

In der Flexibilität liegt die Chance für „betriebliche Bündnisse<br />

und Standortsicherungsvereinbarungen“.<br />

Ein Punkt kommt hinzu, über den ich bitte einmal ernsthaft<br />

nachzudenken: Das bestehende Betriebsverfassungsgesetz<br />

7995


(Kurz)<br />

7996<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

hat bisher Fremdbestimmung, aber auch politische Auseinandersetzung<br />

aus den Betrieben herausgehalten.<br />

(Abg. Haas CDU: Sehr gut!)<br />

Jetzt wird eine Öffnung ermöglicht. Es kommt eine politische<br />

Auseinandersetzung in die Betriebe, und damit ist der<br />

Betriebsfrieden absolut gefährdet.<br />

Meine Damen und Herren, das, was wir uns im politischen<br />

Raum erlauben, können wir uns in den Betrieben bei Gott<br />

nicht erlauben.<br />

(Lachen der Abg. Rosely Schweizer CDU)<br />

Denn hier kommt es auf Effizienz, auf Wettbewerbsfähigkeit,<br />

auf Innovationsfähigkeit und auf Investitionsbereitschaft<br />

an.<br />

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

Diese Investitionsbereitschaft muss den kleinen Unternehmen<br />

und den mittleren Betrieben erhalten bleiben, damit<br />

Arbeitsplätze geschaffen werden. Jene Betriebsverfassung<br />

ist die allerbeste, die zur Schaffung <strong>von</strong> Arbeitsplätzen<br />

führt,<br />

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

die dafür sorgt, dass Menschen nicht auf der Straße stehen<br />

und vor Arbeit geschützt werden, sondern dass ihnen Arbeit<br />

angeboten wird.<br />

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg.<br />

List CDU: So ist es! – Abg. Rosely Schweizer<br />

CDU: Jawohl!)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Nagel.<br />

(Abg. Haas CDU: Jetzt kommt die geballte Wirtschaftskompetenz<br />

<strong>von</strong> Rot-Grün!)<br />

Abg. Nagel SPD: Herr Präsident, meine Damen und Herren!<br />

Herr Kollege Kurz, Sie haben hervorragend begonnen,<br />

nämlich mit der Feststellung, dass sich das jetzige Betriebsverfassungsgesetz<br />

30 Jahre lang bewährt hat. Aber<br />

danach haben Sie das gleiche Horrorszenario aufgezeigt,<br />

das Sie und Ihre Vorväter bereits 1972 <strong>von</strong> dem alten Betriebsverfassungsgesetz<br />

an die Wand gemalt haben.<br />

(Abg. Kurz CDU: Da war die Gewerkschaft dagegen!)<br />

In 30 Jahren werden wir uns darüber unterhalten, wie hervorragend<br />

die jetzt beabsichtigte Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes<br />

gewesen ist.<br />

(Lachen bei der CDU – Abg. Dr. Schlierer REP:<br />

Das glauben Sie ja selber nicht! – Abg. Hans-Michael<br />

Bender CDU: Da kann er das Lachen nur<br />

mühsam verbergen! – Unruhe)<br />

Was wir heute erleben, ist die Fortsetzung der letzten Plenarsitzung<br />

vom 14. Dezember,<br />

(Abg. Schmiedel SPD: So ist es! Nichts Neues!)<br />

als auf Antrag der FDP/DVP eine Aktuelle Debatte zu einem<br />

Sammelsurium <strong>von</strong> Gesetzesvorhaben der Bundesregierung<br />

geführt worden ist. Was Frau Fauser heute gesagt<br />

hat, war nicht viel Neues. Mich als Gewerkschafter und<br />

Arbeitnehmervertreter hat das, was da an Unsachlichkeit<br />

und Unkenntnis herüberkam, schon etwas geschüttelt. Aber<br />

jeder so, wie er kann.<br />

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Aufpassen!<br />

Sonst fällt das auf Sie selbst zurück!)<br />

Sie unternehmen wieder den untauglichen Versuch, auf<br />

Länderebene die erfolgreiche Regierungspolitik <strong>von</strong> Rot-<br />

Grün in Berlin zu diskreditieren.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das glauben<br />

Sie selber nicht! – Zurufe <strong>von</strong> der CDU: Oh! Oje!)<br />

Was der Wirtschaft gut tut,<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das glauben<br />

Sie selber nicht!)<br />

ist einfach eine Senkung der Steuersätze und eine Erhöhung<br />

der Freibeträge. Das gibt mehr Geld für alle, es<br />

kommt zur Entlastung der Wirtschaft, das Steuerrecht wird<br />

vereinfacht.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das hätten wir<br />

alles schon vier Jahre früher haben können! – Zuruf<br />

der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

Insbesondere haben wir für den Mittelstand Entlastungen<br />

<strong>von</strong> rund 30 Milliarden DM durchgesetzt.<br />

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

Das haben Sie in 16 Jahren nicht fertig gebracht.<br />

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bündnisses<br />

90/Die Grünen – Abg. Ingrid Blank CDU:<br />

Weil ihr blockiert habt!)<br />

Bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Zurück zur Sache!)<br />

geht es vor allem um Folgendes: Das Wahlverfahren soll<br />

vereinfacht werden, die noch vorhandenen Unterschiede<br />

bei den Gruppenwahlen <strong>von</strong> Arbeitern und Angestellten<br />

sollen abgeschafft werden,<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Gleichmacherei!)<br />

Frauen sollen entsprechend ihrem zahlenmäßigen Anteil im<br />

Betrieb am Betriebsrat beteiligt werden. Es geht darum, die<br />

Auszubildendenvertretung zu stärken, es geht um die verstärkte<br />

Freistellung <strong>von</strong> Betriebsräten,<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Es geht um die Gewerkschaft!<br />

– Gegenruf des Abg. Bebber SPD: Das ist<br />

ja nicht das Schlechteste! – Abg. Hofer FDP/DVP:<br />

Aber das soll er doch dazusagen! – Abg. Hans-Michael<br />

Bender CDU: Es geht um die Gewerkschaft!<br />

Das ist es!)


(Nagel)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

damit sie für ihre Kolleginnen und Kollegen arbeiten können,<br />

und es geht um eine Erweiterung der Vorschlags- und<br />

Beratungsrechte, zum Beispiel im Bereich des Umweltschutzes.<br />

Jetzt liegt ein Referentenentwurf vor. Sie haben vorhin<br />

Herrn Müller zitiert. Herr Müller, der Wirtschaftsminister,<br />

hat sich ja als Vermittler angeboten.<br />

(Abg. Rosely Schweizer CDU: Ein Gewerkschaftsentwurf!)<br />

Es ist keine Frage, dass dann, wenn vernünftige Vorschläge<br />

aus der Wirtschaft kommen, darüber auch verhandelt<br />

werden kann.<br />

(Zurufe <strong>von</strong> der CDU: Oje! – Abg. Rosely Schweizer<br />

CDU: Sehr gnädig!)<br />

Aber dazu müssen die Arbeitgeber erst einmal ihre Grundblockade<br />

aufgeben und sich auf Verhandlungen einlassen.<br />

Über Details wird nicht verhandelt, solange es eine Grundblockade<br />

gibt.<br />

(Beifall bei der SPD – Abg. Schmiedel SPD: Richtig!<br />

Die Blockierer da! – Abg. Birzele SPD: Neinsager!<br />

– Gegenruf des Abg. Hofer FDP/DVP –<br />

Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist ein richtiges<br />

Diktat!)<br />

Lassen Sie mich in der ersten Runde enden.<br />

(Abg. Haas CDU: Mit dem Minderheitenschutz!)<br />

Weil Sie sich so sehr als Mittelstandsbewahrer, als „Robin<br />

Hood des Mittelstands“ aufführen,<br />

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

zitiere ich einmal aus den „Stuttgarter Nachrichten“. Da<br />

geht es um die gegenseitige Zuweisung <strong>von</strong> Kompetenz<br />

zwischen CDU und FDP/DVP, und es heißt unter der<br />

Überschrift „Parteifreund Würth verhilft Döring zum Mittelstandspreis“<br />

unter anderem:<br />

Für Klaus Bregger, Landeschef der CDU-Mittelstandsvereinigung,<br />

ist die Preisverleihung am Mittwoch denn<br />

auch eine „parteipolitische Veranstaltung“. Sachliche<br />

Gründe für die Ehrung sieht er nicht.<br />

(Oh-Rufe <strong>von</strong> der SPD – Abg. Hofer FDP/DVP:<br />

Das ärgert euch schon, das glaube ich!)<br />

Darauf antwortet der Sprecher des Herrn – –<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Das ist ärgerlich für euch!)<br />

– Für uns doch nicht. Ich habe den CDU-Sprecher zitiert. –<br />

Der FDP/DVP-Sprecher gibt zurück:<br />

Die CDU hat doch, wenn es um mittelstandsfreundliche<br />

Politik ging, nur geblockt.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Also erledigen Sie einmal den Streit in Ihrer Koalition.<br />

Denn eines ist klar: Wenn jemand etwas für den Mittel-<br />

stand getan hat, waren es Rot und Grün auf der Bundesebene<br />

und nicht Sie hier im Land.<br />

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU – Abg.<br />

Hofer FDP/DVP: „Warum sind wir so gut und<br />

kriegen keinen Preis?“)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg.<br />

Dr. Hildebrandt.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Jetzt kommt eine<br />

seiner letzten Reden! Jetzt kommt das grüne<br />

Schlusslicht!)<br />

Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen: Herr Präsident,<br />

meine Damen und Herren! Das ist jetzt – ich habe<br />

nicht alles mitgezählt – die dritte, vierte oder fünfte <strong>von</strong> der<br />

FDP/DVP beantragte Aktuelle Debatte,<br />

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

an der nicht viel aktuell ist, auch wenn das Thema dies wäre.<br />

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP –<br />

Abg. Hofer FDP/DVP: Dann haben Sie es nicht<br />

begriffen! Es ist sehr aktuell!)<br />

Der Antrag auf Abhaltung dieser Aktuellen Debatte und<br />

deren Durchführung sind nicht sehr aktuell. Zumindest die<br />

Hälfte Ihrer Rede, liebe Kollegin Fauser, war die Einleitung,<br />

die Sie bei diesem Thema schon immer gehalten haben.<br />

Ich will Ihnen dazu etwas sagen: Sie versuchen hier<br />

im <strong>Landtag</strong> vom Land her, in dem Sie in der Regierung<br />

sind, die Oppositionspolitik in Berlin zu formulieren und<br />

zu verbessern. Das ist Ihnen aber im Wesentlichen nicht<br />

gelungen und hält Sie, glaube ich, nur da<strong>von</strong> ab, eine ordentliche<br />

Landespolitik zu formulieren.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Ach nee! – Zuruf<br />

der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

Ich weise Sie darauf hin: Ich las heute in der Zeitung,<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Ich habe noch gar keine<br />

Zeit gehabt, Zeitung zu lesen!)<br />

dass die CDU und die Opposition in Berlin <strong>von</strong> Wirtschaftskreisen<br />

zurzeit als „nicht regierungsfähig“ eingestuft<br />

werden.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Da ist was dran! – Zuruf<br />

der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

Und irgendwie scheint mir die Art und Weise, in der Sie<br />

diese Themen hier wenig aktuell einbringen, mit dieser Fähigkeit<br />

oder Nichtfähigkeit zu tun zu haben.<br />

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Pure Polemik! –<br />

Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)<br />

1972 – Kollege Nagel hat darauf hingewiesen – ist die Reform<br />

des Betriebsverfassungsgesetzes unter heftigen Diskussionen<br />

und Auseinandersetzungen in die Wege geleitet<br />

worden. Wir können nach dieser Zeit zusammen mit dem<br />

Kollegen Kurz feststellen, dass es eine Erfolgsgeschichte<br />

dieses Mitbestimmungsmodells gibt.<br />

7997


(Dr. Hildebrandt)<br />

7998<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg.<br />

Hans-Michael Bender CDU: Richtig! – Abg. Hofer<br />

FDP/DVP: Lasst es doch bei dem Erfolg!)<br />

Es stimmt auch einfach nicht, dass die Mitbestimmung in<br />

Deutschland Investoren abhalte und Investitionen verhindere,<br />

und es stimmt auch einfach nicht, dass sie nur Kosten<br />

verursache.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Richtig! – Abg. Hans-Michael<br />

Bender CDU: Wenn sie übertrieben wird,<br />

schon!)<br />

Niemand, der ein Unternehmen führt, würde zum Beispiel<br />

die Fragen danach, dass er für das Marketing bezahlt und<br />

etwas für die Corporate Identity seines Unternehmens tut,<br />

unter dem Kostengesichtspunkt diskutieren<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Richtig! – Zuruf der Abg.<br />

Beate Fauser FDP/DVP)<br />

oder allein oder vordergründig sehen, nur weil er den Erfolg,<br />

den er mit dieser Tätigkeit hat, nicht unmittelbar monetarisieren<br />

kann.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Das bestreitet ja niemand!<br />

– Abg. Rosely Schweizer CDU: Natürlich sind das<br />

Kosten!)<br />

Ich kann Ihnen einige Untersuchungsinstitute nennen, die<br />

sehr wohl in der Lage wären, das zu monetarisieren, was<br />

die Mitbestimmung und die Zusammenarbeit – gleichberechtigte<br />

Zusammenarbeit fordern die Gewerkschaften;<br />

„vertrauensvolle Zusammenarbeit“ lautet noch die Formulierung<br />

dieses Gesetzes – im Betrieb für ein Vorteil des<br />

Unternehmensstandorts Deutschland sind.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Was stört Sie dann an dem<br />

Gesetz, wenn es so gut ist?)<br />

Das Gesetz selbst ist – und das ist die Frage, die die Handlungsfähigkeit<br />

der Regierung ausmacht – um einiges <strong>von</strong><br />

dem entfernt, was die Gewerkschaften seit Jahr und Tag<br />

dazu fordern.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Richtig!)<br />

Unumstritten ist, dass es eine Novellierung dieses Gesetzes<br />

geben muss. Warum muss es sie geben? Erstens haben wir<br />

immer mehr betriebsratsfreie Bereiche in unseren Unternehmen,<br />

deren Zahl weiter zunimmt.<br />

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das ist ja<br />

fürchterlich! – Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Weltuntergang!<br />

– Abg. Hofer FDP/DVP: Und wen stört<br />

es? – Zuruf der Abg. Rosely Schweizer CDU)<br />

– Frau Kollegin, nachdem Sie „Gott sei Dank“ sagen: Ich<br />

habe zum Beispiel gerade bei uns in der Region sowohl die<br />

Auseinandersetzung mit der Firma Schlecker als auch mit<br />

der Firma Media-Markt mitgemacht,<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Sehr ehrlich!)<br />

wo sich zeigte, wie schwierig es für die Beschäftigten in<br />

solchen Unternehmen ist, überhaupt nur einen Betriebsrat<br />

zu installieren. Dabei geht es noch gar nicht einmal darum,<br />

was der Betriebsrat dort eigentlich machen kann.<br />

(Abg. Rosely Schweizer CDU: Warum wollen Sie<br />

ihn installieren?)<br />

Ich denke, dass gerade die Beschäftigten in solchen Unternehmen<br />

wie Schlecker oder Media-Markt allein deshalb<br />

dringend eine eigene Vertretung brauchen,<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Bei 20 Mitarbeitern!)<br />

um die ihnen vom Gesetz garantierten Rechte im Betrieb<br />

durchzusetzen.<br />

Zweitens haben sich in den letzten 30 Jahren die Betriebsformen<br />

und die Unternehmensformen gewandelt.<br />

(Abg. Rosely Schweizer CDU: Oh Gott!)<br />

Die Situationen fallen immer mehr auseinander: Dort, wo<br />

Betriebsräte existieren und mitreden sollen, fallen häufig<br />

keine Entscheidungen mehr, und dort, wo die Entscheidungen<br />

in den Unternehmen fallen, bestehen häufig keine Betriebsräte<br />

mehr. Das Gesetz schlägt nun vor, dies relativ<br />

flexibel und locker zu organisieren, nämlich Möglichkeiten<br />

zu eröffnen – nicht für jeden einzelnen Fall vorzuschreiben<br />

–, wie das zwischen den Tarifpartnern, zwischen Betriebsvertretung<br />

und Unternehmen im Einzelfall geregelt werden<br />

kann. Das erfordert bestimmte Übergangsregelungen für<br />

den Fall, dass es zu Betriebsteilungen und Betriebsübernahmen<br />

kommt. Das ist eine unmittelbare Reaktion auf die<br />

Entwicklung der letzten 30 Jahre, die nötig ist.<br />

Das Nächste ist: Die Betriebe werden im Durchschnitt<br />

doch immer kleiner. Also ist es sinnvoll, dort entsprechende<br />

Vertretungen einzurichten.<br />

Lassen Sie mich jetzt etwas zum Mittelstand sagen. Sie haben<br />

hier Kosten ausgerechnet. Das, was Sie hier vorgetragen<br />

haben, hält aber den Grundrechenarten nicht stand. Es<br />

hält auch der Realität in den Betrieben nicht stand. Zum<br />

Beispiel bedeutet die Vereinfachung des Wahlverfahrens<br />

unter Umständen auch eine erhebliche Kostenentlastung.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Wo du keinen Betriebsrat<br />

hast, nützt dir die Vereinfachung gar nichts!)<br />

Unter dem Gesichtspunkt der Kosten verstehe ich überhaupt<br />

nicht, warum Teile der Unternehmerverbände sich so<br />

dagegen wehren. Von daher ist die <strong>von</strong> Ihnen hier vorgetragene<br />

Kostenbelastung wirklich aus dem Reich der Fantasie.<br />

Hinzu kommt, dass die Betriebsratsarbeit in der letzten Zeit<br />

auch durch die Wahlmöglichkeit zwischen Berufstätigkeit<br />

und Freistellung gelitten hat. Die Möglichkeit der Teilzeitstellung,<br />

die Möglichkeiten, Arbeit auf mehrere Schultern<br />

zu verteilen, auch die Möglichkeit, Rat <strong>von</strong> außen zu holen,<br />

stärken die Betriebsratsarbeit und machen sie effizienter.<br />

Das alles sind Argumente.<br />

Ich habe jetzt noch nicht einmal versucht, aus Sicht der Interessen<br />

der Belegschaft und der Arbeitnehmer zu argumentieren.<br />

Ich habe nur versucht, Ihnen klar zu machen,


(Dr. Hildebrandt)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

welche Verbesserungen auch in der Effizienz der Betriebsratsarbeit<br />

durch die neue Gesetzesnovelle eintreten sollen.<br />

Wenn Sie auf diese Ebene der Diskussion kommen und<br />

wenn auch die Unternehmerverbände auf diese Ebene der<br />

Diskussion kommen, werden Sie in die Debatte um die<br />

Ausformulierung des Gesetzes einbezogen werden, die ja<br />

noch ansteht, weil wir erst einen Referentenentwurf haben.<br />

Dann wären Sie dabei, wenn Verbesserungsmöglichkeiten<br />

diskutiert werden.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Nachbessern!)<br />

Wenn Sie aber nur in der ideologisch begründeten Opposition<br />

weitermachen, dann wird es zwischen Ihnen und uns<br />

nicht zu einer sachlichen Reformarbeit kommen.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf des<br />

Abg. Hofer FDP/DVP)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg.<br />

Deuschle.<br />

Abg. Deuschle REP: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Auch ich habe mir Gedanken darüber gemacht,<br />

warum die FDP/DVP-Fraktion heute im Grunde genau die<br />

gleiche Debatte führt wie vor sechs Wochen zur Deregulierung.<br />

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

Es könnte zwei Gründe geben: Entweder Ihnen fällt wirklich<br />

nichts ein, oder Sie wollen Ihrem Wirtschaftsminister<br />

hier in aller Öffentlichkeit eine neue Profilierungschance<br />

geben. Frau Fauser, sagen Sie es genau so; dann sind Sie<br />

wenigstens ehrlich.<br />

(Abg. Bebber SPD: Hat er das nötig? – Gegenruf<br />

der Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Nein!)<br />

– Auch ich frage mich natürlich, ob er das nötig hat; das ist<br />

die richtige Frage.<br />

Ich möchte aber hier ganz deutlich unsere Position, die Position<br />

der Republikaner, darlegen.<br />

Erstens: Die gesetzliche Mitbestimmung in der bisherigen<br />

Form hat sich in Deutschland bewährt. Es hat vor allem in<br />

Großbetrieben einen wichtigen, einen notwendigen Ausgleich<br />

zwischen den Interessen der Kapitalseite und denen<br />

der Arbeitnehmerseite gegeben, und das muss an dieser<br />

Stelle gesagt werden. In diesem Sinne ist die bisher praktizierte<br />

Mitbestimmung auch kein Standortnachteil. Auch<br />

das muss einmal ganz deutlich gesagt werden. Sie hat sehr<br />

zum sozialen Frieden in Deutschland und auch zur Produktivität<br />

beigetragen.<br />

Die These – und ich habe das aus den Redebeiträgen sowohl<br />

<strong>von</strong> Herrn Kurz als auch <strong>von</strong> Frau Fauser herausgehört<br />

–, dass das bestehende Betriebsverfassungsgesetz auch<br />

wegen der Auswirkungen der Globalisierung nicht mehr<br />

hier in die Landschaft passe – und das ist ja in der Argumentation<br />

durchgeschimmert – und dass deswegen auch<br />

Arbeitnehmerrechte – nicht Gewerkschaftsrechte, sondern<br />

Arbeitnehmerrechte – zurückgedreht werden müssten, lehnen<br />

wir Republikaner ab. Ich sage auch ganz deutlich: Mit<br />

uns Republikanern gibt es keine Rückkehr zum Manchester-Kapitalismus.<br />

Das sagen wir ganz eindeutig.<br />

(Beifall bei den Republikanern – Lachen bei Abgeordneten<br />

der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des<br />

Abg. Hofer FDP/DVP)<br />

Genauso eindeutig, meine Damen und Herren, sagen wir:<br />

Eine Weiterentwicklung des Betriebsverfassungsgesetzes<br />

über das Bisherige hinaus lehnen wir entschieden ab, Herr<br />

Kollege, weil diese Weiterentwicklung nicht sachgerecht<br />

wäre.<br />

Hier geht es um eine ganz interessante Frage, nämlich um<br />

die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmerrechten und<br />

Gewerkschaftsinteressen. Das möchte ich an drei Punkten<br />

hier schon einmal klar machen.<br />

Erster Punkt: Die bisherige Trennung im Betriebsrat zwischen<br />

Arbeitern und Angestellten soll aufgehoben werden.<br />

Jetzt ist es natürlich so: Die Gewerkschaften haben ein Mobilisierungsproblem<br />

bei den Angestellten in den Großbetrieben.<br />

Im Arbeiterbereich ist es nicht so. Doch statt dass<br />

die Gewerkschaften jetzt eine positive Politik machen und<br />

auch die Interessen der Angestellten in ihre Strategie einbeziehen,<br />

läuft es so, dass durch das neue Gesetz die Interessen<br />

der Angestellten untergebuttert werden. Das ist ein<br />

echtes Problem.<br />

(Beifall des Abg. Krisch REP)<br />

In den Großbetrieben gibt es zum Teil Angestelltenlisten,<br />

auch der IG Metall, die Probleme haben, dort Mehrheiten<br />

zu bekommen. Sie wollen sich durch das Gesetz die Mehrheiten,<br />

die Sie durch demokratische Abstimmung nicht bekommen,<br />

schaffen, und das ist ein entscheidender demokratietheoretischer<br />

Kritikpunkt, den wir hier auch sehen<br />

müssen.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Ein zweiter Punkt: Was soll eigentlich das geplante Initiativrecht<br />

des Betriebsrats zur Beschäftigungssicherung?<br />

Was soll das praktisch bringen? Wie wollen Sie dadurch<br />

die Investitionen in- und ausländischer Unternehmer anregen?<br />

Das schaffen Sie doch nicht. In diesem Punkt wird<br />

dieser Gesetzentwurf zu einem Beschäftigungsverhinderungsprogramm,<br />

meine Damen und Herren.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Nichts anderes hat Frau<br />

Fauser gesagt!)<br />

Das werden Sie bei den künftigen Wahlen dann auch zur<br />

Kenntnis nehmen müssen.<br />

Dritter Punkt: Was soll eigentlich die Einbeziehung so genannter<br />

sachkundiger Arbeitnehmer in die Arbeit des Betriebsrats?<br />

Wer definiert denn, wer sachkundig ist?<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Viel wichtiger ist, wer keine<br />

Sachkunde hat!)<br />

Ich sage Ihnen, was Sie wollen: Sie wollen den Einfluss<br />

der Gewerkschaftszentralen auf die Betriebe verstärken.<br />

Das ist der entscheidende Punkt.<br />

7999


(Deuschle)<br />

8000<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner –<br />

Abg. Hans-Michael Bender CDU: Aha! Jetzt<br />

kommts raus!)<br />

Sie wollen nicht die Betriebsratsarbeit vor Ort unterstützen,<br />

sondern Sie wollen Ihre IG-Metall-Leute unterbringen, und<br />

die machen dann nicht eine betriebsorientierte Politik, sondern<br />

eine <strong>von</strong> der Zentrale gesteuerte Politik. Genau das ist<br />

der entscheidende Punkt.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)<br />

Vierter Punkt: Sie wollen den Betriebsrat stärker politisieren,<br />

indem Sie im Gesetzentwurf die Möglichkeiten des<br />

Betriebsrats, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit<br />

vorzugehen, verbessern.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist das allgemein-politische<br />

Mandat des Betriebsrats!)<br />

Jetzt frage ich: Wer definiert das im Betrieb? Wenn es zu<br />

Straftaten kommt, ist das doch Sache der Polizei oder die<br />

Aufgabe unabhängiger Gerichte. Ich sage Ihnen, was Sie<br />

wollen: Sie wollen eine Ideologisierung der Betriebe, Sie<br />

wollen Gesinnungsschnüffelei in den Betrieben.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner –<br />

Abg. Bebber SPD: Dummes Zeug! Die Arbeitgeber<br />

haben doch schon beschlossen, dass sie das<br />

machen wollen! Da gibt es eine gemeinsame Vorgehensweise<br />

zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern!)<br />

Da sage ich Ihnen, meine Damen und Herren <strong>von</strong> Rot-<br />

Grün: Wir brauchen keine selbst ernannten Gutmenschen<br />

in den Betrieben. Wir brauchen auch keine Blockwarte der<br />

politischen Korrektheit in den Betrieben. Das brauchen wir<br />

nicht.<br />

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Schmiedel<br />

SPD: Unglaublich, die Betriebsräte als Blockwarte<br />

zu bezeichnen!)<br />

Wir brauchen Betriebe, die Arbeitsplätze zur Verfügung<br />

stellen.<br />

(Zuruf des Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die<br />

Grünen)<br />

Wir brauchen Unternehmer, die investieren. Wir brauchen<br />

Betriebsräte, die kooperativ sind.<br />

(Abg. Wieser CDU: Und die Menschenwürde im<br />

Betrieb!)<br />

– Wir brauchen die Menschenwürde, genau. Aber gerade<br />

wegen der Menschenwürde, Herr Kollege Wieser, brauchen<br />

wir keine Gesinnungsschnüffelei. Das sind wir unserem<br />

Land und unseren Betrieben schuldig.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Wirtschaftsminister<br />

Dr. Döring.<br />

Wirtschaftsminister Dr. Döring: Herr Präsident, meine<br />

sehr geehrten Damen und Herren! Es war schon ein Stück<br />

weit entlarvend, dass der Kollege Hildebrandt mit den<br />

„klassischen Mittelständlern“ Media-Markt und Schlecker<br />

argumentiert hat. Das war schon bezeichnend.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Ja, das hat mich auch gewundert!<br />

Alle Achtung! – Abg. Dr. Hildebrandt<br />

Bündnis 90/Die Grünen: Was wollen Sie denn entlarven?)<br />

Herr Nagel hat den Grund für diese Debatte angesprochen.<br />

Ich finde es in Ordnung, Herr Nagel, wenn man sich, bevor<br />

etwas Gesetz wird, mit einem Entwurf auseinander setzt,<br />

um klar und deutlich aufzuzeigen, an welchen Stellen man<br />

eine abweichende Meinung hat, um vielleicht auch noch<br />

darauf Einfluss zu nehmen, damit das Schlimmste verhindert<br />

wird und Sie die schlimmsten Zeilen aus diesem Entwurf<br />

herausnehmen.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der<br />

CDU – Abg. Haas CDU: Da müsst ihr aber viel<br />

herausnehmen! Wenn ihr das Schlimmste herausnehmen<br />

wollt, dann ist nichts mehr drin!)<br />

Von daher hat die Debatte schon eine Begründung.<br />

Verehrter Herr Kollege Nagel, Sie haben sich heute sehr<br />

mittelstandsfreundlich gegeben. Aber Sie <strong>von</strong> Rot-Grün<br />

sind so ungeheuer „mittelstandsfreundlich“, dass Sie die<br />

Personengesellschaften gegenüber den anonymen Kapitalgesellschaften<br />

klar benachteiligen. Das ist Ihre Mittelstandspolitik.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/<br />

DVP – Abg. Schmiedel SPD: Wenn man es nicht<br />

besser wüsste! – Abg. Hofer FDP/DVP: Da ist der<br />

Organisationsgrad geringer!)<br />

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist doch gar<br />

keine Frage – und Sie werden aus den Reihen der FDP<br />

auch niemanden hören, der dies nicht anerkennt –, dass<br />

sich die bisherigen Regelungen bewährt haben.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Eben! Darum wollen wir<br />

sie behalten!)<br />

Sie beinhalten einen ausgewogenen Ausgleich zwischen<br />

den Interessen der Unternehmen und denen der Belegschaft.<br />

Aber was jetzt kommt, ist eben kein Interessenausgleich<br />

mehr, sondern das ist eindeutig eine einseitige Bevorzugung<br />

der Gewerkschaften und der Gewerkschaftsvertreter.<br />

Den Arbeitnehmern werden mehr Rechte eingeräumt, und<br />

die Arbeitgeber bekommen mehr Pflichten und zusätzliche<br />

Kosten. Das ist es, wogegen wir uns wehren. Der bewährte<br />

Interessenausgleich wird einseitig zulasten der Arbeitgeber<br />

und der Betriebe, vor allen Dingen der kleinen und mittleren,<br />

und der Freiberufler verändert. Das ist es, wogegen<br />

wir antreten, meine Damen und Herren.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Rosely<br />

Schweizer CDU – Abg. Hans-Michael Bender<br />

CDU: So ist es!)<br />

Das ist eine völlig normale Auseinandersetzung. Nach unserer<br />

Überzeugung ist das, was Sie im Entwurf vorgelegt


(Minister Dr. Döring)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

haben, dezidiert ganz besonders mittelstandsfeindlich, meine<br />

Damen und Herren.<br />

(Abg. Hofer FDP/DVP: Bewusst!)<br />

Sie müssen sich auch deutlich sagen lassen, dass Ihre Vorstellungen<br />

in eine grundsätzlich falsche Richtung gehen.<br />

Sie gehen im Übrigen auch <strong>von</strong> einem etwas merkwürdigen<br />

Menschenbild aus. Das unsrige ist auf Partnerschaft<br />

ausgerichtet und auf vernünftige Lösungen, um mit denjenigen,<br />

die ein gemeinsames Ziel haben, nämlich eine Firma<br />

voranzubringen, Arbeits- und Ausbildungsplätze zu sichern.<br />

Das geschieht in den allermeisten Fällen durch ein<br />

vernünftiges Umgehen miteinander und eine vernünftige<br />

Auseinandersetzung miteinander. So arbeitet die Wirtschaft<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> seit Jahrzehnten.<br />

(Abg. Bebber SPD: Und die Gewerkschaften!)<br />

Ihr muss man es nicht vorschreiben, meine Damen und<br />

Herren, vernünftig miteinander umzugehen –<br />

(Beifall bei der FDP/DVP)<br />

zum Vorteil der Unternehmen, zum Vorteil der Wirtschaft<br />

und zur Sicherung <strong>von</strong> Arbeitsplätzen.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Was haben Sie denn eigentlich<br />

gegen die Gewerkschaften?)<br />

– Ich habe doch gerade gesagt: Es hat sich bewährt. Es<br />

spricht gar nichts dagegen.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Wieso schimpfen Sie die<br />

ganze Zeit gegen die Gewerkschaften?)<br />

Es ist bisher niemandem <strong>von</strong> Ihnen auch nur ansatzweise<br />

gelungen, deutlich zu machen, was das Betrieben mit fünf<br />

Beschäftigten an Vorteil bringen soll. Herr Hildebrandt hat<br />

klar gesagt, man brauche Einfluss <strong>von</strong> außen. Entlarvend!<br />

Das, was Herr Hildebrandt hier ausführt, ist durchweg entlarvend:<br />

(Zuruf des Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die<br />

Grünen)<br />

Einfluss <strong>von</strong> außen müsse kommen, <strong>von</strong> außen müsse über<br />

das Wohl und Wehe <strong>von</strong> Firmen bestimmt werden. Das ist<br />

das glatte Gegenteil <strong>von</strong> dem, was wir wollen, meine Damen<br />

und Herren.<br />

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)<br />

Sie können doch nicht über die berechneten Zahlen hinweggehen<br />

und sagen, hier würden Horrorszenarien aufgebaut,<br />

wenn Ihnen eindeutig nachgewiesen wird, dass die<br />

kleinen und mittleren Betriebe mit zusätzlichen Kosten in<br />

Milliardenhöhe belastet werden, ohne dass sie irgendeinen<br />

Vorteil da<strong>von</strong> hätten.<br />

Warum wehren sich die Liberalen, warum wehrt sich die<br />

Landesregierung dagegen? Weil wir hier einen Anschlag<br />

auf die unternehmerische Freiheit sehen, weil wir vor allem<br />

sehen – –<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Oh!)<br />

– Ja, das ist für Sie ein Fremdwort. Das ist mir schon klar.<br />

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU<br />

und der FDP/DVP)<br />

Wir sehen auch, dass vor allem die kleinen Handwerksbetriebe<br />

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)<br />

mit bis zu 50 Beschäftigten mit zusätzlichen Kosten in Höhe<br />

<strong>von</strong> 3 Milliarden DM belastet werden. Die Handwerksbetriebe<br />

im Land <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> haben im Durchschnitt<br />

weniger als zehn Beschäftigte. All diese wollen Sie<br />

mit Ihrem neuen Betriebsverfassungsgesetz<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Beglücken!)<br />

beglücken. Das wird nur Nachteile bringen. Ich stelle mir<br />

einmal vor, was bei den Freiberuflern „abgeht“ – in den<br />

Kanzleien, in den Praxen –, wenn Sie jetzt mit Ihren grandiosen<br />

Vorschlägen kommen. Sie bringen nur Nachteile.<br />

Es ist weder Ihnen, Herr Nagel, noch Ihnen, Herr Hildebrandt,<br />

auch nur im Ansatz gelungen, deutlich zu machen,<br />

welche unternehmerische Entscheidung, die sich zum Vorteil<br />

der dort Beschäftigten, zum Vorteil des Betriebs auswirken<br />

soll, nach Ihren Vorstellungen in eine positive<br />

Richtung laufen könnte.<br />

Es handelt sich um ein Hauruckverfahren. Es beschädigt<br />

die Wirtschaft, es beschädigt den Mittelstand in noch nie<br />

da gewesener Art und Weise. Deswegen nehmen wir <strong>von</strong><br />

unserer Seite aus hoffentlich noch Einfluss darauf, dass Sie<br />

Ihre Vorstellungen nicht nur korrigieren, sondern vom<br />

Tisch nehmen.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)<br />

Es ist auch nicht so, dass man sagen könnte: „Wir ändern<br />

hier und dort ein bisschen.“ Ziehen Sie das Ganze zurück!<br />

Die Mitbestimmungsmodelle der Bundesrepublik Deutschland<br />

– Herr Nagel, Sie haben das über Jahrzehnte verfolgt<br />

– sind nach meinem Eindruck nicht zum Exportschlager<br />

geworden. Wir haben nach wie vor Regelungen, die einmalig<br />

sind, die an anderen Stellen so gar nicht aufgenommen<br />

werden. Natürlich spielen sie auch bei Investitionsentscheidungen<br />

eine Rolle.<br />

Deswegen ist doch auch richtig, dass jemand sagt – wenn<br />

Sie es uns nicht glauben, dann glauben Sie es einem anderen;<br />

Sie wissen, wen ich meine –, man solle erhebliche Bedenken<br />

gegenüber dem <strong>von</strong> Riester geplanten obligatorischen<br />

Konzernbetriebsrat haben. Dies würde, so sagt der<br />

Herr Bundeswirtschaftsminister, die Verlagerung <strong>von</strong> Konzernspitzen<br />

ins Ausland geradezu provozieren.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP)<br />

Dagegen kann man nichts sagen. Das alles stellen Sie so<br />

hin, als ob es sich um Horrorszenarien handeln würde, die<br />

da aufgebauscht würden. Das ist eben nicht der Fall.<br />

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)<br />

8001


(Minister Dr. Döring)<br />

8002<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Vielmehr sehen wir eine massive Bedrohung der heimischen<br />

Wirtschaft und des Mittelstands.<br />

Wir wären mehr daran interessiert – ich bin mir auch sicher,<br />

dass wir in dieser Hinsicht wesentlich mehr positive<br />

Ergebnisse erreichen würden –, dass die betrieblichen Gestaltungsmöglichkeiten<br />

ausgeweitet werden, Möglichkeiten,<br />

die vor allem kleinen und mittleren Unternehmen<br />

schnelle und flexible Anpassungen erlauben, und dass, abweichend<br />

<strong>von</strong> der tarifvertraglichen Vereinbarung, die Zulassung<br />

erweitert wird.<br />

Herr Hildebrandt, dies hat ein früherer Fraktionskollege<br />

<strong>von</strong> Ihnen geäußert. Ihre abfällige Handbewegung gerade<br />

richtet sich gegen Herrn Schlauch, weil er sich einmal erlaubt<br />

hat, ein paar Ideen mehr zu haben als Sie.<br />

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU<br />

und der FDP/DVP – Abg. Wieser CDU: Sehr gut,<br />

Herr Minister!)<br />

Und schon sind Sie über ihn hergefallen. Peinlich bis dort<br />

hinaus!<br />

Es ist doch sinnvoll, sich über die Frage Gedanken zu machen:<br />

Wie kann man gemeinsam zu Ergebnissen kommen,<br />

wenn es um Arbeitsplatzsicherung geht? Da gäbe es nach<br />

Ihren Vorstellungen eine hohe Hürde. 75 % müssten trotzdem<br />

zustimmen, wenn man – natürlich nur mit dem Ziel<br />

der Arbeitsplatzsicherung begründet – unter Tarif gehen<br />

würde. Ich meine, das wären sinnvollere Vorschläge als<br />

das, was Sie jetzt machen. Es läuft wirklich in eine falsche<br />

Richtung. Ich meine, man sollte am Bewährten festhalten<br />

und auch mehr Öffnungsklauseln einfügen, damit diejenigen,<br />

die in Verantwortung für ihre Betriebe stehen, diese<br />

auch wahrnehmen können. Man sollte in Deutschland nicht<br />

alles verregeln und „verriestern“. Dies ist für die Unternehmen<br />

<strong>von</strong> Schaden, und das ist vor allem für die Arbeitnehmer<br />

<strong>von</strong> Schaden. Deswegen lehnen wir den Entwurf rundum<br />

ab.<br />

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Frau Abg. Fauser.<br />

Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Lieber Herr Nagel,<br />

(Abg. Pfister FDP/DVP: Es ist alles geschwätzt!)<br />

zur Vereinfachung des Steuerrechts muss ich gar nicht eine<br />

Aussage <strong>von</strong> mir zitieren, sondern kann ich eine Aussage<br />

des verehrten Herrn Kollegen Metzger <strong>von</strong> den Grünen anführen,<br />

(Abg. Pfister FDP/DVP: Oh ja! Das habe ich auch<br />

gelesen!)<br />

der zugestand, dass die Steuergesetze wirklich eine enorme<br />

Verkomplizierung beinhaltet haben, die einem Quantensprung<br />

gleichkomme. Sie haben glücklicherweise einige<br />

Dinge bereits wieder zurückziehen müssen wie etwa die<br />

unselige Regelung, dass künftig für ein Kfz, das in Firmenbenutzung<br />

ist, die Mehrwertsteuer nicht mehr abgesetzt<br />

werden kann oder dass zum Beispiel die Mehrwertsteuer<br />

für die berufsbedingte Übernachtung eines Arbeitnehmers<br />

nicht in Abzug gebracht werden kann. Das ist lauter Unfug,<br />

der glücklicherweise <strong>von</strong> den Gerichten wieder zurückgenommen<br />

wird.<br />

Meine Damen und Herren, die Entlastung der Wirtschaft<br />

und gerade des Mittelstands durch die Steuerreform ist minimal.<br />

Ich möchte die Bevölkerung darauf hinweisen, dass<br />

wegen der Progression bis zum Jahr 2005 160 Milliarden<br />

DM mehr bezahlt werden müssen und dass die Entlastung<br />

bis 2005 gerade einmal 60 Milliarden DM beträgt.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Zum Thema, Frau Kollegin!)<br />

Ich kann Ihnen sagen, dass die Politik in Berlin unter aller<br />

Kritik ist.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Außer jeder Kritik, sehr<br />

gut!)<br />

Das Betriebsverfassungsgesetz muss heute dringendst diskutiert<br />

werden, weil es tatsächlich eine Katastrophe in Bezug<br />

auf zukünftige Anreize für Jungunternehmer ist, gerade<br />

für kleine Unternehmen, die oft mit hohem Risiko und<br />

Fremdkapital in die Verantwortung gehen. Wenn Sie sich<br />

heute einmal die Eigenkapitalquoten der Firmen anschauen<br />

und dann die Verfügungsgewalt, die Sie hier einbringen<br />

möchten, dann werden Sie sich nur wundern.<br />

Bevor hier allgemeines Geplauder über diese neuen Regelungen<br />

stattfindet, möchte ich Ihnen doch einiges zitieren,<br />

damit Sie einfach begreifen, worum es geht und worum wir<br />

uns hier streiten. Meine Damen und Herren, ich zitiere:<br />

Schon die Behauptung des Betriebsrats, eine geplante<br />

Maßnahme des Arbeitgebers erfülle den Tatbestand einer<br />

Veränderung des Arbeitsplatzes, wird künftig arbeitsmedizinische,<br />

arbeitswissenschaftliche und sicherheitstechnische<br />

Prüfungen durch den Arbeitgeber auslösen.<br />

Anschließend ist wieder mit dem Betriebsrat zu verhandeln.<br />

Das alles kostet Geld und Zeit. Am Ende soll eine<br />

Einigungsstelle stehen. Meine Damen und Herren, wenn<br />

ich heute schnell auf bestimmte Herausforderungen des<br />

Marktes reagieren soll, kann ich nicht monatelang mit einer<br />

Einigungsstelle verhandeln, wie die Dinge zu regeln sind.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der<br />

CDU)<br />

Wenn Sie künftig verantworten wollen, dass die Freude, in<br />

Deutschland zu investieren – – Nachdem sich die Abwanderung<br />

in den letzten Monaten tatsächlich etwas beruhigt<br />

hat, darf man diesen Aufschwung wirklich nicht mit solchen<br />

Dingen quasi niederwalzen.<br />

Die betriebliche Berufsbildung wird ausgebaut. Die Feststellung<br />

des Berufsbildungsbedarfs wird in Zukunft vom<br />

Betriebsrat übernommen. Ich nenne die Beschäftigungssicherung<br />

und die erweiterten Maßnahmen. Die Mitbestimmungserweiterung<br />

gerade bei kleinen Betrieben ist ganz erheblich.<br />

Ich möchte Ihnen das gerade zitieren, damit Sie<br />

das wissen:


(Beate Fauser)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Darüber hinaus finden sich Mitbestimmungsausweitungen<br />

noch an vielen Stellen, zum Beispiel beim Umweltschutz,<br />

(Abg. Dr. Witzel Bündnis 90/Die Grünen: Frau<br />

Fauser, bitte freie Rede!)<br />

– ich zitiere, lieber Herr Dr. Witzel; das ist wichtig, damit<br />

Sie es auch begreifen; das muss ich dann schon wortwörtlich<br />

sagen –:<br />

(Beifall bei der FDP/DVP)<br />

durch Veränderung <strong>von</strong> Grenzzahlen (Schwellenwerten)<br />

wie beispielsweise durch die Umstellung der 20-<br />

Arbeitnehmer-Grenze für das Eingreifen der Mitbestimmung<br />

in den §§ 99 und 111 vom Betrieb auf das<br />

Unternehmen.<br />

Meine Damen und Herren, in Teilen des Verfahrens soll<br />

hier eine Entdemokratisierung eingeführt werden, nicht<br />

mehr Demokratie, wie Sie behaupten. Wie bereits mehrfach<br />

gesagt, werden die Wahlverfahren im Hauruckverfahren<br />

durchgezogen. Die schweigende Mehrheit, die sich<br />

möglicherweise auch über eine Briefwahl äußern möchte,<br />

kommt überhaupt nicht mehr zu Wort.<br />

Meine Damen und Herren, die Betriebsausschüsse werden<br />

in Zukunft erheblich erweiterte Mitbestimmungsmöglichkeiten<br />

haben. Die Ausschüsse dürfen in alle bisher geheim<br />

gehaltenen und dem Datenschutz unterliegenden Unterlagen<br />

Einsicht nehmen. Darüber hinaus werden Unterlagen<br />

teilweise nur noch über den Betriebsrat abgerufen werden<br />

können.<br />

Stellv. Präsident Birzele: Frau Kollegin Fauser, gestatten<br />

Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Kretschmann?<br />

Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Nein.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Gerade die wäre so interessant<br />

gewesen!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Zugleich darf ich Sie darauf<br />

aufmerksam machen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.<br />

Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Vielen Dank für den Hinweis,<br />

Herr Präsident.<br />

Meine Damen und Herren, es ist zu hoffen, dass Herr Wirtschaftsminister<br />

Müller sich in Berlin<br />

(Abg. Bebber SPD: Lange in der Regierung<br />

bleibt!)<br />

ein Stück weit durchsetzen kann, um die schlimmsten Auswüchse<br />

des <strong>von</strong> Herrn Riester vorgebrachten Gesetzentwurfs<br />

abzuändern.<br />

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/<br />

DVP: Gut! – Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die<br />

Grünen: Ich habe eine Frage an Sie!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: An mich können Sie hier keine<br />

Frage richten. Frau Kollegin Fauser hat es abgelehnt, Ihre<br />

Frage zu beantworten.<br />

(Abg. Deuschle REP zu Abg. Kretschmann Bündnis<br />

90/Die Grünen: Die will mit Ihnen nicht<br />

schwätzen!)<br />

Herr Abg. Kurz, Sie haben das Wort.<br />

Abg. Kurz CDU: Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen<br />

und Kollegen! Herr Nagel, nach Ihrer Wortmeldung<br />

stelle auch ich mir die Frage, warum –<br />

(Abg. Deuschle REP: Warum diese Debatte?)<br />

aber nicht, warum wir heute dieses Thema diskutieren, sondern<br />

warum der Gesetzentwurf in dieser Weise eingebracht<br />

wird.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP)<br />

Ich habe die Vermutung, dass die Bundesregierung eben<br />

erkannt hat, dass durch ihre so genannten Steuerentlastungen,<br />

insbesondere auch im Paket mit der Rentenreform, die<br />

soziale Balance etwas durcheinander geraten ist<br />

(Abg. Rosely Schweizer CDU: Jawohl!)<br />

und dass die Bundesregierung einen Ausgleich braucht, um<br />

unter den Partnern das Einvernehmen und den politischen<br />

Frieden wiederherzustellen.<br />

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ist der Punkt!)<br />

Aber das Betriebsverfassungsgesetz ist als Äquivalent für<br />

den Frieden zwischen der Bundesregierung und den sie tragenden<br />

Gruppen gänzlich ungeeignet.<br />

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)<br />

Dann möchte ich noch etwas zu Ihnen sagen, Herr Dr. Hildebrandt.<br />

Machen wir es doch so, bleiben wir bei der Formel:<br />

Die unternehmerischen Kompetenzen bleiben bei den<br />

Unternehmern. Über alles andere kann man dann reden.<br />

Hier aber wird versucht, zu einer Mischkompetenz zu kommen:<br />

Jeder ist für alles zuständig. Damit sind Fehlentscheidungen<br />

in den Unternehmen vorprogrammiert. Das ist<br />

nicht der richtige Weg.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/<br />

DVP)<br />

Frau Fauser, ich muss Ihnen in dem Punkt, was die Bürokratiekosten<br />

in den Unternehmen ausmachen, insbesondere<br />

in den kleinen Unternehmen, Recht geben. Dazu gibt es<br />

wissenschaftliche Untersuchungen. In der Tat ist es so,<br />

dass bereits die bestehende Bürokratie die Kleinunternehmen<br />

mit etwa 4 500 DM pro Beschäftigtem belastet. In den<br />

Großunternehmen liegen die Bürokratiekosten pro Beschäftigtem<br />

nur bei bis zu 200 DM. Die Kosten für Betriebsratstätigkeit<br />

in Kleinunternehmen erreichen das Zehnfache<br />

als im Großbetrieb. Es gibt Schätzungen, die bis rund<br />

8 % der Lohnsumme reichen. Beim Konzernbetrieb sind<br />

dies 0,8 %. Auch darin liegt doch ein Grund dafür, dass wir<br />

eine so gewaltige Konzentration in der Wirtschaft haben:<br />

weil die Wettbewerbsvoraussetzungen so unterschiedlich<br />

geworden sind.<br />

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

8003


(Kurz)<br />

8004<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Eines muss Ihnen doch zu denken geben: Zehn Mitgliedsstaaten<br />

der Europäischen Union lehnen eine weiter gehende<br />

Mitbestimmung, lehnen das Modell Deutschlands völlig<br />

ab. Selbst die Niederlande, Belgien oder Österreich, deren<br />

Lösungen mit unserem Modell eng verwandt sind, lehnen<br />

jede weitere Vertiefung der Mitbestimmung aus grundsätzlichen<br />

Erwägungen ab. Warum soll die Kluft zwischen nationalen<br />

Regelungen und der europäischen Regelung weiter<br />

auseinander getrieben werden? Die EU ist ein Wirtschaftsraum;<br />

wir stehen in der gleichen Wettbewerbssituation.<br />

Das Ziel muss sein, die Wettbewerbsbedingungen anzugleichen<br />

und sie nicht stärker auseinander zu treiben.<br />

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)<br />

Wenn uns dies nicht gelingt, dann werden wir – insbesondere<br />

die kleinen Unternehmen – die Herausforderung<br />

bahnbrechender Veränderungen nicht bestehen. Unser Anliegen<br />

muss sein, Arbeitsplätze zu schaffen, indem wir die<br />

Flexibilität der Unternehmen stärken, und diese als anpassungsfähige<br />

und zukunftssichere Einheiten im Markt zu integrieren.<br />

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Nagel.<br />

Abg. Nagel SPD: Herr Präsident, meine Damen und Herren!<br />

Der Herr Wirtschaftsminister hat <strong>von</strong> einem merkwürdigen<br />

Menschenbild gesprochen, das wir hätten.<br />

(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Das stimmt auch!)<br />

Ich glaube, es ist eher ein merkwürdiges Menschenbild,<br />

wenn Sie Arbeitnehmern in den Betrieben nicht zutrauen,<br />

im Interesse ihres Betriebs und damit auch im Interesse ihrer<br />

Arbeitsplätze zu handeln.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Ein Misstrauen! Das ist unglaublich!<br />

Eine Beleidigung erster Güte!)<br />

Die Arbeitnehmer haben in der Vergangenheit gezeigt,<br />

dass sie verantwortungsbewusst für ihren Betrieb handeln,<br />

und das wird auch in Zukunft so sein.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Sie haben hier verschiedene Behauptungen aufgestellt. Ich<br />

werde versuchen, in der kurzen Zeit, die mir noch zur Verfügung<br />

steht, darauf einzugehen.<br />

Herr Kurz, Sie haben jetzt wieder behauptet, Deutschland<br />

habe bereits den höchsten Mitbestimmungsstandard innerhalb<br />

der Europäischen Gemeinschaft. Fakt ist, dass sich die<br />

Standards der betrieblichen und der Unternehmensmitbestimmung<br />

in Europa langsam, aber stetig angleichen. Die<br />

Regelungen sind sehr unterschiedlich. Die Behauptung,<br />

dass die Bundesrepublik an der Spitze liege, ist einfach<br />

nicht richtig. Es gibt eine weiter gehende wirtschaftliche<br />

Mitbestimmung beispielsweise in Belgien und in Frankreich.<br />

In Holland und in Frankreich bestehen wesentlich<br />

höhere Freistellungsansprüche für Betriebsräte. Auch die<br />

gewerkschaftlichen Rechte gehen in vielen Ländern wesentlich<br />

weiter als in der Bundesrepublik.<br />

(Zuruf des Abg. Kurz CDU)<br />

Zum Beispiel sind in Frankreich und in Italien politische<br />

Streiks erlaubt. All dies finden Sie in unserer Betriebsverfassung<br />

nicht, und das wird auch nicht gefordert.<br />

Sie haben ferner gesagt, eine weiter gehende Mitbestimmung<br />

würde den Standortwettbewerb und damit die deutsche<br />

Wirtschaft benachteiligen. Mehr Rechte für die Beschäftigten<br />

und ihre Betriebsräte und die Mitbestimmung<br />

bei der kontinuierlichen Verbesserung <strong>von</strong> Arbeitsabläufen<br />

und der Organisation haben Betriebe in der Vergangenheit<br />

fitter gemacht und werden sie auch in Zukunft fitter machen.<br />

Die Arbeitnehmer kennen sehr genau ihren Betrieb<br />

und wissen, was dort notwendig ist.<br />

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

Es ist notwendig, verstärkt auf diesen Sachverstand zurückzugreifen.<br />

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Rosely<br />

Schweizer CDU)<br />

Die betriebliche und die Unternehmensmitbestimmung<br />

sind ein Standortvorteil für die Bundesrepublik Deutschland.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Sehr richtig!)<br />

So hat es vor wenigen Wochen Edzard Reuter, bestimmt<br />

kein Gewerkschaftsvertreter, öffentlich gesagt. Er fordert<br />

die Sozialdemokraten ausdrücklich auf, sich da nicht <strong>von</strong><br />

Kreisen der Wirtschaft beeinflussen zu lassen, die bei der<br />

Mitbestimmungsdiskussion 1972 genau das ausgemalt haben,<br />

Herr Kurz, Frau Fauser, Herr Döring, was Sie jetzt<br />

hier gesagt haben.<br />

(Abg. Rosely Schweizer CDU: Ein typischer Mittelständler!<br />

– Gegenruf des Abg. Brechtken SPD:<br />

Nach Ihren Begriffen schon! – Abg. Deuschle<br />

REP: Was hat er aus Daimler gemacht? – Zuruf<br />

der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

Frau Fauser, Sie haben gesagt, in der globalisierten Wirtschaft<br />

bedürfe es schneller Entscheidungen und die Arbeitgeber,<br />

die Unternehmer, auch die Mittelständler könnten es<br />

sich nicht erlauben, immer über Einigungsstellen Entscheidungen<br />

herbeiführen zu müssen. Das ist überhaupt nicht<br />

richtig. Denn 95 % aller Einigungsstellenverfahren in der<br />

Bundesrepublik Deutschland sind anberaumt worden wegen<br />

Verfehlungen und Gesetzesverstößen <strong>von</strong> Arbeitgebern.<br />

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)<br />

Übrigens sind es ohnehin nur 0,3 % aller Auseinandersetzungen.<br />

Auch hier zeigt sich, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter<br />

sehr pflichtbewusst mit der Mitbestimmung<br />

umgehen.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Sehr gut!)<br />

Der letzte Punkt: Sie haben gesagt, es gehe letztendlich<br />

nicht darum, Rechte <strong>von</strong> Mitarbeitern, <strong>von</strong> Arbeitnehmern<br />

zu beachten, sondern es gehe um mehr Macht für die Ge-


(Nagel)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

werkschaften. Da liegen Sie völlig falsch. Denn die Vorschlagsrechte<br />

des Einzelnen im Betrieb sollen ausgebaut<br />

werden. Der Betriebsrat soll Arbeitsgruppen bilden dürfen,<br />

an die er bestimmte Aufgaben delegiert. Er kann in Zukunft<br />

sachkundige Arbeitnehmer zu Betriebsratssitzungen<br />

hinzuziehen und in die Arbeit des Einzelnen mit einbeziehen.<br />

Was Sie hier <strong>von</strong> Machtzuwachs der Gewerkschaften<br />

behaupten, ist völlig an den Haaren herbeigezogen und<br />

schlichtweg falsch.<br />

Lassen Sie mich zum Schluss kommen, damit ich meine<br />

Redezeit nicht überziehe. Sie rennen – ich verstehe ja Ihre<br />

Notlage, bei Ihnen klappt ja auf Bundesebene überhaupt<br />

nichts mehr –<br />

(Lachen der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg.<br />

Schmiedel SPD: So ist es!)<br />

umsonst mit rot-grünen Benzinkanistern herum. Kein<br />

Mensch spricht mehr darüber. Die Steuerreform ist über<br />

die Bühne gegangen. Die Menschen merken, dass sie da<strong>von</strong><br />

profitieren.<br />

(Widerspruch bei der CDU)<br />

Auch vernünftige Unternehmer profitieren da<strong>von</strong>.<br />

Sie versuchen, Ihren mangelnden Sachverstand, beispielsweise<br />

in der Rentendiskussion, und Ihr fehlendes Sachprogramm<br />

– – Das ist schon Autismus, was Sie betreiben. Sie<br />

haben versucht, fehlenden Sachverstand durch unmögliche<br />

und widerliche Plakatierung zu ersetzen. Ihr Schatzmeister,<br />

Herr Cartellieri, der ehemalige Vorstand der Deutschen<br />

Bank – entnommen dem „Handelsblatt“, keiner Gewerkschaftszeitung<br />

–, hat dem gestrigen „Handelsblatt“ zufolge<br />

Ihr innerhalb eines Tages wieder zurückgezogenes Plakat<br />

als „Katastrophe“ bezeichnet und gesagt, in der Wirtschaft<br />

werde die Opposition in Berlin als nicht regierungsfähig<br />

angesehen.<br />

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die<br />

Grünen – Abg. Brechtken SPD: Wo er Recht, hat<br />

er Recht!)<br />

Dem ist nichts hinzuzufügen.<br />

Meine Damen und Herren, Sie werden, wie bei den anderen<br />

Gesetzesvorhaben der letzten Zeit üblich, bei der Verhinderung<br />

des Betriebsverfassungsgesetzes wieder einmal<br />

mit abgesägten Hosen dastehen.<br />

Weil vorhin auch Sie, Herr Döring, gesagt haben, die Gewerkschaft<br />

und die Gewerkschafter seien der Untergang<br />

der mittelständischen Wirtschaft, der Industrie, des Handwerks:<br />

Ich habe mir zur Feier des Tages eine Medaille angelegt.<br />

Es ist die Verdienstmedaille der Industrie- und Handelskammer<br />

Rhein-Neckar für meine Bemühungen und für<br />

meine Erfolge im Bereich der Wirtschaft.<br />

Herzlichen Dank.<br />

(Beifall bei der SPD – Abg. Brechtken SPD: Der<br />

Döring kriegt seine Medaille später! Heute Mittag!<br />

Gell, Walter, du kriegst die Medaille heute Mittag!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg.<br />

Dr. Hildebrandt.<br />

Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen: Aber immer<br />

die Medaille wechseln, Kollege Nagel, damit das Revers<br />

nicht so voll wird.<br />

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister<br />

Döring, was wollten Sie eigentlich entlarven? Das ist mir<br />

völlig unverständlich geblieben. Was ist denn bei der Entlarvung<br />

herausgekommen? Aber allein, dass Sie schon in<br />

der Haltung des Entlarvers hier auftreten wollen, noch dazu,<br />

indem Sie eine Ihrer hervorragendsten Eigenschaften<br />

nach vorne bringen, nämlich die Arroganz, ist eine Art und<br />

Weise, wie Sie mit der Sache nicht umgehen sollten. Wer<br />

entlarvt, der kommt nämlich schließlich zu dem, was er immer<br />

schon gewusst und gesagt hat, aber er kommt nicht in<br />

das Zentrum der Debatte.<br />

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die<br />

Grünen – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Sie müssten<br />

sich einmal selber sehen, wenn Sie <strong>von</strong> Arroganz<br />

reden!)<br />

Übrigens, Frau Fauser, Steuern senken: Was hat die FDP in<br />

ihren 16 Regierungsjahren an Steuern gesenkt? Sie hat den<br />

Spitzensteuersatz nicht gesenkt, was diese Regierung gemacht<br />

hat, sie hat den Eingangssteuersatz erhöht, und sie<br />

hat die Mineralölsteuer erhöht, und zwar heftig.<br />

(Abg. Pfister FDP/DVP: Sie ist blockiert worden!<br />

Sie wissen doch, wer schuld war! Reden Sie doch<br />

nicht so einen Blödsinn! Wer hat denn blockiert? –<br />

Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Die CDU!)<br />

So viel zu der Glistrup-Partei FDP mit der Steuersenkung.<br />

Aber jetzt kommen wir noch einmal zu den entscheidenden<br />

Fragen. Sie haben sich bei Ihrem Vorwurf, es gehe um die<br />

Macht <strong>von</strong> außen, nicht der Mühe unterzogen, genau zu<br />

gucken. Sie haben weder das berücksichtigt, was ich gesagt<br />

habe, noch das, was in dem Gesetz steht. Es geht darum,<br />

dass zum Beispiel Vertretungsrechte des Betriebsrats auf<br />

innerbetriebliche Arbeitsgruppen übertragen werden können.<br />

Warum? Um diese in den unterschiedlichen Beschäftigungssituationen,<br />

in den unterschiedlicher gewordenen Betriebsstrukturen<br />

in die Lage zu versetzen, selber tätig zu<br />

werden. Es kann mehr Sachverstand bereitgestellt werden<br />

durch Hinzuziehung <strong>von</strong> Arbeitnehmern innerhalb des Betriebes.<br />

Das heißt, dieses Betriebsverfassungsgesetz stärkt nicht<br />

einfach die Kollektivrechte der Vertretung, und es ist schon<br />

gar nicht ein Diktat der Gewerkschaften, sondern es stärkt<br />

die einzelnen individuellen Arbeitnehmer und geht besonders<br />

auf die neuen Unternehmen, gerade auf die kleinen<br />

Unternehmen und ihre Betriebswirklichkeiten, ein. Das ist<br />

der entscheidende Punkt.<br />

(Abg. Deuschle REP: Tut es aber doch nicht! Da<br />

scheitert es doch!)<br />

Hinzu kommt noch eine erleichterte Beiziehung <strong>von</strong> Sachverständigen<br />

bei Betriebsveränderungen – sonst überhaupt<br />

8005


(Dr. Hildebrandt)<br />

8006<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

nicht – zur Stärkung der Betriebsratsarbeit und nicht zu etwas<br />

anderem.<br />

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Glauben Sie selber den<br />

Unsinn, den Sie hier erzählen?)<br />

Nun müsste man sich die Mühe machen, darauf einzugehen.<br />

Es ist immer leichter, so aufzutreten, wie das hier der<br />

Wirtschaftsminister getan hat. Nachdem wir jetzt das Urteil<br />

haben, dass in Berlin die Opposition nicht regierungsfähig<br />

ist, wäre zu fragen, ob jeder, der schon in einer Regierung<br />

ist, auch regierungsfähig ist.<br />

(Zurufe des Ministers Dr. Döring – Abg. Schmiedel<br />

SPD: Ruhe auf der Regierungsbank!)<br />

Lassen Sie uns mal auf einen entscheidenden Punkt kommen,<br />

Herr Minister.<br />

(Zuruf des Ministers Dr. Döring – Glocke des Präsidenten)<br />

– Das ist schon besser.<br />

Stellv. Präsident Birzele: Herr Minister, bitte keine Zwischenrufe<br />

<strong>von</strong> der Regierungsbank.<br />

(Erneuter Zuruf des Ministers Dr. Döring – Glocke<br />

des Präsidenten)<br />

Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen: Das ist<br />

hervorragend, Herr Minister.<br />

Stellv. Präsident Birzele: Einen Augenblick, Herr Abg.<br />

Dr. Hildebrandt.<br />

Herr Minister, bitte keine Zwischenrufe <strong>von</strong> der Regierungsbank.<br />

Herr Abg. Dr. Hildebrandt, bitte fahren Sie fort.<br />

Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen: Herr Präsident,<br />

falls es Ihnen entgangen sein sollte: Der Ausdruck<br />

„blöd“ ist auch nicht parlamentsfähig.<br />

Aber kommen wir zum zentralen Punkt der Auseinandersetzung:<br />

Wenn es darum geht, die Tarifverträge zu flexibilisieren<br />

oder Entscheidungen als Ausnahmefälle <strong>von</strong> Regelungen<br />

in Tarifverträgen zu ermöglichen, dann brauchen<br />

wir eine Stärkung der Betriebsvertretungen. Sie können<br />

sich doch nicht hier hinstellen und sagen: „Wir brauchen<br />

dringend eine Unterschreitung der Bestimmungen des Tarifvertrags“,<br />

wenn wir uns nicht gleichzeitig Sorgen und<br />

Gedanken darüber machen, wie die Betriebsvertretungen<br />

selbst überhaupt in die Lage versetzt werden, mit den Unternehmen<br />

entsprechende Abkommen zu schließen.<br />

Die Überlegung, die Betriebsvertretung im Betriebsrat zu<br />

stärken, sie überhaupt in Betrieben zu schaffen, wäre eine<br />

Ergänzung zu der Forderung: „Wir können die Tarifverträge<br />

in flächendeckend gleichen Bestimmungen so nicht<br />

mehr aufrechterhalten“. Das wäre eine vernünftige Überlegung.<br />

Dann könnten wir uns darüber unterhalten. Dann wäre<br />

eine Diskussion darüber möglich, wie dies überhaupt gesetzlich<br />

gestaltet werden kann. Dies tut dieser Gesetzesvorschlag.<br />

Ich bin überhaupt nicht so aufgetreten, als sei dies endgültig.<br />

Ich weiß doch selbst, dass dieser Entwurf der Diskussion<br />

unterliegt. Ich werde mich nicht auf etwas versteifen,<br />

was meine Regierung drei Wochen später wieder kassiert.<br />

Darin habe ich doch Erfahrung.<br />

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das wird also nachgebessert?<br />

– Abg. Schmiedel SPD: Das ist doch noch<br />

gar nicht verabschiedet!)<br />

Das werde ich doch nicht machen.<br />

Aber Sie müssten sich auf die Probleme einlassen, auf die<br />

dieser Gesetzentwurf eingeht, statt so zu antworten, wie Sie<br />

das immer tun. Die Antworten aus Ihrem Munde kennen<br />

wir ja zur Genüge.<br />

Also, Herr Schlauch hat nicht mehr Ideen als ich. Er hat<br />

zum Teil Ihre Ideen.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Sieht das der Schlauch auch<br />

so?)<br />

Meine Partei hat eine klare Mehrheitsentscheidung getroffen.<br />

Das ist die richtige Entscheidung, und darum vertrete<br />

ich sie hier.<br />

Es gibt ein Zitat <strong>von</strong> Joschka Fischer in diesem Zusammenhang.<br />

(Abg. Pfister FDP/DVP: Es gibt auch eines <strong>von</strong><br />

Herrn Metzger!)<br />

Das heißt: An einer grün angestrichenen FDP gibt es keinen<br />

Bedarf. – Dieses Zitat ist schon etwas älter.<br />

(Abg. Dr. Schlierer REP: Die älteren Zitate sprechen<br />

noch morgen!)<br />

Aber es trifft immer noch zu.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr.<br />

Noll FDP/DVP: Wir werden uns auch nicht grün<br />

anstreichen! – Abg. Pfister FDP/DVP: Herr Metzger<br />

sagt: Fiskalisch unfähig!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg.<br />

Deuschle.<br />

Abg. Deuschle REP: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Ich möchte wieder zur Sachlichkeit zurückkehren<br />

und einige Kritikpunkte an diesem Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes<br />

äußern.<br />

Erstens: Die Mitbestimmung des Betriebsrats soll ja nach<br />

dem Referentenentwurf auf die Änderung der Arbeitsabläufe<br />

ausgedehnt werden. Dies gefährdet nach unserer Auffassung<br />

die flexible Reaktion der Betriebe. Dies gefährdet<br />

auch die Möglichkeiten befristeter Neueinstellungen.<br />

Auf der einen Seite müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass<br />

die Betriebe aufgrund der verschärften Wettbewerbsanstrengungen<br />

im Europäischen Binnenmarkt immer schneller<br />

und immer flexibler reagieren müssen. Auf der anderen<br />

Seite wird die Möglichkeit der Betriebe zur schnellen Reaktion<br />

durch die vorgesehenen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes<br />

kaputtgemacht.


(Deuschle)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Ich frage mich: Denkt man nicht einmal betriebswirtschaftlich,<br />

wenn man solche Entwürfe erstellt? Oder machen das<br />

nur Bürokraten, die selbst noch nie einen Betrieb zu führen<br />

hatten? Diesen Eindruck gewinnt man nämlich, wenn man<br />

sich den Riester-Entwurf vor Augen führt.<br />

Ich frage auch, was die Ausdehnung der Mitbestimmung<br />

auf Umweltfragen oder auf Fragen der Weiterbildung soll?<br />

Wer soll denn in Zukunft eigentlich entscheiden, ob ein<br />

Mitarbeiter eine Zusatzqualifizierung bekommt oder nicht?<br />

Macht das wie bisher die Betriebsleitung, die sicher nach<br />

sachlichen Gesichtspunkten auswählt? Oder soll das am<br />

Ende ein Arbeitsrichter als Vorsitzender einer Einigungsstelle<br />

machen?<br />

Das sind doch wirklich zentrale Punkte. Darauf läuft das<br />

hinaus, wenn man den Riester-Entwurf zu Ende denkt.<br />

(Zuruf des Abg. Kurz CDU)<br />

– Natürlich! Herr Kurz, Sie unterstützen ja meine Argumentation.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Herr Kurz, jetzt würde ich<br />

mich fragen, was ich falsch gemacht habe!)<br />

Man muss ja die Gesetze ernst nehmen. Die Kollegen <strong>von</strong><br />

Rot-Grün nehmen anscheinend ihre eigenen Gesetzentwürfe<br />

nicht ernst und denken, dass es Änderungen gibt, dass<br />

die Referentenentwürfe nicht Realität werden. Wenn sie so<br />

wenig an die Durchsetzungsfähigkeit glauben, spricht das<br />

natürlich für sich.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Ich möchte noch einen dritten Punkt ansprechen: Das ist<br />

die durch die Absenkung der Schwellenwerte geplante Erweiterung<br />

auf Kleinbetriebe. Wir haben uns im <strong>Landtag</strong> in<br />

der Enquetekommission eineinhalb Jahre über dieses Thema<br />

unterhalten und gute Vorschläge gemacht, um die Bürokratiekosten<br />

in den Griff zu bekommen. Die Landesregierung<br />

hat immerhin das Mittelstandsförderungsgesetz<br />

durchgesetzt, auch mit dem Ziel, zu Erleichterungen zu<br />

kommen. Deshalb kann man fragen: Waren denn die eineinhalb<br />

Jahre Arbeit für die Katz? Wird <strong>von</strong> Berlin all das<br />

Vernünftige ausgehebelt, das wir in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

zum Teil gemeinsam erreicht haben?<br />

Ist es eigentlich sinnvoll, dass künftig auch ein mittelständischer<br />

Betrieb die Auswahlkriterien für Einstellungen,<br />

Versetzungen und Kündigungen mit dem Betriebsrat vereinbaren<br />

muss? Kommt der Mittelständler, der ja auch nur<br />

eine begrenzte Arbeitszeit hat und nicht um 35, sondern<br />

vielleicht um 60 oder 70 Stunden in der Woche kämpft,<br />

noch zu seinen wichtigen Unternehmensaufgaben, wenn er<br />

solche zusätzlichen Aufgaben hat, die ihn nicht weiterbringen?<br />

Ich komme zum Resümee, meine Damen und Herren. Das<br />

geplante Betriebsverfassungsgesetz ist sowohl für Arbeitgeber,<br />

vor allem für mittelständische Arbeitgeber, als auch<br />

für Arbeitnehmer problematisch. Die jetzige Form der Betriebsverfassung<br />

in Deutschland und in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

hat sich bewährt. Das neue Gesetz – das kristallisiert<br />

sich nach der Debatte immer mehr heraus – soll nur die Interessen<br />

der Gewerkschaftsfunktionäre<br />

(Abg. Nagel SPD: Quatsch!)<br />

und der Gewerkschaft als machtpolitischer Organisation<br />

stärken. Deswegen sagen wir auch konsequent Nein zu<br />

dem Gesetzentwurf.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Ihr seid doch gar nicht gefragt!<br />

– Abg. Nagel SPD: Euch fragt doch keiner!<br />

– Abg. Brechtken SPD: Im Bundestag müsst ihr<br />

nicht mitstimmen!)<br />

Wir verstehen zwar, dass Sie <strong>von</strong> der SPD dem DGB etwas<br />

für die 8 Millionen DM Wahlkampfunterstützung geben<br />

müssen; aber das darf doch nicht dazu führen, meine Damen<br />

und Herren, dass eine bewährte Form der Interessenabwägung<br />

und des Interessenausgleichs in Deutschland<br />

zerstört wird.<br />

(Abg. Nagel SPD: Oh Deuschle!)<br />

Zahlen Sie dem DGB die Wahlkampfunterstützung anders<br />

zurück! Aber belasten Sie damit nicht die Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmer, meine Damen und Herren.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Meine Damen und Herren, es<br />

liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist Tagesordnungspunkt<br />

3 abgeschlossen.<br />

Ich unterbreche die Sitzung bis 14:30 Uhr.<br />

(Unterbrechung der Sitzung: 13:02 Uhr)<br />

*<br />

(Wiederaufnahme der Sitzung: 14:29 Uhr)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Meine Damen und Herren, ich<br />

bitte Sie, Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung wird<br />

fortgesetzt.<br />

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:<br />

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung<br />

– Gesetz über die Weiterentwicklung der Regionen<br />

und zur Änderung des Landesabfallgesetzes –<br />

Drucksache 12/5877<br />

Für die Aussprache nach der Begründung durch die Regierung<br />

hat das Präsidium gestaffelte Redezeiten bei einer<br />

Grundredezeit <strong>von</strong> zehn Minuten je Fraktion festgelegt.<br />

Das Wort zur Begründung erhält Herr Staatssekretär<br />

Dr. Mehrländer.<br />

Staatssekretär Dr. Mehrländer: Herr Präsident, Frau<br />

Schweizer, meine Herren!<br />

(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Deuschle REP: Da<br />

werden wir wieder benachteiligt als Männer! Immer<br />

werden die Frauen bevorzugt! – Abg. Kiefl<br />

CDU: Ein Kavalier! Ein Charmeur! – Abg. Göbel<br />

CDU: So macht man Politik!)<br />

8007


(Staatssekretär Dr. Mehrländer)<br />

– Man muss den Überblick behalten.<br />

8008<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Der <strong>Landtag</strong> hat bei der Verabschiedung des Gesetzes über<br />

die Weiterentwicklung des Verbands Region Stuttgart im<br />

Oktober 1999 die Landesregierung in einer Entschließung<br />

beauftragt, zu prüfen, in welchen Bereichen Kompetenzveränderungen<br />

bei den übrigen Regionalverbänden für eine<br />

dynamische Weiterentwicklung des Landes erforderlich<br />

sind; denn auf die Dauer gewährleistet nur ein einheitliches<br />

Planungsrecht eine gleichwertige nachhaltige Entwicklung<br />

aller Regionen unseres Landes.<br />

Der jetzt <strong>von</strong> der Landesregierung eingebrachte Gesetzentwurf<br />

verfolgt dieses Ziel. Er basiert auf einer landesweiten<br />

Umfrage zur Weiterentwicklung der Regionen. Diese Umfrage<br />

hat ergeben, dass neben der Region Stuttgart auch die<br />

anderen Regionen des Landes und die Vertreter der Wirtschaft<br />

eine maßvolle Stärkung der regionalen Ebene wollen.<br />

Dagegen haben die kommunalen Landesverbände die<br />

Kompetenzerweiterungen überwiegend abgelehnt. Wir sehen<br />

jedoch eine solche Stärkung im Interesse der Entwicklungsmöglichkeiten<br />

und der Zukunftsfähigkeit der Regionen<br />

als sinnvoll und notwendig an.<br />

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen die mit dem<br />

Gesetzentwurf verfolgten landespolitischen Ziele kurz aufzeigen.<br />

Wir wollen das Landesplanungsrecht wieder ein Stück weiter<br />

vereinheitlichen. Wir sind uns dabei bewusst, dass dieser<br />

Weg schrittweise weitergegangen werden muss. Wir<br />

wollen eine Stärkung der regionalen Ebene zur Lösung der<br />

regionalbedeutsamen Probleme, die auf der örtlichen Ebene<br />

keine sachgerechte Lösung finden können. Wir setzen<br />

dabei zum einen auf die Eigenverantwortlichkeit der regionalen<br />

Ebene und zum anderen auf die integrative Kraft der<br />

Regionalverbände.<br />

Wir wollen die Möglichkeit zur Durchsetzung der Ziele der<br />

Raumordnung unmittelbar durch den Regionalverband verbessern.<br />

Wir wollen vor allem auch eine Intensivierung der<br />

Zusammenarbeit aller Planungsträger mit den Planbetroffenen,<br />

damit ein regionalbedeutsames Problem gemeinsam<br />

angegangen und gelöst werden kann.<br />

Und bei alledem – um das klar zu sagen – wollen wir keine<br />

vierte, keine zusätzliche Verwaltungsebene.<br />

(Abg. Deuschle REP: Das ist richtig!)<br />

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen nun kurz im<br />

Vergleich der bisherigen mit der künftigen Regelung die<br />

wesentlichen Punkte nennen, mit denen das Landesplanungsgesetz<br />

und das Landesabfallgesetz geändert werden<br />

sollen.<br />

Stichwort „Standortvorsorge für großflächigen Einzelhandel“:<br />

Schon bisher konnten die Regionalverbände als<br />

Schwerpunkte für Dienstleistungseinrichtungen Bereiche<br />

für die Ansiedlung <strong>von</strong> Betrieben des großflächigen Einzelhandels<br />

ausweisen. Sie haben nur zurückhaltend Gebrauch<br />

da<strong>von</strong> gemacht. Künftig sind die Regionalverbände<br />

nach dem Gesetzentwurf verpflichtet, Standorte für Betriebe<br />

des großflächigen Einzelhandels gebietsscharf auszuweisen.<br />

Das gilt für Vorhaben, die regionalbedeutsam sind,<br />

das heißt für Vorhaben, die eine gewisse Größe überschreiten.<br />

Stichwort Klagerecht: Bisher bleibt es der Rechtsaufsicht<br />

überlassen, die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs<br />

so zu lenken, wie der Landesentwicklungsplan<br />

dies vorschreibt. Künftig sollen die Regionalverbände als<br />

Ergänzung zu ihrer Planungspflicht ein eigenes Klagerecht,<br />

bezogen auf großflächigen Einzelhandel einschließlich<br />

FOCs, erhalten.<br />

Stichwort „Mitwirkung in regional tätigen Zusammenschlüssen“:<br />

Schon bisher haben die Regionalverbände<br />

nicht nur den Regionalplan erstellt, sondern sie haben sich<br />

im Rahmen des Landesplanungsgesetzes auch um die Umsetzung<br />

ihrer Planung gekümmert. Künftig steht für die Zusammenarbeit<br />

der Regionalverbände mit anderen Akteuren<br />

vor allem der Wirtschaftsförderung und beim Tourismusmarketing<br />

eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung<br />

zur Verfügung.<br />

Stichwort „Aufstellung regionaler Entwicklungskonzepte“:<br />

Schon bisher haben die Regionalverbände diese Zusammenarbeit<br />

mit anderen Planungsträgern gesucht, um ihre<br />

Planung zu Recht bedarfsgerecht und umsetzungsfähig zu<br />

machen. Künftig erhalten sie hierzu ein ausdrückliches<br />

Mandat. Dies entspricht auch einem Auftrag des Raumordnungsgesetzes<br />

des Bundes an den Landesgesetzgeber. Der<br />

Gesetzentwurf stellt hierfür neue Gestaltungsmöglichkeiten<br />

zur Verfügung: regionale Entwicklungskonzepte, die Unterstützung<br />

<strong>von</strong> Städtenetzen und vertragliche Vereinbarungen.<br />

Stichwort „Erleichterung grenzüberschreitender Aktivitäten“:<br />

Zu Recht haben die Regionalverbände über die Grenzen<br />

ihrer Region hinausgeblickt und die Zusammenarbeit<br />

mit den Nachbarregionen gesucht. Deshalb sollen künftig<br />

die Regionalverbände ausdrücklich zur grenzüberschreitenden<br />

Kooperation ermächtigt werden.<br />

Stichwort „umfassendes Planungsgebot“: Bisher blieb es<br />

ausschließlich der Kommunalaufsicht überlassen, für die<br />

Anpassung der Bauleitplanung an die Ziele der Raumordnung<br />

zu sorgen. Künftig soll auch der Regionalverband<br />

entscheiden können, ob die Anpassung an die Ziele der<br />

Raumordnung geboten ist. Die zwangsweise Durchsetzung<br />

eines Planungsgebots erfolgt aber nach wie vor durch die<br />

Kommunalaufsicht.<br />

Stichwort „Antragsbefugnis zur Untersagung raumordnungswidriger<br />

Planungen und Maßnahmen“: Bisher konnten<br />

die Regionalverbände eine solche Maßnahme nur anregen.<br />

Künftig haben sie ein gesetzliches Antragsrecht.<br />

Stichwort „Qualifiziertes Anhörungsrecht bei der Abfallwirtschaftsplanung“:<br />

Dies bedingt eine Änderung des Landesabfallgesetzes.<br />

Bisher konnte die Kompetenz des Regionalverbands<br />

für Entscheidungen der Abfallwirtschaftsplanung<br />

genutzt werden, aber das musste nicht geschehen.<br />

Künftig sollen derartige Entscheidungen ausdrücklich im<br />

Benehmen mit dem Regionalverband erfolgen, soweit die<br />

Entscheidungen erhebliche Bedeutung für die Region haben.


(Staatssekretär Dr. Mehrländer)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Stichwort „Dienstleistungen für Gemeinden und Kreise“:<br />

Bisher konnten planerische Vorarbeiten eines Regionalverbands<br />

nicht ohne weiteres und vor allem nicht zielgerichtet<br />

zur Ersparnis <strong>von</strong> Kosten und Zeit für kommunale Projekte<br />

genutzt werden. Künftig kann der Regionalverband Dienstleistungen<br />

für weisungsfreie Planungen der Gemeinden<br />

und Landkreise gegen Entgelt übernehmen.<br />

Stichwort „Deregulierung und Beschleunigung des Regionalplanänderungsverfahrens<br />

und des Zielabweichungsverfahrens“:<br />

Bisher ist hierfür – auch für einfache Änderungen<br />

– ein zweistufiges Beteiligungsverfahren vorgeschrieben.<br />

Künftig ist für die Änderung eines Regionalplans nur noch<br />

ein einstufiges Verfahren erforderlich, und für die Entscheidung<br />

im Zielabweichungsverfahren ist nicht mehr das<br />

Wirtschaftsministerium zuständig, sondern das zugebenermaßen<br />

ortsnähere Regierungspräsidium.<br />

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf enthält darüber<br />

hinaus eine Öffnungsklausel zur Überleitung der Regionalplanung<br />

vom Regionalverband auf einen Regionalzweckverband,<br />

den die Stadt- und Landkreise der Region<br />

bilden. Diese Klausel ist <strong>von</strong> den Regionalverbänden, aber<br />

auch vom Gemeindetag angegriffen worden, aber mit unterschiedlicher<br />

Zielsetzung. Die Regionalverbände sind gegen<br />

eine Öffnungsklausel, der Gemeindetag möchte sie geändert<br />

haben. Der Gemeindetag sieht in der Öffnungsklausel<br />

einen Vorgriff auf eine Verwaltungsreform, und die gehöre<br />

in die nächste Legislaturperiode, und er fordert vor allem<br />

eine stärkere Repräsentanz der kreisangehörigen Gemeinden.<br />

Meine Damen und Herren, hier ist ein Blick in den Gesetzentwurf<br />

angebracht, und dann zeigt sich: Zum einen regelt<br />

die Öffnungsklausel nur die erste Stufe eines Aufgabenübergangs<br />

und überlässt die endgültige Entscheidung einem<br />

weiteren Gesetz, das vom <strong>Landtag</strong> zu beschließen ist.<br />

Zum anderen lässt das Zweckverbandsrecht eine Mitgliedschaft<br />

der kreisangehörigen Gemeinden zu; allerdings entscheiden<br />

darüber die Mitglieder des Regionalzweckverbands.<br />

Für die Gemeinden eröffnet sich zudem eine ganze<br />

Palette <strong>von</strong> Möglichkeiten, sich in die Arbeit eines Regionalzweckverbands<br />

einzubringen.<br />

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Dieser<br />

Gesetzentwurf ist in intensiven Beratungen vorbereitet<br />

worden. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben. Im<br />

Namen der Landesregierung bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf<br />

zuzustimmen.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/<br />

DVP)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Fleischer.<br />

Abg. Fleischer CDU: Herr Präsident, meine sehr verehrten<br />

Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Gesetz über die Weiterentwicklung<br />

der Regionen, das <strong>von</strong> uns sehr sorgfältig<br />

überdacht wurde, geht es in der Tat um eine maßvolle<br />

Kompetenzerweiterung, ohne dass eine zusätzliche Verwaltungsebene<br />

entsteht, um Straffung, Vereinfachung, Deregulierung,<br />

was bei Planänderungs- oder Zielabwei-<br />

chungsverfahren dringend notwendig ist. Es geht auch um<br />

die Kompetenz zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit<br />

und damit – da ist ein innerer Zusammenhang gegeben –<br />

um die Öffnungsklausel, die die Möglichkeit zur Übertragung<br />

der Regionalplanung auf einen <strong>von</strong> den Stadt- und<br />

Landkreisen der Region gebildeten Regionalzweckverband<br />

gibt. Gerade auf den letzten Punkt möchte ich ganz besonders<br />

eingehen.<br />

Die Öffnungsklausel entspricht der Zusage unseres Ministerpräsidenten,<br />

dass sich jede Region ihren regionalen<br />

Maßanzug schneidern kann und soll. Sie ist damit eine klare<br />

und definitive Absage an den Gedanken, dass das Modell<br />

der Region Stuttgart auf die anderen Regionen<br />

zwangsübertragen werden könnte.<br />

Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird der<br />

kommunalen Seite die Möglichkeit eröffnet, selbst zu entscheiden,<br />

wie die regionale Ebene aussehen soll. Dies ist<br />

eine Stärkung der kommunalen Ebene, aber nur dann,<br />

wenn alle Land- und Stadtkreise der Region dies auch so<br />

wollen, wobei es nach altem demokratischem Grundsatz<br />

klar ist, dass in dem jeweiligen Gremium eine entsprechende<br />

Mehrheit da sein muss.<br />

Diese Öffnungsklausel trägt der Tatsache Rechnung, dass<br />

Landesplanung wegen der unterschiedlichen Situationen in<br />

unserem Land auch unterschiedlich organisiert werden<br />

muss. Am südlichen Oberrhein ist es beispielsweise so,<br />

dass die Landesplanung ganz entscheidend durch die Grenze<br />

zu Frankreich geprägt ist und deswegen eine grenzüberschreitende<br />

Zusammenarbeit dort dringend geboten ist. Wir<br />

haben in der Vergangenheit zwischen deutschen Gemeinden<br />

und französischen Betrieben Prozesse erlebt, sehr unschöne<br />

Auseinandersetzungen, und es ist ein großes Anliegen<br />

der gesamten Region, dass an dieser Grenze in Zukunft<br />

besser, aber auch verbindlicher zusammengearbeitet wird.<br />

Diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist eine wichtige<br />

landespolitische Aufgabe und am südlichen Oberrhein<br />

mit das Kern- und Herzstück der dortigen Politik quer<br />

durch alle Parteien.<br />

Deshalb ist das erste Ziel dieser Öffnungsklausel, dass die<br />

grenzüberschreitende Zusammenarbeit ganz wesentlich<br />

verbessert werden kann. Die Grundlage dafür bildet der<br />

Karlsruher Staatsvertrag, der dies völkerrechtlich vorbereitet<br />

hat, der ausdrücklich vorsieht, dass diese Zusammenarbeit<br />

durch Zweckverbände möglich ist. Nunmehr ist ausdrücklich<br />

die Rechtsgrundlage dafür geschaffen, dass die<br />

regionale Ebene grenzüberschreitend tätig werden kann.<br />

Eine rechtsverbindliche wechselseitige Landesplanung<br />

links und rechts des Rheins ist aber nur über einen Zweckverband<br />

möglich, da der Karlsruher Staatsvertrag einen Regionalverband<br />

als grenzüberschreitend verbindlich werdende<br />

Institution schlicht nicht vorsieht.<br />

Durch dieses Gesetz machen wir uns für eine rechtsverbindliche<br />

grenzüberschreitende Landesplanung kompatibel.<br />

Gleiches tut der Gesetzgeber auf der anderen Seite des<br />

Rheins seit geraumer Zeit in der Nationalversammlung und<br />

im Senat. Gestern habe ich die Mitteilung erhalten, dass<br />

das entsprechende französische Gesetz Mitte Dezember die<br />

letzten parlamentarischen Hürden genommen hat und nun<br />

in Kraft ist. Die im Rahmen des französischen Gesetzge-<br />

8009


(Fleischer)<br />

8010<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

bungsverfahrens so wichtigen Anwendungsdekrete werden<br />

nach Einschätzung der Fachleute nach den Kommunalwahlen<br />

in Frankreich Ende März dieses Jahres abgeschlossen.<br />

Ich darf den Wortlaut vorlesen, den die Nationalversammlung<br />

hierzu verabschiedet hat:<br />

Die städtebaulichen Planungsdokumente, die Grenzgebiete<br />

betreffen, haben die Flächennutzung<br />

– hierzu zählen auch rechtskräftige Pläne –<br />

in den jeweiligen Gebieten in den angrenzenden Nachbarstaaten<br />

zu berücksichtigen. Die Gemeinden und<br />

hierfür zuständigen interkommunalen Zweckverbände<br />

können die Gebietskörperschaften im Nachbarstaat, die<br />

für Raumordnungsfragen in den Bereichen des Wohnungswesens,<br />

des Städtebaus, der Verkehrsfragen, der<br />

Raumordnung und des Umweltschutzes zuständig sind,<br />

konsultieren.<br />

Dies ist eine klare Öffnungsklausel durch die französische<br />

Seite. Angesichts des französischen Zentralismus hätte<br />

man dies, zumal in diesem Tempo, kaum erwarten können.<br />

(Beifall des Abg. Hans-Michael Bender CDU)<br />

Wir hätten uns zweifellos noch mehr gefreut, wenn sich die<br />

Formulierung des Senats unter der Federführung <strong>von</strong> Senator<br />

Hoeffel, die noch konkreter und detaillierter ist, durchgesetzt<br />

hätte. Doch ist das jetzt Erreichte gerade in Anbetracht<br />

der vorher geltenden Rechtslage zweifellos ein beachtlicher<br />

Fortschritt und Erfolg auch für die Arbeit des<br />

Oberrheinrats. Welche Blamage wäre es für uns, die wir<br />

nicht in einem so zentralistisch, sondern in einem föderalistisch<br />

strukturierten Land leben, wenn wir uns unsererseits<br />

nicht für dieses Angebot, das auf dem Karlsruher Staatsvertrag<br />

basiert, kompatibel machen würden! Wer grenzüberschreitende<br />

Arbeit wirklich will, muss deshalb für diese<br />

Öffnungsklausel als ein Angebot an die vor Ort Tätigen<br />

sein.<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Öffnungsklausel<br />

verfolgt aber noch ein zweites Ziel: eine Stärkung<br />

der kommunalen Ebene. Der Gesetzentwurf sieht einen<br />

kommunal verfassten Zweckverband ohne Stimmbindung<br />

vor. Wir wollen im Rahmen der Beratungen einen mit unserem<br />

Koalitionspartner abgestimmten Antrag einbringen,<br />

der die kommunale Mitsprache zusätzlich verstärkt. Wir<br />

wissen zwar, dass die Kreistage sehr, sehr viele Bürgermeister<br />

– das ist wegen deren Kompetenz gut so – in diesen<br />

Zweckverband entsenden werden. Die kommunale Seite<br />

wird also gut vertreten sein. Aber wir wollen zusätzlich<br />

– dies werden wir beantragen – in Artikel 1 Nr. 10 folgenden<br />

Absatz 4 anfügen:<br />

Die Mitwirkung der kreisangehörigen Gemeinden ist<br />

in der Verbandssatzung zu regeln.<br />

Auch damit geben wir wieder das nach unten, was unten zu<br />

regeln ist. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen – es gibt<br />

viele Möglichkeiten –, dass unter „Mitwirkung“ die Bildung<br />

eines Beirats zu verstehen ist, in dem aus jedem Bürgermeistersprengel<br />

ein zusätzlicher Vertreter mitarbeitet.<br />

Das Gremium wäre dann – ich habe es für meine Region<br />

einmal durchgerechnet – überschaubar und würde in der<br />

Arbeit zu keiner besonderen Erschwerung führen. Meine<br />

Damen und Herren, damit wollen wir ein deutliches Zeichen<br />

zugunsten der kommunalen Mitsprache setzen.<br />

Zusammenfassend darf ich sagen: Dieses Gesetz eröffnet<br />

Stadt- und Landkreisen unter verbesserter Mitwirkung der<br />

Gemeinden die Möglichkeit, Landesplanung grenzüberschreitend,<br />

maßgeschneidert für die Region neu zu formulieren<br />

– eine ebenso reizvolle und spannende wie zukunftsorientierte<br />

Aufgabe. Der Gesetzgeber eröffnet damit eine<br />

neue Perspektive für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit<br />

und stärkt das kommunale Element bei der Fortschreibung<br />

der Regionalplanung.<br />

Ich möchte noch einmal daran erinnern: Im Oberrheinrat –<br />

ob im Planungsausschuss oder in den anderen Gremien –<br />

ist dies über alle Parteigrenzen hinweg jeweils einstimmig<br />

so gewünscht und nach vorn getrieben worden. Insofern<br />

müsste auch dieses hohe Haus zu einem einstimmigen Beschluss<br />

in der Lage sein.<br />

(Beifall bei der CDU und der Abg. Lieselotte<br />

Schweikert FDP/DVP)<br />

Präsident Straub: Das Wort erhält Herr Abg. Schmiedel.<br />

Abg. Schmiedel SPD: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Nicht nur in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> wird über die<br />

Weiterentwicklung und Ausgestaltung der Regionen nachgedacht<br />

und heute im <strong>Landtag</strong> darüber debattiert, nein, in<br />

der gesamten Bundesrepublik und in ganz Europa wird –<br />

nicht spektakulär, aber doch sehr intensiv – darüber nachgedacht,<br />

wie das Verhältnis <strong>von</strong> zentralen Städten mit ihrem<br />

Umland geregelt werden kann und wie die sich daraus<br />

ergebenden neuen Lebenszusammenhänge vernünftig gestaltet<br />

werden können. Die Menschen leben heute nicht<br />

mehr nur in Städten und auch nicht nur in Landkreisen,<br />

sondern sie wohnen in einer Stadt, arbeiten in einer anderen,<br />

verbringen ihre Freizeit in einer dritten und besuchen<br />

eine kulturelle Veranstaltung woanders. Diese Zusammenhänge<br />

zwischen Arbeiten, Wohnen, Freizeit und Erholung<br />

finden in der Region statt. Übrigens, auch 80 % der Verbindungen<br />

im Internet finden innerhalb einer Region statt.<br />

Daraus ergibt sich eine Menge <strong>von</strong> Fragestellungen, die<br />

nur noch regional zu lösen sind, Fragen, die nur noch regional<br />

zu beantworten sind, zum Beispiel Sicherstellung<br />

der Mobilität – das ist ganz sicher keine Frage, die <strong>von</strong> einer<br />

Stadt beantwortet werden kann, auch nicht <strong>von</strong> einem<br />

Landkreis, sondern nur regional – oder eine Siedlungsentwicklung,<br />

die Raum für Natur, Erholung und Freizeit lässt,<br />

oder Gewerbegebiete, die überörtlich orientiert als Alternative<br />

zu den vereinigten Hüttenwerken hinter jedem Dorf<br />

angeboten sind, um nur einige Beispiele zu nennen.<br />

Angesichts dieser regionalpolitischen Herausforderungen,<br />

meine Damen und Herren, müssen wir leider die Antwort<br />

der Landesregierung, die spät kommt, als unzureichend beurteilen.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist aber<br />

schade! – Abg. Göbel CDU: Das hätte uns ja gewundert!)


(Schmiedel)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Ich will das an ein paar Beispielen aufzeigen. Wir haben<br />

im Verband Region Stuttgart die direkte Wahl der Regionalversammlung.<br />

Das bedeutet nicht nur ein Mehr an Demokratie,<br />

sondern bedeutet auch, dass sich die Parteien ein<br />

regionalpolitisches Programm geben müssen. Das heißt,<br />

man muss sich zwingen, aus dem üblichen Korsett entweder<br />

eines Stadtverbands oder eines Kreisverbands herauszuschlüpfen<br />

und zu sagen: Jetzt denke ich regional und gebe<br />

eine regionalpolitische Antwort. Das Ergebnis eines solchen<br />

Ansatzes in der Region Stuttgart ist, dass es nicht auf<br />

Parteien begrenzt bleibt. Übrigens war die Wirtschaft in<br />

Form der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart<br />

ein Vorläufer. Auch die Handwerkskammer Region Stuttgart<br />

hat sich regional organisiert. Auch die Umweltverbände,<br />

auch die Kirchen, auch die Gewerkschaften gehen solchen<br />

regionalen Strukturen hinterher und sind dann wichtige<br />

Ansprechpartner und Mitgestalter bei regionalpolitischen<br />

Entscheidungen. All dies kann nicht stattfinden,<br />

wenn es dabei bleibt, dass die Regionalversammlung in<br />

den Regionalverbänden delegiert bleibt. Es bleiben delegierte<br />

Regionalpolitiker, die ihre Entscheidungen natürlich<br />

herkunftsorientiert zu treffen haben. Es bleibt Stückwerk.<br />

Deshalb werden wir in der weiteren Beratung einen Änderungsvorschlag<br />

einbringen, in allen Regionalverbänden wie<br />

im Verband Region Stuttgart die Direktwahl der Regionalversammlung<br />

einzuführen.<br />

Zweiter Punkt: Regionalverbände sollen in regionalbedeutsamen<br />

Angelegenheiten auch Mitglied <strong>von</strong> Gesellschaften<br />

werden können und damit auch Kosten übernehmen können.<br />

Die Hürde, die dafür vorgeschlagen wird, ist eine<br />

Zweidrittelmehrheit, und das ist eine enorm hohe Hürde.<br />

Sie ermöglicht eben nicht die erwünschte Flexibilität und<br />

auch nicht die erwünschte Klarheit. Sie gibt im Übrigen bei<br />

Zweidrittelmehrheiten auch kleinen Gruppen ein außerordentlich<br />

starkes Gewicht, nämlich als Zünglein an der<br />

Waage. Deshalb können wir überhaupt nicht einsehen,<br />

weshalb es entgegen allen demokratischen Gepflogenheiten<br />

dabei bleiben soll, dass hier nur mit einer Zweidrittelmehrheit<br />

eine solche Entscheidung getroffen werden kann,<br />

und schlagen vor, dass man das mit der üblichen Mehrheit<br />

der Mitglieder beschließt. Damit sind schnellere Entscheidungen<br />

möglich; damit sind auch klarere Entscheidungen<br />

möglich.<br />

(Abg. Deuschle REP: Ob bessere, ist die Frage!)<br />

Damit gibt es auch keine ganz spannenden, knappen Situationen<br />

– einmal hü und einmal hott –, auf die man sich am<br />

Ende nicht verlassen kann.<br />

(Abg. Deuschle REP: Das macht die Sache doch<br />

interessant!)<br />

Ein dritter Punkt: Es wird gesagt: „Wir stärken die Regionalverbände,<br />

aber wir schaffen keine dritte oder vierte Ebene.“<br />

Fakt ist natürlich, dass diese Stärkung zu allem anderen<br />

hinzukommt und dass das alles andere als eine Vereinfachung<br />

oder gar ein Abbau <strong>von</strong> Verwaltungsbürokratie ist.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Sehr<br />

richtig!)<br />

Ein Beispiel: Wenn gebietsscharf ausgewiesen wird, wenn<br />

über die Zulässigkeit <strong>von</strong> großflächigem Einzelhandel im<br />

Regionalplan mit entschieden wird und wenn es am Ende<br />

bei der Entscheidung des Regierungspräsidiums bleibt,<br />

führt das zu folgendem Prozess: Über einen Standort wird<br />

natürlich, wie gehabt, in der Kommune entschieden. Bei<br />

den kleineren Kommunen wird das Landratsamt damit befasst.<br />

Dann befasst sich die Region Stuttgart damit. Der<br />

Entscheidungsträger ist das Regierungspräsidium. Im Konfliktfall<br />

zwischen regionalpolitischen und kommunalpolitischen<br />

Vorstellungen orientiert sich die Kommune natürlich<br />

an dem potenziellen Entscheidungsträger Regierungspräsidium.<br />

Womöglich bekommt sie auch Recht. Damit schaffen<br />

wir als eine zusätzliche, neue Hürde die Möglichkeit,<br />

dass die Region jetzt auch gegen das Regierungspräsidium<br />

klagen kann.<br />

Wir halten das für eine im Grunde genommen absurde<br />

Konstruktion, die nur aus der Not heraus geboren ist, weil<br />

man sich ideologisch daran klammert, einer Region keine<br />

Verwaltungskompetenz zu geben. Deshalb werden wir im<br />

Gang der weiteren Beratungen vorschlagen, endlich zu einem<br />

Abbau <strong>von</strong> Bürokratie zu kommen, zu schnelleren<br />

Entscheidungen und klareren Entscheidungsprozessen zu<br />

kommen – und auch zu klareren Verantwortlichkeiten –,<br />

indem wir alle raumordnerischen Zuständigkeiten <strong>von</strong> den<br />

Regierungspräsidien auf die Regionalverbände übertragen.<br />

Wir hätten damit den Vorteil, dass wir endlich über die<br />

Stufe eines reinen Planungsverbands hinauskämen, dass<br />

wir Planung und Entscheidung auf einer Ebene bündeln<br />

könnten und dass wir im Übrigen auch für Demokratie und<br />

Transparenz bei Entscheidungen sorgen könnten, weil auf<br />

regionaler Ebene die Beschlussfassung im Planungsausschuss<br />

oder in der Regionalversammlung – im Gegensatz<br />

zu Entscheidungen des Regierungspräsidiums – öffentlich<br />

ist und auch kontrovers diskutiert werden kann. Damit hätten<br />

wir eine Fülle <strong>von</strong> Vorzügen gegenüber einer Beibehaltung<br />

der alten, hemmenden, langwierigen, zögerlichen und<br />

in sich widersprüchlichen bürokratischen Abläufe.<br />

Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Zweckverband sagen:<br />

Sie haben das für den Bereich der grenzüberschreitenden<br />

Zusammenarbeit, wie ich glaube, vernünftig und nachvollziehbar<br />

ausgeführt. Niemand würde auf die Idee kommen,<br />

Zweckverbände für grenzüberschreitende Zusammenarbeit<br />

nicht zulassen zu wollen. Aber Zweckverbände als<br />

ein Schlupfloch, als eine Alternative für Regionalverbände<br />

vorzusehen, halten wir für gestriges Denken,<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Klar! –<br />

Abg. Fleischer CDU: Für künftiges!)<br />

das sich an Entscheidungsabläufen orientiert, die in den<br />

Regionen <strong>von</strong> den Honoratioren getroffen werden,<br />

(Abg. Deuschle REP: Geheimräten! Den hohen<br />

Geheimräten!)<br />

<strong>von</strong> hochmögenden Landräten, vom Bürgermeistersprengel.<br />

Als Staffage dürfen in den Zweckverbänden dann auch<br />

noch ein paar Kreisräte und Stadträte herumsitzen. Das alles<br />

ist kein Beitrag zur politischen Stärkung <strong>von</strong> Regionen.<br />

(Abg. Fleischer CDU: Was haben Sie für ein Kommunalverständnis?)<br />

8011


(Schmiedel)<br />

8012<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Dies ist vielmehr ein Beitrag, alte bürokratische Abläufe –<br />

eine Hand wäscht die andere, man tut sich nicht weh – zu<br />

festigen. So war es bei den Regionalverbänden immer<br />

schon ein bisschen angelegt.<br />

(Zurufe der Abg. List und Rückert CDU)<br />

Das ist aber keine starke regionalpolitische Antwort.<br />

Deshalb freuen wir uns, meine Damen und Herren, auf die<br />

weitere Debatte im Ausschuss. Wir werden Sie mit unseren<br />

weiterführenden Vorstellungen konfrontieren. Wir wissen<br />

auch, dass es dazu im Regierungslager ganz unterschiedliche<br />

Meinungen gibt, dass die CDU sich schon immer mit<br />

dem Thema Regionen sehr schwer tut, zum Teil so etwas<br />

wie eine innere Opposition gegen das Thema „Stärkung<br />

der Regionen“ hat.<br />

(Abg. Herrmann CDU: Wir haben gute Landkreise!)<br />

Wir wissen, dass Ihr Koalitionspartner gern ein bisschen<br />

weiter springen würde, sich aber nicht durchsetzen kann.<br />

(Abg. Deuschle REP: Nicht darf! – Zuruf des Abg.<br />

Fleischer CDU)<br />

Das wird eine interessante Debatte.<br />

Im Übrigen müssen wir diese Debatte auch noch etwas anreichern.<br />

Wenn wir sagen, wir wollen die Regionen stärken,<br />

dann müssen es natürlich auch Regionen sein, die zueinander<br />

gehören.<br />

(Abg. Deuschle REP: Eben!)<br />

Es ist doch ein innerer logischer Widerspruch, zum Beispiel<br />

im Landesentwicklungsplan <strong>von</strong> einer europäischen<br />

Metropolregion zu reden, zu der Tübingen und Reutlingen<br />

gehören, es dann aber beim alten Zuschnitt zu belassen, nur<br />

weil man sich scheut, über die Grenzen der Regierungspräsidien<br />

hinauszudenken, oder den Bodensee in der Mitte<br />

zu teilen, anstatt eine Bodenseeregion zu machen.<br />

Ihre Antwort wird den regionalpolitischen Herausforderungen<br />

nicht gerecht. Aber wir werden Sie mit zukunftweisenden<br />

Antworten konfrontieren. Wir hoffen natürlich, dass<br />

Sie sich mindestens in dem einen oder anderen Punkt noch<br />

bewegen und nicht in Fundamentalopposition zu einer regionalpolitischen<br />

Offensive verharren.<br />

(Beifall bei der SPD – Abg. Brechtken SPD: Sehr<br />

gut!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Oelmayer.<br />

(Abg. Behringer CDU: Schon wieder! – Abg.<br />

Hans-Michael Bender CDU: Heute Großeinsatz!<br />

Exklusivredner!)<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Wer viel zu sagen<br />

hat, kommt oft dran.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Bei uns gäbe das wegen<br />

Ämterhäufung ein Problem!)<br />

Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Zwei<br />

Begründungen aus meiner Sicht, warum das Gesetz über<br />

die Weiterentwicklung der Regionen kurz vor Ablauf der<br />

Wahlperiode in das Parlament eingebracht wird.<br />

Der erste Grund: Diese Überlegung und diesen Hintergrund<br />

begrüßen wir grundsätzlich, weil wir als bündnisgrüne<br />

Fraktion in diesem Haus schon immer der Auffassung<br />

waren und nach wie vor der Auffassung sind, dass es<br />

aufgrund der Herausforderungen in einem zusammenwachsenden<br />

Europa auch in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> einer Stärkung<br />

der Regionen bedarf.<br />

Den zweiten Grund, warum der Gesetzentwurf so spät und<br />

warum er jetzt aber doch noch eingebracht wird, kann ich<br />

Ihnen auch nennen.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Es ist nie zu<br />

spät!)<br />

Der erste Teilaspekt: einfach deshalb – der Kollege<br />

Schmiedel hat es angesprochen –, weil Sie sich weder in<br />

der Koalition noch in der CDU-Fraktion darüber einig sind,<br />

welche Entwicklungen denn das Land in Strukturfragen<br />

nehmen soll. Man kann sagen, die CDU bringt hier ihren<br />

Strukturkonservatismus eindeutig zum Ausdruck, und dies<br />

nicht unbedingt zum Nutzen des Landes.<br />

(Zuruf des Abg. List CDU)<br />

Den anderen Grund – Kollege List, hören Sie gut zu –, warum<br />

dieses Gesetz jetzt eingebracht wird, hat noch die <strong>von</strong><br />

Ihnen getragene Bundesregierung, Kollege List, geschaffen:<br />

Am 1. Januar 1998 ist das neue Raumordnungsgesetz<br />

des Bundes in Kraft getreten mit einer darin enthaltenen<br />

Klausel, dass die entsprechenden Landesgesetze bis zum<br />

31. Dezember dieses Jahres angepasst werden müssen.<br />

Jetzt hätte ich mir gedacht, dass die Landesregierung in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

diese Zeit nutzt, um intensive Diskussionen<br />

sowohl in diesem Haus als auch außerhalb des Hauses<br />

mit den bestehenden Institutionen, mit den Gemeinden, mit<br />

den Regionalverbänden etc. zu führen. Aber die Landesregierung<br />

hat sich jetzt selbst in Zeitnot gebracht, und deswegen<br />

ist nur ein ganz kleiner Kompromissvorschlag zum Bereich<br />

der Regionalisierung herausgekommen. Ich habe heute<br />

Morgen schon angesprochen – das ist nicht einmal beim<br />

Kollegen Hauk auf Widerspruch gestoßen –,<br />

(Abg. Hauk CDU: Das ist aber nicht wahr! – Abg.<br />

Bebber SPD: Heißt das etwas?)<br />

dass die verstärkte regionale Tätigkeit und die Regionalisierung<br />

der Politik in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> auch im Landesentwicklungsplan<br />

festgeschrieben werden sollen. Aber die<br />

Konkretisierung dieser verstärkten Regionalisierung, die<br />

Sie jetzt mit diesem Gesetzentwurf vorlegen, lässt unseres<br />

Erachtens doch sehr zu wünschen übrig. Ich kann Ihnen<br />

begründen, weshalb.<br />

Erstens: Die Kompetenzerweiterungen, die Sie jetzt den<br />

Regionalverbänden zugestehen wollen, finden wir in Ordnung.<br />

Sie wollen damit den Abstand, den es in der Regionalentwicklung<br />

zwischen der Region Stuttgart und den anderen<br />

elf Regionen im Land gibt, verkürzen. Auch dieses


(Oelmayer)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Anliegen tragen wir mit. Aber die Kompetenzen, die Sie<br />

jetzt letztendlich auf die Regionen mit den gegebenen und<br />

den vorgesehenen Verfahrensvorschriften übertragen wollen,<br />

konterkarieren das Vorhaben wieder zum Teil. Die<br />

Konterkarierung wird sozusagen auf den Punkt gebracht –<br />

das möchte ich deutlich formulieren –, wenn Sie jetzt die<br />

Öffnungsklausel, nämlich die Gründung <strong>von</strong> Zweckverbänden,<br />

in dieses Gesetz mit aufnehmen.<br />

Man kann es auch als Lex Fleischer bezeichnen. Kollege<br />

Fleischer hat hier auch für die CDU-Fraktion gesprochen.<br />

Sie haben eindeutig nur eine Region erwähnt, obwohl das<br />

Land aus mehreren Regionen besteht, Herr Kollege Fleischer,<br />

und nicht nur aus der Region mit ihren speziellen<br />

Problemen, aus der Sie kommen. Die lösen Sie damit natürlich<br />

nicht, Kollege Fleischer.<br />

Wir haben hier den Verband Region Stuttgart, der per Gesetz<br />

als Region verfasst ist. Damit wird eigentlich schon<br />

zum Ausdruck gebracht, dass die jetzige Verfasstheit bestimmte<br />

andere Gebietskörperschaften, wie zum Beispiel<br />

Landkreise, zumindest infrage stellt. Darüber müsste eigentlich<br />

anhand eines Regionalisierungsgesetzes diskutiert<br />

und dann letztendlich auch entschieden werden. Aber darum<br />

drücken Sie sich.<br />

Sie gehen noch einen Schritt weiter: Das Gesetz zur kommunalen<br />

Zusammenarbeit, das die Möglichkeit der Gründung<br />

<strong>von</strong> Zweckverbänden schafft, soll jetzt quasi eine Art<br />

Stoßrichtung sein, um die bisher bestehenden Regionalverbände<br />

zu desavouieren.<br />

Ich darf Ihnen, Herr Kollege Fleischer, einmal aus einer<br />

Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf zitieren.<br />

(Abg. Fleischer CDU: Sie haben das Problem im<br />

Ansatz nicht erfasst!)<br />

Die zitiere ich Ihnen jetzt, weil Sie nämlich auch zitiert haben.<br />

Herr Kollege Fleischer, hören Sie gut zu. Die Arbeitsgemeinschaft<br />

der Regionalverbände hat zu dem Gesetzentwurf<br />

folgende Kommentierung abgegeben.<br />

(Zurufe der Abg. Rückert, Ruder und Fleischer<br />

CDU)<br />

– Das sind die zwölf bestehenden Regionalverbände, Kollege<br />

Ruder. „Wer ist denn das?“ Das ist nun eine Frage, die<br />

Sie nicht an mich, sondern an sich selber richten müssen.<br />

Die Regionalverbände weisen darauf hin, dass sich die bestehende<br />

Organisationsform unstreitig bewährt hat und effektive<br />

Arbeit leistet, etwa bei der Rohstoffsicherung, beim<br />

Hochwasserschutz usw. Sie weisen ferner darauf hin, dass<br />

mit jeder Zweckverbandslösung die Regionalplanung im<br />

Lande zwangsläufig unübersichtlicher, weniger transparent,<br />

weniger effizient, weniger demokratisch, weniger bürgernah,<br />

zersplitterter und letztendlich auch investitionshemmend<br />

wird.<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Kritik habe ich<br />

nichts hinzuzufügen. Das ist eine ganz eindeutige und präzise<br />

Kritik an dem <strong>von</strong> Ihnen eingebrachten Gesetzentwurf.<br />

Wir sind vielmehr der Meinung, dass wir in diesem Hause<br />

– – Das können wir wahrscheinlich, Kollege Döpper, nicht<br />

mehr in dieser Legislaturperiode entscheiden. Da bin ich<br />

mit Ihnen einig. Aber dann müssen Sie die Vorlage solcher<br />

Gesetzentwürfe vielleicht in die nächste Legislaturperiode<br />

verschieben. Wer sie dann einbringen möge, das lassen wir<br />

einmal dahingestellt.<br />

(Glocke des Präsidenten)<br />

Aber solche Halbheiten, wie sie jetzt in dieser Form <strong>von</strong><br />

Ihnen vorgelegt werden, können wir als Fraktion Bündnis<br />

90/Die Grünen jedenfalls nicht mittragen.<br />

Stellv. Präsident Birzele: Herr Kollege Oelmayer, gestatten<br />

Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Fleischer?<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Bitte.<br />

Abg. Fleischer CDU: Herr Kollege, ist Ihnen bekannt,<br />

dass der Direktor des Zweckverbands Südlicher Oberrhein,<br />

der einer der schärfsten Gegner der Zweckverbandslösung<br />

war, zwischenzeitlich presseöffentlich erklärt hat, dass er<br />

seine Position noch einmal überdacht habe und nunmehr<br />

die Zweckverbandslösung nachhaltig befürworte, und wäre<br />

das nicht Anlass für Sie, Ihre <strong>von</strong> gestern stammenden<br />

Überlegungen auch einmal etwas mehr nach vorne zu orientieren?<br />

(Abg. Brechtken SPD: Nicht immer dort, wo der<br />

Fleischer steht, ist vorne!)<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Kollege Fleischer,<br />

darüber, wer Vorstellungen <strong>von</strong> gestern hier ins Parlament<br />

einbringt, brauchen wir zwei nicht zu diskutieren.<br />

Es ist eindeutig klar – das steht in der Landesverfassung –,<br />

dass die Vielfalt der Regionen erhalten bleiben soll, dass<br />

wir aber auch alle Regionen gemeinsam nach vorne bringen<br />

sollen. Da kann es nicht sein, dass wir mit solchen Öffnungsklauseln,<br />

wie Sie sie jetzt im Gesetzentwurf vorsehen,<br />

zu wirklich nicht mehr überschaubaren regionalpolitischen<br />

Regelungen im Land beitragen.<br />

Den Gesetzentwurf in dieser Form, mit dieser Öffnungsklausel<br />

können wir jedenfalls – das werde ich Ihnen in den<br />

Ausschussberatungen nochmals im Detail begründen; ich<br />

werde auch entsprechende Anträge einbringen – nicht mittragen.<br />

Da können Sie sicher sein.<br />

(Glocke des Präsidenten)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Herr Kollege Oelmayer, gestatten<br />

Sie eine weitere Zwischenfrage?<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Wir können das<br />

nachher ja noch einmal bilateral klären.<br />

Ein weiterer Punkt, der meines Erachtens noch angesprochen<br />

werden muss, betrifft die zugestandenen Kompetenzen.<br />

Hier hat man sich an dem orientiert, was der Verband<br />

Region Stuttgart per Landesgesetz zugestanden bekommen<br />

hat. Diese Kompetenzregelung ist ja in dieser Wahlperiode<br />

nochmals erweitert worden. Sie macht aber auch deutlich<br />

– – Und wenn Sie mit den Vertreterinnen und Vertretern<br />

des Verbands Region Stuttgart sprechen – –<br />

Wenn Sie einmal schauen, welche Möglichkeiten diese Region<br />

hat, um EU-Fördermittel anzufordern, um sich an Pro-<br />

8013


(Oelmayer)<br />

8014<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

jekten zu beteiligen, dann werden Sie schnell feststellen,<br />

dass es nicht angehen kann, dass in anderen Regionen des<br />

Landes mit Zweckverbänden gearbeitet wird, die meines<br />

Erachtens – und Sie wissen ja so gut wie ich, dass diese<br />

nur in dritter Stufe demokratisch legitimiert sind – nicht in<br />

der Lage sind, die regionalen Aufgaben der Zukunft im<br />

Land zu erfüllen.<br />

Ganz zum Schluss möchte ich Ihnen noch vorschlagen –<br />

und das wäre sicherlich für den <strong>Landtag</strong> ein diskussionswürdiger<br />

Punkt, aber wahrscheinlich nicht mehr für diesen,<br />

sondern für den nächsten –: Man wird in der Zukunft natürlich<br />

auch über Gebietsgrenzen nachdenken müssen. Es<br />

kann ja nicht sein, dass die Region Stuttgart jetzt zur Eurometropole<br />

ausgedehnt werden soll – wie es der Landesentwicklungsplan<br />

ja vorsieht –,<br />

(Zuruf des Abg. Hans-Michael Bender CDU)<br />

während alle anderen Regionen des Landes – so zum Beispiel<br />

die, aus der der Kollege Fleischer stammt – sich als<br />

Zweckverbände organisieren. Meine Damen und Herren,<br />

das kann nicht die Gleichwertigkeit und die Vielfalt der<br />

Entwicklung der Regionen im Lande sein, die die Landesverfassung<br />

meint. Deswegen werden wir unsere Vorstellungen<br />

im Rahmen eines Änderungsantrags in den Ausschussberatungen<br />

einbringen. Dann werden wir sehen, wie<br />

Ernst es Ihnen mit der regionalpolitischen Entwicklung in<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> ist.<br />

(Abg. Dr. Birk CDU: Abrüsten, Kollege!)<br />

Aber ich habe keine großen Hoffnungen, dass Sie diesen<br />

Anträgen folgen werden.<br />

(Abg. Dr. Birk CDU: Sie sind Realist!)<br />

Aber vielleicht haben wir in der nächsten Wahlperiode die<br />

Möglichkeit, die Entwicklungen im Land den Entwicklungen<br />

im europäischen Kontext anzupassen.<br />

(Abg. Deuschle REP: Schwarz-Grün meinen Sie?)<br />

Ich hoffe darauf, dass Sie diese Einsicht noch vorher zeigen.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg.<br />

Deuschle REP: Ja, Schwarz-Grün?)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Hofer.<br />

Abg. Hofer FDP/DVP: Herr Präsident, liebe Kolleginnen<br />

und Kollegen! Mit der Einbringung des Gesetzentwurfs zur<br />

Weiterentwicklung der Regionen setzt die Koalition konsequent<br />

einen weiteren Schritt zur Entwicklung der Regionen.<br />

Wenn Sie fragen, warum wir das jetzt tun, so sage ich<br />

Ihnen: Ganz einfach deshalb, weil es richtig ist, wichtige<br />

Punkte der Koalitionsvereinbarung während der Zeit der<br />

Koalition zu verwirklichen und nicht aufzusparen.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Das ist<br />

nichts Halbes und nichts Ganzes! – Abg. Schmiedel<br />

SPD: Es ist fünf vor zwölf!)<br />

Ich gehe einmal da<strong>von</strong> aus, dass es gut wäre, wenn wir die<br />

nächsten Koalitionsvereinbarungen zur weiteren Stärkung<br />

der Regionen wiederum in Regierungsverantwortung umsetzen<br />

würden.<br />

(Abg. Deuschle REP: Mit wem?)<br />

Die Regionen erhalten neue Kompetenzen und Perspektiven.<br />

Mit einem Zehnpunkteprogramm werden die Handlungsmöglichkeiten<br />

und der Einfluss der Regionen ausgebaut.<br />

Wenn ich dies als konsequenten Schritt bezeichne, dann<br />

bedeutet das zugleich, dass dem natürlich weitere Schritte<br />

folgen werden.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Schmiedel SPD:<br />

Warum macht ihr es nicht gleich?)<br />

Ich sage an dieser Stelle – und das ist ja überhaupt nichts<br />

Neues, aber es soll trotzdem noch einmal gesagt werden –,<br />

dass für uns, auch für mich persönlich, die Stärkung der<br />

Regionen weiterhin auf der politischen Tagesordnung stehen<br />

bleiben wird.<br />

Pragmatisches, konsequentes und beharrliches schrittweises<br />

Vorgehen ist in der Öffentlichkeit zugegebenermaßen<br />

nicht unbedingt immer gefragt, schon gar nicht in Wahlkampfzeiten.<br />

Gefordert wird in aller Regel der „große<br />

Wurf“, am besten noch die Feldherrngebärde, die Maximalforderung,<br />

ja, wenn es geht, noch eine tägliche Vision.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Sehr gut!)<br />

Früher hat man die Leute allerdings zum Arzt geschickt,<br />

wenn sie täglich eine Vision hatten. Heute wirst du in der<br />

Öffentlichkeit nicht ganz ernst genommen, wenn dich nicht<br />

täglich eine überkommt.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Hans-<br />

Michael Bender CDU: Sehr gut! – Abg. Schmiedel<br />

SPD: Zum Beispiel Laptop-Vision!)<br />

Interessant in diesem Zusammenhang sind die Stellungnahmen<br />

der kommunalen Landesverbände, der Regionalverbände<br />

und der Wirtschaftsverbände. Sie vertreten allesamt<br />

die bekannten – das muss ja nicht immer falsch sein –, zum<br />

Teil diametral entgegengesetzten Maximalpositionen, die<br />

alle so ein bisschen nach dem Motto gehen: „Verschon<br />

mein Haus, zünd andere an!“ Jeder möchte etwas anderes<br />

als der andere. Nur in einem ist man sich absolut einig: Die<br />

Veränderung muss grundlegend sein.<br />

Da kann sich der Städtetag schon einmal einen ersatzlosen<br />

Wegfall der Landkreise vorstellen; wenn alle kommunalen<br />

Landesverbände mit dem Landkreistag eine gemeinsame<br />

Erklärung abgeben, findet man da<strong>von</strong> nichts mehr. Die<br />

Parteien sind auf Landesebene schon dabei, ganz forsch zu<br />

sagen: weg mit den Landkreisen. Spätestens dann, wenn es<br />

Kreistagswahlen gibt, entwickeln sie sich zu wahren Kreispatrioten.<br />

Ich will da meine eigene Partei gar nicht ausnehmen.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Sehr<br />

gut!)<br />

Wenn man also nicht nur unterhalten und Schlagzeilen produzieren<br />

will, sondern wirklich etwas erreichen will – das


(Hofer)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

unterstelle ich einmal; jedenfalls für meine Fraktion und<br />

für mich sage ich, dass wir da etwas erreichen wollen –,<br />

gibt es nur den schrittweisen Weg. Dann gibt es nur den<br />

Weg einer Regionalentwicklung <strong>von</strong> unten nach oben.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: So ist es!)<br />

Dann gibt es nur den Weg, bei dem Flexibilität nicht torpediert,<br />

sondern eröffnet wird, so wie es der Städtetag verlangt:<br />

Kooperationsräume, flexibel und anpassungsfähig.<br />

Der Weg muss darauf abzielen, dass die Weiterentwicklung<br />

auf regionaler Ebene nur über eine kommunale Zusammenarbeit<br />

aller regionalen Akteure erfolgen kann. Ich<br />

sage „Arbeit“; denn da muss man beharrlich arbeiten und<br />

darf nicht nur Reden halten.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Sehr gut! –<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Wie die<br />

Landesregierung!)<br />

Ich arbeite hart daran; das glaube ich jedenfalls.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)<br />

Diesen Weg der schrittweisen Entwicklung <strong>von</strong> unten nach<br />

oben verfolgen wir mit dem Gesetz. 1994 wurde der Verband<br />

Region Stuttgart gegründet, 1999 wurden seine Kompetenzen<br />

erweitert, und jetzt kommt das Gesetz, mit dem<br />

die anderen Regionen nachziehen sollen.<br />

Dies alles geschieht in der Erkenntnis und dem sicheren<br />

Wissen, dass regionale Entwicklung erforderlich ist – das<br />

bestreitet ja niemand; es ist übrigens schon wertvoll, dass<br />

das heute niemand mehr bestreitet –, weil unsere Wirtschafts-<br />

und Lebensbedingungen einfach nicht mehr ganz<br />

mit den administrativen und bürokratischen Gebietszuschnitten<br />

übereinstimmen. Das stimmt nicht mehr, da hat<br />

sich etwas verändert. Darauf muss man reagieren, weil<br />

überörtliche Interessen einen Ausgleich der örtlichen Interessen<br />

erfordern und weil der globale Wettbewerb – auch<br />

das wissen wir – heute zwingend mit regionaler Entwicklung<br />

verbunden ist.<br />

Der Weg der Regionalentwicklung <strong>von</strong> unten nach oben,<br />

auf Flexibilität und Zusammenarbeit der regionalen Kräfte<br />

bedacht, ist übrigens nicht nur zielführend, sondern auch<br />

inhaltlich richtig. Ich möchte einmal darauf hinweisen,<br />

dass der Verband Region Stuttgart nicht etwa, wie manche<br />

hier meinen, durch einen gesetzlichen Urknall entstanden<br />

ist.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Nein, durch die SPD!)<br />

Alle, die damals dabei waren, wissen, dass sich schon Jahre<br />

zuvor alle regionalen Akteure in Arbeitsgruppen und<br />

Konferenzen zusammengesetzt hatten, um das ursprünglich<br />

ausschließliche Finanzthema <strong>von</strong> Stuttgart in eine echte regionale<br />

Zusammenarbeit überzuführen. Jeder, der dabei<br />

war, weiß das.<br />

Der Gesetzgeber hat damals Dinge aufgegriffen und mit einer<br />

einzigen Ausnahme im Verhältnis 1 : 1 umgesetzt. Das<br />

war die Direktwahl. Sie war nicht vorgesehen; sie hat der<br />

Ministerpräsident damals aus dem Hut gezaubert. Wir finden<br />

das heute in der Region Stuttgart gut. Aber wir haben<br />

gesagt: Das ist nicht das Modell, das unbedingt allen übergestülpt<br />

werden muss.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der<br />

CDU – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Richtig!<br />

– Abg. Deuschle REP: Aber kein schlechtes Modell,<br />

Herr Kollege!)<br />

Den Weg, dass man sich auch in der Politik wichtige Dinge<br />

erarbeiten und an ihnen dranbleiben muss, eröffnet in ähnlicher<br />

Weise das Gesetz, indem es die regionale Ebene<br />

stärkt und indem es Ungleichheiten der Regionalplanung<br />

im Lande weitestgehend nivelliert.<br />

Besonders wichtig ist – mich wundert, dass es so viele<br />

nicht verstehen; aber wenn sie auf regionaler Ebene weniger<br />

reden als mitarbeiten würden, würden sie es besser verstehen<br />

–, dass das Gesetz den Regionalverbänden das<br />

Recht eröffnet, in allen regionalen Organisationen Mitglied<br />

zu werden. Sie müssen dieses Recht nur in den Regionen<br />

ergreifen. Sie dürfen es nicht nur fordern, sondern müssen<br />

es selber tun. Aber das Gesetz eröffnet jetzt diese Möglichkeit.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der<br />

CDU – Abg. Hans-Michael Bender CDU: So ist<br />

es!)<br />

Durch die Erleichterung grenzüberschreitender Aktivitäten<br />

entlang der Grenzen zu Frankreich, der Schweiz und Österreich<br />

– das ist auch ein ganz wichtiger Punkt – gibt es die<br />

Möglichkeit, über Regionalpläne, regionale Entwicklungskonzepte<br />

und Städtenetze – der Städtetag fordert dies ja –<br />

vertragliche Vereinbarungen mit allen öffentlichen und privaten<br />

Organisationen zu schließen. Das steht im Raumordnungsgesetz<br />

des Bundes. Das wird jetzt übernommen. Ich<br />

wundere mich, dass das so wenig gewichtet wird. Da gibt<br />

es eine breite Palette <strong>von</strong> Möglichkeiten, und die muss und<br />

kann man jetzt ergreifen.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Man<br />

muss!)<br />

Ich komme jetzt auch noch einmal auf das Thema Regionalzweckverband<br />

zu sprechen. Der Regionalzweckverband<br />

mag als Träger der Regionalplanung die Ausnahme bleiben.<br />

Wir haben uns da am Anfang auch schwer getan, das<br />

verhehle ich gar nicht.<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Hört,<br />

hört!)<br />

Aber dort, wo er <strong>von</strong> den regionalen Akteuren als die örtlich<br />

richtige Organisationsform gesehen wird, insbesondere<br />

im grenzüberschreitenden Verkehr, muss sie möglich sein.<br />

Warum denn nicht?<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der<br />

CDU – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Richtig!<br />

Mehrheit statt Regulierung! – Zuruf des Abg.<br />

Deuschle REP)<br />

Für die demokratische Legitimation ist gesorgt. Die<br />

Zweckverbände sind weitestgehend frei in ihrer Satzungsgestaltung.<br />

Nach dem Zweckverbandsgesetz, das Anwen-<br />

8015


(Hofer)<br />

8016<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

dung findet, sind sie das sowieso. Herr Fleischer, ich darf<br />

es vielleicht einmal so formulieren: Ich freue mich, dass<br />

auch unser Koalitionspartner dem Vorschlag zugestimmt<br />

hat, dass man nicht nur sagt: „Ihr könnt eine solche Satzung<br />

machen“ – dann wären die kreisangehörigen Kommunen<br />

die Bittsteller –,<br />

(Abg. Deuschle REP: Eben!)<br />

sondern dass das als gesetzliche Verpflichtung eingeführt<br />

wird, dass auch die kreisangehörigen Kommunen mitzuwirken<br />

haben. Das Wie müssen dann die Regionen ausmachen.<br />

Lieber Kollege List, danke dafür, dass wir das zu<br />

zweit in den Fraktionen haben vortragen können.<br />

(Beifall des Abg. Herrmann CDU – Abg. Hans-<br />

Michael Bender CDU: Sehr vernünftiger Kompromiss!<br />

Sehr gut!)<br />

Im Übrigen will ich auch keinen Zweckverband, in dem ein<br />

Oberbürgermeister zusammen mit drei Landräten sagt, wo<br />

es langgeht. Das ist nicht das, was ich mir unter regionaler<br />

Entwicklung vorstelle.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP sowie der Abg. Bloemecke<br />

CDU und Deuschle REP – Abg. Oelmayer<br />

Bündnis 90/Die Grünen: Das wäre mir aber neu! –<br />

Abg. Brechtken SPD: So ist es nach dem Gesetz<br />

möglich! Das ist das Problem!)<br />

Ich darf an dieser Stelle sagen, was meines Erachtens bisher<br />

die Wenigsten gesehen haben: Ein Zweckverband hat<br />

durchaus einige Vorteile, um die sich Regionalverbände<br />

bemühen. In der Region Stuttgart will man ständig Vollzugsaufgaben<br />

haben. Man will mit dem Umlageproblem<br />

fertig werden. Das können Sie am besten über einen<br />

Zweckverband. Das muss man sehen.<br />

(Abg. Fleischer CDU: Viel flexibler!)<br />

Es soll nichts übergestülpt werden, weder die Stuttgarter<br />

Lösung noch die der Zweckverbände. Ich möchte aber an<br />

dieser Stelle, obwohl ich auch Fraktionsvorsitzender im<br />

Verband Region Stuttgart bin, doch noch eine Fragestellung<br />

aufwerfen:<br />

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Dann<br />

müssten Sie aber auch die Stuttgarter Lösung anbieten!<br />

Dann wäre es glaubwürdig!)<br />

In der weiteren Entwicklung wird auch der Verband Region<br />

Stuttgart mit auf den Prüfstand genommen werden.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Fleischer CDU:<br />

Sehr richtig! – Abg. Hans-Michael Bender CDU:<br />

Jawohl!)<br />

Auch dort ist der Gebietszuschnitt nicht <strong>von</strong> vornherein sakrosankt;<br />

denn es sind auch dort fünf Landkreise, die den<br />

Gebietszuschnitt ergeben. Das muss man genauso überprüfen.<br />

Ich bin überzeugt, es wird einen Wettbewerb regionaler<br />

Systeme geben. Es ist noch lange nicht ausgemacht –<br />

die Selbstkritik, Herr Schmiedel, sollten wir auch in unserem<br />

Gremium üben –, ob die Verfasstheit und die Institutionalisierung,<br />

die wir im Verband Region Stuttgart haben,<br />

der modernere Weg sind<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: So ist es! Sehr<br />

gut!)<br />

oder ob nicht – projektbezogen – eine flexible Vernetzung<br />

besser ist. Das muss man erst einmal auf den Prüfstand<br />

nehmen.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg.<br />

Kleinmann FDP/DVP)<br />

Ich weiß, Sie bangen da um Ihre Positionen. Aber man<br />

muss das <strong>von</strong> allen Seiten offen hineingeben. Wichtig ist,<br />

wie gesagt, ein weiteres schrittweises Voranführen.<br />

Den einen oder anderen kleineren Schritt hätten wir uns<br />

auch vorstellen können. Ich habe zum Beispiel nicht eingesehen,<br />

dass man das Klagerecht ausschließlich auf das Thema<br />

„großflächiger Einzelhandel“ bezieht und nicht sagt:<br />

Wenn etwas der verbindlichen Zielführung eines Verbands<br />

widerspricht, dann gilt das Klagerecht allgemein. Das ist<br />

ein Punkt, bei dem wir nicht weitergekommen sind.<br />

Aber im Übrigen, kann ich nur sagen, sind wir mit dieser<br />

Lösung sehr einverstanden, weil wir <strong>von</strong> der Fraktion unsere<br />

Position da sehr gut wiederfinden. Wir sollten das auf<br />

den Weg bringen. Die weitere Entwicklung, die natürlich<br />

auch berücksichtigen muss, dass die übrige staatliche Verwaltung<br />

nachziehen muss, wird dann in einem weiteren<br />

Schritt stattfinden.<br />

Ich danke Ihnen.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der<br />

CDU)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg.<br />

Deuschle.<br />

Abg. Deuschle REP: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Der Gesetzentwurf soll die 1994 mit dem Gesetz<br />

über die Stärkung der Zusammenarbeit in der Region Stuttgart<br />

und dessen Weiterentwicklung 1999 begonnene Reform<br />

der Regionalpolitik fortsetzen. Die vorgesehenen zusätzlichen<br />

Kompetenzen für die Regionalverbände, die<br />

größtenteils schon beim Verband Region Stuttgart vorliegen,<br />

können deshalb heute auch beurteilt werden.<br />

Ferner beabsichtigt die Landesregierung, das Recht der<br />

Landesplanung wieder stärker zu vereinheitlichen. Ich<br />

möchte schon zu diesem Zeitpunkt aus Sicht der Republikaner<br />

sagen, dass die Regionalverbände keine vierte Verwaltungsebene<br />

mit überzogenem Verwaltungsapparat werden<br />

dürfen. Dies ist übrigens – Herr Kollege Hofer, darin<br />

sind wir uns wohl einig – beim VRS nicht der Fall. Dort<br />

haben wir eine kleine, sehr hoch qualifizierte Verwaltung,<br />

die sehr effektiv arbeitet.<br />

Ich möchte das auch an einem anderen Beispiel klar machen.<br />

Seit 1994 sind im Verband Region Stuttgart 79 Millionen<br />

DM über die Regionalabgabe <strong>von</strong> den Kommunen<br />

gekommen, aber man hat gleichzeitig 209 Millionen DM<br />

an Drittmitteln über Wettbewerbe eingeworben. Daher ist<br />

das eine sehr erfolgreiche Veranstaltung gewesen, und ich<br />

glaube, das müssen wir auch heute bei der Beurteilung sagen,<br />

Herr Hofer.


(Deuschle)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Hier stellt sich natürlich auch eine Grundsatzfrage: Wie<br />

klappt es mit der einheitlichen Verwaltungsstruktur in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>?<br />

Wir haben nämlich unterschiedliche<br />

Gebiete. Ich denke an die Großräume – Region Stuttgart,<br />

Mannheim/Ludwigshafen, Raum Freiburg, Raum Karlsruhe<br />

–, die andere Entwicklungs- und Strukturprobleme als<br />

die übrigen Räume haben. Zum Beispiel haben wir in den<br />

Großräumen so etwas wie eine Überentwicklung, wir haben<br />

ein Zusammenwachsen <strong>von</strong> Städten und Gemeinden zu<br />

Agglomerationen. Da stellt sich auch die Frage, ob die bisherige<br />

Einteilung nach dem zentralen Ortesystem – Kleinzentrum,<br />

Unterzentrum, Großzentrum – in solchen urbanen<br />

Gebieten eigentlich noch Sinn macht. Meines Erachtens<br />

wird sie in Großräumen immer weniger brauchbar. Hinzu<br />

kommt noch, dass die Entwicklung des S-Bahn-Netzes den<br />

Trend zu diesen Agglomerationen eher verstärkt.<br />

Die aus Sicht <strong>von</strong> uns Republikanern erste Folgerung daraus<br />

ist, dass die bisherige Verwaltungseinteilung in Kreise,<br />

Kommunen usw. in den Großräumen nicht mehr alle<br />

Zukunftsprobleme lösen kann. Andererseits ist in vielen<br />

ländlichen Teilen <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>s die Verwaltungsstruktur<br />

mit Kreisen noch völlig ausreichend und zukunftsträchtig.<br />

Daraus resultiert dann auch die zweite Folgerung: Die Landesplanung<br />

muss flexiblere Strukturen bekommen, um diesen<br />

wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel zu gestalten.<br />

Nun komme ich zur Beurteilung des Gesetzentwurfs im<br />

Einzelnen. Ich möchte hier vier Punkte konkret ansprechen<br />

und Sie, Herr Staatssekretär, auch einiges fragen.<br />

Erstens: In § 8 Abs. 3 soll ja die Verpflichtung der Regionalverbände<br />

zur gebietsscharfen Ausweisung <strong>von</strong> Standorten<br />

für den regionalbedeutsamen großflächigen Einzelhandel<br />

geregelt werden. Hier soll der zum Teil zerstörerische<br />

Wettbewerb der einzelnen Kommunen unterbunden werden<br />

und der innerörtliche Einzelhandel, für den viele Kommunen<br />

sehr viel Geld ausgegeben haben, etwas unterstützt<br />

werden. Ich möchte Sie, Herr Staatssekretär, fragen, ob die<br />

Definition, dass die Regionalbedeutsamkeit eines Vorhabens<br />

ab einer Verkaufsfläche <strong>von</strong> ca. 5 000 Quadratmetern<br />

gegeben ist – ich verweise auf Seite 15 der Gesetzesbegründung<br />

–, sinnvoll ist. Wir haben es nämlich immer<br />

mehr mit der Tatsache zu tun, dass das fachbezogene Sortiment<br />

eines Einzelhandels in jeweils spezialisierten Fachmärkten<br />

angeboten wird, deren Verkaufsflächen weit unter<br />

der Grenze <strong>von</strong> diesen 5 000 Quadratmetern liegen und<br />

die auch ein sehr großes Einzugsgebiet haben. Ich möchte<br />

Sie auch darauf hinweisen, dass bei Fachmärkten, zum Beispiel<br />

für Sportartikel, für Medien und Computer, eine Regionalbedeutsamkeit<br />

eigentlich schon bei 1 500 oder bei<br />

2 000 Quadratmetern gegeben ist. Deswegen fordern wir<br />

auch, diese 5 000 Quadratmeter wenigstens aus der Begründung<br />

des Gesetzentwurfs herauszunehmen. Vielleicht<br />

könnten Sie dazu Stellung nehmen, Herr Staatssekretär.<br />

Zweiter Punkt: Die Reduzierung des Beteiligungsverfahrens<br />

für die Änderung des Regionalplans <strong>von</strong> zwei Stufen<br />

auf eine Stufe oder auch die Delegation des Zielabweichungsverfahrens<br />

vom Wirtschaftsministerium auf das Regierungspräsidium<br />

ist sinnvoll und wird <strong>von</strong> uns auch mit-<br />

getragen. Das ist gar keine Frage. Wir tragen ja immer vernünftige<br />

Punkte mit.<br />

(Heiterkeit des Abg. Brechtken SPD)<br />

Dritter Punkt: Hinsichtlich der in § 15 b des Landesplanungsgesetzes<br />

vorgesehenen Einschränkung der Klagebefugnis<br />

ist dies eben nicht der Fall, und da frage ich Sie,<br />

Herr Staatssekretär – Herr Hofer hat ja eine ähnliche Frage<br />

gestellt –, warum Sie die Klagebefugnis nur für solche<br />

Verwaltungsakte zulassen wollen, die die Errichtung<br />

eines Einkaufszentrums betreffen. Diese Klagebefugnis<br />

könnte ja durchaus auch einmal für die Einhaltung eines<br />

regionalen Grünzugs interessant sein. Da ist die sachliche<br />

Frage: Warum ist es nicht gelungen, das in diesen Gesetzentwurf<br />

einzubringen? Ging das nur auf Koalitionsfragen<br />

zurück – so etwas soll ja vorkommen –, oder gab es einen<br />

sachlichen Grund für die Einschränkung dieser Klagebefugnis?<br />

In einem vierten und zentralen Punkt möchte ich auf die<br />

Öffnungsklausel eingehen. Es ist richtig, dass die Diskussionen<br />

über die regionalen Entwicklungen in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

sehr unterschiedlich gelaufen sind. Die Auffassungen<br />

haben <strong>von</strong> „am besten gar nichts ändern“ bis zur Übernahme<br />

der Struktur des Verbandes Region Stuttgart gereicht.<br />

Ich möchte auch an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es<br />

gerade unsere Fraktion war, die 1994 als Alternative zum<br />

Verbandsgesetz die Gründung <strong>von</strong> Zweckverbänden – wir<br />

nannten sie damals Pflichtverbände – in die Diskussion gebracht<br />

hat. Wir hatten uns überlegt, dass man Pflichtverbände<br />

für Abfall, für ÖPNV und Ähnliches konstruieren<br />

könnte. Diese Überlegung haben wir auch im <strong>Landtag</strong> vertreten.<br />

Nach sechs Jahren Erfahrungen mit der Regionalpolitik hat<br />

sich aber wohl gezeigt, dass für eine erfolgreiche regionale<br />

Entwicklung mehr erforderlich ist als das administrative<br />

Abwickeln <strong>von</strong> Aufgaben, wie man es wohl auch mit diesen<br />

Zweckverbänden machen zu können meint. Es hat sich<br />

gezeigt, dass für eine erfolgreiche Regionalpolitik die Organisation<br />

der kreativen Potenziale in der ganzen Region<br />

benötigt wird, und zwar, wenn möglich, über Netzwerke.<br />

So haben sich – das hat Herr Schmiedel zu Recht festgestellt<br />

– in der Region Stuttgart neben der Regionalversammlung<br />

und der Regionalverwaltung zahlreiche regionale<br />

Initiativen gebildet, zum Beispiel im sportlichen, im kulturellen,<br />

aber auch im politischen Bereich, die schon so etwas<br />

wie Anzeichen einer eigenen regionalen Identität entwickelt<br />

haben.<br />

Ich glaube, das beachten die Kolleginnen und Kollegen aus<br />

anderen Landesteilen nicht. Sie sehen das mehr als eine<br />

technokratische Abwicklung und haben vielleicht noch<br />

nicht zur Kenntnis genommen, dass sich um diesen Nukleus<br />

herum etwas gebildet hat, was darüber hinausgeht. Man<br />

sollte auch in anderen Regionen froh sein, wenn sich so etwas<br />

mit der Zeit entwickelt. Aber vielleicht brauchen andere<br />

Regionen dafür länger.<br />

Ich weiß natürlich auch, dass die Machtbasis der CDU im<br />

ländlichen Raum die Landratsämter sind und dass sie selbst<br />

Probleme hat, diese Machtbasis abzubauen, noch dazu vor<br />

8017


(Deuschle)<br />

8018<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Wahlen. Das ist mir schon klar, aber das kann natürlich<br />

nicht das Entscheidende sein, wenn man sich über die Weiterentwicklung<br />

in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> Gedanken macht.<br />

Dass die demokratische Beteiligung der Bürgerinnen und<br />

Bürger nicht unwichtig ist, das brauche ich hier hoffentlich<br />

nicht zu sagen. Dadurch erreicht man auch in den Regionen<br />

mehr Bewegung, mehr Entwicklung und mehr Gestaltungswillen,<br />

und dazu braucht man einfach die Bürgerinnen<br />

und Bürger.<br />

Ich komme nun zur Gesamtbeurteilung.<br />

Erstens: Manches an diesem Gesetzentwurf ist vernünftig,<br />

und das wird <strong>von</strong> uns mitgetragen; das ist gar keine Frage.<br />

Zweitens: Der Gesetzentwurf beruht wohl auf einem Kompromiss<br />

zwischen der FDP/DVP und der CDU, zwischen<br />

den vorwärts strebenden Kräften und den Kräften der Beharrung.<br />

Das muss man auch anerkennen. Er ist sicher<br />

nicht ausreichend.<br />

Wir werden Ihnen deshalb im Ausschuss Gelegenheit geben,<br />

den Gesetzentwurf zu verbessern. Es sollte im Interesse<br />

des Landes <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> sein, dass dieser Gesetzentwurf<br />

eine breite demokratische Mehrheit bekommt.<br />

Dazu werden wir Republikaner im Ausschuss konstruktive<br />

Vorschläge machen, die Sie bei dem einen oder anderen<br />

Punkt kaum werden ablehnen können, Herr Staatssekretär.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. List.<br />

Abg. List CDU: Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und<br />

Kollegen! Einleitend und grundsätzlich möchte ich sagen,<br />

dass ich es erfreulich finde, dass der Regionalgedanke und<br />

die Notwendigkeit, Probleme regional zu lösen, inzwischen<br />

einen breiten Grundkonsens in diesem hohen Haus gefunden<br />

haben. Ich denke, man darf vor die Klammer ziehen,<br />

dass hier ein großes Maß an Übereinstimmung besteht.<br />

Nun stellt sich aber die Frage – lassen Sie mich deshalb<br />

noch einige Aspekte beleuchten und auf einige Ausführungen<br />

<strong>von</strong> Sprechern der Opposition eingehen –, ob man dem<br />

gesamten Land das Modell Verband Region Stuttgart überstülpen<br />

soll oder ob man den regionalen Besonderheiten,<br />

den unterschiedlichen regionalen Strukturen entsprechend<br />

– das ist schon mehrfach gesagt worden – maßgeschneiderte<br />

Lösungen anbieten soll. Ich meine, dass die zweite Möglichkeit<br />

auf jeden Fall die bessere ist.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg.<br />

Hofer FDP/DVP)<br />

Wir haben den Verband Region Stuttgart vor kurzer Zeit<br />

mit weiteren Kompetenzen ausgestattet. Ich darf daran erinnern,<br />

dass wir vor allem ein Klagerecht eingeführt haben.<br />

Das war aufgrund konkreter Vorgänge sehr wichtig. Das<br />

Klagerecht ist auch aus der Notwendigkeit heraus eingeführt<br />

worden, Fehlentwicklungen zu vermeiden und regionalplanerischen<br />

Zielsetzungen zum Durchbruch zu verhelfen.<br />

Nun sagen wir: Auch andere Regionen sollen die Möglichkeit<br />

erhalten, regionalplanerische Zielsetzungen durchzusetzen<br />

oder Fehlentwicklungen zu verhindern. Dazu bedarf<br />

es nicht unbedingt der Direktwahl der Mitglieder der Regionalversammlung,<br />

Herr Kollege Schmiedel. Wenn Sie<br />

Ihre Aussage ernst meinen, die Direktwahl sei der Auslöser<br />

dafür gewesen, dass die Parteien endlich eigene Regionalprogramme<br />

entwickelt hätten, dann stellen Sie denjenigen,<br />

die beim Verband Region Stuttgart damals eine qualifizierte<br />

Arbeit geleistet haben – auch der Kollege Brechtken gehört<br />

dazu –, ein schlechtes Zeugnis aus. Wenn Sie sagen,<br />

die Regionalversammlung und der Verband Region Stuttgart<br />

hätten damals keine erkennbaren regionalplanerischen<br />

Ziele gehabt, würden Sie damit deren Arbeit nicht gerecht<br />

werden.<br />

Wir meinen, dass es richtig ist, Teile dessen, was wir dem<br />

Verband Region Stuttgart gegeben haben, auch den anderen<br />

Regionen anzubieten. Dabei muss aber die notwendige<br />

Flexibilität erhalten bleiben.<br />

Wenn Sie sagen, es müsste noch einen Schritt weitergehen,<br />

dass wir letztlich doch in die vierte Verwaltungsebene hineingehen,<br />

indem wir ihr das gesamte Raumordnungsverfahren<br />

und weitere Maßnahmen übertragen, dann müssen<br />

Sie mit sich einmal ins Reine kommen und offen sagen:<br />

„Wir wollen im Land <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> in Zukunft keine<br />

Landkreise mehr, wir wollen sie abschaffen“.<br />

Da begeben Sie sich auch in der Praxis in einen eklatanten<br />

Widerspruch. Es ist noch gar nicht lange her, als Sie hier<br />

vorgetragen haben, Sie wollten mehr plebiszitäre Elemente<br />

in den Landkreisen, Sie wollten zum Beispiel durch die<br />

Volkswahl des Landrats eine Stärkung der Landkreise.<br />

Jetzt würden Sie durch diese vierte Verwaltungsebene den<br />

Landkreisen einen Teil ihrer Existenzberechtigung entziehen<br />

und die Landkreise damit langfristig auflösen. Da sollten<br />

Sie mit sich einmal ins Reine kommen und klar sagen,<br />

was Sache ist.<br />

Kollege Hofer hat ja gesagt: Bei Kreistagswahlen klingt<br />

das immer ganz anders. In der Praxis der Kreistage, auch in<br />

Ludwigsburg, wird dann auch durch Anträge Ihrer Fraktion<br />

gefordert, Bahnstrecken durch den Kreis zu übernehmen.<br />

Hier dagegen wird gesagt, die Region müsse Aufgaben <strong>von</strong><br />

der Verwaltungsebene Landkreis übernehmen. Da besteht<br />

ein riesiger Widerspruch. Sie müssen draußen einmal ganz<br />

offen sagen, was Sie eigentlich wollen. Ich glaube, das gehört<br />

bei dieser Zusammenarbeit ein Stück weit auch zur<br />

Ehrlichkeit.<br />

(Beifall bei der CDU)<br />

Herr Kollege Oelmayer, der sich jetzt in die hintere Reihe<br />

verzogen hat, hat uns vorgeworfen,<br />

(Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen)<br />

wir huldigten mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dem<br />

Strukturkonservatismus; das würde letztlich zu Nachteilen<br />

führen. Wenn Sie damit die Struktur des Landes und die<br />

Strukturpolitik der Landesregierung meinen, dann muss ich<br />

sagen: So schlecht kann der <strong>von</strong> Ihnen monierte Strukturkonservatismus<br />

nicht sein. Wenn ich zum Beispiel die Ar-


(List)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

beitslosenzahlen, die Höhe der Beschäftigungsquote, des<br />

Bruttosozialprodukts und der Wertschöpfung betrachte,<br />

muss ich sagen: So schlechte Ergebnisse, wie Sie sie monieren,<br />

kann der Strukturkonservatismus nicht hervorgebracht<br />

haben.<br />

(Beifall bei der CDU)<br />

Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht<br />

letztlich darum, dass wir – ich fasse zusammen – den Regionen<br />

in unserem Land erweiterte Möglichkeiten zu regionaler<br />

Planung und zu deren Durchsetzung geben. Wir wollen<br />

aber diesen Regionen nicht ein Modell überstülpen,<br />

sondern eine möglichst große Flexibiliät erhalten. Da ist<br />

der Zweckverband ein durchaus taugliches Instrument. Das<br />

ist <strong>von</strong> mehreren Rednern ausgeführt worden. Ich habe<br />

auch Verständnis dafür, dass die kommunale Ebene sagt:<br />

Wir wollen hier nicht ausgeschlossen werden. Dem tragen<br />

wir durch die Ergänzung, die <strong>von</strong> den Kollegen Fleischer<br />

und Hofer angesprochen wurde, Rechnung.<br />

Ich denke, dass wir in dieser Koalition zu einer guten Linie<br />

gefunden haben. Ich möchte allen herzlich danken, die dabei<br />

mitgewirkt haben, Ihnen, Kollege Hofer, ganz besonders<br />

dafür, dass wir am Schluss zu diesem guten Weg gefunden<br />

haben. Ich bin sicher, es ist eine Lösung, die draußen<br />

im Land gut aufgenommen wird.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg.<br />

Schmiedel.<br />

(Abg. Deuschle REP: Hat der noch Redezeit?<br />

Noch 17 Sekunden? – Abg. Döpper CDU: Es ist<br />

doch alles gesagt!)<br />

Abg. Schmiedel SPD: Ich möchte noch, meine Damen und<br />

Herren, Herr Präsident, auf zwei Themen eingehen.<br />

Das eine ist das Thema Direktwahl, das jetzt mehrfach angesprochen<br />

wurde. Zunächst einmal, damit da keine Geschichtsfälschung<br />

stehen bleibt, Herr Kollege Hofer: Die<br />

Direktwahl im Verband Region Stuttgart hat nicht der Ministerpräsident<br />

aus irgendeinem Hut gezaubert, sondern sie<br />

wurde gegen den massiven Widerstand der CDU durchgesetzt,<br />

und zwar <strong>von</strong> zwei Partnern – <strong>von</strong> der SPD und dem<br />

Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel.<br />

(Abg. Deuschle REP: Ja! – Abg. Kurz CDU: Auch<br />

CDU!)<br />

Es war Ihr Kollege, Herr List, nämlich Herr Rommel, der<br />

dieses Argument in der Diskussion stark hervorgehoben<br />

hat: Nur durch die Direktwahl steigt die Bedeutung des Regionalparlaments<br />

(Zuruf <strong>von</strong> der CDU: Regionalversammlung!)<br />

und gewinnen die Parteien regionalpolitische Strukturen.<br />

Das hat sich ja auch bewahrheitet. Es ist so.<br />

(Glocke des Präsidenten)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Herr Kollege Schmiedel, gestatten<br />

Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Hofer?<br />

Abg. Schmiedel SPD: Gern.<br />

Abg. Hofer FDP/DVP: Nur weil Sie mich direkt angesprochen<br />

haben, frage ich Sie, Herr Schmiedel: Stimmen Sie<br />

mir zu, dass die Arbeitsgruppen, die insbesondere auch mit<br />

kommunaler Beteiligung, aber nicht nur mit kommunaler<br />

Beteiligung den Verband Region Stuttgart vorbereitet haben,<br />

zu einem Ergebnis gekommen sind, nach dem keine<br />

Direktwahl vorgesehen worden ist, wobei ich noch einmal<br />

betone, dass ich die Direktwahl für gut halte? Ich sage das<br />

nur, weil Sie <strong>von</strong> Geschichtsklitterung gesprochen haben.<br />

Abg. Schmiedel SPD: Ergebnis der Arbeitsgruppen? Bei<br />

diesen Arbeitsgruppen, die Sie meinen, reden Sie <strong>von</strong> regionalpolitischen<br />

Akteuren und meinen Landräte, Oberbürgermeister<br />

und, und, und. Sie schließen <strong>von</strong> vornherein<br />

zum Beispiel Parteien aus. Parteien waren an der Willensbildung<br />

dieser Arbeitsgruppen nicht beteiligt.<br />

(Abg. Deuschle REP: Das macht doch gar nichts<br />

aus!)<br />

Ich rede hingegen vom demokratischen Entscheidungsprozess<br />

hier in diesem Haus und in der damaligen großen Koalition.<br />

Mein damaliger Wahlkreiskollege Lang hat mir<br />

noch jede Wette angeboten, dass die Direktwahl keine<br />

Mehrheit in der CDU-Fraktion finden werde und dass das<br />

Gesetz entweder ohne Direktwahl komme oder gar nicht.<br />

Das zeigt: Es gab massive Widerstände. Weshalb ist denn<br />

diese Option der Direktwahl für die Regionalverbände jetzt<br />

nicht vorgesehen?<br />

(Abg. Kurz CDU: Hat die CDU jetzt zugestimmt<br />

oder nicht?)<br />

Weil Sie tatsächlich keine politische Aufwertung der Regionen<br />

in diesem Land wollen.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Weil es die Regionen<br />

nicht wollen!)<br />

Damit werden Sie auch den regionalpolitischen Herausforderungen<br />

nicht gerecht. Sie bleiben auf der Ebene der Planungsverbände<br />

technokratisch. Die Begründung des Gesetzentwurfs<br />

durch den Staatssekretär erfolgte genau auf<br />

dieser Ebene. Das war die Ebene eines Sachbearbeiters, eines<br />

Oberregierungsrats, der die Gesetzestechnik vorträgt,<br />

(Abg. Döpper CDU: Jetzt verwechseln Sie aber die<br />

Sachen!)<br />

umfasste aber keine politische Vision und keine politischen<br />

Inhalte und Gestaltungspotenziale für eine Regionalpolitik.<br />

Dies müssen wir in den Ausschussberatungen korrigieren.<br />

(Beifall bei der SPD – Zuruf <strong>von</strong> der SPD: Aber<br />

das Wort „Oberregierungsrat“ nicht als Schimpfwort<br />

verwenden!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Meine Damen und Herren, es<br />

liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen<br />

damit zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung des Gesetzentwurfs.<br />

Es wird Überweisung an den Innenausschuss<br />

8019


(Stellv. Präsident Birzele)<br />

8020<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

und – federführend – an den Wirtschaftsausschuss vorgeschlagen.<br />

– Sie stimmen zu.<br />

Damit ist Tagesordnungspunkt 4 erledigt.<br />

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:<br />

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung<br />

– Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter<br />

Straftäter (Straftäter-Unterbringungsgesetz<br />

– StrUBG) – Drucksache 12/5911<br />

Das Präsidium hat für die Aussprache nach der Begründung<br />

durch die Regierung eine Redezeit <strong>von</strong> fünf Minuten<br />

je Fraktion, gestaffelt, festgelegt.<br />

Das Wort erhält Herr Innenminister Dr. Schäuble.<br />

Innenminister Dr. Schäuble: Herr Präsident, meine Damen<br />

und Herren! Mitte der Neunzigerjahre, als ich Justizminister<br />

war, mussten wir folgenden schlimmen Fall erleben:<br />

Ein Sexualstraftäter, mehrfach vorbestraft, saß in der<br />

Justizvollzugsanstalt in Freiburg ein. Seine Haftzeit näherte<br />

sich ihrem Ende. Der sehr fähige und tüchtige Leiter der<br />

Vollzugsanstalt in Freiburg, Herr Rösch,<br />

(Abg. Rech CDU: Ein sehr guter Mann!)<br />

machte uns händeringend darauf aufmerksam, dass ihm gar<br />

nichts anderes übrig bliebe, als diesen aus seiner Sicht nach<br />

wie vor hochgefährlichen Mann demnächst in die Freiheit<br />

zu entlassen, weil die Strafe bald abgelaufen sei. Er wandte<br />

sich in seiner Not interessanterweise auch an die Stadt<br />

Freiburg mit der Bitte, zu prüfen, ob man polizeirechtlich<br />

irgendeinen Ansatz finden könne. Dies war aber nicht<br />

möglich. Der Mann musste, nachdem er seine Strafe vollständig,<br />

ohne einen Strafnachlass, verbüßt hatte, schlicht<br />

und ergreifend in die Freiheit entlassen werden.<br />

Der Rest ist Ihnen vielleicht noch in Erinnerung, weil es<br />

damals großes Aufsehen erregte. Sofort nach seiner Freilassung<br />

hat er eine Studentin in seine Gewalt gebracht, war<br />

mit ihr als Geisel und Entführter tagelang im Schwarzwald<br />

unterwegs und hat sie in furchtbarer Weise verletzt und<br />

vergewaltigt. Am Ende hatte sie noch großes Glück, dass<br />

sie mit dem Leben da<strong>von</strong>kam.<br />

Der zweite Fall geschah etwa zur gleichen Zeit, Mitte der<br />

Neunzigerjahre, und war ein Fall, der mich heute noch bewegt,<br />

weil man sich natürlich immer wieder fragt, ob man<br />

irgendwo einen Fehler gemacht hat.<br />

Ein Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal<br />

hatte ein armes Mädchen, eine Prostituierte in Frankfurt,<br />

auf furchtbare Weise vergewaltigt, sie anschließend in einen<br />

Sack gesteckt und in den Main geworfen. Wie durch<br />

ein Wunder kam sie mit dem Leben da<strong>von</strong>. Deshalb hat er<br />

vom Landgericht Frankfurt nicht eine lebenslängliche Strafe<br />

erhalten – was möglich gewesen wäre –, sondern nur<br />

zehn Jahre.<br />

Seine zehnjährige Haftzeit näherte sich langsam ihrem Ende,<br />

und er kam, was auch gar nicht anders geht, in der<br />

Schlussphase in ein Freigängerheim unmittelbar neben der<br />

Justizvollzugsanstalt in Bruchsal. An einem bestimmten<br />

Tag hat er in den Abendstunden eine Frau, die das Hallen-<br />

bad in Bruchsal besucht hatte, auf dem Weg vom Hallenbad<br />

zum Parkplatz überwältigt, in ihrem Auto vergewaltigt<br />

und anschließend erdrosselt.<br />

Diese Fälle, denen man sozusagen hilflos gegenüberstand,<br />

waren für den Kollegen Goll, für die Landesregierung und<br />

auch für mich Anlass, eine Bundesratsinitiative mit dem<br />

Ziel zu unternehmen, zu erreichen, dass bei bestimmten,<br />

wenigen Sexualstraftätern und vergleichbaren gewalttätigen<br />

Straftätern, bei denen das Gericht im Rahmen des Urteils<br />

keine Sicherungsverwahrung angeordnet hat, eine derartige<br />

Anordnung nachträglich möglich ist.<br />

Unverständlicherweise hatte unsere Initiative auf Bundesebene<br />

keinen Erfolg. Allerdings hat das Bundesjustizministerium<br />

dem Land <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, vertreten durch das<br />

Justizministerium des Landes, dann sozusagen mit auf den<br />

Weg gegeben: Wenn wir in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> meinten,<br />

dass in solchen Ausnahmefällen – es sind ja Ausnahmefälle;<br />

aber jeder Fall, auch wenn er noch so selten vorkommt,<br />

hat eben entsetzliche Folgen – wirklich gehandelt werden<br />

müsste, dann hätten wir, so die Einschätzung des Bundesjustizministeriums,<br />

vermutlich eine eigene, auf Polizeirecht<br />

beruhende landesgesetzgeberische Kompetenz.<br />

Das Justizministerium hat diesen Ansatz aufgenommen<br />

und durch ein Gutachten des renommierten Professors<br />

Thomas Würtenberger, des bekannten Experten für öffentliches<br />

Recht an der Universität Freiburg, untersuchen lassen.<br />

Professor Würtenberger kam zu dem Ergebnis, wir<br />

hätten in der Tat eine landesgesetzgeberische Kompetenz,<br />

und zwar unter polizeirechtlichen Gesichtspunkten.<br />

Auf dieser Basis hat das Justizministerium, hat mein Kollege<br />

Goll die Initiative ergriffen und federführend, aber gemeinsam<br />

mit dem Innenministerium den Gesetzentwurf erarbeitet.<br />

Da der Ansatz nicht materiell-strafrechtlicher Art,<br />

sondern polizeirechtlicher Art ist, übernehme ich heute formal<br />

das Einbringen dieses Gesetzentwurfs. Ich darf heute<br />

schon ankündigen, dass in der zweiten Lesung Kollege<br />

Goll als Justizminister für die Landesregierung sprechen<br />

wird.<br />

Wir sind – um den wichtigsten Punkt verfassungsrechtlicher<br />

Art aufzunehmen – aufgrund dessen, was ich gerade<br />

gesagt habe, der Auffassung: Wir haben als Landesgesetzgeber<br />

die Kompetenz. Wir sind uns dessen auch sicher.<br />

(Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen)<br />

Aber, Herr Kollege Oelmayer, ich will nicht anstehen, zu<br />

sagen: Da gibt es ein gewisses Restrisiko, um das man<br />

nicht herumreden darf. Denn es ist noch niemand außer<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> diesen Weg gegangen. Wir betreten<br />

Neuland, aber wir betreten dieses Neuland nicht leichtsinnigerweise,<br />

sondern untermauert durch das Gutachten eines<br />

renommierten Wissenschaftlers. Auch dazu sind wir angesichts<br />

des verbleibenden Restrisikos nur bereit, weil wir sagen:<br />

In diesen wenigen Ausnahmefällen <strong>von</strong> solchen Bestien,<br />

um die es geht<br />

(Abg. List CDU: Sehr richtig!)


(Minister Dr. Schäuble)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

– ich habe ja Beispiele genannt –, ist eben auch ein selten<br />

eintretender Fall doch ein Fall zu viel, weil eben die Folgen<br />

jedes Mal ganz entsetzlich sind.<br />

(Beifall bei der CDU und des Abg. Kiesswetter<br />

FDP/DVP)<br />

Deshalb, glaube ich, müssten vor diesem Hintergrund, der<br />

ja Motivation und Impetus dieses Gesetzgebungsverfahrens<br />

und dieses Gesetzentwurfs ist, die Bedenken des Anwaltvereins,<br />

die ich zunächst einmal nachvollziehen kann –<br />

denn es ist klar: eine sozusagen „nachträgliche Verschärfung<br />

eines Urteils“, untechnisch ausgedrückt, ist natürlich<br />

immer eine Sache, die Anwälten gegen ihr anwaltliches<br />

Selbstverständnis gehen muss –, angesichts dessen, dass es<br />

sich hier um wenige Ausnahmefälle handelt, aber jeder Fall<br />

angesichts der entsetzlichen Folgen eben einer zu viel ist,<br />

eigentlich relativierbar sein.<br />

Die Einwände des Weißen Rings, der sich auch gegen diesen<br />

Gesetzentwurf ausgesprochen hat, kann ich nicht ganz<br />

nachvollziehen. Allerdings bekommen wir wieder intern<br />

Hinweise, dass das vielleicht auch nicht so gemeint sei,<br />

was ja im Übrigen auch logisch wäre, denn der Weiße Ring<br />

muss natürlich den Opferschutz im Sinn haben; das ist ja<br />

seine Aufgabe. Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

dieser Gesetzentwurf ist im Grunde genommen der bestmögliche<br />

vorbeugende Opferschutz. Darum geht es.<br />

(Beifall bei der CDU und des Abg. Kiesswetter<br />

FDP/DVP – Abg. Hans-Michael Bender CDU:<br />

Richtig!)<br />

Angesichts der verfassungsrechtlich durchaus heiklen Situation<br />

ist natürlich klar, dass der Gesetzentwurf an die<br />

nachträgliche Anordnung der Unterbringung außerordentlich<br />

scharfe Anforderungen stellt. Es müssen ohnehin zunächst<br />

einmal die Voraussetzungen für die Anordnung der<br />

Sicherungsverwahrung vorliegen. Es muss so sein, dass<br />

das Gericht im Zeitpunkt des Urteils noch nicht den Hang<br />

zu erheblichen Straftaten bei dem Straftäter bzw. ihre Gefährlichkeit<br />

für die Allgemeinheit erkennen konnte. Viele<br />

andere Voraussetzungen, die im Detail im Gesetzentwurf<br />

enthalten sind, kommen hinzu.<br />

Wichtigste Voraussetzung für die Anordnung einer solchen<br />

Unterbringung ist aber, dass <strong>von</strong> dem betreffenden, in einer<br />

Justizvollzugsanstalt einsitzenden Straftäter „eine erhebliche<br />

gegenwärtige Gefahr für das Leben, die körperliche<br />

Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle<br />

Selbstbestimmung anderer“ Menschen ausgeht. Nur dies<br />

rechtfertigt bei der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung<br />

der Rechtsgüter den tiefen Eingriff in die Freiheit der<br />

Person, den wir zugegebenermaßen vornehmen, der aber<br />

angesichts der Gefährlichkeit dieser zahlenmäßig in der<br />

Regel Gott sei Dank wenigen Leute doch am Ende auch in<br />

einer verfassungsrechtlichen Abwägung angemessen und,<br />

so finde ich, auch notwendig ist.<br />

Die Dauer der Unterbringung kann zeitlich befristet, aber,<br />

wie ich ausdrücklich hinzufügen will, auch unbefristet erfolgen.<br />

Der verfassungsrechtlich garantierte Freiheitsanspruch<br />

gebietet es, den Grundrechtseingriff zu beenden,<br />

wenn er wegen Wegfalls oder wesentlicher Verringerung<br />

der Gefahr nicht mehr erforderlich ist. Das Gericht – die<br />

Strafvollstreckungskammer – kann diese erforderliche<br />

Überprüfung jederzeit vornehmen. Es muss die Fortdauer<br />

der Unterbringung aber mindestens alle zwei Jahre überprüfen.<br />

Zuständig ist, wie ich schon angedeutet habe, die<br />

Strafvollstreckungskammer in der Besetzung mit drei Richtern.<br />

Auch dies zeigt, dass wir die formalen Voraussetzungen<br />

für die nachträgliche Anordnung sehr hoch setzen.<br />

Im Übrigen: Vor einer Anordnung der Unterbringung sind<br />

zur Feststellung der Gefährlichkeit des Betroffenen die<br />

Gutachten zweier <strong>von</strong>einander unabhängiger Sachverständiger<br />

einzuholen. Einer der beiden Sachverständigen darf<br />

weder den Betroffenen behandelt haben noch Bediensteter<br />

einer Justizvollzugsanstalt sein. Damit soll auch die Entscheidung<br />

des Gerichts, der Strafvollstreckungskammer<br />

mit den drei Berufsrichtern, auf eine möglichst breite Basis<br />

gestellt werden.<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, anhand der Voraussetzungen,<br />

die ich jetzt im Wesentlichen gerade skizziert<br />

habe, wird deutlich, dass ein solcher Eingriff in Gestalt<br />

dieser nachträglich anzuordnenden Unterbringung die<br />

absolute Ausnahme bleiben muss und sich wirklich nur auf<br />

Menschen konzentriert, die trotz der Haft nach wie vor eine<br />

ganz erhebliche Gefahr für ihre Mitmenschen darstellen.<br />

Wie gesagt: Es wird dabei um wenige Fälle gehen, aber jeder<br />

ist angesichts der schlimmen Folgen einer zu viel.<br />

Ich darf noch einen Gesichtspunkt des Kollegen Goll aufnehmen.<br />

Darüber können wir gerne noch einmal diskutieren;<br />

Sie machen ja eine Anhörung, vielleicht auch einmal<br />

mit Anstaltsleitern. Wir haben immer wieder das Problem,<br />

dass in den Anstalten Sexualstraftäter einsitzen, die dringend<br />

einer Therapie bedürften, aber sich weigern, sich einer<br />

solchen Therapie zu unterziehen.<br />

(Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen)<br />

– Natürlich, Herr Kollege Oelmayer. Da hat die Möglichkeit,<br />

dass dann, wenn sie sich einer solch notwendigen<br />

Therapie nicht unterziehen, bei einer verbleibenden erheblichen<br />

Gefährlichkeit diese nachträgliche Anordnung der<br />

Unterbringung ausgesprochen werden kann, sicherlich<br />

auch eine gute präventive und motivierende Wirkung.<br />

Ich will ganz herzlich dazu einladen, dass dieser Gesetzentwurf<br />

in diesem Hause einen breiten Konsens finden möge.<br />

Ich darf ausdrücklich versichern: Es geht um wenige<br />

schlimme Ausnahmefälle. Wir sind uns des außergewöhnlichen<br />

Vorgehens – das räume ich durchaus ein – sehr wohl<br />

bewusst, aber sowohl Kollege Goll als auch meine Wenigkeit<br />

lassen uns da<strong>von</strong> leiten. Wir wollen bei diesen schlimmen<br />

Folgen, die wir schon erleben mussten, vor unserem<br />

Gewissen alles getan haben, um solch entsetzliche Taten zu<br />

vermeiden. Deshalb bitte ich um Zustimmung.<br />

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Bender.<br />

Abg. Hans-Michael Bender CDU: Herr Präsident, meine<br />

Damen und Herren! Das Gewalt- und Sexualstraftäterge-<br />

8021


(Hans-Michael Bender)<br />

8022<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

setz <strong>von</strong> 1998 hat bekanntlich wichtige Fortschritte für den<br />

Schutz der Allgemeinheit vor rückfälligen Straftätern gebracht.<br />

So kann jetzt bereits nach dem ersten Rückfall die<br />

Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Dennoch: Bei<br />

manchen Rückfalltätern lässt sich erst im Laufe einer zum<br />

Teil langjährigen Haftverbüßung und nicht schon zum<br />

Zeitpunkt ihrer Verurteilung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit<br />

vorhersehen, dass sie nach ihrer Haftentlassung<br />

erneut schwere Straftaten begehen werden. Das ist<br />

ohne weiteres nachvollziehbar, und wir haben auch zwei<br />

kennzeichnende Beispielsfälle vom Herrn Innenminister<br />

gehört.<br />

Der vorliegende Gesetzentwurf „Straftäter-Unterbringungsgesetz“<br />

will deshalb eine Lücke im Schutz der Allgemeinheit<br />

vor gefährlichen Straftätern schließen. Diese Lücke<br />

besteht, weil die Sicherungsverwahrung nach § 66 des<br />

Strafgesetzbuchs nur im Erkenntnisverfahren und nicht<br />

nachträglich angeordnet werden kann.<br />

Die Landesregierung hat sich zunächst um die Einführung<br />

einer nachträglichen Sicherungsverwahrung im Strafrecht<br />

bemüht. Der Herr Innenminister hat die Schritte der Landesregierung<br />

geschildert, denen sich auch Bayern und Hessen<br />

seinerzeit – 1998 – bis zum vergangenen Jahr angeschlossen<br />

hatten. Diese Schritte sind im Bundesrat gescheitert.<br />

Wir haben auch <strong>von</strong> der klaren Aussage des Bundesjustizministeriums<br />

gehört, das die Bundesgesetzgebungskompetenz<br />

für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung für nicht<br />

gegeben erachtet.<br />

Meine Damen und Herren, bei der gegebenen Gesetzeslage<br />

müssten wir jedes Mal erst abwarten, bis der rückfallgefährdete<br />

Täter nach Verbüßung seiner Haftstrafe ein weiteres<br />

Verbrechen begangen hat. Dies würde bedeuten, den<br />

Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger für Leib und Leben<br />

bewusst aufs Spiel zu setzen. Dies kann aus rechtsstaatlicher<br />

Sicht nicht hingenommen werden.<br />

Andererseits muss – ebenfalls aus rechtsstaatlicher Sicht –<br />

ein Weg gefunden werden, der die Gesetzeslücke schließt<br />

und dabei den mit der Straftäterunterbringung verbundenen<br />

unzweifelhaft schweren Eingriff in das Grundrecht der persönlichen<br />

Freiheit rechtfertigt.<br />

Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf<br />

stellt strenge Kautelen auf, wie sie rechtsstaatlich aus der<br />

Sicht der CDU-Fraktion in der Tat geboten erscheinen. In<br />

§ 1 des Gesetzentwurfs ist die Zielgruppe strikt eingegrenzt<br />

auf die zu zeitiger Freiheitsstrafe verurteilten Straftäter, bei<br />

denen durch die Verurteilung die formalen Voraussetzungen<br />

für die Anordnung der Sicherungsverwahrung de lege<br />

lata vorliegen, bei denen das Gericht aber zum Zeitpunkt<br />

des Urteils noch nicht den Hang des Betroffenen zu weiteren<br />

schweren Straftaten bzw. seine Gefährlichkeit für die<br />

Allgemeinheit erkennen konnte.<br />

Des Weiteren: Von dem betreffenden Straftäter muss eine<br />

erhebliche gegenwärtige Gefahr für eine erneute Gewaltbzw.<br />

Sexualstraftat ausgehen. Das heißt, es müssen entsprechende<br />

Indizien vorliegen, insbesondere dass der Straftäter<br />

– ich zitiere aus dem Gesetzentwurf – „im Vollzug der<br />

Freiheitsstrafe beharrlich die Mitwirkung an der Erreichung<br />

des Vollzugsziels . . . verweigert, namentlich eine<br />

rückfallvermeidende Psycho- oder Sozialtherapie ablehnt<br />

oder abbricht.“<br />

Die aus rechtsstaatlichen Gründen gebotenen strengen verfahrensrechtlichen<br />

Voraussetzungen sind in § 3 des Gesetzentwurfs<br />

beachtet. Die Entscheidung über die Unterbringungsanordnung<br />

muss durch ein Kollegialgericht – Strafvollstreckungskammer<br />

beim Landgericht – erfolgen, und<br />

zwar grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung und ausnahmslos<br />

unter notwendiger Mitwirkung eines Anwalts<br />

bzw. eines Rechtsbeistands.<br />

Die Prognose über das gegenwärtige erhebliche Gefährdungspotenzial<br />

des Straftäters hat sich auf zwei Sachverständigengutachten<br />

zu stützen – wir haben es gehört –, <strong>von</strong><br />

denen mindestens eines <strong>von</strong> einem externen Sachverständigen<br />

abgegeben werden muss.<br />

Schließlich unterliegt die Unterbringungsanordnung jederzeitiger<br />

Überprüfbarkeit durch das Gericht. Sie muss mindestens<br />

alle zwei Jahre <strong>von</strong> der Strafvollstreckungskammer<br />

überprüft werden.<br />

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf die im Rahmen<br />

des Anhörungsverfahrens sowohl vom Anwaltsverband<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> als auch vom Weißen Ring geäußerten<br />

Bedenken und Zweifel am Gesetzentwurf eingehen.<br />

Diese Bedenken und Zweifel beziehen sich im Wesentlichen<br />

auf die gesetzgeberische Kompetenz des Landes,<br />

allerdings auch auf die materielle Verfassungsmäßigkeit<br />

des Gesetzentwurfs.<br />

Zu Letzterem: Der Anwaltsverband erachtet den Gesetzentwurf<br />

als verfassungswidrig, weil der Eingriff in die grundrechtlich<br />

geschützte Freiheit unverhältnismäßig sei. Die geplante<br />

Regelung sei nicht geeignet, das mit dem Gesetzentwurf<br />

verfolgte Ziel zu erreichen, nämlich die Bevölkerung<br />

vor drohenden Gefahren zu schützen. Der Anwaltsverband<br />

begründet dies unter Hinweis auf die Vielzahl <strong>von</strong> Ersttätern<br />

mit der zahlenmäßig geringen Relevanz.<br />

Meine Damen und Herren, auch wenn – der Herr Innenminister<br />

hat es schon ausgeführt – die geplante Regelung voraussichtlich<br />

und Gott sei Dank nur in wenigen Fällen Anwendung<br />

finden wird, so ist doch jeder einzelne Fall, in<br />

dem eine erneute schwere Straftat dadurch vermieden werden<br />

kann, ein Argument für den Gesetzentwurf und nicht<br />

gegen ihn. Jede einzelne Rückfalltat ist eine zu viel!<br />

Bei der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der<br />

Rechtsgüter muss die qualitative Wertung Vorrang vor der<br />

quantitativen haben. Ich verweise insoweit auch auf das<br />

Rechtsgutachten des Freiburger Verfassungsrechtlers und<br />

Polizeirechtsexperten, Professor Würtenberger, der nach<br />

umfassender Prüfung aller verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte<br />

zu Ergebnissen kommt, die im Gesetzentwurf,<br />

soweit ersichtlich, auch berücksichtigt sind.<br />

Professor Würtenberger kann auch darin gefolgt werden,<br />

dass die geplante Regelung nicht, wie kritisiert wird, auf<br />

ein allgemeines Gefährdungspotenzial abstellt, das in der<br />

Tat nach § 5 Abs. 1 Satz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />

(EMRK) eine Präventivhaft nicht recht-


(Hans-Michael Bender)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

fertigen würde. Ansatzpunkt des Gesetzentwurfs ist vielmehr<br />

das Vorhandensein einer erheblichen gegenwärtigen,<br />

also konkreten Gefahr für eine neue schwere Straftat. Das<br />

heißt: konkrete Gefahrenabwehr.<br />

Zur gesetzgeberischen Kompetenz des Landes: Nicht ganz<br />

nachzuvollziehen ist die Kritik, dass der Entwurf zwischen<br />

strafrechtlichen und polizeirechtlichen Anknüpfungspunkten<br />

hin und her lavieren würde, weshalb im Zweifel keine<br />

Gesetzgebungskompetenz für das Land gegeben sei. Aber<br />

der Gesetzentwurf sieht die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter<br />

Täter eindeutig auf polizeirechtlicher<br />

Grundlage als Maßnahme zur Gefahrenabwehr vor. Strafrechtliche<br />

Anknüpfungspunkte bringt er lediglich im Zusammenhang<br />

mit der rechtsstaatlich gebotenen strikten<br />

Eingrenzung der Zielgruppe auf Sexual- und Gewaltstraftäter<br />

und mehr nicht!<br />

Meine Damen und Herren, man kann über die Kompetenz<br />

des Landesgesetzgebers zugegebenermaßen streiten. Man<br />

kann auch bei der hier in besonderer Weise gebotenen Abwägung<br />

zwischen den in Betracht kommenden Rechtsgütern<br />

rechtswissenschaftlich zu anderen Ergebnissen kommen.<br />

Die CDU-Fraktion kann dies nicht mit letzter Sicherheit<br />

ausschließen. Wir sehen jedoch in den Ergebnissen des<br />

Gutachtens <strong>von</strong> Professor Würtenberger eine hinreichend<br />

verlässliche Entscheidungsgrundlage. Fehlende letzte Sicherheit<br />

nehmen wir in Kauf. Dies sind wir bereit zu tun,<br />

weil für uns der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor jeder<br />

einzelnen Gewalt- und Sexualstraftat Vorrang hat.<br />

Danke schön.<br />

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/<br />

DVP)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Bebber.<br />

Abg. Bebber SPD: Herr Präsident, meine Damen und Herren!<br />

Nach der Wertung der angehörten Organisationen ist<br />

die vorgelegte Regelung nicht geeignet, das Ziel zu erreichen,<br />

die Bevölkerung vor drohenden Gefahren zu schützen.<br />

Wir haben deshalb die Vorstellung, dass wir diese Organisationen<br />

und weitere Sachverständige zu einer öffentlichen<br />

Anhörung zusammenrufen müssten, um mit ihnen zu<br />

erörtern, wie der Gesetzentwurf so gestaltet werden kann,<br />

dass das Ziel, die Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern<br />

zu schützen, erreicht werden kann. Bisher haben wir allerdings<br />

noch keine positive Resonanz gefunden. Ich hoffe<br />

darauf, dass wir uns noch einig werden, eine solche Anhörung<br />

mit dem Ziel durchzuführen, dass, wie gesagt, ein Gesetz<br />

herauskommt, mit dem die uns gemeinsam wichtige<br />

Zielsetzung erreicht werden kann.<br />

Herr Innenminister, wir sind mit Ihnen der Meinung, dass<br />

jede Straftat der <strong>von</strong> Ihnen geschilderten Art eine zu viel<br />

ist und es sich lohnt, dafür ein gesondertes Gesetz zu machen.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)<br />

Wir wissen auch, dass die <strong>von</strong> der Bundesregierung 1997/<br />

98 verschärfte Regelung gerade bezüglich der potenziell<br />

gefährlichen Straftäter möglicherweise nicht ausreicht.<br />

Sie haben Fälle genannt, bei denen ich nicht weiß, ob die<br />

Straftäter nach den neuen bundesgesetzlichen Regelungen<br />

nicht doch hätten festgehalten werden können. Obwohl wir<br />

da noch keine weiteren Erfahrungen in der Praxis haben,<br />

sind wir bereit, ein zusätzliches Landesgesetz mitzutragen.<br />

Es gibt verfassungsrechtliche Bedenken. Diese sollte man<br />

mit den Sachverständigen erörtern und ausräumen.<br />

Uns geht es im Wesentlichen noch darum, dass <strong>von</strong> den<br />

Angehörten nach unserer Auffassung starke Argumente<br />

vorgebracht worden sind, weshalb das Gesetz in der Praxis<br />

möglicherweise nicht zieht. Da haben nicht nur der Weiße<br />

Ring, sondern auch andere Organisationen das Bedenken<br />

geäußert, dass die Prognosen, die <strong>von</strong> Sachverständigen erstellt<br />

werden müssen, der Schwachpunkt des Gesetzes sind.<br />

Man müsste überlegen, wie das anders organisiert werden<br />

kann. Wenn der Weiße Ring – das ist, wie Sie gesagt haben,<br />

eine Organisation, die sich vorwiegend um die Opfer<br />

kümmert – sagt, dass die vom Gesetz verlangte Prognose<br />

„nach Meinung unserer Experten“ – so das Zitat – „so gut<br />

wie unmöglich ist“, dann müssen wir das ernst nehmen.<br />

Nichts wäre nämlich schlimmer, als wenn wir jetzt mit der<br />

Erwartung der Öffentlichkeit, dass wir diese Täter greifen<br />

könnten, ein Gesetz verabschiedeten und der Erfolg hinterher<br />

ausbliebe.<br />

Es heißt weiter in der Stellungnahme des Weißen Rings:<br />

Eine akute Gefahr der Straftatenbegehung lässt sich<br />

mit den bisher bekannten kriminologischen Prognoseverfahren<br />

nicht vorhersagen, wenn es nicht um kranke<br />

oder berauschte Täter geht.<br />

Darüber muss man reden. Da muss eine Lösung gefunden<br />

werden. Wenn man das Gesetz nicht im Wortlaut ändern<br />

muss, dann aber möglicherweise die Praxis bei den Sachverständigen.<br />

Ein weiteres Bedenken wird vom Weißen Ring, auch <strong>von</strong><br />

anderen unterstützt, vorgebracht: Die Täter passen sich an.<br />

Wenn sie wissen, dass nur dann, wenn sie in Therapie gehen<br />

und sich im Vollzug wohl verhalten, hinterher eine positive<br />

Prognose gestellt werden kann, dann wird es zu einer<br />

Scheinanpassung kommen. Es muss überlegt werden, wie<br />

solche Reaktionen bei den Tätern im Strafvollzug vermieden<br />

werden können bzw. wie das Verfahren so angelegt<br />

werden kann, damit das nicht passiert.<br />

Der Leiter der Vollzugsanstalt Bruchsal sagt zum Beispiel:<br />

Es ist eigentlich nicht sinnvoll, wenn derjenige, der als<br />

Psychologe oder Psychiater die Behandlung im Vollzug<br />

durchgeführt hat, gleichzeitig Gutachter sein soll. Das<br />

leuchtet mir ein; denn wenn das Gutachten entsprechend<br />

ausfällt und der Betreffende weiter behandelt werden soll,<br />

dann darf das nicht durch den gleichen Behandler geschehen,<br />

der vorher gesagt hat: „Du musst aber hier in Sicherungsverwahrung<br />

bleiben.“ Zumindest treten dann gehörige<br />

Schwierigkeiten auf. Darüber muss man reden. Es muss<br />

eine Lösung gefunden werden, wie dieses Problem, das<br />

hier aufgezeigt wird, umgangen wird bzw. wie das Problem<br />

nicht entstehen kann. Dazu brauchen wir die Anhörung.<br />

8023


(Bebber)<br />

8024<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Unser Appell an Sie ist deshalb: Führen Sie gemeinsam mit<br />

uns eine Anhörung <strong>von</strong> Organisationen und Fachleuten<br />

durch. Dabei geht es übrigens um Fachleute, die bisher<br />

noch nicht angehört worden sind. Psychologen und Psychiater<br />

sind zu diesem Thema bisher überhaupt noch nicht gehört<br />

worden. Wir halten deren Anhörung für notwendig.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Oelmayer.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Schon wieder? Kriegst du<br />

heute eine Zulage? – Abg. Behringer CDU: Dauerredner!)<br />

Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Herr Präsident,<br />

meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen.<br />

Die erste Vorbemerkung betrifft das Verfahren. Es will mir<br />

nicht so recht einleuchten, Herr Innenminister und Herr<br />

Justizminister, dass Sie in dieser Eile jetzt dieses Gesetz<br />

durch den <strong>Landtag</strong> ziehen wollen, obwohl – ich betone das<br />

–, jedenfalls nach meiner Kenntnis – aber vielleicht liegen<br />

Ihnen ja andere Kenntnisse vor; dann würde ich Sie bitten,<br />

diese dann auch zu offenbaren –, keine konkreten Anhaltspunkte<br />

dafür bestehen, dass es jetzt darauf ankommt, dass<br />

das Gesetz noch im Monat Februar im <strong>Landtag</strong> beschlossen<br />

wird.<br />

(Abg. Deuschle REP: Das ist doch klar!)<br />

Als Abgeordneter, Herr Innenminister, schätze ich es sehr,<br />

wenn ich Anhörungsergebnisse <strong>von</strong> Verbänden, <strong>von</strong> Organisationen,<br />

vom Weißen Ring, <strong>von</strong> Richtern, <strong>von</strong> Staatsanwälten<br />

und <strong>von</strong> vielen anderen, deren Stellungnahmen Sie<br />

ja eingeholt haben, bekomme. Viele haben, vielleicht auch<br />

aufgrund der Zeit, noch nicht Stellung genommen. Ich<br />

schätze es sehr, dass man sich darauf beziehen kann und<br />

dass man sich ein Bild <strong>von</strong> dieser rechtspolitisch sicherlich<br />

nicht einfachen Frage, wie Sie ja selbst eingeräumt haben,<br />

machen kann.<br />

Die Stellungnahmen dieser Verbände sind unserer Fraktion<br />

gestern Abend zugegangen. Das heißt, es muss einen Anlass<br />

geben, warum Sie das Gesetz in dieser Eile im <strong>Landtag</strong><br />

verabschieden wollen. Denn wenn das noch in dieser<br />

Wahlperiode geschehen soll, dann muss es am 20. oder<br />

21. Februar geschehen. Wann da eine sinnvolle und eine<br />

umfassende Anhörung zu den rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen<br />

Fragen auf der einen Seite und zu der<br />

Frage, ob dieses Gesetz überhaupt in dem Sinne greift, wie<br />

Sie sich das vorstellen, auf der anderen Seite stattfinden<br />

soll, weiß ich nicht. Aber diese Fragen sollten tatsächlich –<br />

da will ich den Antrag der SPD-Fraktion gern unterstützen<br />

– in einer Anhörung geklärt werden. Die Antwort auf die<br />

Frage, warum Sie all dies nicht in einer Anhörung klären<br />

wollen, haben Sie bisher nicht gegeben.<br />

Ein weiterer Punkt: Herr Innenminister, Sie haben Ihre Rede<br />

natürlich dramaturgisch geschickt aufgebaut – das will<br />

ich Ihnen gar nicht in Abrede stellen –, indem Sie dem Parlament<br />

hier Fälle vorgetragen haben, bei denen es sich<br />

wirklich um grausame Verbrechen handelt – das will ich<br />

überhaupt nicht in Abrede stellen –, bei denen auch wir der<br />

Meinung sind, dass man alle Möglichkeiten des Rechtsstaats<br />

ausschöpfen muss, solche Verbrechen zu verhindern,<br />

die auch dazu geführt haben, dass es auf Bundesebene die<br />

Verschärfung der Regelungen zur Sicherungsverwahrung<br />

gegeben hat, einem Instrument, das ich als Ultima Ratio<br />

des Rechtsstaats bezeichnen möchte; denn es bedeutet für<br />

die Menschen, die der Sicherungsverwahrung unterliegen,<br />

gegebenenfalls das Wegschließen bis zum Lebensende.<br />

Das mag im Einzelfall – ich betone es noch einmal – gerechtfertigt<br />

sein. Aber, Herr Innenminister, was Sie uns natürlich<br />

nicht berichtet haben, ist, ob die Fälle, die Sie dem<br />

hohen Hause hier vorgetragen haben, zeitlich vor den gesetzlichen<br />

Verschärfungen der Sicherungsverwahrung auf<br />

Bundesebene lagen oder danach.<br />

Der Weiße Ring trägt, denke ich, zu Recht vor: Wir müssen<br />

ja erst einmal evaluieren, welche Wirkungen diese Verschärfungen<br />

der Gesetze auf Bundesebene gebracht haben.<br />

Ob ein solcher massiver Eingriff, wie Sie ihn jetzt hier auf<br />

der Grundlage des Polizeirechts, also auf der Grundlage<br />

<strong>von</strong> Landesgesetzen, planen, sich rechtfertigen lässt, hängt<br />

doch auch da<strong>von</strong> ab, inwieweit die bisherigen gesetzlichen<br />

Maßnahmen nicht ausreichen, um solche Fälle zu verhindern.<br />

Der Presse entnehme ich, dass der Justizminister –<br />

ich glaube, auch in der hier im <strong>Landtag</strong> geführten Aktuellen<br />

Debatte – <strong>von</strong> einem einzigen Fall berichtet, auf den<br />

dieses Gesetz gegebenenfalls Anwendung finden würde.<br />

Eine Klarheit gibt es darüber bis heute nicht. Auch der Innenminister<br />

hat den Fall heute nicht konkretisiert.<br />

Ich will Ihnen einräumen: Jeder Fall ist ein Fall zu viel.<br />

Aber, Herr Innenminister und Herr Justizminister, wir bewegen<br />

uns im rechtsstaatlichen Grenzbereich. Das haben<br />

Sie selbst ausgeführt. Es ist eben nicht klar, ob das Land in<br />

diesem Bereich Gesetzgebungskompetenz hat. Es ist eben<br />

nicht klar, ob der Eingriff in die persönliche Freiheit <strong>von</strong><br />

Menschen, den Sie hier planen, noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz<br />

entspricht, und es ist eben nicht in Ordnung,<br />

wenn Sie einen Rechtsgelehrten, dessen Reputation<br />

ich nicht bezweifeln möchte, ein Gutachten machen lassen,<br />

in dem er dann zu dem Ergebnis kommt, dass das so geht.<br />

Es gibt auch Rechtsgelehrte in dieser Republik, an deren<br />

Reputation auch nicht gezweifelt werden kann, die meine<br />

Auffassung und die Auffassung meiner Fraktion vertreten,<br />

dass wir uns hier im rechtsstaatlichen Grenzbereich bewegen,<br />

ja vielleicht die Grenze überschreiten.<br />

Deswegen: Erklären Sie dem Parlament, warum Sie jetzt in<br />

dieser Eile dieses Gesetz beschließen wollen. Wenn Sie<br />

dies nicht erklären können, Herr Justizminister und Herr<br />

Innenminister, dann ist es nicht in Ordnung. Dann scheint<br />

es tatsächlich eine Botschaft zu sein, die Ihnen vielleicht in<br />

Wahlkampfzeiten wichtig erscheint, die aber zulasten <strong>von</strong><br />

Menschen geht, die Sie dann bis zum Lebensende wegschließen.<br />

(Abg. Dr. Birk CDU: Damit machen wir keinen<br />

Wahlkampf!)<br />

– Kollege Birk, dann erklären Sie mir, warum Sie jetzt in<br />

dieser Eile dieses Gesetz beschließen wollen.<br />

(Abg. Dr. Birk CDU: Weil Handlungsbedarf besteht!)


(Oelmayer)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Dann, meine ich, ist das keine adäquate Vorgehensweise<br />

für ein Parlament, auch nicht für das Parlament des Landes<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>. Wir werden in den Ausschusssitzungen<br />

erfahren – und wir werden ja hören, ob Sie wenigstens<br />

der <strong>von</strong> der SPD-Fraktion beantragten Anhörung zustimmen<br />

–, ob Sie bereit sind, die Argumente, die Sie ja hier<br />

durchaus schon einmal akzeptiert haben, auch zu würdigen.<br />

Zu welchem Ergebnis wir dann kommen, werden wir sehen.<br />

Ich rate Ihnen, Herr Innenminister, als rechtspolitischer<br />

Sprecher der Bündnisgrünen-Fraktion und nicht nur als<br />

Rechtsanwalt: Wagen Sie nicht den Schritt über die<br />

Rechtsstaatlichkeit hinaus! Die Gerichte werden diese Regelung<br />

überprüfen müssen, und wenn Sie dann vor Gericht<br />

unterliegen, haben Sie nicht nur die Chance, solche Straftaten<br />

zu verhindern – ich komme zum Schluss, Herr Innenminister<br />

–,<br />

(Heiterkeit des Abg. Brechtken SPD)<br />

nicht wahrgenommen, sondern darüber hinaus eine Botschaft<br />

in unser Land hinausgesandt, dessen Menschen da<strong>von</strong><br />

ausgehen, dass hier Gesetze beschlossen werden, die<br />

auch rechtsstaatlich abgesichert sind. Wenn das in diesem<br />

Fall nicht so sein sollte, dann leidet das gesamte Parlament<br />

unter der Schmälerung der Reputation, die es im Land bei<br />

rechtsstaatlichen Fragen durchaus genießt.<br />

In diesem Sinne bitte ich um eine offene und faire Behandlung<br />

in den Ausschussberatungen, vielleicht auch um ein<br />

Besinnen, vor allen Dingen aber um eine Erklärung, warum<br />

dieses Gesetz jetzt so schnell verabschiedet werden<br />

soll.<br />

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die<br />

Grünen – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Seit<br />

1998, Herr Kollege, bewegen wir uns in dieser Gesetzeslücke,<br />

nicht erst jetzt!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg.<br />

Kiesswetter.<br />

Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Herr Präsident, meine Damen<br />

und Herren! Wir haben vom Herrn Innenminister ausdrücklich<br />

gehört, welches Problem vorliegt, wie wir es lösen<br />

wollen und dass hier eine Gesetzeslücke besteht. Es<br />

kann nicht sein, dass der Staat offenen Auges Gewalttäter,<br />

Sittlichkeitsverbrecher in die Freiheit entlassen muss, obwohl<br />

er weiß, dass eine ganz konkrete Gefahr besteht.<br />

Wenn das verhindert werden kann, lohnt sich jedes Gesetz.<br />

Wir können dem Bürger draußen nicht verständlich machen,<br />

dass der Staat nicht handelt. Wenn so ein Fall passieren<br />

würde und wenn bekannt würde, dass der Staat jemanden<br />

entlässt, der sofort danach eine schwere Straftat begeht,<br />

dann würde dem Justizminister zu Recht der Vorwurf<br />

gemacht, nicht gehandelt zu haben. Jetzt hat er aber gehandelt,<br />

indem er den Gesetzesvorschlag einbrachte.<br />

Von Eile kann nicht die Rede sein. Wir reden schon zwei<br />

Jahre über diese Problematik.<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: So ist es! Seit<br />

1998, schon drei Jahre!)<br />

Wir haben hier ein Gerichtsverfahren, das den rechtsstaatlichen<br />

Kriterien genau entspricht.<br />

Sicher wurde zu lange darüber diskutiert, ob der Landesgesetzgeber<br />

oder der Bundesgesetzgeber zuständig ist. Zunächst<br />

waren wir alle der Auffassung, der Bundesgesetzgeber<br />

sei zuständig, er sei der richtige Adressat. Aber –<br />

und damit komme ich zu der Anhörung – die beste Anhörung<br />

ist immer noch, wenn man das Bundesjustizministerium<br />

zu einer Sache anhört,<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg.<br />

Hans-Michael Bender CDU: Sehr gut!)<br />

noch dazu, wenn das Bundesjustizministerium <strong>von</strong> der Opposition<br />

besetzt ist.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Das wird immer <strong>von</strong> der<br />

Regierung besetzt! – Abg. Schmiedel SPD: Sie<br />

sind die Opposition in Berlin!)<br />

– Von der Opposition hier.<br />

Ich zitiere die Regierungsfraktion, einen Herrn Staatssekretär<br />

Professor Dr. Eckhart Pick.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Guter Mann!)<br />

– Sehr guter Mann, richtig. Ich schätze ihn sehr für das,<br />

was er hier schreibt.<br />

(Abg. Bebber SPD: Sie tun ja gerade so, als wären<br />

wir anderer Meinung! Wir sind nicht anderer Meinung!)<br />

Ich darf zitieren aus einer Bundesratsdebatte vom 21. Dezember<br />

2000, also kurz vor Weihnachten, nachdem wir<br />

hier das letzte Mal über dieses Thema geredet hatten:<br />

So wie sich die Bundesratsinitiativen zu diesem Thema<br />

gebetsmühlenartig wiederholen, kann auch ich mich<br />

nur wiederholen: Der Bund hat für die geforderten Gesetze<br />

keine Gesetzgebungskompetenz.<br />

Er setzt dann seine Rede fort:<br />

– Ihnen.<br />

Da es sich um reines Gefahrenabwehrrecht handelt . . .<br />

(Abg. Bebber SPD: Wem halten Sie das jetzt vor?)<br />

(Abg. Bebber SPD: Wir sind ja gar nicht anderer<br />

Auffassung!)<br />

– In der letzten Debatte waren Sie das aber.<br />

(Abg. Bebber SPD: Sie sind ein Filou!)<br />

Dann halte ich es auch den Grünen vor. Das, was Sie so ein<br />

bisschen andeuten, dass wir dafür nicht zuständig seien,<br />

wäre die Verfassungswidrigkeit und wäre eigentlich der<br />

wunde Punkt. Dafür haben wir hier einen kompetenten<br />

Mann. Lassen Sie mich deshalb weiter zitieren:<br />

8025


(Kiesswetter)<br />

8026<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Da es sich um reines Gefahrenabwehrrecht handelt und<br />

die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch nicht im<br />

Zusammenhang mit der Aburteilung der Anlasstat angeordnet<br />

wird – sondern eben „nachträglich“ –, kann<br />

der Bundesgesetzgeber weder im Strafgesetzbuch eine<br />

solche Regelung schaffen, noch bedarf es einer irgendwie<br />

gearteten Öffnungsklausel durch den Bundesgesetzgeber<br />

für landesrechtliche Regelungen.<br />

Ich meine, dadurch ist geregelt, dass das Land zuständig<br />

ist. Deshalb brauchen wir auch keine Anhörung.<br />

Wir haben hier ein Gerichtsverfahren. Da es sich um eine<br />

Prognose handelt, brauchen wir zwei Sachverständige, einen<br />

<strong>von</strong> der Anstalt, der den Fall vortragen muss, der den<br />

Mann selbst jahrelang gesehen haben und der beurteilen<br />

können muss, dass er gefährlich wird, und einen externen,<br />

der das überprüft. Im Gerichtsverfahren kann der Anwalt<br />

nach dem geltenden Beweisantragsrecht jederzeit noch einen<br />

dritten Sachverständigen beantragen. Wir haben also<br />

die rechtsstaatliche Gewähr, dass die Prognose, die aufgestellt<br />

werden muss – –<br />

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Eine hohe Hürde!<br />

– Abg. Bebber SPD: Sagen Sie das nicht mir!)<br />

– Doch, Sie wollen ja eine Anhörung.<br />

(Abg. Bebber SPD: Sagen Sie das meinetwegen<br />

dem Anwaltsverband, aber nicht mir!)<br />

– Dann stimmen Sie dem Gesetz doch zu. Ich verstehe<br />

nicht, dass Sie jetzt dagegen sind und erst eine Anhörung<br />

wollen. Ich erkläre Ihnen doch, wo die Schwachpunkte<br />

sind und wie man sie vielleicht beheben kann.<br />

(Abg. Bebber SPD: Sie haben nicht zugehört!)<br />

– Doch, ich habe genau zugehört, und jetzt will ich auf Sie<br />

eingehen.<br />

Ich meine also, die Rechtsstaatlichkeit ist gesichert. Nach<br />

Beweisantragsrecht kann, wenn man mit den zwei Gutachten<br />

nicht einverstanden ist, ein drittes eingeholt werden,<br />

und das finde ich gut.<br />

Nicht verstehen kann ich, wie der Datenschutzbeauftragte<br />

– das haben Sie beide Gott sei Dank nicht erwähnt, und das<br />

finde ich auch richtig – fordern kann, dass die Öffentlichkeit<br />

in diesem Verfahren ausgeschlossen werden soll. Das<br />

ist für mich nicht nachvollziehbar. Sie werden mit mir doch<br />

darin einig sein, dass hier bei einer solch schwierigen Entscheidung,<br />

bei der der Staat über die Freiheit eines Dritten<br />

befindet, die Öffentlichkeit überwachen soll, ob der Staat<br />

in dem Gerichtsverfahren ordnungsgemäß vorgeht. Deshalb<br />

halte ich die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens für<br />

wichtig und verstehe nicht, dass der Datenschutzbeauftragte<br />

hier die Öffentlichkeit vollkommen ausschließen will.<br />

Ich meine nicht die Fernsehaufzeichnung. Die Entscheidung<br />

halte ich für richtig, dass im Strafverfahren keine<br />

Fernsehaufnahmen gemacht werden; das jetzt nur nebenbei.<br />

Aber die Öffentlichkeit muss gewahrt werden bei einem<br />

solch sensiblen Bereich, der hier behandelt wird.<br />

(Abg. Dr. Schlierer REP: Glauben Sie auch, was<br />

Sie hier sagen?)<br />

– Das meine ich ganz genau so.<br />

Meine Damen und Herren, wir sind hier federführend. Das<br />

ist ein Pilotprojekt.<br />

Ich darf noch einmal Herrn Pick zitieren. Er sagt am<br />

Schluss seiner Ausführungen:<br />

Wenn Ihnen der Schutz vor gefährlichen Rückfalltätern<br />

am Herzen liegt, dann handeln Sie im Rahmen Ihrer<br />

eigenen Gesetzgebungskompetenz! Schaukämpfe<br />

mit dem Bund helfen nicht weiter.<br />

Er hat völlig Recht. Wir schließen uns dem an und sind<br />

froh, dass dieser Gesetzentwurf eingebracht wurde.<br />

Ich bedanke mich.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der<br />

CDU)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Käs.<br />

Abg. Käs REP: Herr Präsident, meine Damen und Herren!<br />

Es ist zweifellos ein verfassungsrechtlich schwieriges Problem,<br />

das im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf<br />

angesprochen werden muss. Es ehrt dieses Haus ohne<br />

Zweifel, dass hier so bedacht und abwägend argumentiert<br />

worden ist.<br />

Angesichts der Beispiele aber, die der Herr Innenminister<br />

am Anfang genannt hat und die sich ohne Probleme durch<br />

weitere Beispiele auch aus anderen Bundesländern ergänzen<br />

ließen, habe ich kein Verständnis dafür, dass gerade<br />

<strong>von</strong> der linken Seite des Hauses Bedenken geäußert werden,<br />

die letztlich darauf hinauslaufen, dass die Umsetzung<br />

des Gesetzentwurfs verzögert werden soll – ich denke an<br />

den Vorschlag, eine Anhörung durchzuführen –, womöglich<br />

über das Ende der laufenden Legislaturperiode hinaus,<br />

damit wir noch länger auf dieses sinnvolle Gesetz warten<br />

müssen.<br />

(Zuruf des Abg. Hans-Michael Bender CDU)<br />

Gerade wir Republikaner fordern ein solches Gesetz seit<br />

Jahren, sei es auf bundesrechtlicher oder auf landesrechtlicher<br />

Grundlage. Wir unterstützen nachdrücklich, dass eine<br />

solche gesetzliche Regelung umgesetzt wird.<br />

Aber – das muss man sagen; da sind die bedenkenreichen<br />

Äußerungen sicherlich zu berücksichtigen – es gibt eine<br />

Reihe <strong>von</strong> Problemen. Wir befinden uns in der Tat in einer<br />

schwierigen Grenzsituation, wenn es um die Frage der<br />

Rechtsstaatlichkeit geht. Es geht um das Freiheitsrecht einer<br />

Person, die ihre Strafe eigentlich abgebüßt hat. Das ist<br />

ernsthaft zu berücksichtigen.<br />

Zu berücksichtigen ist nach unserem Dafürhalten aber auch<br />

das Schutzinteresse derjenigen, die noch nicht zum Opfer<br />

geworden sind und die durch jemanden, der auf freien Fuß<br />

gesetzt wird, aber hochgradig rückfallgefährdet ist, möglicherweise<br />

gefährdet werden könnten. Hier ist jeder Tag,<br />

der hinsichtlich der Umsetzung dieses Gesetzentwurfs ver-


(Käs)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

loren geht, ein Tag, an dem die Gefahr besteht, dass sich<br />

ein solcher Fall gerade realisiert. Deswegen haben wir keine<br />

Zeit, diese Frage mit umfangreichen Anhörungen, die<br />

über das erfolgte Maß hinausgehen, noch zu diskutieren.<br />

Dieses Haus ist imstande und kompetent genug, diese Frage<br />

jetzt auch tatsächlich legislativ zu entscheiden.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Die Frage, ob wir hier die Gesetzgebungskompetenz haben,<br />

ist natürlich eine juristisch zentrale Frage. Dazu ist das<br />

Wesentliche gesagt worden. Ich will mich hier nur noch<br />

auf den wesentlichen Punkt beschränken.<br />

In der Tat haben wir bei der Abgrenzung <strong>von</strong> strafermittelnden,<br />

strafvollziehenden Tätigkeiten, die in der bundesrechtlichen<br />

Kompetenz und im Polizeirecht liegen, immer<br />

wieder Grenzfälle. Jeder Polizeibeamte weiß, dass er sich<br />

bei derselben Aktion im polizeirechtlichen Bereich oder im<br />

strafprozessrechtlichen Bereich bewegen kann. Die Abgrenzung<br />

ist hier für meine Begriffe sehr präzise getroffen.<br />

Natürlich knüpft man daran an, das jemand strafrechtlich<br />

verurteilt worden ist. Aber der eigentliche Grund für die<br />

Maßnahme ist die Prognose. Wenn hier wegen der Prognose<br />

Bedenken vom Kollegen Bebber kommen, so frage ich:<br />

Wer soll denn die Prognose sonst stellen, wenn nicht Fachleute,<br />

die eine Person zu begutachten haben?<br />

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)<br />

Jemand, der im Gefängnis schon mit der besagten Person<br />

gearbeitet hat, und eine neutrale dritte Stelle. Eine andere,<br />

kompetentere Stelle kann ich mir nicht vorstellen, obgleich<br />

– das habe ich an dieser Stelle in anderem Zusammenhang<br />

auch schon gesagt – ich durchaus Zweifel an der Kompetenz<br />

des einen oder anderen Psychologen hege, der hier ein<br />

Gutachten abgibt, das im umgekehrten Fall der – möglicherweise<br />

vorzeitigen – Freilassung einer solchen Person<br />

Tür und Tor öffnet. Dieses Risiko müssen wir hier eingehen.<br />

Deswegen gibt es eine Gerichtsverhandlung, und die<br />

muss auch öffentlich sein. Ein wesentlicher rechtsstaatlicher<br />

Aspekt einer Gerichtsverhandlung ist die Öffentlichkeit.<br />

Und die Öffentlichkeit ist gerade auch ein Schutz für<br />

den Betroffenen. Das will ich an dieser Stelle nur noch einmal<br />

unterstreichen.<br />

Es sind dann verschiedenste Einwände gemacht worden,<br />

auf die ich jetzt im Einzelnen an dieser Stelle – dazu haben<br />

wir im Ausschuss genug Zeit – nicht mehr eingehen möchte.<br />

Unter dem Strich möchte ich insgesamt aber eines festhalten:<br />

Dieses Gesetz ist natürlich schon ein Schritt auf juristisches<br />

Neuland, gar keine Frage. Es ist aber ein notwendiges<br />

Gesetz. Es entspricht den Forderungen, die schon seit<br />

Jahren <strong>von</strong> Fachleuten meiner Fraktion und vielen anderen<br />

hier in diesem Haus geäußert worden sind. Wir werden<br />

dieses Gesetz deshalb wohlwollend betrachten und stehen<br />

– das nur noch am Schluss gesagt – einer Detailanhörung,<br />

die das Ganze nur noch weiter verzögern würde,<br />

(Abg. Zeller SPD: Verzögern? Vor der zweiten Lesung!)<br />

sehr ablehnend gegenüber.<br />

Danke schön.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Es liegen keine weiteren Wortmeldungen<br />

vor. Wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen<br />

Behandlung. Es ist Überweisung des Gesetzentwurfs<br />

an den Innenausschuss und – federführend – an den Ständigen<br />

Ausschuss vorgeschlagen. – Sie stimmen dem zu.<br />

Damit ist Tagesordnungspunkt 5 erledigt.<br />

Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:<br />

Mündlicher Bericht des Petitionsausschusses und Aussprache<br />

Zunächst erteile ich dem Vorsitzenden des Petitionsausschusses,<br />

Herrn Kollegen Veigel, das Wort.<br />

Abg. Veigel FDP/DVP: Herr Präsident, meine sehr verehrten<br />

Damen und Herren! Zum Ende der Wahlperiode gebe<br />

ich Ihnen heute noch einen Bericht über die Tätigkeit des<br />

Petitionsausschusses.<br />

Im Zeitraum <strong>von</strong> 1996 bis heute haben sich sage und<br />

schreibe fast 8 000 Bürgerinnen und Bürger an den Ausschuss<br />

gewandt. Sie wollten Hilfe in Bausachen, Rentenangelegenheiten,<br />

Steuerfragen oder eine Begnadigung. Im<br />

weitaus größten Teil der Zuschriften ging es jedoch um<br />

ausländerrechtliche Fragen. Rund 29 % beträgt dieser Anteil.<br />

Gegenüber der letzten Wahlperiode liegt er um etwa<br />

ein Drittel höher.<br />

Knapp die Hälfte dieser Petitionen wurden <strong>von</strong> Ausländern<br />

oder <strong>von</strong> Deutschen für Ausländer erhoben, die aus Bosnien-Herzegowina<br />

oder aus der Bundesrepublik Jugoslawien<br />

stammen. Diese Menschen haben also nicht Asyl beantragt,<br />

sondern sind zum überwiegenden Teil als Bürgerkriegsflüchtlinge<br />

zu uns gekommen. Bürgerkriegsflüchtlinge sind<br />

Gäste auf Zeit, heißt es immer. Sie müssen in ihr Heimatland<br />

zurückkehren, wenn die für die Flucht maßgeblichen<br />

Gründe weggefallen sind. Im Grundsatz richtig, kann ich<br />

da nur sagen.<br />

Wir hatten es im Petitionsausschuss aber auch sehr mit<br />

Bürgerkriegsflüchtlingen zu tun, die bei uns lange Jahre in<br />

derselben Firma beschäftigt waren und dort dringend benötigt<br />

wurden. Teils waren sie hoch qualifiziert, teils scheuten<br />

sie sich aber auch nicht, unangenehme Arbeiten zu übernehmen.<br />

Bei den Arbeitgebern handelte es sich durchweg<br />

um Handwerksbetriebe oder kleine mittelständische Unternehmen.<br />

Diese Firmen forderten vehement ein Bleiberecht<br />

für ihre ausländischen Arbeitnehmer. Deren Tätigkeit sei<br />

betriebsnotwendig, sie seien eingearbeitet, und Ersatz am<br />

Arbeitsmarkt sei leider nicht zu bekommen.<br />

Der Ausschuss konnte diesen Firmen nur ganz selten helfen,<br />

getreu dem vorgegebenen Motto: Gäste auf Zeit sind<br />

auch Arbeitnehmer auf Zeit. Für mich persönlich – und ich<br />

glaube auch für die Ausschussmehrheit – war es deshalb<br />

erfreulich, Herr Innenminister, dass die Landesregierung<br />

Ende vergangenen Jahres die rechtlichen Voraussetzungen<br />

für ein befristetes Aufenthaltsrecht für diesen Personenkreis<br />

geschaffen hat. Ich kann, ohne anmaßend zu sein,<br />

8027


(Veigel)<br />

8028<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

feststellen, dass zu diesem Ergebnis auch die Beratungen<br />

bei uns im Petitionsausschuss und die vielen persönlichen<br />

Gespräche mit Regierungsvertretern beigetragen haben.<br />

Mit einer speziellen ausländerrechtlichen Petition hatte es<br />

der Ausschuss in der ersten Hälfte dieser Wahlperiode –<br />

das war noch unter Dr. Freudenberg – zu tun. Sie erinnern<br />

sich alle an die Petentin „Neshe“, die unter diesem Namen<br />

landesweit Schlagzeilen machte. Petitionsausschuss und<br />

<strong>Landtag</strong> wurden seinerzeit heftig gescholten, weil sie die<br />

Petition ablehnten und sich nur für ein Besuchervisum aussprachen.<br />

Über die Petition gab es auch hier im Plenum<br />

eine öffentliche Debatte, was natürlich äußerst selten vorkommt<br />

– leider vielleicht. Im Rückblick können wir nach<br />

der Einreise der Petentin, den nachfolgenden Wirren um<br />

ihre Person und ihrer anschließenden Ausreise feststellen,<br />

dass die Entscheidung des Petitionsausschusses damals<br />

nicht ganz falsch war.<br />

(Abg. Haas CDU: Was heißt „nicht ganz falsch“?<br />

Sie war richtig, Herr Vorsitzender!)<br />

– Also war sie Ihrer Ansicht nach richtig, danke. Die Meinungen<br />

sind eben verschieden.<br />

Zurück zur Statistik: Nach den ausländerrechtlichen Petitionen<br />

folgen mit weitem Abstand, nämlich mit gut 6 %,<br />

baurechtliche Eingaben. Auch hier gab es wieder Fälle, die<br />

landesweit Aufmerksamkeit erregten. Ich erinnere an den<br />

beabsichtigten Bau <strong>von</strong> Windkraftanlagen in Spiegelberg<br />

im Rems-Murr-Kreis und in Lauterstein im Landkreis Göppingen,<br />

Herr Kollege Schmiedel.<br />

Windkraftanlagen sind im Außenbereich zwar privilegiert.<br />

Sie dürfen aber gleichwohl nicht den Belangen des Naturschutzes<br />

und der Landschaftspflege entgegenstehen.<br />

Für den Standort Lauterstein hat der Verwaltungsgerichtshof<br />

in einem parallel betriebenen Berufungsverfahren bestätigt,<br />

dass die Bauvoranfrage wegen einer erheblichen<br />

Beeinträchtigung des Landschaftsbildes zu Recht abgelehnt<br />

worden ist. Diesem Votum schloss sich auch der Petitionsausschuss<br />

an.<br />

Auch dem Bau einer Anlage in einem Landschaftsschutzgebiet<br />

der Gemeinde Spiegelberg konnte er nicht zustimmen.<br />

Der Ausschuss wies jedoch darauf hin, dass eine Genehmigung<br />

da<strong>von</strong> abhängen wird, wie die Planungskonzeption<br />

des Verbands Region Stuttgart zur Ausweisung<br />

<strong>von</strong> Windenergiestandorten aussehen wird. Die Grundlagen<br />

für diese Konzeption werden gegenwärtig erarbeitet.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Von mir!)<br />

– Vom Kollegen Schmiedel, danke.<br />

(Heiterkeit der Abg. Brechtken und Schmiedel<br />

SPD)<br />

Im Laufe dieses Jahres wird sich klären, welche Standorte<br />

tatsächlich ausgewiesen werden. – Herr Schmiedel ist<br />

Fraktionsvorsitzender in der Regionalversammlung.<br />

Meine Damen und Herren, schwierige baurechtliche Fragen<br />

hatte der Petitionsausschuss in einem Fall zu klären, in<br />

dem einem prominenten Bauherrn die Sanierung seines im<br />

Außenbereich gelegenen Wohnhauses genehmigt wurde.<br />

Da der Bauherr das vorhandene Gebäude weitgehend abriss,<br />

(Zurufe der Abg. Dr. Glück FDP/DVP und Walter<br />

Bündnis 90/Die Grünen )<br />

war dessen Bestandsschutz erloschen. Die städtische Baurechtsbehörde<br />

erteilte daraufhin für den Neubau eine weitere<br />

Baugenehmigung.<br />

Dagegen wandte sich – Gott sei Dank – ein Nachbar, der<br />

schließlich den Petitionsausschuss anrief. Weil die Baumaßnahme<br />

schon weit fortgeschritten war, konnte aus<br />

Gründen der Verhältnismäßigkeit der Abbruch des rechtswidrig<br />

erstellten Gebäudes nicht verlangt werden. Das<br />

Wirtschaftsministerium hat aber zugesagt, die Baugenehmigung<br />

zurückzunehmen und den Abbruch verschiedener<br />

Mauern und Treppenanlagen auf dem Grundstück anzuordnen.<br />

Aufgrund der Berichterstattung in der Presse über diesen<br />

Sachverhalt wurde dem Petitionsausschuss ein Parallelfall<br />

zur Prüfung vorgelegt. Beide Fälle wurden <strong>von</strong> derselben<br />

städtischen Baurechtsbehörde entschieden. Für uns war damit<br />

natürlich Grund zum Handeln gegeben.<br />

Auch in diesem zweiten Fall wurde die rechtswidrige Baugenehmigung<br />

zurückgenommen. Der Abbruch des Gebäudes<br />

konnte auch hier aus Gründen der Verhältnismäßigkeit<br />

leider nicht angeordnet werden.<br />

Ein weiterer berühmter Fall war aber auch die Petition über<br />

den Waldenser-Friedhof in Neuhengstett, liebe Beate Fauser,<br />

wo ein wahrer Glaubenskrieg entbrannt war.<br />

(Abg. König REP: Wegen der Bäume!)<br />

– Wegen der Bäume, das wissen Sie auch.<br />

So viel zu einigen landesweit bekannt gewordenen Einzelfällen.<br />

(Zuruf des Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen)<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen feststellen,<br />

dass die Zahl der Petitionen zurückgeht. In der laufenden<br />

fünfjährigen Wahlperiode sind nur unwesentlich<br />

mehr Petitionen eingegangen als in dem vorangegangenen<br />

vierjährigen Zeitraum. Damit setzt sich eine Entwicklung<br />

fort, die bereits in der 8. Legislaturperiode begonnen hat.<br />

Woran dies liegt, lässt sich im Moment nicht ermitteln; wir<br />

können nur mutmaßen. Begründen die Behörden ihre Entscheidungen<br />

sorgfältiger, und überzeugen sie damit die<br />

Bürgerinnen und Bürger? Wird der Rechtsweg verstärkt in<br />

Anspruch genommen und bei einer Niederlage keine Chance<br />

mehr gesehen, in einem Petitionsverfahren zum Erfolg<br />

zu kommen? Wenden sich die Bürgerinnen und Bürger<br />

verstärkt an Boulevardzeitungen oder an bestimmte Fernsehsender<br />

und erhoffen sich <strong>von</strong> dort via Öffentlichkeit Erfolg?<br />

Vielleicht ist der Petitionsausschuss bei der jüngeren<br />

Generation auch bloß nicht bekannt. Darüber sollten wir<br />

uns Gedanken machen, obwohl wir uns über die Anteilnahme<br />

der Presse an unserer Arbeit eigentlich nicht beklagen<br />

können.


(Veigel)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Das<br />

stimmt!)<br />

Rückläufig ist auch die Erfolgsquote. Sie liegt mit gut<br />

15 % um 5 Prozentpunkte unter dem Wert der letzten<br />

Wahlperiode. Man darf dies aber nicht negativ sehen, Herr<br />

Kollege Walter. Ich führe nämlich den Rückgang auch darauf<br />

zurück, dass die Behörden bei ihren Entscheidungen<br />

verstärkt die Interessen der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen,<br />

soweit es die Gesetze zulassen. Denn sie<br />

müssen damit rechnen – hier wird es etwas kritisch –, dass<br />

die Betroffenen den Petitionsausschuss einschalten und um<br />

Überprüfung der Entscheidungen bitten. Wenn Bürgerfreundlichkeit<br />

auf diesem Weg erreicht wird, verzichtet der<br />

Petitionsausschuss gerne auf eine höhere Erfolgsquote.<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer schon einmal<br />

im Petitionsausschuss mitgearbeitet hat – und das sind<br />

viele hier im Saal –, weiß, wie zeitaufwendig und manchmal<br />

auch mühsam diese Tätigkeit ist. Von Ausnahmefällen<br />

abgesehen, findet sie auch nicht die große Öffentlichkeit.<br />

Dies soll sie auch gar nicht, weil es sich meist um Privatangelegenheiten<br />

handelt, die andere Leute nichts angehen.<br />

Deshalb auch die Nichtöffentlichkeit unserer Sitzungen.<br />

Die Arbeit im Petitionsausschuss ist also völlig unspektakulär<br />

und bringt für die Abgeordneten keine oder fast keine<br />

öffentliche Aufmerksamkeit, es sei denn, man ordnet einen<br />

Vor-Ort-Termin an, zu dem dann die Presse in Scharen<br />

kommt und wo es dann manchmal auch ganz schön hoch<br />

hergeht.<br />

Umso mehr freue ich mich natürlich über die engagierte<br />

Mitarbeit der Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss.<br />

Hier wird wirklich sehr engagiert und sehr sorgfältig gearbeitet.<br />

Ich schaue <strong>von</strong> links über die Mitte nach rechts: Jeder<br />

tut in diesem Ausschuss sein Bestes. Wir zeigen den<br />

Bürgerinnen und Bürgern, dass sich jemand auch außerhalb<br />

gerichtlicher Verfahren um sie kümmert. Ich nenne<br />

hier wieder das Stichwort Bürgerfreundlichkeit.<br />

Die Abgeordneten des <strong>Landtag</strong>s sind nicht „die da oben“<br />

und wirken nicht abgehoben <strong>von</strong> allen Realitäten. Nein, sie<br />

wollen die Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger<br />

kennen lernen und helfen, wo immer es geht. Auf das Wort<br />

„helfen“ lege ich ein ganz besonderes Gewicht.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der<br />

CDU)<br />

Ich bin mir sicher, dass wir mit unserer Arbeit auch das Interesse<br />

der Menschen an der parlamentarischen Tätigkeit<br />

und damit an unserem Gemeinwesen verstärken.<br />

Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch Folgendes sagen:<br />

Die Arbeit im Petitionsausschuss – das werden mir die<br />

Damen und Herren Mitglieder bestätigen – kann einem<br />

auch menschlich sehr zu schaffen machen. Dies gilt insbesondere<br />

für ausländerrechtliche Petitionen. Ich denke an<br />

Familien, die abgeschoben werden sollen, obwohl ein Elternteil<br />

oder ein Kind krank oder behindert ist – solche Fälle<br />

gibt es nicht wenige –, oder an die Fälle, in denen nicht<br />

sicher ist, dass die Betroffenen in ihrem Heimatland ausreichend<br />

mit Medikamenten versorgt werden können. Eine<br />

Delegation des Petitionsausschusses war im Kosovo und<br />

hat dort die katastrophalen Verhältnisse sehen können. Ich<br />

glaube, ein solcher Anschauungsunterricht tut uns nur gut.<br />

Gleiches gilt für die Kinder oder Jugendlichen, die abgeschoben<br />

werden und deshalb hier ihre Schul- oder Berufsausbildung<br />

nicht zu Ende bringen können. Solche Situationen<br />

müssen erst einmal auch seelisch verkraftet werden.<br />

Ich glaube, ich spreche hier den Damen und Herren Kollegen<br />

aus dem Herzen.<br />

Zur Ausschussarbeit noch eine Bemerkung ganz anderer<br />

Art: Ich habe gar nichts dagegen, wenn der Petitionsausschuss<br />

<strong>von</strong> der Exekutive gelegentlich als lästiger Vermittler<br />

zwischen den Bürgerinnen und Bürgern einerseits und<br />

den staatlichen Behörden andererseits angesehen wird. Oftmals<br />

hilft eben nur ein gewisses Maß an Penetranz – Herr<br />

Kollege Walter, da schaue ich ganz besonders Sie oder<br />

auch einige andere an –, um eine Petition erfolgreich zum<br />

Abschluss zu bringen. – Das sollte ein Lob sein, Herr Kollege<br />

Walter.<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Ja, danke!<br />

Ich habe es verstanden!)<br />

Dies soll nicht heißen, dass wir uns über die gesetzlichen<br />

Regelungen hinwegsetzen wollen. Dies kann niemand vom<br />

Petitionsausschuss verlangen, und er tut dies auch nicht.<br />

Was wir aber können, ist rechtswidriges, unvernünftiges<br />

oder unzweckmäßiges Handeln ganz gewaltig ins Visier zu<br />

nehmen. Es gibt oftmals sehr viel mehr Möglichkeiten, einem<br />

Petenten zu helfen, als man beim ersten Durchlesen<br />

der Akten vermutet. Dazu müssen wir aber <strong>von</strong> den Rechten<br />

Gebrauch machen, die uns das Petitionsausschussgesetz<br />

gibt. Wir sollten die Vorschriften des Petitionsausschussgesetzes<br />

auch ausschöpfen. Ich denke hier insbesondere an<br />

Vor-Ort-Termine. Wir sollten eigentlich noch mehr Vor-<br />

Ort-Termine machen, um uns zu überzeugen – insbesondere<br />

in baurechtlichen Fragen –, wie es draußen aussieht.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und beim Bündnis 90/<br />

Die Grünen)<br />

Wir sollten mit den Petenten reden, wir sollten mit den Behörden<br />

vor Ort reden, und wir sollten uns ein Bild da<strong>von</strong><br />

machen, wie es draußen aussieht.<br />

Ich sprach vorhin <strong>von</strong> der Mühe, die uns die Arbeit im Petitionsausschuss<br />

bereitet. Aber eines ist auch richtig: Wenn<br />

wir Bürgerinnen und Bürgern helfen können, ist das auch<br />

für uns, Herr Kollege Behringer, und für alle, die ich jetzt<br />

anspreche, ein schönes Gefühl. Meistens haben wir Kompromisse<br />

gefunden, mit denen auch die Behörden leben<br />

können. Vor allen Dingen aber sehen wir an der Reaktion<br />

der Petenten, dass sich unser Einsatz gelohnt hat. Sie zeigen<br />

sich zufrieden mit unserer Hilfe und sparen auch nicht<br />

mit Dank. Und selbst dann, wenn mir bei einem Ortstermin<br />

ein Petent nur sagt: „Lieber Herr Veigel, endlich hat mir<br />

einmal jemand zugehört!“, dann weiß ich – da geben Sie<br />

mir sicher Recht –, dass unsere Arbeit nicht umsonst war<br />

und nicht umsonst ist.<br />

Auch etwas anderes sollten wir nicht vergessen: Über die<br />

Arbeit im Petitionsausschuss erfahren wir hautnah, ob Gesetze,<br />

die wir im <strong>Landtag</strong> selbst beschlossen haben, in der<br />

Praxis auch funktionieren. Im Petitionsausschuss herrscht<br />

8029


(Veigel)<br />

8030<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

eigentlich ein permanenter Lernprozess. Wir lernen sehr<br />

viel, und zwar auf vielen Rechtsgebieten, und das ist für<br />

uns auch nur gut.<br />

Ich denke hier zum Beispiel an die Petitionen, die uns zum<br />

barrierefreien Bauen erreicht haben.<br />

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit angezeigt.)<br />

– Ich bin gleich so weit, Herr Präsident. – In der Landesbauordnung<br />

haben wir festgelegt, dass bestimmte bauliche<br />

Anlagen barrierefrei zu errichten sind. Aufgrund dieser<br />

sinnvollen Vorschrift konnten wir in einigen Petitionsfällen<br />

erreichen, dass Baumaßnahmen behindertengerecht ausgeführt<br />

werden.<br />

Nun komme ich so langsam zum Schluss.<br />

(Lachen bei der SPD und beim Bündnis 90/Die<br />

Grünen – Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen:<br />

Langsam!)<br />

– Ich muss das ja einmal ausnützen. – Der Petitionsausschuss<br />

ist gefragt worden, ob die Vorschrift in letzter Konsequenz<br />

auch für einen kommunalen Bauhof gilt. Es gibt<br />

noch andere Fälle, die Sie aus früheren Diskussionen kennen.<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren – ich rede nicht<br />

schneller, sondern ich komme so zum Ende, wie ich begonnen<br />

habe –, ich möchte schließen mit dem Dank an alle<br />

Kolleginnen und Kollegen aus dem Petitionsausschuss für<br />

die sachliche, kooperative und fleißige Arbeit in der nun<br />

ablaufenden Wahlperiode. Sie waren zudem noch besonders<br />

fleißig, da nur rund 700 Petitionen und damit ein Drittel<br />

weniger als in der letzten Wahlperiode auf den nächsten<br />

<strong>Landtag</strong> übertragen werden müssen. Jeder hat also sein<br />

Bestes gegeben, und denjenigen, der säumig war, haben<br />

wir unmissverständlich darauf hingewiesen.<br />

(Abg. Ingrid Blank CDU zum Bündnis 90/Die<br />

Grünen: Das geht in eure Richtung!)<br />

Dank aber auch an die Ministerien und die nachgeordneten<br />

Behörden des Landes für die stets sachlichen Begegnungen<br />

und für die konstruktive Zusammenarbeit. Ich weiß, dass<br />

es für die Regierung sehr mühsam ist, Stellungnahmen an<br />

den Petitionsausschuss zu erarbeiten. Dies geschieht aber<br />

immer mit größter Akribie.<br />

Besonders danken möchte ich meinem Stellvertreter Jörg<br />

Döpper für die stets verlässliche Unterstützung.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP, der CDU und beim<br />

Bündnis 90/Die Grünen)<br />

Der ist jetzt leider bei einer Landfrauengruppe, er wollte<br />

mich aber nicht brüskieren.<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Was ist<br />

denn wichtiger?)<br />

Unsere Aufgabe konnten wir nur erledigen dank der sorgfältigen<br />

Tätigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im<br />

Petitionsbüro.<br />

(Beifall im ganzen Haus)<br />

Sie alle verdienen unseren besonderen Beifall und unsere<br />

Anerkennung.<br />

Meine Damen und Herren, ein sehr gern gebrauchtes<br />

Schlagwort ist heute die „Bürgernähe“, und bei uns im Petitionsausschuss<br />

wird Bürgernähe praktiziert.<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Petitionsausschuss<br />

hat als Anwalt der Bürgerinnen und Bürger die Aufgabe,<br />

die berechtigten Interessen der Menschen zu vertreten. Er<br />

nimmt die Aufgabe für den gesamten <strong>Landtag</strong> und somit<br />

auch für jedes Mitglied dieses Hauses wahr. Helfen Sie bitte<br />

alle mit, dass der Petitionsausschuss seine Aufgaben erfüllen<br />

und dass er dem Vertrauen gerecht werden kann, das<br />

in ihn gesetzt wird. Ich hoffe, Sie nicht gelangweilt zu haben.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall im ganzen Haus)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Meine sehr verehrten Damen<br />

und Herren, für die Aussprache über den Bericht des Petitionsausschusses<br />

hat das Präsidium gestaffelte Redezeiten<br />

mit einer Grundredezeit <strong>von</strong> fünf Minuten je Fraktion festgelegt.<br />

Ich erteile Herrn Abg. Behringer das Wort.<br />

(Abg. Seimetz CDU: Jetzet! – Abg. Walter Bündnis<br />

90/Die Grünen: Aber nicht die gleiche Rede<br />

wie beim letzten Mal! – Lachen des Abg. Brechtken<br />

SPD)<br />

Abg. Behringer CDU: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Unsere letzte Aussprache über die Arbeit des Petitionsausschusses<br />

fand am 7. Mai 1998 statt. Vieles <strong>von</strong><br />

dem, was damals gesagt wurde, ist auch heute noch gültig.<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Sage ich<br />

doch: Die gleiche Rede!)<br />

Die Arbeit des Petitionsausschusses ist seither nicht wesentlich<br />

weniger geworden, und sie ist vor allem unverändert<br />

wichtig. Die rund 8 000 Petitionen, die in dieser 12.<br />

Legislaturperiode eingegangen sind, belegen das eindrucksvoll.<br />

Betrachtet man diese 8 000 Petitionen genauer, fällt auf –<br />

der Vorsitzende des Ausschusses hat schon darauf hingewiesen<br />

–, dass die Arbeit des Petitionsausschusses stark<br />

<strong>von</strong> ausländerrechtlichen Entscheidungen geprägt ist. Ein<br />

Viertel aller Petitionen ist diesem Bereich zuzuordnen. Jede<br />

zweite da<strong>von</strong> wurde <strong>von</strong> einem Petenten aus dem ehemaligen<br />

Jugoslawien eingereicht. Entsprechend oft kam es<br />

hier zu Auseinandersetzungen über das Ausländerrecht und<br />

das Asylrecht des Bundes sowie die Rückführungspolitik<br />

der Landesregierung.<br />

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich daher auf diesen<br />

Bereich vertieft eingehen. Die Bürgerkriege im ehemaligen<br />

Jugoslawien haben großes Leid mit sich gebracht.<br />

Viele Menschen verließen aus Angst vor Gewalt und Verfolgung<br />

ihre Heimat und suchten Schutz in der Fremde. In<br />

dieser für die Menschen so wichtigen und schwierigen Zeit<br />

haben wir in Deutschland großzügig und unbürokratisch


(Behringer)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

mehreren Hunderttausend Personen Zuflucht gewährt –<br />

mehr als alle anderen westeuropäischen Staaten zusammen.<br />

Das war eine große humanitäre Leistung, auf die wir gemeinsam<br />

stolz sein können.<br />

(Beifall bei der CDU und des Abg. Veigel FDP/<br />

DVP)<br />

Zugleich aber war <strong>von</strong> Anfang an auch klar, dass die<br />

Flüchtlinge nur für die Dauer des Bürgerkriegs Zuflucht erhalten<br />

und nach dem Ende der Kampfhandlungen wieder in<br />

ihre Heimat zurückkehren müssen. Daran ist auch künftig<br />

nicht zu rütteln.<br />

Meine Damen und Herren, die CDU-<strong>Landtag</strong>sfraktion hat<br />

sich stets für eine konsequente, mit Augenmaß betriebene<br />

Rückführungspolitik eingesetzt.<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Auweh, auweh!)<br />

Im Rahmen des rechtlich Möglichen haben wir sowohl die<br />

Lage vor Ort, die Interessen der Betroffenen als auch die<br />

eigenen Interessen berücksichtigt – eine Politik, die bei den<br />

Bosniern in der Vergangenheit auch im Blick auf die Interessen<br />

mittelständischer Arbeitgeber zu vernünftigen Ergebnissen<br />

geführt hat. Mir ist jedenfalls kein Unternehmen bekannt,<br />

das seine Existenz durch Rückführung eines bosnischen<br />

Mitarbeiters verloren hätte. In gleicher Weise wird<br />

jetzt auch bei der Rückführung in das Kosovo verfahren.<br />

Arbeitskräfte können danach bei berechtigten Interessen eines<br />

mittelständischen Arbeitgebers und unter bestimmten<br />

Voraussetzungen an das Ende der Rückführungsaktion gesetzt<br />

werden oder sogar eine befristete Aufenthaltsgenehmigung<br />

nach § 8 AAV erhalten.<br />

(Lebhafter Beifall bei Abgeordneten der FDP/<br />

DVP)<br />

Meine Damen und Herren, dennoch gab und gibt es immer<br />

wieder Fälle, in denen sich Betroffene auch dann mit einer<br />

Petition gegen eine Rückkehr in die Heimat zur Wehr setzen,<br />

wenn die zuvor genannten Voraussetzungen für einen<br />

weiteren Aufenthalt nicht vorliegen. So verständlich dies<br />

auch aus der Sicht eines Betroffenen oder eines Arbeitgebers<br />

sein mag, so wenig kann dem Anliegen entsprochen<br />

werden. Der Petitionsausschuss kann sich nicht über geltendes<br />

Recht hinwegsetzen.<br />

Meine Damen und Herren, wir im Petitionsausschuss müssen<br />

– oder besser: dürfen – uns für die Menschen, die mit<br />

ihren Sorgen und Nöten zu uns kommen, einsetzen. Zugleich<br />

müssen wir aber davor warnen, unerfüllbare Hoffnungen<br />

zu wecken, Hoffnungen, die wir nicht einlösen<br />

können. Wir sind nämlich keine Superinstanz und auch<br />

kein Gnadenausschuss.<br />

Meine Damen und Herren, die Mitglieder des Petitionsausschusses<br />

tragen eine besondere Verantwortung, die sie bei<br />

allen sachlichen Differenzen gemeinsam wahrzunehmen<br />

haben, nämlich die Verantwortung für eine gelebte Verfassung,<br />

für das Gemeinwesen und für die Petenten. Wir bitten<br />

alle Kollegen, auch die, die nicht Mitglied des Petiti-<br />

onsausschusses sind, uns bei unserer nicht immer einfachen<br />

Arbeit zu unterstützen.<br />

Abschließend darf ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

des Petitionsbüros für ihre Arbeit herzlich danken.<br />

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der<br />

FDP/DVP und des Bündnisses 90/Die Grünen)<br />

In diesen Dank schließe ich unseren Vorsitzenden, Herrn<br />

Veigel, den stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Döpper,<br />

sowie die Obleute der Fraktionen ein.<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Danke!)<br />

Wir haben hart in der Sache gerungen und trotzdem gut zusammengearbeitet.<br />

Ich danke Ihnen.<br />

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der<br />

FDP/DVP und des Bündnisses 90/Die Grünen –<br />

Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Manchmal!<br />

– Abg. Wacker CDU: Sehr gut!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg.<br />

Schmiedel.<br />

Abg. Schmiedel SPD: Herr Präsident, liebe Kolleginnen,<br />

liebe Kollegen! Wenn es den Petitionsausschuss nicht gäbe,<br />

müsste man ihn erfinden.<br />

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Auweh, auweh!)<br />

Denn er ist häufig für Bürgerinnen und Bürger die letzte<br />

Chance und die letzte Rettung, wenn sie mit ihren Anliegen<br />

nicht weiterkommen. Natürlich dürfen wir nicht Gesetze<br />

missachten; aber wir können helfen, dass man in einem<br />

konkreten Fall gesetzliche Bestimmungen und Verordnungen<br />

so interpretiert, dass die Entscheidung dem Sinn des<br />

Gesetzes entspricht.<br />

Häufig kann man das am besten vor Ort machen, wenn<br />

man eine Sache in Augenschein nimmt. Ich denke an ein<br />

Beispiel aus einem Schwarzwaldtal. Dort wurde ein Neubau<br />

nicht genehmigt, weil der Waldabstand nicht eingehalten<br />

würde. Beim Augenschein sah man aber, dass es sich<br />

bei dem beantragten Neubau um das Ende einer fast endlosen<br />

Kette <strong>von</strong> Gebäuden handeln würde, die alle schon<br />

ewig dort stehen,<br />

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Wohl wahr!)<br />

und dass der Waldabstand dort überhaupt keine Rolle mehr<br />

spielt. Wenn alle diese Gebäude Bestandsschutz genießen,<br />

fragt sich der Bauherr, weshalb muss die Verordnung dann<br />

ausgerechnet bei seinem Gebäude durchschlagen? Es ist<br />

gelungen, einen Kompromiss zu finden; jetzt wird dort ein<br />

Gebäude errichtet.<br />

(Vereinzelt Beifall)<br />

Manchmal gelingt es auch, widerstrebende Interessen verschiedener<br />

Gruppen, beispielsweise die <strong>von</strong> Kletterern und<br />

<strong>von</strong> Naturschützern im Donautal, unter einen Hut zu bringen.<br />

Da wurde eine Kletterkonzeption entwickelt, hinter<br />

8031


(Schmiedel)<br />

8032<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

der jetzt beide Gruppen stehen und die sogar vom Gericht<br />

bestätigt wurde.<br />

Ich glaube, im Petitionsausschuss herrscht ein gutes Klima.<br />

Wir betrachten im Petitionsausschuss den Einzelfall und<br />

sehen uns nicht als Regierungsfraktion oder als Oppositionsfraktion.<br />

Das ist auch gut so; denn nur so können wir<br />

den Aufgaben des Petitionsausschusses gerecht werden.<br />

Es gibt aber einen Bereich – <strong>von</strong> ihm wurde jetzt schon<br />

mehrfach gesprochen –, bei dem diese gute Regel im Petitionsausschuss,<br />

wie wir feststellen, nicht beachtet wird.<br />

Das betrifft den großen Bereich der Petitionen <strong>von</strong> Ausländern<br />

und Bürgerkriegsflüchtlingen. Ich muss schon feststellen,<br />

dass es nicht in Ordnung war, dass uns die Regierung<br />

über lange Monate hinweg stereotyp erklärt hat, es<br />

gebe keinen rechtlichen Spielraum in den einzelnen Fällen,<br />

die <strong>von</strong> Handwerkern an uns herangetragen wurden, sei es<br />

aus dem Baubereich, sei es aus dem Landschaftsbau oder<br />

sei es aus dem Gärtnerbereich, es gebe keinen Spielraum,<br />

den Arbeitgebern, den Handwerkern entgegenzukommen.<br />

Wir bedauern, dass die CDU-Fraktion in solchen Fällen<br />

immer stereotyp en bloc die Hand gehoben und die Regierungslinie<br />

abgestützt hat, ohne auf den einzelnen Fall zu<br />

schauen. Erst im Laufe <strong>von</strong> Monaten gab es langsam<br />

Schritt für Schritt eine Bewegung, und dann hat die Regierung<br />

selber, ohne dass sich das Bundesrecht geändert hätte,<br />

durch neue Verordnungen Wege gewiesen, wie man den<br />

Betroffenen doch helfen kann. Dies wäre nicht möglich –<br />

das ist auch unsere Erwartung an die Zukunft –, wenn man<br />

sich nicht wirklich <strong>von</strong> dem Grundgedanken, den Einzelfall<br />

zu betrachten, leiten ließe und wenn man sozusagen<br />

eine ausländerrechtliche Position einer Fraktion oder einer<br />

Regierung zur strikten Richtschnur seines Handelns machen<br />

würde.<br />

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einen<br />

zweiten Problemkreis ansprechen. Der Herr Innenminister<br />

hat vorhin sehr bewegt zwei Fälle vorgetragen, bei denen<br />

es um Opfer <strong>von</strong> deutschen Straftätern ging. Das waren<br />

schlimme Fälle, bei denen Frauen missbraucht, gefoltert<br />

oder getötet wurden. Wir haben in dieser Legislaturperiode<br />

leider erlebt, dass die Mehrheit im Petitionsausschuss bei<br />

Bürgerkriegsflüchtlingen, die ähnliche Schicksale durchlitten<br />

haben, und bei Folteropfern diesen einzelnen Fällen<br />

nicht gerecht wurde, sondern stereotyp darauf verwiesen<br />

hat, dass eine Behandlung der Folteropfer, die dringend<br />

notwendig ist, auch im Kosovo und auch in Bosnien möglich<br />

sei, obwohl alle Sachverständigen sagen, dass sich das<br />

nur Reiche oder Superreiche leisten könnten. Ich hoffe,<br />

dass der Ansatz, den der Bund jetzt verfolgt, auch in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

dafür sorgt, dass wir künftig in diesen<br />

einzelnen Schicksalsfällen der Folteropfer genauer hinschauen<br />

und versuchen, wirklich dem Einzelfall gerecht zu<br />

werden.<br />

Von diesem Bereich abgesehen, glaube ich aber, dass wir<br />

insgesamt eine kollegiale Arbeit leisten – das wird auch<br />

durch die Vor-Ort-Termine bestätigt, die ja stets durch<br />

Vertreter der Regierungsfraktionen und der Oppositionsfraktionen<br />

besetzt sind –, dass wir uns am Einzelfall orientieren,<br />

dass wir uns als Anwalt der Bürgerinnen und Bürger<br />

verstehen, dass wir auch Konflikte mit Regierungsvertre-<br />

tern nicht scheuen und dass wir deshalb jeden nur ermutigen<br />

können, wenn er berechtigten Zweifel daran hat, dass<br />

eine Entscheidung gerecht ist, sich vertrauensvoll an den<br />

Petitionsausschuss zu wenden.<br />

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die<br />

Grünen sowie bei Abgeordneten der FDP/DVP)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Walter.<br />

Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Herr Präsident, meine<br />

Damen und Herren! Lieber Kollege Veigel, Sie haben in<br />

Ihrer Rede darauf hingewiesen: Wir sind oft ein lästiger<br />

Vermittler. Ich denke, das ist die Aufgabe des Petitionsausschusses.<br />

Wir müssen aber – hier herrscht ja heute eine<br />

ausgesprochene Harmonie; ich will das gar nicht groß stören<br />

– schon darüber nachdenken, ob wir tatsächlich immer<br />

dieser lästige Vermittler sind oder ob wir nicht teilweise<br />

doch zu sehr im Fraktionsdenken verharren, insbesondere<br />

natürlich die Abgeordneten der Regierungsfraktionen. Deswegen<br />

ist auch der Ansatz, der Ausschussvorsitzende müsse<br />

unbedingt <strong>von</strong> den Regierungsfraktionen gestellt werden,<br />

für mich schon immer etwas fragwürdig.<br />

(Abg. Veigel FDP/DVP: Ja, aber er bemüht sich!)<br />

– Sie können das in der nächsten Legislaturperiode weiter<br />

machen; denn Sie sind ja dann nicht mehr an der Regierung.<br />

Ich will Sie jetzt nicht absägen, damit Sie das nicht<br />

falsch verstehen.<br />

(Heiterkeit – Abg. König REP: Was träumen Sie<br />

bei Nacht?)<br />

– Zum Glück nicht <strong>von</strong> Ihnen. Albträume habe ich keine.<br />

(Abg. Wilhelm REP: Die kommen noch! – Abg.<br />

Haas CDU: Am 25. März wird er Albträume haben!)<br />

– Kollege Haas, bleiben Sie jetzt einfach einmal ruhig. Bis<br />

zum Wahltag sind es noch siebeneinhalb Wochen. Schwätzen<br />

wir danach weiter, was da gekommen ist.<br />

(Abg. Nagel SPD: Der Haas ist nervös! – Gegenruf<br />

des Abg. Haas CDU)<br />

– Okay. Ich will hier jetzt aber reden. Ihr könnt ja draußen<br />

weitermachen.<br />

Herr Kollege Veigel, Sie haben einige Fälle angesprochen,<br />

beispielsweise den Fall „Neshe“. Da hat das Frühwarnsystem,<br />

das der Petitionsausschuss auch darstellen kann und<br />

soll, nicht funktioniert. Das fällt nicht in Ihre Zeit als Vorsitzender,<br />

das kann man Ihnen nicht vorwerfen. Aber ich<br />

möchte gerade diesen Fall nennen, egal, welche Entwicklung<br />

er nachher genommen hat.<br />

(Abg. Reddemann CDU: Das ist kein so idealer<br />

Fall! – Abg. Hauk CDU: Der Fall ist nicht gerade<br />

ideal für Sie!)<br />

Ich glaube, Herr Kollege Hauk, wir sollten uns auch bei<br />

diesen Ausländerfällen einmal darüber klar werden, dass es<br />

hier nicht nur strikt nach Regierung und Opposition gehen


(Walter)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

kann, sondern – das wurde hier ja mehrfach betont – Einzelfallprüfungen<br />

erfolgen müssen. Deswegen müssen wir<br />

wieder mehr und verstärkt dafür werben und darauf zurückkommen,<br />

dass wirklich der Einzelfall untersucht und<br />

geprüft wird.<br />

Jetzt wird einem <strong>von</strong> den Regierungsfraktionen immer gesagt:<br />

„Das können wir nicht, weil wir dann unter Umständen<br />

Präzedenzfälle schaffen.“ Wenn wir aber mit dieser<br />

Haltung in diese Verfahren gehen, dann ist es fast unmöglich,<br />

in diesen Verfahren den Petitionen irgendwie abzuhelfen.<br />

Denn wir wissen doch genau, dass viele dieser Fälle<br />

den Petitionsausschuss erst dann erreichen, wenn vorher<br />

bereits alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Auch die<br />

Gerichtsverfahren sind schon durchlaufen. Erst dann<br />

kommt man zum Petitionsausschuss.<br />

Wenn man sich dann rein auf die Aussage zurückziehen<br />

würde, das Gerichtsverfahren habe das und das Ergebnis<br />

gebracht und darüber könne man nicht hinweg, bräuchten<br />

wir diese Petitionen in Zukunft ja gar nicht mehr anzunehmen,<br />

weil man sonst den Petenten etwas vormachen würde.<br />

Deswegen denke ich, dass man hier dem Beispiel Schleswig-Holsteins<br />

und auch Nordrhein-Westfalens folgen und<br />

die Einrichtung einer Härtefallkommission in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

zumindest einmal gedanklich erwägen sollte. Man<br />

sollte überprüfen, ob das nicht ein Weg wäre, den man<br />

auch hier gehen könnte, um wirklich auch die humanitären<br />

Aspekte berücksichtigen zu können.<br />

Das Problem, das wir im Petitionsausschuss haben, ist<br />

doch, dass wir quer durch alle Fraktionen oft sagen: Eigentlich<br />

müssten wir da abhelfen, aber jetzt gab es schon<br />

ein Verfahren, die Regierung sagt ohnehin Nein, und das<br />

nächste Mal kommt unser Minister, da wollen wir dann sowieso<br />

nicht mitmachen.<br />

Deswegen, Kollege Behringer, mein Appell auch an Sie:<br />

Denken Sie einmal über eine solche Härtefallkommission<br />

nach. Die Bildung einer Härtefallkommission würde natürlich<br />

nicht bedeuten, dass jeder Fall dort hineinkäme. Vielmehr<br />

soll es wirklich nur um die extremen Härtefälle gehen,<br />

beispielsweise bei traumatisierten Personen, die offensichtlich<br />

gefoltert wurden. Diese Fälle sollten in der Härtefallkommission<br />

untersucht werden, und ich glaube, wir wären<br />

gut beraten, eine solche Härtefallkommission in der<br />

nächsten Legislaturperiode in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> einzurichten.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und des<br />

Abg. Nagel SPD)<br />

Positiv möchte ich vermerken – das ist auch vom Ausschussvorsitzenden<br />

angesprochen worden –, dass dieser<br />

Ausschuss mit den vielen Fällen <strong>von</strong> Bürgerkriegsflüchtlingen,<br />

mit denen er befasst war, sicherlich auch dazu beigetragen<br />

hat, dass die CDU letztendlich ihre Position überdacht<br />

hat. Wir alle haben ich weiß nicht wie viele Fälle gehabt,<br />

in denen ein Handwerksmeister, ein mittelständischer<br />

Betrieb auf uns zukam und sagte, er könne seine Arbeitnehmer,<br />

die aus Bosnien oder aus dem ehemaligen Jugoslawien<br />

gekommen seien, nicht ersetzen. Kollege Behringer,<br />

es gab Fälle, in denen die Stellen nachweislich bundesweit<br />

über Monate hinweg ausgeschrieben waren, ohne dass ein<br />

Ersatz gefunden worden wäre. Da hätte ich mir gewünscht,<br />

dass wir schneller reagiert hätten.<br />

Der Petitionsausschuss musste dann praktisch zur Notwehr<br />

greifen und für solche ausländerrechtlichen Fälle, die sonst<br />

nicht Gegenstand eines Lokaltermins sind, ein, zwei Lokaltermine<br />

auf die Tagesordnung bringen, bis die CDU reagiert<br />

hat. Das, meine Kolleginnen und Kollegen, hätten<br />

wir, denke ich, schneller bekommen können.<br />

(Abg. Behringer CDU: Wir hatten einen Fall im<br />

Petitionsausschuss!)<br />

– Ja, wo wir es dann vor Ort gemacht haben. Aber jetzt<br />

rede ich. Wir können es nachher gern ausdiskutieren. –<br />

Erst als ich gesagt habe, ich wolle auch einen Lokaltermin,<br />

habt ihr reagiert. So können wir nicht weitermachen. Wir<br />

müssen uns etwas anderes überlegen.<br />

Die Haltung einiger im Ausschuss hat also schon dazu beigetragen,<br />

dass es hier ein Umdenken gab, und das muss ich<br />

hier positiv bemerken. Aber ich hätte mir natürlich gewünscht,<br />

es wäre früher gekommen.<br />

Auch die rückläufige Quote, Kollege Veigel, sollte uns zu<br />

denken geben. Sie geht nicht nur darauf zurück, dass die<br />

Behörden jetzt besser arbeiten. Oft fragt man sich ja, wenn<br />

man zu einem Lokaltermin kommt, warum das die Behörden<br />

vor Ort nicht schon längst haben regeln können, warum<br />

da der ganze Apparat in Bewegung gesetzt werden<br />

musste.<br />

(Abg. Veigel FDP/DVP: Das ist richtig!)<br />

Aber wenn es so sein muss, sind wir gern bereit, da zu helfen.<br />

Ich möchte am Ende meiner Rede ebenfalls den Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern des Petitionsbüros danken. Denn<br />

man muss ja auch hinzufügen: Vieles an Anrufen, an Beschwerden<br />

wird schon <strong>von</strong> den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

des Petitionsbüros abgewehrt und erreicht uns gar<br />

nicht mehr. Auch dafür einen Dank.<br />

Ich hoffe, dass wir uns in der nächsten Legislaturperiode<br />

fraktionsübergreifend einmal ein paar Gedanken machen,<br />

wie wir das Petitionswesen auch hier im Land weiterentwickeln<br />

können.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und des<br />

Abg. Veigel FDP/DVP – Abg. König REP: Darüber<br />

schwätzen wir dann!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Frau Abg.<br />

Schweikert.<br />

Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP: Herr Präsident,<br />

meine Damen und Herren! Seit zwei Jahren vertrete ich die<br />

FDP/DVP-Fraktion als Berichterstatterin im Petitionsausschuss,<br />

den man, wie ich meine, auch den Kummerkasten<br />

der Menschen im Land <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> nennen könnte.<br />

Jeder Bürger, jede Bürgerin, ob Deutsche oder Ausländer,<br />

hat das Recht, sich schriftlich mit Bitten und Beschwerden<br />

an den Petitionsausschuss des <strong>Landtag</strong>s zu wenden.<br />

Dieses Grundrecht ist sowohl im Grundgesetz als auch<br />

8033


(Lieselotte Schweikert)<br />

8034<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

in der Verfassung unseres Landes <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> garantiert.<br />

In der heutigen, immer komplizierter werdenden Industrieund<br />

Dienstleistungsgesellschaft ist es für viele Bürgerinnen<br />

und Bürger oft sehr schwierig, Behördenentscheidungen,<br />

seien sie auf kommunaler Ebene, auf Landkreisebene oder<br />

auf der Ebene der Regierungspräsidien erfolgt, zu verstehen<br />

und zu überprüfen. Der Petitionsausschuss des <strong>Landtag</strong>s<br />

kümmert sich um die Anliegen aller Bürgerinnen und<br />

Bürger. Er überprüft Entscheidungen der Behörden und unterbreitet<br />

den Petenten Lösungsvorschläge, die den Interessen<br />

der Ratsuchenden möglichst gerecht werden.<br />

Eigentlich sollte man annehmen, dass in diesem Ausschuss<br />

Barmherzigkeit, Bürgernähe, Nächstenliebe<br />

(Abg. Nagel SPD: Oje!)<br />

und soziale Verantwortung, eingebettet in eine freiheitliche<br />

Denkweise, möglich sein müssten. Weit gefehlt!<br />

(Abg. Nagel SPD: Jawohl!)<br />

Entschieden wird nach Recht und Gesetz, und das führt leider<br />

oft zu Härten.<br />

Vielleicht kommen wir in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> und im<br />

Bund einmal dazu, Gesetze auf Zeit zu erlassen.<br />

(Abg. Haas CDU: Das haben wir doch schon!)<br />

Das heißt, nach einer gewissen Zeit müssen beschlossene<br />

Gesetze daraufhin überprüft werden, ob sie noch zeitgemäß<br />

sind. Denn wenn wir immer nur nach Recht und Gesetz<br />

entscheiden könnten, bräuchten wir eigentlich keinen Petitionsausschuss.<br />

Dann könnten auch die Ministerien die<br />

Bittschreiben der Menschen aus unserem Land beantworten.<br />

So manche Entscheidungen haben bei mir seelisch eine tiefe<br />

Betroffenheit ausgelöst, die bis zur Schlaflosigkeit in der<br />

Nacht führte.<br />

(Abg. Dr. Eva Stanienda CDU: O Gott!)<br />

Ich meine Abschiebungsandrohungen für Bürgerkriegsflüchtlinge<br />

und die Verweigerung <strong>von</strong> Aufenthaltsgenehmigungen.<br />

Alles schwere Ringen half in der Vergangenheit<br />

nicht.<br />

Gut finde ich den Wintererlass für die Kosovaren. Das ist<br />

eine kleine Hilfe. Viele dieser Menschen dürfen wenigstens<br />

bis zum März hier bleiben. Gut finde ich auch die wichtige<br />

Entscheidung des Landeskabinetts vom 5. Dezember 2000,<br />

die es nach einjähriger Diskussion und Überzeugungsarbeit<br />

<strong>von</strong> uns Liberalen getroffen hat. Wir Liberalen haben dafür<br />

gesorgt, dass Bürgerkriegsflüchtlinge, die unverzichtbare<br />

Mitarbeiter baden-württembergischer Betriebe sind, ab sofort<br />

mit einer verlängerten Aufenthaltserlaubnis rechnen<br />

können. Voraussetzung dafür ist erstens, dass der Arbeitnehmer<br />

Bürgerkriegsflüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien<br />

ist, zweitens dass er seit mehr als zwei Jahren in einem<br />

mittelständischen Betrieb beschäftigt ist, drittens dass<br />

dieser Betrieb dringend auf den Arbeitnehmer angewiesen<br />

ist und viertens dass der Betrieb sich nachhaltig, aber er-<br />

folglos um deutschen Ersatz bei der Arbeitsverwaltung bemüht<br />

hat.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)<br />

Diese Entscheidung hilft vielen Menschen, den Mittelständlern<br />

und den Bürgerkriegsflüchtlingen. Sie ist unsere<br />

baden-württembergische Greencard.<br />

(Abg. Wilhelm REP: Aha!)<br />

Meine Damen und Herren, Mensch möchte ich bleiben<br />

können in der Politik und als Liberale erst recht im Petitionsausschuss.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg.<br />

Kluck FDP/DVP: Sehr gut!)<br />

Ich danke dem Vorsitzenden des Ausschusses und den Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern im Petitionsbüro für ihre<br />

Mühe und für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit, und Ihnen,<br />

meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, danke ich<br />

fürs Zuhören.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der<br />

CDU)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Wilhelm.<br />

Abg. Wilhelm REP: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Ich hatte eigentlich gedacht, es würde schwer sein,<br />

als letzter Redner zu einem Thema zu sprechen, bei dem es<br />

keine entgegengesetzten Interessen gibt, bei dem wir uns<br />

im Prinzip alle einig sind. Aber dann kam <strong>von</strong> rot-grüner<br />

Seite wieder die Multikultishow, und so, denke ich mir,<br />

wird es doch ganz interessant werden.<br />

Zunächst einmal möchte ich auf die Aussage des Vorsitzenden<br />

des Petitionsausschusses eingehen, dass die Zahl<br />

der Petitionen in letzter Zeit rückläufig sei. Er hat Fragen<br />

aufgeworfen, woran dies wohl liegen könne. Zwei Punkte<br />

haben mich dabei bedenklich gestimmt.<br />

Zum einen wissen möglicherweise viele Bürgerinnen und<br />

Bürger gar nicht, dass es das Petitionsrecht als hohes<br />

Rechtsgut und den Petitionsausschuss gibt, an den sich die<br />

Bürger – direkt an das Parlament – mit ihren Sorgen und<br />

Nöten wenden können.<br />

Das Zweite: Möglicherweise sind viele Mitbürger der Meinung,<br />

sie könnten über die Medien – Presse, Rundfunk,<br />

Fernsehen – mehr erreichen. Dies bedeutet schlicht und<br />

einfach, dass die Bürgerinnen und Bürger für den Fall, dass<br />

dies zutreffen würde, in die Medien ein größeres Vertrauen<br />

hätten als in ihr eigenes Parlament. Das sollte uns nachdenklich<br />

stimmen. Denn eine solche Macht haben die Medien<br />

nicht. Sie können nur eines tun, nämlich Druck ausüben.<br />

Das bedeutet aber, dass jemand diesem Druck nachgeben<br />

muss, um etwas zu erreichen. Das kann nicht Sinn<br />

der Sache sein.<br />

Ein Weiteres: Überall wird über alles Mögliche aufgeklärt,<br />

aber anscheinend nicht darüber, dass es in den <strong>Landtag</strong>en<br />

und im Bundestag einen Petitionsausschuss gibt. Auch diesem<br />

Übel sollte man abhelfen.


(Wilhelm)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Wir haben weiterhin gehört, dass 29 % aller Petitionen <strong>von</strong><br />

rechtskräftig zur Ausreise verpflichteten Ausländern stammen.<br />

Wir haben immer <strong>von</strong> Bürgerkriegsflüchtlingen aus<br />

dem ehemaligen Jugoslawien gehört. Das sind ja nicht alles<br />

Bürgerkriegsflüchtlinge. Nein, die meisten dieser Petitionen<br />

stammen <strong>von</strong> durch sämtliche Instanzen rechtskräftig<br />

abgelehnten Asylbewerbern. Das zieht sich wie ein roter<br />

Faden durch. Wenn jedes Mittel ausgeschöpft ist, sind die<br />

Betreffenden aus irgendwelchen Gründen nicht reisefähig,<br />

oder sie haben in ihren Heimatländern schlimmste Verfolgungen<br />

zu erdulden. Jetzt frage ich mich, wenn das tatsächlich<br />

der Fall sein sollte: Schlafen unsere Gerichte?<br />

Ferner würde mich interessieren, ob in rot-grün regierten<br />

Bundesländern keine Petitionen abgeschobener oder abgelehnter<br />

Asylbewerber auf der Tagesordnung stehen. Denn<br />

wäre dies der Fall, müssten dort, wo Rot-Grün die Mehrheit<br />

hat, sämtliche Petitionen positiv beschieden werden.<br />

Aber anscheinend ist das nicht der Fall.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Nichts kapiert!)<br />

Anscheinend bringen die Betreffenden ihre Petitionen bei<br />

uns dann auf die Tagesordnung, wenn eine Ablehnung gesichert<br />

ist.<br />

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich betrachte es als nahezu<br />

zynisch, wenn man hier immer wieder sagt, unsere<br />

mittelständische Industrie sei auf so genannte Bürgerkriegsflüchtlinge<br />

aus dem ehemaligen Jugoslawien angewiesen.<br />

Ich betrachte das deshalb als nahezu zynisch, weil<br />

dann der unsägliche Krieg in Jugoslawien für unseren Mittelstand<br />

ein wahrer Segen gewesen sein müsste.<br />

(Abg. Kurz CDU: Saudummes Geschwätz! – Weitere<br />

Zurufe)<br />

– Nein, das ist kein saudummes Geschwätz. Herr Kollege,<br />

wenn Sie sagen, unsere mittelständischen Unternehmer<br />

könnten ohne diese Arbeitskräfte nicht auskommen, dann<br />

müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, was diese Unternehmen<br />

früher gemacht haben.<br />

(Abg. Schmiedel SPD: Er hat nichts kapiert, der<br />

Junge! – Abg. Dr. Caroli SPD: Es wird höchste<br />

Zeit, dass man sich das nicht mehr anhören muss!<br />

– Abg. Nagel SPD: Ihr Intelligenzquotient ist bei<br />

20, Zwieback hat 30! – Zuruf der Abg. Ursula<br />

Haußmann SPD – Glocke des Präsidenten)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Herr Abg. Wilhelm, gestatten<br />

Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Kurz?<br />

Abg. Wilhelm REP: Ja.<br />

Stellv. Präsident Birzele: Bitte schön, Herr Abg. Kurz.<br />

Abg. Kurz CDU: Herr Abgeordneter, ist Ihnen bekannt,<br />

dass schon in Friedenszeiten Menschen aus dem früheren<br />

Jugoslawien zu uns kamen, Menschen, die bei uns Arbeit<br />

fanden und die mithalfen, unseren Lebensstandard – auch<br />

Ihren – zu erhöhen?<br />

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg.<br />

Hofer FDP/DVP: Gravierend!)<br />

Abg. Wilhelm REP: Selbstverständlich ist mir das bekannt,<br />

Herr Kollege. Um diese Leute geht es doch aber gar<br />

nicht. Hier wurde lediglich gesagt,<br />

(Abg. Dr. Caroli SPD: Worum es hier geht, wissen<br />

wir genau!)<br />

dass dann, wenn diese Arbeitskräfte in ihr Heimatland zurückgehen<br />

müssten – nicht hier in Deutschland arbeitende<br />

jugoslawische Staatsangehörige, sondern Bürgerkriegsflüchtlinge<br />

–, Leute, die <strong>von</strong> Anfang an genau gewusst haben,<br />

dass ihr Bleiberecht hier nur <strong>von</strong> begrenzter Dauer<br />

sein kann, hier Industriebereiche bzw. mittelständische Unternehmen<br />

anscheinend dichtmachen müssen. Mir ist kein<br />

einziger Fall bekannt, dass deswegen eine Firma Pleite gemacht<br />

hätte.<br />

Jetzt noch einmal zu dem dümmlichen Einwurf des Kollegen<br />

<strong>von</strong> der Gewerkschaft. Wissen Sie, wahrscheinlich ist<br />

mein Intelligenzquotient höher, als dass ich bei der Gewerkschaft<br />

anfangen könnte.<br />

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Nagel SPD:<br />

Für Sie gilt doch die Kampfhundeverordnung!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Meine Damen und Herren, in<br />

der Aussprache liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich<br />

möchte namens des ganzen Hauses dem Vorsitzenden des<br />

Petitionsausschusses, Herrn Veigel, seinem Stellvertreter,<br />

Herrn Döpper, und allen Mitgliedern des Petitionsausschusses<br />

herzlichen Dank aussprechen.<br />

(Beifall bei allen Fraktionen)<br />

Tagesordnungspunkt 6 ist damit erledigt.<br />

Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:<br />

Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung<br />

– Gesetz zur Neuorganisation der Führungsakademie<br />

des Landes <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – Drucksache<br />

12/5671<br />

Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses<br />

– Drucksache 12/5798<br />

Berichterstatter: Abg. Hans-Michael Bender<br />

Das Präsidium hat für eine Allgemeine Aussprache über<br />

den Gesetzentwurf eine Redezeit <strong>von</strong> fünf Minuten je<br />

Fraktion festgelegt.<br />

Wem darf ich für die CDU-Fraktion das Wort erteilen? –<br />

(Abg. Hauk CDU: Wir verzichten im Augenblick!)<br />

Niemand? Wem darf ich für die SPD-Fraktion das Wort erteilen?<br />

– Herr Abg. Brechtken, Sie haben das Wort.<br />

(Abg. Kurz CDU: Der spricht auch für die CDU-<br />

Fraktion!)<br />

Abg. Brechtken SPD: Ist das ein offizieller Auftrag? Dann<br />

übernehme ich den selbstverständlich.<br />

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!<br />

Ich bin hier auch nur in Vertretung tätig, weil unser Kolle-<br />

8035


(Brechtken)<br />

8036<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

ge, der normalerweise dies auch im Ausschuss bearbeitet,<br />

überraschend krank geworden ist. Deshalb will ich mich<br />

kurz fassen.<br />

Erstens: Wir stimmen dem Gesetz zu.<br />

Zweitens: Wir halten es für richtig, weil ein entscheidender<br />

Ansatz die flexiblere Möglichkeit der Führung in der Führungsakademie<br />

ist. Das heißt, sie kann flexibler auf Gegebenheiten<br />

eingehen. Ich glaube, dies ist richtig und vernünftig.<br />

Drittens: Sie kann, was die Ausbildung der Führungskräfte<br />

angeht, neue Wege gehen. Sie kann auch die Stellung der<br />

Führungskräfte in der Ausbildung verbessern. Ich glaube,<br />

das ist richtig.<br />

Ein weiterer Punkt ist aus unserer Sicht die Möglichkeit,<br />

dass die Führungsakademie mit anderen Einrichtungen der<br />

Aus- und Fortbildung besser kooperieren kann. Damit bekommen<br />

wir in die Ausbildung der öffentlichen Verwaltung<br />

auch neue Formen des Know-hows. Ich glaube, dies<br />

ist wichtig.<br />

Ein letzter Punkt: Ich glaube, dass die Neustrukturierung<br />

der Führungsakademie – zusätzlich zur Aus- und Fortbildung<br />

der Führungskräfte Einstieg in die permanente Ausund<br />

Fortbildung der öffentlichen Verwaltung – der entscheidende<br />

Ansatz ist, den wir ausdrücklich begrüßen sollten.<br />

Ich will hier allerdings hinzufügen: Die Führungsakademie<br />

allein reicht nicht. Wir brauchen – das sage ich in Richtung<br />

Regierung –, endlich auch konsequente Fortbildungsprogramme,<br />

die notwendigen Mittel und aufgrund klarer Vorgaben<br />

auch eine Verpflichtung der Bediensteten, sich auch<br />

an Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zu beteiligen. Dies<br />

fehlt weitgehend in der öffentlichen Verwaltung, was in<br />

der Wirtschaft längst gang und gäbe ist. Dies muss endlich<br />

auch in Fortfolge dieses Gesetzes eingeführt werden.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken bringen. Da<br />

will ich aus dem Gesetzentwurf zitieren:<br />

Mit der Neuregelung erfolgt eine Weiterentwicklung<br />

der im Wesentlichen durch die Monostruktur der Ausbildung<br />

<strong>von</strong> Nachwuchsführungskräften für leitende<br />

Führungsfunktionen geprägten Führungsakademie des<br />

Landes<br />

(Abg. Veigel FDP/DVP: Das ist der furchtbarste<br />

Satz, den ich gelesen habe! Unmöglich! Fürchterlich!)<br />

zu einer diversifizierten Einrichtung, die nach einem<br />

ganzheitlichen Verständnis als integraler Bestandteil<br />

einer strategischen und operativen Organisations- und<br />

Personalentwicklung zukunftsorientierte Inhalte, Verfahren<br />

und Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung<br />

konzipiert, plant, vorbereitet, organisiert, erprobt,<br />

durchführt, auswertet und zertifiziert.<br />

Dies ist ein einziger Satz – dies in Richtung Staatsministerium,<br />

das dafür zuständig ist –, den ich aus der Begründung<br />

Ihres Gesetzentwurfs zitiert habe. Fangen wir bei der Sprache<br />

mit der Reform an.<br />

Ich bedanke mich.<br />

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU<br />

und der FDP/DVP – Abg. Veigel FDP/DVP: Das<br />

ist richtig!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg.<br />

Kurz. – Nein, Herr Abg. Dr. Vetter.<br />

Abg. Dr. Vetter CDU: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren!<br />

(Abg. Herrmann CDU: Ohne Manuskript!)<br />

Ich danke für die bisherige Unterstützung und für den Konsens<br />

in dieser Sache. Es geht, glaube ich, um eine ganz<br />

wichtige Einrichtung, eine kleine Perle in unserem Land<br />

<strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>. Was wollen wir? Wir wollen, dass<br />

diese Führungsakademie für <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> für neue<br />

Aufgaben eine neue Organisationsform, für diese neue Organisationsform<br />

mehr Beweglichkeit erhält, und wir wollen<br />

unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten für das Land <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong> besser einsetzen.<br />

Was geschieht in dieser Führungsakademie? In einem 15monatigen<br />

Kurs werden junge Damen und Herren – übrigens<br />

zunehmend Damen, wir hatten in den letzten beiden<br />

Kursen einen Damenanteil <strong>von</strong> über 50 % – für die Übernahme<br />

<strong>von</strong> Führungstätigkeiten ausgebildet. Sie werden im<br />

Anschluss an eine bestandene Aufnahmeprüfung aufgenommen.<br />

Es sind berufserfahrene Damen und Herren. Zunächst<br />

wird ein Grundkurs durchgeführt, an den sich ein<br />

Leistungskurs und ein Auslandsaufenthalt anschließen.<br />

Weiterhin wird ein Praktikum in einem Unternehmen absolviert.<br />

Schließlich wird eine Abschlussprüfung abgelegt.<br />

Bis jetzt haben über 300 junge Damen und Herren dieses<br />

Verfahren durchlaufen. Unter diesen Damen und Herren<br />

gibt es fast niemanden, der nicht inzwischen Führungsfunktionen<br />

übernommen hätte. Die Philosophie dieses Unternehmens<br />

ist es, Führungskräfte in Politik, Wirtschaft,<br />

Verwaltung, Wissenschaft und Kirche zusammen auszubilden.<br />

Das ist die Grundphilosophie, die uns ganz wichtig ist,<br />

meine Damen und Herren.<br />

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)<br />

Dadurch entsteht auch ein Gefühl der Gemeinsamkeit: gemeinsam<br />

etwas für das Land <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> zu tun.<br />

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Zuruf<br />

des Abg. Deuschle REP)<br />

Das hat sich in den vergangenen Jahren voll und ganz bewährt.<br />

Jetzt möchten wir im Rahmen der Fortbildung des<br />

höheren Dienstes des Landes <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> unsere<br />

Fähigkeiten anbieten. Wir fühlen uns als Dienstleister. Wir<br />

möchten an der Fortbildungsinitiative des Innenministeriums<br />

mitwirken und bitten deswegen darum, mit diesem<br />

Gesetz in die Lage versetzt zu werden, mit unternehmerischen<br />

Strukturen anstatt mit Behördenstrukturen zu arbeiten<br />

und dabei nach wie vor eine schnucklige, kleine,<br />

schlanke Behörde, nämlich die schlankste Behörde des


(Dr. Vetter)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Landes <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, zu bleiben. Wir haben fünf<br />

hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hervorragende<br />

Arbeit leisten, und einen ehrenamtlichen Präsidenten,<br />

der vor Ihnen steht. – Alles für das Land <strong>Baden</strong>-<br />

<strong>Württemberg</strong>.<br />

(Abg. Nagel SPD: Ist der auch so schlank? Aber<br />

ohne Gewichtsbeschränkung! – Heiterkeit)<br />

– Danke für die Zwischenbemerkung.<br />

Übrigens bleibe ich auch im Rahmen der neuen unternehmerischen<br />

Struktur ein ehrenamtlicher Präsident.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall bei der CDU – Abg. Veigel FDP/DVP<br />

meldet sich zu einer Zwischenfrage.)<br />

Herr Kollege.<br />

Stellv. Präsident Birzele: Bitte, Herr Abg. Veigel.<br />

Abg. Veigel FDP/DVP: Herr Präsident Vetter, Sie haben<br />

vorhin <strong>von</strong> der Fortbildung der Beamten des höheren<br />

Dienstes gesprochen. Ist auch eine Fortbildung für Beamte<br />

des gehobenen Dienstes vorgesehen?<br />

Abg. Dr. Vetter CDU: Wir werden in allen Bereichen<br />

Dienstleistungsfunktionen übernehmen. Selbstverständlich<br />

sind wir aufgrund unserer Qualifikation hauptsächlich im<br />

höheren Dienst tätig. Wir sind übrigens auch Anbieter in<br />

anderen Bereichen. Auch die Kommunen nehmen unser<br />

Angebot in Anspruch. Wenn sie an uns herantreten, sagen<br />

wir in aller Regel Ja.<br />

(Vereinzelt Beifall – Abg. Veigel FDP/DVP: Danke!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Frau Abg. Erdrich-Sommer.<br />

Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis 90/Die Grünen:<br />

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Gesetzesvorlage<br />

ist begrüßenswert. Die bisherige Ausbildungstätigkeit<br />

der Führungsakademie war gut, aber sie entspricht<br />

nicht mehr dem, was künftig in der Landesverwaltung gebraucht<br />

wird. Es ist gut, dass man jetzt darauf reagiert hat.<br />

Grundlegende Veränderungsprozesse bahnen sich in der<br />

Landesverwaltung an. Die Neuen Steuerungsinstrumente<br />

werden eingeführt. Es gibt einen großen Lern- und Weiterbildungsbedarf<br />

bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

in der Landesverwaltung. Der permanente Lernprozess, der<br />

überall angemahnt wird, wird auch an der Landesverwaltung<br />

nicht vorbeigehen. Eine Führungsakademie zu haben,<br />

die diesen Bedürfnissen nachkommt, ist wünschenswert.<br />

Mir ist besonders wichtig, dass es in der neuen Führungsakademie<br />

Kooperationen mit anderen, externen Bildungspartnern<br />

geben kann, dass die Strukturen im Innern nach<br />

betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten angelegt sind und<br />

dass es trotzdem eine Anbindung an den öffentlichen<br />

Dienst gibt; denn natürlich werden nach wie vor Aufgaben<br />

im Organisations- und Personalentwicklungsbereich übernommen.<br />

Deshalb sind die Mittel für die Veränderung der<br />

Führungsakademie gut angelegt.<br />

Als Finanzerin möchte ich bemerken, dass wir bei den<br />

nächsten Haushaltsberatungen genau darauf achten müssen,<br />

in welchem Umfang die neue Führungsakademie Mittel<br />

tatsächlich benötigt. Wenn ich es richtig verstanden habe,<br />

haben Sie einen nachfrageorientierten Ansatz. Die Häuser<br />

haben auch entsprechende Verfügungsmittel, um Kurse<br />

bezahlen zu können. Da muss man jetzt ganz genau abwägen:<br />

Was braucht die Führungsakademie weiter an Zuschüssen,<br />

und was brauchen die Häuser an Weiterbildungsmitteln,<br />

die sie dann für Gebühren einsetzen? Wie kostendeckend<br />

müssen die Gebühren bei der Führungsakademie<br />

sein, und wie müssen dann die entsprechenden Mittelverteilungen<br />

aussehen? Das ist mir natürlich im Finanzbereich<br />

ein wichtiges Anliegen.<br />

Auch mir ist aufgefallen, dass die Sprache in dieser Drucksache<br />

hoch problematisch ist.<br />

(Abg. Veigel FDP/DVP: Mir auch!)<br />

Ich will nur sagen: Wenn jetzt auch die Landesregierung in<br />

ihren Begründungen anfängt, <strong>von</strong> „Humankapital“ zu reden,<br />

dann meine ich, dass wir nicht auf dem richtigen Weg<br />

des Umgangs mit unseren Landesbediensteten sind. Wir<br />

sollten solche Wörter aus den Begründungen <strong>von</strong> Gesetzesvorlagen<br />

streichen,<br />

(Abg. Veigel FDP/DVP: Sehr gut!)<br />

wiewohl das natürlich betriebswirtschaftlich gängige Terminologien<br />

sind. Trotzdem glaube ich, wir täten gut daran,<br />

darauf zu verzichten.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Veigel.<br />

Abg. Veigel FDP/DVP: Herr Präsident, meine sehr verehrten<br />

Damen und Herren! Wie wir gehört haben, wird die<br />

Struktur der Führungsakademie des Landes laut vorliegendem<br />

Gesetzentwurf geändert. Denn aus der Monostruktur,<br />

Herr Präsident Vetter, wird in Weiterentwicklung der Einrichtung<br />

eine Institution der Weiterqualifizierung des öffentlichen<br />

Dienstes, aber auch der Privatwirtschaft, und<br />

auch, wie ich erfreut gehört habe, der Kommunen.<br />

Die Anforderungen an eine leistungsfähige Verwaltung<br />

steigen ständig; das wissen wir alle. Außerdem findet ein<br />

laufender Veränderungsprozess statt. Deshalb ist es natürlich<br />

gut, dass man sich überlegt hat, die Struktur dieser<br />

Führungsakademie zu ändern und den laufenden Entwicklungen<br />

anzupassen.<br />

Wir brauchen deshalb ein leistungsfähiges Organ für die<br />

Fortbildung. Die neue Führungsakademie erhält einen eigenen<br />

ständigen Bildungsauftrag zur beruflichen Weiterqualifizierung.<br />

Wir haben <strong>von</strong> Ihnen, Herr Präsident Vetter, mit<br />

Interesse gehört, was da nun alles passiert, wer dort ausgebildet<br />

wird, an wen man herantritt, wen man beizieht. Das<br />

ist natürlich außerordentlich interessant. Es wäre schön,<br />

wenn wir laufend über die Weiterentwicklung unserer Führungsakademie<br />

unterrichtet würden. Diese Bitte möchte ich<br />

hiermit aussprechen.<br />

8037


(Veigel)<br />

8038<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Besonders wichtig ist uns natürlich, dass die Akademie in<br />

Zukunft eine Brückenfunktion zwischen Verwaltung, Privatwirtschaft<br />

und den Kommunen wahrnimmt und dass andere<br />

Dienstleister beigezogen werden sollen. Es findet also<br />

eine Verzahnung aller Beteiligten statt. Dies erlaubt meiner<br />

Ansicht nach eine optimale Aufgabenerfüllung bei der beruflichen<br />

Qualifizierung. Ich möchte mich den Ausführungen<br />

des Kollegen Brechtken anschließen, der gesagt hat,<br />

dass es jedem öffentlich Bediensteten oder auch jedem Bediensteten<br />

in der Kommunalverwaltung zur Pflicht gemacht<br />

werden soll, sich ständig weiterzubilden.<br />

Unsere Fraktion ist überzeugt, dass der vorliegende Gesetzentwurf<br />

in die Zukunft weist und dass der gewählte<br />

Weg richtig ist. Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Das Wort erhält Herr Abg. Herbricht.<br />

Abg. Herbricht REP: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Die Existenzberechtigung der Führungsakademie –<br />

<strong>von</strong> den damaligen Oppositionsparteien ursprünglich heftig<br />

bekämpft – wird heute <strong>von</strong> niemandem mehr ernsthaft bestritten.<br />

Absolventen der Führungsakademie zeichnen sich<br />

in der Regel durch Mobilität, Einsatzfreude und Aufgeschlossenheit<br />

gegenüber neuen Entwicklungen und Aufgaben<br />

aus. Dass dem so ist, zeigt die überdurchschnittliche<br />

Bereitschaft <strong>von</strong> Absolventen der Akademie, im Rahmen<br />

der Wiedervereinigung Verwaltungshilfe in Sachsen zu<br />

leisten. Erfreulich ist des Weiteren, dass der Anteil der<br />

Frauen in den letzten vier Jahren zwischen 44 und 50 %<br />

lag – ein bemerkenswertes Ergebnis, welches zudem ohne<br />

jede Quotenregelung erreicht wurde.<br />

Der sich unter den Absolventen der Führungsakademie entwickelnde<br />

Korpsgeist führt zu einem informellen Geflecht<br />

<strong>von</strong> Beziehungen auf der Führungsebene über die Geschäftsbereiche<br />

der einzelnen Ministerien hinaus – ein<br />

Fakt, welcher der Administration des Landes nur nützen<br />

kann. Mit anderen Worten: Die Existenz der Führungsakademie<br />

ist eine gute Sache.<br />

Ziel des Gesetzentwurfs der Landesregierung ist es, ein<br />

neues Konzept vorzulegen, welches sich am Bedarf orientiert<br />

und verstärkt die Möglichkeiten der neuen Technologien<br />

berücksichtigt. Eine Orientierung am Bedarf und die<br />

Einbeziehung neuer Technologien ist eigentlich eine<br />

Selbstverständlichkeit und bedarf keiner Gesetzesnovellierung.<br />

Die Landesregierung drückt des Weiteren in ihrer Begründung<br />

aus, dass sie durch die Schaffung einer modernen und<br />

leistungsfähigen Verwaltung ihren internationalen Spitzenrang<br />

behaupten möchte. Dieses Ansinnen wird wohl <strong>von</strong><br />

allen in diesem Hause geteilt, allerdings kommt man dann<br />

nicht umhin, über Lerninhalte zu reden.<br />

Dozenten haben in der Vergangenheit kritisiert, dass ein<br />

konkretisiertes Anforderungsprofil fehlt, um Leistungsergebnisse<br />

überprüfbar zu machen. Absolventen der Führungsakademie<br />

unterschiedlicher Jahrgänge haben – dies<br />

zeigen Umfragen – Unterschiedliches gelernt. Wünschenswert<br />

wäre ein gewisser Grundkanon dessen, was man bei<br />

einem Absolventen voraussetzen darf. Man kann nicht einerseits<br />

Querschnittkompetenzen für alle Teilnehmer einfordern<br />

und andererseits keine einheitlichen Ziele formulieren.<br />

Man benötigt eindeutige Anforderungsprofile, um<br />

daraus überprüfbare Lehrziele ableiten zu können.<br />

Dieser Gesichtspunkt sollte bei einer Reform der Fortbildung,<br />

die auf einen umfassenden Bildungsauftrag abzielt,<br />

nicht aus den Augen verloren werden.<br />

Die Landesregierung stellt fest, dass trotz steigenden Bildungsbedarfs<br />

die vom Innenministerium zentral zur Verfügung<br />

gestellten Mittel in den letzten Jahren ständig abgenommen<br />

haben. Nun sind Kosten lediglich eine Inputgröße,<br />

die nichts über die Qualität der Ergebnisse einer Bildungsmaßnahme<br />

aussagen. Es darf auch ruhig einmal festgestellt<br />

werden, dass die Führungsakademie bezüglich ihrer<br />

finanziellen Ausstattung einem Vergleich mit Einrichtungen<br />

in Bayern oder der Hochschule für Verwaltungswissenschaften<br />

in Speyer durchaus standhalten kann.<br />

Andererseits ist es richtig, dass die Landesregierung hier<br />

einer schleichenden finanziellen Mittelaushöhlung gegensteuern<br />

möchte und deshalb die Finanzierung der Fortbildung<br />

auf die Ressorts verteilt.<br />

In der Drucksache wird des Weiteren ganz richtig angesprochen,<br />

dass das alte System die Nachfrage nach potenziellen<br />

Absolventen erst hervorgerufen hat, was im Prinzip<br />

auch wünschenswert war. Man wird darauf achten müssen,<br />

dass nun aufgrund allgemeiner Sparzwänge kein gegenteiliger<br />

Effekt eintritt und dass mit der Umwandlung der<br />

Rechtsform in eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen<br />

Rechts die weiter angestrebten Verbesserungen auch erreicht<br />

werden.<br />

Die <strong>von</strong> Lothar Späth ins Leben gerufene Führungsakademie<br />

hatte damals und hat noch heute das Ziel einer Elitebildung<br />

der Führungskräfte. Wir Republikaner hatten bei<br />

dem Stichwort Elite noch nie Schluckbeschwerden und<br />

stimmen daher der Novellierung zu.<br />

(Beifall bei den Republikanern – Lachen des Abg.<br />

Brechtken SPD – Abg. Brechtken SPD: Ihr seid so<br />

weit weg!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Meine sehr verehrten Damen<br />

und Herren, Wortmeldungen liegen in der Allgemeinen<br />

Aussprache nicht mehr vor.<br />

(Zuruf)<br />

– Entschuldigung. Herr Minister Dr. Palmer, Sie erhalten<br />

das Wort.<br />

Minister im Staatsministerium Dr. Palmer: Vielen<br />

Dank, Herr Präsident. – Herr Präsident, sehr verehrte Damen<br />

und Herren! Auch ich will versuchen, es kurz zu machen.<br />

Danke für den Konsens in diesem Hause.<br />

15 Jahre Führungsakademie in Karlsruhe: Die Akademie<br />

hat sich bewährt. Sie ist eine gute Einrichtung. Wenn wir<br />

sie nicht hätten, dann müssten wir sie schaffen. Sie hat na-


(Minister Dr. Palmer)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

tional und international mittlerweile hohes Ansehen. Das<br />

spricht dafür, dass in den 15 Jahren in Karlsruhe gut gearbeitet<br />

worden ist.<br />

Ich möchte ausdrücklich in diesen Dank die früheren Präsidenten,<br />

Generalsekretäre und Beschäftigten einbeziehen,<br />

aber insbesondere auch Herrn Präsidenten Dr. Vetter, der<br />

die Aufgabe ehrenamtlich versieht, und Herrn Generalsekretär<br />

Berg. Herzlichen Dank dafür, dass sie die Aufgabe<br />

intensiv wahrnehmen.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)<br />

Ich möchte dann sagen, dass wir mit der neuen Organisationsform<br />

schon die Erwartung verbinden, dass die Führungsakademie<br />

noch besser wird. Sie wird flexibler werden<br />

können. Sie wird als rechtsfähige Anstalt, die nach kaufmännischer<br />

Buchführung arbeitet, wirtschaftlichen Ertrag<br />

besser verwenden können. Sie wird in der Lage sein, flexibler<br />

mit anderen Institutionen zusammenzuarbeiten, und<br />

deshalb wird sie ein Stück weit beweglicher. Das ist richtig,<br />

das ist gut, und deshalb ist wohl auch der Konsens in<br />

diesem Hause dafür da.<br />

Nun wurde gefragt: Was wird die Führungsakademie eigentlich<br />

<strong>von</strong> der Landesverwaltung zusätzlich übernehmen,<br />

insbesondere aus dem Innenministerium? Herr Dr. Vetter<br />

hat darauf schon eine Antwort gegeben. Ich will es gerne<br />

noch etwas erweitert tun, damit klar wird, dass es sich hier<br />

nicht um ein Placebo handelt, sondern dass die Führungsakademie<br />

in Karlsruhe qualitativ neue Aufgaben übernehmen<br />

wird.<br />

Was ist das? Die Planung und die Organisation aller Aufstiegslehrgänge<br />

des gehobenen – das war vorher die Frage,<br />

Herr Veigel – und des höheren Dienstes,<br />

(Abg. Herrmann CDU: Sehr gut!)<br />

die Einführungslehrgänge für den höheren Dienst, dann die<br />

gesamte Schulung der mittleren Führungsebene, Referatsund<br />

Abteilungsleiter der Ministerien und der nachgeordneten<br />

Behörden sowie die bedarfsorientierte Fortbildung der<br />

Führungsnachwuchskräfte aller Ressorts. In diesen Bereichen<br />

– Einführungslehrgänge, Aufstiegslehrgänge, Schulungsveranstaltungen<br />

– haben wir bisher im Innenministerium<br />

300 verschiedene Veranstaltungen mit jährlich 5 000<br />

Teilnehmern durchgeführt. Das wird jetzt auf das Schulungszentrum,<br />

auf das Kompetenzzentrum der Landesverwaltung,<br />

auf die Führungsakademie in Karlsruhe, übertragen<br />

und bedeutet qualitativ natürlich schon eine erhebliche<br />

Ausdehnung, die mit den bisherigen Lehrgängen primär<br />

nichts zu tun hat. Die Führungsakademie erhält also einen<br />

umfassenden Bildungsauftrag, um den wichtigsten Baustein<br />

einer erfolgreichen Landesverwaltung zu entwickeln,<br />

nämlich das Wissen und die Bildung der Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter.<br />

Herr Brechtken hat in der Aussprache gesagt, es gebe die<br />

Pflicht zur Fortbildung. So ist es, jawohl, Herr Brechtken.<br />

Die Pflicht zur Fortbildung gibt es für alle, aber für Beamte<br />

in besonderem Maße. Deshalb steht das, was Sie angemahnt<br />

haben, schon in Landesbeamtengesetz. Dort ist enthalten,<br />

dass es die Pflicht gibt, sich fortzubilden.<br />

(Lachen des Abg. Brechtken SPD – Abg. Brechtken<br />

SPD: Das ist schon klar!)<br />

An diese Pflicht erinnern wir.<br />

(Abg. Dr. Vetter CDU: Er meint Kant!)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Herr Abg. Brechtken.<br />

Abg. Brechtken SPD: Herr Minister, nachdem mir diese<br />

Bestimmung bekannt ist, meine Frage: Würden Sie bitte<br />

zur Kenntnis nehmen: Es geht mir nicht um eine allgemein<br />

im Gesetz postulierte Pflicht, sondern um Folgendes:<br />

Erstens: Zielrichtung in einer Behörde festlegen.<br />

Zweitens: Welchen zusätzlichen Fortbildungsbedarf habe<br />

ich?<br />

Drittens: Die einzelnen Bediensteten mit einem ganz klaren<br />

Plan zur Fortbildung zu verpflichten. Klammer auf: Ich beziehe<br />

dabei zum Beispiel auch Lehrer ein, etwa hinsichtlich<br />

moderner Informationstechnologien. Klammer zu.<br />

Minister im Staatsministerium Dr. Palmer: Ich sehe in<br />

dem gemeinsamen Anliegen, eine lernende Verwaltung zu<br />

forcieren, eine Verwaltung, die dazulernt und nicht stehen<br />

bleibt auf einem einmal erworbenen Erfahrungs- und Lernschatz,<br />

eine Daueraufgabe der Politik. Und jedes Ministerium,<br />

jede Behörde ist dazu verpflichtet.<br />

Im Übrigen wird E-Learning, werden die neuen technischen<br />

Möglichkeiten dazu beitragen, dass wir auch in der<br />

Verwaltung eine ganz neue Lernkultur während der Arbeitsphasen,<br />

während der beruflichen Phasen erleben werden.<br />

Das ist ganz wichtig und auch, wie gesagt, schon im<br />

Landesbeamtengesetz statuiert.<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte gerne<br />

noch die Bemerkung hinzufügen, dass <strong>von</strong> den Ausgaben<br />

der Führungsakademie, die im Haushalt mit 3 Millionen<br />

DM jährlich zu Buche schlagen, allein die Personalaufwendungen<br />

für die abgeordneten Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer der Führungslehrgänge 2,2 Millionen DM ausmachen.<br />

Die restlichen Kosten haben sich in den vergangenen<br />

Jahren längst amortisiert; denn die Absolventen der<br />

Führungsakademie führen laufend Organisationsuntersuchungen<br />

in der Landesverwaltung durch. Sie machen Verbesserungsvorschläge.<br />

Wir haben in den vergangenen Jahren<br />

ein Verbesserungspotenzial <strong>von</strong> 60 Millionen DM<br />

durch Absolventen der Führungsakademie aufgezeigt bekommen,<br />

was zum Auftrag, zu den Prüfungen, zu den studienbegleitenden<br />

Aufgaben gehört. Das zeigt, dass ausgesprochen<br />

effektiv, auch ausgesprochen kostengünstig gearbeitet<br />

worden ist.<br />

Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz in der Tat nach 15<br />

Jahren eine Zwischenbilanz ziehen können, um die Führungsakademie<br />

mit neuer Grundlage in den nächsten Jahren<br />

auf den Weg zu schicken.<br />

Lieber Herr Brechtken, dass wir – ich will mich noch einmal<br />

an Sie wenden – dies mit einer Verwaltungssprache<br />

8039


(Minister Dr. Palmer)<br />

8040<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

gemacht haben, die verbesserungsfähig ist, sehen Sie uns<br />

bitte nach.<br />

(Lachen des Abg. Brechtken SPD – Abg. Herbricht<br />

REP: Sehr gut!)<br />

Auch das Staatsministerium ist nicht so gut, dass es nicht<br />

dazulernen könnte. Wir räumen gerne ein, beim nächsten<br />

Mal den Gesetzentwurf noch einmal anzuschauen.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Die Gelegenheit werdet ihr<br />

nicht mehr haben! – Abg. Nagel SPD: Die Zeit<br />

wird knapp!)<br />

– Sicher werden wir die Gelegenheit haben. Da sind wir<br />

ganz gelassen und ganz optimistisch, weil sich gottlob die<br />

Verhältnisse nach dem 25. März im Land nicht verändern<br />

werden.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Egal, wer gewinnt!)<br />

Wir geloben also beim nächsten Gesetzentwurf eine noch<br />

bessere Sprachsorgfalt, damit nicht mehr diese Bandwurmsätze<br />

herauskommen, die übrigens komischerweise vor<br />

dem Normenprüfungsausschuss Bestand gefunden haben.<br />

Wir müssen in der Sprache sicher sensibler werden und in<br />

Zukunft solche Sprachungetüme vermeiden. Ich sage da<br />

gerne den Versuch der Besserung zu.<br />

Herzlichen Dank.<br />

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der SPD)<br />

Stellv. Präsident Birzele: Meine Damen und Herren, nunmehr<br />

liegen mir in der Allgemeinen Aussprache keine<br />

Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen daher in der Zweiten<br />

Beratung zur Einzelabstimmung.<br />

Der Ständige Ausschuss empfiehlt Ihnen auf der Drucksache<br />

12/5798, dem Gesetzentwurf unverändert zuzustimmen.<br />

Ich setze deshalb Ihr Einverständnis voraus, dass die<br />

§§ 1 bis 16 in der Zweiten Beratung gemeinsam zur Abstimmung<br />

gestellt werden können. – Sie stimmen dem zu.<br />

Wer den<br />

§§ 1 bis 16<br />

zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. –<br />

Gegenprobe! – Enthaltungen? – Einstimmig so beschlossen.<br />

Die Einleitung<br />

lautet: „Der <strong>Landtag</strong> hat am 31. Januar 2001 das folgende<br />

Gesetz beschlossen:“.<br />

Die Überschrift<br />

lautet: „Gesetz zur Neuorganisation der Führungsakademie<br />

des Landes <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>“. – Das Haus stimmt der<br />

Überschrift zu.<br />

Wir kommen zur<br />

Schlussabstimmung<br />

Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmen möchte, den bitte<br />

ich, sich zu erheben. – Danke. Wer stimmt gegen das Gesetz?<br />

– Wer enthält sich der Stimme? – Dem Gesetz wurde<br />

einstimmig zugestimmt.<br />

Damit ist der Tagesordnungspunkt 7 erledigt.<br />

Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:<br />

Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung<br />

– Gesetz zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes<br />

– Drucksache 12/5606<br />

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses<br />

– Drucksache 12/5920<br />

Berichterstatter: Abg. Seltenreich<br />

Meine Damen und Herren, nachdem zu dem Gesetzentwurf<br />

in der Ersten Beratung gesprochen worden ist, war das Präsidium<br />

der Auffassung, dass in der Zweiten Beratung auf<br />

eine Aussprache verzichtet werden kann. Wir kommen also<br />

gleich zur A bstimmung.<br />

Abstimmungsgrundlage ist die Beschlussempfehlung des<br />

Finanzausschusses, Drucksache 12/5920.<br />

Ich rufe auf<br />

Artikel 1<br />

Nach der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses soll<br />

in Artikel 1 Nr. 1 Buchst. b das Wort „insgesamt“ durch<br />

die Worte „bis zu“ ersetzt werden. Wer dem Artikel 1 mit<br />

dieser Änderung zustimmen möchte, den bitte ich um das<br />

Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Mit dieser<br />

Änderung einstimmig angenommen.<br />

Ich rufe auf<br />

Artikel 2<br />

Wer dem Artikel 2 zustimmen möchte, den bitte ich um das<br />

Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Einstimmig<br />

angenommen.<br />

Die Einleitung<br />

lautet: „Der <strong>Landtag</strong> hat am 31. Januar 2001 das folgende<br />

Gesetz beschlossen:“.<br />

Die Überschrift<br />

lautet: „Gesetz zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes“.<br />

– Das Haus stimmt der Überschrift zu.<br />

Wir kommen zur<br />

Schlussabstimmung<br />

Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmen möchte, den bitte<br />

ich, sich zu erheben. – Danke. – Stimmt jemand gegen das<br />

Gesetz? – Das ist nicht der Fall. Wer enthält sich? – Niemand.<br />

Dem Gesetz ist einstimmig zugestimmt worden.<br />

Damit ist der Tagesordnungspunkt 8 erledigt.


(Stellv. Präsident Birzele)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:<br />

Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der<br />

CDU und der Fraktion der FDP/DVP – Gesetz zur Änderung<br />

des Kirchensteuergesetzes – Drucksache 12/5792<br />

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses<br />

– Drucksache 12/5921<br />

Berichterstatterin: Abg. Marianne Erdrich-Sommer<br />

Die Berichterstatterin wünscht das Wort nicht.<br />

Meine Damen und Herren, das Präsidium war auch bei diesem<br />

Gesetzentwurf der Auffassung, dass auf eine Allgemeine<br />

Aussprache verzichtet werden kann, nachdem in der<br />

Ersten Beratung ausführlich dazu gesprochen worden ist.<br />

Wir kommen also zur A bstimmung. Der Finanzausschuss<br />

schlägt Ihnen auf Drucksache 12/5921 vor, dem Gesetzentwurf<br />

unverändert zuzustimmen.<br />

Ich rufe auf<br />

Artikel 1<br />

Wer dem Artikel 1 zustimmen möchte, den bitte ich um das<br />

Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei zwei<br />

Gegenstimmen und einer Enthaltung so beschlossen.<br />

Ich rufe auf<br />

Artikel 2<br />

Wer dem Artikel 2 zustimmen möchte, den bitte ich um das<br />

Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei zwei<br />

Gegenstimmen und einer Enthaltung so beschlossen.<br />

Die Einleitung<br />

lautet: „Der <strong>Landtag</strong> hat am 31. Januar 2001 das folgende<br />

Gesetz beschlossen:“.<br />

Die Überschrift<br />

lautet: „Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes“.<br />

– Das Haus stimmt der Überschrift zu.<br />

Wir kommen zur<br />

Schlussabstimmung<br />

Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmen möchte, den bitte<br />

ich, sich zu erheben. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer<br />

enthält sich? – Bei zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung<br />

ist dem Gesetzentwurf Drucksache 12/5792 mehrheitlich<br />

zugestimmt.<br />

Damit ist Tagesordnungspunkt 9 erledigt.<br />

Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:<br />

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses<br />

zu dem Antrag des Rechnungshofs vom 19. September<br />

2000 – Prüfung der Rechnung des Rechnungshofs<br />

(Einzelplan 11) für das Haushaltsjahr 1998 durch den<br />

<strong>Landtag</strong> – Drucksachen 12/5532, 12/5604<br />

Berichterstatter: Abg. Brechtken<br />

Zusätzlich rufe ich den Antrag der Fraktion der CDU und<br />

der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 12/5960, den Antrag<br />

der Fraktion der SPD, Drucksache 12/5962, und den<br />

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache<br />

12/5964, auf.<br />

Der Berichterstatter wünscht das Wort. Bitte sehr.<br />

Abg. Brechtken SPD: Herr Präsident, meine sehr geehrten<br />

Damen und Herren! Dem hohen Hause liegt der Bericht<br />

des Finanzausschusses über seine Beratung vom 12. Oktober<br />

des vergangenen Jahres vor. Er ist aus Drucksache<br />

12/5604 zu ersehen. Zwischenzeitlich haben sich aber noch<br />

Fakten ergeben, die dringend eine Ergänzung des Berichts<br />

erfordern. Deshalb muss ich den Bericht über die Beratungen<br />

des Finanzausschusses hier mit den neuesten Fakten<br />

anreichern und ergänzen.<br />

Aus dem Bericht Drucksache 12/5604 ergibt sich, dass die<br />

Gesamtausgaben für Anschaffungen innerhalb des Rechnungshofs<br />

den Haushaltsansatz unterschritten hätten. Dennoch<br />

ist vor der vorgesehenen Beschlussfassung hier im<br />

Plenum am 18. November ein Artikel in der Presse erschienen,<br />

nach dem bei der Einrichtung bzw. Ausstattung mit<br />

Büromöbeln beim Rechnungshof <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> Verstöße<br />

gegen die einschlägige Verwaltungsvorschrift zur<br />

Ausstattung <strong>von</strong> Diensträumen vom 2. Dezember 1997<br />

vorgekommen seien.<br />

Als Berichterstatter habe ich daraufhin, nachdem dieser<br />

Pressebericht erschienen war, den Präsidenten des Rechnungshofs<br />

um eine Stellungnahme gebeten. Der Rechnungshof<br />

hat mit Schreiben vom 27. November 2000, das<br />

mit Schreiben vom 30. November 2000 korrigiert wurde,<br />

mitgeteilt, dass seit dem Jahr 1992 Büromöbel der Mitglieder<br />

des Rechnungshofs erneuert bzw. Ersatzbeschaffungen<br />

durchgeführt wurden. In der Regel seien bei Pensionierungen<br />

<strong>von</strong> Kollegen teilweise bis zu 20 Jahre alte Möblierungen<br />

übernommen worden und dann Zug um Zug erneuert<br />

und die Büros neu ausgestattet worden. Es seien auch Besprechungsmöglichkeiten<br />

in den Dienstzimmern der Mitglieder<br />

des Rechnungshofs geschaffen worden.<br />

Es hat sich dann ergeben, dass bei der Ausstattung insgesamt<br />

Überschreitungen vorgekommen sind. Insgesamt sind<br />

Anschaffungen in der Größenordnung <strong>von</strong> 67 386 DM<br />

durchgeführt worden. Da<strong>von</strong> waren 6 532 DM Baumittel.<br />

Die zulässigen Ausgaben nach der Verwaltungsvorschrift<br />

waren 53 500 DM als Pauschalsätze abzüglich 9 790 DM<br />

anzurechnender Altausstattung. Dazu waren noch Reste<br />

<strong>von</strong> nicht ausgeschöpften Höchstsätzen <strong>von</strong> 3 914 DM abzuziehen,<br />

sodass der verfügbare Ausstattungsrahmen bei<br />

39 796 DM lag. Die zulässigen Rahmenwerte sind damit in<br />

der Größenordnung <strong>von</strong> 27 590,17 DM überschritten worden.<br />

Aus einer beigefügten Liste, bezogen auf die einzelnen<br />

Mitglieder des Rechnungshofs und deren Ausstattung, ergibt<br />

sich, dass in zwei Fällen die Höchstsätze in der Größenordnung<br />

<strong>von</strong> einmal 1 515 DM und einmal 2 398 DM<br />

nicht ausgeschöpft wurden. In zwei Fällen ist also eine Unterschreitung<br />

der Höchstsätze erfolgt, während die Einzelhöchstsätze<br />

in den übrigen Fällen überschritten worden<br />

sind. Die beiden gravierendsten Fälle sind die letzten bei-<br />

8041


(Brechtken)<br />

8042<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

den Fälle, bei denen es im einen Fall um eine Überschreitung<br />

um 10 704 DM und im anderen Fall um eine Überschreitung<br />

um 7 280 DM gegangen ist.<br />

Der Rechnungshof hat weiter dargelegt, dass er zur Abdeckung<br />

der Überschreitungen in einem kollektiven Verfahren<br />

seitens der Mitglieder des Rechnungshofs die Beträge<br />

ersetzt hat und beim Rechnungshof eingenommen hat.<br />

Dieser Bericht lag dem Finanzausschuss in seiner Sitzung<br />

am 30. November vor. Wir haben die Angelegenheit in dieser<br />

Finanzausschusssitzung beraten, und in dieser Sitzung<br />

hat der Präsident des Rechnungshofs im Gegensatz zu seiner<br />

ursprünglichen Einlassung, dass er als Rechnungshofpräsident<br />

<strong>von</strong> der Überschreitung der einzelnen Rahmensätze<br />

nach der Verwaltungsvorschrift erst durch die Recherchen<br />

der Presse erfahren habe, dargelegt, dass es einen<br />

Vermerk vom 4. Mai 2000 aus dem Rechnungshof selbst –<br />

erstellt im Rahmen der dortigen internen Vorprüfung –<br />

gibt, in dem auf diese Überschreitungen hingewiesen wurde.<br />

Dieser interne Vermerk hat die Abzeichnung mit Datum<br />

vom 12. Mai 2000 durch den Rechnungshofpräsidenten.<br />

In diesem Vermerk heißt es:<br />

Der Rechnungshof und die Staatlichen Rechnungsprüfungsämter<br />

haben in ihren jeweiligen Kapiteln bei Titel<br />

515 01 und 812 01 verschiedene Gegenstände zur Ausstattung<br />

<strong>von</strong> Diensträumen beschafft. In Einzelfällen<br />

wurden bei Beschaffungen die Höchstsätze bzw. Richtpreise<br />

der Verwaltungsvorschrift Ausstattung vom<br />

2. Dezember 1997 überschritten. Details wurden mit<br />

dem Leiter der Präsidialabteilung erörtert. Auf den<br />

Rechnungsunterlagen sind nur teilweise Name und<br />

Funktion der vorgesehenen Nutzer angegeben. Diese<br />

Angaben sollten auf den begründeten Unterlagen zumindest<br />

dann angebracht werden, wenn sie für die Beurteilung<br />

der Einhaltung der in der Verwaltungsvorschrift<br />

enthaltenen Preisobergrenzen <strong>von</strong> Bedeutung<br />

sind.<br />

Dies war das wörtliche Zitat aus dem dem Rechnungshofpräsidenten<br />

vorgelegten Vermerk, den er, wie gesagt, am<br />

12. Mai 2000 abgezeichnet hat.<br />

Ich habe als Berichterstatter in der Finanzausschusssitzung<br />

die Frage gestellt, ob es über diesen Vermerk Gespräche<br />

zwischen Mitarbeitern des Rechnungshofs und dem Präsidenten<br />

gegeben hat. Diese Frage habe ich mehrfach gestellt.<br />

Sie ist vom Rechnungshofpräsidenten jeweils deutlich<br />

verneint worden.<br />

Dies war für mich Anlass, bei einem Besuch im Rechnungshof<br />

am 4. Dezember 2000 ein Gespräch mit dem<br />

Rechnungshofpräsidenten und mit dem für die Beschaffung<br />

zuständigen Beamten zu führen. Ich habe beide darauf<br />

aufmerksam gemacht, dass ich als Berichterstatter für<br />

die Prüfung des Rechnungshofs auftauche und nicht etwa<br />

als Untersuchungsausschuss oder Vorermittler für Disziplinarfragen,<br />

dass ich also auch Verständnis hätte, wenn die<br />

Bediensteten, also der Rechnungshofpräsident und sein<br />

Mitarbeiter für die Beschaffung, keine Auskünfte bezüg-<br />

lich der Frage geben würden, ob Gespräche stattgefunden<br />

haben.<br />

Beide haben jedoch gesagt, sie wollten dazu Ausführungen<br />

machen. Der für die Beschaffung zuständige Beamte hat<br />

mir gegenüber in dem Gespräch ausdrücklich erklärt, dass<br />

er den Vermerk nicht nur am 12. Mai vorgelegt und zur<br />

Abzeichnung übersandt habe, sondern dass es am 12. Mai<br />

über den Vermerk auch ein persönliches Gespräch zwischen<br />

ihm und dem Rechnungshofpräsidenten gegeben habe.<br />

Er hat mir in dieser Besprechung auch einen Vermerk gezeigt,<br />

den er nach seinen Angaben dem Rechnungshofpräsidenten<br />

persönlich vorgelegt hat, der entsprechende Unterstreichungen<br />

der angesprochenen Passagen, die ich vorhin<br />

zitiert habe, enthält. Er hat ausdrücklich bestätigt, dass<br />

ein solches Gespräch stattgefunden hat. Der Rechnungshofpräsident<br />

seinerseits hat in der Besprechung dargelegt,<br />

er könne sich an ein solches Gespräch nicht erinnern.<br />

(Lachen des Abg. Maurer SPD)<br />

Ich habe dann ausdrücklich auf eine Gegenüberstellung<br />

und weitere Fragen verzichtet, weil ich der Auffassung bin,<br />

dass mir als Berichterstatter für die Rechnung des Rechnungshofs<br />

dies nicht zusteht. Ich wollte auch beide Bediensteten<br />

nicht in die Schwierigkeit bringen, im Hinblick<br />

auf mögliche disziplinarrechtliche Schritte ohne weitere<br />

Beratung Auskünfte geben zu müssen.<br />

Dies bedeutet als Fazit: Der Bericht des Finanzausschusses,<br />

der Ihnen vorliegt, muss ergänzt werden: erstens um die<br />

entsprechenden Darlegungen der Überschreitungen der zulässigen<br />

Ausgaben, was die Einrichtung der Büros angeht,<br />

und vor allem zweitens um Darlegungen über die Information<br />

innerhalb des Hauses, also die Kenntnisnahme des<br />

Präsidenten, zumindest am 12. Mai 2000 durch Abzeichnung<br />

des Vermerks.<br />

Meiner Ansicht nach ist auch der Bedienstete insofern<br />

glaubwürdig, als er schlüssig dargelegt hat, dass darüber<br />

auch ein Gespräch stattgefunden hat; denn seine Einlassungen<br />

– auch die Vorlage <strong>von</strong> entsprechenden Unterlagen –<br />

waren in sich schlüssig dargelegt.<br />

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bündnisses<br />

90/Die Grünen)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg.<br />

Dr. Scheffold.<br />

Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Herr Präsident, meine<br />

sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorgänge beim<br />

Rechnungshof haben uns in diesem Haus, in den einzelnen<br />

Fraktionen, aber darüber hinaus natürlich auch die Presse<br />

beschäftigt. Immer dann, wenn es um das Ansehen einer<br />

Behörde geht, auch um das Ansehen und die Beurteilung<br />

einer Person oder um Vorgänge, die das Verhalten einer<br />

Person betreffen, sollten wir, meine ich, die Bewertung mit<br />

großem Augenmaß vornehmen, und vor allem sollten wir<br />

im Endergebnis zu angemessenen Beurteilungen kommen.<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will die Vorgänge,<br />

die sich abgespielt haben, hinsichtlich der zeitlichen


(Dr. Stefan Scheffold)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Abläufe trennen und auch eine getrennte Bewertung vornehmen.<br />

In der Sache handelt es sich zunächst einmal um<br />

die Entlastung des Rechnungshofs für das Haushaltsjahr<br />

1998. Ich will nicht mit dem Finger darauf zeigen, aber wir<br />

finden immerhin den Berichterstatter mit folgenden Worten<br />

zitiert:<br />

Insgesamt habe der Rechnungshof sparsam gewirtschaftet,<br />

die Haushaltsvorgaben nicht nur eingehalten,<br />

sondern leicht unterschritten und damit deutliche Sparbemühungen<br />

gezeigt.<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das wirft auch<br />

ein bisschen Licht auf die Frage, inwieweit wir, und zwar<br />

alle gemeinsam, tief genug in der Prüfung vorgegangen<br />

sind und inwieweit auch die Möglichkeit gegeben ist, die<br />

Dinge so zu überprüfen und aufzuklären, wie es offensichtlich<br />

notwendig ist.<br />

Wir stellen heute fest, dass bei der Anschaffung <strong>von</strong> Büromöbeln<br />

Überschreitungen der gesetzten Limits vorgekommen<br />

sind. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

im Jahr 1998 waren diese Überschreitungen wesentlich geringer<br />

als die Zahlen, die häufig genannt wurden.<br />

Zurückkommend auf die Ausgangsfrage möchte ich sagen:<br />

Herr Frank war damals als Rechnungshofpräsident neu im<br />

Amt. Er hatte eine bestehende Organisation übernommen.<br />

Er hat Richtlinien angewandt, die in der Vergangenheit in<br />

seinem Haus auch so angewandt wurden. Wir teilen daher<br />

die Einschätzung des <strong>Landtag</strong>spräsidenten, dass ihm für<br />

diesen konkreten Vorgang sicherlich kein Vorwurf gemacht<br />

werden kann.<br />

Es geht auch nicht an, dass wir die Jahre zusammenfassen,<br />

also alles aus den Jahren 1992 bis 1998 zusammenzählen,<br />

und hierfür den Präsidenten des Rechnungshofs in die<br />

Pflicht nehmen. Insoweit muss deutlich gesagt werden,<br />

dass in einem Gutteil dieser Jahre eine andere Person Präsident<br />

des Rechnungshofs war.<br />

Konzentrieren wir uns daher auf den Vorwurf, der Vermerk<br />

sei im Mai des Jahres 2000 vorgelegt worden, ohne<br />

dass ihm Rechnung getragen worden wäre. Der <strong>Landtag</strong>spräsident<br />

hat diesen Sachverhalt überprüft, auch die<br />

Rechtsanwendung, und ist zu dem Ergebnis gekommen,<br />

das Verhalten des Präsidenten des Rechnungshofs sei insoweit<br />

zu missbilligen.<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben politisch<br />

zu werten, ob diese Einschätzung richtig ist. Für meine<br />

Person und für meine Fraktion möchte ich erklären, dass<br />

wir der Auffassung des <strong>Landtag</strong>spräsidenten auch für die<br />

politische Bewertung der Gesamtvorgänge zustimmen. Wir<br />

glauben, dass eine schärfere Sanktion in diesem Zusammenhang<br />

nicht angemessen wäre.<br />

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass wir die Schuld<br />

des Rechnungshofpräsidenten für äußerst gering halten. Er<br />

hat in keiner Weise eigennützig gehandelt. Der Behörde ist<br />

kein wirtschaftlicher Schaden entstanden. Vor allem – darauf<br />

lege ich auch Wert – hat er diesen Fehler sehr freimütig<br />

im Finanzausschuss und auch darüber hinaus eingeräumt<br />

und ist dazu gestanden.<br />

In der Schule hatte ich einmal einen sehr großzügigen Lehrer,<br />

der auch dann immer noch eine Eins gab, wenn jemand<br />

einen Fehler gemacht hatte. Soweit ich erkennen kann,<br />

handelt es sich hier um den ersten Fehler, der dem Rechnungshof<br />

während der Amtszeit des Herrn Präsidenten passiert<br />

ist. „Einmal ist keinmal“, hat mein Lehrer immer gesagt.<br />

(Zurufe <strong>von</strong> der SPD, u. a. Abg. Brechtken: Bei Ihnen<br />

muss er aber noch großzügiger gewesen sein!)<br />

Diese Beurteilung will ich im vorliegenden Zusammenhang<br />

daher auch anwenden.<br />

(Zuruf des Abg. Nagel SPD)<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind dann<br />

auch noch eine ganze Reihe <strong>von</strong> anderen Vorwürfen aufgetaucht,<br />

die heute offensichtlich bereits keine Rolle mehr<br />

spielen. Es ist <strong>von</strong> einem Autokauf die Rede gewesen. Er<br />

hat sich als normaler Verkauf am Markt durch einen Fachhändler<br />

entpuppt und erlaubt keinen Vorwurf.<br />

Das Verfahren der Information der Fraktionen ist ordnungsgemäß<br />

gewesen. Es ist <strong>von</strong> Ihrer Fraktion oder <strong>von</strong><br />

allen Fraktionen dieses Hauses – jedenfalls zu Zeiten der<br />

großen Koalition – auch in gebotenem Umfang in Anspruch<br />

genommen worden.<br />

Wir kommen deswegen zu der Beurteilung und Wertung,<br />

dass das Verhalten des Rechnungshofpräsidenten zwar zu<br />

rügen ist, dass ihm im Übrigen aber Entlastung zuteil werden<br />

sollte.<br />

Ich möchte, ohne dies weiter kommentieren zu müssen, in<br />

einem Schlusssatz sagen: Es fällt schon auf, dass die Anträge<br />

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion<br />

der SPD zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses<br />

exakt die gleichen sind.<br />

Herzlichen Dank.<br />

(Beifall bei der CDU – Abg. Brechtken SPD: Exakt<br />

nicht, aber ziemlich gleich!)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg.<br />

Brechtken.<br />

Abg. Brechtken SPD: Herr Präsident, meine sehr geehrten<br />

Damen und Herren! Ich möchte den Änderungsantrag der<br />

SPD-Fraktion, Drucksache 12/5962, begründen.<br />

Wir schlagen vor, keine Entlastung zu erteilen. Zwei der<br />

Fälle – ein leichterer und ein sehr gravierender – fallen in<br />

das Jahr 1998. Die Begründung, dass die entsprechenden<br />

Beträge im Budget insgesamt enthalten gewesen seien,<br />

kann uns nicht da<strong>von</strong> abbringen, festzustellen, dass hier ein<br />

Verstoß gegen eine einschlägige Verwaltungsvorschrift<br />

vorliegt.<br />

Die Nichtentlastung durch das Parlament hat nach der Landeshaushaltsordnung<br />

keine unmittelbare Rechtswirkung.<br />

Aber sie hat insofern eine Rechtswirkung, als dann, wenn<br />

8043


(Brechtken)<br />

8044<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Folgerungen gezogen werden, die Verantwortung jeweils<br />

beim Rechnungshof verbleibt und sie nicht durch Entlastung<br />

auf das Parlament übergeht. Ich schlage vor, dass das<br />

Parlament hier die Entlastung nicht erteilt. Denn wir sollten<br />

den Fall nicht auf uns übernehmen. Er sollte exakt dort<br />

bleiben, wo er auch verbockt worden ist.<br />

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die<br />

Grünen)<br />

In Ziffer 2 unseres Änderungsantrags bitten wir den Präsidenten<br />

des Rechnungshofs, seine Versetzung in ein anderes<br />

Amt zu beantragen. In der Tat eine gravierende Forderung,<br />

die man begründen muss.<br />

Der erste Punkt: Aus meiner Sicht ist die Glaubwürdigkeit<br />

des Präsidenten des Rechnungshofs infrage gestellt. Er hat<br />

meiner Ansicht nach auch bei der Frage des Verfahrens erhebliche<br />

Probleme gehabt, indem er zuerst gesagt hat: „Ich<br />

erfahre aus der Presse“, in der zweiten Stufe einräumt, dass<br />

es einen Vermerk gibt, und schließlich die entscheidende<br />

Aussage kommt: „Aber Gespräche hat es nicht gegeben.“<br />

Jetzt steht hier Aussage gegen Aussage. Aber wir haben als<br />

Parlament nicht die Möglichkeit, die Frage zu überprüfen.<br />

Einer hätte diese Möglichkeit gehabt, nämlich der <strong>Landtag</strong>spräsident,<br />

der eine Vorermittlung in der Frage durchgeführt<br />

hat, ob ein Disziplinarverfahren einzuleiten ist.<br />

Der <strong>Landtag</strong>spräsident seinerseits hat aber – das halte ich<br />

für bemerkenswert – schlicht unterstellt – – Ich nehme beide<br />

Aussagen zur Kenntnis. Er hat zum Beispiel den Rechnungshofpräsidenten<br />

als Betroffenen um eine Stellungnahme<br />

gebeten. Er hat aber nicht den betroffenen Bediensteten<br />

um eine dienstliche Äußerung zu dem Vorgang gebeten,<br />

um seinerseits darlegen zu können, welche plausiblen<br />

Gründe er dafür hat, dass am 12. Mai letzten Jahres ein Gespräch<br />

stattgefunden hat. Hier ist meiner Ansicht nach<br />

nicht alles ausgeschöpft worden, um den Tatbestand zu ermitteln.<br />

Auch da habe ich erhebliche Fragen, was die<br />

Glaubwürdigkeit angeht.<br />

Herr <strong>Landtag</strong>spräsident – ich darf Sie jetzt nicht als Präsidenten,<br />

sondern als denjenigen ansprechen, der die Vorermittlungen<br />

durchgeführt hat –, für mich ist das Interessanteste<br />

an Ihren Bemerkungen, in denen Sie zu dem Ergebnis<br />

„kein Disziplinarverfahren, aber eine Rüge“ kommen:<br />

Ihr tragender Grundsatz ist: Sie erheben keinen Zweifel,<br />

dass ein Gespräch nicht stattgefunden hat.<br />

Anders ausgedrückt: Hätte es aus Ihrer Sicht ein Gespräch<br />

gegeben, hätten Sie die Frage des Verschuldens und der<br />

Notwendigkeit, dies disziplinarrechtlich zu prüfen, anders<br />

gesehen. Deshalb halte ich es für ein Versäumnis, dass Sie<br />

dem betroffenen Bediensteten nicht die Möglichkeit eingeräumt<br />

haben, im Rahmen einer dienstlichen Äußerung seine<br />

Sicht der Dinge darzulegen und sie in das Verfahren<br />

einzubringen.<br />

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die<br />

Grünen)<br />

Die persönliche Glaubwürdigkeit wird auch nicht dadurch<br />

hergestellt, dass man sagt, man habe den Schaden wieder<br />

gutgemacht durch eine Sammlung innerhalb des Senats, in-<br />

dem man die überschießenden Beträge festgelegt hat. Meine<br />

Damen und Herren, dies kann doch kein Maßstab sein.<br />

Überlegen Sie sich einmal, was das für die öffentliche Verwaltung<br />

bedeutet, übrigens auch für die künftige Prüfung<br />

seitens des Rechnungshofs. Da lachen sich doch alle tot.<br />

Wir überschreiten, anschließend bezahlen wir dies, und die<br />

Sache ist erledigt. Wenn wir dies als Maßstab für die öffentliche<br />

Verwaltung nehmen, dann gute Nacht, öffentliche<br />

Verwaltung.<br />

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die<br />

Grünen)<br />

Der zweite Punkt: Ich meine auch, dass die Glaubwürdigkeit<br />

insbesondere des Rechnungshofpräsidenten gegenüber<br />

den zu prüfenden Behörden erheblich infrage gestellt ist.<br />

Wie wollen Sie künftig vor dem Hintergrund dieser konkreten<br />

Vorgänge, die wir besprechen, bei einer Behörde<br />

noch glaubwürdig Vorgänge prüfen, ohne ständig gewärtig<br />

sein zu müssen, entweder offen oder versteckt, mit Augenzwinkern<br />

oder auf welche Weise auch immer gesagt zu bekommen:<br />

„Was prüft ihr denn da so pingelig? Habt ihr vergessen,<br />

dass ihr vor kurzem doch im eigenen Bereich . . .?“<br />

Dies ist eine Einschränkung Ihrer künftigen Möglichkeiten.<br />

(Abg. Rapp REP: Sie machen es noch schlimmer!)<br />

Übrigens, weil da gerade ein Zwischenruf kommt: Ich wäre<br />

mir sicher, dass Sie, Herr Kollege Haasis, Konsequenzen<br />

im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Innenrevision eines<br />

großen Unternehmens des Landes gegenüber dem übrigen<br />

Teil Ihres Unternehmens ziehen würden.<br />

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die<br />

Grünen – Abg. Haasis CDU: Es ist ja gut, dass Sie<br />

mir ausnahmsweise einmal etwas zutrauen! – Abg.<br />

Birzele SPD: Herr Haasis wird gelobt und klatscht<br />

nicht! Und die CDU auch nicht!)<br />

– Da vertraue ich Ihnen voll. Da sind Sie Unternehmer und<br />

würden genau so handeln, wie wir es als <strong>Landtag</strong> meiner<br />

Ansicht nach auch tun müssten.<br />

Der dritte Punkt, und der ist für mich genauso gravierend:<br />

Sie haben insofern keine Glaubwürdigkeit mehr, als Sie<br />

dem Generalverdacht unterliegen, entweder zu pingelig zu<br />

prüfen, weil Sie ständig beweisen müssen, dass Sie jetzt<br />

trotz des Fehlers ganz scharf sind, oder zu großzügig zu<br />

prüfen, um sich sozusagen nicht dem Verdacht auszusetzen,<br />

gegenüber Betrieben oder Behörden zu kleinkariert zu<br />

sein. Dieser Generalverdacht kommt heute zum Beispiel in<br />

einem Artikel der „Stuttgarter Zeitung“ sehr deutlich zum<br />

Ausdruck. Die Frage ist nicht: Unterliegt dem Artikel der<br />

richtige Tatbestand? Die Frage ist vielmehr: Sie unterliegen<br />

– das zeigt dieser Artikel sehr deutlich – permanent<br />

dem Generalverdacht, zu großzügig zu sein oder zu sehr<br />

Rücksicht zu nehmen. Dies schadet der Prüfung und der<br />

Offenheit und Glaubwürdigkeit einer Prüfung in diesem<br />

Land.<br />

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die<br />

Grünen)


(Brechtken)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Lassen Sie mich zum letzten Punkt kommen. Ich glaube<br />

auch, die Glaubwürdigkeit nach innen ist nicht mehr gegeben.<br />

Als eines der Probleme neben diesen reinen Sachfragen,<br />

die wir erörtern, hat sich ergeben, dass innerhalb des<br />

Hauses offensichtlich erhebliche Führungsprobleme vorhanden<br />

sind. Da werden Dinge nach außen getragen. Da<br />

muss man gewärtigen, dass Dienstgeheimnisse nicht eingehalten<br />

werden. Da muss man gewärtigen, dass bestimmte<br />

Details aus Berichten hinausgehen. Dies alles hat etwas mit<br />

der Frage der inneren Führung zu tun. Und ein Chef, der<br />

durch sein Verhalten in dieser ganzen Frage so angeschlagen<br />

ist, kann nicht nach innen führen und kann deshalb<br />

keine glaubwürdige Führungspersönlichkeit für das eigene<br />

Haus sein.<br />

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die<br />

Grünen)<br />

Meine Damen und Herren, CDU und FDP/DVP haben in<br />

Ziffer 4 ihres Antrags Drucksache 12/5960 Folgendes geschrieben:<br />

der <strong>Landtag</strong> geht mit der Beschlussfassung zu den Ziffern<br />

1 bis 3 da<strong>von</strong> aus, dass die innere und äußere Autorität<br />

des Rechnungshofes alsbald wieder hergestellt<br />

wird.<br />

Meine Damen und Herren, dies ist der Versuch der Gesundbeterei.<br />

Die Glaubwürdigkeit wird nur dann wieder<br />

hergestellt, wenn beim Rechnungshof auch ein klarer personeller<br />

Neuanfang gemacht wird.<br />

(Lebhafter Beifall bei der SPD und beim Bündnis<br />

90/Die Grünen)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Frau Abg. Erdrich-<br />

Sommer.<br />

Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis 90/Die Grünen:<br />

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Beschlussfassung<br />

über die Entlastung hinsichtlich der Rechnung<br />

des Rechnungshofs steht jetzt zum dritten Mal auf der<br />

Tagesordnung des Plenums. Schon allein diese Tatsache<br />

wirft ein Licht auf die Bedeutung des Themas.<br />

Der <strong>Landtag</strong> hat sich mit einer sehr wichtigen Frage zu beschäftigen,<br />

nämlich mit der Glaubwürdigkeit und dem Ansehen<br />

einer Kontrollbehörde des Landes. Ich kann Ihnen<br />

versichern: Wenn Sie, wie ich, mit dem Zug fahren würden<br />

– der zu dem Zeitpunkt, an dem ich fahre, maßgeblich <strong>von</strong><br />

Landesbediensteten benutzt wird –, wüssten Sie, dass diese<br />

Angelegenheit bis in die kleinste Amtsstube hinein mit außerordentlicher<br />

Aufmerksamkeit verfolgt wird. Die Menschen<br />

möchten nämlich wissen, ob wir gegenüber dem<br />

Rechnungshof und seinem Präsidenten die gleichen harten<br />

Maßstäbe anlegen, wie sie der Rechnungshof als Kontrollbehörde<br />

bei den zu prüfenden Ämtern selbst anlegt.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der<br />

SPD)<br />

Um es gleich vorweg zu sagen: Für unsere Fraktion ist<br />

nach Prüfung aller Informationen eine Entlastung des<br />

Rechnungshofs und seines Präsidenten nicht angezeigt. Die<br />

Gründe dafür sind, dass der Rechnungshof durch diese<br />

Vorgänge massiv an Ansehen und Glaubwürdigkeit verloren<br />

hat. Es ist keine Frage <strong>von</strong> Schuld oder Unschuld. Die<br />

Frage ist: Wer trägt dafür die Verantwortung, und welche<br />

Konsequenzen muss der Verantwortliche tragen? Wir haben<br />

drei Gründe ausgemacht, warum der Präsident des<br />

Rechnungshofs als Chef dieser Behörde die Verantwortung<br />

für die Vorfälle zu übernehmen hat.<br />

Erstens: Vom Präsidenten des Rechnungshofs persönlich<br />

zu verantworten ist die Überschreitung der Betragsobergrenze,<br />

weil er auf interne Berichte nicht reagiert hat. Für<br />

mich spielt es dabei nur in zweiter Linie eine Rolle, ob das<br />

schriftlich oder auch noch im persönlichen Gespräch vorgebracht<br />

wird. Ich glaube, bei einer Kontrollinstanz müssten<br />

alle Alarmglocken läuten, wenn sich in Berichten der<br />

Hinweis findet, eine Verwaltungsrichtlinie werde bezüglich<br />

finanzieller Vorgaben nicht eingehalten. Jeder Schultes<br />

weiß, dass bei Ausgaben für Büromöbel aus Sicht der Bevölkerung<br />

der Spaß aufhört und dass hierbei auf die Einhaltung<br />

<strong>von</strong> Grenzen besonderer Wert gelegt wird. Ich<br />

kann nicht verstehen, dass der Rechnungshofpräsident das<br />

passieren ließ.<br />

Da hilft auch nicht der Hinweis auf hohe Arbeitsbelastung<br />

oder mangelnde Personalausstattung. Das liegt bei vielen<br />

anderen Behörden auch vor. Auch dort gibt es Stellenbegrenzungen<br />

und entsprechende Stellenbesetzungssperren<br />

oder mangelt es an Krankheitsvertretungen. Auch dort<br />

kann man nicht einfach sagen: „Aufgrund <strong>von</strong> Personalmangel<br />

oder Termindruck halten wir Verordnungen oder<br />

Richtlinien nicht ein.“ Meine Damen und Herren, Verordnungen<br />

sind trotz Termindruck einzuhalten, auch beim<br />

Rechnungshof.<br />

Zweiter Punkt: Als Behördenchef hat der Präsident des<br />

Rechnungshofs die Leitungsverantwortung für die Präsidialabteilung.<br />

Insofern hat er zu verantworten, dass Überschreitungen<br />

stattgefunden haben.<br />

Drittens: Es ist nicht der erste Fall, mit dem der Rechnungshof<br />

und sein Präsident in die Schlagzeilen geraten<br />

sind. Ich glaube, das darf man nicht unterschätzen. Ein<br />

Rechnungshofpräsident, der innerhalb <strong>von</strong> zwei Jahren<br />

dreimal in negativer Weise in die Schlagzeilen gerät,<br />

(Abg. Rapp REP: Mit so etwas wie eurem Wahlslogan<br />

ist er noch nicht in die Schlagzeilen gekommen!)<br />

kann gegenüber anderen Behörden kein entsprechendes<br />

Ansehen seiner Behörde mehr repräsentieren.<br />

Deshalb kann es nach unserer Überzeugung keine Entlastung<br />

geben, meine Damen und Herren. Deshalb müssen an<br />

der Spitze der Behörde Konsequenzen gezogen werden.<br />

Nur so kann das Ansehen des Rechnungshofs wieder hergestellt<br />

werden.<br />

Zur Rüge des <strong>Landtag</strong>spräsidenten, die formal richtig sein<br />

mag, kann ich nur sagen: Im Interesse des Rechnungshofs<br />

und seines Ansehens ist die personelle Konsequenz an der<br />

Spitze notwendig. Da reicht die Rüge, die der Präsident des<br />

<strong>Landtag</strong>s hier ausgesprochen hat, nicht aus.<br />

8045


(Marianne Erdrich-Sommer)<br />

8046<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Die Direktoren des Rechnungshofs, die den Betrag, der<br />

dem Landeshaushalt als Schaden entstanden ist, wieder zurückzahlen<br />

wollen, leisten quasi eine Wiedergutmachung.<br />

Ich halte das für eine höchst fragwürdige Vorgehensweise.<br />

Die Verstöße sind eingeräumt. Da kann man nicht quasi<br />

durch eine Ablasszahlung eine Wiedergutmachung erreichen.<br />

Das ist ein ganz schlechter Stil. Er kann so für die<br />

Landesverwaltung nicht gelten. Ablasshandel ist schon im<br />

Mittelalter abgeschafft worden. Ihn sollte man hier nicht<br />

wieder aufleben lassen.<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der<br />

SPD)<br />

Aber jenseits der Büromöbelaffäre hat sich gezeigt, dass<br />

das Rechnungshofgesetz Mängel aufweist. Es bedarf dringend<br />

einer Novellierung. Es wird eine der vornehmsten<br />

Aufgaben der nächsten Legislaturperiode sein, das Rechnungshofgesetz<br />

zu ändern und zu modernisieren.<br />

(Abg. Rapp REP: Ein Präsident <strong>von</strong> rot-grünen<br />

Gnaden!)<br />

– Das hat nichts mit einem Präsidenten <strong>von</strong> rot-grünen<br />

Gnaden zu tun, sondern wir haben gesehen, dass es wichtig<br />

ist, dass ein Rechnungshofpräsident mit einer Zweidrittelmehrheit<br />

eingesetzt wird, dass sich hier alle Fraktionen an<br />

der Installierung des Rechnungshofpräsidenten beteiligen<br />

und dass sie dann auch sehr genau darauf achten müssen,<br />

was er macht.<br />

(Abg. Dr. Schlierer REP: Nur ein 68er mit Revoluzzerkarriere!<br />

– Abg. Rapp REP: Es kommen nur<br />

geübte Steinewerfer dafür infrage!)<br />

Der Antrag, den wir dazu gestellt haben, ist erstaunlicherweise<br />

vom Finanzministerium lapidar mit „kein Reformbedarf“<br />

abgetan worden. Ich glaube, da ist Reformbedarf<br />

vorhanden, und den müssen wir bewältigen.<br />

Insgesamt kann ich sagen: Wir bitten Sie, im Hinblick auf<br />

das Ansehen des Rechnungshofs unserem Antrag zuzustimmen<br />

und keine Entlastung auszusprechen sowie den<br />

Präsidenten des Rechnungshofs zu bitten, seine Versetzung<br />

zu beantragen. Ich bitte auch darum, über unseren Antrag<br />

zusammen mit dem Antrag der SPD abstimmen zu lassen.<br />

Beide sind tatsächlich inshaltsgleich, nicht weil wir hier<br />

kungelten, sondern weil wir unabhängig <strong>von</strong>einander zum<br />

gleichen Ergebnis bezüglich des Sachverhalts gekommen<br />

sind.<br />

Ich danke Ihnen.<br />

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)<br />

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Abgeordneten<br />

der SPD)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kiel.<br />

(Abg. Deuschle REP: Wo ist denn Herr Pfister?)<br />

Abg. Kiel FDP/DVP: Herr Präsident, meine Damen und<br />

Herren! Es besteht kein Zweifel: Durch das Fehlverhalten<br />

des Rechnungshofs bei der Beschaffung <strong>von</strong> Büroausstattungen<br />

hat dessen Ansehen Schaden genommen.<br />

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)<br />

Was der <strong>Landtag</strong> unternehmen konnte, um die Vorgänge<br />

zu klären und zu bewerten, ist geschehen. Mit der Prüfung<br />

durch den Präsidenten des <strong>Landtag</strong>s, die immerhin zu einer<br />

Rüge für den Präsidenten des Rechnungshofs geführt hat<br />

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Das ist Ihnen genug?)<br />

– ich komme dazu –, und der Missbilligung des Fehlverhaltens,<br />

die der <strong>Landtag</strong> nachher beschließen wird, ist der<br />

Rahmen unserer rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft.<br />

Das Disziplinarverfahren ist mit der erteilten Rüge abgeschlossen.<br />

Wir halten es deshalb für falsch, darüber hinaus<br />

zusätzliche politische Willenserklärungen abzugeben, denen<br />

keinerlei rechtliche Wirkung zukommen kann.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Zuruf<br />

<strong>von</strong> der FDP/DVP: Das ist richtig! – Abg. Bebber<br />

SPD: Was geht mich die Moral an!)<br />

Würden wir es dennoch tun, würden wir das vorgesehene<br />

Verfahren, an das wir uns zu halten haben, desavouieren.<br />

(Abg. Brechtken SPD: Nein, überhaupt nicht! Ein<br />

Bediensteter kann etwas einsehen!)<br />

Der Präsident des <strong>Landtag</strong>s – er ist der Herr des Verfahrens,<br />

nicht wir – hat die Vorgänge untersucht, mit der ausgesprochenen<br />

Rüge angemessen gehandelt und das Fehlverhalten<br />

des Rechnungshofpräsidenten aktenkundig gemacht.<br />

Unabhängig da<strong>von</strong> bleibt die Beschädigung des Ansehens<br />

des Rechnungshofs und seiner inneren und äußeren Handlungsfähigkeit.<br />

Als einer der Ältesten dieses Hauses erlaube ich mir, noch<br />

ein persönliches Wort an Sie, sehr geehrter Herr Frank, zu<br />

richten. Sie haben es jetzt allein in der Hand, dafür zu sorgen,<br />

dass durch Ihr Verhalten und Ihr Handeln der Rechnungshof<br />

wieder die Achtung und den Respekt zurückgewinnt,<br />

die ihn bislang ausgezeichnet haben.<br />

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Was würden Sie an seiner<br />

Stelle tun?)<br />

Das ist vermutlich keine leichte Aufgabe, aber Sie müssen<br />

das erreichen. Denn sollte es Ihnen nicht gelingen – was<br />

ich ausdrücklich nicht hoffe –, dann sind Sie, sehr geehrter<br />

Herr Frank, als Präsident des Rechnungshofs nicht mehr zu<br />

halten.<br />

(Abg. Nagel SPD: Peinlich, peinlich!)<br />

Ich hoffe und ich wünsche es Ihnen, dass Sie die vor Ihnen<br />

liegende Aufgabe bewältigen, und zwar ordentlich bewältigen.<br />

In dieser Erwartung werden wir im Übrigen dem Präsidenten<br />

des Rechnungshofs entsprechend unserem Antrag auch<br />

Entlastung für das Haushaltsjahr 1998 erteilen. Damit wird<br />

zum Ausdruck gebracht, dass wir es sehr wohl einschätzen<br />

können, wie es der <strong>Landtag</strong>spräsident getan hat, wie hoch<br />

denn nun eigentlich das Verschulden ist und wie darauf zu<br />

reagieren ist.


(Kiel)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Ich muss Ihnen eines sagen, Frau Erdrich-Sommer – auf<br />

Ihren Einwurf möchte ich eingehen –: Hier wird nicht mit<br />

zweierlei Maß gemessen. Bei gleichem Verhalten anderer<br />

ist eine Rüge, die in die Personalakte kommt, bereits ein<br />

ganz wesentlicher Vermerk. Bei einem vergleichbaren Fall<br />

in einem anderen Amt – das kann ich Ihnen aus 35-jähriger<br />

Erfahrung sagen – wäre man nicht anders vorgegangen.<br />

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der<br />

CDU – Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis<br />

90/Die Grünen: Glaube ich nicht!)<br />

Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Rapp.<br />

Abg. Rapp REP: Herr Präsident, meine Damen und Herren!<br />

Ich glaube, bei allem, was war, und bei allen Missgeschicken,<br />

die beim Rechnungshof vorgekommen sind, sollte<br />

man am Ende doch die Verhältnismäßigkeit herstellen<br />

und sagen: 27 000 DM, die sich in diesen Jahren angesammelt<br />

haben, sind zwar viel Geld, aber sie entsprechen noch<br />

nicht einmal einem Promille des Jahreshaushalts dieser Behörde.<br />

Das muss man auch einmal sehen, wenn man ganz<br />

ehrlich ist.<br />

Es geht um Vorgänge, die dann, wenn sie bei anderen Behörden<br />

vorkommen würden, wegen der Höhe der Beträge<br />

noch nicht einmal in der Denkschrift des Rechnungshofs<br />

Niederschlag finden würden. Wir finden das nicht richtig.<br />

Aber vor vier oder sechs Wochen hat Herr Pfister im<br />

Wahlkampfgetöse gesagt: Jetzt wird aufgeräumt, jetzt wird<br />

für Ordnung gesorgt. Heute sorgt er überhaupt nicht für<br />

Ordnung, da fehlt er. Das ist wieder typisch FDP.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Wir sollten bedenken, dass die Anschaffungen, obwohl dafür<br />

zu viel ausgegeben wurde, im Besitz des Landes verblieben.<br />

Auch das ist wichtig. Es ging nicht irgendetwas<br />

raus, sondern das, was angeschafft wurde, ist im Landesbesitz.<br />

Jetzt sage ich Ihnen <strong>von</strong> der linken Seite dieses Hauses einmal<br />

eines:<br />

(Abg. Bebber SPD: Sie haben uns nichts zu sagen!)<br />

Nichts hat uns mehr gekostet als der Umweltminister in der<br />

letzten Legislaturperiode. Wenn Sie damals in der Politik<br />

genauso kleinlich agiert hätten, hätten Sie ihn nach vier<br />

Wochen schon wieder entlassen müssen.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Herr Brechtken, Sie spielen hier Detektiv, und das macht<br />

Ihnen auch noch Spaß. Sie sind auch bereit, eine ganze Behörde<br />

zu schädigen,<br />

(Lachen des Abg. Brechtken SPD – Abg. Bebber<br />

SPD: Jetzt schädige ich!)<br />

um einen Mann abstrafen zu können, <strong>von</strong> dem Sie glauben,<br />

dass er Ihnen im Weg steht. Aber Ihre Partei ist gerade die<br />

Partei, die Schwerverbrechern oder Kindermördern Hafturlaub<br />

erteilt. Und jemanden, der wirklich ein kleines Versehen<br />

begeht, den wollen Sie aus dem Dienst entfernen und<br />

versetzen. Das ist doch keine Politik. Das ist doch nicht<br />

ehrlich, was Sie hier betreiben.<br />

(Beifall bei den Republikanern – Zurufe <strong>von</strong> der<br />

SPD)<br />

Jetzt soll zum Schluss wieder ein Mann für alles verantwortlich<br />

sein.<br />

(Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis 90/Die<br />

Grünen: So ist es halt leider!)<br />

Wie können Sie eine Führungspersönlichkeit für Illoyalitäten<br />

in ihrem Hause verantwortlich machen?<br />

(Zuruf <strong>von</strong> der FDP/DVP: Das hat etwas mit Führungsstil<br />

zu tun!)<br />

Soll er alle rausschmeißen, damit nichts mehr passieren<br />

kann, oder was soll er machen, wenn einer darunter ist, der<br />

die gesetzten Maßstäbe einfach nicht achtet? Das ist eben<br />

eine sensible Aufgabe in diesem Hause.<br />

Frau Kollegin Erdrich-Sommer, wenn Sie hier schon so hohe<br />

Maßstäbe anlegen, dass der Präsident des Rechnungshofs<br />

aus den Schlagzeilen nicht mehr herauskommt, so sage<br />

ich Ihnen: Sie mit Ihrem eigenen Wahlslogan kommen<br />

aus den Schlagzeilen doch auch nicht mehr heraus. Stellen<br />

Sie doch auch hier einmal eine Verhältnismäßigkeit her.<br />

Was wollen Sie? Sie wollen, dass der Rechnungshofpräsident<br />

mit einer Zweidrittelmehrheit eingesetzt wird, Sie<br />

wollen den politischen Präsidenten des Landesrechnungshofs.<br />

Oder wollen Sie eine grüne Putztruppe nach Karlsruhe<br />

schicken?<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Was wollen Sie denn überhaupt? Bleiben Sie doch einmal<br />

auf dem Teppich.<br />

Dann muss ich noch eines sagen:<br />

(Abg. Bebber SPD: Normal ist das nicht!)<br />

Die Haushalte sind zwischen 1992 und 1998 zuerst durch<br />

die Hände <strong>von</strong> Herrn Geisel – wer ihn kennt, weiß, dass<br />

das ein ganz Genauer ist; ihm ist kein Pfennig durch die<br />

Lappen gegangen – und dann durch die Hände <strong>von</strong> Herrn<br />

Brechtken, der sich auch immer wieder auf seine große<br />

Regierungserfahrung beruft, gegangen. Beide haben dem<br />

<strong>Landtag</strong> immer vorgeschlagen, den Rechnungshof zu entlasten,<br />

weil dort die Arbeit sauber erledigt werde. Warum<br />

sind Sie denn nicht schon früher gekommen, wenn Sie heute<br />

so schlau sind? Ich muss Sie schon fragen: Warum sind<br />

Sie nicht früher gekommen, warum lassen Sie das hier anstauen<br />

und bringen kurz vor der Wahl den großen Schlager,<br />

indem Sie sagen: „Ja, wir sind die Putzgruppe, wir<br />

sind die Aufräumer“? Das ist absolut keine ehrliche Politik.<br />

Aber eines sollte man überdenken – und ich habe die Bitte<br />

an das Finanzministerium, die Verwaltungsvorschrift daraufhin<br />

einmal zu überprüfen –: Man sollte prüfen, ob man<br />

heute für 6 300 DM bzw. 5 700 DM, die angegeben sind,<br />

überhaupt noch ein funktionsfähiges Büro einrichten kann.<br />

(Abg. Seimetz CDU: Richtig!)<br />

8047


(Rapp)<br />

8048<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Das wäre zum Beispiel eine Aufgabe, die man noch in dieser<br />

Legislaturperiode erledigen könnte.<br />

Im Übrigen werden wir Ihr Spiel nicht mitmachen, werden<br />

wir die Anträge <strong>von</strong> links ablehnen.<br />

(Abg. Bebber SPD: Das schmerzt uns sehr!)<br />

Wir werden natürlich der Entlastung des Präsidenten des<br />

Rechnungshofs zustimmen.<br />

(Beifall bei den Republikanern)<br />

Präsident Straub: Meine Damen und Herren, es liegen<br />

keine Wortmeldungen mehr vor.<br />

Zur Geschäftsordnung, Herr Abg. Brechtken.<br />

Abg. Brechtken SPD: Herr Präsident, wir beantragen namentliche<br />

Abstimmung über Ziffer 2 unseres Antrags, und<br />

wir bitten beim Antrag der Fraktion der CDU und der<br />

Fraktion der FDP/DVP um getrennte Abstimmung über<br />

Ziffer 1.<br />

Präsident Straub: Dann lasse ich zunächst über Ziffer 1<br />

des Antrags der Fraktion der SPD, Drucksache 12/5962,<br />

und über Ziffer 1 des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die<br />

Grünen, Drucksache 12/5964, abstimmen. Wer diesen Ziffern<br />

zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen.<br />

– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Ziffern sind abgelehnt.<br />

Nachdem Einzelabstimmung beantragt wird, schlage ich<br />

vor, zuerst über Ziffer 3 des Antrags der Fraktion der CDU<br />

und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 12/5960, abzustimmen.<br />

Wer der Ziffer 3 zustimmt, den bitte ich um<br />

das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die<br />

Ziffer 3 des Antrags Drucksache 12/5960 ist mehrheitlich<br />

angenommen.<br />

Dann lasse ich abstimmen über Ziffer 2 des Antrags der<br />

Fraktion der SPD, Drucksache 12/5962, und über Ziffer 2<br />

des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache<br />

12/5964. Dazu ist namentliche Abstimmung beantragt.<br />

Ich gehe da<strong>von</strong> aus, dass der Antrag die entsprechende<br />

Unterstützung hat. –<br />

Das ist knapp der Fall.<br />

(Unruhe)<br />

Wir kommen zur namentlichen Abstimmung über diese<br />

Ziffern: den Präsidenten des Rechnungshofs aufzufordern,<br />

um seine Versetzung zu bitten. Wer diesem Antrag zustimmen<br />

möchte, der antworte mit Ja, wer dagegen ist, mit<br />

Nein. Wer sich der Stimme enthalten möchte, möge mit<br />

„Enthaltung“ antworten.<br />

Ich darf den Schriftführer bitten, den Namensaufruf vorzunehmen.<br />

Der Namensaufruf beginnt mit dem Buchstaben<br />

K.<br />

Ich möchte dringend darum bitten, im Saal Ruhe zu bewahren,<br />

weil sonst die Antworten nicht verstanden werden<br />

können.<br />

Bitte.<br />

(Namensaufruf)<br />

Ist noch jemand im Saal, der abzustimmen wünscht? – Das<br />

ist nicht der Fall. Dann bitte ich, das Ergebnis festzustellen.<br />

(Auszählen der Stimmen – Abg. Oettinger CDU:<br />

Herr Präsident, können wir in dieser Zeit über die<br />

restlichen Ziffern abstimmen?)<br />

– Meine Damen und Herren, wir könnten jetzt bereits die<br />

Abstimmung über die Ziffern 1, 2 und 4 des Antrags der<br />

Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache<br />

12/5960, vornehmen. Es ist gebeten worden, einzeln<br />

darüber abzustimmen.<br />

Ich lasse zunächst über Ziffer 1 des Antrags der Fraktion<br />

der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache<br />

12/5960, abstimmen. Wer Ziffer 1 dieses Antrags zustimmt,<br />

den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen?<br />

– Enthaltungen? – Diese Ziffer ist einstimmig<br />

angenommen.<br />

Ich lasse über Ziffer 2 dieses Antrags abstimmen. Wer Ziffer<br />

2 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. –<br />

(Abg. Dr. Schlierer REP zur SPD: Sie nehmen<br />

nicht zur Kenntnis?)<br />

Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Ziffer 2 des Antrags<br />

ist mit großer Mehrheit angenommen.<br />

Dann lasse ich über Ziffer 4 dieses Antrags abstimmen.<br />

Wer Ziffer 4 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.<br />

– Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Mit gleicher<br />

Mehrheit ist auch Ziffer 4 zugestimmt.<br />

Wir haben jetzt noch das Ergebnis der namentlichen Abstimmung<br />

abzuwarten.<br />

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen das Ergebnis der<br />

namentlichen Abstimmung bekannt geben:<br />

An der Abstimmung haben 132 Abgeordnete teilgenommen.<br />

Mit Ja haben 49 Abgeordnete gestimmt,<br />

mit Nein 83.<br />

Damit ist jeweils Ziffer 2 des Antrags der Fraktion der<br />

SPD, Drucksache 12/5962, und des Antrags der Fraktion<br />

Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 12/5964, abgelehnt.<br />

(Zuruf des Abg. Jacobi Bündnis 90/Die Grünen)<br />

Mit J a haben gestimmt:<br />

*<br />

Bebber, Birgitt Bender, Birzele, Braun, Brechtken, Carla Bregenzer,<br />

Capezzuto, Dr. Caroli, Drexler, Marianne Erdrich-Sommer, Fischer,<br />

Göschel, Heinz Goll, Rosa Grünstein, Stephanie Günther, Rudolf<br />

Hausmann, Ursula Haußmann, Heiler, Jacobi, Marianne Jäger, Junginger,<br />

Kielburger, Birgit Kipfer, Kretschmann, Maurer, Moser, Phillip<br />

Müller, Dr. Walter Müller, Nagel, Dr. Noll, Dr. Puchta, Redling,<br />

Reinelt, Christine Rudolf, Sabine Schlager, Nils Schmid, Schmiedel,


(Präsident Straub)<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Schöffler, Seltenreich, Helga Solinger, Staiger, Teßmer, Renate<br />

Thon, Vogt, Weimer, Wintruff, Dr. Witzel, Marianne Wonnay, Zeller.<br />

Mit N ein haben gestimmt:<br />

Behringer, Hans-Michael Bender, Heiderose Berroth, Dr. Birk, Ingrid<br />

Blank, Bloemecke, Dagenbach, Deuschle, Döpper, Drautz, Eigenthaler,<br />

Beate Fauser, Fleischer, Dr. Glück, Göbel, Dr. Inge Gräßle,<br />

Haas, Haasis, Hauk, Hauser, Hehn, Heinz, Herbricht, Herrmann,<br />

Hofer, Huchler, Käs, Keitel, Kiefl, Kiel, Kiesswetter, Kleinmann,<br />

Kluck, Dr. Klunzinger, Köberle, König, Krisch, Ursula Kuri, Kurz,<br />

Ursula Lazarus, Johanna Lichy, List, Mappus, Mayer-Vorfelder,<br />

Mühlbeyer, Ulrich Müller, Oettinger, Ommeln, Pfisterer, Rapp, Rau,<br />

Schluss: 18:44 Uhr<br />

Reddemann, Dr. Repnik, Ruder, Rückert, Dr. Schäuble, Gerd Scheffold,<br />

Dr. Stefan Scheffold, Scheuermann, Dr. Schlierer, Roland<br />

Schmid, Schonath, Lieselotte Schweikert, Rosely Schweizer, Seimetz,<br />

Sieber, Stächele, Dr. Eva Stanienda, Dr. Steim, Straub, Teufel,<br />

Tölg, Traub, <strong>von</strong> Trotha, Veigel, Dr. Vetter, Wabro, Wacker, Wieser,<br />

Wilhelm, Winckler, Zeiher, Zimmermann.<br />

Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung.<br />

*<br />

Die nächste Sitzung findet morgen, 1. Februar, um 9:30<br />

Uhr statt.<br />

Ich schließe die Sitzung und danke Ihnen.<br />

8049


8050<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

1. Überhang und Neuzugänge Anzahl v. H.<br />

a) Überhang aus der 11. Wahlperiode 1 452<br />

b) Neuzugänge in der 12. Wahlperiode 7 991<br />

Gesamtzahl 9 443<br />

2. Art der Erledigung<br />

Anlage<br />

zum mündlichen Bericht des Petitionsausschusses<br />

nach § 69 der Geschäftsordnung<br />

a) positiv (Petition wird für erledigt erklärt) 1 465 15,52<br />

b) negativ (Petition kann nicht abgeholfen werden) 5 429 57,49<br />

c) Weitergabe an Regierung oder Behörden 161 1,70<br />

d) Weitergabe an den Bundestag 241 2,55<br />

e) Weitergabe an zuständigen <strong>Landtag</strong> 79 0,84<br />

f) Zurückweisung wegen Wiederholung 225 2,38<br />

g) Zurückweisung wegen privater Angelegenheit 99 1,05<br />

h) Zurückweisung wegen rechtswidrigem Eingriff in die Gerichtsbarkeit 191 2,02<br />

i) Zurückweisung wegen beleidigenden Inhalts, ohne Substanz 31 0,33<br />

k) Zurückweisung wegen strafbarer Handlung des Einsenders 1 0,01<br />

l) Verweisung auf den Rechtsweg 17 0,18<br />

m) Abgabe an Fachausschuss 14 0,15<br />

n) Andere Art (Zurücknahme) 430 4,55<br />

o) Auskunftsersuchen 337 3,57<br />

3. Empfehlung an die Regierung<br />

– Allgemeine Statistik<br />

– Regionale Verteilung<br />

Statistische Auswertung der Petitionen, Berichtszeitraum: 1. Juni 1996 bis 22. Januar 2001<br />

(Stand: 22. Januar 2001)<br />

a) Zur Kenntnisnahme 0 0,00<br />

b) Als Material 11 0,12<br />

c) Zur Erwägung 0 0,00<br />

d) Zur Berücksichtigung 23 0,24<br />

e) Zur Veranlassung 2 0,02<br />

Zahl der Erledigungen 8 756 92,72<br />

noch offene Entscheidungen 687 7,28<br />

Gesamtzahl 9 443<br />

Anlage


<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Petitionen nach Sachgebieten<br />

(Stand: 22. Januar 2001)<br />

gesamt erledigt da<strong>von</strong> positiv<br />

1. Ausländerrecht 2 296 2 064 344<br />

2. Bausachen 509 447 63<br />

3. Strafvollzug 359 339 34<br />

4. Sozialversicherung 339 309 51<br />

5. Steuersachen 290 253 47<br />

6. Sozialhilfe 239 225 61<br />

7. Lehrer 230 220 33<br />

8. Gnadensachen 198 184 31<br />

9. Rechtswidriger Eingriff in Gerichtsbarkeit 186 186 0<br />

10. Kommunale Angelegenheiten 173 165 20<br />

11. Öffentlicher Dienst 173 165 18<br />

12. Bundesrecht 163 163 0<br />

13. Verkehrswesen 161 148 23<br />

14. Gesundheitswesen 160 151 16<br />

15. Staatsanwaltschaften 155 148 6<br />

16. Richter 140 133 12<br />

17. Öffentliche Sicherheit und Ordnung 124 117 16<br />

18. Private Angelegenheiten 119 119 0<br />

19. Sonstiges 119 117 0<br />

20. Hochschulangelegenheiten 108 99 23<br />

21. Besoldung/Tarifrecht 107 94 16<br />

22. Schulwesen 93 86 23<br />

23. Staatsangehörigkeit/Personenstandswesen 90 87 23<br />

24. Eingliederung/Lastenausgl./Vertr.-Angel. 89 86 19<br />

25. Beschwerden über Behörden 88 85 6<br />

26. Behinderte 83 81 20<br />

27. Wohnungs- und Siedlungswesen 75 67 13<br />

28. Jugendschutz 72 55 5<br />

29. Versorgung nach dem BVG 67 62 10<br />

30. Führerscheinsachen 63 60 11<br />

31. Erschließungskosten, Gebühren 55 50 3<br />

32. Gewässerschutz 54 45 10<br />

33. Freiwillige Gerichtsbarkeit 52 49 5<br />

34. Vermessungswesen 45 42 1<br />

35. Immissionsschutz 43 36 9<br />

36. Mittelstand, Handwerk, Industrie 42 39 9<br />

37. Straßenbau 38 37 6<br />

38. Abfallentsorgung 38 35 6<br />

39. Medienrecht, Rundfunkwesen 36 30 4<br />

40. Natur- u. Landschaftspflege 35 26 9<br />

41. Datenschutz, Wahlen, Meldewesen 34 33 7<br />

42. Familienangelegenheiten 29 25 9<br />

43. Ausbildungsförderung 31 28 5<br />

8051


8052<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Petitionen nach Sachgebieten<br />

(Stand: 22. Januar 2001)<br />

gesamt erledigt da<strong>von</strong> positiv<br />

44. Versorgung nach LBG 28 26 3<br />

45. Staatliche Liegenschaften 28 27 4<br />

46. Katastrophenschutz/Feuerwehr 26 22 3<br />

47. Denkmalschutz/Denkmalpflege 25 24 9<br />

48. Landwirtschaft 22 22 3<br />

49. Rechtsanwalts- und Notarkammern 22 22 0<br />

50. Eingaben ohne konkretes Anliegen 22 22 0<br />

51. Schülerbeförderung 17 15 2<br />

52. Kirchen 16 15 2<br />

53. Vieh- und Fleischwirtschaft 15 11 4<br />

54. Schadensersatzanspr. gegen das Land 14 13 1<br />

55. Energie 13 13 1<br />

56. Beamtenrecht 12 11 0<br />

57. Artenschutz, Biotope 12 12 2<br />

58. Forsten 12 11 5<br />

59. Arbeitsmarkt/Arbeitsschutz 11 11 0<br />

60. Ländlicher Raum 10 10 5<br />

61. Flurbereinigung 9 8 6<br />

62. Angelegenheiten des Staatsministeriums 8 7 1<br />

63. Verbraucherfragen 7 7 0<br />

64. Verwaltungsreform 7 7 1<br />

65. Kunst 7 6 1<br />

66. Wiedergutmachung BEG 6 6 0<br />

67. Fremdenverkehr 6 6 1<br />

68. Umweltschutz 5 5 1<br />

69. Gesetzesänderungen, Verfassungsrecht 5 5 0<br />

70. Allgemeine Finanzpolitik 5 4 3<br />

71. Ernährung 4 4 0<br />

72. Statistische Erhebungen 4 3 0<br />

73. Kernkraftwerke 4 3 0<br />

74. Lebensmittelüberwachung 2 2 0<br />

75. Verfahrensverzögerungen bei Behörden 2 2 1<br />

76. Staatliche Hochbauten 2 2 1<br />

77. Jugendpflege 1 1 0<br />

78. Weiterbildung 1 0 0<br />

79. Sport 1 1 0<br />

Gesamt 7 991 7 356 1 087


<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Petitionen nach Herkunftsländern<br />

(Stand: 22. Januar 2001)<br />

gesamt erledigt da<strong>von</strong> positiv<br />

1. Bosnien-Herzegowina 633 585 92<br />

2. Bundesrepublik Jugoslawien 481 417 66<br />

3. Kurden, Syr.-orth. Christen 233 213 29<br />

4. Türkei 132 124 22<br />

5. Ehem. Sowjetunion 103 93 16<br />

6. Kroatien 78 75 10<br />

7. Sonstige (Staatenlose etc.) 73 54 1<br />

8. Afrika-Nord 60 50 14<br />

9. Rumänien 55 50 15<br />

10. Libanon 43 41 6<br />

11. Iran 33 27 9<br />

12. Afrika-West 30 25 3<br />

13. Vietnam 26 23 6<br />

14. Europäische Union 25 21 2<br />

15. Albanien 24 22 3<br />

16. Syrien 19 16 4<br />

17. Polen 19 18 3<br />

18. Afrika-Süd 19 15 6<br />

19. Pakistan 19 16 4<br />

20. Amerika-Süd 16 16 1<br />

21. Bulgarien 16 16 6<br />

22. Äthiopien 16 13 3<br />

23. Zaire 15 14 0<br />

24. Sri Lanka 15 15 2<br />

25. Ungarn 14 14 1<br />

26. Bangladesch 13 13 1<br />

27. Afrika-Ost 13 12 0<br />

28. Thailand 12 10 6<br />

29. Slowenien 10 10 2<br />

30. Nigeria 8 7 3<br />

31. Irak 6 6 3<br />

32. Tschechien 6 5 0<br />

33. China 5 4 2<br />

34. Ägypten 5 5 0<br />

35. Slowakei 4 4 0<br />

36. Asien-Ost 3 3 0<br />

37. Jordanien 3 3 3<br />

38. Israel 3 3 0<br />

39. Indien 3 3 0<br />

40. Philippinen 3 1 0<br />

41. Afghanistan 2 1 0<br />

Insgesamt 2 296 2 064 344<br />

8053


8054<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Überblick über die Sitzungen des Petitionsausschusses in der 12. Wahlperiode<br />

Stand: 22. Januar 2001<br />

(im Vergleich mit der 11. und 10. Wahlperiode)<br />

12. Wahlperiode 11. Wahlperiode 10. Wahlperiode<br />

1996 - 2001 1992 - 1996 1988 - 1992<br />

Sitzungen des Petitionsausschusses 41 34 42<br />

Sitzungen <strong>von</strong> Unterkommissionen (Ortstermine) 117 105 110<br />

Anhörungen <strong>von</strong> Regierungsvertretern 741 656 1 176<br />

da<strong>von</strong>: ausländerrechtliche Fälle 294 188 645<br />

Zahl der zu behandelnden Petitionen<br />

in den zurückliegenden Legislaturperioden<br />

Überhang aus Neuzugänge<br />

früheren WP<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Württemberg</strong>-<strong>Baden</strong> 522<br />

Verfassunggebende Landesversammlung (25. März 1952 bis 18. November 1953) 825<br />

1. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (19. Nov. 1953 bis 31. März 1956) 925<br />

2. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. April 1956 bis 31. März 1960) 2 457<br />

3. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. April 1960 bis 31. März 1964) 233 2 717<br />

4. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. April 1964 bis 31. März 1968) 370 2 730<br />

5. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. April 1968 bis 31. März 1972) 222 4 688<br />

6. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. April 1972 bis 31. März 1976) 373 6 183<br />

7. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. April 1976 bis 31. Mai 1980) 782 10 504<br />

8. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. Juni 1980 bis 31. Mai 1984) 1 906 9 313<br />

9. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. Juni 1984 bis 31. Mai 1988) 1 493 8 978<br />

10. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. Juni 1988 bis 31. Mai 1992) 1 495 8 866<br />

11. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. Juni 1992 bis 31. Mai 1996) 1 769 7 878<br />

12. <strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> (1. Juni 1996 bis 22. Januar 2001) 1 452 7 991


<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Regionale Verteilung der Petitionen<br />

(Stand: 22. Januar 2001)<br />

Regionale Einheit Anzahl Prozent<br />

Reg. Bez. Stuttgart 2 845 40,35<br />

Reg. Bez. Karlsruhe 1 771 25,12<br />

Reg. Bez. Freiburg 1 327 18,82<br />

Reg. Bez. Tübingen 1 107 15,70<br />

Stadtkreis Stuttgart 667 9,46<br />

Kreis Böblingen 239 3,39<br />

Kreis Esslingen 343 4,87<br />

Kreis Göppingen 147 2,09<br />

Kreis Ludwigsburg 357 5,06<br />

Rems-Murr-Kreis 259 3,67<br />

Stadtkreis Heilbronn 89 1,26<br />

Landkreis Heilbronn 180 2,55<br />

Hohenlohekreis 71 1,01<br />

Kreis Schwäbisch Hall 153 2,17<br />

Main-Tauber-Kreis 100 1,42<br />

Kreis Heidenheim 64 0,91<br />

Ostalbkreis 176 2,50<br />

Stadtkreis <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> 36 0,51<br />

Stadtkreis Karlsruhe 185 2,62<br />

Landkreis Karlsruhe 276 3,91<br />

Kreis Rastatt 130 1,84<br />

Stadtkreis Heidelberg 99 1,40<br />

Stadtkreis Mannheim 182 2,58<br />

Neckar-Odenwald-Kreis 98 1,39<br />

Rhein-Neckar-Kreis 338 4,79<br />

Stadtkreis Pforzheim 88 1,25<br />

Kreis Calw 112 1,57<br />

Enzkreis 157 2,23<br />

Kreis Freudenstadt 72 1,02<br />

Stadtkreis Freiburg i. Br. 217 3,08<br />

Kreis Breisgau-Hochschwarzwald 146 2,07<br />

Kreis Emmendingen 51 0,72<br />

Ortenaukreis 254 3,60<br />

Kreis Rottweil 66 0,94<br />

Schwarzwald-Baar-Kreis 114 1,62<br />

Kreis Tuttlingen 113 1,60<br />

Kreis Konstanz 169 2,40<br />

Kreis Lörrach 93 1,32<br />

Kreis Waldshut 104 1,48<br />

Kreis Reutlingen 155 2,20<br />

Kreis Tübingen 168 2,38<br />

8055


8056<br />

<strong>Landtag</strong> <strong>von</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong> – 12. Wahlperiode – 102. Sitzung – Mittwoch, 31. Januar 2001<br />

Regionale Verteilung der Petitionen<br />

(Stand: 22. Januar 2001)<br />

Regionale Einheit Anzahl Prozent<br />

Zollernalbkreis 132 1,87<br />

Stadtkreis Ulm 68 0,96<br />

Alb-Donau-Kreis 85 1,21<br />

Kreis Biberach 86 1,22<br />

Bodenseekreis 172 2,44<br />

Kreis Ravensburg 169 2,40<br />

Kreis Sigmaringen 72 1,02<br />

Nicht regional zugeordnet wurden weitere 546 Petitionen aus Vollzugsanstalten.<br />

Außerdem wurden 395 Petitionen aus anderen Bundesländern eingereicht.

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