Dr. Georg Schreiber 2010 Medien- preis
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Herr Kusitzky, wie klingt Berlin?<br />
Vor allem nach Verkehr. Es gibt viele<br />
breite Straßen, gesäumt von hohen<br />
Häusern, die den Schall reflektieren.<br />
Aber natürlich hat Berlin auch angenehm<br />
klingende Orte. Ich mag zum<br />
Beispiel den Prager Platz in Wilmersdorf<br />
sehr gerne.<br />
WIE EINSAM KLINGT<br />
DIESER ORT?<br />
DIE PERFEKTE STADT MUSS<br />
SICH AUCH GUT ANHÖREN.<br />
DER KLANGFORSCHER<br />
THOMAS KUSITZKY SUCHT<br />
DEN RICHTIGEN SOUND<br />
INTERVIEW CHRISTIN GOTTLER<br />
Wie hört sich dieser Platz an?<br />
In meinen Ohren urban. Im Sommer<br />
halten sich dort viele Menschen auf,<br />
deren Stimmen sich mit den Straßengeräuschen<br />
mischen. Es klingt städtisch<br />
lebendig.<br />
Sie arbeiten an der Universität und<br />
müssen Ihre Ergebnisse belegen.<br />
Unser Messgerät ist das Ohr. Wir<br />
stellen uns an den jeweiligen Untersuchungsort<br />
und notieren das Gehörte<br />
in einem Protokoll. Wir zählen beispielsweise<br />
auf, welche Klänge wir<br />
hören und bewerten deren Vielfältigkeit.<br />
Danach erfassen wir in einem<br />
zweiten Schritt, wie einsam, beengt<br />
oder geborgen sich dieser Ort anhört.<br />
Das klingt sehr subjektiv.<br />
Wir gehen eben vom Hören aus, nicht<br />
vom Schall. Ein Platz kann für Menschen<br />
in ähnlichen Situationen sehr unterschiedlich<br />
klingen. Wir nehmen den<br />
Klang ja nicht eindimensional wahr.<br />
Wir haben Erwartungen an einen Ort,<br />
sehen und riechen gleichzeitig, haben<br />
Hunger oder sind wütend. Das alles<br />
beeinflusst das Hören. Bisher gab es<br />
keine Worte für so ein umfassendes<br />
Konzept vom Hören. Deshalb haben<br />
wir eigene Begriffe definiert. Klangumwelt<br />
ist zum Beispiel einer davon.<br />
Woran arbeiten Sie gerade?<br />
Berlins Westteil soll aufgewertet<br />
werden, dazu gehört der Ernst-Reuter-<br />
Platz. Es geht darum, ihn lebenswerter<br />
zu machen – durch eine Umgestaltung<br />
des Klanges.<br />
Der Platz wurde in den Fünfzigerjahren<br />
gebaut. Wie sieht er aus?<br />
Es gibt eine große Mittelinsel mit<br />
U-Bahn-Zugang, um die ein vierspuriger<br />
Kreisverkehr führt, und einen<br />
sehr breiten Bürgersteig. Die Technische<br />
Universität und die Universität<br />
der Künste liegen in unmittelbarer Nähe.<br />
Die Passanten haben das Gefühl, sie<br />
überqueren eine stark befahrene Landstraße,<br />
obwohl sie mitten in der Stadt<br />
sind. Visueller und auditiver Eindruck<br />
stimmen nicht überein, der Platz wird oft<br />
als Hindernis wahrgenommen.<br />
Und das liegt nicht daran, dass der<br />
Verkehr so laut ist?<br />
In Paris sind an den befahrensten<br />
Straßenkreuzungen die schönsten<br />
Cafés, und niemand stört sich am<br />
Autolärm. Dort sitzen Menschen, die<br />
miteinander reden und ganz entspannt<br />
ihren Kaffee trinken. Die Geräusche<br />
vermischen sich, es klingt lebendig.<br />
Wir nehmen an, dass diese Lebendigkeit<br />
am Ernst-Reuter-Platz fehlt.<br />
Was schlagen Sie vor?<br />
Cafés sind eine naheliegende Möglichkeit.<br />
Ein weiterer Ansatz wäre, die<br />
Mittelinsel leichter zugänglich zu machen,<br />
damit sich dort mehr Menschen<br />
aufhalten. Momentan ist sie nur über<br />
die U-Bahn-Station zu erreichen.<br />
Wäre auch Musik oder Vogelgezwitscher<br />
vom Band ein Mittel?<br />
Eher nicht. Vögel vom Band wirken<br />
so lebendig wie eine Fototapete. Das<br />
ist nicht im Sinn der Auditiven Architektur.<br />
Wir begreifen uns als eine gestaltende<br />
Disziplin und wollen nicht<br />
vorhandene Situationen übernehmen.<br />
Auditive Architektur heißt, nicht nur<br />
auf etwas zu reagieren, sondern Klänge<br />
und damit Räume mitzugestalten.<br />
Das heißt, Sie komponieren den<br />
Sound einer Stadt?<br />
Musik besitzt meistens Aufführungscharakter<br />
– zumindest, wenn sie live<br />
ist. Wir wollen aber erreichen, dass<br />
Menschen nicht aktiv zuhören müssen,<br />
sondern sich einfach nur wohlfühlen,<br />
wenn sie den Klang der Stadt<br />
wahrnehmen.<br />
Thomas Kusitzky ist Mitbegründer der<br />
Forschungsstelle Auditive Architektur<br />
an der Universität der Künste Berlin<br />
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