09.11.2012 Aufrufe

Dr. Georg Schreiber 2010 Medien- preis

Dr. Georg Schreiber 2010 Medien- preis

Dr. Georg Schreiber 2010 Medien- preis

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Herr Kusitzky, wie klingt Berlin?<br />

Vor allem nach Verkehr. Es gibt viele<br />

breite Straßen, gesäumt von hohen<br />

Häusern, die den Schall reflektieren.<br />

Aber natürlich hat Berlin auch angenehm<br />

klingende Orte. Ich mag zum<br />

Beispiel den Prager Platz in Wilmersdorf<br />

sehr gerne.<br />

WIE EINSAM KLINGT<br />

DIESER ORT?<br />

DIE PERFEKTE STADT MUSS<br />

SICH AUCH GUT ANHÖREN.<br />

DER KLANGFORSCHER<br />

THOMAS KUSITZKY SUCHT<br />

DEN RICHTIGEN SOUND<br />

INTERVIEW CHRISTIN GOTTLER<br />

Wie hört sich dieser Platz an?<br />

In meinen Ohren urban. Im Sommer<br />

halten sich dort viele Menschen auf,<br />

deren Stimmen sich mit den Straßengeräuschen<br />

mischen. Es klingt städtisch<br />

lebendig.<br />

Sie arbeiten an der Universität und<br />

müssen Ihre Ergebnisse belegen.<br />

Unser Messgerät ist das Ohr. Wir<br />

stellen uns an den jeweiligen Untersuchungsort<br />

und notieren das Gehörte<br />

in einem Protokoll. Wir zählen beispielsweise<br />

auf, welche Klänge wir<br />

hören und bewerten deren Vielfältigkeit.<br />

Danach erfassen wir in einem<br />

zweiten Schritt, wie einsam, beengt<br />

oder geborgen sich dieser Ort anhört.<br />

Das klingt sehr subjektiv.<br />

Wir gehen eben vom Hören aus, nicht<br />

vom Schall. Ein Platz kann für Menschen<br />

in ähnlichen Situationen sehr unterschiedlich<br />

klingen. Wir nehmen den<br />

Klang ja nicht eindimensional wahr.<br />

Wir haben Erwartungen an einen Ort,<br />

sehen und riechen gleichzeitig, haben<br />

Hunger oder sind wütend. Das alles<br />

beeinflusst das Hören. Bisher gab es<br />

keine Worte für so ein umfassendes<br />

Konzept vom Hören. Deshalb haben<br />

wir eigene Begriffe definiert. Klangumwelt<br />

ist zum Beispiel einer davon.<br />

Woran arbeiten Sie gerade?<br />

Berlins Westteil soll aufgewertet<br />

werden, dazu gehört der Ernst-Reuter-<br />

Platz. Es geht darum, ihn lebenswerter<br />

zu machen – durch eine Umgestaltung<br />

des Klanges.<br />

Der Platz wurde in den Fünfzigerjahren<br />

gebaut. Wie sieht er aus?<br />

Es gibt eine große Mittelinsel mit<br />

U-Bahn-Zugang, um die ein vierspuriger<br />

Kreisverkehr führt, und einen<br />

sehr breiten Bürgersteig. Die Technische<br />

Universität und die Universität<br />

der Künste liegen in unmittelbarer Nähe.<br />

Die Passanten haben das Gefühl, sie<br />

überqueren eine stark befahrene Landstraße,<br />

obwohl sie mitten in der Stadt<br />

sind. Visueller und auditiver Eindruck<br />

stimmen nicht überein, der Platz wird oft<br />

als Hindernis wahrgenommen.<br />

Und das liegt nicht daran, dass der<br />

Verkehr so laut ist?<br />

In Paris sind an den befahrensten<br />

Straßenkreuzungen die schönsten<br />

Cafés, und niemand stört sich am<br />

Autolärm. Dort sitzen Menschen, die<br />

miteinander reden und ganz entspannt<br />

ihren Kaffee trinken. Die Geräusche<br />

vermischen sich, es klingt lebendig.<br />

Wir nehmen an, dass diese Lebendigkeit<br />

am Ernst-Reuter-Platz fehlt.<br />

Was schlagen Sie vor?<br />

Cafés sind eine naheliegende Möglichkeit.<br />

Ein weiterer Ansatz wäre, die<br />

Mittelinsel leichter zugänglich zu machen,<br />

damit sich dort mehr Menschen<br />

aufhalten. Momentan ist sie nur über<br />

die U-Bahn-Station zu erreichen.<br />

Wäre auch Musik oder Vogelgezwitscher<br />

vom Band ein Mittel?<br />

Eher nicht. Vögel vom Band wirken<br />

so lebendig wie eine Fototapete. Das<br />

ist nicht im Sinn der Auditiven Architektur.<br />

Wir begreifen uns als eine gestaltende<br />

Disziplin und wollen nicht<br />

vorhandene Situationen übernehmen.<br />

Auditive Architektur heißt, nicht nur<br />

auf etwas zu reagieren, sondern Klänge<br />

und damit Räume mitzugestalten.<br />

Das heißt, Sie komponieren den<br />

Sound einer Stadt?<br />

Musik besitzt meistens Aufführungscharakter<br />

– zumindest, wenn sie live<br />

ist. Wir wollen aber erreichen, dass<br />

Menschen nicht aktiv zuhören müssen,<br />

sondern sich einfach nur wohlfühlen,<br />

wenn sie den Klang der Stadt<br />

wahrnehmen.<br />

Thomas Kusitzky ist Mitbegründer der<br />

Forschungsstelle Auditive Architektur<br />

an der Universität der Künste Berlin<br />

19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!