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Dr. Georg Schreiber 2010 Medien- preis

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LEBEN<br />

IN DER BOX<br />

„Meiner ist viel stabiler“, sagt Andreas<br />

Walbrunn. „Aber nicht so schick wie<br />

meiner“, entgegnet seine Freundin<br />

Doris Bülles. Die Münchner wollen<br />

zusammen ziehen. Aus zwei Haushalten<br />

wird einer, da hat nicht alles Platz.<br />

Vieles gibt es doppelt – die beiden<br />

Kleiderschränke etwa, von denen sie<br />

sich nicht trennen können. Seinen<br />

Couchtisch haben sie schon zum Sperrmüll<br />

gebracht, ihren Ikea-Sessel auch.<br />

Aber die Schlafzimmermöbel wollen<br />

sie nicht wegwerfen, Kühlschrank<br />

und Waschmaschine auch nicht. Wer<br />

weiß, wie das klappt mit der gemeinsamen<br />

Wohnung. Bei MyPlace in<br />

München-Giesing mietet sich das<br />

Paar nun ein drei Quadratmeter großes<br />

Lagerabteil. Die Lösung: Ihr Spiegelschrank<br />

kommt in die Wohnung,<br />

sein Eichenschrank ins Lager.<br />

Ein großes Gebäude, und darin<br />

lange Gänge mit bis zu Tausend Türen:<br />

Früher war das ein düsteres Szenario<br />

für Science-Fiction-Filme. Heute ist es<br />

die Lösung für die Probleme, die eine<br />

rastlose Gesellschaft aufwirft: Selfstorage.<br />

Hinter jeder Tür versteckt<br />

sich ein Lager, das bis zu 50 Quadratmeter<br />

groß ist.<br />

Gründe, so eine Lagerbox zu mieten,<br />

gibt es viele. Paare ziehen zusammen,<br />

trennen sich. Das neue Haus ist noch<br />

nicht fertig zum Umzug. Heute muss<br />

man mobil sein, geht für die Firma nach<br />

Singapur, legt ein Auslandssemester<br />

ein. Und wechselt ständig die Wohnung.<br />

Die Menschen haben mehr Freizeit,<br />

Surfbretter, Skier und Motorräder.<br />

Laut einer Emnid-Umfrage hat jeder<br />

vierte Haushalt zu wenig Stauraum.<br />

Die schönen Sachen wegwerfen? Auf<br />

keinen Fall. Selfstorage ist ein Symptom<br />

TEXT MANUELA ANTOSCH FOTO THOMAS KLINGER<br />

WEGGEPACKT UND ABGESTELLT:<br />

SELFSTORAGE IST DIE LÖSUNG FÜR<br />

DIE MOBILE GESELLSCHAFT<br />

unseres modernen Lebensstils. Wir<br />

sind flexibler, binden uns nicht mehr<br />

an eine Wohnung, an eine Stadt.<br />

Nichts ist endgültig; deshalb packen<br />

wir Teile unseres Lebens auf Standby<br />

in den Container.<br />

Luigi Tortora ist Italiener und kocht<br />

leidenschaftlich gerne. Die wichtigste<br />

Zutat: Olivenöl extra vergine – „sonst<br />

kann man das Kochen vergessen“.<br />

Aber seine Wohnung ist zu klein, er<br />

hat keinen Keller. Deshalb lagern zehn<br />

Kartons mit Öl und zehn mit italienischem<br />

Rotwein in seinem Abteil<br />

Nummer 1156. Das muss reichen, bis<br />

er wieder in die Heimat fährt.<br />

1970 eröffnete der Unternehmer<br />

Chuck Barbo in den USA das erste<br />

Selbstlagerzentrum. Heute sind es dort<br />

mehr als 37 000. Nach Deutschland<br />

kam die Idee erst um die Jahrtausendwende,<br />

mittlerweile gibt es 59 Anlagen.<br />

„Damit ist der Bedarf aber noch lange<br />

WIR BINDEN UNS NICHT<br />

MEHR AN EINE WOHNUNG,<br />

AN EINE STADT<br />

nicht gedeckt“, sagt Martin Brunkhorst,<br />

Geschäftsführer des Marktführers<br />

MyPlace und Sprecher des deutschen<br />

Selfstorage-Verbands. Der Jahresumsatz<br />

der deutschen Branche liege im<br />

dreistelligen Millionenbereich. In den<br />

Jahren 2008 und 2009 sei der Markt um<br />

jeweils 30 bis 40 Prozent gewachsen.<br />

„Deutschland ist der internationalen<br />

Entwicklung noch sehr hinterher“,<br />

sagt er. Auch in den kommenden<br />

Jahren werde die Branche bis zu 25<br />

Prozent wachsen. In München ist die<br />

kleinste Lagerbox 1,25 Quadratmeter<br />

groß und drei Meter hoch. 16 Umzugskartons<br />

haben darin Platz. Für vier<br />

Wochen kostet die Miete 48 Euro.<br />

Als Faustregel gilt: Den Inhalt aus einer<br />

80 Quadratmeter-Wohnung bringt<br />

man gestapelt auf acht Quadratmetern<br />

unter.<br />

„Sauber, sicher, trocken“ sind für<br />

Martin Reiter, zuständig für die sechs<br />

MyPlace-Standorte in München, die<br />

Schlagworte, die Selfstorage ausmachen.<br />

Die Gänge mit den blauen<br />

Wellblechtüren sind hell beleuchtet,<br />

die Sonne scheint durch die Fensterfront.<br />

Heizungen halten die Temperatur<br />

auf acht bis zehn Grad. Elke Schäffer<br />

sitzt am Empfang. Sie weiß: Hinter<br />

jeder der 850 Türen auf den sechs<br />

Etagen verbergen sich Geschichten,<br />

fröhliche und traurige. Das Gebäude<br />

nennt sie „Kummerkasten“. Sie macht<br />

nicht nur die Mietverträge, sondern<br />

vermittelt auch Wohnungsmakler, die<br />

Nummer der Telefonseelsorge oder<br />

lässt die Sachen eines Kunden bei der<br />

Ex-Frau abholen.<br />

Was die Mieter einlagern, das<br />

müssen sie nicht angeben. Verboten<br />

sind nur einige wenige Dinge: Tiere,<br />

Pflanzen, Sprengstoffe, <strong>Dr</strong>ogen.<br />

Manche Männer wollen hier auch<br />

übernachten, wenn die Frau sie rausgeworfen<br />

hat. Das geht natürlich nicht.<br />

In Zürich haben die Betreiber in<br />

verwaisten Abteilen schon ein ausgestopftes<br />

Krokodil und menschliche<br />

Skelette gefunden. In Brighton versteckte<br />

ein Mörder die Leiche in einer<br />

Lagerbox. Auch in München stieg<br />

schon mal übler Geruch aus einem<br />

Abteil. Eine Kundin hatte einen Kühlschrank<br />

eingelagert. Und das<br />

Hackfleisch darin vergessen.<br />

WWW. klartext-magazin.de<br />

Schränke stapeln beim<br />

Möbel-Tetris; Interview<br />

mit Martin Brunkhorst<br />

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