EINE FLUCHT BLINDTEXT 39 66 66
40 Auf einen Bunker hat sich Andreas Wutz sein Dachapartment gebaut PENTHOUSE. HAMBURG. TEXT DIANA AUST FOTOS THOMAS KLINGER Wenn Herr Wutz fernsehen will, schaut er vom Dach. Er blickt auf das Häusermeer unter sich, den Hamburger Michel, die Innenstadt, die Kräne am Hafen. Er braucht keinen Fernseher, um zu wissen, ob der FC St. Pauli ein Tor geschossen hat. Er hört die Jubelschreie. Seit zehn Jahren schaut er von seinem Hochbunker in Hamburg Eimsbüttel in die Ferne. Er lebt da, wo viele gerne wohnen würden: auf dem Dach. „Ich werde oft gefragt, ob das Gefühl, das man auf dem Dach hat, nicht irgendwann nachlässt“, sagt Andreas Xaver Wutz, der aussieht wie eine Mischung aus Götz <strong>Georg</strong>e und Mickey Rourke: stechende blaue Augen, zerfurchtes Gesicht, mehr als schulterlange braune Haare mit grauen Strähnen. „Ich antworte immer: Nein, das »DAS GEFÜHL LÄSST NICHT NACH. DAS IST JEDEN TAG WIE FERNSEHEN GUCKEN.« lässt nicht nach! Das ist jeden Tag wie Fernsehen gucken.“ Manchmal ist es auch wie großes Hollywood-Kino. Wutz geht hinüber zu einem kleinen Vorsprung auf seiner Dachterrasse, den er eigens hat bauen lassen. Der „Titanic-Balkon“, wie er ihn nennt, ragt wie ein Schiffsrumpf ins luftige Nirgendwo. „Damit ich eine bessere Sicht auf die Straße unter mir habe“, sagt Wutz und lehnt sich an das Geländer seiner Eimsbütteler Titanic. Untergehen wird die so schnell nicht, denn sie steht auf Tausenden Tonnen Stahl und Beton. In seiner ersten Nacht im Bunker hatte Wutz Angst, nicht einschlafen zu können. Damals sind hier Bomben niedergegangen, Menschen umgekommen. Heute leuchtet das neongelbe Schild „Elektro Wutz“ an den wuchtigen Mauern. Wutz hat seine Firma im Erdgeschoss einquartiert, eine Glasfassade einbauen lassen. Fußgänger können direkt in sein Büro gucken. Darüber sind Lagerräume, in denen auch Musikbands proben. Außerdem gibt hier eine Saxophonistin Unterricht. Auf dem Dach des Betonklotzes prangt ein zweistöckiges Gebäude. In der ersten Etage sind drei Wohnungen – Wutz hat das Penthouse im zweiten Stock für sich allein. „Hier ist viel los. Für mich ist das kein Bunker mehr. Es ist ein Wohngebäude geworden.“ Er weiß viel über Bunker und genauso viel über Sonnenuntergänge. Im Sommer sind sie knallrot. Aber im Februar und Oktober sind sie besonders schön, sagt Wutz, wenn sich zu dem Rot auch noch Türkis mischt. Auf dem Dach ticken die Uhren anders. Man blickt in die Weite, niemand ist über einem, es herrscht Ruhe. „Hier ist mein liebster Ort.“ Wutz steht in seinem Penthouse und reißt die Arme auseinander. Er liebt die Größe, die Weite. In seine 90 Quadratmeter große Wohnküche auf dem Dach lädt er oft Freunde ein. Zur Fußball-WM 2006 waren es 90, „und es war immer noch genug Platz“, erzählt er von seiner „Wutz-WM“. Wenn das Wetter gut ist, verbringt er jede freie Minute auf der Dachterrasse. Wutz sieht alles, was um ihn herum geschieht. Abends leuchten die Lichtkuppeln in den Treppenhäusern, gehen an und wieder aus. Und wenn Hamburg feiert, gibt es ein Feuerwerk gratis und direkt vor seinen Augen. Die Tage, das Wetter, die Jahreszeiten – alles ist intensiver. „Manchmal ist der Anblick überwältigend, manchmal fühlt man sich ganz klein hier oben, manchmal denkt man auch an gar nichts oder spielt einfach nur Fußball auf dem Dach“, sagt Wutz. „Das Dach“, fügt er hinzu, „ist alles“. WWW. klartext-magazin.de 360°-Blick vom Penthouse