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Demokratisch Handeln - Sächsisches Bildungsinstitut (SBI)

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„<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ in Sachsen<br />

Beiträge zur Demokratiepädagogik<br />

Herausgeber:<br />

Sächsische Akademie für Lehrerfortbildung<br />

Meißen<br />

Siebeneichener Diskurse 4


SALF (Hrsg.:) Siebeneichener Diskurse 4<br />

„<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>” in Sachsen<br />

Beiträge zur Demokratiepädagogik


Impressum<br />

Herausgeber<br />

Sächsische Akademie für Lehrerfortbildung<br />

Meißen<br />

Redaktion<br />

Dr. Wolfgang Beutel<br />

Dr. Wolfgang Wildfeuer<br />

Redaktionsassistenz<br />

Ute Käppel<br />

Redaktionsschluss<br />

30. November 2006<br />

Titelgrafik<br />

Ubbo Kügler, Düsseldorf<br />

Satz<br />

Jörg Heller, Dresden<br />

Druck<br />

Saxoprint Dresden<br />

Auflage<br />

500 Ex.<br />

ISSN 1619-0084<br />

Bestellungen über<br />

Sächsische Akademie für Lehrerfortbildung<br />

Meißen<br />

Siebeneichener Schlossberg 2<br />

01662 Meißen<br />

Telefon (0 35 21) 41 27-0<br />

Telefax (0 35 21) 41 27-60


Inhalt<br />

Grußwort, Dr. Dieter Herz, <strong>Sächsisches</strong> Staatsministerium für Kultus . . . . . . . . 7<br />

Vorwort, Dr. Heidrun Heinke, Direktorin der Sächsischen Akademie für<br />

Lehrerfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> in Sachsen. Beiträge zur Demokratiepädagogik.<br />

Eine Einführung, Dr. Wolfgang Beutel, Dr. Wolfgang Wildfeuer . . . . . . . . . . . 15<br />

I. Beiträge zur Demokratiepädagogik<br />

Peter Fauser: Demokratiepädagogik oder politische Bildung . . . . . . . . . . . . . 23<br />

Dirk Lange: Demokratiepädagogik zwischen Fachlichkeit und Schulprinzip.<br />

Demokratie-Lernen als Politische Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />

Wolfgang Beutel: Zur Legitimation der Demokratie.<br />

Schulische Beiträge zur Stärkung demokratischer Werthaltungen . . . . . . . . . . . 41<br />

II. Das Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> in Sachsen<br />

Wolfgang Beutel: Der Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong><br />

<strong>Handeln</strong>“ – Angebot, Ausschreibung und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />

Wolfgang Wildfeuer: Die regionale Beratung Sachsen im Wettbewerb<br />

„Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69<br />

Markus Vogelsang: „Kleine“ ganz groß.<br />

Das Projekt „demokraGrundschulen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77<br />

Wolfgang Wildfeuer: Von der Schülerstreitschlichtung zur Moderation –<br />

Ein Beitrag zur Kultur demokratischen <strong>Handeln</strong>s in der Schule . . . . . . . . . . . . . 83<br />

Florian F. Woitek: Jugendliche übernehmen selbst Verantwortung –<br />

Peer-Training in Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />

Wolfgang Beutel, Wolfgang Wildfeuer: „Die Beteiligten übernehmen<br />

Verantwortung“. Die Demokratiepädagogik-Tagungen der SALF . . . . . . . . . . 105<br />

Wolfgang Beutel, Wolfgang Wildfeuer: Gute Praxis aus sächsischen<br />

Schulen – Ein Kaleidoskop von Projektbeispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117<br />

III. Materialien<br />

a. Texte zur „Demokratiepädagogik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175<br />

a.1. Magdeburger Manifest zur „Demokratiepädagogik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 175<br />

a.2. Demokratiepädagogik – Zwei Definitionsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177<br />

Peter Fauser: Was ist Demokratiepädagogik –<br />

Eine funktionale Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177<br />

Wolfgang Edelstein: Was ist Demokratiepädagogik<br />

Versuch einer operativen Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178<br />

b. Arbeitsmaterialien und Kontaktadressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179<br />

b.1. Weiterführende Literatur – kommentierte Hinweise in Auswahl . . . . . . . . 179<br />

b.2. Internetangebote und Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182<br />

Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189<br />

5


Grußwort<br />

„Mehr Demokratie in der Schule wagen“ lautet das aufmunternde Thema des<br />

bevorstehenden Symposiums, und man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass<br />

wir es hier mit einer Anleihe bei Willy Brandt zu tun haben, der 1969 in einer<br />

Regierungserklärung ankündigte, mehr Demokratie wagen zu wollen.<br />

Ob oder inwieweit die Brandtsche Ankündigung zur allgemeinen Zufriedenheit<br />

umgesetzt wurde, das ist eine andere Geschichte. Inwieweit und zu wessen<br />

Zufriedenheit sich die hier und heute in Rede stehende Aufforderung im Schulalltag<br />

umsetzen lässt, das wird im Rahmen des Symposiums ausgelotet werden.<br />

Als Nichtfachmann – zwar Demokrat, aber kein Demokratiepädagoge! – will<br />

ich auf Einzelheiten des Programms nicht eingehen; das werden anschließend<br />

Berufenere tun. Stattdessen möchte ich einige Aspekte anreißen, die ich mit unserem<br />

Thema verbinde. Ob ich dabei die Fachtermini der Demokratiepädagogik<br />

immer punktgenau treffe, da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich bitte vorsorglich<br />

um Nachsicht.<br />

Grundsätzlich halte ich dafür, dass Demokratie und gegebenenfalls auch „mehr<br />

Demokratie“ hierzulande weder in der Schule noch sonst wo ein Wagnis darstellen<br />

darf, sondern eine lohnende Aufgabe sein muss – wenn es denn schon keine<br />

Selbstverständlichkeit sein sollte. Ein wesentliches Problem dürfte sein, im Lichte<br />

der realen Verhältnisse die jeweilige Dimension eines „mehr“ zu vermessen.<br />

„Demokratie in der Schule“ – das geht zum einen in Richtung Schule selber,<br />

meint innerschulische Demokratie, mehr Mitsprache, mehr Mitwirkung, mehr<br />

Mitbestimmung. Aber das Anliegen ist ja nicht nur ein internes. Es kann nicht nur<br />

um das Miteinander im (doch zumindest partiellen) Biotop Schule gehen.<br />

Schulische Bildung und Erziehung soll junge Menschen ja „zu einer selbstbestimmten<br />

und verantwortungsvollen Lebensgestaltung sowie zum gestaltenden<br />

Mitwirken in der demokratischen Gesellschaft befähigen“, wie es im sächsischen<br />

„Leitbild für Schulentwicklung“ heißt. Mit anderen Worten: Schule soll junge<br />

Menschen auch so bilden und erziehen, dass sie sich in unserem demokratischen<br />

Gemeinwesen und damit für dessen Weiterentwicklung engagieren.<br />

Natürlich kann Schule nicht der einzige Ort sein, einen solchen demokratischen<br />

Habitus auszubilden. Aber sie ist doch ein wesentliches und wichtiges, weil prägendes<br />

Lebensumfeld für eine lange und entscheidende Phase der Sozialisation.<br />

Dass Demokratiepädagogik derzeit eine Blüte erlebt, ist sicher kein Zufall.<br />

Sondern es hat damit zu tun, dass demokratische Prinzipien, dass ein demokratischer<br />

Grundkonsens – gar demokratisches Engagement – auch bei zu vielen<br />

Jugendlichen nicht (mehr) selbstverständlich sind. Selbstverständlich im Sinne<br />

7


Grußwort<br />

vom „jedem in die Wiege gelegt“ war ein demokratischer Habitus noch nie und<br />

kann er nicht sein. Aber in Zeiten zunehmender – sagen wir – „Werteäquidistanzen“<br />

in der Schule wie außerhalb stellt sich die Aufgabe der Demokratieerziehung<br />

deutlicher.<br />

Zu den spektakulärsten einschlägigen Markierungen gehört in Sachsen die hohe<br />

Prozentzahl, die die NPD unter jugendlichen Wählern bei der jüngsten<br />

Landtagswahl errang. Wobei man das Wahlverhalten als solches ja nicht „undemokratisch“<br />

nennen kann. Immerhin geht es um eine nicht verbotene, sondern zu<br />

demokratischen Wahlen zugelassene Partei. Auch ist es nicht so, dass bei<br />

Jugendlichen generell die viel zitierte Politikverdrossenheit zu konstatieren wäre.<br />

Fatalerweise verstehen es ja namentlich extremistische Politakteure, Jugendliche<br />

anzusprechen und sie somit durchaus zu politisieren.<br />

Mit der Kategorisierung einer Partei als „undemokratisch“ hat man im Übrigen<br />

weder bereits eine demokratische Gesinnung bewiesen noch gar bei anderen<br />

eine solche entstehen lassen. Aufgabe demokratischer Erziehung ist es, Parolen<br />

und Gedankengut gegebenenfalls als undemokratisch, als rassistisch oder intolerant<br />

kenntlich zu machen und ihnen positive, verkürzt: demokratische Werte entgegenzusetzen.<br />

Dies sollte in der Schule möglichst lebensweltnah, möglichst praxisorientiert<br />

stattfinden.<br />

<strong>Demokratisch</strong>es Miteinander, der Umgang entlang demokratischer Leitlinien<br />

sind kein Schulstoff im engeren Sinne – wie etwa der Satz des Pythagoras oder<br />

Englisch-Vokabeln. Fraglos ist auch der gelebten Demokratie ein gewisses Maß<br />

an Faktenwissen zuträglich – von den antiken Wurzeln bis zu den Bedingungen<br />

unserer Demokratie als Staats- und Lebensform. Aber es geht um mehr. Es geht<br />

darum, Schülerinnen und Schüler demokratische Prinzipien als Denk-,<br />

Handlungs- und Verhaltensweisen erfahren, erleben und erlernen zu lassen.<br />

Demokratie-Erziehung, so scheint mir, hat Ähnlichkeiten mit der Leseförderung,<br />

ebenfalls eine umfassende Thematik, die seit PISA auch in der öffentlichen<br />

Wahrnehmung „en vogue“ ist. Bei der Leseförderung liegt eine zentrale Aufgabe<br />

darin, die Lesemotivation der Schülerinnen und mehr noch der Schüler zu fördern,<br />

um so auch ihre Lesekompetenz zu stärken. Wobei Lesekompetenz mehr ist als die<br />

Fähigkeit, einen Text möglichst flüssig lesen zu können. Lesekompetenz hat mit<br />

Textverstehen zu tun und mit der Fähigkeit, erworbenes Können lebenslang situationsgerecht<br />

anzuwenden.<br />

Und so wenig wie die Stärkung von Lesekompetenz allein Aufgabe der<br />

Deutschlehrerin bzw. des Deutschlehrers sein kann, so wenig kann<br />

Demokratieerziehung allein Aufgabe des Geschichts-, des Sozialkunde- oder<br />

vielleicht noch des Ethik-Unterrichts sein. Vielmehr – und hier trage ich vor diesem<br />

Publikum, wenn das kleine Wortspiel gestattet ist, wohl Eulen zur Wiege der<br />

Demokratie – ist Demokratieerziehung Aufgabe im Grunde aller Fächer. Und<br />

ähnlich wie bei der Leseförderung sind jene Lehrer bzw. jene Lehrerinnen am<br />

überzeugendsten, die zeigen, dass Lesen eine lohnende, womöglich gar vergnügliche<br />

Angelegenheit ist. Genauso funktioniert es beim Demokratie-Lernen:<br />

Beispiel macht Schule.<br />

Die Einübung in Demokratie braucht ein förderliches Schulklima, eine adäquate<br />

Lernumgebung, in der die Beziehungen zwischen Schülern, Lehrern und<br />

Eltern in einem demokratischen Miteinander funktionieren; wo Selbstfindung<br />

8


Grußwort<br />

und Selbstbestimmung, wo Toleranz und Solidarität mehr sind als Schlagworte.<br />

Diese Werte gehören, so weit ich sehe, auch zu den Leitlinien, wie sie im BLK-<br />

Modellprogramm „Demokratie lernen und leben“ ausgewiesen sind. Vereinfacht<br />

gesprochen geht es unter anderem darum, die Mitwirkung von Schülerinnen und<br />

Schülern am Unterricht und an der Gestaltung des Schullebens zu stärken oder<br />

auch zu provozieren. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Projektlernen auch<br />

in Kooperation mit außerschulischen Partnern zu, eine Lernform, die in Sachsen<br />

vor allem im Rahmen von Ganztagsangeboten vielerorts und zunehmend praktiziert<br />

wird – und dies, notabene, auch außerhalb demokratiepädagogischer<br />

Ambitionen im engeren Sinne. Vom Projektlernen zur Schule als „Demokratie im<br />

Kleinen“ ist es kein großer Schritt mehr.<br />

Dass wir es dabei nicht mit etwas quasi Exotischem oder jedenfalls eher<br />

Ungewöhnlichem zu tun haben, lehrt ein weiterer Blick ins „Leitbild für<br />

Schulentwicklung“, wo es heißt, Schule müsse eine „lebendige Schulkultur mit<br />

Gelegenheiten zum Erfahrungshandeln, zu Eigenverantwortlichkeit und zu<br />

Gemeinschaftserlebnissen bieten“.<br />

Und auch das, was an demokratischen Elementen und Prinzipien zur ganz<br />

normalen Schulkultur zählt, soll hier erwähnt werden. Das reicht von der Schülerund<br />

Elternmitwirkung auf den verschiedenen Ebenen über die Schulkonferenz<br />

mit ihrer Drittelparität bis zu Schülerzeitungen, Debattierclubs und den<br />

Mediatoren- und Streitschlichterprogrammen. Nicht zu vergessen ist das<br />

Schulprogramm, das sich die Schule in gemeinsamer Anstrengung von Lehrern,<br />

Schülern und Eltern erarbeitet und in dem das Wie und das Was gemeinsamen<br />

Wollens formuliert sind. „Mehr Demokratie in der Schule wagen“: Das heißt vielfach<br />

auch ganz schlicht, bestehende Möglichkeiten zu nutzen, Spielräume und<br />

Grenzen auszutesten.<br />

Nebenbei bemerkt: Wenn die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik<br />

im Internet ihre Aufgabe dahingehend definiert, dass sie die „Kooperation<br />

zwischen demokratischen Schulen“ aktivieren und betreuen wolle, so scheint<br />

doch der sachte Hinweis angebracht, mit dem Monopol-Anspruch auf das Logo<br />

„demokratische Schule“ zurückhaltender umzugehen: Ich bin entschieden der<br />

Meinung, dass jede sächsische Schule eine demokratische Einrichtung ist. Auch<br />

jene ohne speziell ausgewiesene Demokratiepädagogik. Klar ist freilich auch:<br />

Eine durch und durch basisdemokratische Einrichtung wird Schule wohl schwerlich<br />

werden können. Dafür ist zu vieles nicht oder kaum verhandelbar – das reicht<br />

von A wie Anwesenheitspflicht bis Z wie Zensuren.<br />

Anknüpfend an diese Erkenntnis gestatte ich mir, abschließend mit einem<br />

weiteren Zitat von Willy Brandt aufzuwarten, der nämlich auch mal befunden hat,<br />

Demokratie könne nicht so weit gehen, dass in der Familie abgestimmt werde,<br />

wer der Vater ist. (Und ohne dass Brandt es eigens erwähnt hätte, dürfen wir<br />

annehmen, dass er implizit Gleiches für den Status der Mutter konstatierte.)<br />

Zum Schluss einige Worte des Dankes: Der Sächsischen Akademie für<br />

Lehrerbildung und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung danke ich für die<br />

Organisation dieser Tagung. Mein Dank gilt auch dem Wettbewerb „Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“, der zur demokratiepädagogischen Profilierung<br />

von Schulen und Projekten in Sachsen und bundesweit seit Jahren kontinuierlich<br />

seinen Beitrag leistet. Zu danken ist nicht zuletzt auch allen Lehrerinnen und<br />

9


Grußwort<br />

Lehrern sowie externen Partnern, vor allem aus dem Bereich der Jugendarbeit,<br />

die sich in demokratiepädagogischen Projekten, Modellen oder Initiativen engagieren<br />

und uns aus dieser Arbeit berichten wollen.<br />

Dr. Dieter Herz, <strong>Sächsisches</strong> Staatsministerium für Kultus<br />

10


Vorwort<br />

Die Demokratieerziehung ist ein Schwerpunkt der Erziehungsdebatte in<br />

Deutschland. Da geht es um die Frage der eigenverantwortlichen Schule, der<br />

Qualität des Unterrichts, der Gerechtigkeit bei der Leistungsbeurteilung, da geht<br />

es dann auch um die Frage, was die Schule zur Förderung demokratischen<br />

Bewusstseins und demokratischer Werte bei Kindern und Jugendlichen beitragen<br />

kann. Oder es geht um die Frage der Autorität – genauer des Wechselspiels zwischen<br />

Freiheit und Disziplin – wie sie derzeit medienwirksam erörtert wird. All<br />

das sind Aspekte einer Schule in der demokratischen Gesellschaft in<br />

Deutschland, die zu diskutieren sich lohnt.<br />

Besonders beunruhigend sind jedoch Meldungen, die den Grundkonsens der<br />

breiten Bevölkerung über die Demokratie berühren. Ein jüngeres Beispiel stammt<br />

aus dem aktuellen Datenreport über die Bundesrepublik Deutschland, den das<br />

Statistische Bundesamt alle zwei Jahre erarbeitet. Da heißt es unter anderem:<br />

„Die Demokratie als Staatsform wird von der überwiegenden Mehrheit der westund<br />

ostdeutschen Bürger befürwortet. Demgegenüber gibt es bei der Beurteilung<br />

der Demokratie in Deutschland eine beträchtliche Differenz zwischen West- und<br />

Ostdeutschen. Während die westdeutschen Bürger auch die Demokratie in<br />

Deutschland als die beste Staatsform ansehen, sagt dies bei den Ostdeutschen nur<br />

eine Minderheit. Die Akzeptanz der Demokratie in Deutschland hat im<br />

Zeitverlauf sogar noch abgenommen“ 1 . Bedenklich ist – unabhängig von aller<br />

Relativität solcher stichprobenbasierter Untersuchungen – für uns Pädagoginnen<br />

und Pädagogen doch zweierlei. Erstens kann sich die Schulpädagogik angesichts<br />

ihres gesetzlich verbrieften Auftrages einer „Erziehung zur Demokratie“ deutschlandweit<br />

angesichts solcher Befunde nicht zufrieden zeigen. Die Erziehung zur<br />

Demokratie bleibt also eine anhaltende und wichtige Aufgabe. Zweitens muss der<br />

Differenzbefund zwischen West und Ost irritieren. Haben die Schulen, gerade<br />

auch die Schulen in den neuen Bundesländern – wenn dem so ist – dieser<br />

Einstellung, die ja dann auch Elternhäuser und Bezugsgruppen von Kindern und<br />

Jugendlichen prägt und zwangsläufig in diesen Bezugsgruppen sozialisatorisch<br />

weiterwirkt, wirklich nichts entgegenzusetzen<br />

Zumindest zeigt dieses Beispiel, wie wichtig die Erziehung zur Demokratie<br />

und eine dieser Aufgabe gemäße „Demokratiepädagogik“ ist. Sie bleibt eine<br />

immerwährende Herausforderung für die Schule. Das gilt für das Wissen, das die<br />

1 Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2006): Datenreport 2006. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik<br />

Deutschland. Bonn, S. 653.<br />

11


Vorwort<br />

Schule vermittelt, und vor allem für die Form, in der sie es tut. Das gilt auch für<br />

die Kultur der Sozialität und des Umgangs, die die Schule alltäglich prägt. Wir<br />

wissen heute, dass politische Bildung und Erziehung zur Demokratie in der<br />

Schule nicht nur eine Ergänzung, ein „Nebenfach“ ausmachen, sondern vielmehr<br />

als eine der „Hauptsachen“ von Schule gelten kann. Für eine wirksame politische<br />

Bildung und demokratische Erziehung, die der im „Datenreport“ diagnostizierten<br />

Tendenz entgegenwirken kann, brauchen wir einen guten Unterricht auch und<br />

gerade im Fach Gemeinschaftskunde. Wir benötigen aber noch weit mehr als<br />

dies. Gefragt sind in der Schule Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten, in<br />

denen Demokratie erfahren werden kann und zugleich pädagogisch begleitet<br />

wird. Demokratie kann nicht gelehrt werden, sie bedarf vielmehr prägender positiver<br />

Erfahrungen, für die die Schule einstehen kann, weil sie alle Kinder und<br />

Jugendlichen erreicht – durch ein entsprechendes Lernen im Unterricht und darüber<br />

hinaus. Hierbei spielt die Bereitschaft, sich auf Projekte als besondere und<br />

didaktisch anspruchsvolle Form des Lernens einzulassen, eine große Rolle. Denn<br />

das Projekt schafft naturgemäß Bedingungen für Demokratie, ja es ist – folgt man<br />

der Tradition der pragmatischen Pädagogik des Lernens durch Erfahrung – selbst<br />

unmittelbar Ausdruck der Demokratie als „gemeinsam geteilte Erfahrung“ (John<br />

Dewey). Überdies ist es demokratisch für alle verantwortlich an Projekten beteiligten<br />

Lernenden und Lehrenden, für den Projekterfolg gerade zu stehen, indem<br />

gemeinsam geplant, entschieden, durchgeführt und das Erreichte letztlich auch<br />

klar und kritisch bewertet wird.<br />

Dass dabei zugleich Themen und Aufgaben, ja anhaltende Herausforderungen<br />

der Demokratie aufgenommen und bearbeitet werden können, zeigen Projekte,<br />

die seit nunmehr 15 Jahren der bundesweit arbeitende Wettbewerb „Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ anregt, dokumentiert und zugleich fachöffentlich<br />

zur Diskussion stellt. Dieser Wettbewerb war von Anfang an auch in den neuen<br />

Bundesländern aktiv. Schon im dritten Jahr war die „Lernstatt Demokratie“ – die<br />

Abschlussveranstaltung der Jahresausschreibungen des Wettbewerbs – erstmals<br />

in Sachsen zu Gast: in Leipzig. 2003 hat sich das wiederholt. Seit 1995 beteiligt<br />

sich das Land an der Entwicklung eines Konzepts der „regionalen Beratung“, das<br />

die Gegebenheiten und Anforderungen für Schulen in Sachsen mit den<br />

Möglichkeiten eines bundesweiten Erfahrungsaustausches verbindet. 1996 konnte<br />

erstmals ein „Regionalberater“ berufen werden und seither hat sich die<br />

Wirkung und Resonanz des Wettbewerbs „<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ in Sachsen<br />

stetig intensiviert. Seit mehreren Jahren stehen Projekte aus sächsischen Schulen<br />

quantitativ und qualitativ regelmäßig in der Spitzengruppe. Seit dieser Zeit konnte<br />

auch eine wirksame und eigenständige Form der Lehrerfortbildung an der<br />

SALF entwickelt werden. Dabei werden ausgehend von einzelnen Projekten<br />

Bedingungen abgeleitet, die ein erfolgreiches <strong>Handeln</strong> bei der Projektgestaltung<br />

ermöglichen. Die „Herbsttagung <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ gehört zwischenzeitlich<br />

zum nachgefragten Regelangebot unseres Hauses.<br />

Davon und insbesondere von den vielfältigen und anregenden Beispielen und<br />

Modellen demokratischen <strong>Handeln</strong>s aus den Schulen des Landes Sachsen, die<br />

sich an diesem Wettbewerb beteiligt haben, soll in diesem Band unserer Reihe<br />

„Siebeneichener Diskurse“ die Rede sein.<br />

12


Vorwort<br />

Es wird ein Buch vorgelegt, dass nicht nur über eine wichtige Form der externen<br />

Unterstützung von – auf die individuellen Bedingungen der Schule ausgerichteter<br />

– Schulentwicklung berichtet, sondern das vor allem durch die Fülle der dokumentierten<br />

Erfahrungen aus unterschiedlichen Schulen des Landes anregt und zu<br />

überzeugen vermag. Alle Beispiele zeigen, dass es sich lohnt, auch mit kleinen<br />

Schritten zu beginnen, und dass es wichtig ist, eigene Projekte, Konzepte und<br />

Erfahrungen den anderen Schulen des Landes – ihren Lehrern und der<br />

Schülerschaft – zugänglich zu machen. Die Jugendarbeit bleibt hierbei nicht ausgeschlossen,<br />

sondern gibt den Schulen ein weiteres Feld demokratischen Lernens<br />

und demokratischer Erfahrungsmöglichkeiten.<br />

„Viele hatten erwartet, dass die Jüngeren von dem neueren demokratischen<br />

System geprägt seien und eine positivere Haltung zu diesem System einnehmen<br />

würden. Diese positiven Sozialisationseffekte sind aber auch 15 Jahre nach der<br />

deutschen Einheit noch nicht festzustellen. Weder die Demokratie in Deutschland<br />

noch die Demokratie grundsätzlich wird von den Jüngeren besser beurteilt als<br />

von den anderen Altersgruppen“, heißt es im Datenreport 2006 weiter. 2 Dieser<br />

Befund markiert für die Schulen, die Lehrerinnen und Lehrer, aber auch für die<br />

Lehrerfortbildung und die schulische Qualitätssicherung eine dringliche und<br />

große Aufgabe, die nicht alleine durch Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien<br />

erfüllt und begleitet werden kann. Hier braucht es die Kreativität und das<br />

Engagement aller Beteiligter: der Lehrerinnen und Lehrer, der Elternschaft, der<br />

bürgerschaftlichen und kritischen Öffentlichkeit und vor allem auch der<br />

Schülerinnen und Schüler. Wenn dieser Band der „Siebeneichener Diskurse“<br />

hierzu einen Beitrag leisten kann, dann haben wir einen weiteren Schritt auf dem<br />

Weg zu einer demokratischen Schule zurückgelegt. Zugleich und vor allem aber<br />

dokumentieren die vielfarbigen Praxisbeispiele, die hier vorgestellt werden, einen<br />

Ideenreichtum und eine pädagogische Kreativität und Ernsthaftigkeit, die uns<br />

auch zu Optimismus Anlass gibt. In den Schulen in Sachsen finden wir vielfältige<br />

Ansätze und erfolgversprechende Arbeiten zur „Demokratiepädagogik“. Das<br />

wiederum erlaubt uns auch eine gewisse Zuversicht, für die dieser Band nicht<br />

zuletzt auch einen anerkennenden Dank an die beteiligten Kinder, Jugendlichen<br />

und Lehrer ausspricht.<br />

Dr. Heidrun Heinke, Direktorin der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung<br />

2 Ebd., S. 648.<br />

13


<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> in Sachsen.<br />

Beiträge zur Demokratiepädagogik. Eine Einführung<br />

I. Die Sächsische Akademie für Lehrerfortbildung in Meißen und das<br />

Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> können auf eine lange und stetige<br />

Zusammenarbeit zurückblicken. Bereits in den ersten Ausschreibungsrunden<br />

Anfang der 1990er-Jahre hat das Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong><br />

Schulen aus Sachsen mit einbezogen. Mit Beginn eines Projektes zur<br />

„Wissenschaftlichen Auswertung des Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“<br />

in Kooperation von Bundesbildungsministerium und den Kultusministerien der<br />

Bundesländer Sachsen, Thüringen, Bremen und Hessen im Jahr 1995 begann eine<br />

vertiefte Zusammenarbeit. Das Land Sachsen hat sich an der Entwicklung eines<br />

Konzeptes zur „Regionalberatung“ für Projekte <strong>Demokratisch</strong>en <strong>Handeln</strong>s beteiligt<br />

und die Einrichtung einer entsprechenden Teilabordnung vorangetrieben, die<br />

zum Beginn des Schuljahres 1996/97 schließlich besetzt werden konnte – und bis<br />

heute durch den Stelleninhaber auch „ad personam“ Kontinuität innehat.<br />

II. Begleitend zur Beratung von Interessentinnen und Interessenten an der<br />

Ausschreibung zum Förderprogramm haben wir über Möglichkeiten der<br />

Vertiefung und Intensivierung der schulischen Projektarbeit nachgedacht. Es<br />

lag auf der Hand, mittels eines noch zu entwickelnden Konzeptes für eine für<br />

den Wettbewerb und sein Thema der Demokratiepädagogik adäquate Tagung<br />

eine eigenständige Form intensiver Fortbildung zu etablieren, in der die<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Wissen, ihre Erfahrung, ihre Expertise,<br />

aber auch ihre Fragen und ihren Wunsch nach Beratung in den Vordergrund<br />

stellen sollten.<br />

Bereits im Folgejahr 1997 haben wir den ersten Versuch gestartet. Das konnte<br />

im Laufe der Jahre ausgeweitet und zugleich die Arbeitsformen verfeinert werden:<br />

Im Kern war damit eine fachübergreifende Form von Arbeitstagung geboren,<br />

die seither kontinuierlich und – trotz natürlich notwendiger Anpassungen –<br />

innerhalb ihres Grundkonzeptes unverändert angeboten und durchgeführt wird.<br />

Nicht Themen und Ziele werden vorgegeben, sondern die Erfahrung und die<br />

pädagogische Arbeit im Einzelfall stehen im Mittelpunkt des Konzepts.<br />

Der neben der intensiven Beratungs- und Fortbildungsarbeit zweite<br />

Schwerpunkt in der „Regionalberatung Sachsen“ liegt in der damit verbundenen<br />

begleitenden Werbungs- und Dokumentationsarbeit für die Ausschreibungen des<br />

Wettbewerbs „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ in den Schulen<br />

Sachsens. Die regionale Beratung hat nachweislich zu einer erheblichen<br />

Intensivierung des Beteiligungsgrades sächsischer Schulen geführt. Deshalb war<br />

seit längerem die Idee präsent, beides in Form einer Dokumentation miteinander<br />

15


Einführung<br />

zu verbinden: Ansätze, Ergebnisse, Berichte und Erfahrungen aus der nunmehr<br />

schon fast zehnjährigen Reihung demokratiepädagogischer Fachtagungen an der<br />

SALF und die systematische, praxisfunktionale und deshalb knappe Skizzierung<br />

interessanter Praxisprojekte aus dem umfangreichen Bestand von Beispielen aus<br />

sächsischen Schulen und Projektinitiativen.<br />

III. Wir wollen Anschauung und Praxisanregungen geben, die aus der Mitte<br />

des eigenen Schulwesens im Land entspringen. Die Koppelung von Ideen-Börse<br />

und Multiplikations-Angebot hat uns lange beschäftigt, da wir damit die<br />

Vorstellung verbunden haben, über den pädagogischen Ansatz und die Vielfalt<br />

unserer Angebote und Arbeiten in Sachsen zu informieren. Zugleich wollen wir<br />

natürlich mit diesem Band auch anregen, mit eigenen Projekten und Projektideen<br />

am Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ teilzunehmen: Je<br />

mehr Schulen sich beteiligen, desto größer ist der Effekt – in Blick auf das Thema<br />

einer auf <strong>Handeln</strong> und Haltung bezogenen Pädagogik für die Demokratie, in<br />

Hinsicht auf die allgemeine Kenntnis vielfältiger Ansätze im Schulwesen<br />

Sachsens und schließlich auch für die beteiligten Schulen im Einzelfall.<br />

Schulentwicklung ist dann nicht nur das bekannte Wechselverhältnis von<br />

Reaktion auf äußere Bedingungen (wie Schülerzahlen, Ausstattungsfragen,<br />

Entwicklungen im Lehrerkollegium) und planvoller Absicht der pädagogischen,<br />

thematischen und fachlichen Profilierung. Je mehr Schulen sich beteiligen, desto<br />

größer wird die Kenntnis von den Reform- und Handlungspotenzialen der<br />

Schulen im Land insgesamt – und Schulentwicklung drängt damit über die<br />

Grenzen der einzelnen Schule hinaus.<br />

IV. Dieser Funktion soll der vorliegende vierte Band der „Siebeneichener<br />

Diskurse“ entsprechen. Er will eine Bündelung der mehrjährigen schulbegleitenden<br />

Arbeit des Wettbewerbs „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ in<br />

Sachsen leisten und dies zugleich in einer Form tun, die auch für interessierte<br />

Pädagoginnen und Pädagogen sowie Projektgruppen außerhalb Sachsens interessant<br />

ist. Dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gilt für die begleitende<br />

Förderung des Wettbewerbs unser Dank! Nunmehr bereits zehn Jahre dauert<br />

auch die Förderung des Länderprojekts zur regionalen Vertiefung demokratischen<br />

<strong>Handeln</strong>s und zur „Lernstatt Demokratie” durch einen Verbund von<br />

Landeskultusministerien unter der Federführung des Thüringer Kultusministeriums<br />

mit Beteiligung des sächsischen Staatsministeriums für Kultus. Dafür<br />

haben wir ebenfalls zu danken und verbinden mit diesem Dank die Hoffnung,<br />

dass die Zusammenarbeit und die gemeinsame Weiterentwicklung des<br />

Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> – die ja im Kreuzungspunkt dieser<br />

Bund-Länder-Kooperation nicht immer leicht zu koordinieren ist – auch in<br />

Zukunft anhalten mögen, gerade auch angesichts aller aktuellen fiskalischen<br />

Herausforderungen für die öffentlichen Hände und in Blick auf die nicht ganz<br />

einfache Lage nach der Reform des Föderalismus und der damit einhergehenden<br />

Entflechtung der Bund-Länder-Verhältnisse im Bildungsbereich. Das Thema<br />

„<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ bleibt in der Schule – soviel ist sicher – ein anhaltend<br />

wichtiges Thema.<br />

Viele Gründe sprechen also dafür, die anhaltende und weiterzuführende<br />

Zusammenarbeit der SALF und des Wettbewerbs „Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ mit diesem Band der Siebeneichener Diskurse öffentlich<br />

16


Einführung<br />

sichtbar zu dokumentieren und zugleich als praktisch nutzbares Arbeitsinstrument<br />

den Schulen zur Verfügung zu stellen.<br />

V. Wir haben unser Angebot dabei in drei große Bereiche gegliedert. Der erste<br />

Bereich „Beiträge zur Demokratiepädagogik“ fasst grundlegende Überlegungen<br />

zur theoretischen Begründung eines praktischen Lernens für Politik und<br />

Demokratie zusammen – die zugleich eine aktuelle Diskussion in Schulpädagogik<br />

und Fachdidaktik politischer Bildung aufgreifen. Dabei bemühen wir uns<br />

darum, aus einer auf Integration setzenden Perspektive das empirisch gesehen<br />

zwingend notwendige Zusammenwirken von Fachdidaktik politischer Bildung<br />

und Schulpädagogik zu unterstreichen und weiter zu begründen. Damit wird<br />

zugleich die Ausgangslage, die theoretische Position und die demokratiepädagogische<br />

Erfahrung des Wettbewerbs „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“<br />

zum Thema.<br />

Peter Fauser diskutiert Begriff und Grundlagen einer „Demokratiepädagogik“.<br />

Sie bezeichnet die gemeinsame Aufgabe zivilgesellschaftlich ausgerichteter<br />

Initiativen, Konzepte, Programme und Aktivitäten in Praxis und Wissenschaft,<br />

die das Ziel verfolgen, die Erziehung zur Demokratie zu fördern. Da die<br />

Demokratie nicht selbstverständlich auf ein voraussetzbares oder angeborenes<br />

Kompetenzfeld bei den Menschen aufbauen kann, muss sie erlernt werden.<br />

„Demokratielernen“, „<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ – eben die „Demokratiepädagogik“<br />

– begnügt sich dabei nicht allein mit Wissen, sondern fordert Handlungsfähigkeit<br />

und Handlungsbereitschaft. In Blick auf politische Bildung und<br />

Demokratielernen bezeichnet „Demokratie“ nicht nur ein inhaltliches, methodisches<br />

oder fachliches Spezialgebiet, sondern eine pädagogische Aufgabe und<br />

einen normativen Anspruch für die Erziehung insgesamt.<br />

Dirk Lange umreißt das Spannungsfeld von Fachlichkeit und Schulprinzip in<br />

Blick auf die Aufgabe der demokratischen Erziehung. Als Fachdidaktiker von der<br />

wissenschaftlichen Basierung des Demokratie-Lernens durch die Politikwissenschaften<br />

her geprägt, betont Lange jedoch vor allem den didaktischen Gesichtspunkt,<br />

der das Lernen des Schülers und der Schülerin in den Mittelpunkt rückt.<br />

Gefragt wird also weniger danach, wie Politik an die Schülerin und den Schüler<br />

zu bringen ist, sondern vielmehr danach, mit welcher Lernausgangslage bei den<br />

Kindern und Jugendlichen die Schule in der Didaktik ihres Fachunterrichts, aber<br />

auch in der sozialisatorischen Funktion ihres Lebens- und Kulturraumes insgesamt<br />

zu rechnen hat. Lange fragt nach den Berührungspunkten zwischen<br />

Demokratiepädagogik und dem fachlichen Kern der politischen Bildung und entfaltet<br />

in diesem Zusammenhang politische Bildung als mehrdimensionales<br />

Konstrukt, in dem Politisches Lernen, Historisches Lernen, Soziales Lernen,<br />

Kulturelles Lernen und Ökonomisches Lernen ihre je eigene Perspektive entwikkeln.<br />

Für mehrere dieser Perspektiven sieht er Anknüpfungspunkte und kommt zu<br />

der These, dass demokratiepädagogische Projekte, in vielfältiger Beziehung zu<br />

den fachlichen Domänen der Politischen Bildung stehen. Zugleich wird die<br />

Herausforderung sichtbar, nach diesen integrativen Elementen zwischen Schulpädagogik<br />

und Fachdidaktik zu fragen. Eine Aufgabe, die sinnträchtiger scheint<br />

als die bislang die Debatte dominierenden Abgrenzungsdiskurse.<br />

Wolfgang Beutel fragt nach dem Beitrag demokratiepädagogischer Projekte<br />

zur Stärkung von Legitimation der Demokratie. Ausgehend von der Beobach-<br />

17


Einführung<br />

tung, dass die gegenwärtige Empirie in den demokratischen Gesellschaften der<br />

westlichen Moderne beides auszeichnet – eine „Entstaatlichung“, die den Kern<br />

des demokratischen Gemeinwesens zumindest angreifen kann und eine Stärkung<br />

der Demokratie im Gemeinwesen durch die erstaunliche Karriere der<br />

Bürgergesellschaft – verdeutlicht er die Dringlichkeit, in der Schule die Chancen<br />

der ohnehin gegebenen Gelegenheitsstruktur für Demokratie-Lernen intensiv<br />

durch fächerübergreifende Projekte nutzen muss. Dabei geht es um Projekte, die<br />

auch Themen und institutionelle Organisationsformen der Willensbildung in der<br />

Demokratie aufgreifen. Ein erfolgreiches Projekt zur Steigerung der Erstwähler-<br />

Partizipation zeigt Möglichkeiten für Demokratiepädagogik, die auch das fachliche<br />

Fundament politischer Bildung mit einbeziehen.<br />

VI. Der zweite Bereich sieht die Ergebnisse und Arbeitsformen des Förderprogramms<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> in seinem Zentrum. Wolfgang Beutel skizziert<br />

die bisherige Entwicklung des Wettbewerbs in Sachsen. Dabei wird erneut deutlich,<br />

wie wichtig eine kontextnahe und durch Person und Erfahrung patenschaftlich<br />

bezeugte Beratung ist. Wolfgang Wildfeuer, der für die Schulen des<br />

Freistaates diese Funktion seit Jahren wahrnimmt, umreißt Absicht, Förderangebote<br />

und Perspektiven für diese Aufgabe. Markus Vogelsang, ein Mittelschüler<br />

aus dem Süden des Landes, skizziert eine Art kinder- und jugendbezogener<br />

Fortbildung und Professionalisierung, die der Nutzung und Effektivitätssteigerung<br />

der durch das Schulgesetz geregelten Schülerpartizipation ebenso<br />

zugute kommt wie der Demokratiepädagogik.<br />

Daran anschließend skizziert Wolfgang Wildfeuer den Zusammenhang zwischen<br />

Streitschlichtung, Kommunikationstraining und Moderationsfähigkeit und<br />

entfaltet in dieser kommunikationspraktischen Skizze einen bedeutenden Korridor,<br />

den Schulen für die Entwicklung von demokratischer Handlungskompetenz bei<br />

ihren Schülerinnen und Schülern intensiv nutzen können.<br />

An das bei Vogelsang sichtbare Prinzip der Orientierung an der Altersgruppe<br />

schließt der Beitrag von Florian Woitek zur in Sachsen recht erfolgreichen „Peer-<br />

Training“-Strategie an. Er belegt, wie intensiv Elemente der Selbstwirksamkeitserfahrung<br />

und der Professionalisierung von Kompetenzen bei Kommunikation<br />

und Moderation die substanziellen Beteiligungsmöglichkeiten der Schülerinnen<br />

und Schüler erhöhen können.<br />

Wolfgang Beutel und Wolfgang Wildfeuer entfalten schließlich die beiden wesentlichen<br />

Gesichtspunkte der Arbeit des Förderprogramms in Sachsen. Zunächst<br />

wird die konstruktivistisch angelegte Eigenform der SALF-Fortbildungen<br />

anschaulich, erfahrungsgesättigt und doch auch strukturnah nachgezeichnet. In<br />

einem umfangreichen Kaleidoskop von 34 Best-Practice-Projekten wird schließlich<br />

eine intensive und praxisnahe Anschauung von der Vielfalt vorliegender<br />

Projekterfahrungen gegeben. Die Praxisbeispiele entstammen den letzten sechs<br />

Jahren und geben damit zugleich zu beachten, dass die zehn vorausliegenden<br />

Ausschreibungen ebenfalls eine Fülle anregender Projektbeispiele enthalten. Die<br />

exemplarische Sichtweise, die den Projekten in unserer Auswahl zukommt, ist im<br />

besten Sinne „exemplarisch“ gemeint: Sie stehen hier als Beispiele und<br />

Stellvertretung für viele andere bereits dokumentierte (oder eben auch noch nicht<br />

dokumentierte) Kontexte von Demokratiepädagogik und demokratischem<br />

<strong>Handeln</strong> in der Schule. Es sind nicht die einzigen und auch nicht immer die spek-<br />

18


Einführung<br />

takulärsten pädagogischen Ereignisse, denn wir wollen gezielt den Blick auf das<br />

breite Feld möglicher Themen und Handlungsanlässe richten.<br />

VII. Der dritte Bereich „Materialien“ will beides zugleich bieten: Eine kleine<br />

Dokumentation und vor allem eine Service-Leistung. Er beginnt mit dem<br />

„Magdeburger Manifest“, einem ganz aktuellen Grundlagentext zur Demokratiepädagogik,<br />

und zwei ergänzenden Skizzen von Peter Fauser und Wolfgang<br />

Edelstein zum Thema, die allesamt zu diskutieren und weiter zu entwickeln sich<br />

lohnen dürfte – auch das vielleicht in einem Projekt demokratischen <strong>Handeln</strong>s in<br />

der Schule Eine weitere Service-Leistung bietet eine kommentierte Literaturauswahl<br />

für die an Vertiefung interessierten Leserinnen und Leser. Auch dort gilt<br />

das Prinzip der Auswahl, denn weit mehr, als hier zugänglich gemacht werden<br />

kann, wäre zu nennen. Dennoch, wichtige Texte zum Konzept und zu den<br />

Erfahrungen mit dem Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> sind damit leicht<br />

zu erschließen. Demselben Zweck dienen eine Reihe knapp charakterisierter<br />

Internetangebote und Kontaktadressen, die hilfreich sein können, wenn sich in<br />

einer Schule eine Gruppe von Menschen dazu entschließt, ein Projekt demokratischen<br />

<strong>Handeln</strong>s zu planen und durchzuführen – insbesondere hier sind auch<br />

sächsische Erfahrungsträger berücksichtigt.<br />

VIII. Geleitet wird dieser Band der „Siebeneichener Diskurse“ von der nicht<br />

abschließbaren Aufgabe, zur Demokratie zu erziehen. Das heißt, die Notwendigkeit<br />

der Demokratie, deren Sinnfälligkeit, aber auch Angewiesenheit auf positive<br />

Wertentscheidungen der Jugendlichen und vor allem auf ihr entschiedenes<br />

Engagement zu vermitteln. Dieser Aufgabe der Schule müssen wir Lösungsmöglichkeiten<br />

anbieten. Kein Buchwissen alleine hilft uns da weiter: „Der<br />

Ausgangspunkt ist die konkrete politische Frage im weitesten Sinn, ein Problem,<br />

eine Schwierigkeit aus der Erfahrung“, so beginnt Hartmut von Hentig seine<br />

Thesen zur Didaktik der politischen Bildung, die er erstmals 1963 – also vor 43<br />

Jahren bereits – formuliert hat und die in einem Buch mit dem sprechenden Titel<br />

„Spielraum und Ernstfall“ 1 veröffentlicht worden sind. Er führt seine provozierende<br />

Rede gegen eine zu starke Didaktisierung und Methodisierung schulischen<br />

Lernens in einer zweiten These fort, die auf das, was wir heute unter dem<br />

Stichwort der „Demokratiepädagogik“ diskutieren, geradezu programmatisch<br />

wirkt: „Es kommt nicht darauf an, neue Verantwortungen zu erschließen, sondern<br />

die, die man schon trägt, bewusst zu machen“, heißt es da. Und weiter: „Ein politischer<br />

Unterricht, der nur von Dingen handelt, an denen niemand aus der engeren<br />

Umwelt des Schülers aktiv teilhat, geschweige denn etwas ändert oder auch<br />

nur ändern könnte, verführt zu einem geradezu unpolitischen Denken.“ 2 So<br />

aktuell können Texte der Pädagogik aus den 1960er-Jahren sein! Um nichts anderes<br />

geht es der Demokratiepädagogik und der Förderung von Schulprojekten<br />

durch den Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“. Nicht<br />

1 Hentig, H. von (1969): Politische Bildung auf der „wissenschaftlichen Oberstufe“. In: Ders.<br />

(Hrsg.): Spielraum und Ernstfall. Gesammelte Aufsätze zu einer Pädagogik der Selbstbestimmung.<br />

Stuttgart: Klett, S. 327-361. Das Zitat steht auf S. 344. Der Artikel selbst stammt aus dem Jahre<br />

1963.<br />

2 Ebd., S. 346.<br />

19


Einführung<br />

Unterricht und Wissen über Politik zu ersetzen durch einen vordergründigen und<br />

lokal gebundenen Aktivismus des Sozialen ist das Ziel – wie bisweilen unterstellt<br />

wird. Vielmehr muss der Beitrag der in der Schule zu gewinnenden Bildung für<br />

die Demokratie darin liegen, dass die Bereitschaft wächst, am politischen Prozess<br />

in der Demokratie mitzuwirken. Dabei muss diese Bereitschaft von dem<br />

Vertrauen in die Veränderungsfähigkeit ebenso getragen werden wie von der<br />

Einsicht in die Pflicht zur Partizipation, die daraus für jeden resultiert. Dann wird<br />

der Begriff der Politik nahezu von alleine zu einer Dimension der Demokratie.<br />

Jena und Meißen, im November 2006<br />

Dr. Wolfgang Beutel,<br />

Geschäftsführung Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“<br />

Dr. Wolfgang Wildfeuer,<br />

Regionalberater für Sachsen im „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“<br />

20


I. Beiträge zur Demokratiepädagogik


Peter Fauser: Demokratiepädagogik oder politische Bildung 1<br />

Zur gegenwärtigen Diskussion über die Zukunft der politischen Bildung äußere<br />

ich mich als „Quereinsteiger“, nicht als Politikwissenschaftler oder Didaktiker,<br />

sondern als Schulpädagoge. Wichtig ist mir vor allem die Erfahrung mit Reformprojekten<br />

wie „Praktisches Lernen“, „<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ (Beutel/Fauser<br />

2001), „Imaginata“ und das Modellprogramm „Demokratie lernen und leben“ der<br />

BLK (Edelstein/Fauser 2001). Alle diese Projekte werden ganz wesentlich durch<br />

zivilgesellschaftliche Initiativen und Partner geprägt.<br />

Überraschend waren die teils heftigen und polemischen Reaktion aus der<br />

„Zunft“ der Politikdidaktik auf die Expertise und die Genese des BLK-Programms.<br />

Einiges davon geht vermutlich auf Unterschiede der professionellen<br />

Perspektive zurück. Demokratiepädagogisch werden dabei aber über solche<br />

Unterschiede hinaus sehr grundsätzliche theoretische und praktische Fragen verhandelt.<br />

Angesichts der Bedeutung des Themas kann es nicht schaden, wenn<br />

diese Debatte inhaltlich an Schärfe gewinnt. Ich möchte deshalb meine Sicht im<br />

Folgenden bewusst zuspitzend formulieren.<br />

Die Lage<br />

1. Die politische Bildung von Jugendlichen in Deutschland erscheint, auch im<br />

internationalen Vergleich, als ungenügend. Bei Unterschieden im Einzelnen dürfen<br />

wir im Ganzen alles andere als zufrieden sein: mit dem Wissensstand, der<br />

Urteilsfähigkeit, dem Interesse an der Politik, der Bereitschaft zu politischem<br />

Engagement, dem Verhältnis zu Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und<br />

Antisemitismus. Die Lage hat sich in den letzten fünfzehn Jahren nicht gebessert,<br />

sondern weiter verschlechtert. Die Kluft zwischen bildungsnah und bildungsfern<br />

aufwachsenden Jugendlichen wächst. Und Jugendliche sind hier gesamtgesellschaftlich<br />

nicht die Ausnahme, sondern eher Symptomträger. Dabei muss die<br />

stärkere Gefährdung von Jugendlichen im Osten besonders alarmieren.<br />

2. Der massiven und wachsenden Geringschätzung der organisierten Politik<br />

und dem Misstrauen gegen Politiker und Parteien steht eine deutliche<br />

Wertschätzung demokratischer Verhältnisse gegenüber. Allerdings gehört zu diesem<br />

Befund eine Kehrseite: Jugendliche scheinen Demokratie und Politik als<br />

voneinander getrennte Themen und Sphären zu betrachten. Demokratie als<br />

1 Dieser Text ist erstmals erschienen in: kursiv – Journal für politische Bildung, 9(2004)1, S. 44-48.<br />

23


Peter Fauser<br />

Qualität gemeinschaftlich organisierter Kommunitäten wird unterschieden von<br />

der Politik als machtgesteuertem Systemspiel.<br />

Hier droht offenbar die Gefahr einer demokratiepolitischen Resignation, was<br />

freilich kein jugendspezifisches Phänomen darstellt. Man muss darin eher eine<br />

gesamtkulturelle Reaktion auf die zunehmende, mit der Globalisierung auftretende<br />

Asymmetrie zwischen Politik und Ökonomie sehen, zwischen der politischen<br />

Reichweite nationalstaatlich verfasster Demokratien und der Reichweite von<br />

Systemprozessen, bei denen der Transfer von Geld, Informationen, Macht und<br />

Gewalt global organisiert wird. Gefährlich ist die Spaltung zwischen Demokratie<br />

und Politik vor allem, weil sie die Tendenz verstärkt, den universalistischen<br />

Anspruch des demokratischen Weges unter dem einschüchternden Druck globaler<br />

Oligarchien zurückzunehmen. Das führt in der Konsequenz hinter die<br />

Verfassungsidee des demokratischen und sozialen Rechtsstaats und der<br />

Menschenrechtsbindung staatlicher und überstaatlicher Politik zurück. Das ist ein<br />

Weg zurück hinter Aufklärung und Moderne; zu deren Grundlagen gehört die<br />

Vorstellung, dass für die Verwirklichung der Menschenrechte gerade der<br />

Zusammenhang zwischen Demokratie und Politik normativ richtungsweisend ist.<br />

Erhalt und Erneuerung dieses Zusammenhangs stellen aus meiner Sicht im<br />

Zeitalter der globalen Verflechtung für die politische Bildung die entscheidende<br />

Herausforderung dar. Diese Herausforderung stellt sich nach innen und nach<br />

außen – im Blick auf die Verfassung des Einzelnen wie im Blick auf die<br />

Verfassung der Gesellschaft.<br />

Korrekturen<br />

3. Die gegenwärtigen Debatten über das Verhältnis zwischen „Demokratie<br />

lernen“ und „politischer Bildung“ lassen sich vor diesem Hintergrund als<br />

Bemühungen verstehen, eine notwendig gewordene Neubestimmung des<br />

Koordinatensystems politischer Bildung vorzunehmen. Das Leitbild der „mündigen<br />

Bürgerinnen und Bürger“ wird neu justiert. In der Tat bedarf das bis heute<br />

wirksame Bild des wissenden, des kritischen, aufgeklärten, urteilsfähigen<br />

Bürgers, wie es in den siebziger Jahren von Giesecke gezeichnet worden ist, der<br />

Korrektur. Keineswegs soll dabei der Anspruch der Aufklärung zurückgenommen<br />

werden. Im Gegenteil: „Aufklärung“ muss im Interesse einer erneuerten politischen<br />

Zeitgenossenschaft heute weiter gefasst werden als damals. Sie verlangt<br />

über Wissen und Urteilsfähigkeit hinaus Handlungskompetenz – die Bereitschaft<br />

und Fähigkeit, zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Wissen und<br />

Wählen ist nicht genug, <strong>Handeln</strong> und Verantwortung müssen hinzukommen.<br />

4. Zwei Argumente halte ich für besonders wesentlich. Erstens: Globalisierung<br />

ist kein fernes Geschehen, sondern eine Transformation, durch die<br />

Alltagsverhältnisse und Einstellungen immer unmittelbarer an global wirksame<br />

Systemprozesse gekoppelt werden. Handys, Markenklamotten, Internet,<br />

Superstar-Shows, Arbeitslosigkeit, Terror, Fundamentalismus, Leistungsdruck<br />

sind überall. Der „flexible Mensch“ (Sennett 1998) ist kein Begriff für äußere<br />

Mobilität, sondern für einen Habitus, der das <strong>Handeln</strong> von innen steuert. Ulrich<br />

Beck (2000) spricht daher zu Recht von einer „Globalisierung von innen“. Die<br />

Reichweite eines nationalstaatlich organisierten politischen <strong>Handeln</strong>s wird durch<br />

24


Demokratiepädagogik oder politische Bildung<br />

die Globalisierung zugleich übersprungen und unterlaufen. Deshalb genügt es<br />

nicht mehr, alle vier Jahre zu wählen. Immer wird von jedem Einzelnen ein zivilgesellschaftliches<br />

<strong>Handeln</strong> im ganz Alltäglichen verlangt.<br />

Zweitens: Mit „Zivilgesellschaft“ ist hier nicht der Raum außerstaatlichen<br />

<strong>Handeln</strong>s gemeint – das, was Hegel als „Gesellschaft“ vom „Staat“ unterschieden<br />

hat. „Zivilgesellschaft“ bezeichnet hier vielmehr das Ganze einer demokratischen<br />

Kultur, in der Demokratie das organisierende Prinzip für Lebensform,<br />

Gesellschaftsform und Herrschaftsform (Himmelmann 2001) bildet. Zu einer<br />

zivilgesellschaftlichen Alltagsrationalität gehört es nicht nur, sich zu informieren,<br />

intelligentes Wissen zu erwerben, sondern auch, sich einzumischen, sich mit<br />

anderen im Interesse des Gemeinwohls zu verbünden, und zwar auf lokaler wie<br />

auf regionaler wie auf globaler Ebene.<br />

5. Wir brauchen also aktive, demokratisch politisierte Bürger. Damit soll der<br />

freien Entscheidung Einzelner, ob sie handeln und sich politisch engagieren wollen<br />

oder nicht, keineswegs die Grundlage entzogen werden. Aber das Bild eines<br />

demokratisch politisierten Bürgers impliziert eine klare Bewertung, die das tätige<br />

demokratiepolitische Engagement bevorzugt. Gegen diese Sicht erhebt Sander<br />

(2001) den vielleicht fundamentalsten Einwand. Nach seiner Auffassung könnte<br />

die Freiheit als die alles entscheidende Grundlage einer menschenwürdigen<br />

Gesellschaft gefährdet werden, wenn politische Bildung über demokratisches<br />

<strong>Handeln</strong> definiert wird, weil diese Definition dem Einzelnen nicht die Option<br />

lässt, sich persönlich eben auch gegen politisches Engagement zu entscheiden.<br />

Hinter diesem Argument liegt die Frage, ob Demokratie eine Frucht der<br />

Freiheit ist oder umgekehrt. Diese Frage führt in die logische Falle von Henne<br />

und Ei. Richtig ist, dass Demokratie und Freiheit nicht unabhängig voneinander<br />

gedacht und definiert werden können. Praktisch freilich führt das politische<br />

Desengagement einer zunehmenden Zahl von Menschen, die von ihrer Freiheit,<br />

sich nicht zu engagieren, Gebrauch machen, zum Verlust der Freiheit und der<br />

Demokratie und spielt den neuen Formen des Autoritarismus in die Hände. Dem<br />

Argument von Sander liegt meines Erachtens ein entscheidungstheoretisch verkürzter<br />

Freiheitsbegriff zu Grunde. Verantwortungstheoretisch muss man darauf<br />

hinweisen, dass die Freiheit verspielt wird, wenn zu wenige sich engagieren. Mit<br />

Dahrendorf (2001) kann man von daher „Freiheit“ im Hinblick auf Demokratie<br />

als „tätige Freiheit“ bestimmen: „Tätige Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit.<br />

Das gilt besonders im öffentlichen Raum. Demokratie ohne Demokraten zerstört<br />

sich selbst. (...) Die andere Seite des neuen Autoritarismus ist die Gesellschaft der<br />

couch potatoes, der Fernsehzuschauer, die ihre Tage Kartoffelchips kauend auf<br />

dem Sofa verbringen und auf dem Bildschirm eine Welt passieren lassen, an der<br />

sie keinen Anteil mehr haben und bald auch keinen mehr haben können.“ (S. 9)<br />

6. Pädagogisch muss unterstrichen werden, dass die Option, sich einzumischen,<br />

praktisch gelernt werden muss. Handlungskompetenz – auch als die bloße<br />

Möglichkeit, bei Bedarf handeln zu können, – kann nur durch <strong>Handeln</strong> gelernt<br />

werden. Kompetenz erwirbt man performativ. Hält man Sanders liberalistische<br />

Sicht, die am Ende dem Staat den Erhalt der Freiheit überantwortet, schon politiktheoretisch<br />

für problematisch, so muss man ihr pädagogisch auf der ganzen<br />

Linie widersprechen. Zumindest pädagogisch also müssen wir „politisches<br />

25


Peter Fauser<br />

Lernen“ als demokratisches Lernen orchestrieren. Der Zielvision einer zivilgesellschaftlich<br />

mündigen Zeitgenossenschaft des mündigen Bürgers entspricht<br />

pädagogisch die kompetenztheoretische Sicht von Bildung und Lernen, wie sie<br />

etwa von Weinert formuliert worden ist. Sie betrachtet dabei intelligentes Wissen<br />

selbstverständlich als notwendigen Teil von Handlungskompetenz. Eine solche<br />

Betrachtung hat pädagogisch unter anderem den Vorzug, dass sie der Bedeutung<br />

des <strong>Handeln</strong>s und der Erfahrung für Wissen und Urteilen gerecht wird.<br />

7. Die Schule ist immer schon Teil der politischen Sozialisation. Sie greift in<br />

die Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen ein – die deutsche Schule verschärft<br />

die herkunftsbedingten Differenzen und verstärkt die Benachteiligung der<br />

ohnehin Benachteiligten. Die Schule verstärkt durch Demütigungserfahrungen die<br />

Gewalt- und Extremismusneigung von belasteten und gefährdeten Jugend-lichen.<br />

Die Schule begrenzt die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Eltern, Lehrern und<br />

Schülern nach wie vor auf zweitrangige Fragen. Das sind drei Beispiele dafür, dass<br />

die Schule demokratiepolitisch wirksam ist – in diesem Fall mit negativen<br />

Vorzeichen –, und dass nicht nur ihr offizieller, sondern ihr heimlicher Lehrplan<br />

auf die politische Bildung und die politische Sozialisation Einfluss nimmt. Wer<br />

politische Bildung an Aufklärung und Gerechtigkeit koppelt, wird die Schule als<br />

Ganzes in den Blick nehmen müssen. Das soll gerade nicht als Forderung missverstanden<br />

werden, die Schule müsse wie eine repräsentative Demokratie, wie ein<br />

kleiner Staat, verfasst sein – auch wenn eine Annäherung an dieses Ideal keineswegs<br />

schädlich wäre. Gemeint ist damit vielmehr: Erstens muss die Schule als<br />

Ganze eine demokratische Kultur bilden, die von einer Atmosphäre deliberativer<br />

Willensbildung und demokratischer Transparenz geprägt ist. Sie ist zweitens verpflichtet,<br />

allen Kindern Anerkennung zu gewähren, die Rechte und Chancen aller<br />

Kinder nach besten Kräften zu fördern und Demütigung zu verhindern; dazu gehören<br />

beispielsweise: ein anderer Umgang mit Heterogenität (einschließlich dafür<br />

erforderlicher Systemkorrek-turen) und entsprechende Verfahren einer förderlichen<br />

Leistungsbewertung. Sie muss drittens – durch das fachliche Lernen und<br />

darüber hinaus – zu kritischem Urteil und praktischem Engagement, zu demokratischem<br />

<strong>Handeln</strong> ermutigen und befähigen.<br />

Vor diesem Hintergrund haben wir den Betrachtungsrahmen für das<br />

Modellprogramm der BLK oder das Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong><br />

von vornherein demokratiepädagogisch erweitert und auf die Schule als Ganze<br />

bezogen. Sie muss als Ensemble von demokratiepädagogischen und demokratiepolitischen<br />

Gelegenheitsstrukturen ausgestaltet werden. Deweys Idealmodell der<br />

Schule als einer embryonic society entspringt einer solchen Perspektive, bei der<br />

die Schule sich in das Ensemble von kleinen und großen Kommunitäten einreiht,<br />

durch die sich der Geist ziviler Handlungsverhältnisse, auf dem die Demokratie<br />

beruht, immer wieder erneuern kann.<br />

8. Insgesamt lassen sich im Blick auf die gegenwärtige Lage und Debatte über<br />

politische Bildung Schwächen und Schwierigkeiten ausmachen. Legt man den<br />

von Kerstin Pohl herausgegebenen Sammelband „Positionen der politischen<br />

Bildung“ zugrunde, dann erscheint diese Debatte – bei großen Unterschieden<br />

etwa zwischen Breit, Giesecke, Grammes, Henkenborg, Himmelmann oder<br />

Sander – in ihrem Hauptstrom doch<br />

26


Demokratiepädagogik oder politische Bildung<br />

• noch immer zu stark wissens- und zu wenig kompetenz- und handlungszentriert,<br />

• zu stark auf das Fach und zu wenig auf die Schule als Ganze ausgerichtet,<br />

• zu stark an Aufklärung über Politik und zu wenig an Verantwortung für<br />

die Demokratie orientiert.<br />

Leider haben wir im Deutschen keinen Begriff wie „Civic Education“, der sich<br />

für Rahmen, Ziele und Inhalte sowohl einer auf das Ganze der Schule bezogenen<br />

Demokratiepädagogik als auch im Hinblick auf den Fachunterricht als<br />

Dachbegriff sehr gut eignen würde. Die Frage nach den richtigen Begriffen<br />

scheint mir hier besonders wichtig zu sein, weil wir mit ihnen als Zeitgenossen<br />

unseren politischen und pädagogischen Richtungssinn modellieren. Davon hängt<br />

es auch bis zu einem gewissen Maß ab, ob wir mit den globalen Transformationen<br />

aktiv oder reaktiv umgehen. Ob der Begriff der „politischen Bildung“ als fachliches<br />

Modellierungsinstrument ausreicht, um diese Herausforderung anzunehmen,<br />

erscheint mir gerade auch angesichts der Diskussion unter den Spezialisten<br />

als zweifelhaft; die Existenz konkurrierender professioneller Fachgesellschaften<br />

macht die Situation nicht einfacher. Unübersehbar ist freilich, dass eine richtungsklärende<br />

fachöffentliche Diskussion notwendig ist.<br />

Literatur<br />

Beck, U. (2000): Die postnationale Gesellschaft und ihre Feinde. In: Assheuer,<br />

T. / Perger, W. (Hrsg.): Was wird aus der Demokratie Opladen: Leske +<br />

Budrich, S. 35-50.<br />

Beck, U./ Giddens, A./ Lash, S. (1996): Reflexive Modernisierung. Eine<br />

Kontroverse, Frankfurt/ M.: Suhrkamp.<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (2001): Erfahrene Demokratie. Wie Politik<br />

praktisch gelernt werden kann. Opladen: Leske + Budrich.<br />

Dahrendorf, R. (2001): Liberale Ordnung. Ein Plädoyer für Tätigkeit. In:<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 80 vom 6. April 2001, S. 9.<br />

Dewey, J. (³1993): Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die<br />

philosophische Pädagogik. Übersetzt von Erich Hylla. Hrsg. und mit einem<br />

Nachw. von Jürgen Oelkers. Weinheim: Beltz.<br />

Edelstein, W./ Fauser, P. (2001): Demokratie lernen und leben. Gutachten zum<br />

Programm. Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung, Heft<br />

96. Bonn: BLK.<br />

Himmelmann, G. (2001): Demokratie Lernen als Lebens-, Gesellschafts- und<br />

Herrschaftsform. Ein Lehr- und Studienbuch. Schwalbach/Ts.: Wochenschau<br />

Verlag.<br />

Pohl, K. (Hrsg.) (2003): Positionen der politischen Bildung 1. Ein<br />

Interviewbuch zur Politikdidaktik. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

27


Peter Fauser<br />

Sander, W. (2001): Politik entdecken – Freiheit erleben. Neue Lernkulturen in<br />

der politischen Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

Sennett, R. ( 7 1998): Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus.<br />

Berlin: Berlin Verlag.<br />

28


Dirk Lange: Demokratiepädagogik zwischen Fachlichkeit und<br />

Schulprinzip. Demokratie-Lernen als Politische Bildung<br />

Die Demokratiepädagogik hat in den vergangenen Jahren eine erfreuliche<br />

Renaissance erfahren. Im Rahmen von Schulprofilen, Lernprogrammen und<br />

Projektinitiativen, aber auch im fachlichen und interdisziplinären Unterricht hat<br />

dieser Bildungsbereich zunehmend an Bedeutung gewonnen (Beutel/Fauser<br />

2001, 2005; Sliwka 2001; Edelstein 2005). Die Demokratiepädagogik verfolgt<br />

das Ziel, die gesellschaftliche Partizipationsbereitschaft von Schülerinnen und<br />

Schülern zu fördern. Damit hat sie ein weites Überschneidungsfeld mit der<br />

Politischen Bildung (Henkenborg 2005). So erscheint es zunächst verwunderlich,<br />

dass sich um die Projekte der Demokratiepädagogik eine so heftig geführte<br />

Kontroverse entzünden konnte (vgl. beispielhaft Breit/Schiele 2002, 2004;<br />

Sander 2003, S. 8 f.; Massing 2002; Beutel 2006). Im Kern lautet die aus Kreisen<br />

der Politikdidaktik geäußerte Kritik, dass die demokratiepädagogischen Zugänge<br />

eine Entfachlichung der Politischen Bildung begünstigen würden.<br />

Hätten die schulbezogenen Initiativen nicht ebenso als pädagogische<br />

Fassetten in den Diskurs der Didaktik der Politischen Bildung integriert werden<br />

können Was ist die Ursache für die Warnungen und Abgrenzungen von<br />

Vertretern der Fachdidaktik Die Didaktik der Politischen Bildung hatte in den<br />

1980er Jahren zunächst selbst einen Prozess der Entfachlichung erfahren. Die<br />

Ausdifferenzierung in die verschiedenen Prinzipien der Politischen Bildung, wie<br />

die Schüler-, Erfahrungs,- Handlungs-, Lebenswelt- oder Problemorientierung,<br />

führte zu einer gewissen Beliebigkeit der Lerngegenstände. Die Substanz des<br />

Faches, die Spezifik des Politischen Bildungsbereichs war in diesem Prozess<br />

nicht mehr hinreichend sichtbar. Die Konturen des Faches drohten zusehends zu<br />

verschwimmen. (Gagel 1985; Grammes 1991).<br />

Als Reaktion darauf wandte sich die Politikdidaktik in den 1990er Jahren der<br />

Frage nach dem „Kern der politischen Bildung“ (Massing 2004, S. 81 ff.;<br />

Massing/Weißeno 1995) zu. In diesem Prozess wurde die Politikwissenschaft als<br />

Leitdisziplin wieder entdeckt. Nunmehr verschafften fachwissenschaftliche<br />

Inhalte, Kategorien und Instrumentarien wie die Politik-Trias (Polity, Politics,<br />

Policy) oder die Politikfeldanalyse (Problemlösezyklus) der Didaktik der<br />

Politischen Bildung wieder ein klares fachliches Profil (Ackermann et al. 1994,<br />

S. 33 ff.).<br />

Heute stellte sich für einige Politikdidaktiker die Frage, ob diese wiedergewonnene<br />

Fachidentität der Politischen Bildung durch die Demokratiepädagogik<br />

erneut in die Sphären des Fachunspezifischen überführt werden könnte. Die<br />

These, dass die Projekte zum Demokratie-Lernen und zum demokratischen<br />

29


Dirk Lange<br />

<strong>Handeln</strong> eine unpolitische Politische Bildung wieder beleben könnten, wird<br />

durch folgende Argumentationsmuster gestützt:<br />

• Die Projekte der Demokratiepädagogik würden den Kern der Politischen Bildung<br />

verfehlen.<br />

• Die Alltagsorientierung der Demokratiepädagogik erreiche nicht das Politische.<br />

• Die Demokratiepädagogik verkürze die Demokratie auf eine Lebensform.<br />

Das sind durchweg ernst zu nehmende Sachargumente. Folgt man ihrer Logik<br />

stellt sich tatsächlich die Frage, ob die Projekte der Demokratiepädagogik nicht in<br />

einer grundsätzlichen Opposition zu den Aufgaben der Politischen Bildung stehen.<br />

Viele der Argumente sind in der Kontroverse der vergangenen Jahre so zugespitzt<br />

formuliert worden, dass der Anschein entstand, es handele sich bei der<br />

Politischen Bildung und der Demokratiepädagogik um grundverschiedene und<br />

sich zum Teil widersprechende Zugänge. Die daraus resultierende Vorstellung,<br />

die Politische Bildung interessiere sich für die Demokratie nur als politischen<br />

Unterrichtsgegenstand und die Demokratiepädagogik bediene sich der<br />

Demokratie nur als unpolitisches Schulprinzip, geht aber in der Realität nicht auf.<br />

Die Kontroverse wurde von beiden Seiten bewusst polarisiert, um Problembereiche<br />

kenntlich zu machen und eigene Positionen zu konturieren. Auf Dauer<br />

wird sich die Betonung der Unterschiede zwischen Demokratiepädagogik und<br />

Politischer Bildung aber als fruchtlos erweisen. Der Überschneidungsbereich<br />

zwischen den beiden Diskursen ist zu groß, als dass die Gemeinsamkeiten ignoriert<br />

werden könnten (Himmelmann/Lange 2005).<br />

Der vorliegende Beitrag sucht nach „Brücken“, die eine konstruktive Kommunikation<br />

wieder beleben könnten. Hierzu wird eine erweiterte Auseinandersetzung<br />

mit der Frage nach der Fachlichkeit Politischer Bildung angeregt. Löst<br />

man sich von einer verengten Fachlichkeitsvorstellung, dann kann auch die Kritik<br />

der Entfachlichung durch Demokratiepädagogik nicht mehr in ihrer Schärfe aufrechterhalten<br />

werden.<br />

Die These des vorliegenden Beitrags lautet, dass sowohl die Demokratiepädagogik<br />

als auch die Politische Bildung fachliches – also politisches – Lernen<br />

anleiten können. Die Politikdidaktik hat die Aufgabe, Instrumentarien bereitzustellen,<br />

die es ermöglichen, das Politische (oder auch das Unpolitische) sowohl in<br />

Demokratieprojekten als auch im Politikunterricht zu erkennen. Hierbei dürfen<br />

die Kategorien der Fachlichkeit nicht als Abwehr-, sondern müssen als Ana-lyseinstrumente<br />

auch für scheinbar politikferne Lernsituationen genutzt werden.<br />

Die politikdidaktische Frage lautet also nicht: Wo und warum sind die<br />

Projekte der Demokratiepädagogik unpolitisch Sie lautet vielmehr: Wo und<br />

warum sind die Projekte der Demokratiepädagogik politikrelevant Dabei werden<br />

im Folgenden die oben genannten Argumentationsmuster der ‚Entfachlichung<br />

durch Demokratiepädagogik‘ reinterpretiert. Die Fragen lauten nunmehr:<br />

• Berühren die Projekte der Demokratiepädagogik den fachlichen Kern der<br />

Politischen Bildung<br />

• Entwickelt die Alltagsorientierung der Demokratiepädagogik politikdidaktische<br />

Relevanz<br />

30


Demokratiepädagogik zwischen Fachlichkeit und Schulprinzip<br />

• Gelingt der Demokratiepädagogik die Verbindung von Demokratie als<br />

Lebens- und als Herrschaftsform<br />

Berühren die Projekte der Demokratiepädagogik den fachlichen Kern der<br />

Politischen Bildung<br />

Um diese Frage sinnvoll zu beantworten, muss zunächst geklärt sein, was das<br />

Zentrum der Politischen Bildung ausmacht. Wird der Kern der Politischen<br />

Bildung stringent aus Kategorien der Politikwissenschaft abgeleitet, steht die<br />

Relevanz der Demokratiepädagogik tatsächlich schnell in Frage. Aber die<br />

Dreiteilung des Politischen in Polity, Politics und Policy oder die Rezeption des<br />

politischen Problemlösezyklus kann das Zentrum der Politischen Bildung nicht<br />

hinreichend erfassen. In den aktuellen Diskussionen über Bildungsstandards und<br />

Kerncurricula werden durchweg mehrere fachliche Kerne identifiziert. Der von<br />

der GPJE vorgelegte Entwurf von Bildungsstandards unterscheidet Politik,<br />

Wirtschaft, Gesellschaft und Recht (2004, S. 11). Andere Konzeptionen erweitern<br />

die sozialwissenschaftlichen Bezüge und erkennen in der Demokratie-orientierung<br />

ein fachintegrierendes Prinzip (Behrmann/Grammes/Reinhardt 2004;<br />

Himmelmann 2001).<br />

Allen Konzeptionen ist gemeinsam, dass sie das Zentrum der Politischen<br />

Bildung fachwissenschaftlich ableiten; sei es aus der Politikwissenschaft, den<br />

Sozialwissenschaften oder der Demokratiewissenschaft. Als didaktische<br />

Disziplin sollte sich die Politische Bildung aber von diesen fachwissenschaftlichen<br />

Vorgaben lösen und als eine Politische Bildungswissenschaft definieren.<br />

Eine solche betrachtet nicht die Politik oder die Gesellschaft, sondern das politisch-gesellschaftliche<br />

Bewusstsein von Lernenden als ihren zentralen Untersuchungsgegenstand<br />

(Lange 2006). Die Vorstellungen von (zukünftigen) Bürgerinnen<br />

und Bürgern über die politisch-gesellschaftliche Wirklichkeit, die sich in<br />

der Regel unabhängig von fachwissenschaftlichen Kategorien entwickeln, stehen<br />

im Zentrum der Politischen Bildung.<br />

Politische Bildung will Lernende befähigen, die politisch-gesellschaftliche<br />

Wirklichkeit zu erkennen, zu beurteilen und zu beeinflussen. Sie wirkt auf die politisch-gesellschaftliche<br />

Bewusstseinsbildung unter der Zielsetzung ein, auf Seiten<br />

der Lernenden ein Höchstmaß an Autonomie und Mündigkeit zu entwickeln. Im<br />

Mittelpunkt Politischer Bildung steht also der Mensch, dem durch die Entwicklung<br />

politischer Deutungs- und Handlungskompetenzen eine selbstbestimmte Lebensführung<br />

in einer immer komplexeren Gesellschaft ermöglicht werden soll.<br />

Die Didaktik der Politischen Bildung stellt ein Dachkonzept dar, das in unterschiedlichen<br />

Domänen reflektiert, wie sich politisch-gesellschaftliches Bewusstsein<br />

entwickelt und wie es unter der Leitidee der „mündigen Bürgerinnen und<br />

Bürger“ gefördert werden kann. Dabei lassen sich folgende Lernfelder der<br />

Politischen Bildung unterscheiden:<br />

Soziales Lernen entwickelt das Verständnis für gesellschaftliche Differenz<br />

und Interessenvielfalt. Es verbessert die in einer heterogen zusammengesetzten<br />

Gesellschaft notwendigen Interaktions- und Kommunikationskompetenzen der<br />

Lernenden. Für die Politische Bildung hat die Befähigung zur Gewaltvermeidung,<br />

zur Kooperation, zur Konfliktbewältigung und zur Anerkennung von<br />

31


Dirk Lange<br />

Differenz eine besondere Bedeutung. Kulturelles Lernen ist in der Politischen<br />

Bildung in erster Linie Moralisches Lernen. Politische Bildung will dazu beitragen,<br />

dass Wert- und Normvorstellungen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen<br />

erkannt, hinterfragt und entwickelt werden können. Das Ziel ist einerseits<br />

die Befähigung zur moralischen Urteilsbildung auf der normativen<br />

Grundlage von allgemein gültigen Prinzipien der Grund- und Menschenrechte.<br />

Auf der anderen Seite geht es um ein Verständnis unseres Rechtssystems. Ökonomisches<br />

Lernen entwickelt die Vorstellungen über Strukturen und Prozesse des<br />

Wirtschaftslebens. Politische Bildung will Kenntnisse über die Funktionslogik<br />

des ökonomischen Systems vermitteln und zur aktiven und reflektierten Teilhabe<br />

am Arbeitsleben befähigen. Lernende werden mit dem Prozess der Produktion<br />

und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen vertraut sowie auf eine Rolle als<br />

„mündige Verbraucher“ vorbereitet. Historisches Lernen formt und entwickelt<br />

das Geschichtsbewusstsein. Durch Politische Bildung wird gelernt, wie aus vergangenen<br />

Erfahrungen Sinnzusammenhänge für die Gegenwart und Zukunft<br />

gewonnen werden können. Historisch-politische Bildung lehrt zugleich, dass die<br />

politisch-gesellschaftliche Wirklichkeit geworden und damit auch veränderbar<br />

ist. Politisches Lernen thematisiert Politik im engeren Sinne. Politik transformiert<br />

die Interessenvielfalt einer sozialen Gruppe in allgemein verbindliche<br />

Regelungen. Durch politisches Lernen werden Vorstellungen darüber aufgebaut,<br />

wie in sozialen Gruppen allgemeine Verbindlichkeit hergestellt wird beziehungsweise<br />

werden soll. Politische Bildung will die Politikvorstellungen in eine<br />

Richtung entwickeln, dass sie Lernenden die kritische Beurteilung politikrelevanter<br />

Problemlagen und die aktive Teilhabe am politischen Prozess ermöglicht.<br />

Die Politische Bildung vereint also mehrere fachliche Lernfelder. Das innere<br />

Band zwischen diesen Zugangsweisen wird durch die normative Ausrichtung auf<br />

die Leitidee der Mündigkeit von Bürgerinnen und Bürgern gezogen. In jeder dieser<br />

Lernformen kann die Politische Bildung einen Beitrag zum Demokratie-<br />

Lernen und zu einer demokratischen Bürgerschaftsbildung leisten.<br />

Vor diesem Hintergrund kann die fachliche Relevanz der Demokratiepädagogik<br />

vermessen werden. Die demokratiepädagogischen Projekte, welche die<br />

demokratische Handlungs- und die gesellschaftliche Partizipationsbereitschaft<br />

der Schülerinnen und Schüler fördern, stehen in vielfältiger Beziehung zu den<br />

fachlichen Domänen der Politischen Bildung. In der Regel integrieren sie mehrere<br />

dieser Lernfelder. Es ist die Aufgabe der Didaktik der Politischen Bildung,<br />

diese Lernchancen zu entschlüsseln und der Reflexion zugänglich zu machen<br />

(Reinhardt 2005, S. 45 f.).<br />

Entwickelt die Alltagsorientierung der Demokratiepädagogik politikdidaktische<br />

Relevanz<br />

Alltagskonzepte nehmen sowohl in der Politischen Bildung als auch in der<br />

Demokratiepädagogik eine prominente Stellung ein. In der politikdidaktischen<br />

Diskussion haben sie zumeist die Funktion, politische Lerngegenstände mit den<br />

Voraussetzungen der Lernenden in eine lernwirksame Beziehung zu setzen. Die<br />

Thematik wird häufig unter dem Stichwort des ‚Brückenproblems’ thematisiert<br />

(Gagel 1989). Demnach hat das Prinzip der Alltagsorientierung die Funktion, die<br />

32


Demokratiepädagogik zwischen Fachlichkeit und Schulprinzip<br />

‚Brücke’ zwischen Lebenswelt und Politik didaktisch begehbar zu machen – „das<br />

heißt, eine Verbindung herzustellen zwischen (...) Alltagswelt und der Welt der<br />

Politik“ (Massing 1999, S. 11). Von Alltagsorientierung in der Politischen<br />

Bildung wird gesprochen, wenn eine Beziehung hergestellt werden soll zwischen<br />

Schülerinteressen und Fachperspektiven, dem konkreten Mikro- und dem<br />

abstrakten Makrokosmos, subjektiver Betroffenheit und objektiver Bedeutsamkeit,<br />

der Lebens- und der Systemwelt, Erfahrungen und Erkenntnissen, Lebensnähe<br />

und Politikferne, dem Sozialen und dem Politischen oder naiven<br />

Vorstellungen und reflektiertem Wissen.<br />

In all diesen Varianten wird der ‚Alltag’ der unpolitischen Seite der ‚didaktischen<br />

Brücke’ zugeordnet. Der Alltag selbst ist demnach nicht politikrelevant und<br />

muss mit dem eigentlich Politischen (der anderen Seite der Brücke) verbunden<br />

werden. Damit liegt den alltagsorientierten Konzepten der Politischen Bildung<br />

ein alltagsfernes Politikverständnis zu Grunde. Begriffsgeschichtlich schließen<br />

sie damit an Traditionslinien an, in denen sich das Politische aus der Differenz<br />

zum Alltäglichen begründet. Der Alltag wird durch jene Routinenhaftigkeit<br />

gekennzeichnet, die den Gestaltungsansprüchen des politischen <strong>Handeln</strong>s diametral<br />

gegenübersteht.<br />

Durch diese Begriffsbestimmung wird der Alltag deutlich von der Politik<br />

abgegrenzt. So unterliegt auch das alltagsbezogene Lernen einer beständigen<br />

Entpolitisierungstendenz. Eine Demokratiepädagogik, die den Schul- und<br />

Unterrichtsalltag strukturiert, ist schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, ohne<br />

Bezüge zum eigentlich Politischen zu sein.<br />

Aber ist das Politische wirklich nur in der Differenz zum Alltag sichtbar<br />

Kann ein Konzept alltagspolitischer Bildung nicht auch auf der gegenseitigen<br />

Bedingtheit – statt nur auf dem ausschließenden Gegensatz – von Politik und<br />

Alltag begründet werden (Lange 2004a). Begrifflich ist der Alltag hierzu so<br />

‚aufzuladen’, dass er nicht mehr mit trivialen und entpolitisierenden Lebensweltbezügen<br />

gleichgesetzt werden kann. Legt man die politikwissenschaftlichen<br />

Konzepte der „Entgrenzung des Politischen“ und der „Politisierung des Alltags“<br />

zu Grunde, so ergibt sich auch für die Alltagsbezüge der Demokratiepädagogik<br />

eine andere politische Relevanz (Lange 2004b, S. 36 ff.).<br />

Die Gegenüberstellung von alltäglichem und politischem <strong>Handeln</strong> zentriert<br />

das Politische auf die engeren Sphären des politischen Systems. Politik lässt sich<br />

aber nicht auf das Entscheidungshandeln von Politikern reduzieren. In einem<br />

erweiterten Staatsverständnis sind auch diejenigen alltäglichen Handlungsformen<br />

interessant, die als Subpolitiken Staatsfunktionen bedingen und am Prozess der<br />

Herstellung allgemeiner Verbindlichkeit beteiligt sind. Die ‚Politik von unten‘,<br />

‚Schattenpolitik‘, ‚Subpolitik‘ und ‚Mikropolitik‘ steht längst auf der Agenda der<br />

Politikwissenschaft. Die Alltäglichkeit ist politikwissenschaftlich relevant<br />

geworden. Die Demokratiepädagogik sollte sich dieser fachlichen Zugriffe auf<br />

den Alltag versichern.<br />

Der Alltagsbegriff verfügt nicht nur über die statischen Konnotationen, die er<br />

in phänomenologischen Denkgebäuden erfahren hat. Alltag wird auch als Ort<br />

gesellschaftlicher Reproduktion konzipiert, an dem objektive Bedingtheit und<br />

subjektive Interpretation korrelieren. Das Alltagsleben ist dann sowohl Wirkung<br />

als auch Bedingung für politisches <strong>Handeln</strong> und kann nicht mehr ausschließlich<br />

33


Dirk Lange<br />

der unpolitischen Sphäre zugeordnet werden. Das Politische wird in der Beziehungshaltigkeit<br />

von System- und Lebenswelt verortet. Die Demokratiepädagogik<br />

könnte – stärker als bisher – diejenigen sozialen Mikroprozesse berücksichtigen,<br />

die im Rahmen informeller Strukturen an der Konstitution von politischer<br />

Wirklichkeit beteiligt sind. Dabei müssen alltägliche Phänomene in ihren politischen<br />

Auswirkungen ebenso einbezogen werden, wie das Einwirken politischer<br />

Phänomene auf den Alltag.<br />

Politik beziehungsweise Demokratie und Alltag sind deshalb nicht als<br />

Gegensätze, sondern als ein gegenseitiges Bedingungsgeflecht zu verstehen, das<br />

didaktisch zugänglich gemacht werden kann. Die Demokratiepädagogik sollte<br />

sich – wie die alltagspolitische Bildung – nicht ausschließlich dadurch legitimieren,<br />

dass sie eine Brücke zwischen dem unpolitischen Alltag der Lernenden und<br />

der ‚großen Politik‘ herstellt, sondern indem sie das Politische im Alltag sichtbar<br />

und erlernbar macht.<br />

Gelingt der Demokratiepädagogik die Verbindung von Demokratie als Lebensund<br />

als Herrschaftsform<br />

Die Projekte der Demokratiepädagogik zielen darauf ab, Demokratie als<br />

Lebensform in der Schule erfahr- und erlernbar zu machen (Himmelmann 2001).<br />

Aus der Partizipation und Selbstorganisation im „Kleinen“ sollen Erfahrungen<br />

für die Demokratie im „Großen“ gewonnen werden. Die Demokratiepädagogik<br />

setzt damit an dem Umstand an, dass Schule nicht nur in der Demokratie, sondern<br />

auch als Demokratie gestaltet werden sollte. Aber was lässt sich dabei über<br />

Politik lernen Zu Recht problematisiert die politikdidaktische Kritik, dass ein<br />

verkürztes Demokratieverständnis entstehen könne, wenn die Schule umstandslos<br />

als demokratischer Raum betrachtet wird. Wird dadurch, dass nahezu jede<br />

Interaktion als demokratierelevant dargestellt wird, nicht ein unscharfes<br />

Politikverständnis erzeugt (Sander 2003).<br />

Zweifelsohne darf sich das Demokratieverständnis der Politischen Bildung<br />

nicht auf den Nahraum der Schule begrenzen. Nicht nur das Verhaltensmuster<br />

von Personen, sondern vielmehr das Funktionsgefüge von Institutionen kennzeichnet<br />

die Demokratie. Deshalb muss auf die Probleme einer naiven<br />

„Parallelisierung“ der Demokratie als Lebensform und der Demokratie als<br />

Herrschaftsform hingewiesen werden (Pohl 2004).<br />

Aber aus der Unmöglichkeit der Gleichsetzung sollte nicht vorschnell die<br />

Unmöglichkeit des Vergleichens geschlossen werden. Ein funktionales<br />

Politikverständnis erscheint durchaus in der Lage, politische Dimensionen in den<br />

Mikroebenen der Gesellschaft zu entdecken, ohne dabei zu trivialisieren. Ein solches<br />

Politikverständnis, das demokratische Strukturen, Inhalte und Prozesse auf<br />

der Mikroebene zu identifizieren vermag, sollte auch die Demokratiepädagogik<br />

zu Grunde legen.<br />

Die in der Politischen Bildung gebräuchliche Unterscheidung in ein enges<br />

und ein weites Politikverständnis reicht hierfür nicht aus. Das weite Politikverständnis<br />

löst das Politische im Sozialen auf und das enge Politikverständnis zentriert<br />

zu sehr auf die Institutionen des Staates. Beide eignen sich deshalb nicht,<br />

um die politische Relevanz von „Demokratie in der Schule“ mit fachlichen<br />

34


Demokratiepädagogik zwischen Fachlichkeit und Schulprinzip<br />

Kategorien zu erfassen. Es wird ein Begriff des Politischen benötigt, der einerseits<br />

der staatszentrierten Verengung begegnet, um das Politische auch in<br />

Lebensformen der Lernenden sichtbar zu machen. Er darf andererseits nicht konturlos<br />

werden. Die Erkenntnis, dass politisch relevantes <strong>Handeln</strong> potenziell in<br />

allen Bereichen der Gesellschaft stattfindet, darf nicht dazu führen, dass letztlich<br />

alles politisch ist.<br />

Ein auch für die Demokratiepädagogik sinnvolles Politikverständnis lautet:<br />

Politik transformiert Interessenvielfalt in allgemein verbindliche Regelungen und<br />

Entscheidungen. Politisches <strong>Handeln</strong> ist dasjenige soziale <strong>Handeln</strong>, welches auf<br />

die Herstellung allgemeiner Verbindlichkeit innerhalb einer sozialen Gruppe<br />

gerichtet ist. Durch diese Bestimmung ist gewährleistet, dass sich das Politische<br />

vom Sozialen abhebt. Soziales und alltägliches <strong>Handeln</strong> ist nur dann politisch,<br />

wenn es auf den Prozess der Herstellung von allgemein bindenden Regelungen<br />

bezogen ist. Gleichzeitig ist die politische Sphäre nicht auf die staatlichen<br />

Strukturen beschränkt, sondern umfasst alle Prozesse, Institutionen und<br />

Personen, die dazu beitragen, dass innerhalb einer sozialen Gruppe beziehungsweise<br />

Gesellschaft verbindliche Regelungen hergestellt werden. Das Politische<br />

ist damit weder vom Staat abhängig noch ausschließlich auf den Staat bezogen.<br />

Das Verständnis, dass Politik innerhalb einer sozialen Gruppe Interessenvielfalt<br />

in allgemeine Verbindlichkeit transformiert, würde die Demokratiepädagogik<br />

vor der Kritik der Entfachlichung bewahren. Denn es kann das Politische in der<br />

Lebensform entschlüsseln, ohne dabei an fachlicher Substanz zu verlieren. Die<br />

Schule und der Klassenraum müssen selbst als soziale Räume und Mikrogesellschaften<br />

erkannt werden, für die und in denen allgemeine Verbindlichkeit hergestellt<br />

wird. Die Gestaltungschancen der demokratischen Lebensform stellen einen<br />

Bestandteil des politischen Mehrebenensystems dar.<br />

Die Projekte der Demokratiepädagogik können die Beteiligungsmöglichkeiten,<br />

Konflikte sowie Interessengegensätze, die in der Klasse und in der Schule<br />

bestehen, für politische Lernzwecke nutzen. Die Wahl eines Klassensprechers<br />

oder -rates, das Einrichten von Jahrgangs- oder Schulparlamenten oder andere<br />

Formen der Schülermitverwaltung können fachlich problematisiert werden. Auch<br />

ein regelmäßig stattfindendes Klassenplenum kann Gegenstand der politischen<br />

Reflexion werden. Außerdem können Formen der Mitverantwortung wie Ämterund<br />

Helfersysteme oder Rituale in ihrer Bedeutung für die Schulkultur thematisiert<br />

werden. Die Aufgabe der Politischen Bildung wäre es dabei, die politischen<br />

Inhalte, Strukturen und Prozesse im sozialen System Schule zu identifizieren.<br />

Gleichwohl ist zu bedenken, dass die Partizipationschancen in der Schule<br />

ungleich höher sind als in der Gesellschaft. Dies ist nicht zu bestreiten. Die relativ<br />

guten Mitwirkungsmöglichkeiten, welche im Schulleben erfahren werden<br />

können, lassen sich nicht ohne Weiteres auf größere soziale Systeme übertragen.<br />

Aber der Prozess der Herstellung allgemeiner Verbindlichkeiten lässt sich sowohl<br />

in der Schule als auch in der Gesamtgesellschaft identifizieren und als politische<br />

Lernchance nutzen. Ein Vergleich der Funktionsweisen des Politischen auf der<br />

Mikro- und Makroebene bedeutet ja noch nicht deren Gleichsetzung.<br />

Die Demokratiepädagogik stellt sich die Aufgabe, Prinzipien wie<br />

Anerkennung, Gerechtigkeit oder Freiheit in der kulturellen Sphäre des schulischen<br />

Zusammenlebens und der schulischen Beteiligung zu verankern. Sie trägt<br />

35


Dirk Lange<br />

damit zur Entwicklung einer Kultur der Anerkennung in Schule und Unterricht<br />

bei (Hafeneger/Henkenborg/Scherr 2002). In diesem Kontext werden Fragen der<br />

Geschlechtergleichheit und der Interkulturalität sowie der Kooperation, der<br />

Toleranz und der Fairness politikrelevant.<br />

Demokratiepädagogische Ansätze zielen dabei auf die Vermittlung von demokratischen<br />

Werten, Einstellungen und Grundhaltungen. <strong>Demokratisch</strong>es<br />

Entscheiden und Entscheiden in der Demokratie ist jedoch kein harmonischer<br />

Prozess. Zum Wesen des Politischen zählen die Interessenvielfalt und die<br />

Konflikthaftigkeit ihrer Regulation. Die Demokratiepädagogik sollte sichtbar<br />

machen, dass die Austragung von Konflikten für das Zusammenleben produktiv<br />

ist. Das Vorhandensein von Konflikten stellt eine politische Lernchance dar.<br />

Deshalb sind pädagogische Verfahren der Konfliktvermeidung oder Streitschlichtung<br />

für die Politische Bildung nur wenig relevant. In das Zentrum des<br />

Demokratie-Lernens gehören Methoden der konstruktiven Konfliktbewältigung.<br />

Bei der Auseinandersetzung mit den Verfahren der Mediation sollte die Einsicht<br />

in den Sinn demokratischer Konfliktregulation im Vordergrund stehen.<br />

Die Demokratiepädagogik und die Politische Bildung sollten sich keinesfalls<br />

mit einer Arbeitsteilung begnügen, nach der sich die einen mit den Konsens- und<br />

die anderen mit den Konfliktelementen der Demokratie zu beschäftigen haben.<br />

Vielmehr ist beides untrennbar aufeinander bezogen. Die Konvergenz von<br />

Werten und die Divergenz von Interessen sind komplementäre Bausteine der<br />

Demokratie. Das geregelte Austragen von Interessengegensätzen basiert auf<br />

gemeinsam geteilten Grundüberzeugungen. Auch diese müssen zum Gegenstand<br />

demokratischen Lernens in der Politischen Bildung gemacht werden. Dementsprechend<br />

sind sowohl die Wertebildung als auch das Konfliktlernen Bestandteile<br />

der Demokratiepädagogik und der Politischen Bildung.<br />

Die Wertbindung der Demokratiepädagogik gilt im Hinblick auf abstrakte<br />

Leitideen, beispielsweise der Humanität, der Menschwürde, des Friedens, der<br />

Gerechtigkeit, der Freiheit, der Gleichheit, der Toleranz oder der Solidarität. Sie<br />

findet jedoch ihre Grenze hinsichtlich der Ausgestaltung und Umsetzung dieser<br />

Prinzipien an konkreten Problemen: So bleibt es gesellschaftlich umstritten, wie<br />

die demokratischen Werte hinsichtlich konkreter politischer Entscheidungen zur<br />

Geltung gebracht werden sollen. Die Wertebildung darf nicht mit einer konkreten<br />

Anleitung zum politischen <strong>Handeln</strong> verwechselt werden, denn die demokratischen<br />

Konfliktparteien beziehen sich auf denselben Wertekanon. Diese geteilte<br />

Werteorientierung entbindet nicht von den Kategorien der pluralen Interessenvielfalt.<br />

Zentrale politische Kategorien wie Konflikt, Macht oder Interesse sollten<br />

auch beim moralischen Lernen nicht in den Hintergrund geraten. Kategoriale<br />

Erschließungsformen bleiben für den politischen Lernprozess bedeutsam:<br />

„Projekte, bei denen solche Kategorien kaum eine Rolle spielen, können zwar<br />

motivieren und wichtige Erfahrungen anbahnen, sie können aber nie und nimmer<br />

den Anspruch erheben, dieses Lernen reiche aus, um junge Menschen zu befähigen,<br />

aktiv in unserer Demokratie mitzuwirken.“ (Schiele 2006, S. 5)<br />

Die Demokratiepädagogik bewegt sich im Spannungsfeld gesellschaftlicher<br />

Konsens- und Konfliktfelder. Die Anerkennung einer konsensualen Wertebasis<br />

und einer konfliktiven Interessensphäre sind komplementäre Grundlagen des<br />

demokratischen Zusammenlebens.<br />

36


Demokratiepädagogik zwischen Fachlichkeit und Schulprinzip<br />

Fazit<br />

Negative Urteile über die Demokratiepädagogik sind nicht zuletzt die Folge einer<br />

spezifischen Sichtweise auf das Politische. Mit den dargestellten Konzepten der<br />

Politischen Bildung, der alltagspolitischen Bildung, eines funktionalen Politikverständnisses<br />

und der kategorialen Erschließung stehen theoretische<br />

Instrumentarien zur Verfügung, welche die Fachlichkeit in den Projekten der<br />

Demokratiepädagogik entschlüsseln beziehungsweise stärken können.<br />

Die Demokratiepädagogik sollte diese Konzepte nutzen, um die Lernprozesse<br />

in den von ihr gestalteten Lebenswelten zu reflektieren und sie zu politischen<br />

Erfahrungsräumen zu verdichten. Nicht zuletzt, damit sich die Schülerinnen und<br />

Schüler der Fachbezüge ihres <strong>Handeln</strong>s bewusst werden können.<br />

Dann wird die provokativ formulierte Unterscheidung zwischen der Demokratie<br />

als einem pädagogischen (aber unpolitischen) Schulprinzip und der Demokratie<br />

als einem fachlichen (und damit politischen) Lerngegenstand nicht aufrecht<br />

zu erhalten sein.<br />

Die Demokratiepädagogik und die Politische Bildung gehören zusammen und<br />

sollten dringend wieder zu einem gemeinsamen Diskurs zurückfinden. Das<br />

Erfahren und Reflektieren gesellschaftlicher Partizipation ist eine Voraussetzung<br />

dafür, dass Demokratie nicht nur formal, sondern substanziell in ihren Sinngehalten<br />

erlernt wird.<br />

Literatur<br />

Ackermann, P. et al. (1994): Politikdidaktik kurzgefasst. 13 Planungsfragen für<br />

den Politikunterricht. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

Behrmann, G./ Grammes, T./ Reinhardt, S. (2004): Politik: Kerncurriculum<br />

Sozialwissenschaften in der gymnasialen Oberstufe. In: Tenorth, H.-E.<br />

(Hrsg.): Kerncurriculum Oberstufe II. Biologie, Chemie, Physik,<br />

Geschichte, Politik. Expertisen im Auftrag der Ständigen Konferenz der<br />

Kultusminister. Weinheim: Beltz, S. 322-406.<br />

Beutel, W. (2006): „<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ in der Schule – Beitrag zur<br />

Demokratiepädagogik oder Ärgernis für die politische Bildung In: Lehren<br />

und Lernen, H. 1, S. 9-15.<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (2001): Erfahrene Demokratie. Wie Demokratie<br />

praktisch gelernt werden kann. Opladen: Leske + Budrich.<br />

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Breit, G./ Schiele, S. (Hrsg.) (2004): Demokratie braucht politische Bildung.<br />

Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung.<br />

Edelstein, W. (2005): Überlegungen zur Demokratiepädagogik. In:<br />

Himmelmann/Lange (2005), S. 208-226<br />

37


Dirk Lange<br />

Gagel, W. (1985): Betroffenheitspädagogik oder politischer Unterricht Kritik<br />

am Subjektivismus in der politischen Didaktik. In: Gegenwartskunde 35,<br />

H. 4, S. 403-414.<br />

Gagel, W. (1989): Renaissance der Institutionenkunde Didaktische Ansätze zur<br />

Integration von institutionenkundlichem in den politischen Unterricht. In:<br />

Gegenwartskunde 39, H. 3, S. 387-418.<br />

GPJE/Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und<br />

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Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

Grammes, T. (1991): Unpolitischer Gesellschaftskundeunterricht Anregungen<br />

zur Verknüpfung von Lebenskundeunterricht und Politik. Schwalbach/Ts.:<br />

Wochenschau Verlag.<br />

Hafeneger, B./ Henkenborg, P./ Scherr, A. (Hrsg.) (2002): Pädagogik der<br />

Anerkennung. Grundlagen, Konzepte, Praxisfelder. Reihe Politik und<br />

Bildung, Band 27. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

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Himmelmann, G. (2001): Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und<br />

Herrschaftsform. Ein Lehr- und Studienbuch. Schwalbach/Ts.: Wochenschau<br />

Verlag.<br />

Himmelmann, G. (2002): Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und<br />

Herrschaftsform. In: Breit/Schiele (2002), S. 21-39.<br />

Himmelmann, G. (2005): Auf der Suche nach dem richtigen Weg zum Ziel.<br />

Förderung von Demokratiekompetenz in der politischen Bildung. In:<br />

Himmelmann/Lange (2005), S. 245-257.<br />

Himmelmann, G./ Lange, D. (Hrsg.) (2005): Demokratiekompetenz. Beiträge<br />

aus Politikwissenschaft, Pädagogik und politischer Bildung. Wiesbaden: VS,<br />

Verl. für Sozialwiss.<br />

Lange, D. (2004a): Historisch-politische Didaktik. Zur Begründung historischpolitischen<br />

Lernens. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

Lange, D. (2004b): Alltagsorientierte politische Bildung. In: kursiv – Journal<br />

für politische Bildung 8, H. 1, S. 36-43.<br />

Lange, D. (2006): Politik oder Politikbewusstsein Zum Gegenstand der<br />

Politikdidaktik. In: Besand, A. (Hrsg.): Politische Bildung reloaded.<br />

Perspektiven und Impulse für die Zukunft. Schwalbach/Ts.: Wochenschau<br />

Verlag, S. 31-42.<br />

Massing, P. (1999): Alltagsorientierung. In: Richter, D./ Weißeno, G. (Hrsg.):<br />

Lexikon der politischen Bildung. Bd. 1, Didaktik und Schule.<br />

Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag, S. 11-12.<br />

38


Demokratiepädagogik zwischen Fachlichkeit und Schulprinzip<br />

Massing, P. (2002): Demokratie-Lernen oder Politik-Lernen In: Breit/Schiele<br />

(2002), S. 160-187.<br />

Massing, P. (2004): Der Kern der politischen Bildung In: Breit/Schiele (2004),<br />

S. 81-98.<br />

Massing, P./ Weißeno, G. (Hrsg.) (1995): Politik als Kern der politischen<br />

Bildung. Wege zur Überwindung unpolitischen Politikunterrichts. Opladen:<br />

Leske + Budrich.<br />

Pohl, K. (2004): Demokratie-Lernen als Aufgabe des Politikunterrichts Die<br />

Rezeption von Deweys Demokratiebegriffs und die Parallelisierungsfalle.<br />

In: Breit/Schiele (2004), S. 166-180.<br />

Reinhardt, V. (2005): Projektorientierung – Eine Chance für demokratievernetzte<br />

Schulkultur. In: Ders. (Hrsg.): Projekte machen Schule.<br />

Projektunterricht in der politischen Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau<br />

Verlag, S. 35-51.<br />

Sander, W. (2003): Politische Bildung als Demokratie-Lernen In: Polis, H. 3,<br />

S. 8-9.<br />

Schiele, S. (2006): Armut und Luxus in der politischen Bildung. In: Lehren und<br />

Lernen. H. 1, S. 3-8.<br />

Sliwka, A. (2001): Demokratie lernen und leben. Bd. 2, Das angloamerikanische<br />

Beispiel: Civic Education – Bildung für die Zivilgesellschaft:<br />

Ansätze und Methoden aus dem anglo-amerikanischen Raum. Weinheim:<br />

Freudenberg Stiftung.<br />

39


Wolfgang Beutel: Zur Legitimation der Demokratie.<br />

Schulische Beiträge zur Stärkung demokratischer<br />

Werthaltungen<br />

Der Kulturredakteur der Süddeutschen Zeitung, Thomas Steinfeld, schreibt am 8.<br />

September 2006, zu Beginn der Deutschland-Reise von Papst Benedikt unter der<br />

Schlagzeile „Nicht mehr wählen müssen“ eine skeptische Analyse zur Anziehungskraft,<br />

die der Oberhirte der katholischen Kirche auf die breiten Massen in<br />

der Bevölkerung Deutschlands auslöst. Er blickt dabei auf den Widerspruch zwischen<br />

der Begeisterung für den Papst und der bekannten Abwendung vieler<br />

Menschen von den großen Volkskirchen in Deutschland. Für diese Spannung findet<br />

er eine demokratietheoretische Erklärung: „Die meisten Deutschen, die den<br />

Besuch des Papstes begleiten werden, (…) sind nicht gläubig (…). Dass sie dennoch<br />

teilhaben wollten, dass sie dem Besuch sogar mit Enthusiasmus entgegensehen,<br />

beruht auf dem Bedürfnis (…) nach einer Macht, die legitim, aber nicht<br />

demokratisch ist (…). Wenn sich Demokraten für eine heilige Prozedur und deren<br />

Ergebnisse begeistern, (…) dann sind (sie) der gewählten Repräsentanten müde,<br />

der gequälten fahrigen Figuren, die nie etwas zustande zu bringen scheinen, ohne<br />

dass es dabei zu unendlichen Streitigkeiten und schlechten Kompromissen<br />

kommt.“ (Steinfeld 2006, S. 13) In der Begeisterung breiter Massen für Rituale<br />

und Führungspersonen sowie damit einhergehenden Identifikationsangeboten<br />

sieht er den Ausdruck einer Legitimationskrise der Demokratie.<br />

Diese Beobachtung macht zumindest darauf aufmerksam, dass die repräsentative<br />

Demokratie der Bundesrepublik Deutschland Identifikation stiften und vordem<br />

Legitimation erzeugen muss – nicht alleine in Blick auf die Angemessenheit<br />

der Lösungen, die sie den ihr obliegenden Aufgaben entgegenbringt, sondern vor<br />

allem auch in Hinsicht auf die Bevölkerung, die diese Demokratie akzeptieren<br />

und tragen, ja mehr noch, durch ihre eigene Verbundenheit dazu immer wieder<br />

stärken und auch erneuern muss. Der erste deutsche Bundespräsident, Theodor<br />

Heuss, hat den Zusammenhang zwischen Legitimation und Effektivität der<br />

Demokratie nach seiner erstmaligen Wahl am 12. September 1949 in einer<br />

Ansprache auf dem Marktplatz der Stadt Bonn auf folgende eingängige Formel<br />

gebracht: „Wenn die Verfassung nicht im Bewusstsein und in der Freude des<br />

Volkes selber mit lebendig ist, dann bleibt sie eine Machtgeschichte von<br />

Parteienkämpfen, die wohl notwendig sind, aber nicht den inneren Sinn miterfüllen.<br />

(…) Grade wir, die wir in der Demokratie mit ein Bekenntnis nicht bloß zu<br />

staatlichen Formen, sondern zu menschlichem Verhalten sehen, wir wissen, dass<br />

wir eh und je der Begegnung, der Verantwortung vor dem Volke bedürfen.“<br />

(Heuss 1967a, S. 111) Heuss unterstreicht dabei, dass dieses Gespräch mit der<br />

Bevölkerung nicht bloß ein „Nachspiel zur Bundesversammlung“ ist, sondern<br />

41


Wolfgang Beutel<br />

zum Wahlakt und damit zur demokratischen Legitimation der politischen<br />

Entscheidung dazugehört.<br />

Zurück zur Gegenwart: Aktuelle bedenkliche Entwicklungen und Nachrichten<br />

können (in geradezu bedrückender Vielfalt) hinzugefügt werden. Einige<br />

Beispiele: So indiziert der aktuelle Datenreport des Statistischen Bundesamtes<br />

(der am 14. September 2006 der Öffentlichkeit und der Presse vorgestellt worden<br />

ist) einen anhaltenden Rückgang der Zufriedenheit der deutschen Bevölkerung<br />

mit der Demokratie – erschreckend dabei v.a. auch das Auseinanderdriften dieser<br />

zurückgehenden Loyalität im Vergleich zwischen der Bevölkerung in den neuen<br />

und in den alten Bundesländern. Entsprechend titelt die Tageszeitung „Die<br />

WELT“: „Mehrheit gegen Demokratie – Die Demokratie als Staatsform hat in<br />

Deutschland deutlich an Akzeptanz verloren.“ (vom 14.09.06, S. 1) Die autoritären<br />

Pädagogik-Thesen zu „Mehr Disziplin“ des ehemaligen Schulleiters der<br />

Reformschule Salem am Bodensee, Bernhard Bueb, passen ebenfalls in<br />

Wahrnehmung, die Matthias Altenburg in der ZEIT unter die Rubrik<br />

„Demokratiemüdigkeit“ subsummiert hat: „Die Sehnsucht nach der harten Hand,<br />

die Ergebenheit vor dem päpstlichen Mummenschanz, der patriotische Taumel<br />

während der Weltmeisterschaft, das Wiedererstarken der NPD, die dramatisch<br />

sinkenden Wahlbeteiligungen, all das weist auf eine wachsende Demokratiemüdigkeit<br />

hin.“ (2006, S. 49) Das alles ist aktueller Anlass genug, um nicht nur<br />

die These einer Legitimationskrise in der Demokratie aufzugreifen, sondern die<br />

alte und für die Schulreform anhaltend bedeutsame Frage aufzuwerfen, wie insbesondere<br />

in der Schule ein Beitrag zur Stärkung demokratischer Legitimität<br />

geleistet werden kann.<br />

Der folgende Text diskutiert einleitend die These von der „Legitimationskrise<br />

der Demokratie“ (1.), erörtert dann den Zusammenhang zwischen „Legitimation<br />

und Demokratie“ (2.), kommt in einem nächsten Schritt auf ausgewählte Aspekte<br />

schulischer Wirksamkeit zur Stärkung demokratischer Werthaltungen (3.) und<br />

wird vor dem Hintergrund eines Schulprojekts zur Beteiligung von Erstwählern<br />

aus dem Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> (4.) dessen Beitrag zur Förderung<br />

„demokratischer Werthaltungen“ im Sinne der Demokratiepädagogik (5.)<br />

aufzeigen. Ein knapper Ausblick beschließt die Argumentation (6.).<br />

1. Legitimationskrise der Demokratie<br />

Die jüngsten Wahlen – auf kommunaler Ebene in Niedersachsen, Mitte September<br />

2006 für den Landtag in Mecklenburg-Vorpommern und das Abgeordnetenhaus<br />

in Berlin – haben eine anhaltend niedrige Wahlbeteiligung (bei ca. 60%:<br />

Berlin 58%, MV 59,2%) ausgewiesen sowie für die Legitimation der Demokratie<br />

problematische Ergebnisse gezeitigt: Die befürchtete Stärkung der „Neuen<br />

Rechten“ in Gestalt v.a. der NPD ist in Mecklenburg-Vorpommern eingetreten,<br />

die Partei wird dem neuen Schweriner Landtag mit sechs Mandaten angehören.<br />

In Berlin sitzt sie in mehreren Bezirksparlamenten. Die ersten rechtsradikalen<br />

Funktionäre sprechen schon öffentlich über „das Recht und die Pflicht, nach<br />

Alternativen zur parlamentarischen Demokratie Ausschau zu halten“ (Ramelsberger<br />

2006, S. 6). Nicht nur das: „Die NPD ist nicht mehr die Partei der Ewig-<br />

Gestrigen, sondern der Jugend. Ganze Landstriche wenden sich ab von der<br />

42


Zur Legitimation der Demokratie<br />

Demokratie“, kommentieren die Tagesthemen bereits am Wahlabend. Die<br />

Wahlanalysen haben diese gefährliche Tendenz bestätigt. In Berlin waren trotz<br />

des Wahlerfolges des SPD-Kandidaten Klaus Wowereit die Legitimationsschwierigkeiten<br />

bzw. die fehlende Überzeugungskraft der beiden Spitzenkandidaten<br />

während des Wahlkampfes unübersehbar. CDU-Kandidat Friedbert Pflüger,<br />

der sachbezogen aufzutreten versuchte, vermochte mit seinem argumentationsbezogenen<br />

Wahlkampf offensichtlich nicht zu überzeugen. Wir können hier abbrechen,<br />

doch die Reihung ließe sich fortsetzen. Was folgt daraus für die<br />

„Legitimation der Demokratie“ in unserer Gesellschaft<br />

Ein Konsens in der demokratietheoretischen Diskussion liegt in der These,<br />

dass die Demokratie für ihr Fortbestehen „Vertrauen“ braucht. „Vertrauen“ speist<br />

sich aus der Wahrnehmung, dass der politische Prozess und dessen alltägliche<br />

Erfahrung im Umgang mit seinen Ergebnissen für die Bürgerinnen und Bürger<br />

die Demokratie als funktionsfähig ausweist und deshalb die in ihr erzeugten politischen<br />

Entscheidungen als legitim wahrgenommen werden. Die gegenwärtige<br />

Tendenz der Entstaatlichung und Privatisierung – nebst einer Reihe anderer<br />

Faktoren wie bspw. der Ausdifferenzierung der Parteienlandschaft, das Abdriften<br />

von Entscheidungskorridoren von der Bundesrepublik hin zu den Institutionen<br />

des vereinten Europa, die weltweite wirtschaftliche Verflechtung u.a.m. – bringt<br />

es mit sich, dass die Demokratie letztlich nicht mehr die Bindungskraft entfaltet,<br />

auf die sie gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern angewiesen ist (von allen<br />

anderen Problemen einer übermäßigen Entstaatlichung abgesehen). Es ist<br />

unübersehbar, dass die bundesdeutsche Demokratie, folgt man diesen Beobachtungen<br />

und Befunden, Anzeichen einer Legitimationskrise zeigt.<br />

Das Konzept der „Legitimation“ greift auf den Gedanken der Rechtmäßigkeit<br />

politischer Herrschaft zurück. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass politische<br />

Systeme aktiv zu ihrer Anerkennung beitragen können, anders gesprochen:<br />

„Legitimität ist kein normatives und statisches Konzept (…), sondern ein empirisches<br />

und dynamisches“ (Nohlen 2 2004, S. 487). Daraus folgt, dass auf den verschiedenen<br />

Ebenen im Institutionengefüge sowohl des politischen Systems im<br />

engeren Sinne als auch in der Gesellschaft ein Beitrag zur Steigerung der<br />

Legitimation der Demokratie geleistet werden kann. Die Ausgangsthese dieses<br />

Beitrags lautet, dass auch die Schule und die politische Bildung hierzu eine wichtige<br />

Leistung erbringen müssen und auch können.<br />

2. Legitimation und Demokratie<br />

Politische Systeme versuchen, sich Anerkennung zu verschaffen. <strong>Demokratisch</strong>e<br />

politische Ordnungen müssen dabei auf universell gültigen Konzepten von Freiheit<br />

sowie von Rechtsstaatlichkeit und von Grund- und Menschenrechten basieren. Sie<br />

müssen zugleich Angemessenheit und Effektivität des politischen Prozesses nachweisen,<br />

wenn sie öffentliche Akzeptanz erzeugen sollen. Gerade stabile<br />

Demokratien sind ohne Selbstlegitimation kaum denkbar, da sich der Einsatz staatlicher<br />

Herrschaft sonst nur noch begrenzt durchsetzen lässt, weil er „ineffektiv und<br />

jedenfalls ineffizient (wird), wenn er nicht vom ‚Legitimitätsglauben’ der<br />

Adressaten (und insbesondere der diese beobachtenden und mit diesen kommunizierenden<br />

Bezugsgruppen) gestützt wird“ (Scharpf 1997).<br />

43


Wolfgang Beutel<br />

Die Demokratie in Deutschland steht dabei – wie fast alle anderen westlichen<br />

Demokratien auch – in einem besonderen Spannungsfeld. Durch die Entgrenzung<br />

nationalstaatlicher Rahmensetzungen insbesondere im wirtschaftlichen Bereich<br />

und durch den Rückbau staatlicher Interventionsmöglichkeiten besonders im<br />

Feld des „Sozialstaates“, aber auch bei der „Arbeitsmarktpolitik“ in den letzten<br />

Jahren ist einerseits eine Tendenz zu „weniger Staat“ unübersehbar, andererseits<br />

lässt sich eine vielfältige Stärkung bürgerschaftlicher Handlungsfelder beobachten.<br />

Während die eine Tendenz der Demokratie Legitimation zu nehmen scheint,<br />

bringt die andere der Demokratie wieder ein gewisses Maß an Legitimation und<br />

Bindekraft.<br />

Beide Entwicklungen – die „wachsende Bürgergesellschaft“ (Hamm-Brücher<br />

1998) ebenso wie das „Auslaufmodell Staat“ (Eppler 2005) – sind aber keinesfalls<br />

einfach als sich ergänzende oder gar sich korrigierende Strebungen verstehbar.<br />

Bis heute hält die Spannung zwischen dem Zurückdrängen des Staates – also<br />

der im Extremfall neoliberalen Ideologie von „weniger Staat entspricht mehr<br />

individueller Freiheit“ – und einer stärker werdenden Bürgergesellschaft an. Die<br />

Bürgergesellschaft ist ein wirksamer Ausdruck einer Revitalisierung des<br />

Gemeinsinns und damit ein Zeichen für eine neue, wenngleich strukturell anders<br />

geartete Legitimation der Demokratie, sie ist sicherlich auch ein Beitrag und<br />

Ausdruck der „Stärkung demokratischer Werthaltungen“. Im liberalen Denken<br />

wird sie als Ausdruck der freien Assoziationen von Menschen „zum Kernbestand<br />

der liberalen Ordnung“ (Dahrendorf 2003, S. 110) gezählt.<br />

In der derzeitigen Diskussion um die Demokratie überwiegt dennoch die<br />

Skepsis. Die Entstaatlichung des Staates, mit der unter anderem ja auch eine<br />

„Legitimationskrise der Demokratie“ abgewendet werden und erneut ein „Dritter<br />

Weg“ (Giddens 2000; Perger 1999) 1 individuell basierten Verantwortungshandelns<br />

zwischen Staat und Markt gefunden werden sollte, scheint diese<br />

Legitimationskrise eher zu beschleunigen, ja sie könnte – folgt man der Essenz<br />

eines zur Jahrtausendwende veröffentlichten Bandes zur Akzeptanz und den<br />

Entwicklungsperspektiven westlicher Demokratien (Assheuer/Perger 2000) –<br />

„deren Ursache“ (ebd., S. 9) sein: Zygmund Baumann sieht sowohl in der<br />

Globalisierung (2000, S. 29) als auch im Rückzug in die Privatheit die Kehrseite<br />

der Entwertung bzw. Vernichtung „öffentlicher Angelegenheiten“ (ebd., S. 27) als<br />

Ursache der Legitimationskrise in der Demokratie. Ulrich Beck erinnert an das<br />

riskante Zusammenspiel der Reduzierung staatlicher Handlungsmöglichkeiten bei<br />

gleichzeitiger Tendenz zunehmender Ermächtigung zu staatlich autoritären<br />

Handlungs- und Kontrollmöglichkeiten und spricht bereits von der Vision des<br />

„demokratische(n) Totalitarismus“ (2000, S. 47). Claus Offe beschwört die fatale<br />

Eigenschaft moderner Demokratien, „letztlich wehrlos gegen die Gefahr ihrer<br />

1 Die Problematik des Schlagwortes „Dritter Weg“, die ideologische und ideengeschichtliche Vielfalt<br />

des Begriffes und seine für politische Analyse und Praxis sichtbare Untauglichkeit legen Alexander<br />

Gallus und Eckehart Jesse systematisch dar: „Es verwundert nicht, dass Sektierer sich auf einen<br />

dritten Weg berufen, wohl aber verwundert ein entsprechendes Engagement ausgewiesener<br />

Anhänger des demokratischen Verfassungsstaates. (…) Was immer die Motive der Protagonisten<br />

sein mögen: Dritte Wege sind nicht lauter.“ (2001, S. 15)<br />

44


Zur Legitimation der Demokratie<br />

Selbstzerstörung“ (2000, S. 62) zu sein. In der Politikwissenschaft hört man von der<br />

„Entzauberung der Demokratie“ oder der „defekten Demokratie“. Auch Gesine<br />

Schwan hat jüngst in ihrer Stuttgarter Heuss-Vorlesung die „Kolonisierung auch der<br />

Politik durch das Paradigma des Marktes und des ökonomischen Wettbewerbs, das<br />

(...) vordergründig eher auf die Abschaffung von Staat und Politik zielt“ (2006) als<br />

ein die Legitimationskraft der Demokratie zerstörendes Element gebrandmarkt.<br />

Was bleibt bei soviel Skepsis auf der einen Seite Erstaunlicherweise eben auch<br />

eine „andere Seite“, die durch Theorie und Praxis der bürgerschaftlichen<br />

Erneuerung der Demokratie zumindest einen Weg sucht, der einen Legitimationsgewinn<br />

partiell ermöglichen könnte. Exemplarisch für vielfältige Aktivitäten und<br />

theoretische Konzepte stehen hierbei die Bemühungen Hildegard Hamm-Brüchers<br />

und der Theodor-Heuss-Stiftung, die (gemeinsam mit vielen anderen Trägern,<br />

Akteuren und Personen) mit der „Woche der Bürgergesellschaft“ anlässlich des 50.<br />

Jahrestags unserer Verfassung am 23. Mai 1999 die Reformkapazität zivilgesellschaftlichen<br />

Engagements beschworen hat. Hamm-Brücher betont, dass „die<br />

Diskrepanz zwischen aktiven und – aus welchen Gründen auch immer – passiven<br />

Bürgern eklatant und für die Legitimation eines von Bürgern getragenen demokratischen<br />

Gemeinwesens keinesfalls befriedigend (ist). (...) Diese demokratische<br />

Bürgergesellschaft birgt ein enormes Reformpotential. Ehrenamtliches Bürgerengagement<br />

ist nämlich durch und durch konstruktiv. Es verharrt, auf welchem<br />

Felde, in welcher Lücke oder Nische auch immer es stattfindet, nicht im Protest; es<br />

ist eine Quelle sachkundiger Innovationen, das Talente für Organisation,<br />

Konzeption und Aktion weckt. Es vermag an sozialen Brennpunkten erste und neuartige<br />

Hilfe zu leisten, lässt Solidarität in neuen Formen für alle Beteiligten erfahrbar<br />

werden. Die wichtigste Wirkung ist aber diese: gemeinsames Engagement<br />

schafft Zusammenhalt, und Zusammenhalt begründet demokratische Identität“<br />

(1998, S. 71). Die Bürgergesellschaft realisiert also nicht nur eine Fülle von Aufgaben<br />

für das Gemeinwohl, sondern sie ist zugleich „ihrer Natur nach ein schöpferisches<br />

Chaos“ (Dahrendorf 2003, S. 129) und die Sphäre, in der sich Handlungsbereitschaft,<br />

Freiheit und Tätigkeit für die Gesellschaft treffen. Gerade Dahrendorf<br />

konzipiert von dieser tätigkeitsbezogenen Form bürgerschaftlichen Engagements<br />

und <strong>Handeln</strong>s das Konzept der „tätigen Freiheit“ (ebd., S. 130), das nicht alleine<br />

dem aktiven Menschen Lebensinhalt und Ziele ermöglicht, sondern vielmehr die<br />

elementare Gefahr demokratischer Systeme, sich selbst nicht mit äußerem Zwang<br />

erhalten zu können, zuwiderläuft, denn „tätige Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit.<br />

Das gilt insbesondere im öffentlichen Raum. Die Demokratie ohne<br />

Demokraten zerstört sich selbst“ (a.a.O.).<br />

Beides also ist sichtbar: Eine Legitimationskrise ebenso wie Tendenzen eines<br />

neuerlichen Legitimationsgewinns für die bürgerschaftlich fundierte Demokratie.<br />

Wohin diese ambivalente Entwicklung letztlich führt, muss zunächst offen bleiben.<br />

Sicher aber ist, dass die Stärkung der Legitimation für eine demokratische<br />

und offene Gesellschaft nicht alleine – um mit den Begriffen von Fritz Scharpf zu<br />

sprechen – vom „output“ abhängt, den sie hervorbringt, sondern auch vom<br />

„input“, von einer Perspektive „durch das Volk“, die politische Entscheidungen<br />

deshalb legitimiert, „weil sie auf wirksame Weise das allgemeine Wohl im jeweiligen<br />

Gemeinwesen fördern“ (Scharpf 1999, S. 16). Aus dieser Sicht und in Blick<br />

auf die anhaltende Dringlichkeit einer positiven Integration von Kindern,<br />

45


Wolfgang Beutel<br />

Jugendlichen und jungen Erwachsenen fällt der Schule und der politischen<br />

Bildung eine wichtige Funktion in diesem Felde zu. Welche Beiträge zur<br />

Stärkung demokratischer Werthaltungen kann Schule nun leisten Sie kann bürgergesellschaftliches<br />

Engagement und „tätige Freiheit“ fördern und sich dabei<br />

demokratietheoretisch an einem „Input-Modell“ orientieren.<br />

3. Stärkung demokratischer Werthaltungen – Aspekte schulischer Wirksamkeit<br />

Inwieweit die Schule zur Demokratie erziehen kann und zu „demokratischen<br />

Werthaltungen“ beiträgt, ist bis heute Gegenstand kontroverser Diskussionen.<br />

Einerseits ist die Schule als öffentliche Einrichtung in staatlicher Aufsicht mehr<br />

denn je einer demokratischen Gesellschaft verpflichtet, sie muss zwangsläufig<br />

nach Wegen und Möglichkeiten für eine politische Sozialisation und ein<br />

Politiklernen suchen, dass dem Erwerb demokratischer Handlungskompetenz<br />

und demokratischer Werthaltungen verpflichtet ist. Andererseits ist die staatliche<br />

Schule der Moderne ein Hausgut der Verwaltung, der Vollzug einer staatlichen<br />

Leistung, sie definiert nach wie vor ein spezifisches Rechtsverhältnis (wenngleich<br />

auch nicht mehr ein „besonderes Gewaltverhältnis“) und vollzieht mit der<br />

Zertifizierung von Leistungsnachweisen und damit verbundenen Berechtigungen<br />

auch eine hoheitliche Aufgabe. All das sind keine Merkmale demokratischer<br />

Strukturen. Klar ist also: Ob wir wollen oder nicht, Schule trägt – über das Wissen<br />

hinaus, das unterrichtlich erworben wird – zur politischen und demokratischen<br />

Sozialisation intensiv bei. Die Frage ist lediglich, in welche Richtung – für demokratische<br />

Werthaltung oder nicht<br />

Nun kennen wir eine Reihe von Anknüpfungspunkten und Handlungsfeldern,<br />

in denen die Schule die Stärkung „demokratischer Werthaltungen“ fördern kann.<br />

Zuerst ist sie hier als Institution organisierten Lernens gefragt und verweist uns<br />

damit auf die fachunterrichtliche politische Bildung. Es ist unbestritten, dass wir<br />

einen didaktisch differenzierten und systematisch durch die Jahrgangsstufen der<br />

Schulen gehenden Politik-Unterricht benötigen, der die Grundlagen stiftet für das<br />

Wissen, aus dem im Zusammenspiel mit der schulischen Sozialisation, der moralischen<br />

Entwicklung und den demokratischen Erfahrungsräumen der Schule<br />

belastbare demokratische Werthaltungen und die Bereitschaft zum <strong>Handeln</strong> für<br />

und in der Demokratie entstehen können. Klar ist aber auch, dass der Wissenserwerb<br />

durch Fachunterricht alleine nicht völlig ausreicht. Über den Fachunterricht<br />

Politik hinaus gibt es weitere wichtige Dimensionen der Schule, die hierfür<br />

bedeutsam sind. Ich will drei Aspekte hier kurz herausgreifen – die SMV, die<br />

Frage der Leistungsbeurteilung und die Möglichkeiten, die sich mit fächerübergreifend<br />

angelegten Projekten zu Themen der Demokratie verbinden, also demokratiepädagogische<br />

Korridore in der Schule entwickeln – und diese letztgenannte<br />

Möglichkeit an einem Beispiel vertiefen.<br />

a. Partizipation in der Schule durch die SMV: Die Erziehung zum mündigen<br />

Staatsbürger ist eine in nahezu allen Schulgesetzen festgeschriebene Aufgabe der<br />

allgemeinbildenden Schulen. Überdies ist „Partizipation im demokratischen<br />

Rechtsstaat“ ein zentrales Thema der Lehrpläne für die politische Bildung im<br />

Fachunterricht – mit Varianten in allen Schularten und -formen der einzelnen<br />

46


Zur Legitimation der Demokratie<br />

Bundesländer. Schule muss also sowohl Partizipation als Thema behandeln als<br />

auch prinzipiell Formen der Beteiligung einüben, also demokratische<br />

Erfahrungen ermöglichen. Das ist eine Aufgabe, die nicht in jedem Falle gleichgewichtig<br />

gelöst wird: Eine Schule, in der man vieles über die moderne<br />

Demokratie lernt und dieses möglicherweise sehr effektiv tut, muss deswegen<br />

nicht zwangsläufig eine demokratische Schule sein.<br />

Ein Instrument der Partizipation in der Schule ist die SMV oder auch SV 2 .<br />

Die Schülermitverwaltung ist mit Erlass 1922 erstmals in Preußen eingeführt<br />

worden – dort am Gymnasium. Dabei war eine Art Abbildungsdidaktik leitend:<br />

Kinder und Jugendliche sollten die Voraussetzungen für Verantwortungsübernahme<br />

erwerben, indem sie das in kleinen, pädagogisch und inhaltlich vorbestimmten<br />

Mustern lernen sollten. Der Schulrechtler Lutz Dietze spricht hierbei<br />

von „relativ engen Bahnen“ (1999, S. 519). Alle frühen insbesondere durch die<br />

Reformpädagogik der 1920er-Jahre entwickelten und entfalteten Möglichkeiten<br />

der Mitwirkung im Sinne von „Eigenräumen kollektiver Selbstentfaltung“<br />

(a.a.O.) wie Schülerräte, Arbeitsgemeinschaften, Schülergerichte etc. sind immer<br />

dann an eine Grenze gekommen, wenn sie die Kernbereiche von Schule – den<br />

Unterricht, die Schulorganisation und die Personalfragen – zu berühren drohten.<br />

Die gesetzlich geregelte Schulverfassung gilt deshalb bis heute als „Synonym<br />

für aufwendigen Leerlauf“ (Knab 1987, S. 248). Auch Dietze schätzt die gegenwärtige<br />

Lage der SMV skeptisch ein: „In der gegenwärtigen Situation (fällt) eine<br />

allgemeine Prognose über die Schülermitverwaltung (SMV/SV) ungünstig aus,<br />

da sie durch Ermüdungserscheinungen und Entpolitisierung gekennzeichnet ist.<br />

Rein formal ist sie an den meisten Schulen noch vorhanden. Interesse findet sie<br />

jedoch bei einer immer kleiner werdenden Minorität von Schülern.“ (1999, S.<br />

518) In der schulrechtlichen Debatte wird vermutet, dass aufgrund der Tatsachen,<br />

dass die Rechte der SMV/SV (Anspruch auf Information, Recht auf<br />

Widerspruch, Anhörungsrecht, Mitwirkungs- und Initiativrecht, Teilhabe an<br />

Sachentscheidungen) je nach Bundesland unterschiedlich weit entwickelt sind –<br />

am zurückhaltendsten in Baden-Württemberg und Bayern – und die Schwelle viel<br />

zu hoch liegt, um Schülerinnen und Schülern beim Engagement in der SV-Arbeit<br />

substantielle Interessen und positive Gestaltungserfahrungen für Demokratie zu<br />

ermöglichen.<br />

Die Grenze der SMV trifft zugleich einen im pädagogischen und intergenerativen<br />

Verhältnis nicht vollständig auflösbaren Gegensatz: Schülermitbestimmung<br />

– ob nun nach dem Modell der Betriebsverfassung drittelparitätisch geregelt<br />

(Ideal der SV) oder als begrenzte Mitentscheidung am Verwaltungshandeln konzipiert<br />

(Realität der SMV; beides im Übrigen lediglich theoretische Idealbilder) –<br />

wird nicht wirklich substanziell, wenn sie nicht die Kernbereiche des schulischen<br />

Betriebs und der pädagogischen Verhältnisse trifft, also unterrichtsrelevante<br />

2 SMV steht für „Schülermitverantwortung“ oder „Schülermitverwaltung“, während SV den Begriff<br />

der „Schülervertretung“ meint. Nun kann der Reform der Schulgesetze in den 1960er- und 1970er-<br />

Jahren zugute gehalten werden, dass mit dem Wandel von der „Verwaltung zur Verantwortung“ hin<br />

zur „Vertretung“ bereits eine andere Perspektive auf Engagement und demokratische Partizipation<br />

eingenommen wird. Gleichwohl sind in der Diskussion hierzu immer noch beide Konzepte zu finden<br />

und – letzten Endes – die praktischen Möglichkeiten zur Partizipation entscheidend.<br />

47


Wolfgang Beutel<br />

Entscheidungen, Fragen der Schulorganisation und der Personalpolitik mitberücksichtigt.<br />

Das wiederum – so kann berechtigterweise gefragt werden – kann<br />

auch unter professionsspezifischen Gesichtspunkten zumindest von verschiedenen<br />

Seiten betrachtet werden. Wir wissen, dass in einer Schule nicht alles unter<br />

Gleichheitsgesichtspunkten paritätisch verhandelbar ist. Dennoch wissen wir<br />

auch, dass es Schulen gibt, in denen – wie bspw. in den Landerziehungsheimen<br />

Schloss Salem oder der Odenwaldschule oder aber auch bei der Helene-Lange-<br />

Gesamtschule in Wiesbaden – solche Entscheidungen auch unter Beteiligung von<br />

gewählten Vertretern der Schülerschaft erfolgen. Und diese Schulen sagen in der<br />

Regel auch: Eure Ängste sind größer, als das, was in der Realität passiert – die<br />

Schülermitwirkung erweist sich dort mehrheitlich als verantwortungsformend,<br />

integrierend und kaum als professionelle Standards der Pädagogik, der<br />

Fachlichkeit und des Personalmanagements störend. Auch die Projekte aus dem<br />

Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>, die aus Sachsen eingereicht worden<br />

sind (Beutel/Wildfeuer in diesem Band), sprechen für Ansätze einer behutsam<br />

lebendiger und substanzieller werdenden Schülermitwirkung im Rahmen der<br />

gesetzlich geregelten SV. Dennoch: eine bundesweit dominierende positive<br />

Entwicklungslinie ist in diesem Gebiet nicht zu erkennen, gegenwärtig jedenfalls<br />

ist die verfasste Schülermitwirkung nicht der Königsweg zu einer demokratischen<br />

Schule.<br />

b. Leistungsbeurteilung: Die schulische Aufgabe der Leistungsbeurteilung entfaltet<br />

im Wechselspiel von Anerkennung, Rückmeldung, Kritik und Förderung<br />

ebenfalls einen Beitrag zur Herausbildung „demokratischer Werthaltungen“.<br />

Denn sie trägt ein Element der Machtausübung zwischen Lehrenden und<br />

Schülerschaft in sich und wirkt aus dieser Sicht zwangsläufig undemokratisch.<br />

Leistungsbeurteilung, die nicht repressiv und intransparent sein soll, muss als<br />

angemessen und gerecht empfunden werden können. Sie muss in ihren Kriterien<br />

nachvollziehbar sein sowie in einen Prozess des auf Lernförderung zielenden<br />

Beratungsgespräches (Beutel 2005) eingebunden werden. Nur dann kann sie aus<br />

der Aura der machtentfaltenden Kontrolle des Lehrenden über den Lernenden in<br />

ihren eigentlichen Zweck der Beratung und Optimierung des Lernens zurückgeführt<br />

werden und damit einen Beitrag zu einem Umgang auf Basis einer<br />

„Pädagogik der Anerkennung“ (Henkenborg 2000) leisten. Alle vorliegenden<br />

empirischen Untersuchungen zur Praxis der Leistungsbeurteilung in der Schule<br />

verweisen auf Ungenauigkeit, situationsabhängige Variablen, Messfehler und<br />

insgesamt die „Fragwürdigkeit der Zensurengebung“ (Ingenkamp 1971). In Blick<br />

auf die demokratiepädagogische Perspektive auf die Leistungsbeurteilung zeigt<br />

sich, „dass wahrgenommene, von den Schülern empfundene Fairness das Kernstück<br />

einer fehlertoleranten, aber moralisch geregelten Schulkultur ist und die<br />

faire Evaluation der Schülerleistung dabei für diese den Ausschlag gibt“<br />

(Edelstein 2001, S. 285). Nun belegen empirische Forschungen, dass die Schule<br />

trotz vielfältiger positiver Ansätze in ihrer Gesamtheit noch weit entfernt von<br />

einer solchen Kultur der gerechten und fehlertoleranten Leistungsbeurteilung ist.<br />

Das Dilemma bleibt: Auch hier finden wir nicht den aktuell herausragenden<br />

Beitrag zur Förderung „demokratischer Werthaltungen“.<br />

48


Zur Legitimation der Demokratie<br />

c. Fachübergreifende Projekte: Die Schulentwicklungsforschung zeigt, dass gute<br />

Schulen von sich aus eine große Vielfalt von Ideen und Konzepten entwickeln,<br />

mit denen sie pädagogisch bedeutsame Themen und Spannungsfelder von<br />

Demokratie und Politik aufgreifen. Dies gilt, bei allen Unterschieden im<br />

Einzelnen, für alle Schulstufen und Schularten, im Osten und im Westen<br />

Deutschlands. Gute Schulen scheinen ein seismographisches Gespür besonders<br />

auch für solche aktuellen gesellschaftlichen Probleme zu haben, denen für die<br />

Aufgabe der demokratischen Erziehung wesentliche Bedeutung beizumessen ist.<br />

Solche Themen werden von Schulen aufgegriffen und bearbeitet, auch wenn sie<br />

in Lehrplänen nicht oder nur randständig auftauchen. Ausgehend von dieser<br />

Beobachtung hat das Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> in den letzten<br />

Jahren eine Fülle von Projekten aufgesucht, gestärkt, anerkannt, ausgewertet<br />

(Beutel/Fauser 2001) und konnte dabei einen maßgeblichen Beitrag zu den<br />

Eckpunkten für ein Konzept der Demokratiepädagogik (Beutel/Fauser 2007)<br />

erbringen.<br />

Nachfolgend soll ein Beispiel für ein solches Projekt vorgestellt und in Blick<br />

auf seinen Beitrag zur Stärkung „demokratischer Werthaltungen“ diskutiert werden.<br />

Es stammt aus den 1990er-Jahren, ist aber aus zwei Gründen von besonderem<br />

Interesse: weil es einerseits mit dem Thema „Wahlen“ eine Kernfunktion der<br />

Legitimation von Demokratie anspricht und weil es andererseits eine Fülle von<br />

Nachfolgeprojekten zum Themenkreis ausgelöst hat. Hier lassen sich die demokratiepädagogischen<br />

Dimensionen und die dabei erreichte „Stärkung demokratischer<br />

Werthaltungen“ exemplarisch aufzeigen.<br />

4. Das Projekt „Eine Schule wählt“ des Schulzentrums Walliser Straße Bremen<br />

Der eigentliche Auslöser für das Projekt lag darin, dass die Schülerinnen und<br />

Schüler eines Leistungskurses „Wirtschaft“ der Schule sich im Herbst 1997 mit<br />

der Sozialstruktur des Bremer Stadtteils Tenever auseinandersetzen. Dabei stellen<br />

sie fest, dass in der Bevölkerung der Anteil von Kindern und Jugendlichen (30 %)<br />

und der Anteil der Sozialhilfeempfänger (22 %) sehr hoch sind. Sie finden zudem<br />

heraus, dass die Wahlbeteiligungen bei den Urnengängen der letzten Jahre im<br />

Vergleich zu den Wahlbeteiligungsquoten der 1970er-Jahre rapide abgesunken<br />

und sehr niedrig sind. In der Diskussion dieser Daten lautet eine Folgerung der<br />

Jugendlichen: In Bremen-Tenever zeigt sich in der geringen Wahlbeteiligung<br />

auch ein Aspekt von „Armut“. Ein Gespräch mit dem Leiter des Statistischen<br />

Landesamtes Bremen (gleichzeitig Wahlleiter des Stadtstaates) gibt den<br />

Jugendlichen weitere Hinweise: Im Stadtteil Tenever wohnen verhältnismäßig<br />

viele junge Erwachsene, die offensichtlich wesentlich durch Absenz bei Wahlen<br />

zur geringen Wahlbeteiligung beitragen, denn die Quote der Wahlbeteiligung<br />

ihrer Altersgruppe liegt etwa 20 % unter der Wahlbeteiligungsquote der 60-<br />

Jährigen im Stadtteil. Diesem Problem soll nun in einem über den Fachunterricht<br />

hinausgehenden Projekt nachgegangen werden.<br />

Die Schülerinnen und Schülern starten Umfragen in Berufsschulklassen (in<br />

die 18- bis 20-jährige „Erstwählerschichten“ gehen), um Gründe für diesen<br />

Sachverhalt herauszufinden. Dabei zeigt sich, dass viele Schüler über Wahlen<br />

und Wahlverfahren schlichtweg nichts wissen und sich zu dieser Unkenntnis auch<br />

49


Wolfgang Beutel<br />

offen bekennen. So empfinden sie es als „peinlich“, wenn sie als erwachsener<br />

Erstwähler das Wahllokal betreten und zunächst elementare Fragen zum Ablauf<br />

stellen müssten. Also bleibt man lieber zu Hause.<br />

Was folgert die Projekt-Gruppe daraus Durch Aufklärung und Übung soll die<br />

Bereitschaft zur Ausübung des Wahlrechts in einem schulbezogenen Projekt<br />

gefördert werden: An der Schule soll die Bundestagswahl in mehreren<br />

Probeläufen in den neun Monaten vor dieser Wahl simuliert und „eingeübt“ werden.<br />

Das Landeswahlamt Bremen stellt dafür die erforderlichen Materialien zur<br />

Verfügung. An diesen Testwahlen können alle Schülerinnen und Schüler einschließlich<br />

der minderjährigen und ausländischen Jugendlichen teilnehmen. Die<br />

Wahlsimulation wird durch zwei Podiumsdiskussionen mit Senatoren, Abgeordneten<br />

und Kandidaten, die Themen der großen Politik wie das Ausländer- und<br />

Einwanderungsrecht sowie die Steuerpolitik ansprechen, begleitet und vorbereitet..<br />

Die Beteiligung bei diesen Probewahlen liegt letztendlich bei über 80%. Die<br />

Schule und auch die politische Öffentlichkeit in Bremen verfolgen die „Wahlergebnisse”<br />

der beteiligten rund 500 Schüler drei bzw. sechs Monate vor der<br />

Bundestagswahl aufmerksam. Die Bremer Tageszeitungen und das Bremer Fernsehen<br />

berichten wiederholt von dem Projekt und lassen Schülerinnen und Schüler<br />

zu Wort kommen. Das Statistische Landesamt wertet die Wahlergebnisse aus und<br />

dokumentiert sie als Teil-Elemente der eigenen „Wahlforschung“ im Bereich des<br />

Wahlverhaltens Jugendlicher in seinen Statistischen Monatsberichten (Statistisches<br />

Landesamt Bremen, Statistische Monatsberichte). Das Projekt trägt bei der<br />

Bundestagswahl 1998 messbar zur Erhöhung der Wahlbeteiligung der wahlberechtigten<br />

Schüler an diesem Schulzentrum bei (ihr Anteil lag bei 70% der<br />

Schülerschaft). Dies hat eine von der Projektgruppe an der Schule durchgeführte<br />

„Nachfrage“ im Anschluss an die Bundestagswahl ergeben. Etliche volljährige<br />

Schüler haben danach eine weitere Brücke von der Schule in eine für sie neue<br />

Bürgerrolle (Breit/Massing 2002) überschritten: Nachdem sie als „Wahlhelfer“<br />

im schulischen Projekt gearbeitet haben, engagieren sie sich auch als Wahlhelfer<br />

bei der nachfolgenden Bundestagswahl 1998.<br />

Aus diesem Projekt entwickelt sich bei der Bundestagswahl 2002, der<br />

Bürgerschaftswahl 2003 und der Bundestagswahl 2005 die Beteiligung an dem<br />

vom Berliner Verein „Cumulus“ durchgeführten Projekt „Juniorwahl“. Auch dieses<br />

Projekt organisiert eine vom Unterricht aus vorbereitete, dicht an der<br />

„Originalwahl“ orientierte Wahlsimulation, hier allerdings auf Online-Basis.<br />

Schon im Jahr 2000 war die Schülergruppe des Projekts „Eine Schule wählt“<br />

beim Bremer Bildungssenator mit dem Vorschlag vorstellig geworden, den<br />

Schulen des Landes Bremen die Teilnahme an der Juniorwahl anzubieten. Das<br />

Ergebnis: Insgesamt 44 Schulen des Landes beteiligen sich an mindestens einer<br />

der beiden Wahlen im Jahr 2002 oder 2003. Damit hat jede zweite Sekundarschule<br />

im Land Bremen praktische Wahl-Erfahrungen mit der Bundestags- bzw.<br />

Landtagswahl sammeln können, die im Unterricht etwa durch die Themen Wahlrecht,<br />

Parteien, Wahlwerbung etc. vorbereitet werden konnte. An vielen Schulen<br />

wurden Politiker eingeladen und Podiumsdiskussionen durchgeführt. Der Erfolg<br />

hinsichtlich der Wahlbeteiligung war verblüffend: Während bei der Bürgerschaftswahl<br />

2003 die Wahlbeteiligung insgesamt leicht rückläufig gewesen und<br />

bei den Jungwählern bis 30 Jahre massiv zurückgegangen ist, ist die Wahlbe-<br />

50


Zur Legitimation der Demokratie<br />

teiligung der Erstwähler (18-21 Jahre) gegen den allgemeinen Trend der letzten<br />

Wahlen um 1,2% auf 56,2% angestiegen. Die meisten dieser Erstwähler haben zu<br />

diesem Zeitpunkt noch die Schule besucht. Die beiden nächsten Altersgruppen<br />

der Twens beteiligen sich nur zu 39%. Die Wahlbeteiligung bei den Juniorwahlen<br />

an den Schulen lag gar bei 80%.<br />

5. Der Beitrag des Projekts zur Herausbildung „demokratischer Werthaltungen“<br />

Der Beitrag dieser Form des Projektlernens für die Herausbildung und Förderung<br />

„demokratischer Werthaltungen“ ist unübersehbar. Er entwickelt sich in mehreren<br />

Aspekten und in der Art einer sich steigernden Schrittfolge. Dazu gehören folgende<br />

Dimensionen:<br />

• Die Verknüpfung der lokalen und sozialen Gegebenheiten mit einer<br />

Aufklärungsidee über die politische Willensbildung durch Wahlen in der<br />

Demokratie ist die tragende Idee des Projekts.<br />

• Die Jugendlichen kommen auf kausale Verbindungen zwischen dem<br />

Wahlverhalten ihrer eigenen Generation im Stadtteil mit deren sozialer<br />

Situation.<br />

• Eine entscheidende Einsicht liegt darin, dass die Wahlverweigerung insbesondere<br />

bei den Erstwählern auch eine Frage von Wissen und Aufklärung sowie<br />

ggf. der Übung ist.<br />

• In Auseinandersetzung mit Behörden und Ämtern des Stadtstaates Bremen<br />

verschaffen sich die Jungwähler Informationen und Aufklärung. Sie haben<br />

zudem ihre Idee und ihre Anliegen mit einer intensiven und selbstorganisierten<br />

Pressearbeit sowie durch Diskussionen mit Landes- und<br />

Kommunalpolitikern – bei den Bundestagswahlen 1998, 2002 und 2005 auch<br />

mit den Bewerbern um die MdB aus Bremen – angereichert.<br />

• Das schulische Projekt von 1998 hat nicht nur an der eigenen Schule etwas<br />

verändert, sondern auch dazu beigetragen, dass an jeder zweiten Schule in<br />

Bremen das Wahlsystem und die große Politik handlungsbezogen ein Thema<br />

in der Schule geworden ist. Es hat damit auch einen Beitrag zur Verbesserung<br />

der Wahlbeteiligung der Erstwähler geleistet.<br />

• Die Wahrnehmung einer aktiven „Bürgerrolle“ korrespondiert mit den<br />

Lebensbedingungen und dem „sozialen Umfeld“ der jungen Erwachsenen: sie<br />

wollen in ihrem kommunalen Lebensumfeld auf Basis ihres Lernens in der<br />

Schule den Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung und politischem<br />

Desinteresse abmindern.<br />

Peter Massing hat versucht, der Frage nach der Verbindung zwischen<br />

Demokratie, Demokratietheorie und politischer Bildung nachzugehen und dabei<br />

die „lose gewordenen Beziehungen zwischen Demokratie und politischer<br />

Bildung aufzugreifen und neu zu knüpfen“ (2002, S. 25). Massing gesteht zu,<br />

dass normativ ansetzende Demokratie-Theorien dabei praktisch wirksam werden<br />

und fragt deshalb nach dem Erziehungsideal, das solche Theorien auszeichnet.<br />

Sein Konzept zeigt sich als gestuftes Rollenmodell der Bürger, das sich in vier<br />

mögliche „Aktivitätsniveaus“ unterscheidet und das aus seiner Sicht in der politischen<br />

Bildung aktiv und didaktisch aufbereitet werden kann. Dabei ist sein<br />

51


Wolfgang Beutel<br />

Raster an zunehmender Komplexität des Wissens und der Handlungsbereitschaft<br />

orientiert. In Bezug auf die „Nähe“ der jeweiligen Person zur politischen<br />

Aktivität skizziert es in aufsteigender Reihung:<br />

1. die politisch Desinteressierten;<br />

2. die informierten und urteilsfähigen Zuschauerinnen und Zuschauer;<br />

3. die interventionsfähigen Bürgerinnen und Bürger;<br />

4. die Aktivbürgerinnen und Aktivbürger (vgl. ebd., S. 35/36.).<br />

Nehmen wir dieses Raster als Beschreibungshilfe, dann kann man sagen, dass die<br />

Schülerinnen und Schüler des Bremer Projektes im Verlaufe dieser Projektarbeit<br />

den Weg von der ersten Stufe (politisch Desinteressierte) zur dritten Stufe<br />

(Interventionsbürger) gegangen sind. Darüber hinaus ist es ihnen offensichtlich<br />

gelungen, einige andere Jugendliche und junge Erwachsenen alleine durch die<br />

öffentlich kommunizierten Ergebnisse ihrer Projektarbeit zur Wahrnehmung der<br />

Rolle von „informierten und urteilsfähigen Zeitgenossen“ (zweite Stufe) bewegt<br />

zu haben. Entscheidend dabei ist aber nicht die Äquivalenz zu einem deskriptiven<br />

Stufenmodell, sondern die aktive und auf Handlung bezogene Dimension<br />

dieses Lernens, die damit einhergehende zunehmende „Verstehenstiefe“ (Fauser<br />

2002) von demokratischen Verfahren und Handlungsformen.<br />

Gerade darin liegt ein interessantes Ergebnis dieser Projektarbeit, denn es ist<br />

alleine dadurch, dass Erstwähler motiviert werden konnten, auf Basis eines neuerworbenen<br />

grundlegenden Wissens von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen,<br />

eine „Ligatur“, eine Bindung, „deren Vorhandensein den Wahlchancen Sinn gibt“<br />

(Dahrendorf 2003, S. 45) zwischen den jungen Erwachsenen und der Institution<br />

des Wahlrechts hergestellt worden. Nicht das Ergebnis, sondern die freiheitliche<br />

Option der Alternativen begründet diese Ligatur und ist deshalb ein demokratiepädagogisch<br />

wirksamer Beitrag zur Stärkung demokratischer Werthaltungen bei<br />

den Schülerinnen und Schülern. Das Projekt hat im Übrigen noch eine weitere<br />

Entwicklungslinie eingeschlagen, da auf eine Eingabe der Schülerinnen und<br />

Schüler der Projektgruppe beim Parlament in Bremen – der Bürgerschaft – eine<br />

Debatte um die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 im Rahmen des Kommunalwahlrechts<br />

angestoßen werden konnte – auch dieses Projekt wurde im Rahmen<br />

des Wettbewerbs „<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>” gefördert.<br />

6. Politik und Schule: Ein Ansatzpunkt zur Legitimation der Demokratie<br />

In Blick auf die Legitimation der Demokratie können wir gegenwärtig zwei<br />

Tendenzen ausmachen: Aspekte der Delegitimierung auf der einen – sichtbar<br />

bspw. im Wahlverhalten und in der Wahlbeteiligung – ebenso wie solche eines<br />

Legitimationszuwachses – das Stichwort hierfür ist die Bürgergesellschaft.<br />

Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes ist auch die Demokratietheorie<br />

– wie die politische Theorie überhaupt – auf neue Weise gefordert. Demokratie<br />

ist nicht mehr ohne Weiteres alleine in nationalstaatlichen Kontexten zu analysieren<br />

und zu optimieren. Sie ist auch kaum als fertiges System regional und überregional<br />

exportierbar. Zudem begrenzt sie sich nicht nur auf die Aspekte von<br />

Partizipation und Wahl, sondern bedarf v.a. einer universell gültigen normativen<br />

Grundlegung durch Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Trotz fortgeschrittener<br />

52


Zur Legitimation der Demokratie<br />

Aufklärung und Moderne befindet sich die politische Theorie allerdings „in einer<br />

paradoxen Situation“ (Schaal/Heydenreich 2006, S. 252). Demokratietheorie<br />

scheint im ökonomisch-technischen Sinne wenig effektiv, zugleich aber gibt es<br />

dennoch einen großen Bedarf an normativer Orientierung und damit eine<br />

Nachfrage nach Erklärungsmustern, analytischen Konzepten und Theorien zur<br />

Demokratie. Insbesondere spielen hierbei Bildung und Erziehung und damit die<br />

Schule eine Rolle. Perspektiven für eine lebendige und stabile Weiterführung der<br />

Demokratie sind ohne demokratische Handlungskompetenzen und belastbare<br />

Werthaltungen bei einer Mehrheit der Menschen kaum denkbar.<br />

Die Schule als Organisation systematischen Lehrens und Lernens erreicht<br />

nahezu alle jungen Menschen für eine vergleichsweise lange Zeit. Sie muss die<br />

ihr obliegende Aufgabe der Erziehung zur Demokratie, zur Mündigkeit und zur<br />

Wahrnehmung einer adäquaten Bürgerrolle aktiv und engagiert annehmen: Im<br />

Fachunterricht Politik, im überfachlichen Feld des Umgangsstils, der Anerkennung<br />

und der Kommunikation zwischen den beteiligten Gruppen, im Umgang<br />

mit Lernen und Leistung, im fächerverbindenden Lernen, in der SMV und vor<br />

allem in einer projektbezogenen Pädagogik, die grundlegende Elemente der<br />

Partizipation in der Demokratie als Ausgangspunkt zur Stärkung demokratischer<br />

Werthaltungen nutzen kann. In solchen Projekten zeigt sich die eigentliche demokratiepädagogische<br />

Essenz von Schule: In Freiheit tätig gewordene Schülerinnen<br />

und Schüler mit solchen Projekterfahrungen werden Demokratie als legitime<br />

Ordnungsform von staatlicher Herrschaft wahrnehmen und für sie eintreten können.<br />

Ihre Erfahrung und die durch ihr Lernen geförderten Werthaltungen können<br />

ihnen helfen, Demokratinnen und Demokraten zu werden, weil die Demokratie<br />

ohne diese eben nicht auskommen kann: „Demokratie heißt auch nicht nur<br />

Wählerstatistik und ist nicht nur ein Rechenverfahren, sondern im Elementaren<br />

die Anerkennung eines freien Menschentums, das auch im Gegner den Partner<br />

sieht, den Mitspieler.“ (Heuss 1967b, S. 92) Daran versuchen demokratiepädagogisch<br />

gehaltvolle Projekte anzuschließen.<br />

Literatur<br />

Altenburg, M. (2006): Weniger Disziplin bitte! In: Die ZEIT Nr. 40 v.<br />

28.09.2006, S. 49.<br />

Assheuer, T./ Perger, W. (Hrsg.) (2000): Was wird aus der Demokratie<br />

Opladen: Leske + Budrich.<br />

Baumann, Z. (2000): Die Demokratie zwischen den Fronten. In:<br />

Assheuer/Perger (2000), S. 27-34.<br />

Beck, U. (2000): Die postnationale Gesellschaft und ihre Feinde. In:<br />

Assheuer/Perger (2000), S. 35-50.<br />

Beutel, S.-I. (2005): Zeugnisse aus Kindersicht. Kommunikationskultur an der<br />

Schule und Professionalisierung der Leistungsbeurteilung. Weinheim:<br />

Juventa.<br />

53


Wolfgang Beutel<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (2001): Erfahrene Demokratie. Wie Politik<br />

praktisch gelernt werden kann, Opladen: Leske + Budrich.<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (2007): Demokratiepädagogik. Lernen für die<br />

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Breit, G./ Massing, P. (Hrsg.) (2002): Die Rückkehr des Bürgers in die<br />

politische Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

Dahrendorf, R. (2003): Auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Vorlesungen<br />

zur Politik der Freiheit im 21. Jahrhundert. München: C.H. Beck.<br />

Die WELT kompakt vom 14.09.2006.<br />

Dietze, L. (1999): Schülermitverantwortung und Elternvertretung. In: Mickel,<br />

W. (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung. Schwalbach/Ts.:<br />

Wochenschau Verlag, S. 518-522.<br />

Edelstein, W. (2001): Lernwelt und Lebenswelt – Überlegungen zur<br />

Schulreform. In: Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.): Erfahrene Demokratie. Wie<br />

Politik praktisch gelernt werden kann. Opladen: Leske+Budrich, S. 272-301.<br />

Eppler, E. (2005): Auslaufmodell Staat Frankfurt/M.: Suhrkamp.<br />

Fauser, P. (2002): Lernen als innere Wirklichkeit. In: Neue Sammlung 42, H. 2,<br />

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Gallus, A./ Jesse, E. (2001): Was sind Dritte Wege Eine vergleichende<br />

Bestandsaufnahme. In: apuz B 16-17, S. 6-15.<br />

Giddens, A. (2000): Der dritte Weg: die Erneuerung der sozialen Demokratie.<br />

Frankfurt/M.: Suhrkamp.<br />

Hamm-Brücher, H. (1998): Lasst die Bürgergesellschaft wachsen. Plädoyer für<br />

eine Reform der Demokratie. In: Die ZEIT, Ausgabe 40, S. 71.<br />

Henkenborg, P. (2000): Politische Bildung als Kultur der Anerkennung: Skizzen<br />

zu einer kritischen Politikdidaktik. In: kursiv – Journal für politische<br />

Bildung 4, H. 2, S. 32-35.<br />

Heuss, T. (1967a): Bonn – 12. September. Ansprache zur Wahl als<br />

Bundespräsident. In: Ders.: Die großen Reden. München: dtv, S. 105-112.<br />

Heuss, T. (1967b): Um Deutschlands Zukunft. In: Ders.: Die großen Reden.<br />

München: dtv, S. 81-93.<br />

Ingenkamp, K. (1971): Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung. Weinheim:<br />

Beltz.<br />

Knab, D. (1987): Schritte auf dem Weg zu einer demokratischen<br />

Schulverfassung. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens 35, H. 4, S.<br />

248-253.<br />

Massing, P. (2002): Demokratietheoretische Grundlagen der politischen Bildung<br />

im Zeichen der Globalisierung. In: Butterwegge, C./ Hentges, G. (Hrsg.):<br />

Politische Bildung und Globalisierung. Opladen: Leske + Budrich, S. 25-42.<br />

54


Zur Legitimation der Demokratie<br />

Nohlen, D. (²2004): Artikel „Legitimität“. In: Nohlen, D./ Schultze, R.-O.<br />

(Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft, Bd. 1. München: C.-H. Beck, S.<br />

487-488.<br />

Offe, C. (2000): Wenn das Vertrauen fehlt. In: Assheuer/Perger (2000), S. 59-<br />

66.<br />

Ramelsberger, A. (2006): NPD stellt Verfassung infrage. In: Süddeutsche<br />

Zeitung vom 22.09.2006, S. 6.<br />

Perger, W. (1999): Der dritte Weg. Europas Linke sucht nach der großen<br />

Botschaft. Auch rechts. In: Die ZEIT, Ausgabe 11.<br />

Schaal, G.-S./ Heidenreich, F. (2006): Einführung in die politischen Theorien<br />

der Moderne. Opladen/Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich.<br />

Scharpf, F. (1997): <strong>Demokratisch</strong>e Politik in der internationalen Ökonomie.<br />

Working Paper 97/9 vom November 1997 des Max-Planck-Instituts für<br />

Gesellschaftsforschung. Köln 1997. Internet: http://www.mpi-fgkoeln.mpg.de/pu/workpap/wp97-9/wp97-9.html,<br />

Zugriff v. 14. September 2006.<br />

Scharpf, F. (1999): Regieren in Europa. Frankfurt/M.: Campus Verlag.<br />

Schwan, G. (2006): Vertrauen und Politik: Politische Theorie im Zeitalter der<br />

Globalisierung. Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, Kleine<br />

Reihe, Band 18. Stuttgart: Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus.<br />

Steinfeld, T. (2006): Nicht mehr wählen müssen. In: Süddeutsche Zeitung vom<br />

08.09.2006, S. 13.<br />

55


II. Das Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong><br />

in Sachsen


Wolfgang Beutel: Der Wettbewerb „Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ – Angebot, Ausschreibung und<br />

Ergebnisse 1<br />

Der Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ wird seit 1989 für alle<br />

allgemeinbildenden Schulen in Deutschland ausgeschrieben. Mit der Aufforderung<br />

„Gesagt. Getan. Wir suchen Beispiele für Demokratie. In der Schule und darüber<br />

hinaus.“ sollen schulische Gruppen angesprochen, insbesondere aber Schülerinnen<br />

und Schüler zum Mitmachen gewonnen werden. Ideelle Partner des Wettbewerbs<br />

sind die Theodor-Heuss-Stiftung e.V. und die Akademie für Bildungsreform. Mitglieder<br />

dieser beiden bürgerschaftlichen Initiativen haben einen „Förderverein<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> e.V.“ gegründet, der den Wettbewerb trägt und am Lehrstuhl<br />

für Schulpädagogik und Schulentwicklung eine Geschäftsstelle eingerichtet hat.<br />

Ziele und pädagogische Grundlagen des Wettbewerbs<br />

Das Förderprogramm will demokratische Haltung und demokratische Kultur im<br />

gelebten Alltag von Schule und Jugendarbeit stärken. In der Begegnung mit<br />

Anderen sollen Fragen und Probleme sichtbar sowie ein Korridor zur politischen<br />

Verantwortung geöffnet werden. <strong>Handeln</strong> und Lernen sollen sich verbinden. Es<br />

geht um die Anerkennung herausragender Leistungen für die Demokratie und das<br />

Gemeinwesen und um die Förderung von „demokratischer Handlungskompetenz“<br />

und „kritischer Loyalität“ bei Schülerinnen und Schülern, aber auch<br />

Lehrerinnen und Lehrern. Die grundlegende These, auf der der Wettbewerb<br />

„Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ aufbaut, lautet:<br />

„Für politische Bildung und Demokratie lernen ist es unerlässlich, den<br />

Unterricht durch ein praktisches Lernen mit eigenem Tätigsein und durch eigene<br />

Erfahrung zu erweitern und zu bereichern. Ganz besonders im politischen<br />

Bereich ist ein praktisches Lernen notwendig, weil ein wirkliches Verständnis des<br />

Politischen als der Sphäre des <strong>Handeln</strong>s sui generis nicht möglich ist ohne die<br />

Erfahrung von Interessengegensätzen und Interessenausgleich, von Widerständen<br />

und Niederlagen, von öffentlicher Auseinandersetzung und Rechenschaft, von<br />

Überzeugen und Überzeugtwerden, von Mehrheitssuche und Minderheitenschutz.<br />

Mit den jährlichen Ausschreibungen werden durch das ‚Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>‘ unter diesem Blickwinkel beispielhafte Projekte aufgegriffen,<br />

bei denen sich Schule und Jugendliche praktisch für die Lösung von<br />

1 Dieser Text nimmt in den Passagen des ersten Teils auf den Grundlagenartikel „Demokratie lernen<br />

als schulpädagogisches Problem“ (Beutel/Fauser 2001b) sowie einen IBBW-Lehrbrief<br />

(Beutel/Fauser 2002) Bezug.<br />

59


Wolfgang Beutel<br />

Aufgaben des Gemeinwesens engagieren – im Unterricht, im Schulleben und<br />

über die Schule hinaus.“ (Beutel/Fauser 2001b, S. 34)<br />

Dabei hat das Förderprogramm Einsichten und Forderungen bekräftigt, die in<br />

aktuellen Diskussionen über Qualität und Entwicklung der Schule immer wieder<br />

herausgestellt werden:<br />

Erstens, die Verbesserung der Lernqualität verlangt die Verbesserung der<br />

Schulqualität – der Schule als Organisation und als Ort professionellen <strong>Handeln</strong>s;<br />

einem praktischem Lernen durch handlungsorientierten Unterricht und Projekte<br />

kommt dabei eine eigene, zukunftswichtige Bedeutung zu. Praktisches Lernen<br />

bildet schulisch den besten, vielleicht den einzigen Weg zur Handlungskompetenz,<br />

zu selbstständigem, verantwortlichem <strong>Handeln</strong>; seine Durchführung<br />

bedarf dabei eines spezifische Könnens, das von Lehrerinnen und Lehrern erworben<br />

und geübt werden kann und muss.<br />

Zweitens, für Entwicklung und Verbesserung der Schule wird, auch vor dem<br />

Hintergrund globaler Veränderungen und beschleunigten Wandels, ein Paradigmenwechsel<br />

postuliert: Die Schule muss danach einen Übergang bewältigen, der<br />

sie aus zentraler Steuerung und Kontrolle durch den Staat herausführt in den<br />

Raum einer demokratisch-partizipatorisch, fachlich, zivilgesellschaftlich<br />

bestimmten Öffentlichkeit. Ein solcher Übergang lässt für die Schule mehr Gestaltungsmöglichkeiten,<br />

mehr Eigenverantwortung, mehr Flexibilität, mehr<br />

Transparenz, Partizipation und Qualitätsvergleiche erwarten. Im Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> werden deshalb Projekte aufgesucht, hervorgehoben,<br />

unterstützt und weitervermittelt, in deren Zentrum ein Lernen durch<br />

Erfahrung und <strong>Handeln</strong> steht. Dabei geht es um eine Auseinandersetzung mit für<br />

die Demokratie und die Politik gehaltvollen Themen und Aufgaben. Es geht um<br />

Demokratie-Lernen durch gemeinsames <strong>Handeln</strong>, wobei der Begriff „<strong>Demokratisch</strong><br />

<strong>Handeln</strong>“ zwei wesentliche Prinzipien eines an reformpädagogischen<br />

Traditionen orientierten Lernverständnisses zusammenfasst.<br />

Das erste Prinzip ist die handlungsbezogene Vorstellung von Demokratie.<br />

Demokratie wird dabei als eine lebenspraktische Form des Politischen verstanden,<br />

die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass die bürgerschaftliche Komponente der<br />

Politik – das Engagement des Einzelnen für Fragen des Gemein-wohls – im<br />

Vordergrund steht. Demokratie ist „Lebensform“ und nicht nur „Regierungsform“.<br />

Sie ist in erster Linie eine „Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander<br />

geteilten Erfahrungen“ (Dewey 1993, S. 121). So gesehen meint der<br />

Begriff Demokratie nicht primär eine verfahrensrationale Form der Partizipation an<br />

Macht, sondern ein gemeinsames Wahrnehmen von Aufgaben und Heraus-forderungen.<br />

Partizipation artikuliert sich für den Einzelnen dann darin, dass er teilnimmt,<br />

sich einmischt und die Öffentlichkeit für die Gestaltung des Politischen zu<br />

nutzen versucht. Demokratie ist in diesem Sinne unmittelbar und lebendig. Sie ist<br />

gegenwärtig und nicht abstrakt. Die hier gemeinte Form demokratischen <strong>Handeln</strong>s<br />

zielt auf eine für den Einzelnen nachvollziehbare Auseinandersetzung mit überindividuellen<br />

Aufgaben und Herausforderungen, die ihm eine Wahrnehmung davon<br />

ermöglichen, dass man nicht systemischen Mächten allein ausgesetzt ist, sondern<br />

an der Gestaltung des Politischen und der Demokratie teilnehmen kann.<br />

Das zweite Prinzip liegt darin, Lernen als Funktion des <strong>Handeln</strong>s zu verstehen.<br />

Damit wird ebenfalls an reformpädagogische Traditionen angeschlossen.<br />

60


Der Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“<br />

Verkürzt gesprochen bringt das <strong>Handeln</strong> die Erfahrungen hervor, die ein demokratisch<br />

und politisch gehaltvolles Lernen ermöglichen. Ein solches Lernen entsteht<br />

durch Erfahrungen, die auf einer Initiative oder einer Tat beruhen, aber auch<br />

durch Erfahrungen, die auf Handlungskonsequenzen fußen, einer Initiative des<br />

Umfeldes und einer Reaktion darauf entspringen. <strong>Demokratisch</strong>es <strong>Handeln</strong> und<br />

das damit verbundene Lernen basiert also auf einer Erfahrung, die ein aktives und<br />

ein passives Element umschließt, die in besonderer Weise miteinander verbunden<br />

sind. Wenn wir etwas erfahren, so tun wir etwas damit, um uns dann mit den<br />

Folgen unseres Tuns auseinanderzusetzen: „Wir wirken auf den Gegenstand ein,<br />

und der Gegenstand wirkt auf uns zurück.“ (ebd., S. 186) Einwirkung und Rückwirkung<br />

sind der Schlüssel des handlungsbezogenen Demokratie- und Politikverständnisses,<br />

das den Projekten, die wir aus unserem Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> kennen, eigen und gemeinsam ist.<br />

Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Erweiterung des üblichen Unterrichts<br />

um ein praktisches Lernen von organisatorischen Rahmenbedingungen<br />

erleichtert oder erschwert werden kann. Entscheidend sind allerdings zunächst<br />

Fähigkeiten und Engagement von Lehrerinnen und Lehrern. Wenn die Projekte<br />

die Fachgrenzen überschreiten, und erst recht, wenn sie über die Schule hinausgehen<br />

– also Brücken zur Wirklichkeit schlagen und an die großen Aufgaben<br />

öffentlicher Verantwortung heranführen – entstehen Anforderungen, Schwierigkeiten<br />

und gerade im politischen Raum auch Konflikte. Lehrerinnen und Lehrer<br />

müssen damit umgehen können. Sie müssen diese Konflikte auch pädagogisch<br />

fruchtbar machen. Hierfür sind sie nicht ausgebildet. Sie brauchen deshalb<br />

Unterstützung, Beratung und Hilfen. Hinzu kommt, dass politische Bildung und<br />

demokratische Erziehung zwar anerkanntermaßen zu den Grundaufgaben der<br />

Schule gehören, fachlich und professionell aber bisher immer noch als randständig<br />

bezeichnet werden müssen. Qualitätsverbesserung und Professionalisierung<br />

bedürfen in diesem Feld also besonderer Unterstützung und zusätzlicher Mittel.<br />

Ein Weiteres ist zu bedenken. Zu politischer Bildung gehören über Wissen<br />

und Urteilsfähigkeit hinaus der Aufbau demokratischer Gesinnung und die Bereitschaft,<br />

Verantwortung zu übernehmen. Überdauernde Einstellungen, Haltungen,<br />

wertgebundene Überzeugungen oder Motive werden allerdings nicht<br />

„gelernt“ wie mathematische Lösungsstrategien, Vokabeln oder historische Zusammenhänge.<br />

Ob Kinder und Jugendliche Demokratie wichtig finden und für<br />

sie eintreten wollen, hängt davon ab, wie wichtig und wie selbstverständlich<br />

demokratische Überzeugungen und demokratisches Verhalten als Qualität des<br />

gelebten Alltags sind, in der Schule und über die Schule hinaus, ob Demokratie<br />

nur als Lernstoff oder vielmehr als Lebensform erfahren wird. Von hier aus<br />

betrachtet geht es auch darum, die Schule als Teil der Zivilgesellschaft zu begreifen.<br />

Im Mittelpunkt des Wettbewerbs <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> stehen deshalb nicht<br />

allein die unterrichtsbezogenen Leistungen der Schule und deren „Lernstoff“,<br />

sondern die Schule insgesamt als Lebens- und Erfahrungsraum.<br />

Wir gehen davon aus, dass der Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong><br />

<strong>Handeln</strong>“ nicht nur durch seine Ziele, sondern auch durch seine Organisationsform<br />

zu einer solchen zivilgesellschaftlich ausgerichteten Umwandlung der<br />

Schule beitragen kann: Erstens verbindet das Förderprogramm durch seine<br />

Träger und Kooperationspartner fachliche und politische Öffentlichkeit miteinan-<br />

61


Wolfgang Beutel<br />

der; zweitens entspricht es durch das Zusammenwirken von Bund und Ländern<br />

dem demokratischen Föderalismus der Bundesrepublik und kann regional verankerte<br />

Praxis mit der Ausbildung übergreifender Qualitätsmaßstäbe verbinden;<br />

drittens bildet es durch die Beteiligung von Staat und Zivilgesellschaft die Art<br />

von „Public Private Partnership“, die wir zur Unterstützung und Begleitung der<br />

Schule heute und morgen brauchen, gerade deshalb, weil es um eine neu ausbalancierte<br />

Integration staatlicher und zivilgesellschaftlicher Verantwortung für die<br />

Schule geht.<br />

Durchführung, Teilnahmebedingungen und Form der Anerkennung<br />

Am Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ können Schülerinnen<br />

und Schüler alleine, in Gruppen oder zusammen mit Lehrenden aller<br />

Schularten und Schulstufen, auch mit Eltern und mit Jugendarbeitern teilnehmen.<br />

Es interessieren Themen und Projekte aus dem Alltag von Schule und<br />

Sozialarbeit, insbesondere solche, die eine eigenverantwortliche Tätigkeit der<br />

Schülerinnen und Schüler ermöglichen.<br />

Bis zum 30. November jeden Jahres können die Dokumentationen eingereicht<br />

werden. Im Frühsommer des Folgejahres werden etwa 55 Projekte zur Teilnahme<br />

an der „Lernstatt Demokratie“ ausgewählt. Dort können die Schülerinnen und<br />

Schüler ihre Ergebnisse präsentieren und an Themen und Formen demokratischen<br />

Engagements arbeiten. Die „Lernstatt Demokratie“ findet von Jahr zu Jahr<br />

in einem anderen Bundesland in Kooperation mit Schulen und pädagogischen<br />

Einrichtungen statt.<br />

Die „Lernstatt Demokratie” ist Abschluss der jährlichen Ausschreibung – sie<br />

ist zugleich Preis und Anerkennung, aber auch eine Arbeitstagung und damit ein<br />

spezifisches Förderinstrument des Wettbewerbs. Diese mehrtägige Veranstaltung<br />

lässt sich durch folgende Elemente kennzeichnen:<br />

• Eine öffentliche Ausstellung der eingeladenen Projekte, an die sich eine Fortbildungsveranstaltung<br />

und ein moderierter Erfahrungsaustausch anschließt;<br />

• Ganztägige Workshops, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit<br />

Experten unterschiedlicher Professionen (Journalisten, Schriftsteller, Kabarettisten,<br />

Medienfachleute etc.) an Themen der Politik arbeiten. Die<br />

Workshops münden in eine Präsentation der Ergebnisse;<br />

• Die öffentliche Auszeichnung der Teilnehmer mit Übergabe einer Anerkennungs-Urkunde;<br />

• Gesprächsrunden mit Politikern und Politikerinnen.<br />

Die Lernstatt gibt durch ihre kreative Atmosphäre Impulse für die weitere schulische<br />

Arbeit. Gruppen, deren Projekte gelungen sind, erfahren, dass ihr Tun für<br />

andere anregend sein kann. Wer erst am Beginn steht oder mit Schwierigkeiten<br />

kämpft, erhält Hinweise und gewinnt Partner. Nicht selten entstehen so neue<br />

Pläne und Projekte. Wesentlich für die „Lernstatt Demokratie” ist ihr öffentlicher<br />

Charakter, der sich in der Präsentation für die Medien und die lokale Öffentlichkeit<br />

des Veranstaltungsortes, in den Begegnungen und Gesprächen und in der<br />

Ausstellung, die Themen und Formen demokratischen <strong>Handeln</strong>s anschaulich und<br />

genau vermittelt, zeigt.<br />

62


Der Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“<br />

Die „Lernstatt Demokratie” wurde als Arbeitstagung konzipiert, die Anerkennung<br />

mit kritischer Selbstreflexion verbindet und zugleich versucht, dabei die auf<br />

die eigenen Projekte bezogenen Entwicklungs- und Darstellungsbedürfnisse der<br />

Schülerinnen und Schüler ebenso wie die der Lehrerinnen und Lehrer aufzunehmen.<br />

Sie wurde im Laufe der bisher 16 verschiedenen Veranstaltungen, in denen<br />

sie konkretisiert werden konnte, von Jahr zu Jahr verändert. Anregungen und<br />

Kritik wurden aufgenommen und das Konzept an die Bedürfnisse und die<br />

Möglichkeiten der Projektgruppen angepasst. Insbesondere konnte dabei der<br />

Anteil von schöpferischen und projektbezogenen Aktivitäten der Schülerinnen<br />

und Schüler erweitert werden. Die Veranstaltung stößt bei der Teilnehmerschaft<br />

auf große und überwiegend positive Resonanz (Tacke 2001). Sie wird seit mehreren<br />

Jahren auch im Internet dokumentiert. 2<br />

Finanzierung und Handlungsrahmen<br />

Der Wettbewerb wird zu einem großen Teil aus Mitteln der öffentlichen Hand<br />

finanziell gefördert. Das geschieht auf der Basis von zwei Teilprojekten.<br />

Einerseits unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung insbesondere<br />

die Geschäftsstelle und die Ausschreibung des Wettbewerbs. Ein ergänzendes<br />

Projekt zur regionalen Beratung, der Projektbegleitung von Schulen vor<br />

Ort, der Fortbildung und der Basisfinanzierung zur „Lernstatt Demokratie” erhält<br />

von einer Gruppe von Landeskultusministerien unter Federführung des Thüringer<br />

Kultusministeriums und unter Mitwirkung der Ministerien in Baden-<br />

Württemberg, Bremen, Brandenburg, Berlin, Hamburg und Sachsen eine<br />

Zuwendung. Zusätzliche Mittel aus Stiftungen und von Sponsoren werden jedes<br />

Jahr eingeworben. Sitzland des Wettbewerbs ist Thüringen. Seit der<br />

Durchführung eines Evaluations- und Entwicklungsprojektes Mitte der 1990er-<br />

Jahre konnte überdies ein Netz von „Regionalberatern“ auf der Basis von<br />

Teilabordnungen aufgebaut werden. Das Programm wird fachlich begleitet von<br />

einem Beirat, dem zehn Personen aus Politik und Bürgergesellschaft sowie pädagogischer<br />

Wissenschaft und Praxis sowie Vertretungen von Bund und Sitzland<br />

angehören. Hinzu kommt eine Auswahljury, die alljährlich etwa 40 Personen aus<br />

der Schule, der Lehrerbildung und der Schulverwaltung, davon immer auch mindestens<br />

vier Sekundarschüler bzw. Sekundarschülerinnen, zusammenführt. Der<br />

Beirat und die Jury arbeiten auf ehrenamtlicher Basis.<br />

Der Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ beteiligt sich am<br />

Bündnis für Demokratie und Toleranz der Bundesregierung und ist Mitglied in<br />

der „Arbeitsgemeinschaft bundesweiter Schülerwettbewerbe“ 3 . Darüber hinaus<br />

hat der Wettbewerb eine wichtige fachliche Expertise hinsichtlich „guter Praxis“<br />

von Schulen und Projekten, die für die Entwicklungsziele des im Jahr 2002<br />

begonnenen und im Sommer 2007 auslaufenden BLK-Projektes „Demokratie ler-<br />

2 http://www.demokratisch-handeln.de/archiv/lernstatt/index.html<br />

3 Die „Arbeitsgemeinschaft bundesweiter Schülerwettbewerbe“ versteht sich als Zusammenschluss<br />

von staatlich anerkannten und gesamtstaatlich geförderten Schülerwettbewerben in<br />

Deutschland. Ihr Ziel ist es, für die Beteiligung an pädagogisch sinnvollen und das Lernen fördernden<br />

Wettbewerben zu werben. Weitere Informationen gibt das Internet unter der Seite:<br />

www.bundeswettbewerbe.de.<br />

63


Wolfgang Beutel<br />

nen und leben“ einschlägig sind. Entsprechend konnten die wesentlichen<br />

Handlungsstrategien und die fachliche Begründung der Programmziele vor dem<br />

Hintergrund auch der Wettbewerbs-Erfahrungen von <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> präzisiert<br />

werden. Der Wettbewerb ist dabei auch Partner für die Fortbildungsangebote<br />

in diesem BLK-Programm, insbesondere in der Ausbildung von<br />

„Multiplikatoren und Demokratie-Beratern“. Mittelfristig könnte er für das BLK-<br />

Projekt eine „Such- und Beobachtungsfunktion“ für die Entwicklungs- und<br />

Gestaltungskräfte demokratisch gehaltvollen Erfahrungslernens an der Schule<br />

einnehmen sowie eventuell den Transfer der Ergebnisse dieses Modellprojekts in<br />

das Regelschulwesen mit begleiten.<br />

Zu den Ergebnissen – bundesweit…<br />

Seit 1990 sind in bislang 16 Ausschreibungen 2921 Projekte eingereicht worden.<br />

Die Teilnehmerquote stieg von 1990 bis 2000 relativ stetig an und verbleibt seither<br />

auf einer Zahl von etwa 250 Einsendungen pro Jahr. Alle Projekte wurden<br />

erfasst, dokumentiert und fachlich ausgewertet. An unserer Ausschreibung haben<br />

sich Gruppen aller Schularten und Schulformen und aus allen Bundesländern<br />

beteiligt.<br />

In den Projekten werden pädagogisch und politisch wichtige Themen in übertragbaren<br />

und wirksamen Formen des Lernens bearbeitet. Diese Themen sind:<br />

Demokratie in der Schule; Gewalt; das Zusammenleben und der Umgang mit<br />

Minderheiten; Umwelt und Umweltschutz; Auseinandersetzung mit der Geschichte,<br />

besonders der NS-Geschichte; <strong>Handeln</strong> in der kommunalen Öffentlichkeit.<br />

Seit Mitte 2004 erlaubt eine im Internet zugängliche Online-Datenbank die<br />

kriterien- und textbezogene Recherche und Information zu den Projekten. Diese<br />

Datenbank und weitere Informationsdienste auf der Webseite des Förderprogramms<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> werden fortlaufend aktualisiert.<br />

Mit über 720 Schulen und Projektgruppen hat das Programm bei der Lernstatt<br />

Demokratie und zahlreichen anderen Präsentationsveranstaltungen, Fortbildungen<br />

und Ausstellungen zusammengearbeitet. Die wichtigsten Ergebnisse, Handlungsformen<br />

und eine Reihe exemplarischer Beispiele wurden 2001 in einer<br />

Monographie der Fachöffentlichkeit vorgestellt (Beutel/Fauser 2001). Der demokratiepädagogische<br />

Ansatz des Wettbewerbs und Förderpro-gramms hat<br />

zwischenzeitlich in der Fachöffentlichkeit von Politikdidaktik und Schulpädagogik<br />

große Aufmerksamkeit gefunden (exemplarisch: Breit/Schiele 2002, 2004)<br />

und gilt als wichtiger Erfahrungsträger für eine auf die Schule bezogene Form des<br />

Lernens von Demokratie und Politik (Beutel/Fauser 2006).<br />

… und in Sachsen<br />

Schon in der ersten, regional begrenzten Pilot-Ausschreibung des Jahres 1990<br />

war das Land Sachsen einbezogen. Nach verhaltenem Anfang hat sich die<br />

Beteiligungsquote in Sachsen sichtbar und intensiv erhöht. Eine Anschauung<br />

davon gibt Abb. 1. Seit der Ausschreibung des Jahrs 2000 sind jährlich deutlich<br />

mehr als 20 Einsendungen aus Sachsen mit dabei.<br />

64


Der Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“<br />

50<br />

45<br />

43<br />

46<br />

40<br />

35<br />

37 37<br />

35<br />

30<br />

Einsendungen<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

15<br />

21<br />

31<br />

10<br />

5<br />

1<br />

5 5 5<br />

6<br />

12<br />

12<br />

0<br />

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16<br />

Ausschreibungsrunde<br />

Abb. 1: Anzahl der Einsendungen in Sachsen in den 16 Ausschreibungen 1990-2005<br />

Was zeigt sich, wenn man die Zahl bislang vorgelegter Projektdokumentationen<br />

aus Sachsen mit den Einsendezahlen aus den anderen Bundesländern<br />

vergleicht Tabelle 1 gibt hierzu Auskunft.<br />

Bundesländer Abk. 1990-2005 absolut Anteilig in %<br />

Nordrhein-Westfalen NW 413 14,3<br />

Sachsen SN 341 11,8<br />

Thüringen TH 302 10,3<br />

Bayern BY 257 8,8<br />

Bremen HB 224 7,7<br />

Baden-Württemberg BW 223 7,7<br />

Berlin BE 221 7,6<br />

Brandenburg BB 188 6,4<br />

Hessen HE 175 6,0<br />

Niedersachsen NI 144 4,9<br />

Hamburg HH 99 3,4<br />

Sachsen-Anhalt ST 88 3,0<br />

Rheinland-Pfalz RP 73 2,5<br />

Schleswig-Holstein SH 68 2,3<br />

Meckl.-Vorpommern MV 50 1,7<br />

Saarland SL 48 1,6<br />

Gesamt 2921 100<br />

65


Wolfgang Beutel<br />

Mit Abschluss der 16. Ausschreibungsrunde konnten aus den Schulen Sachsens 341<br />

Projekte – das entspricht einem Anteil von 11,8 % von insgesamt 2921 vorliegenden<br />

Projektbeispielen – dokumentiert werden. Sachsen liegt damit hinter<br />

Nordrhein-Westfalen, das als bevölkerungsreichstes und auch von der Zahl der<br />

Schulen her größtes Bundesland die Spitzenposition einnimmt. Wobei hier absolute<br />

Zahlen diskutiert werden, die so natürlich nur Auskunft über den Verlauf der<br />

Ausschreibungen unseres Programms geben. Weitergehende Analysen bedürfen<br />

der Relation zu den Schul- und Schülerzahlen sowie zu infrastrukturellen und wirtschaftlichen<br />

Grunddaten der Bundesländer insgesamt. Wenn diese Größen in<br />

Betracht gezogen werden, dann darf auch hier von Sachsen eine Spitzenposition im<br />

Beteiligungsgrad am Wettbewerb <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> erwartet werden.<br />

In Blick auf die Schularten und -formen, aus denen die Projekte kommen, zeigt<br />

sich in den Beiträgen aus Sachsen kein abweichender Trend im Vergleich zu den<br />

Einsendungen bundesweit. Kennzeichnend ist, dass – bezogen auf die bisherige<br />

Grundgesamtheit von 2921 Projekten aus 16 Ausschreibungsrunden – bundesweit<br />

gesehen die meisten Beiträge aus Gymnasien kommen (29,3%), dicht gefolgt von<br />

Projektbeispielen aus den Sekundarschulen (26,2%), in Sachsen also v.a. aus den<br />

Mittelschulen. Einen gewichtigen Anteil repräsentieren die Grundschulen (10,7%)<br />

und sichtbar sind mit 4,7% auch die Förderschulen. Klar wird allemal, dass für ein<br />

auf Projektdidaktik und Projekte als Großform setzendes Demokratie-Lernen alle<br />

Schulstufen und Schularten bedeutsam sind. Das gilt für den Wettbewerb in<br />

bundesweiter Perspektive ebenso wie für seinen Verlauf in Sachsen. Im Rahmen<br />

des Wettbewerbs „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ nehmen – soviel ist<br />

aber sichtbar – die Schulen des Landes Sachsen eine herausragende Stellung ein.<br />

Literatur<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (2001a): Erfahrene Demokratie. Wie Politik<br />

praktisch gelernt werden kann. Opladen: Leske + Budrich.<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (2001b): Demokratie lernen als schulpädagogisches<br />

Problem. Pädagogische Grundlagen, Konzept und Erfahrungen des<br />

Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>. In: Beutel/Fauser (2001a),<br />

S. 25-98.<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (2002): <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>: Konzept, Theorie und<br />

„Best Practice“-Beispiele. Göttingen: IBBW.<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (2007): Demokratiepädagogik. Lernen für die<br />

Zivilgesellschaft. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

Breit, G./ Schiele, S. (Hrsg.) (2002): Demokratie-Lernen als Aufgabe der<br />

politischen Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

Breit, G./ Schiele, S. (Hrsg.) (2004): Demokratie braucht politische Bildung.<br />

Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

Dewey, J. (1993): Demokratie und Erziehung. Weinheim: Beltz.<br />

66


Der Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“<br />

Tacke, H. (2001): Austausch, Würdigung und Forum für Politische Kreativität –<br />

Die Lernstatt Demokratie als Förderinstrument. In: Beutel/Fauser (2001a),<br />

S. 195-213.<br />

67


Wolfgang Wildfeuer: Die regionale Beratung Sachsen im<br />

Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“<br />

Die politischen und pädagogischen Voraussetzungen für das Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> wurden nicht zuletzt durch die Erfahrungen mit der<br />

Schulförderung des „Praktischen Lernens“ (Akademie für Bildungsreform/<br />

Robert Bosch Stiftung 1993) geprägt. In diesem Programm ging es primär um die<br />

vorsichtige Korrektur und Erweiterung eines einseitig an kognitivem Lernen<br />

orientierten Bildungsverständnisses und die pädagogische Entwicklung einzelner<br />

Schulen. Eine Erfahrung bei diesem Schulentwicklungsprogramm lag darin, dass<br />

Schulentwicklung gerade mit einer schulnahen und die bildungspolitischen<br />

Kontexte berücksichtigenden Handlungsstrategie in der Praxis effektiv geleistet<br />

werden kann. Wesentlicher Bestandteil der mittelfristigen Sicherung von<br />

Förderstrukturen und Handlungspartnern war deshalb die Gründung einer Reihe<br />

von landesbezogenen Fördervereinen für „Praktisches Lernen“. Bereits Mitte der<br />

1980er-Jahre hat z.B. der „Verein zur Förderung des praktischen Lernens in<br />

Nordrhein-Westfalen“ Erfahrung mit der Begleitung der schulbezogenen<br />

Arbeiten durch „Projektberater“ machen können (Metze 1998, S. 150).<br />

Zwar gibt es beim Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> strukturelle<br />

Parallelen zum „Praktischen Lernen“, doch nahm die Entwicklung hier einen<br />

anderen Verlauf. Nach einer Planungsphase bis Ende ’89 (Beutel/Fauser 1990)<br />

wurde 1990 mit der ersten Ausschreibung „Gesucht werden Beispiele <strong>Demokratisch</strong>en<br />

<strong>Handeln</strong>s“ begonnen. Dieser Probedurchlauf war regional begrenzt und<br />

zeigte, dass man Partner in der Schulpraxis vor allem dann gewinnt, wenn die<br />

regionalen und lokalen schulischen Gegebenheiten besondere Aufmerksamkeit<br />

finden.<br />

Am Anfang – die Entwicklung eines Konzepts<br />

Mit Beginn des Jahres 1995 wirkten deshalb die vier Bundesländer Thüringen,<br />

Sachsen, Hessen und Bremen bei einer „Wissenschaftlichen Untersuchung“ des<br />

Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> mit dem Bundesbildungsministerium<br />

zusammen. Ziel dieser Untersuchung war es, das Förderprogramm als ein an der<br />

pädagogischen Praxis orientiertes Unterstützungsangebot zu stärken und zu stabilisieren,<br />

seine Förderinstrumente zu evaluieren und zugleich erfahrungsgesättigtes<br />

Wissen über die Formen, Bedingungen und Grenzen von Projekten demokratischen<br />

<strong>Handeln</strong>s an Schulen und in Jugendinitiativen zu gewinnen. Seit<br />

Beginn des Schuljahrs 1995/96 wird der Wettbewerb „Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ deshalb durch eine regionale Beratung ergänzt. Hierfür<br />

sind in den genannten Ländern ein Lehrer, eine Lehrerin oder Mitarbeiterinnen<br />

69


Wolfgang Wildfeuer<br />

bzw. Mitarbeiter aus der Lehrerfortbildung mit einem Anteil ihrer Arbeitszeit<br />

freigestellt. Mit Ausnahme Hessens haben die an der „Wissenschaftlichen<br />

Untersuchung“ beteiligten Länder ab 1999 die Vereinbarung getroffen, dieses<br />

Vorgehen zunächst für drei Jahre fortzusetzen und zugleich neue Länderpartner<br />

zu finden (Beutel et al. 2001). Brandenburg und Berlin haben zwischenzeitlich<br />

auch Zeit für die „regionale Beratung“ zur Verfügung gestellt. Eine Reihe ehrenamtlich<br />

wirkender Regionalberater – zur Zeit im Saarland, in Nordrhein-<br />

Westfalen, in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und in Sachsen-Anhalt<br />

ergänzt dieses Angebot.<br />

Besonderheiten der regionalen Beratung<br />

Die Arbeit in der Region hat zwei Seiten: Einerseits richtet sie sich auf die<br />

Schulpraxis, indem schulische Projekte aufgefunden, ggf. die Beteiligten vor Ort<br />

beraten und bei der Dokumentation und Darstellung ihres Tuns und ihrer<br />

Erfahrungen unterstützt werden sollen. Damit wird zugleich die Ausschreibung<br />

bekannt gemacht und ein Beitrag dazu geleistet, Reformpotenziale an den<br />

Schulen selbst zu erschließen. Andererseits fließen Wissen und Erfahrungen aus<br />

einzelnen Schulprojekten und der Region an das Förderprogramm zurück. Es<br />

besteht dadurch die Chance, seine Angebote an den Möglichkeiten und<br />

Handlungsbedingungen der Landesbildungssysteme und der Schulen im<br />

Einzelnen auszurichten. Diese Form des Wissenstransfers von der Praxis in die<br />

wissenschaftliche Schulpädagogik trägt zur Intensivierung der Förderwirkung<br />

bei, und umgekehrt erhöht der persönliche Zugang zu den Schulen das Interesse<br />

an den Förderangeboten. Hierzu gehört auch, dass die Regionalberater durch kontinuierliche<br />

Mitarbeit in den zentralen Veranstaltungen des Förderprogramms,<br />

insbesondere der „Lernstatt Demokratie” sowie der Jury, zur Schärfung der<br />

Qualitätsmaßstäbe und zur stetigen Ausbildung der inhaltlichen Dimensionen<br />

von Projekten und Initiativen demokratischen <strong>Handeln</strong>s beitragen.<br />

Die regionale Beratung ist individuell geprägt – sie hängt in ihrer Form<br />

wesentlich vom Temperament, den Erfahrungen und Interessen der Person ab, die<br />

sie durchführt. Hinzu kommen Faktoren wie z.B. Umfang der Freistellung und<br />

die pädagogischen und beruflichen Schwerpunkte der regionalen Berater.<br />

Schließlich spielt auch der Zugang zu den Schulen vor Ort eine Rolle:<br />

Regionalberatung in einem Flächenstaat wie Sachsen sieht anders aus als im<br />

Zwei-Städte-Staat Bremen. Dieses Vorgehen wird koordiniert durch regelmäßige<br />

Gespräche, durch gemeinsam konzipierte und von den Regionalberatern betreute<br />

Fortbildungsveranstaltungen durch Teilnahme an wissenschaftlichen Fachtagungen.<br />

Hinzu kommen Projektausstellungen, Vorträge u.a.m.<br />

Im Folgenden geht es darum, das Beratungsangebot in Sachsen vorzustellen,<br />

Erfahrungen sichtbar zu machen und weitere Perspektiven zu entwickeln.<br />

Regionalberatung in Sachsen: Betreuung vor Ort…<br />

Bereits in den ersten Jahren wurde das Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong><br />

in Sachsen unterstützt und wahrgenommen. Schon die dritte „Lernstatt<br />

Demokratie“ wurde 1993 am Evangelischen Schulzentrum in Leipzig, einer<br />

Schule in freier Trägerschaft, durchgeführt und vom Kultusministerium des<br />

70


Die regionale Beratung Sachsen im Wettbewerb<br />

Landes unterstützt. Regionale Beratung in Sachsen gibt es ansatzweise seit 1995.<br />

Formell wurde in diesem Jahr die entsprechende Stelle eingerichtet. Besetzt werden<br />

konnte sie allerdings erst zum Schuljahreswechsel Mitte 1996. Die<br />

Abordnung eines Referenten an der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung<br />

(SALF) sollte sich dann allerdings als Glücksfall erweisen, weil gerade über die<br />

damit gewonnenen Kompetenzen und die stetige Unterstützung der SALF bereits<br />

1997 damit begonnen werden konnte, ein eigenes Fortbildungsprofil mit entsprechenden<br />

Veranstaltungen zu entwickeln und durchzuführen. Besonderes<br />

Merkmal hierbei ist das Zusammenwirken von Pädagoginnen und Pädagogen<br />

verschiedener Bundesländer – in der etablierten staatlichen Lehrerfortbildung ist<br />

dies keinesfalls eine Selbstverständlichkeit.<br />

Von diesem Schwerpunkt in der Fortbildung ausgehend entfaltet die sächsische<br />

Variante der regionalen Beratung ein umfassendes Angebotsspektrum, das<br />

den Kolleginnen und Kollegen auch der anderen Bundesländer kreative Anregungen<br />

geben konnte.<br />

Zu diesen Angeboten gehört bspw. eine Dauerausstellung in der SALF, die<br />

über das Förderprogramm informiert. Kernpunkt der Handlungsstrategie im<br />

Flächenstaat Sachsen ist aber die Beratung vor Ort. Die Beratungsthemen reichen<br />

dabei von der schulischen Projektarbeit bis hin zur Begleitung bei der Darstellung<br />

und Dokumentation. Von Beginn an wird diese Handlungslinie begleitet von<br />

regelmäßigen Kontakten zu den Ansprechpartnern im Sächsischen Staatsministerium<br />

für Kultus und zu den Referatsleitern in den fünf Regionalschulämtern<br />

des Landes. Meist wird dies durch Besuche vor Beginn der neuen Ausschreibung<br />

konkretisiert. Dadurch werden das Förderprogramm und sein Anliegen auch als<br />

Chance für die Entwicklungsaufgaben der Schulverwaltung wahrgenommen. Es<br />

wird zudem besprochen, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln regionale<br />

Projekte beraten und unterstützt werden können. Da diese Gespräche in jedem<br />

Jahr in allen fünf Regionalschulämtern geführt werden, hat sich so auch eine kontinuierliche<br />

inhaltliche Zusammenarbeit herausgebildet.<br />

In den letzten Jahren wurden die Beteiligungen der sächsischen Schulen an<br />

den jeweiligen Ausschreibungen in einer internen Pressemitteilung des<br />

Kultusministeriums kurz vorgestellt und die geförderten Projekte ausdrücklich<br />

gewürdigt. Die jährlichen Ausschreibungen werden im Amtsblatt veröffentlicht.<br />

… und projektnahe Fortbildung<br />

Die Anliegen des Förderprogramms und der Lehrerfortbildung werden auf verschiedenen<br />

Ebenen miteinander verzahnt:<br />

• Jährlich findet an der SALF eine zentrale dreitägige Lehrerfortbildung statt, in<br />

der die teilnehmenden Projektgruppen Erfahrungen austauschen und Anregungen<br />

für die Weiterführung ihrer Projekte bekommen. Viele der Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer nutzen diese für eine Bewerbung in der Ausschreibung des<br />

Wettbewerbs <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>. Inzwischen gibt es zu einigen Projektschulen<br />

eine langfristige Beratertätigkeit. Eine weitere Besonderheit: An diesen<br />

Kursen nahmen bisher meist auch Projekte aus anderen Bundesländern teil, was<br />

sich als intensiver Impuls erwiesen hat, da länderübergreifende Formen der<br />

Fortbildung im gegebenen Rahmen nur schwer zu organisieren sind – hier kön-<br />

71


Wolfgang Wildfeuer<br />

nen die SALF als staatlicher und das Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong><br />

als bürgergesellschaftlicher Träger im Zusammenwirken eine eigenständige<br />

Konzeption im Sinne einer Public-Private-Partnership entwickeln. Die sächsischen<br />

Projekte haben von den Projekterfahrungen der alten Bundesländer profitiert,<br />

bspw. im Bereich einer aktiven und intensiven pädagogischen Begleitung<br />

von Integrationsaufgaben bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund.<br />

Dadurch konnten Berührungsängste abgebaut und künftigen demografischen<br />

Entwicklungen offensiv begegnet werden. Umgekehrt wurden die Gäste<br />

aus den alten Bundesländern mit beeindruckenden Erfahrungen und Konzepten<br />

zur Projektpraxis in sächsischen Schulen konfrontiert. Die Moderation und<br />

Steuerung dieser Fortbildungen wird gemeinsam mit Regionalberatern aus<br />

anderen Bundesländern geleistet, wobei diese bei ihren regionalen Veranstaltungen<br />

auch mit der Unterstützung des sächsischen Regionalberaters rechnen<br />

können.<br />

• Durch die Gestaltung von Fortbildungsveranstaltungen zur Kommuni-kation<br />

und Supervision ist mir als sächsischem Regionalberater ein Arbeitsschwerpunkt<br />

und zugleich ein Zugang zu Schulen möglich, der über die normale<br />

Beratertätigkeit hinausgeht und im Idealfall begleitende Schulentwicklung<br />

durch kontinuierliche, moderierte Fortbildung ermöglichen kann. Gerade bei<br />

den mit diesem Themengebiet durchgeführten Veranstaltungen lassen sich<br />

Projekte und Ansätze demokratischen <strong>Handeln</strong>s, die bereits vorhanden sind,<br />

erschließen und gemeinsam weiterentwickeln. Besonders augenfällig ist dies<br />

im Bereich der Schüler-streitschlichtung, einem Instrument zur Konfliktlösung,<br />

das von Schülern kompetent und eigenverantwortlich für ihre<br />

Mitschüler angewendet wird. Hier haben die zahlreichen Arbeitsmöglichkeiten<br />

mit Kindern und Jugendlichen dazu geführt, dass dieses Modell in seinen<br />

Anwendungs-bereichen erweitert und konzeptionell neu ausgerichtet<br />

wurde. Daraus entstand in der Folge ein handhabbares Trainingsmodell<br />

(Wildfeuer 2006), auf das in einem weiteren Beitrag detaillierter eingegangen<br />

wird (siehe auch Wildfeuer in diesem Band).<br />

• Durch zwei Fallstudien (Rentzsch/Wildfeuer 1997; Wildfeuer 1999) konnte<br />

ein Beitrag zur wissenschaftlichen Evaluation des Förderprogramms geleistet<br />

werden. Dabei wurde einer dieser Beiträge auch überregional veröffentlicht<br />

(Rentsch/Wildfeuer 1997).<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das besondere Profil in der<br />

sächsischen Regionalarbeit vor allem darin besteht, Beratung mit Fortbildung so<br />

zu verbinden, dass die Anliegen der Schülerinnen und Schüler ebenso wie die der<br />

Lehrerinnen und Lehrer lösungsorientiert bearbeitet werden und im Mittelpunkt<br />

der Seminargestaltung stehen: Ein Ansatz zur professionsbegleitenden meta-kognitiven<br />

Arbeit (Fauser 2002) lässt sich darin durchaus erkennen. Dabei werden<br />

natürlich moderne erwachsenendidaktische Methoden genutzt, die den<br />

Teilnehmern helfen, Erfahrungen strukturiert zu reflektieren, damit zu stärken<br />

und letztlich auf die Weiterentwicklung und nachhaltige Nutzung der jeweiligen<br />

Projekte abzielen. Inzwischen konnten lebendige regionale Netzwerke vor allem<br />

zu solchen Themen gebildet werden, die eine verbesserte Kommunikations- und<br />

Konfliktkultur an der Schule bewirken können.<br />

72


Die regionale Beratung Sachsen im Wettbewerb<br />

Beratungsarbeit regional und zentral<br />

Die Tätigkeit des Regionalberaters in Sachsen umfasst also sowohl regionale als<br />

auch zentrale Aspekte. Zu den wichtigsten zentralen Aufgaben gehört zweifellos<br />

die mit allen Regionalberatern gemeinsam vorbereitete und für diesen<br />

Personenkreis vorrangig auf moderative Aufgaben orientierte „Lernstatt Demokratie”.<br />

Diese jährlich stattfindende und an wechselnden Orten ausgetragene kreative<br />

Werkstatt-Tagung mit Schülerinnen und Schülern sowie mit Lehrkräften<br />

verbindet das Lernen an hervorragenden Projektbeispielen mit weiterführenden<br />

offenen Workshopangeboten, die die Würdigung der eingeladenen Projekte mit<br />

dem Erlebnis von strukturiertem Erfahrungsaustausch, gemeinsamer Präsentation,<br />

kulturellem Erkunden, intensiven Diskursen mit Politikerinnen und Politikern<br />

sowie mit feierlicher Anerkennung und Auszeichnung kombinieren. Je<br />

nach individueller Kompetenz arbeiten die Regionalberater dabei als Moderator<br />

in Kleingruppen beim Erfahrungsaustausch, als „Energizer“ in der auflockernden<br />

Morgenrunde oder als Workshopleiter. Meine Funktion besteht vor allem darin,<br />

die durch das gesamte viertägige Programm führenden Schülermoderatoren zu<br />

koordinieren und dabei die Jugendlichen auf ihre öffentliche Aufgabe vorzubereiten.<br />

In der verständigungsfreundlichen Atmosphäre der „Lernstatt Demokratie“<br />

kommt vor allem den ersten beiden Tagen eine besondere, weil aufschließende<br />

und austauschförderliche Bedeutung zu. Hier wird inzwischen eine<br />

Tagungsstruktur angewandt, die durch den Wechsel von Plenums- und<br />

Kleingruppenarbeit gekennzeichnet ist. Dadurch gelingt es, dass sich die rund<br />

200 Teilnehmer mit ihren Projekten und Initiativen bekannt machen und diese<br />

unter dem verbindenden Gedanken demokratischen <strong>Handeln</strong>s präsentieren und<br />

diskutieren. Dabei leite ich vor allem auch die in diesen Erfahrungsgruppen tätigen<br />

Moderatoren an, reflektiere mit ihnen anschließend gemeinsam den<br />

Prozessverlauf und verschaffe mir gemeinsam mit den jeweiligen<br />

Schülermoderatoren – meist Jugendliche aus Sachsen – einen Überblick über den<br />

Arbeitsstand in allen Gruppen. Ergänzend hierzu gibt es einen projektübergreifenden<br />

ganztägigen Workshop für Schüler und Lehrer, der rhetorische und moderative<br />

Aspekte der pädagogischen Kommunikation zum Inhalt hat.<br />

Netzwerkbildung: weitere Partner finden<br />

Als besondere Form der Kombination von Beratung und Fortbildung für Lehrer<br />

und Schüler haben sich regelmäßige Seminare erwiesen, in denen trainiert wird,<br />

wie man in problematischen Situationen reagieren kann und Konflikte gemeinsam<br />

löst. Diese zweitägigen Seminare werden in Kooperation mit der Friedrich-<br />

Ebert-Stiftung in Leipzig, Chemnitz und Dresden angeboten und gehen vor allem<br />

folgenden Fragen nach:<br />

• „Wie setze ich meine Körpersprache, vor allem den Blickkontakt bei einer<br />

Überzeugungsrede so ein, dass ich Kontakt zu meinen Zuhörern herstelle“<br />

• „Welche Grundhaltungen und Techniken kann ich anwenden, um auf die<br />

Bedürfnislage anderer so zu reagieren, dass sie sich in ihrem Anliegen verstanden<br />

fühlen“<br />

73


Wolfgang Wildfeuer<br />

• „Wie kann ich mein Handlungsrepertoire beim Reagieren auf unverhoffte<br />

Gesprächshemmer so erweitern, dass ich mein Anliegen nicht aus den Augen<br />

verliere“<br />

Mit Hilfe von interaktiven Übungen bearbeiten die Seminare solche Fragestellungen,<br />

wobei Videobeobachtungen hinzugezogen werden.<br />

Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt besteht darin, die teilnehmenden<br />

Schüler, Lehrer oder auch Eltern mit Erscheinungsformen und Strategien im<br />

Umgang mit Mobbing vertraut zu machen. „Mobbing“ wird hierbei verstanden<br />

als Abfolge gezielter Schikanen gegen Mitschüler, die häufig erniedrigend wirken<br />

und psychische oder physische Schädigungen des Opfers billigend in Kauf nehmen.<br />

In solchen Seminaren wird anhand eines authentischen Falls besprochen, an<br />

welchen Erscheinungsformen man Mobbing erkennen kann und welche gemeinsamen<br />

Handlungsstrategien in der Klasse und im Lehrerkollegium dagegen<br />

genutzt werden können. Dabei werden Gesprächssituationen modelliert und<br />

Rollenspiele trainiert. Den anwesenden Schülern, Lehrern und Eltern wird<br />

bewusst, dass sie Mobbing-Vorfällen nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern dass<br />

es Gegenstrategien gibt, die erfolgversprechend sind.<br />

Diese Kombination aus Fortbildung und Projektberatung scheint deshalb<br />

effektiv, weil aus beiden dargestellten Ansätzen Präventionsmodelle und -programme<br />

abgeleitet werden, die sich in der Schulpraxis bewährt haben. Häufig<br />

sind auch aktive Schülerschlichter als Teilnehmer dabei, die Anregungen über<br />

zusätzliche kommunikative Betätigungsfelder erhalten und zudem öffentliche<br />

Würdigung und Anerkennung mitnehmen können, wenn sie ihre Erfahrungen den<br />

anderen Seminarteilnehmern vorstellen. Mitunter werden auch Peer-Trainer eingeladen,<br />

die ihre Programme zur interkulturellen Verständigung und Toleranzerziehung<br />

vorstellen. Aus diesen Präsentationen entstehen dann häufig auch weitere<br />

Engagements zur Arbeit in Schulen.<br />

Schließlich wird die Konrad-Adenauer-Stiftung im Jahr 2007 voraussichtlich<br />

Unterstützung bei der landesbezogenen Würdigung aller eingesandten sächsischen<br />

Projekte bieten. So soll eine gemeinsame Veranstaltung nach der Beendigung der<br />

jährlichen Ausschreibung etabliert werden, auf der sich alle eingereichten sächsischen<br />

Projekte des Förderprogramms mit ihren Ergebnissen treffen und sich in<br />

einem strukturierten Erfahrungsaustausch zu ihren Themen verständigen können.<br />

Diese Veranstaltung wird an einem repräsentativen Ort stattfinden und einen ganzen<br />

Tag die Möglichkeit bieten, intensiv über die erarbeiteten Themen ins Gespräch<br />

zu kommen und weiterführende Anregungen mit in die eigene Schule zu nehmen.<br />

Unser Beratungsangebot bedient sich ergänzend und mit zunehmender Intensität<br />

der elektronischen Medien. Für die Regionalberatung in Sachsen ist innerhalb des<br />

Web-Portals „www.demokratisch-handeln.de“ eine eigene Seite eingerichtet. Dort<br />

wird über die Arbeit in Sachsen und die fachlichen Angebote direkt informiert. Im<br />

Rahmen der seit geraumer Zeit online gegebenen Service-Angebote, insbesondere<br />

zu den Projekten aus den Schulen, können alle bislang dokumentierten und in den<br />

Ausschreibungen vorgelegten Projekte demokratischen <strong>Handeln</strong>s aus den sächsischen<br />

Schulen auf diesem Web-Portal in knappen, anschaulichen Darstellungen aufgerufen<br />

werden: Hier steht ein immenser Anregungspool zur Verfügung, den wir<br />

Jahr für Jahr weiter ausbauen werden. „<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ bleibt für die<br />

74


Die regionale Beratung Sachsen im Wettbewerb<br />

Schulen insgesamt, besonders aber auch für die Schulen des Landes Sachsen – und<br />

damit auch für die Angebote der regionalen Beratung unseres Förderprogramms hier<br />

im Lande – eine anhaltende und interessante Herausforderung.<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Regionalberatung des Wettbewerbs<br />

„Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ hat inzwischen eine<br />

Leitfunktion im Gefüge dieses Schulentwicklungsprojektes. Sie repräsentiert den<br />

inzwischen umfassendsten Raum an Erfahrung und Wirkungszeit, sie hat in der<br />

Kombination von Beratung vor Ort und verlässlicher, eigenständiger Struktur der<br />

Lehrerfort-bildung sowie in der lockeren Verknüpfung mit Themen der<br />

Kommunikation, der Moderation und der Konfliktbewältigung ein zentrales<br />

Thema und Struktur-modell der „gemeinsamen Regelung teilöffentlicher<br />

Angelegenheiten“ in Schulen und Projektgruppen zur Verfügung. Hier wird<br />

Demokratieberatung nicht als Einzelfall-Arbeit durchgeführt, sondern zu einem<br />

besonderen Anliegen der Demokratiepädagogik: Schule soll gemeinsam gestaltet<br />

werden. Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein!<br />

Literatur<br />

Akademie für Bildungsreform/ Robert Bosch Stiftung (Hrsg.) (1993):<br />

Praktisches Lernen. Ergebnisse und Empfehlungen. Ein Memorandum.<br />

Weinheim: Beltz.<br />

Beutel, W. et al. (2001): Schulentwicklung und wissenschaftliche Begleitung<br />

vor Ort. Die regionale Beratung im Wettbewerb – Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>. In: Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.): Erfahrene<br />

Demokratie. Wie Politik praktisch gelernt werden kann. Opladen: Leske +<br />

Budrich, S. 214-230.<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (1990): <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>. Dokumentation<br />

des Kolloquiums „Schule der Demokratie“ vom 24. bis 26. September 1989<br />

an der Universität Tübingen. Tübingen: Verlag Schöppe & Schwarzenbart.<br />

Fauser, P. (2002): Lernen als innere Wirklichkeit. In: Neue Sammlung 42, H. 2,<br />

S. 39-68.<br />

Metze, E. (1998): Arbeitsstelle und Verein zur Förderung des Praktischen<br />

Lernens in Nordrhein-Westfalen. In: Projektgruppe Praktisches Lernen<br />

(Hrsg.): Bewegte Praxis. Praktisches Lernen und Schulreform. Weinheim:<br />

Beltz, S. 149-154.<br />

Rentsch, K./ Wildfeuer,W. (1997): Das kummervolle Kuscheltier. In: Pädagogik<br />

49, H. 7-8, S. 56-59.<br />

Wildfeuer, W. (1999): „Grün macht Schule“. In: Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong><br />

<strong>Handeln</strong> (Hrsg.): Wissenschaftliche Untersuchung. Bd. 8: Begleitende<br />

Evaluation II von Projekten demokratischen <strong>Handeln</strong>s und Erstellung von<br />

Projektportraits an Schulen der Bundesländer Bremen, Sachsen und<br />

Thüringen. Jena: Eigendruck, S. 4-15.<br />

Wildfeuer, W. (2006): Kommunikation – Moderation – Mediation. Ein<br />

Trainingsprogramm für Schüler und Lehrer. Weinheim: Juventa.<br />

75


Markus Vogelsang: „Kleine“ ganz groß.<br />

Das Projekt „demokraGrundschulen“<br />

Im sächsischen Schulgesetz ist zu lesen: „Schüler der Grundschule sollen auf die<br />

Arbeit und die Aufgaben der Schülermitwirkung dadurch vorbereitet werden,<br />

dass ihre Selbständigkeit möglichst früh im Unterricht und durch Übertragung<br />

ihnen angemessener Aufgaben entwickelt und gefördert wird.“<br />

Diese Formulierung wirkt zunächst unscheinbar, wird aber im Laufe der Zeit<br />

immer wichtiger für die Kinder, spätestens dann, wenn sie auf die weiterführenden<br />

Schulen gehen. Denn auch die Aufgaben der Schülervertretung werden dort<br />

komplexer als in der Grundschule. Wer in der SV weiterführender Schulen mitarbeitet,<br />

hört öfter von Problemen, die entstehen, weil die „Neuen“, die aus der<br />

Grundschule kommen, sich bei der SV-Arbeit nicht ohne Weiteres zurechtfinden.<br />

Aus dieser Erfahrung heraus gesehen ist eine gezielte Förderung der Grundschüler<br />

in Blick auf die Schülermitwirkung hilfreich. Umgekehrt ist in der Schule<br />

oft davon die Rede, dass vor allem die Grundschüler und ihre Mitwirkungsrechte<br />

nicht allzu ernst genommen werden: „Die sind doch noch viel zu klein!“ oder<br />

„Das verstehen die doch noch nicht!“ wird gesagt. So haben auch die Schulleiter<br />

von Grundschulen bisweilen die Befürchtung, dass sie ihren Schülerinnen und<br />

Schülern zu viel zumuten, wenn sie die Schülermitwirkung intensivieren wollen.<br />

Auch von den Eltern kommen kritische Bemerkungen: „Wird mein Kind den<br />

schulischen Leistungsanforderungen gerecht, wenn es auch Schülersprecher<br />

ist“; oder auch „Was wird auf mein Kind zukommen“ Zugegeben, es gibt auch<br />

für uns Schülerinnen und Schüler zu wenige gesicherte Erfahrungen darüber, wie<br />

die SV-Arbeit mit Grundschülern funktioniert. Mancherorts gibt es vielleicht<br />

einen Grundschul-Schülerrat, der aber meist als Gruppe von Einzelkämpfern<br />

dasteht, weil es keine richtigen Beratungsmöglichkeiten gibt – in der Mehrheit<br />

spielt sich aber bei der Schülermitwirkung in der Grundschule nichts wirklich<br />

Substanzielles ab.<br />

Schülermitwirkung: Nur etwas für die weiterführenden Schulen<br />

Das Problem also bleibt. Gerade für uns Schülerinnen und Schüler erscheint ein<br />

Schülerrat und damit eine aktive SMV-Arbeit immer so, als wäre sie ein Privileg<br />

der weiterführenden Schulen. Zu selten wird versucht, in den Grundschulen diese<br />

Möglichkeit zu nutzen oder zu intensivieren. Ich selbst kann aus fünfjähriger<br />

Erfahrung berichten, dass vor allem zu Beginn eines Schuljahres im Schülerrat<br />

einer Mittelschule alles nur sehr schleppend vorangeht, weil die Schülerinnen<br />

und Schüler, die direkt aus der Grundschule kommen, sich erst mit den Themen,<br />

Aufgaben und Handlungsformen in der Schülermitwirkung vertraut machen müs-<br />

77


Markus Vogelsang<br />

sen – eine Aufgabe, die dann bei den bereits etablierten Mitgliedern eines<br />

Schülerrats verbleibt. Darunter leidet die Arbeit des Schülerrats insgesamt. Auf<br />

der anderen Seite merkt man schnell, dass diejenigen, die neu in diese Arbeit hineinkommen<br />

– die „Kleinen“ also – ein großes Potential an Ideen und Energie<br />

besitzen, von daher also für eine gute und effektive Schülermitwirkung unverzichtbar<br />

sind. Ich wurde mal gefragt: „Wie sollen die Kleinen zeigen, was sie<br />

können, wenn sie gar keine Möglichkeit dazu haben“ Es bedarf also einer<br />

Möglichkeit, den Grundschul-Schulleitern die Bedenken davor zu nehmen,<br />

bereits ihre Schülerinnen und Schüler in der Schülermitwirkung zu begleiten. Das<br />

setzt voraus, den Grundschülern mehr Respekt und Vertrauen entgegenzubringen.<br />

Ein Problem, das in der Schülerratsarbeit oft auftritt, liegt darin, dass sich der<br />

Schülerrat „festfährt“, Themen nicht weiterbringt und keine neuen mehr aufgreift!<br />

Das kann an zu geringer Vorbereitung der beteiligten Schülerinnen und<br />

Schüler oder auch an mangelnder Betreuung und Begleitung durch die Lehrkräfte<br />

liegen, die für die SV direkte Ansprechpartner sind oder sein sollen. Aus der<br />

Erfahrung der SV-Arbeit an unserer Mittelschule heraus kann man festhalten,<br />

dass es derzeit kaum Möglichkeiten gibt, Erfahrungen in diesem Gebiet von<br />

anderen aufzugreifen und nutzbar zu machen oder Hilfe auf kurzem Wege in<br />

Anspruch zu nehmen. Deshalb versucht der Schülerrat unserer Schule hier durch<br />

Information und Beratung den Grundschülern zu helfen.<br />

Vom Schulgesetz zum Schulprojekt<br />

In der Funktion als Schulsprecher und ausgebildeter Streitschlichter der<br />

Mittelschule Niederwiesa sowie vor dem Hintergrund der damit verbundenen<br />

Erfahrungen beschäftige ich mich mit diesen Problemen schon länger. Ein entscheidender<br />

Impuls zur Arbeit mit der SV in den Grundschulen kam jedoch von<br />

außen: Im Oktober 2004 fragte die Schulleiterin einer benachbarten Grundschule<br />

an unserer Schule an, ob wir ihrem Schülerrat helfen könnten. Zunächst waren<br />

insbesondere wir Schülerinnen und Schüler verblüfft. Zum einen, weil wir bis<br />

jetzt wenig oder nichts von diesem Schülerrat gehört hatten, zum anderen, weil<br />

wir nicht erwartet haben, dass auch die „Kleinen“ solche Fähigkeiten besitzen<br />

können, und zudem auch ein wenig darüber, dass die Schulleitung einer anderen<br />

Schule direkt bei den SV-Schülern Hilfe und Anregung erbeten hat. Auf die<br />

Frage, wieso sie einen Schülerrat aufbauen wollte, antwortete die Schulleiterin:<br />

„Wir wollten den Grundschülern das dauerhafte Gefühl geben, gebraucht zu werden<br />

und für ihre Schule etwas tun zu dürfen.“<br />

Als die Frage nach Unterstützung durch die Grundschule bei uns eintraf, war<br />

schnell die Idee auf dem Tisch, in der Art eines Seminars mit den Grundschülern,<br />

die eine SV aufbauen wollten, zu arbeiten. In diesem Seminar informierten wir<br />

über die Grundlagen der Arbeit als Klassensprecher und die Aufgaben der SV im<br />

Schulleben. Die Grundschüler wurden intensiv und strukturiert auf ihre weitere<br />

Arbeit vorbereitet und es wurde eine Basis geschaffen, auf der die Vertrauenslehrerin<br />

mit den Kindern weiterarbeiten konnte. Verabschiedet wurde ich an diesem<br />

Tag mit einem: „Du kommst doch wieder, oder“ Dies zeigt, dass es dringend<br />

an der Zeit war, den Grundschülern mehr zuzutrauen und sie gezielt in dieser<br />

Richtung zu fördern.<br />

78


„Kleine“ ganz groß<br />

Nicht nur die Grundschüler hatten viele Erfahrungen von diesem Seminar mitgenommen,<br />

sondern auch für die eigene SV-Arbeit in der Mittelschule konnte man<br />

viele Eindrücke gewinnen, die eine neue Perspektive auf die Arbeitsmöglichkeit<br />

von Grundschulkindern mit der SV begünstigt haben. Waren in unserer SV bislang<br />

ähnliche Vorurteile wie vielerorts gegenüber der Mitbestimmung von<br />

Grundschulkindern, so haben wir hier eine Gruppe von Grundschulkindern<br />

getroffen, die uns lebendiger erschien als so mancher Schülerrat auf einem<br />

Gymnasium: Kinder also, die Themen aufgreifen und Mitbestimmung an ihrer<br />

Schule sachlich und zielbezogen verwirklichen wollten. Diese Erfahrungen und<br />

Vorarbeiten führten zu einem Arbeitskonzept, das einen Monat später als Projekt<br />

„demokraGrundschulen“ vorgelegt werden konnte.<br />

„demokraGrundschulen“ – Was ist das<br />

Das Kunstwort „demokraGrundschulen“ steht für ein Projekt, das sich mit dem<br />

Aufbau und der Begleitung von Schülerräten an Grundschulen befasst. Es<br />

umfasst verschiedene Angebote, um die Arbeit mit einem Schülerrat so einfach<br />

und effektiv wie möglich zu gestalten. Wichtigster Grundbestandteil ist die<br />

Moderation, denn im Mittelpunkt stehen Seminare mit Eltern, Lehrern und<br />

Schülern. So müssen zum Beispiel die Lehrer mit der neuen Situation, einen<br />

Schülerrat zu haben, vertraut gemacht werden und ihnen ein paar Tipps und<br />

Hinweise mit auf den Weg gegeben werden, wie sie diesen Schülerrat am besten<br />

unterstützen können. Eltern sollen darüber informiert werden, was passiert, wenn<br />

ihr Kind Klassensprecher wird. Denn meist haben sie Ängste um einen Konflikt<br />

zwischen Schülerrats-Engagement und schulischer Leistung ihres Kindes im<br />

Unterricht. Das führt dann zu Entschuldigungen wie: „Mein Kind kann nicht<br />

kommen, weil es sonst in den Leistungen absackt.“ Zwar sind Argumente in<br />

Blick auf Schulleistungen natürlich ernst zu nehmen, aber unsere Erfahrung zeigt,<br />

dass sich bis jetzt keiner verschlechtert hat. Im Gegenteil, intensive Arbeit in der<br />

Schülermitbestimmung kann den Leistungswillen und die Leistungsbereitschaft<br />

durchaus auch stärken, zumal sie auch zu einer erhöhten Akzeptanz der Kinder<br />

und Jugendlichen in der Schule führen kann. Schließlich informiert „demokra-<br />

Grundschulen“ über die Grundfertigkeiten und -kompetenzen, die für die Arbeit<br />

eines Klassensprechers hilfreich oder notwendig sind.<br />

Ziel des Projektes ist nicht nur die Förderung der Grundschulen mit einem<br />

aktiven Schülerrat, sondern auch die Erhöhung der Anzahl solcher Schulen.<br />

Letztlich soll auf der Ebene der Schülerratsarbeit auch ein Erfahrungsaustausch<br />

moderiert werden, denn bis jetzt arbeiten die Grundschulen in diesem Feld weitgehend<br />

allein. Dazu ist Öffentlichkeitsarbeit notwendig, für die im Rahmen des<br />

Projekts „demokraGrundschulen“ eine Homepage eingerichtet worden ist. Diese<br />

Angebote wurden bereits Mitte 2005 erweitert. Die Begleitung beschränkte sich<br />

nun nicht mehr nur auf den Schülerrat, sondern auch auf die Streitschlichtungsgruppen<br />

in den Schulen.<br />

Der Aufbau eines Schülerrats – Ein Phasenmodell<br />

Um zu einer aktiven und in der Schule sichtbaren Arbeit mit einem Schülerrat zu<br />

kommen, muss ein systematischer Aufbau angestrebt werden. Dieser Aufbau<br />

79


Markus Vogelsang<br />

lässt sich nach unserer Erfahrung in vier Phasen gliedern, wobei die Phasen keine<br />

fest abgrenzbaren Teilelemente sind, sondern fließend ineinander greifen.<br />

In der ersten Phase geht es darum, die Eltern und die Lehrerschaft mit der<br />

Institution „Schülerrat“ vertraut zu machen. In gemeinsamen Treffen sprechen<br />

wir über Anforderungen, Rechte und Pflichten des Schülerrats sowie die Themen<br />

und Aufgaben, derer er sich annehmen kann. Wichtig dabei ist auch, dass schon<br />

früh über den Aufgabenbereich der Klassensprecher nachgedacht wird. Dies ist<br />

sehr hilfreich, denn am Anfang kommen erfahrungsgemäß zunächst eher wenig<br />

Ideen von den Schülerinnen und Schülern. Dazu braucht es erst noch „Arbeitserfahrungen“<br />

der Schüler. Am Ende dieser Phase steht der Entschluss der<br />

Schulkonferenz zur Einrichtung eines Schülerrats, denn nur wenn alle damit einverstanden<br />

sind, kann ein Schülerrat optimal arbeiten. Die Entscheidung der<br />

Schulkonferenz macht dies bindend für alle Mitwirkenden (Eltern, Lehrer,<br />

Schüler).<br />

Wenn dies alles abgeschlossen ist, kann man zur zweiten Phase übergehen. In<br />

dieser wird allen Schülern der Schule das Konzept eines Schülerrates vorgestellt.<br />

Sie sollen Ziele und Besonderheiten der Schülerratsarbeit an der eigenen Schule<br />

kennenlernen und sich mit dem Wahlverfahren vertraut machen. Am Abschluss<br />

dieser Phase stehen die Wahlen der Klassensprecher von der zweiten bis zur vierten<br />

Klasse und die Wahl des Vertrauenslehrers.<br />

Ist die Wahl beendet, treffen sich alle Klassensprecher und die dritte Phase<br />

kann starten. Hier liegen nun entscheidende Punkte für die weitere Arbeit. Denn<br />

für eine gute Schülerratsarbeit scheint uns systematische Unterstützung und zielbezogener<br />

Kompetenzerwerb sehr wichtig. Uns geht es also um die Ausbildung<br />

der Klassensprecher und die Vermittlung von für die Tätigkeit notwendigen<br />

Grundkompetenzen. Gelernt werden soll, welche Aufgaben anliegen, es sollen<br />

jedoch vor allem auch kommunikative Kompetenzen erworben und gefestigt<br />

werden. So halten die Schülerrats-Mitglieder beispielsweise ihre erste Präsentation<br />

vor der Gruppe der Klassensprecher. Wichtiger Punkt der Ausbildung ist<br />

zudem der Prozess der Teambildung, d.h. Vertrauensbildung und Wege zur<br />

gemeinsamen Zielbestimmung in der Arbeit.<br />

Von der dritten zur vierten Phase besteht ein fließender Übergang. Optimal ist<br />

es, wenn die Klassensprecher sich selbst Ziele setzen, die sie erreichen wollen<br />

und an denen sie arbeiten. Dabei ist die Rolle des Vertrauenslehrers sehr wichtig.<br />

Er muss die Arbeit der Kinder mitverfolgen und ggf. moderativ eingreifen, damit<br />

die Arbeit auch zielorientiert bleibt. Zudem ist er das wichtigste Bindeglied zwischen<br />

Schülerrat, Eltern und Lehrerkollegium.<br />

Verlässt nun eine Schülerin oder ein Schüler eine Grundschule, in der sie oder<br />

er Klassensprecher war, liegen optimale Erfahrungen vor, um kompetent auch im<br />

Schülerrat der weiterführenden Schule tätig werden zu können.<br />

Ein erster Rückblick<br />

Seit der Gründung des Projekts „demokraGrundschulen“ im Jahr 2004 ist eine<br />

kontinuierliche Arbeit geleistet worden. Im Herbst 2005 werden zwei Grundschulen<br />

in den Bereichen Schülerratsarbeit und Streitschlichtung begleitet. Bis zu<br />

diesem Zeitpunkt wurden vier Seminare mit Grundschülern durchgeführt. Ende<br />

80


„Kleine“ ganz groß<br />

des Schuljahres 2004/2005 erfolgte mit einem Schülerrat erstmals eine systematische<br />

Auswertung, um die Arbeit mit dem Projekt besser einschätzen zu können.<br />

Die dabei hervortretenden Ergebnisse waren, sowohl aus der Perspektive der<br />

Schülerinnen und Schüler als auch von Seiten der Lehrerschaft, sehr positiv. Auf<br />

die Frage, was sich an ihrer Arbeit verändert hat, wurde oft der Rollenwechsel<br />

und der Aktivitätszuwachs bei den Schülern unterstrichen: „Es ist gut, dass mal<br />

ein Schüler uns etwas beibringt und nicht immer nur Lehrer.“<br />

Hier liegt eine der besonderen Stärken des Projektes, da es einer Form der Fortbildung<br />

durch die eigene Alters- und Erfahrungsgruppe gleichkommt, wenn<br />

Schülerinnen und Schüler in diesen Dingen selbst von einem Schüler „unterrichtet“<br />

werden. Ferner hat die Befragung auch gezeigt, dass die Grundschüler an<br />

ihren Aufgaben hängen. Auf die Frage „Würdest du dich nächstes Jahr wieder<br />

wählen lassen“, haben nahezu alle befragten Schülerrats-Mitglieder mit „ja“<br />

geantwortet.<br />

„demokraGrundschulen“ und das Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong><br />

Die Gründung des Projekts „demokraGrundschulen“ wurde bei einem Besuch<br />

unserer Schule durch den Regionalberater des Förderprogramms in Sachsen aufgegriffen.<br />

Er ermutigte dazu, die Projektidee zu dokumentieren und beim Wettbewerb<br />

als schülerselbstständigen Beitrag einzureichen. Mit großem Erstaunen<br />

habe ich die Nachricht aufgenommen, dass das Projekt bei der Ausschreibung<br />

2004 ausgezeichnet wird und ich die Möglichkeit bekomme, im Sommer 2005<br />

bei der „Lernstatt Demokratie” in Jena teilzunehmen, um dort die Sache und die<br />

bisherige Arbeit vorzustellen. Für mich war es einer der schönsten Briefe, die ich<br />

je erhalten habe. Ich konnte bei der „Lernstatt Demokratie” viele Leute kennenlernen,<br />

die auch Ideen und Ziele für die Verbesserung und Beteiligung an der<br />

Schule haben. Die „Lernstatt Demokratie” hat dem Projekt „demokraGrundschulen“<br />

einen neuen Impuls gegeben und dazu beigetragen, die Arbeit fortzuführen.<br />

„Eine Projektidee, die zum einen zukunftsorientiert ist und zum anderen eine<br />

Menge Möglichkeiten bietet. Mit ein wenig Glück kann aus diesem Projekt noch<br />

eine Menge werden“, so wurde das Projekt im Gespräch mit Experten und<br />

Juroren des Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> qualifiziert.<br />

Bleibt zu hoffen, dass auch in weiterführenden Schulen die Schulleitung so<br />

unterstützt, wie dies bei der Schülerratsarbeit in der Mittelschule Niederwiesa der<br />

Fall ist. Denn das Engagement in dieser Sache führt natürlich zu Konflikten mit<br />

dem regulären Unterricht. Um es in Zahlen auszudrücken: Pro Schuljahr sind es<br />

etwa 30 Doppelstunden Unterricht, die ausfallen, wenn ich für „demokra-<br />

Grundschulen“ unterwegs bin. Das kann nur mit Arbeitsdisziplin und der<br />

Bereitschaft, als Schüler selbstständig für die Nacharbeit des versäumten<br />

Unterrichtsinhaltes zu sorgen, ausgeglichen werden.<br />

Es ist angestrebt, eine weitere Grundschule in das Qualifikationsprogramm<br />

zur Schülerratsarbeit einzubeziehen. Unabhängig davon wird die Arbeit mit den<br />

derzeit zwei Grundschulen fortgeführt. Geplant sind Seminare, bei denen die<br />

Klassensprecher systematisch Methoden der Gesprächsführung kennenlernen.<br />

Zum anderen gibt es die Absicht, gemeinsam mit dem Regionalberater des<br />

81


Markus Vogelsang<br />

Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> in Sachsen Impulse zur Weiterbildung<br />

anzubieten – Infostunden, Veranstaltungen und Materialien. Diese sollen die<br />

Grundschulen zu verstärkter Arbeit mit der Institution „Schülerrat“ ermutigen.<br />

In der Zusammenschau kann jedenfalls festgehalten werden, dass das Projekt<br />

„demokraGrundschulen“ gerade für die beteiligten Schüler (und aus deren Sicht<br />

auch für die Mittelschule Niederwiesa, von der es ausgeht) eine kleine<br />

Erfolgsgeschichte geworden ist. Ein Impuls von Jugendlichen für Kinder, gewissermaßen<br />

eine Erfahrung darin, dass Schülerinnen und Schüler selbst etwas<br />

bewirken und gestalten sowie die zugrundeliegende Erfahrung auch weitergeben<br />

und übertragen können. Die Hilfe und Beratung von außen durch den<br />

Regionalberater von <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> und die öffentliche Anerkennung<br />

durch das Förderprogramm waren äußerst hilfreiche Impulse. Die Wertschätzung<br />

der Schülerratsarbeit an der eigenen Schule ist eine unabdingbare Grundlage. Die<br />

weitere Entwicklung bleibt abzuwarten – aber wir hoffen, dass es weitergeht.<br />

82


Wolfgang Wildfeuer: Von der Schülerstreitschlichtung zur<br />

Moderation – Ein Beitrag zur Kultur demokratischen<br />

<strong>Handeln</strong>s in der Schule<br />

Schülerstreitschlichtung (häufig auch verkürzt bezeichnet als Schülerschlichtung)<br />

ist ein gewaltfreies Modell der Konfliktlösung, bei der unter der Leitung<br />

eines neutralen Mitschülers (Mediators) Konflikte zwischen zwei Schülerinnen<br />

und Schülern so bearbeitet werden, dass dabei Lösungen erzielt werden, die von<br />

den Beteiligten anschließend auch getragen werden. Im Rahmen des<br />

Wettbewerbs „Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ habe ich viele<br />

Schülerschlichtergruppen beraten und einige von ihnen auch ausgebildet. Hier<br />

sind mir meine Qualifikationen als Kommunikationstrainer und Supervisor zugute<br />

gekommen, bei denen ich die Konfliktmoderation als gewaltfreie Möglichkeit<br />

zur Lösung von Konflikten kennen und anzuwenden gelernt habe. Vor diesem<br />

Erfahrungshintergrund möchte ich darstellen,<br />

• welche Herangehensweise an die Einführung und Begleitung eines solchen<br />

Schülerschlichtermodells durch die demokratisch motivierte „Einbeziehung<br />

des Anderen“ (Habermas 1997) sinnvoll ist,<br />

• welche Schwierigkeiten bei der Begleitung und Betreuung solcher Gruppen<br />

auftreten können und wie man ihnen begegnet sowie<br />

• welche weiteren Handlungsfelder ausgebildete Schülerschlichter wahrnehmen,<br />

um mit ihrer Arbeit und ihren Kompetenzen innerhalb der Peer-Gruppe<br />

und in der Schule ihre Akzeptanz zu steigern.<br />

Schon mit der ersten Ausbildungsgruppe im Jahr 2000 habe ich mich davon überzeugen<br />

können, dass Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, Konflikte zwischen<br />

ihren Mitschülern zu erkennen, systematisch zu bearbeiten und durch eine<br />

gut strukturierte Moderation eine einvernehmliche Lösung zu erreichen. Auch die<br />

Unterstützung durch das Lehrerkollegium sowie die Elternvertretung ist meist<br />

gegeben. Indes erweisen sich die „Mühen der Ebene“ bei der Implementierung<br />

dieses Modells in den Schulalltag häufig als sehr strapaziös. Daher lohnt sich der<br />

Blick auf die Besonderheiten der „Organisationseinheit Schule“, um die<br />

Anerkennung und Wirksamkeit dieses Ansatzes zu erhöhen. Dabei kommen zwei<br />

grundlegende Perspektiven in den Blick: Zum einen die Schule als Institution und<br />

zum anderen die Gruppe der Schülerschlichter.<br />

Die erste Perspektive – Institution Schule<br />

Mit Hilfe der Schülerschlichtung wird eine neue und oftmals noch unbekannte<br />

Verfahrensweise der Konfliktbearbeitung in den Schulalltag integriert. Gerade<br />

deshalb ist es notwendig, alle Betroffenen von Anfang an in diesen Prozess mit<br />

83


Wolfgang Wildfeuer<br />

einzubeziehen. Als Betroffene gelten dabei nicht nur die Schülerinnen und<br />

Schüler, sondern in gleicher Weise die Lehrerschaft und in übertragenem Sinne<br />

auch die Eltern. Erst wenn diese schulischen Gruppen über das Modell und die<br />

damit zusammenhängenden Bedingungen bei der schulischen Umsetzung informiert<br />

sind, Nachfragen stellen und dabei ihre Hoffungen und Bedenken geltend<br />

machen, kann ein Beschluss über die Einführung der Schülerschlichtung gefasst<br />

werden. Dabei reicht ein einfacher Mehrheitsbeschluss in der Regel völlig aus.<br />

Ein wichtiger Ausgangspunkt in diesem Prozess ist die Analyse der jeweils<br />

aktuellen Konfliktlage und der ggf. daraus abzuleitenden Maßnahmen,<br />

Programme oder Projekte. Dies soll in der folgenden Übersicht veranschaulicht<br />

werden:<br />

Abb. 2: Ablaufschema zur Entscheidung für ein Konfliktbewältigungsprogramm<br />

Eine wichtige Bedingung für die Analyse und Beschreibung der Konfliktsituation<br />

ist es, bei der Bestimmung des Ist-Zustandes Lehrende sowie die Schülerinnen<br />

und Schüler der eigenen Schule zum Ausgangspunkt zu machen: Sie müssen das<br />

selbst leisten, und nicht etwa externe Experten. Dadurch werden sie sich leichter<br />

84


Von der Schülerstreitschlichtung zur Moderation<br />

und besser mit den erarbeiteten Ergebnissen auseinandersetzen, sie als die ihre<br />

verstehen und sie in ihrem Aussagewert auch inhaltlich umfassend absichern.<br />

Dabei sind beispielsweise überschaubare, problembezogene und damit einfache<br />

und handhabbare Fragebögen hilfreich, die im Idealfall unter Mitwirkung der<br />

Schülervertretung erstellt werden sollten. 1<br />

Die Auswertungsergebnisse können anschließend in den Klassen besprochen<br />

und beispielsweise mit Hilfe einer Infoecke für die gesamte Schule aufbereitet<br />

werden. Daraus resultiert im günstigen Fall eine Verständigung darüber, welche<br />

Maßnahmen aus diesen Ergebnissen ableitbar sind. Denn sollte dabei auch die<br />

Schülerschlichtung in Betracht gezogen werden, müssen sich alle mit dem vorgeschlagenen<br />

Instrument, aber auch mit der Analyse der Ausgangslage befassen.<br />

Eine zentrale Rolle bei der Durchführung dieses „Meinungsaustausches“<br />

spielt die gewählte Schülervertretung, also die jeweiligen Klassensprecher oder<br />

Klassensprecherinnen. Folgendes Vorgehen ist dabei zu empfehlen:<br />

1. Präsentation des Modells vor den Schülersprechern<br />

Alle Mitschüler sollen erfahren, wie eine Schülerschlichtung abläuft, wie man<br />

sich an die dann ausgebildeten Mediatorinnen und Mediatoren wenden kann und<br />

wann mit deren Einsatz zu rechnen ist. Es ist zudem sinnvoll, dass die jeweilige<br />

Schülervertretung einen Entschluss darüber fasst, ob sie das Modell unterstützen<br />

möchte und wenn ja, in welcher Form dies geschehen soll.<br />

2. Beratung in allen Klassen<br />

Alle Klassen müssen anschließend darüber sprechen, wie eine gewaltfreie<br />

Konfliktlösung erreichbar ist, wozu eine Klassenleiter- oder Fachunterrichtsstunde<br />

genutzt wird. Nach einer ausführlichen inhaltlichen Klärung äußern sich<br />

dann die Mitschülerinnen und Mitschüler zum möglichen Aufbau einer<br />

Mediatorengruppe an der Schule.<br />

3. Vorstellen der Ergebnisse der Befragung im Schulhaus<br />

Die Ergebnisse dieser Befragung werden in der Schule veröffentlicht, einige offene<br />

Fragen aufgegriffen und bei Zustimmung auch das weitere Vorgehen, wie die<br />

Ausbildung der Schülerinnen und Schüler, der Auswahlmodus der Interes-senten<br />

u.ä., dargestellt.<br />

Um die Eltern über die Einrichtung einer „Schülerschlichtung“ an der Schule zu<br />

informieren, ist ein Informationsbrief eine gute Möglichkeit. Ergänzende<br />

Informationen können dann bei Elternabenden gegeben werden, wobei auch dort<br />

die Schülermediatoren selbst mitwirken.<br />

Anschließend sollte ein Beschluss in der Schulkonferenz über die Einführung<br />

dieses Konfliktlösemodells getroffen und die damit verbundenen Rahmenbedingungen<br />

geklärt werden. Die nachfolgende Übersicht stellt dieses gestufte<br />

Implementationsmodell dar.<br />

1 Ein pragmatisches und bereits durch positive Erfahrungswerte bewährtes Instrument zum<br />

Konfliktthema „Gewalt an unserer Schule“ gibt Wildfeuer (2006, S. 349-351). Es ist im Anhang zu<br />

diesem Text abgedruckt.<br />

85


Wolfgang Wildfeuer<br />

Abb. 3: Idealtypischer Ablauf zur Implementierung des Mediatorenmodells<br />

Die zweite Perspektive – das Schülerschlichtermodell<br />

Im Verlauf der bisherigen etwa 15 Jahre, in denen das Mediationsmodell der<br />

Schülerschlichtung in Deutschland sich mit zunehmender Resonanz etabliert hat,<br />

haben sich vielfältige positive Effekte vor allem bei den aktiven Schülerschlichtern<br />

herausgestellt: Schüler, die in diesen Modellen intensiv mitarbeiten, sind in der<br />

Lage, angemessener und variantenreicher mit Konflikten umzugehen sowie das<br />

86


Von der Schülerstreitschlichtung zur Moderation<br />

Gelernte im alltäglichen Leben anzuwenden. Sie erscheinen insgesamt reifer in<br />

ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Allerdings haben sich zu hohe Erwartungen, die<br />

damit häufig verbunden werden, nicht erfüllt: Insbesondere die Erwartung, ein aktives<br />

Mediationsmodell könnte in einer kurzen Zeitspanne eine für alle an der Schule<br />

Beteiligten wahrnehmbare andere Konfliktkultur an der Schule etablieren (Schubarth<br />

et al. 2003), lässt sich nicht ohne Weiteres einlösen. Zudem fällt im Zusammenhang<br />

mit der Evaluation bestehender Modelle auf, dass die Schülerschlichter<br />

selten von ihren Mitschülern zur Konfliktlösung angefragt werden.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Einsicht sollen die folgenden Hinweise vor allem ein<br />

breiteres Einsatzfeld und ein umfassenderes Selbstverständnis umreißen, das über<br />

die Konfliktmoderation hinausgeht und die Belange des Schulalltags insgesamt<br />

im Auge hat. Wenn sich die ohnehin auf systematisierte Kommunikation geschulten<br />

Schülerschlichter in Richtung auf ein solches Selbstverständnis weiterentwickeln,<br />

kann dann auch mit dem Begriff des „Schülermoderators“ dieser weitergehende<br />

Kommunikations- und Gestaltungsanspruch umrissen werden. Die folgende<br />

Übersicht soll das Gesamtkonzept verdeutlichen:<br />

Abb. 4: Kommunikationsmodell für Schülermoderatoren in vier Modulen<br />

87


Wolfgang Wildfeuer<br />

Der Grundgedanke dieses Modells 2 besteht darin, dass die Schülermoderatoren<br />

mehrere inhaltliche Angebote an ihre Mitschüler unterbreiten, die Beratung,<br />

Moderation und Konfliktbearbeitung einschließen. Bevor diese angeboten werden,<br />

trainieren die Moderatoren die hierfür notwendigen kommunikativen Kompetenzen,<br />

wie etwa das aktive Zuhören, das Vertreten des eigenen Standpunktes,<br />

die freie Rede oder eine kurze Ansprache an ihre Mitschüler. Dieses erste<br />

Trainingsmodul dient ausschließlich der Erweiterung ihrer eigenen Kommunikationskompetenzen.<br />

Im zweiten Trainingsmodul öffnen sie ihr Angebot für ihre<br />

Mitschüler und bieten ihnen strukturierte Beratung zur Klärung von Anliegen<br />

oder der Vorbereitung auf bevorstehende Gesprächsanlässe (z.B. Vorstellungsgespräch).<br />

Im dritten Trainingsmodul übernehmen die Schüler die Moderation<br />

von Veranstaltungen oder Versammlungen (z.B. bei der Vorbereitung einer<br />

Klassenfahrt, der Lernkonferenz, beim Schülerrat u.ä.). Erst im vierten<br />

Trainingsmodul soll – bei Bedarf – die „Schülerschlichtung“ angeboten werden.<br />

Die inhaltliche und fachliche Vorbereitung der Schülermoderatoren für ein<br />

solches erweitertes Schülerschlichter- oder Schülermoderatorenmodell erfolgt in<br />

den ersten drei Stufen vor allem durch den Erwerb folgender Kommunikationskompetenzen:<br />

1. Trainingsmodul: Grundkompetenzen in der Kommunikation<br />

• aktives Zuhören<br />

• Feedback geben und empfangen<br />

• Selbsteinschätzung des eigenen Gesprächsverhaltens<br />

• umfassendes Wahrnehmen von Botschaften<br />

• angemessenes Reagieren auf wahrgenommene Botschaften<br />

• Beachtung rhetorischer Ausdrucks- und Wirkungsmittel<br />

• Sicherheit im Treffen von Entscheidungen<br />

2. Trainingsmodul „Schüler coachen Schüler“<br />

• Selbsteinschätzung von beratenden Grundhaltungen<br />

• Anwendung von strukturierten Beratungsmethoden<br />

• Vorbereitung auf schwierige Gesprächssituationen<br />

• Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche<br />

3. Trainingsmodul: Schüler moderieren Veranstaltungen und Workshops<br />

• Vor- und Nachbereitung einer Moderation<br />

• Nutzung von Kreativitätsmethoden<br />

• Moderationsmethode für die Arbeit mit Gruppen<br />

• Vorbereitung und Durchführung einer Podiumsdiskussion<br />

Gegenüber dem „klassischen“, nur auf die Schülerschlichtung eingegrenzten<br />

Bereich eröffnet ein solch erweitertes Kompetenz- und Handlungsspektrum der<br />

Moderatorengruppe vor allem folgende Vorteile:<br />

2 Das Trainingsmodell ist mit anwendungsnahen Materialien umfassend ausgearbeitet bei Wildfeuer<br />

(2006).<br />

88


Von der Schülerstreitschlichtung zur Moderation<br />

Erstens: Die dargestellten Anwendungsfelder entsprechen den Bedürfnissen<br />

der Mitschülerinnen und Mitschüler, da sie sich nicht nur auf die Schlichtung von<br />

Konflikten begrenzen, sondern auch andere typische Gesprächssituationen des<br />

Schüleralltags umfassen. Sie sind ein Beitrag zur kommunikativen Vielfalt des<br />

Schulalltags.<br />

Zweitens: Die Schülermoderatoren wirken gewaltpräventiv, weil sie ihre<br />

Mitschüler auf mögliche Konfliktsituationen vorbereiten und bereits bevor irgendwelche<br />

Konflikte aktuell auftreten, deeskalierende Gesprächstechniken mit ihnen<br />

trainieren. Damit werden vor allem auch die Schülerinnen und Schüler angesprochen,<br />

die sich in der Schule mit ihren möglicherweise nur teilbewussten und ungeklärten<br />

Problemlagen nicht einfügen können oder nicht verstanden fühlen. Unter<br />

diesem Aspekt hat das Modell auch eine integrierende Wirkung für die Betroffenen.<br />

Drittens: Das erweiterte „Moderatorenmodell“ orientiert sich an den subjektiven<br />

Bedingungen und individuellen Voraussetzungen der Schülermoderatoren<br />

(Engagement, Motivation, kommunikative Kompetenz, Ausstrahlungsvermögen)<br />

und den entsprechenden schulspezifischen Gewohnheiten und Traditionen<br />

(Partizipation der Schüler, pädagogische Innovationsfreudigkeit, Konfliktkultur<br />

an der Schule) und kann sich darauf sowohl einstellen als auch einwirken. Reine<br />

Schlichtermodelle haben es erfahrungsgemäß vor allem dann schwer, wenn in der<br />

Schule eine dem Schülerschlichtungs- und Ausgleichsgedanken widersprechende<br />

Konfliktkultur vorherrscht. Wenn also Konflikte vorrangig per Dekret und weniger<br />

im Diskurs gelöst werden.<br />

Viertens: Bei diesem Modell bestimmen die Moderatoren selbst vor dem<br />

Hintergrund ihrer eigenen Kompetenzen, welche neuen Aufgabenfelder sie verantwortungsvoll<br />

wahrnehmen möchten. Dabei reflektieren sie auch, in welchem<br />

Umfang ihre Angebote von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern wahrgenommen<br />

und genutzt werden. Insofern werden sie auch befähigt, sich selbst in ihrer<br />

kommunikativen Ausstrahlung auf das Schulleben zu reflektieren und daraus entsprechende<br />

Schlussfolgerungen zu ziehen.<br />

Fünftens: Durch ihre Tätigkeit stärken die Schülermoderatoren ihr<br />

Selbstvertrauen und erleben die Wirksamkeit ihrer Tätigkeit in den angebotenen<br />

Anwendungsbereichen. Schülermoderation bietet also eine herausragende<br />

Grundlage effektiver Selbstwirksamkeitserfahrung (Edelstein 1998; Jerusalem/<br />

Hopf 2002) und zielt insofern auf ein Grundelement von Demokratie lernen<br />

(Edelstein/Fauser 2001) und demokratischem <strong>Handeln</strong> (Beutel/Fauser 2001). Auf<br />

der anderen Seite wird aber gerade diese positive Erfahrung der eigenen<br />

Wirksamkeit stark beeinträchtigt, wenn die Gruppe ausschließlich in der Schülerschlichtung<br />

arbeitet und nicht durch die Mitschüler angefragt wird.<br />

Sechstens: Das hier dargestellte Modell ist in der Schule schneller umsetzbar,<br />

weil sich die Moderatorengruppe an den tatsächlichen Bedürfnissen orientiert<br />

und sich daraus neue Anwendungsbereiche in kleinen Schritten erschließt. Dabei<br />

haben die Schülermoderatoren die Kommunikationskultur der Schule im Auge<br />

und erwirken sich ihre Legitimation vor allem durch selbst geschaffene<br />

Akzeptanz<br />

Insgesamt gesehen scheint eine strukturelle Erweiterung des an sich bewährten<br />

Ansatzes der Mediation oder Schülerstreitschlichtung hin auf die grundlegen-<br />

89


Wolfgang Wildfeuer<br />

de Kommunikations- und Gestaltungsebene im Sinne der „Schülermoderation“<br />

naheliegend und funktional zugleich: Sie schließt den Anspruch und die Praxis<br />

alternativer, personengebundener und effektiver Konfliktlösungspraxis vor Ort<br />

nicht aus. Sie untermauert ihn zudem durch eine Praxis der Mitgestaltung und<br />

Mitbestimmung im Kontext der schulischen Kommunikationskultur. Gerade dieser<br />

Aspekt lässt sich als Lernelement einer demokratischen und alltagstauglichen<br />

Schulkultur verstehen.<br />

Ausblick: Entwicklungstendenzen der Schülerschlichtung<br />

Abschließend sollen unter Einbeziehung aktueller Evaluationsstudien einige<br />

empfehlenswerte und erfolgversprechende Entwicklungsrichtungen der Schülerschlichtung<br />

in knapper, thesenhafter Form aufgezeigt werden:<br />

• Schülerschlichter müssen als vertrauenswürdig und kompetent akzeptiert<br />

werden. Dies geschieht nicht von heute auf morgen, sondern ist Ergebnis<br />

systematischen Kompetenzerwerbs und mittelfristig sichtbarer Präsenz der<br />

entsprechenden Schülerinnen und Schüler in diesem Feld. Diese substantielle<br />

Akzeptanz muss erarbeitet werden, was wiederum einen längeren Zeitraum in<br />

Anspruch nehmen wird. Vorliegende empirische Untersuchungen verdeutlichen,<br />

dass von der Idee bis zum wirkungsvollen Tätigwerden der<br />

Mediatoren durchaus ein bis zwei Jahre vergehen können (Simsa 2001).<br />

Daher sollten sich die Initiatoren bei der Entscheidung und der<br />

Implementation eines neuen Schülerschlichtermodells kleine Schritte vornehmen<br />

und diese solide gestalten, denn Vertrauen muss erst aufgebaut werden.<br />

• Vertrauen kann auch dadurch geschaffen werden, dass sich die<br />

Schülermediatoren für ihre jüngeren Mitschüler verantwortlich fühlen und sie<br />

in verschiedenen Zusammenhängen mit betreuen. Sie können als Begleiter an<br />

wichtigen Veranstaltungen und Ereignissen der jeweiligen Klasse, wie bspw.<br />

Wandertage, Sportfeste oder Klassenfahrten, teilnehmen und an deren<br />

Vorbereitung mitwirken. In einem so gestalteten Patensystem wird der<br />

Mediator als Freund und Vertrauter wahrgenommen, der sich für die Belange<br />

seiner Patenklasse einsetzt. Zudem dürften die Paten auch präventiv wirken,<br />

indem sie schon im Vorfeld von sich anbahnenden Konflikten beratend tätig<br />

werden.<br />

• Es hat sich bewährt, wenn im Schlichtungsfall die Schülermediatoren älter<br />

sind als die Schülerinnen und Schüler, die einen Konflikt haben. So sollten<br />

etwa zwei Jahre Altersdifferenz gewährleistet werden, sodass ein Mediator<br />

aus einer zehnten Klasse beispielsweise vorrangig für die Klasse acht arbeitet,<br />

einer aus der neunten Klasse für die siebente usw. Damit ist der<br />

Altersunterschied noch nicht zu groß, um auf Verständnis zu stoßen, aber ausreichend,<br />

um ihn als „Respektbonus“ zu nutzen. Neuere Evaluationsstudien<br />

bestätigen zudem, dass die Bereitschaft der Schüler, Schülerschlichtung<br />

wahrzunehmen, mit zunehmendem Schulalter signifikant abnimmt<br />

(Schubarth et al. 2003).<br />

• Schülerschlichtungsgespräche erfolgreich zu gestalten, erfordert vom<br />

Schülerschlichter ein hohes Maß an Sicherheit bei der Begleitung des<br />

90


Von der Schülerstreitschlichtung zur Moderation<br />

Mediationsprozesses, beim Intervenieren und Reagieren auf Störungen oder<br />

Widerstände, bei der genauen Wahrnehmung der Interessens- und<br />

Bedürfnislagen beider Beteiligten. Dazu ist es sinnvoll, dass das<br />

Schülerschlichtungsgespräch von zwei Mediatoren geführt wird. Vor allem<br />

am Anfang ist es hilfreich, wenn ein weiterer Schülermediator als „stummer<br />

Begleiter“ dem Gespräch beiwohnen kann, um seinen Mitstreitern eine konstruktive<br />

Rückmeldung über deren Schülerschlichtungsverhalten zu geben.<br />

• Schülerschlichtung sollte als eine, aber nicht als alleinige Maßnahme der<br />

Schulentwicklung zu einer konfliktfreieren, kommunikationsfreundlicheren<br />

und damit demokratischeren Schule gestaltet werden. Für einen solchen auf<br />

die Schule als Lebenswelt und Alltagskultur gerichteten Entwicklungsprozess<br />

können mehrere inhaltlich ähnliche Projekte und Initiativen in Angriff<br />

genommen und weitere Beispiele erschlossen werden, in denen Schüler<br />

zunehmend mehr in die Gestaltung des Schullebens einbezogen werden.<br />

• Sich der Potenzen der Schülerschlichtung bewusst zu sein, heißt auch, deren<br />

Grenzen zu sehen. Wo die Freiwilligkeit zur Wahrnehmung der Schüler-schlichtung<br />

oder zur Einhaltung der vereinbarten Lösungen begrenzt ist, sollten weitere<br />

Interventionsmaßnahmen in Betracht gezogen werden, wie beispielsweise<br />

der bindende Schlichterspruch durch Lehrer oder das Weiterverweisen an ein<br />

mit Befugnissen ausgestattetes innerschulisches Beratergremium.<br />

• Den größten Teil der Schulzeit verbringen die Schüler in Klassenverbänden,<br />

hier entstehen auch die meisten Konflikte, die in diesem Rahmen durch<br />

Schülerschlichtung gelöst werden können. Der Weg zum Schülerschlichter<br />

würde sich verkürzen und die Hemmschwelle zur Wahrnehmung von<br />

Schülerschlichtung wäre wesentlich kleiner. Zudem kennen sich die Schüler<br />

in ihren Klassen untereinander wesentlich besser als in einer vergleichsweise<br />

anonymen Schule. Wenn sich Klassen intern darüber verständigen, wie sie<br />

miteinander umgehen wollen, welche Verhaltensweisen sie ablehnen und welche<br />

Regeln sie einhalten wollen, können sie ähnlich dem nebenstehenden<br />

Beispiel auch ein Beratergremium mit dem oder den Mediatoren gestalten,<br />

das bei Nichteinhaltung der Regeln angerufen werden und das dann auch verbindliche<br />

Beschlüsse fassen kann.<br />

Ein Beispiel aus dem Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>:<br />

Es ist ein auf der jeweiligen Klassenebene arbeitender Schülerkonvent in<br />

einer Schule gebildet worden, der grundsätzlich zwar beratenden Charakter<br />

hat, aber in bestimmten Fällen auch Sanktionen verhängen kann. Dem<br />

Konvent gehören neben dem Klassensprecher und seinem Stellvertreter,<br />

geschlechtsspezifische Vertreter der Mädchen und Jungen und weitere interessierte<br />

Mitarbeiter an. Der Konvent versteht sich also als demokratisches<br />

Mitwirkungsgremium, dessen Beschlüsse von den Mitschülern akzeptiert werden<br />

und der sich auch mit disziplinarischen Problemen auseinandersetzt.<br />

• Schülerschlichtung kann auch als wertschätzendes Prinzip des respektvollen<br />

gegenseitigen Umgangs aufgefasst werden. Je mehr dieses Verhaltensprinzip<br />

in der Alltagswelt der Schüler zur Gewohnheit wird, desto mehr werden sol-<br />

91


Wolfgang Wildfeuer<br />

che Verhaltensweisen zum normalen Handlungsrepertoire und desto häufiger<br />

werden auch die Schülerschlichter als Berater in Konfliktsituationen aufgesucht.<br />

Dafür bietet gerade die Grundschule gute Voraussetzungen, weil<br />

• bei den Kindern viele Formen sozialen Lernens ritualisiert und sie daran<br />

gewöhnt sind (Morgenkreis);<br />

• dem affektiven Lernen in der Grundschule ein hoher Stellenwert beigemessen<br />

wird;<br />

• die Klassenlehrerin durch die hohe Kontaktstundenzahl mehr Möglichkeiten<br />

hat, auf allgemeine Normen und Regeln Einfluss zu nehmen;<br />

• die Kinder aus entwicklungspsychologischer Sicht noch offener für prägende<br />

Veränderungen sind;<br />

• diese Veränderungen durch ihren spielerischen Charakter von den Kindern<br />

auch aufgeschlossener aufgenommen werden.<br />

Unter dem Gesichtspunkt der weiteren Vertiefung und Anwendung der in der<br />

Grundschule erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen können<br />

nachfolgende Schulformen wie Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien darauf<br />

systematisch aufbauen und diesen Kompetenzerwerb bei den Schülerinnen und<br />

Schülern sinnvoll weiterführen. So ist die Implementierung dieses Modells in der<br />

Grundschule eine Maßnahme, die in der weiterführenden Schule eine logische<br />

Fortsetzung findet.<br />

• Schülerschlichtung sollte ein allgemein bekanntes und in vielfältigen<br />

Anwendungsfeldern der Schule genutztes Mittel zur Konfliktlösung zwischen<br />

einzelnen Schülern, Schülergruppen oder auch Klassen und einzelnen Lehrern<br />

sein. So kann der dargestellte Ablauf der Schülerschlichtung auch als strukturierte<br />

Handlungsanleitung genutzt werden, um einen Konflikt zwischen einer<br />

Klasse und einem Lehrer zu lösen.<br />

92<br />

Ein Beispiel aus dem Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>:<br />

So wird die Geburtsstunde der Schülerschlichtung in einer Grundschule<br />

dadurch eingeleitet, dass Schüler die regelmäßige Freitagsrunde (die letzte<br />

Unterrichtsstunde der Woche) zum Anlass nehmen, um sich über die<br />

Geschehnisse der vergangenen Woche auszutauschen. Dabei kommen sie<br />

schnell auf Dinge zu sprechen, die ihnen gefielen und Freude bereitet<br />

haben, aber auch auf Konflikte, die einzelne Mitschüler untereinander oder<br />

mit einem großen Teil der Klasse hatten. Es wird vereinbart, dass diese<br />

Konflikte in der Freitagsrunde angesprochen und gelöst werden sollen. Dazu<br />

werden vor allem zwei Regeln aufgestellt:<br />

1. Alle Schüler sollen die Möglichkeit haben, ihre Meinung sagen zu können,<br />

ohne unterbrochen zu werden;<br />

2. Es werden keine Beleidigungen oder Beschimpfungen geduldet.<br />

Die Schüler merken, dass es möglich ist, die Konflikte dann zu lösen, wenn<br />

bestimmte Verhaltensregeln dazu vereinbart werden. Die Einhaltung der<br />

Regeln wird durch die moderierende Lehrerin gewährleistet. So entsteht die<br />

Idee, allen Schülern der Schule diese Form der Konfliktbewältigung anzubieten.<br />

Mediatoren werden ausgebildet und nach kurzer Zeit schon rege angefragt,<br />

weil die Mediatorengruppe aus dem direkten Bedürfnis der Schüler<br />

entwickelt wurde.


Von der Schülerstreitschlichtung zur Moderation<br />

• Lehrplanbezüge zur Schülerschlichtung ergeben sich vor allem in den<br />

Fächern Deutsch und Gemeinschaftskunde. Darüber hinaus können ebenfalls<br />

Grundlagen der gewaltfreien Konfliktregulierung in den Fächern Ethik und<br />

Religion vermittelt und in Rollenspielen erlebnisnah gestaltet werden. So<br />

kann auch mit Unterstützung der jeweiligen Fachdidaktik das eigene<br />

Konflikterleben thematisiert und die Schülerschlichtungsmethode damit<br />

zunehmend ritualisiert werden.<br />

Ein Beispiel aus dem Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> :<br />

Als die Schüler im Rahmen ihres Ethikunterrichts ihre erlebten Konflikte darstellen<br />

sollten, berichteten sie unter anderem auch davon, dass sie seit geraumer<br />

Zeit Probleme mit ihrer Klassenlehrerin hätten, da sie ihrer Meinung<br />

nach zu hohe Anforderungen an sie stelle. Die Ethiklehrerin solle doch einmal<br />

mit ihr darüber sprechen, einzelne Schüler hätten dies schon mehrfach<br />

ohne Erfolg versucht. Diese bot der Klasse an, das vermittelnde Gespräch<br />

offen mit der befreundeten Kollegin und der Klasse nach den Regeln und den<br />

einzelnen Bearbeitungsschritten der Schülerschlichtung zu führen, falls alle<br />

einverstanden seien. Die Klasse stimmte dem spontan zu, die Lehrerin nach<br />

einem vertraulichem Gespräch ebenfalls. Daraufhin wurde der Ablauf<br />

besprochen und die Gesprächsregeln, an die sich alle halten sollten. Das<br />

Vermittlungsgespräch fand in einer Doppelstunde statt, das zu konkreten<br />

Vereinbarungen zwischen der Klasse und ihrer Klassenlehrerin und zu einer<br />

nachhaltigen Verbesserung der Beziehungen führte. Rückblickend musste die<br />

vermittelnde Ethiklehrerin vor allem beim Einhalten der Gesprächsregeln und<br />

dem Konkretisieren der gemeinsamen Ergebnisse regulierend eingreifen.<br />

Die Beispiele zeigen auf anschauliche Weise den engen Zusammenhang der<br />

Verbesserung der Kommunikationskompetenz bei den Schülerinnen und<br />

Schülern und in der Schule mit den Möglichkeiten zur Schulentwicklung durch<br />

demokratisches <strong>Handeln</strong>. Was folgt aus diesem Zusammenhang für den<br />

Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ insgesamt<br />

<strong>Demokratisch</strong> handelnd sind die Schüler, weil sie Verantwortung für ein besseres<br />

und angenehmeres Schulklima übernehmen und sich auf diesem Wege für<br />

das „Allgemeinwohl der Schule“ engagieren. Sie machen ihre Ziele und<br />

Methoden transparent, beraten vor der Etablierung von Verfahrensmodellen,<br />

inwieweit ihr Vorhaben auch den Interessen und Anliegen ihrer Mitschüler, der<br />

Lehrer und der Eltern entgegenkommt. Sie machen die Sache – verkürzt gesagt –<br />

nicht zum Selbstzweck. Die Unterstützung durch das Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> insbesondere durch die Person des Regionalberaters<br />

besteht dabei vor allem in folgenden Aspekten:<br />

• die laufende Prozessberatung von der Entwicklung der Idee bis zur Implementierung<br />

des Modells und der Betreuung (bei Bedarf auch an der Schule);<br />

• das regelmäßige zweitägige Kommunikationstraining zur Erweiterung der<br />

eigenen Kompetenzen und zum Umgang mit Mobbing, das in den letzten<br />

Jahren in der Regel in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

erfolgte;<br />

• die Präsentation der dokumentierten Erfahrungen und des sachsenweiten<br />

Erfahrungsaustausches, die ab 2007 voraussichtlich in Kooperation mit<br />

der Konrad-Adenauer-Stiftung erfolgen wird;<br />

93


Wolfgang Wildfeuer<br />

• die bundesweite Wahrnehmung und Anerkennung durch die Veröffentlichung<br />

der Kurzbeschreibungen der Projekte;<br />

• die Möglichkeit der Einladung zur viertägigen „Lernstatt Demokratie”,<br />

bei der nach positivem Juryentscheid ca. 60 Projekte aus der gesamten<br />

Bundesrepublik ihre Projekte präsentieren und neue Anregungen für die<br />

Gestaltung eines demokratischen Schullebens erhalten.<br />

Literatur<br />

Beutel,W./ Fauser, P. (Hrsg.) (2001): Erfahrene Demokratie. Wie Politik<br />

praktisch gelernt werden kann. Opladen: Leske + Budrich.<br />

Edelstein, W. (1998): Selbstwirksamkeit im Kontext der Schulreform. In:<br />

Pädagogische Führung 9, H. 2, S. 56-59.<br />

Edelstein,W./ Fauser,P. (2001): Demokratie lernen und leben. Gutachten für ein<br />

Modellversuchsprogramm der Bund-Länder-Kommission. Materialien zur<br />

Bildungsplanung und Forschungsförderung, Heft 96. Bonn: BLK.<br />

Dutschmann, A. (1999): Das Aggressions-Bewältigung-Programm. Teil C:<br />

Aggressivität und Gewalt bei Kindern und Jugendlichen. Materialien /<br />

Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e.V., Nr. 46. Tübingen:<br />

dgvt-Verlag, Dt. Ges. für Verhaltenstherapie.<br />

Habermas, J. (1997): Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen<br />

Theorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.<br />

Jerusalem, M./ Hopf, D. (Hrsg.) (2002): Selbstwirksamkeit und<br />

Motivationsprozesse in <strong>Bildungsinstitut</strong>ionen. In: Zeitschrift für Pädagogik<br />

48, 44. Beiheft. Weinheim: Beltz.<br />

Olweus, D. (²1996): Gewalt in der Schule. Was Kinder und Lehrer wissen<br />

sollten – und tun können. Bern: Huber.<br />

Schubarth, W. et al. (2003): Konflikte gewaltfrei lösen. Mediation an Schulen in<br />

Mecklenburg-Vorpommern. Anregungen – Analysen – Empfehlungen.<br />

Hrsgg. vom Landesrat für Kriminalitätsvorbeugung Mecklenburg-<br />

Vorpommern. Schriftenreihe „impulse“, Sonderausgabe Februar 2003.<br />

Schwerin: Eigendruck. Internet: www.kriminalpraevention-mv.de, Zugriff<br />

vom: 03.11.2006.<br />

Simsa, Ch. (2001): Mediation in der Schule. Schulrechtliche und pädagogische<br />

Aspekte. Neuwied: Luchterhand.<br />

Wildfeuer, W. (2005): Mediation in der Schule. In: Hinter den Kulissen der<br />

Mediation. Bern: Haupt Verlag.<br />

Wildfeuer, W. (2006): Kommunikation – Moderation – Mediation. Ein<br />

Trainingsprogramm für Schüler und Lehrer. Weinheim: Juventa.<br />

94


Von der Schülerstreitschlichtung zur Moderation<br />

Anhang<br />

Fragebogen Teil I zur „Gewalt an der Schule“. Quelle: Wildfeuer 2006, S. 349.<br />

95


Wolfgang Wildfeuer<br />

Fragebogen Teil II zur „Gewalt an der Schule“. Quelle: Wildfeuer 2006, S. 350.<br />

96


Florian F. Woitek: Jugendliche übernehmen selbst<br />

Verantwortung – Peer-Training in Sachsen<br />

„Was machst du: Pier-Training...“ Nicht selten beginnt der erste Dialog so.<br />

Kaum ein anderes Jugendprojekt in Sachsen ist so erfolgreich und präsent und<br />

scheint gleichzeitig so schwer öffentlich zu vermitteln zu sein. Dies mag nicht<br />

zuletzt auch am sperrigen Begriff „Peer-Training“ liegen. Sind die ersten Berührungsängste<br />

und Missverständnisse aber ausgeräumt, wird der Blick frei für eine<br />

erste Bestandsaufnahme: etwa 30 aktive Jugendliche als Trainer sachsenweit, vier<br />

Regionalteams, über fünf Jahre Erfahrung in der Arbeit mit Jugendgruppen und<br />

nicht zuletzt ein breites Umfeld von Kooperationspartnern und Unterstützern.<br />

Was 2001 mit dem ersten Ausbildungsworkshop begann, hat vor allem durch<br />

viel ehrenamtliches Engagement, aber auch durch eine kontinuierliche inhaltliche<br />

Arbeit beeindruckende Früchte getragen. Vor diesem Hintergrund sollen in diesem<br />

Beitrag einige Erfahrungen aus fünf Jahren Peer-Training in Sachsen<br />

beschrieben und wichtige Entwicklungen dargestellt werden. Von besonderer<br />

Bedeutung sind dabei sowohl der Peer-Training-Ansatz, als auch die Bedeutung<br />

und Wirkung der beim Peer-Training vermittelten Inhalte. Interkulturelle<br />

Kommunikation, Toleranz, Gewalt- und Rechtsextremismusprävention sind<br />

dabei die Bereiche, auf die im Folgenden eingegangen werden soll.<br />

Bemerkenswert ist, dass es in Sachsen – trotz ähnlicher Voraussetzungen in<br />

anderen Bundesländern – erstmals gelungen ist, ein breites Netzwerk von Trainern<br />

und Unterstützern für diesen Ansatz aufzubauen. Dies ermöglicht die landesweite<br />

Arbeit von Jugendlichen und Erwachsenen im Feld von Bildungsarbeit und<br />

Gewaltprävention sowie die stetige Sicherung von Qualität und Nachhaltigkeit der<br />

durchgeführten Trainings. Insgesamt gesehen zeigt sich darin ein besonderer<br />

Beitrag zum demokratischen <strong>Handeln</strong> und zur Demokratiepädagogik in Sachsen,<br />

der einen wesentlichen Akzent durch die Tatsache erhält, dass hier Jugendliche die<br />

pädagogische Arbeit selbst tragen, zur Wirkung bringen und weiter entfalten.<br />

Die Idee<br />

Jener, der den Begriff „Peer-Training“ auf den anglo-amerikanischen Sprachraum<br />

zurückführt, ist auf der richtigen Fährte. Ursprünglich von der Anti-Defamation<br />

League (ADL) in den USA entwickelt, gelangte das Grundprogramm des Peer-<br />

Trainings 1996 nach Europa. In London wurden damals die ersten Jugendlichen als<br />

Trainer ausgebildet. Seither bildet die European Peer Training Organisation (EPTO)<br />

das „europäische Dach“ für Peer-Training-Aktivitäten in derzeit mehr als 15<br />

Europäischen Staaten. Die inhaltlichen Schwerpunkte des ursprünglichen<br />

Programms lassen sich mit dem Begriff der „Vielfalt“ umschreiben. Mit Hilfe von<br />

97


Florian F. Woitek<br />

verschiedenen interaktiven Übungen und Methoden sollen sich Jugendliche Wissen<br />

und Erfahrungen aneignen. Dabei kann ein Bewusstsein für die eigene und für fremde<br />

Identitäten entwickelt und Toleranz gegenüber „dem Anderen“ erprobt werden.<br />

Speziellere Übungen richten sich dabei gezielt gegen bestimmte und bekannte<br />

Formen der Ausgrenzung, des Rassismus und der Diskriminierung wie bspw.<br />

Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie. Dabei ist entscheidend,<br />

dass weniger die Ablehnungshaltung, die durch „Anti“- oder „Gegen“-Attribute vermittelt<br />

wird, sondern vielmehr das Positive von „Vielfalt“ herausgehoben und erlebt<br />

wird. Der Ansatz ist so gesehen ein pragmatischer Beitrag zur Etablierung von<br />

Pluralismus in Kultur und Lebenswelt besonders von Jugendlichen.<br />

Dabei kommt dem Programm das Peer-to-Peer-Prinzip zu Gute. Es unterscheidet<br />

sich fundamental von herkömmlichen pädagogischen Vermittlungsmethoden<br />

in Schule und Sozialarbeit.<br />

„Peer“ lässt sich dabei als Gleichaltrige bzw. Gleichaltriger oder auch mit der<br />

Bedeutung von „gleichem Hintergrund“ umschreiben. Die Idee ist dabei, dass<br />

Jugendliche ihren Peers Inhalte besser und direkter vermitteln können, als dies in<br />

der Distanz zum Lehrer oder Sozialarbeiter möglich ist. Hauptargument hierbei<br />

ist die Identität von Grundstrukturen in der Erfahrungs- und Entwicklungslage<br />

von in diesem Falle Jugendlichen. Das Peer-Prinzip etabliert also systematische<br />

Bildung und Aufklärung „unter Gleichen“ anstelle von Belehrung bei Differenz<br />

in Lebens- und Erfahrungswelt, wie sie für klassische schul- und sozialpädagogische<br />

Verhältnisse kennzeichnend ist.<br />

Das Autoritätsgefälle, das in der Schule und ihrer Pädagogik zwangsläufig<br />

durch Strukturmerkmale von Notengebung bis Aufsichtspflicht sowie Lehrplanverantwortung<br />

entsteht, wird dabei bewusst außer Kraft gesetzt. Die Jugendlichen<br />

sollen aus dem Schulalltag mit seinen starren Pausen- und Verhaltensregeln<br />

herausgenommen werden und sich in interaktiver Gruppenarbeit, dem<br />

obligatorischen „Du“ und Trainern mit ähnlichem Hintergrund auf die jeweils<br />

anstehenden Themen einlassen können.<br />

Geht man davon aus, dass Jugendliche für die Gestaltung ihres eigenen<br />

Lebensumfelds die besten Experten sind, lassen sich dabei vor allem in gruppendynamischen<br />

Fragen große Erfolge erzielen. Fernab von Notendruck können<br />

zudem die Inhalte der Workshops intensiver und freier vermittelt werden, als dies<br />

in der Stundenstruktur von Schule möglich wäre.<br />

Die Grundlage für die einzelnen Übungen ist dabei die Schulung von Kommunikationskompetenz.<br />

Daher ist das Programm von seinem Ansatz her in vielen<br />

Bereichen einsetzbar. So sind die Trainer unseres Projektes, die vornehmlich<br />

selbst noch Schüler, Auszubildende oder Studenten sind, seither in jeder weiterführenden<br />

Schulform in Sachsen und darüber hinaus auch in verschiedenen anderen<br />

Jugend- und Bildungseinrichtungen tätig gewesen.<br />

Die bisherige Entwicklung in Sachsen<br />

Den Anfang für das Programm in Sachsen machte ein einwöchiges<br />

Ausbildungswochenende im Herbst 2001 im Rahmen des Modellprojektes<br />

„Sächsische Jugend für Demokratie“. Von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung<br />

(DKJS) gemeinsam mit dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales<br />

98


Jugendliche übernehmen selbst Verantwortung<br />

initiiert, sollte es Jugendliche mit verschiedenen Einzelprojekten ermuntern, sich<br />

für ihr Umfeld und ein demokratisches Miteinander zu engagieren. Die<br />

Ausbildung führte die European Peer Training Organisation gemeinsam mit dem<br />

Verein „Eine Welt der Vielfalt (Berlin)“ durch.<br />

Mit einer zweiten Ausbildungsrunde im Frühjahr 2002 standen so für die<br />

Belange der Schulen des Landes Sachsen etwa 20 Trainer für Workshops in<br />

Jugendeinrichtungen aller Art zur Verfügung. Inhaltlich orientierte sich die erste<br />

Ausbildungsreihe stark am ursprünglichen Programm der ADL/EPTO, d.h. neben<br />

Vielfalt, Toleranz und interkultureller Kommunikation waren Selbst- und<br />

Fremdwahrnehmung, die Untersuchung und bewusste Diskussion der Struktur<br />

von Vorurteilen sowie Begriff und Konzepte von „Identität“ inhaltliche<br />

Schwerpunkte.<br />

Obwohl die Teilnehmer dieser Ausbildungsrunde – in aller Regel<br />

Schülerinnen und Schüler – selbst bereits Erfahrungen aus ehrenamtlichem<br />

Engagement mitbrachten, stand auch eine umfangreiche Methodenausbildung auf<br />

dem Programm. Dabei wurde vor allem auf Moderation, Präsentation,<br />

Gruppenbildung und die strukturierte und ergebnisbezogene Planung und<br />

Durchführung von Workshops sehr viel Wert gelegt.<br />

Die ursprüngliche Idee war es nun, dass die frisch ausgebildeten Peer-Trainer in<br />

ihrem persönlichen Umfeld – Schule, Junge Gemeinde, Jugendclub, etc. – Peer-<br />

Training-Workshops durchführen sollten. Allerdings war dies nicht in allen Fällen<br />

erfolgreich. Dies lag zum einen an der breiten Streuung der Wohnorte unserer<br />

Trainer über ganz Sachsen, so dass der Grundsatz, pro Training mindestens zwei<br />

Trainer einsetzen zu können, nur schwer zu erfüllen war. Zum anderen gab es neben<br />

der organisatorischen Hilfe aus dem Modellprojekt keine inhaltliche Unterstützung<br />

für die jungen Trainer – Themen und Themenbestimmung wurden zum Problem.<br />

Dennoch gelang es, in Trainings in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Bremen<br />

erste Erfahrungen zu sammeln. Jedoch blieben grundsätzliche Fragen der<br />

Organisation, Weiterbildung und Struktur des Trainerteams offen. So war es nach<br />

den ersten erfolgreichen Trainings anfänglich schwierig, für Interessenten –<br />

Schülervertreter, Lehrer und Sozialarbeiter – kontinuierlich ansprechbar zu sein.<br />

Andererseits sind solche Strukturmängel oder auch Offenheiten für neu zu etablierende<br />

Handlungsformen und -felder natürlich nicht untypisch.<br />

Nachdem die ersten Schritte gemacht worden waren und die Nachfrage nach<br />

Trainings zusehends stieg, reifte der Gedanke einer stärkeren Strukturierung des<br />

Programms im Trainerteam. Ab Ende 2002 sollten sich die Trainer mindestens halbjährig<br />

zu Fort- und Weiterbildungsseminaren treffen. Einmal eingerichtet, waren<br />

diese Workshops für die Trainer insbesondere im Hinblick auf den gegenseitigen<br />

Erfahrungsaustausch und die Erweiterung des Wissens von besonderer Bedeutung.<br />

So wurden hier ebenfalls die methodischen Kenntnisse der Trainer erweitert sowie<br />

neue Übungen und Inhalte für das Programm entwickelt. Einen bedeutenden<br />

Qualitätssprung erreichte das Programm ein Jahr später. In der Kooperation mit den<br />

von der RAA Hoyerswerda ausgebildeten „Peer Leadern“ bestand nicht nur die<br />

Möglichkeit, gegenseitig von Erfahrungen zu profitieren, sondern auch die Option,<br />

mit Hilfe von deren hoher methodischer Kompetenz das klassische Peer-Training-<br />

Programm um neue Ansätze vor allem in der Rechtsextremismus- und<br />

Gewaltprävention sowie der Förderung von Toleranzbereitschaft zu bereichern.<br />

99


Florian F. Woitek<br />

Neben dem Sitz des Modellprojektes in Dresden und dem der RAA in<br />

Hoyerswerda sollte zum Ende desselben Jahres noch ein weiteres Standbein hinzukommen.<br />

Getragen durch die Eigeninitiative einiger Trainer der „ersten<br />

Stunde“ wurde der Verein Peer-Training Sachsen e.V. 1 gegründet, der Anfang<br />

2004 am Amtsgericht Leipzig eingetragen wurde. Mit Unterstützung der<br />

Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und des Programms JUGEND der<br />

Europäischen Union wurde so 2003/2004 ein eigenes kleines Büro für den<br />

gemeinnützigen Verein aufgebaut, das sich zur dritten Anlaufstelle für das Modell<br />

und die Praxis von Peer-Training in Sachsen entwickeln konnte. So waren wir<br />

nicht nur dem ambitionierten Anspruch, einer landesweiten Präsenz für<br />

Interessenten, sondern auch einer entsprechenden Unterstützungsstruktur für<br />

unsere jugendlichen Trainer einen großen Schritt näher gekommen.<br />

Peer-Training in Sachsen heute<br />

Die organisatorische Struktur von Peer-Training in Sachsen ist auch heute noch<br />

nahezu identisch. Vor allem aber das Leipziger Büro von Peer-Training Sachsen<br />

e.V. und die RAA Sachsen in Hoyerswerda sind die wichtigsten Anlaufstationen<br />

für Trainingsanfragen und Trainer. Mindestens zwei, oft auch drei Seminarwochenenden<br />

bilden seit 2003 den Rahmen für intensiven Erfahrungsaustausch,<br />

organisatorische Absprachen und inhaltliche Erweiterun-gen des Programms.<br />

Nach mehreren Ausbildungsreihen (je zwei in den Jahren 2004 bis 2006) hat<br />

sich auch der Trainerstamm erheblich vergrößert. Um den stetig zunehmenden<br />

Trainingsanfragen von Förderschulen, Mittelschulen und Gymnasien bis hin zu<br />

Berufsschulen und Universitäten gerecht werden zu können, wird eine regionale<br />

Struktur etabliert: In vier Regionalteams in Hoyerswerda, Dresden, Zwickau und<br />

Leipzig bietet sich so für die Trainer ein Team zur Unterstützung ihrer Trainings<br />

und zur Umsetzung ihrer Ideen – nicht zuletzt aber auch zum gegenseitigen<br />

Erfahrungsaustausch und zur Professionalisierung durch wechselseitige<br />

Beobachtung, Kritik und Unterstützung. Die Regionalteams übernehmen auch<br />

Verantwortung in der Planung, Organisation, Durchführung und Nachbearbeitung<br />

der einzelnen Trainings.<br />

Weiterhin gilt der Grundsatz, dass der Einsatz der Peer-Trainer für die anfragenden<br />

Einrichtungen wie Schulen und Jugendhäuser grundsätzlich kostenlos ist.<br />

Denn die Peer-Trainer sollen prinzipiell jeder Gruppe von Jugendlichen ein Peer-<br />

Training ermöglichen können. <strong>Demokratisch</strong>e Bildung soll keine Frage des<br />

Geldbeutels sein.<br />

Das kann derzeit allerdings nur auf folgender Basis gewährleistet werden:<br />

Zum einen durch die vorbildhafte rein ehrenamtliche (d.h. kostenlose) Arbeit von<br />

Jugendlichen seit den ersten Tagen von Peer-Training in Sachsen, zum anderen<br />

durch eine berechenbare und kontinuierliche Förderung dieser Arbeit durch den<br />

1 Peer-Training Sachsen e.V. (Adresse: Lessingstraße 7, 04109 Leipzig, Tel.: 03 41 / 35 59 06 85;<br />

www.peer-training.de; Mail: buero@peer-training.de). Der Verein wird von aktiven Trainern geführt<br />

und organisiert Workshops, Aktionen und Projekte für die Verbreitung und Wirkungserhöhung<br />

des Peer-Training-Ansatzes. Weiterhin ist er neben der RAA Hoyerswerda in Sachsen<br />

Ansprechpartner für Trainer und Interessenten.<br />

100


Jugendliche übernehmen selbst Verantwortung<br />

Freistaat Sachsen. Zwar wird die Trainingstätigkeit weiterhin vom Sächsischen<br />

Sozialministerium unterstützt – allerdings trotz zunehmender Trainings mit sinkendem<br />

Finanzvolumen und mit in Zukunft wohl zunehmender Unsicherheit.<br />

Sowohl die Fort- und Weiterbildung als auch der aktive Trainingsbetrieb wird in<br />

Zukunft maßgeblich von der Wertschätzung abhängen, die der Trainingstätigkeit<br />

entgegengebracht wird.<br />

Neben der regionalen Struktur konnte auch ein umfangreiches Netzwerk an<br />

Partnern aufgebaut werden. Für die Aus- und Weiterbildung, für Trainings und<br />

für die organisatorisch-finanzielle Unterstützung konnten Institutionen und<br />

Organisationen gewonnen werden, die den bisherigen Verlauf und die Entwicklung<br />

des Peer-Trainings in Sachsen erst ermöglicht haben. Insbesondere das<br />

Regionalbüro Leipzig der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Sächsische Akademie für<br />

Lehrerfortbildung Meißen im Zusammenwirken mit dem Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>, das Netzwerk für demokratische Kultur Wurzen und das<br />

Fachreferat Extremismus des Jugendamtes Leipzig haben kontinuierliche<br />

Unterstützung gegeben. Auch die anhaltende Partnerschaft mit der Deutschen<br />

Kinder- und Jugendstiftung muss betont werden.<br />

Fortschritte hat unser Programm auch in der Fort- und Weiterbildung der<br />

Trainer gemacht. Mit Hilfe ausgearbeiteter Praxis- und Theorieeinheiten werden<br />

die Trainer mindestens zweimal pro Jahr weitergebildet. Das Angebot<br />

umfasst ein breites Themenspektrum von der Mediation bis hin zur Evaluation<br />

und wird durch die Regionalteams ergänzt. Diese übernehmen die Auswertung<br />

der Trainings, moderieren den Erfahrungsaustausch und unterstützen die<br />

Trainer.<br />

Auf dieser Basis hat Peer-Training in Sachsen zu neuen Wegen gefunden. Das<br />

ursprüngliche Programm von ADL/EPTO wurde in den vergangenen fünf Jahren<br />

regionalisiert. Dies bedeutet, dass sich die jugendlichen Trainer intensiv mit den<br />

Bedürfnissen in den jeweiligen Jugendgruppen mit deren Umfeld auseinandergesetzt<br />

haben. Wir haben jetzt Workshopmodule, die es ermöglichen, gezielt auf<br />

Probleme, Aufgaben, Wünsche und Gegebenheiten der jeweiligen Jugendgruppen<br />

einzugehen. Das Basismodul „Vielfalt und Toleranz“ kann durch die Aufbaumodule<br />

Mediation, Argumentationstraining, Selbst- und Fremdwahrnehmung,<br />

Gender, Gewalt und Rechtsextremismus ergänzt werden.<br />

Mit dieser Trainingsvielfalt ist es möglich, präventiv in Jugend- und<br />

Schülergruppen aller Schularten zu arbeiten. Das Workshopprogramm kann<br />

damit auf die einzelne Gruppe (je nach Alter, Hintergrund, Geschlechterverteilung,<br />

Vorwissen, etc.) zugeschnitten werden. Zwar sind die Schulen weiterhin<br />

wichtigstes Handlungsfeld, doch werden auch Trainings für interessierte<br />

Jugendliche in freien Gruppen angeboten. Schließlich kommen Jugendgruppen<br />

freier Träger wie Unfallnothilfe, THW, Kirchgemeinden und Seminargruppen<br />

von Hochschulen hinzu. In der Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig<br />

und der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung konnten zudem<br />

Erkenntnisse des Peer-to-Peer-Modells und des Programms in Sachsen bei der<br />

Lehrerbildung eingesetzt werden. Jugendliche haben dabei mit Erwachsenen<br />

gearbeitet.<br />

101


Florian F. Woitek<br />

Mit Grips gegen Gewalt<br />

Seit dem Jahr 2005 liegt ein besonderer Schwerpunkt des Peer-Trainings in der<br />

Region Leipzig auf dem Thema Gewaltprävention. Gemeinsam mit der<br />

Polizeidirektion Westsachsen wurde das Programm „Mit Grips gegen Gewalt“<br />

(MGgG) 2 ins Leben gerufen. In einem neuen Konzept arbeiten Beamte des<br />

Bereichs Prävention der Polizeidirektion eng mit Peer-Trainern zusammen. Das<br />

Programm MGgG richtet sich an alle weitererführenden Schulen ab Klasse 7 und<br />

ist in zwei Workshopeinheiten unterteilt, die je einen Schultag beanspruchen. In<br />

der Regel werden die Klassen in zwei Gruppen von 10 bis 15 Schülern geteilt. Je<br />

eine Gruppe arbeitet dann am ersten Tag mit den Beamten der Polizei, die andere<br />

mit den Peer-Trainern. Am anderen Tag wird gewechselt. Die Arbeit der<br />

Polizisten greift die Themen Zivilcourage, Konfliktvermeidung und Gewaltklassifikation<br />

auf. Die Peer-Trainer bearbeiten die Konfliktursachen und die Konfliktprävention.<br />

Bei dieser Kombination von staatlicher Präventionsarbeit mit ehrenamtlichem<br />

Engagement Jugendlicher sind erstaunliche Erfolge zu sehen. Die Resonanz und<br />

Intensität der Beteiligung ist sehr gut. Richtungsweisend hierbei ist die wechselseitige<br />

Akzeptanz zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Hier werden die<br />

Stärken des Peer-to-Peer-Prinzips, die langjährige Erfahrung der Peer-Trainer in<br />

Sachsen und der modulare Workshopaufbau effektiv.<br />

Die Zukunftsperspektiven<br />

Seit 2006 ist die fünfte Generation von Peer-Trainern aktiv in die Arbeit eingebunden.<br />

Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildende leisten dabei einen<br />

unschätzbaren Beitrag zur demokratischen Bildung an sächsischen Schulen und<br />

Jugendeinrichtungen, sie beweisen überdies herausragendes ehrenamtliches<br />

Engagement.<br />

Gleichzeitig möchten wir die Fähigkeiten und Erfahrungen früherer Trainer-<br />

Generationen weiter nutzen. Deshalb entwickeln wir ein Coaching-System für<br />

neue Trainer. Zudem sollen die Zielgruppen der Workshops erweitert werden.<br />

Sind bspw. die Peer-Trainer Studenten, so ist es zwingend, die Peer-Trainings in<br />

deren Peer-Group, also bei Studenten, zu vermitteln. Weitere Entwicklungspotentiale<br />

ergeben sich in Hinblick auf jugendliche Multiplikatoren und in der<br />

Erwachsenen- und Lehrerbildung. Leitlinie für die Programmaktivität ist auch<br />

künftig die kontextnahe Arbeit, die von Problemlagen und Bedürfnissen der<br />

anfragenden Jugendlichen und Institutionen ausgeht.<br />

Das Peer-Training-Programm in Sachsen kann als eindrückliches Beispiel für<br />

demokratisches <strong>Handeln</strong> gelten. Aus einem ersten Workshop 2001 ist durch ehrenamtliches<br />

Engagement Jugendlicher und ihre Bereitschaft, für sich selbst, für andere<br />

und für ein vielfältiges, demokratisches und friedliches Miteinander<br />

2 „Mit Grips gegen Gewalt“: Das Programm richtet sich in fünf Teilprojekten an Schulen im gesamten<br />

Bereich der Polizeidirektion. Ergänzt wird es durch ein Projekt zur Lehrerfortbildung.<br />

Gemeinsam mit Peer-Trainern wird hier erfolgreich das Teilprojekt zur Gewaltprävention durchgeführt.<br />

Unser Ansprech- und Kooperationspartner hierfür ist: Polizeidirektion Westsachsen,<br />

Inspektion Prävention, Leipziger Straße 61, 04668 Grimma, Tel.: 0 34 37 / 93 06 14.<br />

102


Jugendliche übernehmen selbst Verantwortung<br />

Verantwortung zu übernehmen, binnen fünf Jahren ein Bildungsangebot für<br />

Jugendliche entstanden, dass in Deutschland eine herausragende Stellung einnimmt.<br />

Mit der gezielten und kontinuierlichen Unterstützung durch staatliche und gesellschaftliche<br />

Akteure und die Wertschätzung gegenüber diesem Engagement kann die<br />

Strahlkraft und die Nachhaltigkeit des Programms weiter erhalten bleiben. Wir wissen:<br />

<strong>Demokratisch</strong>es Engagement ist kein Selbstläufer. Das Beispiel Peer-Training<br />

in Sachsen aber zeigt, dass Jugendliche mit Herz, Einsatzwillen und mit einer guten<br />

Idee selbst erfolgreich Verantwortung übernehmen können und wollen. Peer to peer,<br />

Jugendliche für Jugendliche oder anders ausgedrückt: peers for democracy.<br />

103


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer: „Die Beteiligten<br />

übernehmen Verantwortung“. Die Demokratie-Tagungen<br />

der SALF<br />

Seit 1997 veranstaltet die Sächsische Akademie für Lehrerfortbildung zusammen<br />

mit dem Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ in der Regel im<br />

Frühherbst jeden Jahres eine Fachtagung zu Themen und Herausforderungen der<br />

Demokratiepädagogik. Damit darf wohl schon von einer Tradition gesprochen<br />

werden. Eine Tradition, bei der die staatliche Lehrerfortbildung zusammen mit<br />

einer bürgerschaftlich getragenen Initiative an der Profilierung von Schulen und<br />

der Stärkung der demokratischen Lern- und Alltagskultur der Schulen des Landes<br />

arbeitet. Selbstverständlich haben diese Tagungen auch eine direkte Funktion in<br />

Blick auf die jährlichen Ausschreibungen des Wettbewerbs – sie sollen helfen,<br />

Projektansätze wahrzunehmen, aufzugreifen, zu beraten und bis hin zu einer<br />

Dokumentation und Einsendung gemeinsam mit Verantwortlichen und von Fall<br />

zu Fall auch mit Schülerinnen und Schülern zu bringen.<br />

Ziel der demokratiepädagogischen Tagungen ist also weniger die Weitergabe<br />

von didaktisch-methodischen Konstrukten oder curricularen Angeboten. Vielmehr<br />

setzt diese zwischenzeitlich zur Tradition gewordene Veranstaltungsreihe auf die<br />

Verantwortung der Beteiligten: Ergebnisse sind nur zu erwarten, wenn die<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer aktiv mitmachen, sich auf einen insbesondere zu<br />

Beginn offenen Prozess einlassen und sich ihrer eigenen Expertise, Erfahrung und<br />

Handlungskontexte in den Schulen besinnen, ja diese kritisch hinterfragen und in<br />

der Tagungsöffentlichkeit zu bearbeiten und kritisieren bereit sind. Ein hoher<br />

Anspruch und zugleich eine besondere Qualität werden dabei sichtbar.<br />

Sich den Anderen vorzustellen und zugleich aus der eigenen Arbeit in Blick auf das<br />

gemeinsame Thema zu berichten – keine leichte Aufgabe zum Auftakt! Doch es<br />

gelang: es bildeten sich anknüpfend an das Interesse an diesen Projektarbeiten<br />

zwei Gruppen, die sich – ausgehend von Ihren Erwartungen an die Fortbildung –<br />

Arbeitsaufträge gestellt haben.<br />

(…) Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage nach den Möglichkeiten, eine<br />

Basis für Projektarbeit zu schaffen. Dabei verständigten sich die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer darauf, dass neben eigenem Selbstbewusstsein, eigener Motivation<br />

und einer Konzeption für das Projekt eine Präsentation und Dokumentation wichtig<br />

ist, durch die Mitstreiter wie Schulleitung, Kollegen und Eltern gewonnen werden<br />

können. Als problematisch wurde Projektarbeit empfunden, die ohne Unterstützung<br />

der Schulleitung und der Schulämter auskommen muss und nicht in eine<br />

Schulkonzeption eingebettet ist.<br />

(…) Der Start in der Arbeitsgruppe war nicht ganz unproblematisch, denn so manches<br />

der Gruppenmitglieder fühlte sich in der hier gewählten Form mächtig gefordert.<br />

Es gab zunächst wenige Vorgaben durch Experten und Tagungsleitung – viel-<br />

105


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

mehr sollte die eigene Erfahrung und Absicht den ersten Arbeitsschritt und seine<br />

Ergebnisse lenken. Dennoch, die Lehrerinnen und Lehrer fanden in ihr Thema hinein<br />

und auch die abendliche Gelegenheit, bei informellen Gesprächen in der alten<br />

Elbestadt das eine oder andere Problem des Lehrerberufes offener und persönlicher<br />

zu wenden, hat zu einem erfolgreichen Tagesabschluss beigetragen.<br />

Aus dem Internetbericht zur Tagung vom Herbst 2005 (M. Schwarzer)<br />

Die SALF-Tagungen: Ort der Tradition<br />

Tradition ist bei dieser Tagungsreihe nicht nur die ungewöhnliche Arbeitsform.<br />

Tradition meint auch die Einbeziehung von Kollegen aus Schulen anderer<br />

Bundesländer mit Projekterfahrungen, die eine intensive demokratiepädagogische<br />

Arbeit skizzieren können und in ihrer Varianz, aber auch Ähnlichkeit für alle<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer interessante Bedingungen schulischen<br />

Projekthandelns vorstellen. Das war über die Jahre oftmals Anlass für große<br />

Kontrasterfahrungen, aber auch bereichernde Nachfragen und einen besonders<br />

anregenden „Blick über den Zaun“ für alle Beteiligten. Tradition ist schließlich<br />

auch der Wechsel bei den Tagungsorten. War die SALF-Tagung bei ihrem Beginn<br />

noch in Schloss Hohenprießnitz bei Leipzig angesiedelt, ist man zur<br />

Jahrtausendwende mit dem Umzug der Akademie in Schloss Siebeneichen bei<br />

Meißen angekommen. Ab und an gibt es auch externe Veranstaltungsorte wie<br />

2004 im Bildungszentrum in Niederbobritzsch nahe Dresden sowie 2006 im<br />

Holzkunst- und -kulturzentrum der Daetz-Stiftung in Lichtenstein.<br />

Nach einem eröffnenden Gespräch, in dem der Bremer Kollege Wolfgang Liesigk<br />

das Projekt „8. Mai 1945 – 60 Jahre Kriegsende und Befreiung vom NS-Regime“<br />

aus verschiedenen Perspektiven knapp vorgestellt hat, werden sofort Anknüpfungspunkte<br />

für die Erfahrungen der Schulen aus Sachsen sichtbar. Liesigk betont, dass<br />

die Schülerinnen und Schüler „aktiver waren, als in der normalen Schule; dass die<br />

Dringlichkeit, die uns die Generationenfrage und die Zeit auferlegt, wenn wir noch<br />

mit den letzten lebenden Zeitzeugen des Nationalsozialismus sprechen wollen“, ein<br />

Motiv für das Projekt gewesen sei. Letztlich unterstreicht auch Wolfgang Liesigk die<br />

Außenwirkung, die Projekte mit Grundlagenthemen von Politik und Demokratie<br />

haben und deren Bildungswert in Blick auf das Nachdenken über die Demokratie.<br />

Zugleich macht er deutlich, dass Projekte in diesem demokratiepädagogischen<br />

Sinne nicht als kleinere, Abwechslung in Methode und Didaktik bringende Ergänzungsveranstaltungen<br />

zur Schule verstanden werden sollen. Vielmehr wird ein<br />

demokratiepädagogisches Projekt, so der Bremer Gesamtschullehrer, „die ganze<br />

Schule einbeziehen und bekommt damit eine appellative und letztlich politische<br />

Form: Projekt ist nicht gleich Projekt!“, so die qualitätsfordernde These!<br />

Aus dem ersten Internetbericht zur Tagung vom Herbst 2006 (W. Beutel)<br />

Leitfragen und Moderationsaufgaben<br />

Im Mittelpunkt dieser auf die Rekonstruktion schulischer Lehr- und Lernerfahrung<br />

ausgerichteten Tagungen stehen folgende Leitfragen:<br />

• Was kann Schule dazu beitragen, um bei Jugendlichen Interesse für Politik<br />

und Demokratie im Allgemeinen, vor allem aber auch im schulischen Lernen<br />

und in der jugendlichen „Peer-Gruppe“ zu fördern<br />

106


„Die Beteiligten übernehmen Verantwortung“<br />

• Wie können Schülerinnen und Schüler ausgehend von ihren eigenen<br />

Bedürfnissen Projekte demokratischen <strong>Handeln</strong>s mitgestalten, ja möglicherweise<br />

sogar selbst maßgeblich initiieren und auf den Weg bringen<br />

• Wie können Schülerinnen und Schüler Verantwortung übernehmen und nachhaltige<br />

Entwicklungsprozesse in Schule und Gemeinwesen mitgestalten<br />

• Welche Rolle, Aufgaben und berufliche Anforderung kommen auf<br />

Lehrerinnen und Lehrer zu, wenn sie sich auf demokratiepädagogisch gehaltvolle<br />

Vorhaben und Projekte einlassen wollen<br />

• Wie kann das Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> solche Vorhaben und<br />

Initiativen inhaltlich begleiten und unterstützen<br />

Für die Tagungsleitung sowie die Moderatorinnen und Moderatoren der<br />

Arbeitsgruppen bringt dies besondere Arbeitsaufgaben mit sich, die sie innerhalb<br />

ihrer Gruppen in Gang setzen müssen. Ihnen obliegt es, den Rekonstruktions- und<br />

Diskussionsprozess so zu lenken, dass sichtbar wird:<br />

• wie die thematisch unterschiedlich angelegten Projekte und Initiativen so<br />

bearbeitet werden können, damit für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

daraus neue, schulpraktisch nutzbare und anschauliche Denk- und<br />

Handlungsoptionen entstehen;<br />

• wie die in den Kursen genutzten und für die Teilnehmer oft neuen Methoden<br />

direkter Eigenverantwortung für die Ergebnisse bewusst nachvollzogen werden<br />

können, um sie auf die vielfältigen und variantenreichen Bedingungen der<br />

einzelnen Schulen zu übertragen. Es geht also darum, eine Erweiterung der<br />

eigenen Handlungskompetenz in Blick auf Demokratiepädagogik und demokratisches<br />

<strong>Handeln</strong> zu gewinnen.<br />

Wie wichtig ein Feedback gerade bei der Beschäftigung mit Demokratiepädagogik<br />

sein kann, wird im nächsten Schritt, der exemplarischen Diskussion und Beurteilung<br />

einer Präsentation im Plenum, deutlich. Jens Tiburski, ein Mathematik- und Informatiklehrer<br />

aus Leipzig, stellt sein Projekt „Die virtuelle Schule“ vor – das Plenum hat<br />

hierbei die Rolle der „kritischen Freunde“ inne. Entscheidend dabei ist die wohlwollend-kritische<br />

Rückmeldung, die sich sachbezogen auf Kriterien stützt. Im ersten<br />

Schritt kommen dabei lediglich Verständnisfragen zum Zuge. In einem persönlichen<br />

Fazit hat der Referent die Möglichkeit, auf erste Anregungen einzugehen. Bei den<br />

Rückmeldungen wird versucht, Ansätze demokratischer Handlungsräume aufzuzeigen.<br />

Der Mehrheit der Seminargruppe fehlt es hierbei jedoch an klaren Bezugsgrößen,<br />

ja einem vorgegebenen Konzept von Demokratiepädagogik, aus dem eineindeutige<br />

Kriterien abgeleitet werden können – eine Hoffnung, die durch Rückfragen<br />

der Teilnehmerschaft durchscheint.<br />

Die Tagungsleiter halten demgegenüber an der Offenheit des Verfahrens und<br />

der Eigenleistung der Teilnehmer als Beitrag zur Kriterienbildung fest. Für Jens<br />

Tiburski ist das Feedback zu seinem Projekt sehr aufschlussreich, gerade in Bezug<br />

auf die Chancen der Vermittlung demokratischer Werte im Projektprozess. Denn<br />

durch eine Reihe von Beobachtungen und Rückfragen zu Partizipation, zu<br />

Aspekten der Selbsttätigkeit bei den Lernenden sowie zur Öffentlichkeit und<br />

Transparenz von Schule bis hin zur didaktischen Mikroebene einzelner Unterrichtselemente<br />

und -materialien, die durch das Projekt schulweit (und darüber hinausgehend)<br />

jedenfalls im Prinzip erschlossen werden können, werden Funktionen in der<br />

107


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

„Kommunität der Schule“ und damit demokratische Werte fassbar.<br />

Aus dem zweiten Internetbericht zur Tagung vom Herbst 2006 (S. Leonhardt)<br />

Im Folgenden wollen wir den Ablauf des Kurses unter diesen Aspekten darstellen<br />

und uns der Frage nähern, wie das Verhältnis zwischen vorgegebenen<br />

Bearbeitungsstrukturen und der Arbeit an den eigenen Anliegen angemessen<br />

gestaltet werden kann.<br />

Der Tagungsablauf<br />

In einem ersten Schritt geht es um ein „Ankommen“, eine Begegnung auf den<br />

unterschiedlichen Ebenen zwischen den Teilnehmern selbst, der Teilnehmerschaft<br />

und den Moderatoren sowie der Tagungsleitung und letztlich auch um eine<br />

Begegnung mit den Themen und Aufgaben, die das Veranstaltungskonzept von<br />

den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einfordert. Begonnen wird deshalb mit<br />

Instrumenten wie Partnerinterview, der nachfolgenden Klärung von Erwartungen<br />

und Befürchtungen und der Verdeutlichung von Gruppenregeln.<br />

a. Partnerinterview und Erwartungsklärung<br />

Das Partnerinterview hat sich bewährt, um schnell eine vertrauensvolle<br />

Arbeitsatmosphäre zu entwickeln. Dazu werden Sprichwörter oder Sentenzen im<br />

Sinne des „geflügelten Wortes“ aus dem alltäglichen Sprachgebrauch „inhaltlich<br />

halbiert“ und verdeckt auf dem Fußboden ausgelegt. Die Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer müssen sich dann den Partner suchen, der den jeweils fehlenden Part<br />

gezogen hat. So kommen alle schnell und ohne äußeren Zwang oder formale<br />

Kriterien ins Gespräch. Zudem wird auch die Barriere zwischen Lehrenden und<br />

teilnehmenden Schülerinnen oder Schülern schnell überwunden. Die auf diese<br />

Weise entstandenen „Paare“ kommen über Persönliches, Berufliches oder aber<br />

auch etwas besonders Kennzeichnendes zur eigenen Person ins Gespräch.<br />

Um die Anfangsphase zeitlich zu straffen, werden gleich die „Erwartungen<br />

und Befürchtungen“ der Teilnehmerschaft in dieses Gespräch einbezogen.<br />

Anschließend stellen die auf diese Weise miteinander bekannt gewordenen<br />

Menschen sich wechselseitig vor. Die dabei klar konturierten Erwartungen und<br />

Befürchtungen werden im Plenum an Pinnwänden sichtbar gemacht und führen<br />

zu einem für alle sichtbaren Gruppenbild.<br />

Als Erwartungen wurden beispielsweise formuliert:<br />

• Mitwirkungsmöglichkeiten von Schülerinnen und Schülern erfahren;<br />

• Projektideen mitnehmen;<br />

• Hinweise für effektive Projektdokumentationen bekommen;<br />

• Erfahrungsaustausch mit Leuten aus anderen Bundesländern;<br />

• „Gute Praxisbeispiele“ kennenlernen;<br />

• Antwort auf die Frage: Wie und wann beginnen Demokratieerziehung und<br />

Demokratieerleben (der Kinder auch bei den Eltern)<br />

• Antwort auf die Frage: Was bleibt, wenn ein Projekt demokratischen<br />

<strong>Handeln</strong>s beendet ist<br />

Befürchtungen wurden folgendermaßen angesprochen:<br />

108


„Die Beteiligten übernehmen Verantwortung“<br />

• Die Tagung führt zum „Meckern“ über die Schule, die Kollegen, die<br />

Finanzen, über alles….;<br />

• Die Teilnehmerschaft soll sich nichts „aus den Fingern saugen“, sondern realistisch<br />

und an den Grenzen des schulisch Machbaren bleiben;<br />

• Wann wird ein Projekt demokratischen <strong>Handeln</strong>s zu „Aktionismus“<br />

Die Auswahl ist natürlich punktuell und exemplarisch. Klar jedoch wird, dass ein<br />

Arbeitsergebnis erwartet wird, dass Handlungshilfen bietet und nah an den<br />

Alltagserfahrungen und den damit verbundenen Möglichkeiten für Demokratiepädagogik<br />

an der Schule bleibt – jedenfalls aus der Perspektive der teilnehmenden<br />

Lehrerinnen und Lehrer zu Beginn des Kurses.<br />

b. Festlegen der Gruppenregeln als Grundlage der konstruktiven Zusammenarbeit<br />

Die Gruppenregel „Jeder ist für sich, für die Gruppe und für das Ergebnis mitverantwortlich“<br />

wird als Angebot der Gruppe entgegengestellt, um es zu diskutieren,<br />

durch Ergänzungen zu modifizieren und anschließend verbindlich zu verabschieden.<br />

Dabei unterliegt jede Tagungsmoderation natürlich einem strukturellen<br />

Konflikt. Denn Gruppenregeln für den Umgang miteinander müssen natürlich<br />

dem Bedürfnis der Gruppe entsprechen können und daher auch von ihr formuliert<br />

werden. Wir haben uns jedoch für diesen „Weg des Angebots“ entschieden, weil<br />

es erstens bei diesem Verfahren möglich ist, die vorgegebene allgemeine Regel<br />

zu verwerfen, anders zu formulieren oder auch andere Inhalte zu bestimmen, weil<br />

zweitens die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgrund vieler Fortbildungsveranstaltungen<br />

in Gruppen auch über die entsprechenden Erfahrungen aus der<br />

Gruppenarbeit verfügen und drittens die Teilnehmer in nahezu jeder der bisher<br />

durchgeführten Veranstaltungen den Wunsch formuliert haben, schnell an konkreten<br />

Inhalten zu arbeiten, also auf langwierige Findungs- und Konsensprozesse<br />

in dieser Frage verzichten wollen.<br />

c. Die Vorstellung von Projekterfahrungen und -ansätzen im Plenum<br />

Es zeigt sich auf nahezu jeder Tagung: Die meisten der anwesenden Lehrerinnen<br />

und Lehrer können von Ansätzen, Initiativen oder Projekten demokratischen<br />

<strong>Handeln</strong>s an der Schule berichten. Sie besitzen meist noch frische Erfahrungen, von<br />

denen ausgehend sie schnell in das Gespräch einsteigen. Eine erste<br />

Vorstellungsrunde, die Projektinhalte mit einbezieht, hat daher vor allem die<br />

Funktion, dem Mitteilungsbedürfnis Rechnung zu tragen und zugleich alle anderen<br />

Anwesenden über die Themenvielfalt der vorliegenden Projekte zu informieren.<br />

Da die intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit den Projekterfahrungen<br />

anschließend in den themenspezifischen Gruppen vorgesehen ist, wird diese erste<br />

inhaltliche Diskussionsrunde durch eine Zeitbegrenzung eingeschränkt. Jede<br />

Projektgruppe hat einschließlich inhaltlicher Verständigungsfragen ca. 15<br />

Minuten Zeit zur Präsentation. Dies erweist sich als völlig ausreichend.<br />

Erneut wurde klar, dass Schule beides braucht, Impulse und Wahrnehmung durch<br />

Partner von außen, aber auch die Möglichkeit, die eigene Arbeit außerhalb der vier<br />

Wände eines Schulgebäudes profiliert darzustellen und nachgefragt zu bekommen:<br />

Themen wie der Streit um die „Namenspatenschaft“ der Schule in Waldheim, der<br />

109


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

dazu geführt hat, dass ein „Bürgerentscheid“ zu dieser Frage durchgeführt worden<br />

ist oder die zwischenzeitlich vielfältig anerkannte Arbeit der Film- und Videogruppe<br />

„MovieClan“ aus Leipzig wurden ebenso behandelt, wie vielerlei Erfahrungen und<br />

Anregungen kleinschrittiger Art innerhalb der Schulen.<br />

Aus dem Internetbericht zur Tagung vom Herbst 2003 (W. Beutel)<br />

Anhand dieser neuen Informationen können die inhaltlichen Erwartungen durch<br />

folgende Frage und Aufgabe präzisiert werden: „Welche Anregungen, Hinweise,<br />

Unterstützungen erwarte ich vom Kurs bezogen auf meine Projektvorhaben<br />

(Planung, Durchführung, Auswertung)“ Die so gewonnenen konkreten Anliegen<br />

werden an einer Pinnwand plenumsöffentlich sichtbar gemacht und nach inhaltlichen<br />

Aspekten geordnet (geclustert). Auf diese Weise entsteht eine Reihe von<br />

Themenschwerpunkten, die sich teilweise inhaltlich überlagern.<br />

Der nächste Schritt nutzt wieder ein Verfahren von Abstimmung und<br />

Konsensbildung: Durch Bepunktung können nun die drei vorrangigen Themen<br />

ermittelt werde, die dann zum Ausgangspunkt und Gegenstand von<br />

Arbeitsgruppen werden. Das vorrangige Ziel besteht darin, ausgehend von diesen<br />

themenspezifischen Interessen drei zahlenmäßig etwa gleichgroße Gruppen zu<br />

bilden, die anschließend ihre Arbeitsaufgabe selbst formulieren.<br />

Die Demokratie-Tagungen der SALF und des Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong><br />

<strong>Handeln</strong> zeigen, dass es von grundsätzlicher Bedeutung ist, an den<br />

Interessen der Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu arbeiten und keine Aufgaben<br />

direkt vorzugegeben. Das unterscheidet die hier angewendete Moderationsmethode<br />

von konventionellen Lehrmethoden. Von Anfang bis Ende des Kurses<br />

haben wir unsere Aufgabe vorrangig darin gesehen, effektive und fordernde<br />

Arbeitsstrukturen vorzugeben, die inhaltlich durch die jeweiligen Gruppenmitglieder<br />

selbst bestimmt werden – also im übertragenen Sinne an das Wort von der<br />

„vorbereiteten Umgebung“ Maria Montessoris anzuschließen. Daher ist es für<br />

diesen Fortbildungstyp auch wichtig, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

in gruppeninterner Auseinandersetzung die Arbeitsthemen selbst konstituieren.<br />

Keinesfalls sollten an dieser Stelle vorbereitete Fragen gestellt werden. Die<br />

Tradition unserer Tagungen hat uns bestätigt, dass die Teilnehmerschaft sich auch<br />

sehr zügig auf allgemein akzeptierte Formulierungen einigen kann – also durchaus<br />

die für eine demokratische Umgangspraxis in der Schule notwendige Kunst<br />

der Konsensfindung beherrscht.<br />

Doch zunächst geht die Debatte auch um unterrichtliche Formen – naheliegenderweise<br />

kommt das Fach zur politischen Bildung in den Blick, in den Schulen<br />

Sachsens also die „Gemeinschaftskunde“. In der nachfolgenden Diskussion hat sich<br />

dann schnell gezeigt, dass „Demokratiepädagogik“ mehr und etwas anderes ist als<br />

Politikunterricht alleine, wenngleich sie strukturell auf ihn bezogen sein muss. Als<br />

wichtige Bestandteile einer solchen pädagogischen Praxis werden z.B.<br />

Partnerschulen genannt – sichtbar bei einem Projekt einer Schule in Crimmitschau<br />

mit einer Aachener Schule – und externe Unterstützer wie die „Stiftung<br />

Denkmalschutz“ oder auch andere fachliche Expertise aus dem öffentlichen und<br />

bürgergesellschaftlichen Raum. Grundlegend für eine andere Lernpraxis sind offensichtlich<br />

Ortswechsel, in der eigenen Kommune oder auch darüber hinaus. Doch<br />

ist schnell auch die Rede von Hindernissen im Bereich der Schulorganisation und<br />

110


„Die Beteiligten übernehmen Verantwortung“<br />

der Finanzierung außergewöhnlicher Projektideen: „Größtes Hindernis sind oft<br />

bspw. Freistellungen“, so wird berichtet. Aber auch von der Herausforderung, „die<br />

Organisation von Projekten mit dem laufenden Unterricht in Verbindung zu bringen“<br />

ist die Rede.<br />

In der Förderschule Riesa wird ein Projekt durchgeführt, dass die Themen und<br />

Herausforderungen der Arbeit, der Freizeit mit den sozialen Elementen des Lebens<br />

im Alltag vermittelt und darauf zielt, den Schülerinnen und Schülern Selbstständigkeit<br />

und Möglichkeiten zur Lebensgestaltung im Alltag zu gewähren. Die Kollegin<br />

Benelli aus Ravenna wiederum hat sich eigens aus dem Süden Europas auf den<br />

Weg gemacht, um mit Grundfragen einer zeitgemäßen Schulpraxis bei dieser<br />

Fortbildung konfrontiert zu werden. Sie berichtet von Eingangsklassen in ihrer italienischen<br />

Schule, die – wie auch in Deutschland – durch Multikulturalität, verschiedene<br />

ethnische Hintergründe und einer entsprechenden großen pädagogischen<br />

Herausforderung für den Schulalltag geprägt sind.<br />

Aus dem ersten Internetbericht zur Tagung vom Herbst 2006 (W. Beutel)<br />

Zusammenfassend lässt sich dieses bereits in der ersten Stufe differenzierte<br />

Verlaufsmodell der Beteiligung und auch inhaltlichen Verantwortungsübergabe für<br />

die Tagung an die Teilnehmerschaft in nachfolgendem Strukturmodell darstellen:<br />

Abb. 5:<br />

Der Start der Demokratiepädagogik-Tagungen: Vom Anliegen zu themenspezifischen<br />

Arbeitsgruppen<br />

111


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

d. Die erste Arbeitsphase in den themenspezifischen Gruppen<br />

Ein wesentliches Anliegen unserer Tagung besteht darin, Selbsterfahrungen über<br />

Gruppenprozesse während der Projektarbeit zu thematisieren. Mit anderen<br />

Worten: Strukturell ähnliche Prozesse der Aufgabenpräzisierungen und des<br />

Arbeitens unter gruppendynamischen Bedingungen, wie sie in den SALF-<br />

Fortbildungen dieses Typs zur Anwendung kommen, finden auch im projektorientierten<br />

Arbeiten in der Schule statt. Solche Erfahrungen in der Teamarbeit<br />

machen auch die Schüler. Es geht also nicht alleine um einen effektiven und von<br />

der Gruppe insgesamt definierten Tagungsstart, sondern vielmehr bereits damit<br />

um die substantielle Einübung in Kompetenzen, die für die Durchführung von<br />

demokratiepädagogischen Projekten grundlegend sind.<br />

Daher ist die Reflexion der selbst gewonnenen Erfahrungen mit Blick auf den<br />

Transfer in die Schule so wichtig. Gerade der ersten Phase der selbständigen<br />

Orientierung auf Aufgabe und Gruppenmitglieder kommt dabei insofern eine<br />

besondere Bedeutung zu, da hier die Weichen für den weiteren Verlauf der<br />

Tagung und damit auch die darin zu erreichenden Ergebnisse gestellt werden. Die<br />

Tagungen dieses Typs sind so gesehen Prototypen für die Konzipierung und<br />

Durchführung von Projekten demokratischen <strong>Handeln</strong>s in der Schule.<br />

Wir verzichten daher in dieser Phase der Arbeit auf eine Fremdmoderation.<br />

Die Gruppenergebnisse dieses ersten Schrittes werden visualisiert, um sie am<br />

nächsten Tag im Plenum vorzustellen und erste neue Erkenntnisse auszuweisen,<br />

aber auch um auf offene, ungeklärte Fragen aufmerksam zu machen. Diese offenen<br />

Fragen lassen wir in einem „Fragespeicher“ getrennt an einer Tafel sichtbar<br />

anbringen. Sie wirken im weiteren Seminarverlauf zielorientierend und spiegeln<br />

zudem die sich neu modifizierenden Anliegen wieder – entsprechend werden sie<br />

laufend ergänzt.<br />

Alle drei Arbeitsgruppen stellen auf Flipchart-Papier ihre ersten Ergebnisse<br />

vor. Die anderen Gruppenmitglieder können bei Bedarf Ergänzungen oder inhaltliche<br />

Akzentuierungen vornehmen. Rückfragen zum sachlichen Verständnis der<br />

Darlegungen seitens der anderen Seminarteilnehmer gehören zu diesen<br />

Präsentationen. Dies stellt eine erste inhaltliche und prozessreflektierende<br />

Standortbestimmung dar und dient noch nicht der vertiefenden Klärung der offenen<br />

Problemkreise. Gleichwohl werden die Aufgaben dadurch auch strukturiert<br />

und präzisiert.<br />

e. Fortsetzung der themenbezogenen Gruppenarbeit mit Kursmoderator<br />

Nun können die neu gewichteten Arbeitsaufgaben intensiv bearbeitet werden. In<br />

allen zwei bis drei (je nach Teilnehmerzahl) Gruppen moderieren projekterfahrene<br />

Partner – Fortbildner, Mitwirkende bei der „Lernstatt Demokratie” oder<br />

Regionalberaterinnen und -berater des Programms – diesen Prozess. Dabei gehen<br />

Moderatoren und Teilnehmer gleichberechtigt miteinander um, sie sind gleichermaßen<br />

Lernende in jeweils anderen Erfahrungskontexten. Die Ergebnisse werden<br />

dann gegenseitig vorgestellt und besprochen. Auch dies trägt zu einem größeren<br />

Einfühlungsvermögen in die Problemlage der spezifischen Lehrer- oder<br />

Schülersicht bei – wenn (nicht regelmäßig, aber doch immer wieder)<br />

Schülerinnen und Schüler an der Tagung beteiligt werden.<br />

112


„Die Beteiligten übernehmen Verantwortung“<br />

Um aussagefähige Gruppenergebnisse zu präsentieren, ist es besonders wichtig,<br />

diese zu veranschaulichen. Es werden die wesentlichen Ergebnisse des Seminars,<br />

der Erkenntnis- und Erfahrungsgewinn, die konkreten ersten Handlungsschritte<br />

an der je eigenen Schule oder noch offene Probleme benannt.<br />

Für die erste Gruppe ist es wichtig zu definieren, was hinter einem Projekt steht.<br />

Man ist sich einig, dass es sich nicht allein um Problemlösungen handelt, sondern<br />

dass die Interaktion zwischen Lehrenden und Schülerinnen bzw. Schülern einen<br />

bedeutenden Raum einnehmen müsse. Um solche sozialen Prozesse in Gang zu setzen,<br />

bedarf es der aufmerksamen Mitarbeit aller Beteiligter: Projekte demokratischen<br />

<strong>Handeln</strong>s lassen das „Ausklinken“ oder „Herausgehen“ Einzelner kaum zu –<br />

das gilt für die Lernenden ebenso wie für die Lehrenden. Ein weiteres Kriterium für<br />

die Dokumentation von Demokratiepädagogik wird darin gesehen, dass der<br />

Lernvorgang insgesamt über die Erfordernisse des Lehrplans hinausgehen und<br />

Struktur, Ablauf, Präsentation sowie Evaluierung beinhalten sollte. Wichtig ist die<br />

Nachvollziehbarkeit von Rahmen und Ort für den Adressaten und die angemessene<br />

sprachliche Gestaltung. Dabei muss unterschieden werden, ob die<br />

Dokumentation für eine breite oder eine engere – bspw. schulbezogene – Öffentlichkeit<br />

bestimmt ist oder eben funktional für die Teilnahme an einem<br />

Förderprogramm wie „<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“. Die zweite Gruppe legt den Fokus<br />

ihrer Ergebnispräsentation auf die Wechselbeziehung zwischen Lehrenden und<br />

Schülerschaft.<br />

Aus dem zweiten Internetbericht zur Tagung vom Herbst 2006 (S. Leonhardt)<br />

f. Plenum zur Vorstellung der Gruppenergebnisse<br />

Im gesamten Plenum werden nun die Gruppenergebnisse zusammengeführt,<br />

sodass alle davon profitieren können. Es gibt natürlich – trotz unterschiedlicher<br />

Aufgabenstellungen in den Arbeitsgruppen – viele Themen, die sich inhaltlich<br />

überschneiden. Dies wird nun deutlich und kann durch einen strukturierten<br />

Meinungsaustausch diskutiert und auf Handlungskonsequenzen hin überprüft<br />

werden. Dabei sind die visualisierten Darstellungen nicht nur Mittel zur<br />

Vermittlung von Standpunkten oder Erkenntnissen, sondern durch ihre vielfältige<br />

kreative Gestaltung auch ein Anreiz, sich Problemen neu anzunähern –<br />

Ergebnisse werden bspw. im Rahmen einer inszenierten „Pro-und-Contra-<br />

Debatte“, durch ein nachgespieltes „Filmportrait“ eines Schulprojektes und ähnliches<br />

mehr präsentiert. Die bisherigen Demokratie-Tagungen der SALF haben<br />

ein bemerkenswert hohes kreatives Potenzial auf Seiten der Moderatorinnen und<br />

Moderatoren ebenso wie auf Seiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sichtbar<br />

werden lassen. Es geht ja nicht nur um das trockene Darlegen theoretischer<br />

Postulate, sondern vielmehr um deren Verquickung mit den eigenen Projekt- und<br />

Gruppenerfahrungen. Dabei spiegelt sich auch die Atmosphäre in der<br />

Arbeitsgruppe wider. Ein unbeschwertes, humorvolles und ernsthaftes an den<br />

eigenen Anliegen orientiertes Arbeiten gleichermaßen ist gefragt. Für<br />

Außenstehende ist es wohl nur begrenzt möglich, diese Gruppenarbeit in ihrer<br />

Spezifik nachzuvollziehen, denn sie entsteht aus einer individuell sehr differenzierten<br />

Ausgangslage.<br />

Die Ergebnisse werden durch die anderen Seminarteilnehmer sachlich kritisch<br />

aufgenommen, Rückfragen werden gestellt und über Kontroverses wird<br />

113


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

diskutiert. Alle haben sich durch die vorangegangene Phase der moderierten<br />

Gruppen-arbeit fundierte Standpunkte gebildet, die nun ausgetauscht werden<br />

können. Ermüdende Redundanzen oder langatmige und fruchtlose Diskussionen<br />

können so meist erfolgreich vermieden werden.<br />

Bei der abschließenden Auswertungsrunde wurde schließlich eine Vielzahl von<br />

Anregungen diskutiert: Vor dem Hintergrund des „europäischen Akzentes“, den die<br />

Tagung mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Türkei, Litauen und Polen<br />

besaß, wurde einmal mehr deutlich, wie offen die Gestaltungskorridore für ein<br />

demokratisch gehaltvolles Erfahrungslernen an den deutschen Schulen bereits sind<br />

– das Engagement von Lehrerinnen und Lehrern allerdings fast selbstverständlich<br />

voraussetzend. Es zeigt sich aber auch, dass die Unterschiede in der Lernkultur,<br />

auch der Lebenskultur und der Demokratie-Geschichte der verschiedenen europäischen<br />

Länder nicht nur Differenzen markieren, sondern zugleich eine der entscheidenden<br />

Aufgaben für ein Demokratie-Lernen im europäischen Rahmen sind. So<br />

gesehen wird der Wunsch verständlich, diese europäische Dimension als Teil der<br />

Kooperationsfortbildung von SALF und „<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ weiterzuführen.<br />

Aus dem Internetbericht zur Tagung vom Herbst 2004 (W. Beutel)<br />

Die Ergebnisse der Tagungen insgesamt<br />

Die demokratiepädagogischen Tagungen der SALF in Zusammenarbeit mit dem<br />

Wettbewerb <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> haben sich etabliert, bewährt und vielfältige<br />

Ergebnisse mit sich gebracht. Nebst den jeweils individuellen Tagungsergebnissen,<br />

die aufgrund der Anlage und Ziele dieser Fortbildung natürlich stark an<br />

individuelle schulische Kontexte gebunden sind, darf nicht unterschätzt werden,<br />

wie groß die Wirkung zur Impulsgebung für schulische Projektarbeit generell ist.<br />

Nach jeder dieser Veranstaltungen wird das regionale Beratungsangebot für<br />

Sachsen intensiv in Anspruch genommen. Überdies zeigt die Beteiligungsquote<br />

von Schulen des Landes am bundesweiten Wettbewerb <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong><br />

seit Beginn dieser Veranstaltungen deutlich sichtbar nach oben. Die SALF-<br />

Tagungen haben dazu beigetragen, Ansätze für Demokratiepädagogik an den<br />

Schulen des Landes aufzufinden, gemeinsam mit den Betroffenen zu präzisieren<br />

und schulintern wie schulextern bekannt zu machen. Diese Funktion des<br />

Aufgreifens, Verstärkens und Impulsgebens ist eine der zentralen Wirkungsaspekte<br />

des Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> überhaupt.<br />

Dass daneben auch Kritik laut wird, wie bspw. bei einer Tagung am Leitthema<br />

„Schülerinnen und Schüler übernehmen Verantwortung“, das aus Sicht eines<br />

Teilnehmers nicht alleine an eine Projektpädagogik zu binden sei, sondern auch<br />

kleinere und schneller einsetzbare Elemente und didaktische Hilfen benötige,<br />

bleibt ebenfalls verständlich – denn gerade Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus<br />

den beruflichen Schulen oder aus den Förderschulen (die bei jeder der schulartund<br />

fachübergreifenden Veranstaltung mit dabei sind) erfahren die organisatorischen<br />

Grenzen der Projektpädagogik doch deutlich schneller als die Kolleginnen<br />

und Kollegen am Regelschulwesen. Die Veranstalter haben diesen Einwand zwar<br />

einerseits als Aufforderung genommen, das Tagungsprogramm und die inhaltliche<br />

Schwerpunktsetzung der Folgeveranstaltung klarer zu konturieren, sind aber<br />

in der generellen Linie der Veranstaltung dabei geblieben, den Verlauf der<br />

114


„Die Beteiligten übernehmen Verantwortung“<br />

Fortbildung für demokratisches <strong>Handeln</strong> in der Schule ganz nah aus den<br />

Erfahrungen und den Bedürfnissen der jeweiligen Teilnehmerschaft heraus zu<br />

entwickeln und insbesondere gute und gut dokumentierte Praxisprojekte aus dem<br />

Fundus des Wettbewerbs <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> als Anlass für die kritische<br />

Auseinandersetzung mit den eigenen Handlungsmöglichkeiten an der Schule zu<br />

nutzen. Ferner werden künftig möglichst für Projektverläufe verantwortliche<br />

Schülerinnen und Schüler eingeladen und der Draht des länderübergreifenden<br />

Diskurses in dieser Veranstaltung gestärkt – wie bereits erwähnt waren bereits bei<br />

den SALF-Tagungen der Jahre 2005 und 2006 Gäste aus der Türkei, aus Polen,<br />

aus Rumänien und aus Italien mit dabei. Demokratiepädagogik hat auch hier eine<br />

Aufgabe, gegen die Verengung des Blickwinkels auf den engen Horizont einzelner<br />

Schulen, Länder und Nationen zu wirken.<br />

Allemal gelingt der Tagung ein Start, der in gewisser Weise „mehrdimensional“ ist.<br />

So vermissen auf der einen Seite die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch die klare<br />

Vorgabe, das umfassende Konzept einer „Demokratiepädagogik“, die kriterial und<br />

begrifflich eindeutig sein soll. Auf der anderen Seite ist auffällig, wie schnell in<br />

grundlegende Aspekte einer schulischen Lernpraxis vor dem Hintergrund bestehender<br />

Erfahrungen hinein diskutiert wird, die zielstrebig in Problem-, Handlungs- und<br />

Aufgabenfelder der schulischen Gemeinschaft und einer Lebens- und Lernpraxis der<br />

Schülerschaft hineingreift, zu der Mündigkeit und Selbstbestimmungsfähigkeit<br />

unhintergehbare Voraussetzungen sind: „Demokratiepädagogik“ pur gleich zu<br />

Beginn!<br />

Aus dem ersten Internetbericht zur Tagung vom Herbst 2006 (W. Beutel)<br />

115


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer:<br />

Gute Praxis aus sächsischen Schulen –<br />

Ein Kaleidoskop von Projektbeispielen<br />

Die Projekte demokratischen <strong>Handeln</strong>s aus sächsischen Schulen und Initiativen<br />

bilden den Gegenstand und Schwerpunkt dieser Darstellung. In einer Einführung<br />

skizzieren wir zuerst die Projektauswahl und die Form der Darstellung (1.) sowie<br />

das Konzept von „Best-Practice“ (2.). Anschließend werden die Themenfelder<br />

vorgestellt und darauf aufbauend die Projekte skizziert (3.). Mit einem kleinen<br />

Überblick zu den Ergebnissen und Besonderheiten (4.) schließt dieses Kaleidoskop<br />

von Projektbeispielen.<br />

1. Projektauswahl und Darstellungsform<br />

Wir haben uns in der Auswahl auf beispielgebende Projekte aus den sechs letzten<br />

abgeschlossenen Ausschreibungsrunden der Jahre 2000 bis 2005 konzentriert. 34<br />

„Best-Practice“-Beispiele werden in fünf Themenfeldern zusammengefasst. Wir<br />

legen der Darstellung eine regelhafte Form in jeweils vier Schritten zugrunde:<br />

Zunächst wird das Ergebnis bzw. das Ziel eines Projektes beschrieben. In einem<br />

zweiten Schritt geht es um den Projektverlauf unter der Leitfrage: Was wurde<br />

getan Hierbei sollen besondere Elemente, Lernerfahrungen, mögliche Konflikte<br />

und Probleme sowie Aspekte der Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb der<br />

Schule angesprochen werden. Ein dritter Schritt will die Besonderheiten des<br />

jeweiligen Projektes im Sinne von praktischem Lernen von Politik und demokratischem<br />

Engagement ansprechen: Was war daran bemerkenswert Es handelt sich<br />

hierbei um Überlegungen, die Lesehilfen und Anregungen für weitere Projekte<br />

geben sollen, keinesfalls sind dies abgeschlossene systematische Analysen. Im<br />

vierten Schritt wird eine Adresse genannt, die es erlaubt, auf postalischem Wege<br />

Kontakt mit den Projektleitern bzw. den jeweiligen Schulen aufzunehmen und<br />

ggf. weitere Informationen einzuholen.<br />

Die Texte sollen einen Eindruck von den Chancen, aber natürlich auch von den<br />

Grenzen dieser Projekte demokratischen <strong>Handeln</strong>s geben. Sie sollen Anschaulichkeit<br />

und Anregungskraft in kompakter Weise vermitteln. Dass damit enge Grenzen<br />

in der Darstellung der meist sehr komplexen projektdidaktischen und schulischen<br />

Realität gezogen sind, liegt auf der Hand. Die Texte sind auf der Basis einer sorgfältigen<br />

Sichtung der bei unseren Ausschreibungen eingereichten schriftlichen<br />

Dokumentationen entstanden. Sie wurden – soweit möglich – mit den jeweiligen<br />

Einsendern abgestimmt und basieren damit in der Regel auf einer von den Autoren<br />

und den Projektleitern geteilten Sichtweise. Bei den Entwürfen und der redaktionellen<br />

Bearbeitung dieser „Best-Practice-Texte“ haben im Laufe der Jahre viele<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> –<br />

insbesondere auch die Studentinnen und Studenten der Friedrich-Schiller-Univer-<br />

117


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

sität Jena, die als wissenschaftliche und studentische Hilfskräfte in unserer<br />

Geschäftsstelle arbeiten – mitgewirkt. Dafür sind wir zu Dank verpflichtet.<br />

2. Best-Practice<br />

Was ist gemeint, wenn von „Best-Practice“ die Rede ist Das Wort steht für<br />

„gutes <strong>Handeln</strong>“ bzw. gute Praxiserfahrung und wird seit geraumer Zeit im<br />

Bereich der Sozial-, vor allem aber der Wirtschaftswissenschaften und im<br />

Management verwendet. Dort beschreibt es einen situativen Zugang auf fachlich<br />

substantielle Erfahrungen und Konzepte, die für die jeweilige Aufgabenstellung<br />

und Zieldefinition verwertbare Ergebnisse versprechen. Es handelt sich also nicht<br />

um eine analytische bzw. theoretische Kategorie, sondern eher um eine pragmatische<br />

Größe. In jüngerer Zeit ist der Begriff und der damit verbundene Ansatz, in der<br />

Unmittelbarkeit von praktischen Handlungskontexten nach Problemlösungen und<br />

herausragenden Erfahrungen zu suchen, um von da aus Entwicklungsmöglichkeiten<br />

zu beschreiben oder zu erarbeiten, auch in die Schulpädagogik eingedrungen.<br />

„Best-Practice“ steht insofern für beispielgebende und bereits empirisch gehaltvolle<br />

Konzepte, Modelle oder Projekte, die für ein zeitgemäßes Lernverständnis einschlägig<br />

sind. Wir erkennen deutlich: Der „Best-Practice“-Ansatz ist nicht primär<br />

theoriegeleitet, er geht nicht von systembezogenen Erfahrungen und Forschungen<br />

aus, sondern vom Einzelfall und dessen Umfeldbedingungen. Er unterstellt dabei,<br />

dass die „gute Praxis“ oder das „erfolgreiche <strong>Handeln</strong>“ für ähnlich gelagerte Aufgaben<br />

und Probleme ein hohes Maß an Anregungsgehalt und Lösungspotenzial bereithält.<br />

Es liegt auf der Hand, dass von dieser Sicht her die Erfahrungen, die das Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> mit seinen Ausschreibungen seit 1990 dokumentiert<br />

und auswertet, ein besonderes Potenzial an „Best-Practice“ bereitstellen.<br />

3. <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> – Die Themenfelder<br />

Nun hat das Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> gezeigt, dass die Projekte<br />

demokratischen <strong>Handeln</strong>s im Allgemeinen über Themen und Handlungsaufgaben,<br />

nicht über System- oder Verfahrensaspekte von Demokratie und Politik<br />

konstituiert werden. In der Anordnung der Beiträge in dieser Beispielsammlung<br />

folgen wir den Themenfeldern, die sich in unseren Gesamtauswertungen aus den<br />

uns vorliegenden nahezu 3000 Projekten ergeben, die in bis jetzt 16 abgeschlossenen<br />

Ausschreibungen dokumentiert worden sind. Es geht im ersten Bereich um<br />

„Schule, Schulleben und Schulpartnerschaft“ (a.), nachfolgend um „Zusammenleben,<br />

Umgang mit Gewalt und Minderheiten“ (b.), anschließend um<br />

„Geschichte: Gedenken, Mahnen und Erinnern“ (c.), sodann um „Kommune und<br />

lokales Umfeld“ (d.) und schließlich um „Welt und Umwelt“ (e.).<br />

Innerhalb dieser Themenfelder gehen wir in zeitlicher Reihenfolge von den<br />

ganz aktuellen Projekten der Ausschreibung 2005 zu den weiter zurückliegenden.<br />

Die Auswahl der Beispiele geht von der Prämisse aus, Exemplarisches aufzuzeigen<br />

und dabei auf mehreren Ebenen Vielfalt und Pluralität zu veranschaulichen:<br />

Schulen aus den verschiedenen Regionen des Landes sollen dabei sein, nahezu<br />

alle Schularten – insbesondere auch Grundschulen und Förderschulen – sollen<br />

zum Zuge kommen und überdies die Varianz und Breite von Themen und<br />

Handlungsformen abgebildet werden. Insofern sind alle diese Beispiele im besten<br />

Sinne exemplarisch. Sie sind anregende Praxisdokumentationen und sie stehen<br />

118


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

für viele andere herausragende Projekte aus sächsischen Schulen, denn es gibt<br />

noch viele, die wir dokumentieren könnten und wahrscheinlich noch mehr<br />

Beispiele, von denen wir nicht wissen, weil sie nicht dokumentiert und in unserem<br />

Wettbewerb nicht vorgelegt worden sind.<br />

Was sind nun die Kriterien und Schwerpunkte, die unsere Bündelung der<br />

Projekte in fünf Themenfelder begründen Die auf die Schule und das Schulleben<br />

bezogenen Projekte sind Aktivitäten, in denen die Schule als Ganzes und als<br />

Lebensraum im Zentrum steht. Dieser Themengruppe, die die Schule als<br />

Organisation, als Schulgemeinde, als Ort des Zusammenlebens, eben als „Polis“<br />

begreift, nimmt im Durchschnitt der Ausschreibungen etwa ein Drittel der<br />

Einsendungen ein. Dabei kommt nicht nur das Binnenleben der Schule in den<br />

Blick, sondern – besonders seit Mitte der 1990er-Jahre – auch Partnerschaften mit<br />

anderen Schulen, die die Basis gemeinsamer Projekt- und Lernarbeit sind. Der<br />

Bereich der schulbezogenen Projekte zeigt sich seit Beginn des Wettbewerbs als<br />

ein bleibend wichtiges Feld demokratischen Lernens. Wir stellen hier acht<br />

Projekte aus Sachsen vor.<br />

Dem Bereich der Projekte, die Aspekte des Zusammenlebens, des Umgangs<br />

mit Gewalt und mit Minderheiten beleuchten, sind in den bisherigen<br />

Ausschreibungen rund ein Viertel der eingesandten Projektdokumentationen<br />

zuzuordnen. Dabei geht es vor allem um das Verhältnis und den Umgang zwischen<br />

Gruppen verschiedener ethnischer oder regionaler Herkunft. Auch Fragen<br />

der Prävention und Intervention gegenüber Gewalt an der Schule spielen hier eine<br />

zunehmende Rolle und zwar in vielfältigen und wirksamen Formen. Neben<br />

Projekten, in denen Gewalt als alltägliche Erscheinung und als Umgangsproblem<br />

direkt und praktisch zum Thema wird, gibt es Projekte, die den kulturellen und<br />

historischen Hintergründen des Gewaltproblems nachgehen und beispielsweise<br />

durch eigene Recherchen Quellen und Ansätze von Fremdenhass oder<br />

Antisemitismus freilegen. Zu nennen sind hier schließlich die unterschiedlichsten<br />

Aktionen und Initiativen für Solidarität mit Schwächeren und Minderheiten. Nur<br />

selten kommen Projekte vor, die politische Formen der Gewalt, wie Kriege und<br />

Bürgerkriege, aufnehmen. Auch aus dem Bereich „Gewalt“ stellen wir acht<br />

Projekte vor.<br />

Einen großen Anteil an den Einsendungen nehmen die geschichtsbezogenen<br />

Projekte ein. Geschichte wird dabei nicht allein als wissenschaftlicher und kulturprägender<br />

Zugang zur Gegenwart verstanden, sondern ist vielmehr Anlass, Verantwortung<br />

für das Bestehen und die weitere Entwicklung der Demokratie in Deutschland<br />

zu übernehmen. Das Wechselspiel von geschichtlich geprägter Verantwortungsnahme<br />

in Blick auf politische Kultur und Handlungspraxis in der Bundesrepublik<br />

Deutschland rückt in den Ausschreibungen bundesweit gesehen den Fokus in<br />

diesem Feld auf die Geschichte des Nationalsozialismus und Formen und<br />

Methoden des Gedenkens, Mahnens und Erinnerns. Hier skizzieren wir ebenfalls<br />

acht Projekte, die bis auf eines, das von einer Mittelschule kommt, alle aus Gymnasien<br />

stammen. Immerhin sind dabei auch Fragen der deutschen Wiedervereinigung<br />

und der vorausgehenden Teilung Deutschlands Gegenstand von Projekten, insbesondere<br />

die Ereignisse um den 17. Juni 1953 in der ehemaligen DDR.<br />

Die Kommune und das lokale Umfeld sind ein nahe liegendes Feld demokratischen<br />

<strong>Handeln</strong>s und Lernens. Insbesondere der Versuch, auf die natürliche<br />

Gestaltung von Lebensräumen Einfluss zu nehmen, sich an kulturellen<br />

119


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Veranstaltungen intensiv zu beteiligen und Formen der kommunalpolitischen<br />

Partizipation von Kindern und Jugendlichen zu entwickeln, prägt diesen<br />

Themenschwerpunkt. Wir stellen zwei beispielgebende sächsische Projekte vor.<br />

Einen weiteren Themenkreis bilden Projekte unter dem weitgefassten<br />

Stichwort „Welt und Umwelt“. Wiederum acht Beispiele aus sächsischen Schulen<br />

werden hier skizziert. Dabei geht es in sechs Projekten sowohl um Fragen von<br />

unmittelbarem kommunal- und lokalpolitischem Gewicht im Bereich der<br />

Umweltpolitik und des schonenden Umgangs mit der Natur. In zwei Projekten<br />

spielen Aspekte des Lebens in einer gemeinsamen Welt, verstanden als entwicklungspolitische<br />

Dimension, die zentrale Rolle.<br />

a. Schule, Schulleben und Schulpartnerschaft<br />

Wie entsteht die Satzung eines Schülerrats<br />

Ein Projekt des Kreisschülerrats Leipziger Land in Borna (80/05)<br />

Das Ergebnis: Der sechzehnjährige Vorsitzende des Kreisschülerrats Leipziger<br />

Land erarbeitet überwiegend im Alleingang eine verbindliche Satzung für die Arbeit<br />

des Kreisschülerrats. Darin definiert er die Grundsätze von dessen Arbeit und strukturiert<br />

sie. Er sorgt ebenfalls für die demokratische Legitimation des Rats – die Satzung<br />

wird mit großer Mehrheit angenommen und tritt am 1. August 2005 in Kraft.<br />

Was wurde getan Sebastian Stieler wird im Oktober 2004 zum Vorsitzenden des<br />

Kreisschülerrats Leipziger Land gewählt. Ausgehend von seiner recht turbulent<br />

ablaufenden Wahl ist seine erste Amtshandlung der Vorschlag, eine verbindliche<br />

Satzung für alle Schülerräte auszuarbeiten. Seine Idee zielt darauf ab, die Einflussmöglichkeiten<br />

der Schülerräte öffentlicher zu machen sowie die Arbeit der Schülerräte<br />

demokratisch zu legitimieren und zu optimieren. Sein Vorschlag ruft zunächst<br />

nur geringe Resonanz hervor. Schließlich unterstützen zwei Mitglieder des Vorstandes<br />

Stielers Idee und Verfahrensweise und erarbeiten mit ihm gemeinsam einen<br />

Entwurf der Satzung. Diesen Entwurf schicken sie an alle Schulen im Kreisgebiet<br />

und berufen eine neue Sitzung ein, auf der über die neue Satzung beraten werden<br />

kann. Die Unterstützung für dieses Engagement verstärkt sich nun allmählich.<br />

Die neue Fassung senden sie an die Schülervertreter, die an der Sitzung nicht<br />

teilnehmen konnten. Gemeinsam legen sie u.a. fest, dass die Wahl des<br />

Vorsitzenden des Kreisschülerrats nunmehr auf zwei Jahre erfolgt. Dies garantiert<br />

eine gewisse Kontinuität der Arbeit. Die Zahl der Vorstandsmitglieder verringert<br />

sich auf drei Schüler, um eine engere und effektivere Zusammenarbeit zu<br />

gewährleisten. Des Weiteren legt die neue Satzung fest, dass Vorschläge für die<br />

Wahl des Vorsitzenden wenigstens eine Woche vor der anberaumten Wahl eingehen<br />

müssen und dass der Vorsitzende in geheimer Wahl auch in Abwesenheit<br />

gewählt werden kann. Zudem findet künftig pro Schulhalbjahr wenigstens eine<br />

ordentliche Vollversammlung des Rates statt. Die Satzung bestimmt außerdem<br />

das Stimmengewicht des Vorsitzenden, die Wahlberechtigten, setzt einen<br />

Zeitrahmen für die Vollversammlungen und definiert die Rechte und Pflichten<br />

der Vertreter. Der Kreisschülerrat beschließt diese überarbeitete Satzung mit großer<br />

Mehrheit, auch die Landrätin Petra Göring unterzeichnet sie; sie tritt am 1.<br />

August 2005 in Kraft. Damit schafft der Kreisschülerrat des Landkreises<br />

Leipziger Land eine demokratische Grundlage für seine Arbeit.<br />

120


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Initiative eines einzelnen Schülers, der in der Schülerratsarbeit andere<br />

zum Mitmachen ermutigt, zeigt die Möglichkeiten und die nachhaltige<br />

Wirkung basisdemokratischen Engagements und erfüllt zugleich die durch<br />

das Schulgesetz gegebenen Möglichkeiten der Mitbestimmung.<br />

• Die Initiative zur Nutzung und Konkretisierung der vorgegebenen<br />

Partizipationsmöglichkeiten durch die Schüler selbst erzeugt einen<br />

Legitimationsgewinn für die ansonsten eher als formal und vorgegeben<br />

betrachteten Verfahrenswege zur Willensbildung und Beteiligung an der<br />

Schülerratsarbeit.<br />

• Die schließlich erarbeitete neue Satzung des Kreisschülerrats belegt eine<br />

grundlegende Auseinandersetzung mit verwaltungsrechtlichen Fragen der<br />

gesetzlich geregelten Schülerbeteiligung. Die Projektteilnehmer schulen<br />

somit auch ihr Wissen um die rechtlichen Grundlagen demokratischer<br />

Partizipation.<br />

Kontakt: Sebastian Stieler, Kreisschülerrat Leipziger Land,<br />

Leipziger Straße 67, 04552 Borna.<br />

Schlichter bilden Schlichter aus.<br />

Ein Projekt der Mittelschule Niederwiesa (122/05)<br />

Das Ergebnis: Seit mehreren Jahren agieren Schülerinnen und Schüler der<br />

Mittelschule Niederwiesa als Streitschlichter an ihrer Institution. Im Juni 2004<br />

beschließen sie, jüngere Schüler der Klassen 5 und 6 als Streitschlichter zu qualifizieren.<br />

Sie erstellen selbst Ablaufpläne und Lehrmaterialien für ihre Kurse und<br />

führen die Veranstaltungen als Kompaktseminare in Eigenregie und in den Ferien<br />

durch. Nach einem Jahr nehmen sie den Teilnehmern eine Art „Abschlussprüfung“<br />

ab und dokumentieren die Ergebnisse auf Video, um ihre eigene Arbeit<br />

kritisch reflektieren und weiterentwickeln zu können.<br />

Was wurde getan Die Schlichtergruppe der Mittelschule Niederwiesa besteht<br />

seit Februar 2002. Zunächst lassen sich 15 Schüler als Schlichter ausbilden.<br />

Nachdem sie ihre Ausbildung erfolgreich absolviert haben, halten sie monatliche<br />

Treffen miteinander und wöchentliche Sprechstunden für alle Schülerinnen und<br />

Schüler der Schule ab. Nach zwei Jahren mit guter Resonanz für ihr Tun beschließen<br />

sie, ihr Wissen an jüngere Schüler weiterzugeben, um eine kontinuierliche<br />

Fortsetzung dieser kommunikativen und konfliktreduzierenden Kompetenz und<br />

Schulkultur zu gewährleisten. Die sechs ausgebildeten Schlichter kommen überein,<br />

die Ausbildung des Nachwuchses selbstständig zu organisieren und durchzuführen.<br />

In den Herbstferien 2004 beginnen sie ihr Projekt „Schlichter bilden<br />

Schlichter aus“, das aus insgesamt drei jeweils in den Schulferien stattfindenden<br />

Kompaktseminaren besteht. Die Ausbildung dauert ein Jahr und wird mit einer<br />

ebenfalls von den Schlichtern entwickelten Abschlussprüfung zertifiziert. Von<br />

den 12 Kandidatinnen und Kandidaten, die an dem Kurs teilgenommen haben,<br />

bestehen sechs diese Prüfung und erhalten ihr Zertifikat. Einen weiteren<br />

Prüfungstermin beraumen die Schlichter für die Winterferien 2006 an.<br />

121


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Die Unterrichtsinhalte, die Vermittlung sowie die Struktur der Ausbildung entwickeln<br />

die Schlichter selbst, basierend auf ihrer eigenen Ausbildung und ihren<br />

mehrjährigen Erfahrungen. Sie erläutern den Jüngeren Aufgaben und Verhaltensregeln<br />

eines Schlichters. Sie zeigen, wie in einem Gespräch jeder seinen<br />

Standpunkt vortragen und über seine Gefühle und Motivationen sprechen kann.<br />

Wichtig ist ihnen auch die empathische Herangehensweise, die es den Schlichtern<br />

ermöglicht, sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen und diese Perspektive auch<br />

den Konfliktparteien zu vermitteln. Die Schlichter demonstrieren zudem, wie<br />

Lösungsverschläge erarbeitet und Kompromisse gefunden werden können. Die<br />

Kompaktseminare fördern darüber hinaus den Gruppenzusammenhalt der<br />

Teilnehmer, deren Selbstbewusstsein und ihre Fähigkeit, mit Konfliktsituationen<br />

rational umzugehen.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Idee des Schlichtens basiert grundsätzlich auf einem basisdemokratischen<br />

Gedanken, nämlich dem, dass Schülerinnen und Schüler sich bei der<br />

Problemlösung gegenseitig unterstützen und vernünftig mit Konfliktsituationen<br />

umgehen lernen, um Eskalation zu vermeiden.<br />

• Hier bilden ältere Schüler jüngere Schulkameraden zu Schlichtern aus. Sie<br />

demonstrieren damit, dass sie in der Lage sind, ihr gelerntes Wissen und ihre<br />

soziale Kompetenz didaktisch aufzubereiten und an die nächste Generation<br />

weiterzugeben. Die jüngeren Schüler profitieren so von den Erfahrungen der<br />

älteren.<br />

122


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

• Die Schlichter handeln aus eigenem Engagement, arbeiten selbstständig und<br />

in ihrer Freizeit an der Umsetzung des Projektes. Auch die noch auszubildenden<br />

Schlichter nehmen als Freiwillige an dem Programm teil.<br />

Kontaktadresse: Regine Wollmann, Mittelschule Niederwiesa,<br />

Mühlenstraße 21, 09577 Niederwiesa.<br />

Schulprogramm.<br />

Ein Projekt des Georgius-Agricola-Gymnasiums in Glauchau (149/05)<br />

Das Ergebnis: Im Mittelpunkt des Projekts steht das von Lehrerinnen und<br />

Lehrern der Schule erarbeitete Schulprogramm. Es wird in enger Zusammenarbeit<br />

mit Eltern und Schülerschaft geschrieben und zielt darauf ab, den<br />

Schülerinnen und Schülern fachübergreifendes und selbstständiges Lernen zu<br />

vermitteln sowie Teamfähigkeit, Disziplin und Selbstvertrauen zu fördern. Um<br />

diese Ziele zu verwirklichen, nennt das Programm verschiedene „Säulen“ der<br />

Schularbeit, u.a. die Projekte „Lehren und Lernen“ und „Lebensraum Schule“.<br />

Was wurde getan In den Jahren 2001 bis 2003 erarbeiten die Lehrerinnen und<br />

Lehrer des Gymnasiums unter Anleitung eines Prozessmoderators der<br />

Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung und unter Mitwirkung der<br />

Schülerschaft und der Eltern ein Schulprogramm. Sie formulieren wichtige<br />

Grundprinzipien der schulischen Arbeit, z.B. die Zusammenarbeit mit regionalen<br />

Firmen und Vereinen, mit deren Unterstützung sie die Schule zu einem kulturellen<br />

Zentrum ihrer Region entwickeln wollen, sowie die Betonung von<br />

Transparenz gegenüber Eltern und Schülern. Um diese Ziele zu erreichen, werden<br />

fünf „Säulen“ für die schulische Arbeit konzipiert. Die erste heißt „Lehren<br />

und Lernen“ und umfasst Schnupperunterricht für künftige Gymnasiasten ebenso<br />

wie Fördermaßnahmen für lernschwache Schülerinnen und Schüler. Im<br />

Projekt „Lernen lernen“ soll die Methodenkompetenz der Schülerschaft gestärkt<br />

werden, eine Hausaufgabenbetreuung für die Klassen 5 und 6 ist ebenfalls<br />

geplant. Zudem wird in einigen Fächern bilingualer Unterricht auf Deutsch und<br />

Englisch durchgeführt. Die dadurch geförderte Fremdsprachenkompetenz der<br />

Jugendlichen kommt auch in den verschiedenen Partnerschaften mit in- und ausländischen<br />

Schulen zum Einsatz. Die zweite Säule „Lebensraum Schule“<br />

beschreibt die Schülerselbstverwaltung und den von den Schülern gewählten<br />

Vertrauenslehrer, das Konfliktlotsenprojekt der Stadt Glauchau, in dem als<br />

Mediatoren ausgebildete Schüler jüngeren Schülern bei der Lösung von<br />

Konflikten helfen, sowie den Debattierklub. Eine dritte Säule heißt „Eltern als<br />

Partner“ und bietet neben den klassischen Elternabenden auch thematische<br />

Elternabende zu erzieherischen Herausforderungen wie Sucht und Gewalt, schulische<br />

Anforderungen der Sekundarstufe oder zur Pubertät an. Zudem finden<br />

Elternstammtische statt und es gibt ein Konflikttrainingsangebot für Eltern. Die<br />

vierte Säule befasst sich mit der „Außenwirkung der Schule“, die die<br />

Schülerschaft durch die Gestaltung der Homepage mitbestimmt. Mit Hilfe dieses<br />

Internetauftritts haben sie z.B. Kontakt zu deutschen Auswanderern in<br />

Lateinamerika etablieren können. Hierzu gehört auch die AG Geschichte<br />

(148/05), die der Schule ein hauseigenes Museum eingerichtet hat. Die fünfte<br />

Säule schließlich ist der 1992 gegründete Förderverein der Schule. In ihm orga-<br />

123


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

nisieren sich Lehrer, ehemalige Schüler und Eltern und wirken an aktuell laufenden<br />

Teilprojekten der Schüler mit.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die einzelnen Aktivitäten und Projekte zeichnen das Gesamtbild einer engagierten<br />

und nicht nur auf bloße Wissensvermittlung ausgerichteten Einrichtung,<br />

an der sich Schülerinnen und Schüler aktiv am Wissenserwerb beteiligen.<br />

• Lehrer, Eltern und gegenwärtige sowie ehemalige Schüler werden im<br />

Schulprogramm als Partner verstanden, die gemeinsam ihre Schule entwickeln<br />

und fördern wollen. Zu diesem partnerschaftlichen Verbund gehören ebenso<br />

lokale Firmen und Vereine, die die Projekte der Jugendlichen unterstützen und<br />

ihnen auch außerhalb des Schulgebäudes Geltung verschaffen.<br />

• Die verschiedenen Fördermodelle suchen das individuelle Lernen der Schülerinnen<br />

und Schüler so gezielt wie möglich zu berücksichtigen und lassen sich<br />

als partizipative Form der Differenzierung des Lernens verstehen.<br />

Kontaktadresse: Annett Kirsten, Georgius-Agricola-Gymnasium,<br />

Pestalozzistraße 85, 08371 Glauchau.<br />

124


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Neue Wege öffnen! Schüler-Mit-Wirkung.<br />

Ein Projekt des Regionalschulamts Bautzen (171/05)<br />

Das Ergebnis: Die Schülervertreter des Lessing-Gymnasiums Hoyerswerda, des<br />

Städtischen Goethe-Gymnasiums Bischofswerda und der Gottlieb-Daimler-<br />

Mittelschule Bautzen führen gemeinsam mit dem Regionalschulamt Bautzen und<br />

der RAA einen Seminartag zum Thema „Qualitätsentwicklung an Schulen“<br />

durch. Sie beabsichtigen, ihr aus einem Modellversuch gewonnenes Wissen in<br />

diesem Bereich auch anderen sächsischen Schulen zugänglich zu machen.<br />

Was wurde getan Entscheidendes praktisches Gelenkstück der Zusammenarbeit<br />

von Schülerschaft auf Kreisebene und der regionalen Schulverwaltung ist<br />

ein Seminartag, der in enger Kooperation vorbereitet und durchgeführt wird. Die<br />

Handlungsperspektive liegt in der kooperativen und gemeinsam von Schülern<br />

und Lehrern verantworteten Impulsgebung für eine systematische Qualitätsentwicklung<br />

im schulischen Alltag.<br />

Ausschlaggebend hierfür war der Abschlusskongress des sächsischen<br />

Modell-versuchs PROFIL Q, einem Programm der Bund-Länder-Kommission<br />

für Bildungsplanung und Forschungsförderung mit dem Ziel der<br />

Qualitätsverbesse-rung in Schulen und Schulsystemen. Dabei stehen die<br />

Majuskeln PROFIL Q für „Professionalisierung, Regionalisierung, Organisationsentwicklung<br />

zur Förderung innovativen Lernens mit dem Ziel der<br />

Qualitätsverbesserung in Schulen und im Schulsystem Sachsen“. Die drei<br />

beteiligten Schulen haben sich in diesem Modellversuch engagiert und vertraten<br />

dabei den Schulamtsbezirk Bautzen.<br />

Auf dem Abschlusskongress im September 2004 reift bei den Schülervertretern<br />

der drei Schulen die Idee, ein Seminar von „Schülern für Schüler und<br />

Lehrer“ zu veranstalten, um die aus dem Modellversuch gewonnenen<br />

Erkenntnisse und Impulse an andere Schulen im Umkreis weiterzugeben. Angesichts<br />

der Tatsache, dass die Qualitätsentwicklung der Schule ein sich über einen<br />

längeren Zeitraum kontinuierlich fortsetzender Prozess ist, der auf der<br />

Zusammenarbeit von Lehrern und Schülern basiert, wollen die Beteiligten einen<br />

Beitrag zur regionalen Schulentwicklung leisten. Bei der Umsetzung dieser Idee<br />

werden sie durch das Regionalschulamt Bautzen und die RAA unterstützt. Auch<br />

gewinnen sie die Kreisschülerräte für ihr Vorhaben. Gemeinsam organisieren und<br />

veranstalten sie im Oktober 2005 einen Seminartag. An diesem Tag finden fünf<br />

Workshops statt, die das Thema der schulischen Qualitätsentwicklung aus unterschiedlichen<br />

Perspektiven beleuchten. So stehen Themen wie Schülerfeedback,<br />

Aufbau und Entwicklung einer effektiven Schülervertretung, innovative Lernund<br />

Lehrmethoden für Schüler und Lehrer sowie Schule und Wirtschaft im<br />

Mittelpunkt des gegenseitigen Austausches. Die Seminare werden von den<br />

Schülervertretern der drei Schulen sowie den Kreisschülerräten durchgeführt.<br />

Insgesamt nehmen an dem Seminar mehr als 100 Schüler und Lehrer mit<br />

Begeisterung teil, so dass eine Wiederholung des Schülerkongresses im folgenden<br />

Jahr erwogen wird.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• In besonderer Weise beeindruckt das Zusammenwirken von Schulverwaltung,<br />

Schulen und der Schülervertretung auf Kreisebene unter dem Ziel,<br />

125


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Schulentwicklung als qualitätsgenerierenden aktiven Prozess dieser Gruppen<br />

zu verstehen.<br />

• Bemerkenswert ist zudem, dass der Impuls zur Umsetzung einer Erfahrung<br />

und Handlungsstruktur aus dem Kontext eines BLK-Modellprogramms von<br />

der Kreisschülervertretung kommt.<br />

• Das Projekt zeigt Ansätze, die formal geregelte Schülerpartizipation auf<br />

Landesebene in Blick auf eine überschaubare Region mit Leben und<br />

Gestaltungskraft anzureichern.<br />

• Die Schülerinnen und Schüler engagieren sich nicht nur in herausragender<br />

Weise bei der Konzipierung und Organisation dieses Projektes, sondern auch<br />

ganz praktisch als Expertinnen und Experten bei der Durchführung des<br />

Seminartages.<br />

Kontaktadresse: Silvia Schubert, Regionalschulamt Bautzen,<br />

Otto-Nagel-Straße 1, 02625 Bautzen.<br />

1. Leipziger Schülerkongress.<br />

Ein Projekt des Stadtschülerrats Leipzig (110/02)<br />

Das Ergebnis: Im Mai 2002 findet der erste Leipziger Schülerkongress statt.<br />

Über 30 Jugendliche aus Leipzig diskutieren über Rechtsextremismus oder nehmen<br />

an einem Workshop zum Thema „Streitschlichter“ teil. Außerdem wird über<br />

Rechte und Möglichkeiten der Schülermitverwaltung informiert. Der Anklang ist<br />

groß und ein zweiter Kongress fest geplant.<br />

126


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Was wurde getan Die Idee zu dem Kongress hat der Leipziger Stadtschülerrat.<br />

Er hat zwei Ziele: Erstens will er Schülerinnen und Schülern zeigen, wie sie<br />

Einfluss auf ihre Schule nehmen können, und zweitens will er Jugendliche verschiedener<br />

Schulen untereinander bekannt machen. Die Tagung selbst teilt sich in<br />

drei Workshops auf: „Rechtsextremismus“, „Schülerstreitschlichter“ und „Rechte<br />

und Pflichten der Schülermitverwaltung“. In der letztgenannten Gruppe erfahren<br />

die Schüler beispielsweise, wie sie ein Schulfest organisieren können oder verstärkt<br />

in wichtige, schulinterne Entscheidungen einbezogen werden. Besonderes<br />

Interesse erfährt die Streitschlichtung. In Rollenspielen stellen die Teilnehmer<br />

typische Konfliktsituationen nach und formulieren gemeinsam Lösungsansätze.<br />

Dabei werden sie von erfahrenen Streitschlichtern unterstützt. In der Arbeitsgruppe<br />

„Rechtsextremismus“ findet eine offene und kritische Diskussion statt.<br />

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bewerten den Kongress in einer abschließenden<br />

Diskussion deutlich positiv, dabei heben sie die tolle Arbeitsatmosphäre<br />

hervor und betonen die gute Zusammenarbeit. Zum Erfolg des Kongresses trägt<br />

bei, dass die Workshops von Moderatoren geleitet werden, die vorher an einem<br />

eigenen Training des Regionalberaters von <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong> teilgenommen<br />

haben.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Schülerinnen und Schüler organisieren einen Kongress, mit dem sie die Entwicklung<br />

wichtiger sozialer und schulspezifischer Kompetenzen fördern:<br />

Strategien zur Konfliktlösung; Auseinandersetzung mit dem Thema „Rechtsextremismus“;<br />

Möglichkeiten, an der eigenen Schule Einfluss zu nehmen.<br />

• Die Jugendlichen erreichen in ihrer Vorbereitung einen semi-professionellen<br />

Organisationsgrad, der die Basis für das hohe Maß an Selbstverpflichtung und<br />

Arbeitsdisziplin legt. Ergebnisse und Erfolg dieses Kongresses hängen mit<br />

dieser gruppenbezogenen Selbstwirksamkeitserfahrung zusammen.<br />

• Der Stadtschülerrat Leipzig will längerfristige Strukturen der Willensbildung<br />

und Beteiligung fördern und legt deshalb großen Wert auf die Zusammenarbeit<br />

der Schülerverantwortungsgremien untereinander. Damit verbessert er<br />

die grundlegenden Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit aller<br />

Schülerinnen und Schüler Leipzigs.<br />

Kontaktadresse: Konstantin Wellner, Stadtschülerrat Leipzig,<br />

Lessingstraße 7, 04109 Leipzig.<br />

Schülerunternehmen „Exporterfolg“.<br />

Ein Projekt der 1. MS „Am Kupferberg“ in Großenhain (220/02)<br />

Das Ergebnis: Die Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen der<br />

Mittelschule „Am Kupferberg“ in Großenhain gründen ihr eigenes Unternehmen<br />

„Exporterfolg“. Sie exportieren Produkte aus ihrer Region zu ihrer Partnerschule<br />

in Glasgow und importieren und vertreiben im Gegenzug schottische Waren.<br />

Was wurde getan Im Rahmen des Schulprogramms „Wir sind eine Schule in<br />

Europa“ besuchen Schüler der neunten Klassen der Mittelschule Großenhain die<br />

Britische Botschaft in Berlin. Dabei erhalten sie die Anregung zur Gründung<br />

127


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

einer Schülerfirma, die durch „Achievers International“ unterstützt wird. Durch<br />

deren Vermittlung bekommen die jungen Leute Kontakt zu einer Partnerschule in<br />

Glasgow. 15 Schüler gründen mit Beginn des Schuljahres 2001/2002 ihr<br />

Unternehmen „Exporterfolg“. Zunächst setzen sich die Jugendlichen mit Zielen<br />

und Aufgaben der Firma auseinander und legen Verantwortlichkeiten und<br />

Arbeitsbereiche fest. In der eigenen Region bemühen sich die Schüler um<br />

Unterstützung durch Sponsoren und fachliche Anleitung. Gemeinsam erarbeiten<br />

sie einen Katalog mit einheimischen Produkten, den sie mit englischen<br />

Werbetexten ausstatten. Schließlich tauschen sie mit der schottischen Schule landestypische<br />

Produkte und Waren aus. Der Verkauf wird in der Schule und in der<br />

Öffentlichkeit, z.B. auf der Landesgartenschau, organisiert. Auch der Verkauf der<br />

sächsischen Produkte in Schottland läuft erfolgreich an. Inzwischen verfügt das<br />

Unternehmen über einen eigenen Versammlungs- und Lagerraum, eine feste<br />

Produktpalette und eine ausgeglichene Bilanz.<br />

128


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Projektteilnehmer erwerben mit ihrer Firma kaufmännische, werbetechnische<br />

und unternehmerische Fähigkeiten.<br />

• Sie gewinnen Selbstbewusstsein und beweisen Eigenständigkeit bei der<br />

Lösung von Aufgaben und Problemen. Sie lernen, im Team zu arbeiten und<br />

Verantwortung zu übernehmen.<br />

• Über ihre Patenschaft zu einer schottischen Schule verknüpfen die<br />

Jugendlichen lernende und wirtschaftliche Aspekte mit interkulturellem<br />

Lernen und Verstehen.<br />

• Die Partnerschaft wird durch das europäische Kooperationsprojekt zu einer<br />

gemeinsamen Aufgabe und Lernerfahrung.<br />

Kontaktadresse: Helga Klötzer, 1. MS „Am Kupferberg“,<br />

Clara-Zetkin-Weg 2, 01558 Großenhain.<br />

Die Politik-AG.<br />

Ein Projekt des Maria-Sybilla-Merian-Gymnasiums in Herrnhut (117/01)<br />

Das Ergebnis: Seit 1997 finden sich politisch interessierte Jugendliche der<br />

Schule in einer Politik-AG zusammen. Die Schülerinnen und Schüler gestalten<br />

diese AG als demokratisches Forum, in dem sie ein weltanschaulich und politisch<br />

breit gefächertes Programm realisieren.<br />

Was wurde getan Im Oktober 1997 gründen politisch interessierte und aufgeschlossene<br />

Jugendliche der damaligen Klassen 9 bis 12 am jetzigen Maria-<br />

Sybilla-Merian-Gymnasium Herrnhut eine Politik-AG. Ein entscheidendes Motiv<br />

dieser Initiative ist es, etwas gegen die Politikverdrossenheit und Lethargie der<br />

Schülerinnen und Schüler ihrer Einrichtung zu tun. Die Mitglieder wollen zur kritischen<br />

Meinungsbildung beitragen und jungen Menschen mehr Verständnis für<br />

Politik vermitteln, damit diese ihre eigenen politischen Entscheidungen treffen<br />

können.<br />

In diesem eigenständigen demokratischen Forum gilt folgende pädagogische<br />

Grundlage: Was in der Wissenschaft und in der Politik kontrovers diskutiert wird,<br />

wird auch in der AG-Runde kontrovers dargestellt und diskutiert. So sieht die<br />

Jahresplanung regelmäßig vor, mit Parlamentariern aller Ebenen und politischen<br />

Parteien sowie mit Vertretern gesellschaftlicher Organisationen ins Gespräch zu<br />

kommen, aktuelle und regional bedeutsame Themen zu diskutieren und<br />

Exkursionen, z.B. zum Deutschen Bundestag, zum Sächsischen Landtag und zum<br />

Europa-Parlament, durchzuführen. Die AG – mittlerweile zu einer festen Instanz<br />

der Schule geworden – besteht gegenwärtig aus 20 Schülerinnen und Schülern.<br />

Diese planen und organisieren ihr politisch und weltanschaulich breit gefächertes<br />

Programm selbst. Konsens besteht darüber, dass oberste Maxime die Achtung der<br />

Grund- und Menschenrechte des Einzelnen ist, auch bei unterschiedlichen politischen<br />

oder persönlichen Positionen. Aus ihrem Selbstverständnis heraus wirkt die<br />

AG über die regionale Presse auch in der Öffentlichkeit und engagiert sich zudem<br />

im kommunalen Bereich zu Themen der Jugendpolitik.<br />

129


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Hier handelt es sich um eine Initiative, die direkt aus der Schülerschaft hervorgegangen<br />

ist; sie zeichnet sich zwischenzeitlich durch Kontinuität und<br />

eine Wahrnehmung als fester Bestandteil der Schule aus.<br />

• Die Schülerinnen und Schüler versuchen mit dieser Arbeitsgemeinschaft, eine<br />

Brücke zwischen schulischem Lernen und <strong>Handeln</strong>, der lokalen Öffentlichkeit<br />

sowie der kommunalen Politik zu schlagen.<br />

• Indem versucht wird, die Parlamentsmitglieder der Region (auf Bundes- und<br />

Landesebene) in öffentliche Gesprächsrunden einzubeziehen, leistet die AG<br />

einen eigenständigen Beitrag zur Politikvermittlung.<br />

Kontaktadresse: Christoph Peschel, Maria-Sybilla-Merian-Gymnasium,<br />

Zittauer Straße 2, 02747 Herrnhut.<br />

Die Schülerselbstverwaltung.<br />

Ein Projekt der Förderschule (L) in Großenhain (225/01)<br />

Das Ergebnis: Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 9 bilden den<br />

Schülerrat der Förderschule Großenhain. Lösung von Konflikten an der Schule,<br />

die Pausengestaltung und Probleme im Unterricht sowie eine sinnvolle<br />

Gestaltung des Schulalltags und der Freizeit stehen auf der Tagesordnung der<br />

Schülermitverwaltung.<br />

Was wurde getan Der Schülerrat ist eine wichtige Institution an der Förderschule<br />

Großenhain geworden. Fast jeden Montag treffen sich seine Mitglieder –<br />

Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 9 – um wichtige Dinge zu besprechen.<br />

Ein großes Ziel des Schülerrats ist die Gewaltvermeidung an der Schule. So<br />

versuchen die Schüler, gemeinsam Konfliktlösungen zu finden und aktuelle<br />

Probleme sofort zur Sprache zu bringen. Die Mitglieder des Schülerrats verstehen<br />

sich dabei als Vorbilder für ihre Mitschüler. Die Unterstützung jüngerer durch<br />

ältere Schüler, die Gestaltung der Litfasssäule, die Durchführung einer wöchentlichen<br />

Schulfunksendung, die Arbeit an der Schülerwandzeitung, das Engagement<br />

in der neuen Bibliothek und die Organisation der Pausenversorgung im<br />

neu gegründeten Schulkiosk gehören zu den Aufgaben der Schülermitverwaltung.<br />

Dabei laufen viele verschiedene Projekte während des gesamten Schuljahres,<br />

des Unterrichts und in der Freizeit, so dass nahezu alle Schülerinnen und<br />

Schüler für ihre Schule aktiv werden und es gelingt, sie am Nachmittag „von der<br />

Straße“ zu holen.<br />

Der Sprecher des Schülerrats nimmt an wesentlichen Schulkonferenzen teil<br />

und vertritt dort die Interessen der Schülerinnen und Schüler. Gemeinsam mit den<br />

Elternsprechern werden aktuelle Höhepunkte aus dem Schulleben beraten und<br />

unterstützt. Angeleitet und betreut wird der Schülerrat durch die Beratungslehrerin<br />

der Schule.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Klassenübergreifend engagieren sich die Schülerinnen und Schüler für eine<br />

gute Lernatmosphäre an ihrer Schule.<br />

130


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

131


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

• Sie übernehmen Verantwortung und Pflichten füreinander. Überdies ermöglicht<br />

das Engagement für die Schule eine Orientierung auf eine zielbezogene<br />

und sinnvolle Freizeitgestaltung am Nachmittag.<br />

• Gemeinsam und selbstbestimmt werden Konfliktlösungen gefunden, die das<br />

Miteinander an der Schule fördern.<br />

• Die Schülerinnen und Schüler zeigen, dass sie bereit sind, sich Methoden<br />

demokratischen <strong>Handeln</strong>s anzueignen und Verantwortung zu übernehmen.<br />

Kontaktadresse: Dr. Wolfgang Brendel, Förderschule (L) Großenhain,<br />

Remonteplatz 9, 01558 Großenhain.<br />

b. Zusammenleben, Umgang mit Gewalt und Minderheiten<br />

Cool sein – ohne Gewalt.<br />

Ein Projekt der Humboldt-Mittelschule in Zwickau (37/05)<br />

Das Ergebnis: Elf Schülerinnen und Schüler der Klasse 9 der Zwickauer<br />

Mittelschule entwickeln einen Parcours zum Thema „Gewalt“, den sie in der<br />

Eingangsstufe der eigenen Schule und schließlich an der Nicolaigrundschule<br />

gemeinsam mit Grundschülern einer Klasse 4 als Workshop durchführen. Seit<br />

2006 besteht dieses Angebot des Parcours für alle vierten Klassen der<br />

Grundschulen in Zwickau-Stadt. Die Jugendlichen möchten die Jüngeren motivieren,<br />

Konflikte ohne Gewalt und unter Berücksichtigung der eigenen Stärken<br />

und der Schwächen anderer zu lösen.<br />

Was wurde getan In dem Neigungskurs „Cool sein – ohne Gewalt“, den elf<br />

Schülerinnen und Schüler der Klasse 9 besuchen, entwickeln die Jugendlichen<br />

gemeinsam mit ihrer Lehrerin die Idee, einen „Parcours“ zum Thema Gewalt zu<br />

erarbeiten. Vorbild sind die vom Jugendamt gestalteten Parcours-Angebote zu<br />

Themen wie AIDS, Drogen und Alkohol. Letztlich verbirgt sich dahinter ein auf<br />

mehrere Stationen bezogener Kurs der Auseinandersetzung mit dem Thema<br />

Gewalt, bei dem Aufgaben und Materialien vorbereitet und der Umgang mit dem<br />

Themenfeld systematisch erschlossen werden.<br />

Zunächst sammeln die Schülerinnen und Schüler in den Unterrichtsstunden<br />

„Material“ zum Themenkreis „Gewalt“ und bringen ihre Ideen zu Papier. Ihr Ziel<br />

ist es, das erarbeitete Wissen an Grundschulkinder weiterzugeben und damit<br />

einen Beitrag zur frühen Gewaltprävention zu leisten. So sollen verschiedene<br />

Formen von Gewalt thematisiert und die Kinder zum Nachdenken über ihre eigenen<br />

Verhaltensweisen angeregt werden. Dabei steht die Motivation eigener<br />

Stärken in Zusammenhang mit der Kompetenz, Konflikte rational, gesprächsbezogen<br />

und friedlich lösen zu können, im Vordergrund.<br />

Im Oktober 2005 veranstalten die Mittelschüler mit den Kindern der vierten<br />

Klassen der Nicolaigrundschule in Zwickau den „Parcours“. Sie üben mit ihnen<br />

die Konfliktbewältigung auf spielerische Weise und stellen dann mittels<br />

Pantomime die affektive und emotionale Seite von Gewalterfahrung und<br />

Gewalthandeln dar. Anhand eines Glücksrads erläutern sie Begriffe aus dem<br />

Umfeld des Phänomens Gewalt und ermutigen die Viertklässler, zur<br />

Beschreibung von Gewalt selbst Begriffe zuzuordnen und zu definieren. So fragen<br />

sie z.B., ob Boxsport eine Form von Gewalt ist, und führen anschließend<br />

132


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

problematisierende Gespräche mit den Kindern. Sie sprechen mit den Jüngeren<br />

über deren Fähigkeiten – denn nicht Schwächen, sondern die Wahrnehmung der<br />

eigenen Stärken sollen im Mittelpunkt stehen! Zum Abschluss des Parcours<br />

spielen sie das Lied „Starke Kinder“ des Liedermachers Rolf Zuckowski und<br />

diskutieren mit den Kindern darüber, was sie unter „Stärke“ verstehen und verstehen<br />

können.<br />

Insgesamt kommt der „Parcours“ bei den Viertklässlern gut an. Insbesondere<br />

das „Lernen“ und „Diskutieren“ mit den älteren Schülerinnen und Schülern nehmen<br />

sie positiv auf.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Das Projekt zielt auf den Grundzusammenhang zwischen Integrationserfahrung<br />

und Gewaltprävention. Das Thema wird dabei in Blick auf die<br />

Grundschule auf das Faktum „früher Erfahrungen“ von Einbeziehung und<br />

Anerkennung ausgerichtet.<br />

• Die Initiative geht von der Lehrerin aus, die Schülerinnen und Schüler übernehmen<br />

aber zügig und engagiert die Umsetzung des Konzeptes. Weitere<br />

gemeinsame Aktionen der beiden Schulen sollen folgen.<br />

• Durch Stärkung von Selbstwertgefühl und Aufklärung über Gewalt leistet das<br />

Projekt einen Beitrag zur Gewaltprävention.<br />

• In Blick auf Kinder und Jugendliche hat das Projekt einen intergenerativen<br />

Zugang. Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft der Grundschulkinder werden<br />

durch die Tatsache, dass die „älteren“ Schüler in der Rolle der Experten sind,<br />

sichtlich gestärkt.<br />

• Das Projekt läuft kooperativ und schulstufenübergreifend. Es leistet so auch<br />

einen Beitrag zur Frage der „Übergänge“ vom Primar- in das Sekundarschulwesen<br />

und zur Stärkung der Sekundarschulen, da diese mit einer schülergetragenen<br />

„Expertise“ auftreten können.<br />

Kontaktadresse: Petra Buhr, Humboldt-Mittelschule,<br />

L.-Streit-Straße 2, 08056 Zwickau.<br />

Unser Präventionskonzept – Förderung der Lebenskompetenzen.<br />

Ein Projekt des Georgius-Agricola-Gymnasiums in Chemnitz (187/05)<br />

Das Ergebnis: Mit Hilfe von schulischen und außerschulischen Partnern wird ein<br />

jugendspezifisches Präventionskonzept entwickelt. Es soll dazu beitragen, dass<br />

die Schülerinnen und Schüler gegen körperliche und seelische Gewalt, Rassismus<br />

und Ausgrenzung, Drogen und Sucht sowie für Gesundheit und Wohlbefinden<br />

eintreten können – für sich selbst und auch gegenüber anderen. Langfristige<br />

Perspektive ist das Konzept einer „Schule zum Wohlfühlen“.<br />

Was wurde getan Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern<br />

sowie die technischen Kräfte des Chemnitzer Gymnasiums und außerschulische<br />

Partner, z.B. Vertreter des Gesundheitsamtes und der Fachstelle für Drogen- und<br />

Suchtvorbeugung, treffen sich im Oktober 2004 zu einem Workshop, mit dem<br />

Ziel, eine „Schule zum Wohlfühlen“ zu schaffen.<br />

133


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

In acht Arbeitsgruppen wird über die theoretischen Grundlagen und die<br />

Realisierung eines jugendspezifischen Präventionskonzeptes beraten. Dieses<br />

stützt sich auf vier Säulen: „Gewalt“, „Drogen und Sucht“, „Rassismus und<br />

Ausgrenzung“, „Gesundheit und Wohlergehen“. Zur Organisation und<br />

Koordinierung der gesamten Präventionsarbeit wird die Arbeitsgruppe<br />

„Prävention“ gebildet. Auf freiwilliger Basis werden Strukturen geschaffen, die<br />

es ermöglichen sollen, das Konzept in der Schule umzusetzen.<br />

Innerhalb der vier Säulen gibt es konkrete Vorschläge zu einer aktiven<br />

Präventionsarbeit. Weil der Zugang über Gleichaltrige leichter gelingt, werden<br />

interessierte Schülerinnen und Schüler in Teilbereichen dieses Konzepts – wie<br />

Drogen, Rassismus, Aids und Streitschlichtung – ausgebildet. Sie werden in die<br />

Unterrichtsgestaltung einbezogen und haben die Aufgabe, ihre Mitschüler aufzuklären<br />

und als kompetente Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.<br />

Das Projekt findet nicht nur innerhalb der Schule, die beispielsweise den<br />

Arbeitsgruppen einen neu geschaffenen Seminar-, Gesprächs- und Arbeitsraum<br />

zur Verfügung stellt, Unterstützung. Weil Prävention auch Aufgabe der gesamten<br />

Gesellschaft ist, sollen zudem außerschulische Personen und Institu-tionen in das<br />

Projekt eingebunden werden, um an der Aufklärung, aber auch an der<br />

Weiterbildung der Projektteilnehmer mitzuwirken. Es gibt zahlreiche<br />

Kooperationsvereinbarungen, z.B. mit Polizei, Jugendamt, Krankenkassen,<br />

Sportvereinen und Therapiezentren.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Das Projekt zielt auf den Zusammenhang von Inklusionserfahrung und demokratischer<br />

Werthaltung. Es wird davon ausgegangen, dass möglichst viele<br />

Schülerinnen und Schüler in einer aufgeklärten und kritischen Haltung sich<br />

selbst gegenüber und damit auch kompetent für die „Peer“-Beziehungen in<br />

der Schule sowohl zur Gewaltvermeidung beitragen, als auch sich gegen<br />

Rassismus und explizit gegen Ausgrenzung stellen.<br />

PRÄVENTION<br />

gegen<br />

für<br />

Gewalt<br />

Rassismus<br />

Drogen<br />

und<br />

Süchte<br />

Gesundheit<br />

und<br />

Wohlbefinden<br />

134


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

• Bemerkenswert ist die kurzfristige Integrationsleistung aller schulischen<br />

Gruppen, die wesentlich auf einem Impuls der Schülerschaft beruht.<br />

• Das Projekt bezieht sich insbesondere in Blick auf kritische Formen auch<br />

jugendkultureller Gefährdung – wie bspw. Sucht und Drogen – direkt auf die<br />

Zusammenarbeit mit den Institutionen von Kommune und außerschulischer<br />

Jugendhilfe.<br />

• Die Perspektive von Konzept und Konzeptumsetzung zielt auf einen substanziellen<br />

Beitrag zur Konkretisierung eines gerechten und demokratischen<br />

Leitbildes für die Schule insgesamt.<br />

Kontaktadresse: Rolf Bauer, Georgius-Agricola-Gymnasium,<br />

Park der Opfer des Faschismus, 09111 Chemnitz.<br />

„Gesicht zeigen!“<br />

Ein Projekt des Vereins „Gesellschaft Bürger & Polizei e.V.“ in Bautzen<br />

(51/04)<br />

Das Ergebnis: Der gemeinnützige Verein arbeitet kontinuierlich seit September<br />

2001 und verfolgt das Anliegen, straffällig gewordene rechtsradikale Jugendliche<br />

zu resozialisieren. Um dem Einfluss rechtsextremen Gedankenguts auf Kinder und<br />

Jugendliche möglichst zeitig entgegenzutreten, organisiert der Verein u.a.<br />

Präventionsarbeit in allen Schultypen und anderen pädagogischen Einrichtungen in<br />

der Region. Mit mehreren Schulen entwickelt sich eine feste Partnerschaft.<br />

Was wurde getan Die mittel- bis langfristig angelegte Kooperation beinhaltet<br />

eine Veranstaltungsreihe mit Projektstunden und Projekttagen für Schülerinnen<br />

und Schüler. Die Vorbereitung der Projekttage erfolgt unter inhaltlicher wie organisatorischer<br />

Beteiligung der Schüler- und Lehrerschaft. Als modulares System<br />

angelegt, kann das Präventionsprojekt auf Niveau, Ansprüche und Zeitrahmen<br />

der Zielgruppen angepasst werden. Besonderer Wert wird von den Initiatoren auf<br />

die aktive Einbindung der Schülerinnen und Schüler gelegt.<br />

Dabei kommen verschiedene Arbeitselemente zur Anwendung: Eine Präsentationstafel<br />

weist an der Schule auf den bevorstehenden Projekttag hin. Eine<br />

Meinungsbox fordert zu Resonanz auf und gibt den Organisatoren eine Diskussionsbasis,<br />

die sie in den Gesprächsrunden mit den Jugendlichen nutzen können.<br />

Im Rahmen des Präventivprojekts wird über das Phänomen „Rechtsradikalismus“,<br />

das dort verbreitete Gedankengut und seine Erscheinungsformen, z.B.<br />

in Musik und Symbolen, informiert. Kompetente Gesprächspartner, z.B. aus<br />

Justiz, Polizei und Zivilgesellschaft, können einbezogen werden.<br />

Das modulare Präventionsprojekt bietet Schülergruppen die Möglichkeit, z.B.<br />

Dokumentationen zu erarbeiten, Videos zu drehen, Interviews zu führen oder<br />

Szenen einzustudieren. Es besteht das Angebot, dass junge Personen auftreten, die<br />

sich von der rechtsradikalen Szene abgewandt haben und über ihre Erfahrungen<br />

berichten. Besonders durch diese Authentizität und Anschaulichkeit sowie die<br />

Altersnähe zwischen den Beteiligten kann die Aufmerksamkeit der Schüler gewonnen<br />

werden. Die Ergebnisse der Projekttage werden gemeinsam mit den Jugendlichen<br />

aufgearbeitet und reflektiert, sodass sich die vermittelten Inhalte stärker einprägen.<br />

Innerhalb von 15 Monaten wurden bereits 46 Veranstaltungen realisiert.<br />

135


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Mit dem Präventionsprojekt soll einer möglichen Zuwendung der Jugendlichen<br />

zur rechtsradikalen Szene entgegengewirkt werden. Es versucht Auslöser von<br />

langfristig wirksamen Prozessen zu sein und versteht sich als Beitrag zur<br />

Stärkung der Demokratie. Ergänzt wird das Präventionsprojekt durch eine<br />

Ausstellung. Sie stellt die Gefahren von Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus<br />

dar, mit dem Ziel, möglichst anschaulich die Konsequenzen dieses<br />

Irrwegs aufzuzeigen. Inzwischen spricht das Präventivprojekt auch verstärkt<br />

Eltern und Lehrerschaft an. Der Verein erhält für die Finanzierung seiner Projekte<br />

staatliche Unterstützung.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Das Projekt zeigt ein herausragendes Beispiel zivilgesellschaftlichen<br />

Engagements im Sinne einer „Public-Private-Partnership“.<br />

• Die einzelnen und sehr variablen Module des Projekts greifen auf elementare<br />

Erfahrung, Anschaulichkeit und Aktivität statt auf Belehrung zurück.<br />

136


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

• Die Polizei als Träger hoheitlicher Aufgaben versucht im Zusammenwirken<br />

mit der Bürgerschaft ganz nah an den pädagogischen Institutionen der<br />

Region eine nachhaltige Strategie der Gewaltvermeidung bei Kindern und<br />

Jugendlichen zu implementieren.<br />

Kontaktadresse: Wolfgang Gnant, Gesellschaft Bürger & Polizei e.V.,<br />

Ostwaldstaße 19, 02625 Bautzen.<br />

Tranquilla Trampeltreu.<br />

Ein Projekt der Förderschule Altchemnitz in Chemnitz (36/03)<br />

Das Ergebnis: Im Kindermusikstück „Tranquilla Trampeltreu“ spiegeln sich eigene<br />

Erfahrungen der lernbehinderten Schülerinnen und Schüler aus Chemnitz wider:<br />

Auch ein etwas Langsamerer erreicht sein Ziel, wenn er konsequent an seiner<br />

Aufgabe arbeitet, so wie die Schildkröte Trampeltreu.<br />

Was wurde getan An der Schule Altchemnitz lernen 130 lernbehinderte Kinder<br />

und Jugendliche. Es ist Tradition, in jedem Schuljahr klassen- und jahrgangsübergreifende<br />

Projekte durchzuführen, die das Miteinander fördern. So entsteht auch<br />

die Idee für das Kindermusiktheater, an dem Schüler der Klassen 4 bis 9 bereits seit<br />

einigen Jahren zusammen arbeiten. Es knüpft an die Interessen der Schüler an und<br />

kann sich mit unterschiedlichen emotionalen und künstlerischen Mitteln äußern.<br />

Die Vorlage zum Stück „Schildkröte Tranquilla Trampeltreu“ entstammt dem<br />

gleichnamigen Kinderbuch von Michael Ende. Schritt für Schritt, mit viel Ausdauer<br />

und Geduld, müht sich die kleine Schildkröte an ihr großes Ziel – die Hochzeit des<br />

Sultans Leo an einem weit entfernten Ort. Sie besteht auf diesem beschwerlichen<br />

Weg viele Abenteuer und muss sich gegen Spott und Pessimismus der anderen<br />

Tiere durchsetzen, die nicht glauben, dass ein kleines Wesen eine so bedeutende<br />

und schwierige Aufgabe erfüllen kann.<br />

Mit Unterstützung des Kreativzentrums Chemnitz werden die Kostüme,<br />

Requisiten und das Bühnenbild hergestellt. In der Werkstatt entstehen mit Hilfe<br />

der Eltern Masken und Instrumente. Die Musikgruppe des Kreativzentrums übernimmt<br />

die musikalische Begleitung, und die Schüler proben eifrig. Auch in der<br />

Vorbereitung formt sich das Ganze langsam Schritt für Schritt zu einem Theaterstück.<br />

Im April 2003 findet die Premiere vor Schülern einer anderen Förderschule<br />

statt. In der Festwoche zum 10-jährigen Schuljubiläum erleben Eltern und Gäste<br />

die erfolgreiche Arbeit der Kinder. Auf dem Chemnitzer Weihnachtsmarkt sowie<br />

zur Schultheaterwoche präsentieren sich die Schüler in der Öffentlichkeit. Für die<br />

Gestaltung dieses Projektes erhält die Einrichtung vom Sächsischen Ministerium<br />

für Kultus die Auszeichnung „Schule mit Idee“.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Das Theaterstück spiegelt in unmittelbarer Weise die Situation der Schüler<br />

wider. Diese können die Aussage des Werkes konkret auf ihr eigenes Leben<br />

übertragen und werden so in den für sie wichtigen Elementartugenden<br />

Ausdauer und Optimismus bestärkt.<br />

• Kreative Arbeit in klassen- und jahrgangsübergreifenden Projekten stärkt den<br />

Zusammenhalt und hilft den lernbehinderten Schülern dabei, ihre Fähigkeiten<br />

und Persönlichkeiten zu entwickeln.<br />

137


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

• Die intensive Vorbereitung und erfolgreiche Aufführung des Stücks trägt dazu<br />

bei, dass die Lernbehinderten Erfolge erleben und Selbstvertrauen gewinnen.<br />

Kontaktadresse: Ines Bäurich, Förderschule Altchemnitz,<br />

Schulstraße 2, 09125 Chemnitz.<br />

Aktion Zivilcourage.<br />

Ein Projekt von Jugendlichen aus Pirna (44/03)<br />

Das Ergebnis: Eine Initiative junger Menschen versucht, den Gefahren des<br />

Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit mit einem komplexen Aufklärungsprojekt<br />

zu begegnen. Den großen Zuspruch, den die „Aktion Zivilcourage“<br />

erhält, bezeugen verschiedene öffentliche Auszeichnungen, die den demokratischen<br />

138


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Hintergrund und das gewaltpräventive<br />

Potenzial dieses Projektes hervorheben. www.zivilcourage-pirna.de<br />

Was wurde getan Hinter der „Aktion<br />

Zivilcourage“ verbirgt sich eine parteiunabhängige<br />

Initiative. Sie verfolgt das<br />

Ziel, das Demokratiever-ständnis von<br />

Kindern und Jugendlichen zu stärken.<br />

Die Mitglieder der Initiative sind Jugendliche<br />

im Alter zwischen 15 und 26<br />

Jahren, die sich ehrenamtlich gegen<br />

Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit<br />

engagieren.<br />

Bedingt durch die Ergebnisse der<br />

Wahlen von 1998 und einer zunehmenden<br />

Gewaltbereitschaft in der<br />

Sächsischen Schweiz wird die Aktion<br />

unter dem Motto „Die Vergangenheit<br />

können wir nicht ändern, aber unsere<br />

demokratische Zukunft müssen wir<br />

mitgestalten“ gegründet. Die Jugendlichen<br />

erarbeiten in verschiedenen<br />

Projekten Hintergründe und Konsequenzen<br />

des Rechtsextremismus.<br />

Mit ihrer Aufklärungsarbeit bietet die Initiative unterschiedliche Ansatzpunkte,<br />

die den Rechtsextremismus thematisieren. So werden in öffentlichen<br />

Informationsveranstaltungen Diskussionsrunden angeboten. Projektstunden<br />

geben Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, mit unterschiedlichen<br />

Materialien – vom Flyer bis zum Video – Informationen zum Thema zu diskutieren.<br />

Seminare und Lesungen vertiefen ausgewählte Aspekte. Bildungsfahrten zu<br />

Gedenkstätten konfrontieren die Jugendlichen vor Ort mit den geschichtlichen<br />

Ursachen und Wirkungen rechtsextremistischer Gesinnung. Einen weiteren<br />

Schwerpunkt bilden internationale Begegnungen, die sich auf Austauschprogramme<br />

von deutschen und tschechischen sowie deutschen und polnischen Kindern und<br />

Jugendlichen konzentrieren.<br />

Auf kulturellem Gebiet engagieren sich die Schülerinnen und Schüler bei der<br />

Gestaltung und Organisation von Theaterprojekten, Festen und Konzerten, die<br />

sich gegen Gewalt und Rechtsextremismus richten. Für Hilfe, Betreuung und<br />

Unterstützung von Opfern rechtsextremistischer Übergriffe stellt die Initiative<br />

eine 24-Stunden-Hotline zur Verfügung.<br />

Aufgrund der großen Resonanz sind weitere Projekte geplant, die das<br />

Zusammenspiel von Integration, Verständnis und demokratischer Bewusstseinsbildung<br />

bei Kindern und Jugendlichen vertiefen sollen.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Schüler greifen ein gerade in ihrer Region aktuelles politisches Problem auf –<br />

Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit – und versuchen, mit Öffentlichkeitsarbeit<br />

und Bildungsangeboten dagegen tätig zu werden.<br />

139


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

• Sie treten aktiv für eine Verständigung zwischen jungen Menschen verschiedener<br />

Nationalität ein und versuchen, die Wurzeln und Auswirkungen rechtsextremistischer<br />

Gesinnung in Jugendkulturen ihres Lebensraumes aufzuzeigen.<br />

• Die Jugendlichen entwickeln Anknüpfungspunkte für eine geschehensnahe<br />

Arbeit mit Betroffenen und Opfern des Rechtsradikalismus.<br />

Kontaktadresse: Sebastian Reißig, Aktion Zivilcourage,<br />

Postfach 100 228, 01782 Pirna.<br />

Langzeitprojekt Sicherheitspartnerschaft Schule-Polizei.<br />

Ein Projekt der 4. GS „Lindenschule“ in Hoyerswerda (62/03)<br />

Das Ergebnis: Kinder sorgen als Schülerpolizisten in ihrem Schulgelände für ein<br />

gewaltfreies Miteinander und verhindern gewalttätige Auseinandersetzungen. Sie<br />

arbeiten mit der staatlichen Polizei zusammen, üben Verantwortung ein und verbinden<br />

dies mit der Vorbereitung zu einer Ausbildung als Schülerstreitschlichter.<br />

Was wurde getan An der Grundschule mit ca. 200 Schülern geht eine<br />

„Schülerpolizei“ gegen Sachbeschädigungen und Diebstähle von Mitschülern<br />

vor. Das Projekt ist Teil einer Sicherheitspartnerschaft zwischen Schule und örtlicher<br />

Polizei, die seit 1998 besteht.<br />

Den Anstoß zu diesem Projekt gibt die hohe Zahl von Sachbeschädigungen im<br />

Umfeld der Lindenschule, für die Kinder und Jugendliche verantwortlich gemacht<br />

werden. Die Schule steht dieser Form von Gewalt machtlos gegenüber und wendet<br />

sich deshalb an die Polizei. So entsteht die Idee, „Schülerpolizisten“ auszubilden.<br />

Jeder Schüler der vierten Klasse kann Polizist werden, wenn er auch außerhalb seines<br />

Dienstes verantwortungsvolles Verhalten an den Tag legt. Die kleinen Polizisten<br />

sind an ihrem „POLDI-Sticker“ zu erkennen. Zu ihren Aufgaben gehört es,<br />

auf dem Schulhof auf die Einhaltung regelgerechten Verhaltens in den Ruhe-, Spielund<br />

Tobezonen zu achten. Sie versuchen, in Konfliktsituationen zu vermitteln. Jede<br />

Gruppe von Schülerpolizisten hat einen Chef, der die Aufgaben koordiniert.<br />

Zusätzlich umfasst die Sicherheitspartnerschaft zwischen Schule und Polizei<br />

auch einen Projekttag zum Thema „Gemeinsam Eigentum achten“, der kriminellem<br />

Verhalten von Kindern schon frühzeitig vorbeugen will. Den Kindern soll<br />

Mut gemacht werden, „Nein“ zu sagen, wenn Mitschüler sie zu fragwürdigen<br />

Aktionen verleiten wollen. Die Ergebnisse des Projekttages werden auf verschiedene<br />

Weise von den Kindern dokumentiert, z.B. als Gedicht, Zeichnung oder<br />

Geschichte. Sie sollen zu einem Kalender zusammengestellt werden. Für die<br />

Zukunft ist die Fortbildung der Schülerpolizisten zu Streitschlichtern geplant, die<br />

von Jugendlichen eines nahe gelegenen Gymnasiums durchgeführt werden soll.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Kinder übernehmen Verantwortung für ihre Altersgenossen in ihrem eigenen<br />

schulischen Umfeld. Sie lernen und kooperieren dabei mit Erwachsenen, d.h. mit<br />

Lehrern und Polizisten, im Bereich des sozialen Verhaltens.<br />

• Sie werden für die Probleme des menschlichen Zusammenlebens, für Konflikte,<br />

Kriminalität und Gewalt sensibilisiert.<br />

140


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

• Sie erfahren die Polizei als Partner und nicht als übermächtiges Gegenüber.<br />

• Neben der Übernahme von Verantwortung beschäftigen sich die Kinder auch mit<br />

den Ursachen krimineller Handlungen oder mit der Verführung des Einzelnen<br />

zur Straftat. Sie bearbeiten diese Fragen auf unterschiedlichen Wegen, und ihre<br />

innere Widerstandskraft gegen kriminelles <strong>Handeln</strong> wird gestärkt.<br />

Kontaktadresse: Renate Bergmann-Löwa, 4. GS „Lindenschule“,<br />

J.-G.-Herder-Straße 26, 02977 Hoyerswerda.<br />

soziales lernen.<br />

Das Jugendprojekt der Freiwilligen-Agentur Leipzig e.V. (116/02)<br />

Das Ergebnis: Über das Projekt „soziales lernen“ der Freiwilligen-Agentur<br />

Leipzig e.V. werden Jugendliche mit Menschen, die auf den ersten Blick „anders“<br />

sind, in Kontakt gebracht. In der schulischen Projektwoche arbeiten die<br />

Jugendlichen in sozialen Einrichtungen und finden Kontakt zu fremden<br />

Menschen und neuen Aufgabenbereichen.<br />

141


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Was wurde getan Die Freiwilligen-Agentur Leipzig e.V. startet im Jahr 2002 mit<br />

Unterstützung der Robert Bosch Stiftung, der Stiftung <strong>Demokratisch</strong>e Jugend und<br />

des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus das Projekt „soziales lernen“.<br />

Für die Umsetzung der Projektidee und die Projektleitung werden zwei junge<br />

Frauen gewonnen, die gerade erst die Schule beendet haben. Sie wollen Jugendliche<br />

ermutigen, Menschen zu erleben, die scheinbar „anders“ sind – alternative<br />

Lebensentwürfe und -praxen sowie andere Kulturen und soziale Lebenslagen sollen<br />

Toleranz und Bereitschaft für Pluralismus fördern.<br />

Im Rahmen des Projekts „soziales lernen“ bieten sie Schülerinnen und<br />

Schülern der Klassenstufen 9 bis 11 die Möglichkeit, soziale Einrichtungen<br />

Leipzigs und deren Tätigkeitsfelder kennenzulernen. In einem ersten<br />

Vorbereitungsseminar können die Jugendlichen über die Teilnahme und ihren<br />

Einsatzort entscheiden. Während des zweiten Seminars werden sie auf die<br />

Projekttage vorbereitet. In der Projektwoche arbeiten die Schüler in unterschiedlichen<br />

sozialen Bereichen. Die Projektdokumentation berichtet über die erste<br />

Arbeitswoche dieser Art mit 19 Schülerinnen des Werner-Heisenberg-<br />

Gymnasiums.<br />

Die Schülerinnen arbeiten in einer integrativen Kindertagesstätte, in zwei<br />

Seniorenwohnheimen, in einer Suchtberatungsstelle, in einem Wohnhaus für körper-<br />

und mehrfachbehinderte Erwachsene und in den Vereinen „Lebenslust statt<br />

Frust“ und „Leipziger Tafel“.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Jugendlichen erweitern ihren Erfahrungsraum und ihre Kenntnisse über<br />

soziale Lebenslagen, Formen der Ausgrenzung und Benachteiligung. Sie<br />

übernehmen Verantwortung und werden zu sozialem <strong>Handeln</strong> für die<br />

Gesellschaft motiviert.<br />

• Das Projekt überträgt Rahmenelemente von „Service-learning“ und trägt so<br />

zu einer zivilgesellschaftlichen Leistung der Jugendlichen ebenso bei wie zu<br />

einem Erfahrungslernen durch Hilfe und Unterstützung für Benachteiligte.<br />

• Durch das Projekt soll zugleich für die Schülerinnen und Schüler der Einstieg<br />

in Tätigkeitsfelder des freiwilligen sozialen Engagements erleichtert und<br />

gefördert werden.<br />

Kontaktadresse: Franziska Heinze und Maria Konieczny,<br />

Freiwilligen-Agentur Leipzig e.V., Große Fleischergasse 12, 04109 Leipzig.<br />

Antigewaltprojekt – Gewaltprävention in der Förderschule.<br />

Ein Projekt des Förderzentrums „Makarenko“ in Dresden (58/01)<br />

Das Ergebnis: Dieses Projekt widmet sich der Gewaltprävention an Schulen. Es<br />

wird ein Maßnahmekatalog präsentiert, der Schüler- und Lehrerschaft sowie die<br />

Eltern und damit die gesamte Schulgemeinde einbezieht. Die Beteiligten setzen<br />

sich mit unterschiedlichen Erscheinungsformen von Gewalt auseinander und<br />

unterbreiten Lösungsvorschläge.<br />

142


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Was wurde getan Ausgangspunkt für dieses Antigewaltprojekt ist die Tatsache,<br />

dass latente Gewalt und Gewaltbereitschaft unter Schülerinnen und Schülern zugenommen<br />

haben. Auch die Förderschule für Lernbehinderte ist davon betroffen.<br />

Deshalb sollen die Erziehungsaspekte und die Vermittlung gesellschaftlicher<br />

Normen stärker beachtet werden. Sozialtrainingsprogramme wenden sich dabei an<br />

alle Schülerinnen und Schüler mit der Suche nach praktikablen Lösungen bei auftretenden<br />

Problemen. Es geht den Beteiligten am Projekt darum, hinzuschauen und<br />

nicht wegzusehen, einzugreifen und nicht zu billigen!<br />

143


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Dazu müssen Pädagogen, Schüler und Eltern gleichermaßen zum Nachdenken<br />

und aktiven <strong>Handeln</strong> gewonnen werden. Mit diesem Projekt sollen Einstellungsund<br />

Verhaltensstrukturen, die zu gewalttätigem Verhalten führen können, aufgezeigt<br />

und langfristig geändert werden. Geplant haben die Teilnehmer u.a. ein<br />

Kontakttelefon für Gewaltopfer, eine Fragebogenerhebung zur gegenwärtigen<br />

Situation an der Schule und die Ausbildung von Streitschlichtern unter den<br />

Schülern. Die Projekttage der sechsten und siebenten Klassen gegen Gewalt und<br />

Kriminalität sind ein Höhepunkt, wobei sich die Kinder in spielerischer Weise<br />

und in Diskussionen mit der Problematik auseinandersetzen.<br />

Im Rahmen des Unterrichtsfaches „Gemeinschaftskunde“ nehmen die<br />

Klassen 6 bis 10 am Schülerwettbewerb zur politischen Bildung der<br />

Bundeszentrale unter dem Thema „Wege aus der Gewalt“ teil. Gegenwärtig<br />

ergänzen selbst geschriebene und gestaltete Theaterstücke das Projekt. Eine<br />

Schulsozialarbeiterin unterstützt seit kurzem das Engagement der Schule.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Entwicklungsangemessen und unter Berücksichtigung der besonderen<br />

Lernlage der Schülerinnen und Schüler wird ein breites Spektrum an Themen<br />

und Handlungsformen eingesetzt, um die gesamte Schule in die Auseinandersetzung<br />

mit dem Thema „Gewalt“ einzubeziehen.<br />

• Es ist gelungen, in der Schulgemeinde einen großen Konsens für die<br />

Bereitschaft und den Willen zur Gewaltprävention zu finden.<br />

• Die Mitwirkung aller Schüler kann, langfristig gesehen, zu einer Veränderung<br />

des Schulklimas beitragen, wobei sich die dabei gewonnenen Einsichten der<br />

Beteiligten auch im persönlichen <strong>Handeln</strong> außerhalb der Schule niederschlagen.<br />

• Die Projektergebnisse und -materialien werden allen Schulen des<br />

Regionalschulamtsbereiches Dresden zur Verfügung gestellt. Das Projekt<br />

kann so durch Multiplikation zu einer breiten Wirkung gebracht werden.<br />

Kontaktadresse: Matthias Kranz, Förderzentrum „Makarenko“,<br />

Leisniger Straße 76, 01127 Dresden.<br />

c. Geschichte: Gedenken, Mahnen und Erinnern<br />

Sterilisation und Euthanasie während des Nationalsozialismus.<br />

Ein Projekt des Clara-Wieck-Gymnasiums in Zwickau (25/05)<br />

Das Ergebnis: Im Jahr 2004 starten mehrere Schülerinnen und Schüler der elften<br />

Klasse des Clara-Wieck-Gymnasiums in Zwickau das Projekt „Sterilisation<br />

und Euthanasie während des Nationalsozialismus“. Ausgangspunkt ist der<br />

Religionsunterricht, in dem sie sich mit dem Thema beschäftigen. Nach umfangreichen<br />

und schwierigen Recherchen erstellen die Schülerinnen und Schüler<br />

schließlich eine Ausstellung, die in Zwickau und anderen Orten der Region<br />

gezeigt wird.<br />

Was wurde getan Nachdem die Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht<br />

mit den Gräueltaten der Nazis im Dritten Reich konfrontiert wurden,<br />

beschäftigt sie vor allem das damalige Geschehen in ihrer unmittelbaren<br />

Umgebung. Doch auch in Zwickau gibt es zunächst Hindernisse in der Ausein-<br />

144


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

andersetzung mit diesem Thema. So haben es die Jugendlichen schwer, historische<br />

Dokumente zu finden oder Zeitzeugengespräche zu führen. Aber die<br />

Projektgruppe gibt nicht auf, sondern arbeitet sich systematisch in das Thema ein.<br />

Dabei machen sie ebenso das verbrecherische Zusammenspiel von Ärzten und<br />

Juristen publik, das für die Durchsetzung des „Erbgesundheitsgesetzes“ sorgte,<br />

wie sie auch auf die Schicksale der Sterilisationsopfer eingehen. Die Jugendlichen<br />

dokumentieren mit Fotos und Texten die Tötungsmaschinerie der Nazis,<br />

die „lebensunwerte“ Menschen betraf, unter anderem auch Fälle von<br />

Kindereuthanasie. Vergessen werden auch nicht die wenigen außergewöhnlich<br />

mutigen Menschen vor Ort, die sich der Rassenideologie der Nazis entgegenstell-<br />

145


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

ten, wie etwa der Pfarrer Hermann Gocht, der fünf taubstumme Menschen vor der<br />

Vergasung bewahrte.<br />

Die Projektgruppe erarbeitet auf Basis ihrer Recherchen mehrere Schautafeln,<br />

die sie zuerst im Landgericht Zwickau zur Ansicht aufstellen. Aufgrund der lebhaften<br />

Resonanz der Öffentlichkeit werden diese Schautafeln zu einer Wanderausstellung<br />

umgestaltet, die in mehreren Städten gezeigt wird. Im Rahmen des<br />

Projekts erstellen die Jugendlichen zudem eine Gedenktafel und übergeben die<br />

von ihnen recherchierten Opferakten dem Stadtarchiv Zwickau. Weiterhin organisieren<br />

die Schüler Gesprächsforen mit Zeitzeugen, in denen die Bevölkerung<br />

aus erster Hand von den Verbrechen der Nationalsozialisten erfahren kann.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Jugendlichen beziehen ihre geschichtlichen Arbeiten zum Nationalsozialismus<br />

bewusst auf ihre Heimatregion. Dabei stoßen sie auf Tabus und<br />

versuchen dennoch, kontinuierlich die Spuren der NS-Zeit vor Ort herauszuarbeiten.<br />

• Die Schülerinnen und Schüler machen die Ergebnisse über ihre Schulgrenzen<br />

hinaus öffentlich bekannt. Sie leisten mit Ausstellung, Erschließung von<br />

Dokumenten für das Stadtarchiv und mit einer Gedenktafel eine zivilgesellschaftliche<br />

Erinnerungsarbeit, die öffentlich sichtbare Spuren hinterlässt – ein<br />

Beitrag zur historischen Aufklärungsarbeit vor Ort.<br />

• Insbesondere die Aufarbeitung der Verwicklungen von örtlicher Justiz und<br />

Medizin in das „Euthanasie“-Programm der Nationalsozialisten macht auf<br />

bedrückende Weise die Ausgrenzung einer benachteiligten Minderheit und<br />

den staatlichen Mord offensichtlich.<br />

• Aufgrund der Beharrlichkeit der Jugendlichen, ihrer gründlichen historischen<br />

Arbeit und Expertise und ihres öffentlichkeitsbezogenen Umgangs mit den<br />

Ergebnissen wird die bürgergesellschaftliche, demokratie- und wertbezogene<br />

sowie gewaltpräventive Dimension ihrer Arbeit deutlich sichtbar.<br />

Kontaktadresse: Dr. Edmund Käbisch, Clara-Wieck-Gymnasium,<br />

Platz der Deutschen Einheit 2, 08056 Zwickau.<br />

AG Geschichte.<br />

Ein Projekt des Georgius-Agricola-Gymnasiums in Glauchau (148/05)<br />

Das Ergebnis: In verschiedenen Teilprojekten der AG Geschichte pflegen<br />

Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 10 bis 12 die nahe Grimma gelegene<br />

Schlossruine Döben, forschen zur Betriebsgeschichte lokaler Firmen, gestalten<br />

einen Kalender zum Agricola-Jahr 2005 und für 2006 und erstellen eine<br />

Mappe mit historischen Ansichten Glauchaus, die von ihrer Heimatstadt in limitierter<br />

Auflage hergestellt und nun als Ehrengabe verwendet wird.<br />

Was wurde getan Im Jahre 1996 organisiert der Geschichtslehrer des<br />

Gymnasiums erstmals ein Praktikum auf der Schlossruine Döben, das in die<br />

Gründung der AG mündet. Die seit dieser Zeit bestehende Arbeitsgemeinschaft<br />

Geschichte erfährt mittlerweile Unterstützung von lokalen Firmen und Vereinen<br />

146


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

und von ehemaligen Mitgliedern der AG. Gegenwärtig sind insgesamt 24 Schüler<br />

in der AG aktiv.<br />

Im Jahr 2005 führen sie verschiedene Projekte durch. Sie errichten den durch<br />

Vandalismus zerstörten Lehmbackofen an der Schule neu, den die AG vor Jahren<br />

gebaut hatte. Sie backen selbst Brot darin, um es an Schüler, Lehrer und Eltern<br />

zu verkaufen. Sie erarbeiten eine Chronik der Betriebsgeschichte der Glauchauer<br />

Firma Rucks, die seit 160 Jahren besteht. Die Firma spendiert im Gegenzug die<br />

Ofentür für den rekonstruierten Lehmbackofen. Für das Agricola-Jahr 2005 und<br />

auch für 2006 erstellen die Jugendlichen gemeinsam mit der Firma Compumax<br />

einen Kalender im Format A3, der historische Ansichten Glauchaus, der<br />

Heimatstadt Agricolas, aus der Zeit um 1900 mit Bildern aus der Gegenwart verbindet.<br />

Zudem erarbeiten sie eine Mappe mit zehn historischen Stadtansichten,<br />

die die Stadt in limitierter Auflage erwirbt und als Ehrengabe verwendet.<br />

Die Stadt Glauchau ist zu einem Partner der AG geworden, die ihre Arbeit<br />

verschiedene Male unterstützt hat, sie aber auch als Gegenüber mit fachlicher<br />

Expertise – wie bei der Planung der Feierlichkeiten im Agricola-Jahr – versteht.<br />

Die Schülerinnen und Schüler arbeiten auch gemeinsam mit dem Denkmalverein<br />

von Glauchau, z.B. an der Beschilderung der Sehenswürdigkeiten der Stadt. Eine<br />

zentrale Aktivität bleibt die Wahrnehmung denkmalpflegerischer Aufgaben an<br />

der Schlossruine Döben, der immer noch ein jährliches Praktikum gewidmet ist.<br />

Schüler haben bisher verschüttete Teile der Ruine freigelegt und zu erhalten versucht,<br />

indem sie schützende Trockenmauern errichten. Fundstücke bergen und<br />

reinigen sie und ordnen sie einer historischen Epoche zu. Ihre Fortschritte während<br />

des Praktikums dokumentieren sie durch Fotos.<br />

147


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Das Projekt stärkt die Bindung der Schüler an ihre Heimatregion, für deren<br />

Gestaltung und Pflege sie Verantwortung übernehmen. Die dadurch geförderte<br />

Bindung durch Wissen von und <strong>Handeln</strong> für die Stadt soll zudem der<br />

Migrationsbewegung junger Einwohnerinnen und Einwohner in die alten<br />

Bundesländer entgegenwirken.<br />

• Die Schülerinnen und Schüler etablieren durch ihre Arbeit Kontakte zu regionalen<br />

Firmen, die sich bei der späteren Arbeitssuche positiv auswirken können.<br />

• Die Jugendlichen erwerben in diesem Projekt durch selbstständige Arbeit<br />

Grundwissen in handwerklichen und künstlerischen Feldern.<br />

• Das Projekt schult Teamwork, Verantwortungsbereitschaft und Zivilcourage.<br />

Die Schüler lernen, ihre Arbeit gegenüber Außenstehenden und der lokalen<br />

Öffentlichkeit darzustellen.<br />

Kontaktadresse: Hubertus Schrapps, Georgius-Agricola-Gymnasium,<br />

Pestalozzistraße 85, 08371 Glauchau.<br />

17. Juni 1953 in Zodel: Demokratie für einen Tag.<br />

Ein Projekt der Mittelschule Zodel in Neißeaue (49/04)<br />

Das Ergebnis: Schülerinnen und Schüler aus fünf Klassenstufen untersuchen in<br />

einer Projektgruppe die Ereignisse am 17. Juni 1953 in ihrer Heimatregion. Sie<br />

erforschen das Schicksal von damals inhaftierten Regimegegnern und treffen sich<br />

mit deren Hinterbliebenen und Zeitzeugen. In einer Ausstellung sowie einer landesweiten<br />

Rundfunksendung informieren sie die Öffentlichkeit über ihre Ergebnisse<br />

und halten die Erinnerung an die damaligen Ereignisse und ihre Opfer wach.<br />

Was wurde getan Durch Heidi Roth, Autorin eines Buches über die Ereignisse um<br />

den 17. Juni 1953 in Sachsen, werden Schülerinnen und Schüler der Mittelschule<br />

Zodel angeregt, sich über die damaligen Vorkommnisse in ihrer Heimatregion zu<br />

informieren. In einer Projektgruppe untersuchen sie die Ursachen und den historisch-politischen<br />

Kontext der Ereignisse. Sie recherchieren detailliert den genauen<br />

Verlauf des Geschehens in den Orten Görlitz und Zodel. Sie erkunden unter anderem<br />

die Lebensdaten und Schicksale von sieben Bürgern ihres Ortes, die man im<br />

Zusammenhang mit den Ereignissen vom 17. Juni verhaftet und zum Teil zu langjährigen<br />

Haftstrafen verurteilt hat. Bei der Auswertung historischer Dokumente und<br />

Zeitungsartikel stoßen sie auch auf Belege dafür, dass sich Einwohner für die<br />

Freilassung der Inhaftierten einsetzten und Pflichtverteidiger sich erfolglos um faire<br />

Prozessabläufe bemühten. Schließlich erfahren sie, dass die Rehabilitierung der<br />

Verurteilten erst im Jahr 1991 erfolgte. Sie veröffentlichen in der Zeitung Artikel, in<br />

denen sie über ihr Projekt informieren und die Bevölkerung um Unterstützung bei<br />

der Suche nach Zeitzeugen bitten. Mit ihnen und Hinterbliebenen der Inhaftierten<br />

sprechen sie über die Ereignisse des 17. Juni und die Folgen der Inhaftierung von<br />

Angehörigen für die Familie. Das Zusammentreffen dokumentieren sie in einem<br />

Videomit-schnitt. Gemeinsam mit diesen Angehörigen gedenken sie an den Gräbern<br />

der inzwischen verstorbenen Einwohner, die für ihre freie Meinungsäußerung seinerzeit<br />

verurteilt wurden. Sie besichtigen mit den Angehörigen das Gefängnis, in<br />

148


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

dem die Verurteilten ihre Haftzeit verbringen mussten. Die Ergebnisse ihrer<br />

Recherchen stellen sie in ihrer Schule aus und berichten darüber in einer landesweit<br />

ausgestrahlten Radiosendung. Schließlich werden sie zur offiziellen Gedenkveranstaltung<br />

des Freistaates Sachsen anlässlich des 50. Jahrestages des 17. Juni 1953<br />

nach Görlitz eingeladen und übergeben dem Ministerpräsidenten des Freistaates ihre<br />

Arbeitsergebnisse.<br />

Inzwischen hat das Projekt eine Fortsetzung gefunden, indem im Ort gemeinsam<br />

mit Bürgern und Mitgliedern der Projektgruppe eine Gedenktafel enthüllt<br />

worden ist, die an die damals Inhaftierten erinnert.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Schülerinnen und Schüler widmen sich ausgehend von den eigenen Interessen<br />

einem historisch bedeutsamen Thema, das sie in eigener Verantwortung bearbeiten.<br />

• Sie machen die Ereignisse um den 17. Juni 1953 für sich und andere greifbar,<br />

indem sie deren Auswirkungen in ihrer unmittelbaren Umgebung suchen und<br />

aufzeigen. Durch den Kontakt mit persönlich Betroffenen und Zeitzeugen<br />

wird die Geschichte lebendig.<br />

• Mit ihren öffentlichen Arbeiten, wie der Dokumentation und der Rundfunksendung,<br />

leisten die Jugendlichen einen Beitrag zur Aufarbeitung eines in der<br />

ehemaligen DDR tabuisierten historischen Ereignisses und halten die Erinnerung<br />

an die Opfer lebendig.<br />

• Das Projekt zeigt auch in der Kommune bürgergesellschaftliches Engagement,<br />

indem sie sich mit der Gedenktafel für ein öffentlich sichtbares Erinnern<br />

an die Ereignisse und insbesondere an die Zivilcourage der Verurteilten<br />

einsetzen.<br />

Kontaktadresse: Ulrike Conrad, Mittelschule Zodel,<br />

Dorfstraße 162, 02829 Neißeaue / OT Zodel.<br />

Der 17. Juni 1953 – Hintergründe, Einzelschicksale und Propaganda.<br />

Ein Projekt des Evangelischen Gymnasiums Johanneum in Hoyerswerda (45/03)<br />

Das Ergebnis: Schülerinnen und Schüler greifen ein wichtiges Stück des politischen<br />

Widerstandes in der frühen DDR auf: den Aufstand vom 17. Juni 1953, den<br />

das SED-Regime blutig niedergeschlagen hat. Die Schüler recherchieren zu diesem<br />

historischen Ereignisund präsentieren die Resultate ihrer Arbeit der Öffentlichkeit.<br />

Was wurde getan Das Evangelische Gymnasium Johanneum Hoyerswerda nimmt<br />

den 50. Jahrestag der Aufstände des 17. Juni 1953 zum Anlass, die Hintergründe und<br />

Auswirkungen dieses Tages auf die Regionen von Hoyerswerda und Lauchhammer<br />

zu untersuchen. An einer sehr ausführlichen Recherche und der umfassenden schriftlichen<br />

Ausarbeitung der Ergebnisse beteiligen sich fünf Schülerinnen und Schüler<br />

der elften Klasse sowie eine betreuende Lehrerin. Dabei sind die Aufgaben so aufgeteilt,<br />

dass die Schüler die Archivarbeit sowie die Analyse des Materials und die<br />

Darstellung in der Öffentlichkeit vornehmen, während die Lehrerin die Endredaktion<br />

übernimmt.<br />

149


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

In achtmonatiger Arbeit entsteht eine Broschüre, die sich mit folgenden Einzelaspekten<br />

des Themas beschäftigt: Vorgeschichte und Auswirkungen auf den Raum<br />

Hoyerswerda, Berichte der „Lausitzer Rundschau“ aus Cottbus über das Geschehen<br />

am 17. Juni 1953, Interview mit einem Augenzeugen, Propaganda in den SED-Betriebszeitungen<br />

„Der Plan“ und „Der Koker“, die Rolle der DDR-Staatssicherheit<br />

während der Erhebung sowie Hintergründe des Aufstands in Lauchhammer.<br />

Dabei bearbeiten jeweils ein bis zwei Schüler ein Thema und verfassen einen<br />

Artikel dazu. Verhörprotokolle der Stasi oder auch Haftbefehle gegen Aufständische<br />

sind Teile des quellengeschichtlichen Materials, mit dessen Hilfe die<br />

Schüler ihre Artikel untermauern. In zwei Ausstellungen sowie in einer Schaufensterpräsentation<br />

stellen die Schüler ihre Arbeit der Öffentlichkeit vor.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• In diesem Projekt erarbeiten Schülerinnen und Schüler auf zwei sächsische Orte<br />

bezogen die Ereignisse des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953.<br />

• Dabei gehen sie systematisch und arbeitsteilig in Blick auf verschiedene<br />

Aspekte dieses Ereignisses vor. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der<br />

durch die SED-Diktatur überformten Presseberichterstattung und mit der<br />

Rolle der Staatssicherheit sowie ein Augenzeugeninterview stellen den politischen<br />

Kern des Geschehens in den Mittelpunkt.<br />

• Mit den Ergebnissen ihrer Recherchen gehen die Schüler an die Öffentlichkeit:<br />

Sie präsentieren sie in mehreren Ausstellungen. Gerade die öffentlich<br />

sichtbare Auseinandersetzung der jungen Menschen mit dem Erbe der SED-<br />

Diktatur ist ein herausragendes Element zivilgesellschaftlichen Engagements<br />

auf der Basis quellennaher lokaler Zeitgeschichtsforschung.<br />

Kontaktadresse: Detlef Rosenbach, Evangelisches Gymnasium Johanneum,<br />

Fischerstraße 5, 02977 Hoyerswerda.<br />

Der 17. Juni 1953 – eine vergessene Revolution<br />

Ein Projekt des Humboldt-Gymnasiums in Radeberg (96/03)<br />

Das Ergebnis: Schülerinnen und Schüler der Arbeitsgemeinschaft „Brennpunkt<br />

Politik“ am Humboldt-Gymnasium befassen sich mit dem Thema „Der 17. Juni<br />

1953 – eine vergessene Revolution“. Sie erarbeiten sich nicht nur geschichtliches<br />

Wissen, sondern gestalten eine Ausstellung.<br />

Was wurde getan Seit 1999 beschäftigt sich die AG „Brennpunkt Politik“ am<br />

Humboldt-Gymnasium Radeberg in wöchentlichen Diskussionsforen mit aktuellen<br />

politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Dabei entsteht die Idee, sich<br />

den Ereignissen des 17. Juni 1953 zuzuwenden, da hierzu noch keine regionalgeschichtlichen<br />

Forschungen vorliegen. Die „Brennpunkt-Politiker“ wollen die Geschehnisse<br />

und Hintergründe dokumentieren und ihren Mitschülern präsentieren. In<br />

weitgehend selbstständiger Arbeit vertiefen die Schüler mit Quellenstudien, durch<br />

Befragung von Zeitzeugen und Internetrecherchen ihre Kenntnisse. In einer<br />

Informationsveranstaltung mit einem Regionalhistoriker wird besonders der örtliche<br />

Aspekt der Geschehnisse beleuchtet. Die entstandene Ausstellungsdokumentation<br />

enthält sieben verschiedene Schwerpunkte: den Aufstand selbst, die<br />

150


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Vorgeschichte, Erinnerungen von Zeitzeugen aus Radeberg, die Widerspiegelung in<br />

der Presse, Reaktionen in Ost und West und eine Würdigung der Ereignisse. Den<br />

Schülern gelingt es, das „heiße Eisen“ der eigenen Erinnerung bei den Befragten<br />

anzufassen und die damit verbundene Zurückhaltung aufzulösen.<br />

Die lokale Presse berichtet über das Projekt, so dass eine entsprechende öffentliche<br />

Aufmerksamkeit während der Ausstellungseröffnung viele Gäste zu einer<br />

lebhaften Diskussion anzieht.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Gymnasiasten wenden sich mit ihrer Dokumentation gegen das Vergessen<br />

der eigenen deutschen Geschichte. Sie erarbeiten sich gründliche Kenntnisse<br />

und fordern zur Diskussion über die damaligen Ereignisse heraus.<br />

• Für die Befragung der Zeitzeugen benötigen die Schüler Hartnäckigkeit, aber<br />

auch Einfühlungsvermögen in die politische Situation der DDR zur Zeit der<br />

50er-Jahre, zugleich respektieren sie mit großer Sensibilität die Beteiligten.<br />

• Die Schüler-Arbeit erreicht in ihrer Zusammenschau einen neuen Qualitätsstand<br />

zu den Forschungen zum 17. Juni 1953 in Blick auf die Region<br />

Radeberg. Überdies sichern sie mit der systematisch vorbereiteten öffentlichen<br />

Präsentation nicht nur ihrer Projektarbeit, sondern auch dem Gedenken<br />

an diesen Aufstand große Aufmerksamkeit.<br />

Kontaktadresse: Kerstin Pfützner, Humboldt-Gymnasium,<br />

Am Freudenberg 9, 01454 Radeberg.<br />

151


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Neue Wege zu „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ von Bertolt Brecht.<br />

Ein Projekt des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Freiberg (156/03)<br />

Das Ergebnis: Schülerinnen und Schüler einer zehnten Klasse des Geschwister-<br />

Scholl-Gymnasiums bearbeiten Brechts Stück „Furcht und Elend des Dritten<br />

Reiches“ und entwickeln daraus ein 90-minütiges Bühnenwerk. Sie wenden sich<br />

mit ihrer literarischen und künstlerischen Arbeit gegen Faschismus und Krieg.<br />

Was wurde getan 26 Gymnasiasten einer Klasse mit musischem Schwerpunkt<br />

haben sich in einem ersten Schritt mit dem geschichtlichen Hintergrund und mit<br />

der Aktualität des Textes von Brecht auseinandergesetzt. Sie entwickeln eine<br />

Performance zu faschistischen Verhaltensmustern. Zudem setzen sie ausgewählte<br />

Szenen des Stückes mit der Performance zusammen und erstellen daraus ein 90-<br />

minütiges Bühnenwerk, dessen Wirkung sie durch Pantomime, Rhythmen von<br />

Schlaginstrumenten und Requisiten verstärken.<br />

Es eröffnen sich für sie durch künstlerische Distanzierung und Abstraktion<br />

neue und verschiedene – immer aber erschreckende – Perspektiven auf die nationalsozialistische<br />

Diktatur. Dazu gehören bspw. die Perspektive der jüdischen<br />

Opfer auf das Regime oder die Sicht seiner politischen Gegner. Auch Aspekte wie<br />

Anpassung und Opportunismus an die Herrschaft Hitlers werden thematisiert. In<br />

jedem Falle wird anstelle der „Täterperspektive“ eine „Opferperspektive“ aufgegriffen<br />

– ein in der neueren NS-Geschichte bedeutsamer Topos.<br />

Die Anspielungen der Schülerinnen und Schüler auf aktuelle Ereignisse, wie<br />

bspw. die gedankliche Verknüpfung zwischen Deutschlands historischem Weg in<br />

den Zweiten Weltkrieg und den politischen Gefahren der neueren militärischen<br />

Auseinandersetzungen im Irak, wirken zwangsläufig provokativ, sollen aber vor<br />

152


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

allem ein waches politisches Bewusstsein und kritische Zeitgenossenschaft fördern.<br />

Die Schüler haben ein konzentriertes und dramaturgisch anspruchsvolles<br />

Bühnenwerk vorgelegt. Die erste öffentliche Aufführung findet im Rahmen der<br />

Chemnitzer Schultheaterwoche auf der Probebühne des Schauspielhauses statt,<br />

weitere Aufführungen folgen im Mittelsächsischen Theater in Freiberg und beim<br />

Jugendtheatertreffen in Chemnitz.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Schülerinnen und Schüler entwickeln ihre schauspielerischen und dramaturgischen<br />

Fähigkeiten in der Beschäftigung mit einem Theaterstück der klassischen<br />

Moderne. Dabei wird durch eigene kreative Erfahrung die politische<br />

Dimension einer aufgeklärten und öffentlichen Kunstausübung sichtbar.<br />

• Sie bearbeiten die Themen NS-Geschichte, rassische und politische Verfolgung<br />

sowie Kriegsgefahr und Krieg in anspruchsvoller Weise und wagen<br />

dabei Anspielungen auf die Gegenwart im Wissen um die nachfolgenden<br />

öffentlichen Diskurse, denen sie sich stellen wollen.<br />

• Sie präsentieren ihr Werk mehrfach einem breiteren Publikum in mehreren<br />

Mittelstädten Sachsens und können dabei eine Reihe von Diskussionen und<br />

Gesprächen über Rechtsextremismus, Krieg und Gewalt anregen.<br />

Kontaktadresse: Isolde Lommatzsch, Geschwister-Scholl-Gymnasium,<br />

Turnerstraße 1, 09599 Freiberg.<br />

Eine Deutschlandreise.<br />

Ein Projekt des Gymnasiums Engelsdorf in Leipzig (245/01)<br />

Das Ergebnis: Die deutsche Einheit und die Gegenwart von Ost und West in<br />

Deutschland soll im Mittelpunkt eines Films stehen, der den lebensgeschichtlichen<br />

Spuren Ralph Giordanos in dessen Buch „Deutschlandreise“ folgt. Die<br />

Schülerinnen und Schüler unternehmen hierzu in ihren Ferien eine dreiwöchige<br />

Produktionsreise. Die Premiere des Films findet im Dezember 2001 mit großer<br />

öffentlicher Resonanz im Leipziger Schulmuseum statt.<br />

Was wurde getan Der „Movie Clan Gymnasium Engelsdorf“ ist eine Arbeitsgemeinschaft<br />

des Gymnasiums, die Ende 1998 als Resultat von Projekttagen entstanden<br />

ist. Bis heute hat sich die Gruppe aufgrund von Filmaufträgen für die<br />

Wirtschaft und auch durch selbstinitiierte Projekte, wie z.B. „(K)ein<br />

Sonntagsthema ...!“ – ein Film, der zum Wettbewerb „Deutschlandbilder“ der<br />

Körber Stiftung erstellt wurde – kontinuierlich weiterentwickelt. Jeder der bislang<br />

zwölf beteiligten Schülerinnen und Schüler hat einen Arbeitsbereich:<br />

Kameramann, Dramaturgie, Beleuchtung oder Cutter.<br />

Wie hat dieses Projekt begonnen Im Frühjahr 2001 hat der Lehrer Thomas<br />

Müller das Buch „Deutschlandreise – Aufzeichnungen aus einer schwierigen<br />

Heimat“ von Ralph Giordano mit seiner Klasse gelesen. Einige Schüler entwickeln<br />

die Idee, dieses Buch aus der Sicht von Schülern zu verfilmen. Geht<br />

Ralph Giordano von seinen Erfahrungen als jüdischer Bürger in Deutschland<br />

aus, so will die Gruppe einen anderen Akzent setzen: Die deutsche Einheit und<br />

die Gegenwart von Ost und West in Deutschland sollen im Mittelpunkt stehen.<br />

153


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Anschließend wird eine dreiwöchige Reise durch Deutschland mit einer zwölfköpfigen<br />

Schülergruppe und einem Lehrer geplant. Das Ziel ist, Menschen nach<br />

dem Verhältnis Ost-West in Deutschland zu befragen und entsprechende<br />

Eindrücke filmisch zu dokumentieren. Die Reiseroute mit Zeitplan führt entlang<br />

der biographischen Stationen von Giordanos Buch: Hof – Regensburg –<br />

Königsee – Alpirsbach (Schwarzwald) – Koblenz – Bergisch Gladbach – Köln –<br />

Hooksiel (Ostfriesland) – Hamburg – Prerow – Rügen Stubbendorf – Oderbruch<br />

– Kamenz – Wermsdorf.<br />

Im Juni 2001 wird die Fahrt in drei Kleinbussen durchgeführt. Dabei werden<br />

fast zwanzig Stunden bildnerisches Rohmaterial auf Film festgehalten. Nach<br />

Beginn des nächsten Schuljahres wird – zumeist an Wochenenden – die<br />

Filmdramaturgie entwickelt und der Film geschnitten. Diese Arbeiten dauern bis<br />

Anfang November. Die Premiere des Films findet mit großer öffentlicher<br />

Resonanz im Leipziger Schulmuseum im Dezember 2001 statt. Das Werk wird<br />

zwischenzeitlich in den Leipziger Schulen als Unterrichtsmaterial verwendet,<br />

eine Veranstaltungsreihe mit der Leipziger Volkshochschule ist bereits geplant –<br />

154


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

und der Autor Giordano ist davon beeindruckt, dass seine Literatur über<br />

Deutschlands dunkle Zeit so viel politisch motivierte Mentalitätsforschung bei<br />

Jugendlichen in der Gegenwart auslöst.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Jugendlichen leisten mit ihrem Projekt einen Beitrag zur Wahrnehmung<br />

und kritischen Reflexion der Differenzen und Eigenheiten im wiedervereinten<br />

Deutschland zehn Jahre nach der Wende.<br />

• Sie nehmen mit dem Motiv des Lebenswegs von Giordano eine Art deutschlandspezifische<br />

Mentalitätsgeschichte auf und transformieren diese biographisch-historische<br />

Geschichte in die aktuelle und eigene Wahrnehmung von<br />

Deutschland.<br />

• Das Projekt bedient sich mit dem Medium Film einer künstlerisch anspruchsvollen<br />

und öffentlichkeitswirksamen Gestaltungsform. Es leistet so zugleich<br />

einen bildsamen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Wandel öffentlicher<br />

Medien heute und insbesondere mit dem Film als Dokumentations- und<br />

Kunstform.<br />

Kontaktadresse: Movie-Clan, Gymnasium Engelsdorf,<br />

Arthur-Winkler-Straße 6, 04319 Leipzig.<br />

Jugendarbeitskreis beim Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge.<br />

Ein Projekt des Lessing-Gymnasiums in Hoyerswerda (141/00)<br />

Das Ergebnis: Schüler des Lessing-Gymnasiums werden Mitglieder des Jugendarbeitskreises<br />

des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Über das Engagement<br />

im Jugendarbeitskreis hinaus setzen sich die Jugendlichen aktiv mit der<br />

Geschichte der Region Hoyerswerda auseinander.<br />

Was wurde getan Seit 1999 besteht im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge<br />

e.V. ein Jugendarbeitskreis Hoyerswerda. Derzeit engagieren sich dort<br />

neun Schülerinnen und Schüler des Lessing-Gymnasiums der Klassenstufen 9<br />

bis 12. Der Arbeitskreis entsteht aus der Motivation der Jugendlichen, etwas<br />

über die jüngere Geschichte der Stadt Hoyerswerda zu erfahren und die<br />

Möglichkeit zu Gesprächen mit Hinterbliebenen von Kriegsopfern zu nutzen.<br />

Anlass ist eine Gesprächsrunde, zu der der Beauftragte der Stadt Hoyerswerda<br />

für den Volks-bund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. eingeladen hat.<br />

Diskutiert werden Anliegen und Aufgaben des Volksbundes. Die Jugendlichen<br />

sind interessiert an der Arbeit des Volksbundes. Außerdem lockt sie das<br />

Angebot, sich über den Geschichtsunterricht hinaus mit der Geschichte ihrer<br />

Region zu beschäftigen. Die Jugendlichen bilden zugleich einen der wenigen<br />

ständig arbeitenden Jugendkreise im Rahmen des DKF e.V. in einer sächsischen<br />

Kommune. Ein Teil ihrer Arbeit widmet sich der Pflege von Grabstätten.<br />

Außerdem beschäftigen sie sich mit der Geschichte der Kriegsgräberpflege, so<br />

z.B. mit dem wechselvollen Um-gang mit Kriegsgräbern in der DDR. Außerdem<br />

sehen sie beim Stadtverband des Volksbundes in Hoyerswerda Akten mit<br />

Verzeichnungslisten von Kriegstoten ein.<br />

155


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Für die Gräberanlage Nardt/Weinberg werden fehlerhafte Eintragungen festgestellt.<br />

Daraus resultiert eine Empfehlung der Jugendlichen zur Aktualisierung und Überprüfung<br />

der Gräberlisten an die zuständige Gemeinde. Die Jugendlichen erfassen<br />

daraufhin die Namen auf den Gedenkplatten der Gräberfelder an der Bonhoefferstraße<br />

in Hoyerswerda. Anhand der Listen des Stadtverbandes stellen sie einen<br />

aktuellen Vergleich an und ergänzen die Listen. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden<br />

in ein Hoyerswerdaer Geschichtsheft einfließen. Emotionale Höhepunkte bieten<br />

die Gedenk- und Erinnerungsmöglichkeiten an den Volkstrauertagen, die die<br />

Jugendlichen aktiv mitgestalten. Sie legen im Namen des Volksbundes Kränze nieder,<br />

lernen Hinterbliebene von Opfern kennen und üben sich im politischen<br />

Streitgespräch mit Politikern und „Zaungästen“. Der Landesjugendarbeitskreis<br />

Sachsen wird neugierig auf die Arbeitsgruppe. Bei einem gemeinsamen Arbeitseinsatz<br />

lernen sich die jungen Leute kennen und sprechen über Inhalte der Arbeit.<br />

Der Landesjugendarbeitskreis unternimmt Arbeitseinsätze zur Pflege der Kriegsgräber<br />

in ganz Europa.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die von den Schülern gewählte Aufgabe verlangt von ihnen nicht nur historische<br />

Kenntnisse, sondern konfrontiert sie mit Tod und Sterben als Folge von<br />

Krieg und politischer Gewalt.<br />

• Während der Arbeit im Jugendkreis des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge<br />

e.V. engagieren sich die Schüler in vielen Bereichen und konkretisieren<br />

die andauernde Aufgabe, an die Opfer des Krieges zu erinnern und<br />

Frieden auszumachen.<br />

• Mit der Arbeit im Jugendkreis verbinden sich auch zahlreiche organisatorische<br />

Pflichten. Selbstorganisation und Selbstverantwortlichkeit erweisen sich<br />

als grundlegende Elemente des Projekts.<br />

• Die damit verbundene Friedensarbeit, die Auseinandersetzung mit der Ver-gangenheit<br />

und das Bemühen, Vorurteile abzubauen, bringt Abiturienten,<br />

Bundeswehrangehörige, Auszubildende und Studenten zusammen.<br />

Kontaktadresse: Frau Raupach, Lessing-Gymnasium,<br />

Pestalozzistraße 1, 02977 Hoyerswerda.<br />

d. Kommune und lokales Umfeld<br />

Schülermultiplikatoren gegen Drogen und Sucht.<br />

Ein Projekt des Georgius-Agricola-Gymnasiums in Chemnitz (188/05)<br />

Das Ergebnis: Interessierte Jugendliche werden von der Fachstelle für Drogen- und<br />

Suchtvorbeugung der Diakonie Chemnitz zu Schülermultiplikatoren ausgebildet.<br />

Sie wirken mit bei der Suchtprävention in der Schule, indem sie bspw. Unterrichtsstunden<br />

zu diesem Themenkreis gestalten und so ihren Mitschülerinnen und<br />

Mitschülern, deren Eltern und den Lehrern informierend und beratend zur Seite stehen.<br />

Was wurde getan Das Projekt „Schülermultiplikatoren gegen Drogen und<br />

Sucht“ ist Teil des Präventionskonzeptes des Chemnitzer Gymnasiums, mit dem<br />

eine „Schule zum Wohlfühlen“ geschaffen werden soll. Weitere Schwerpunkte<br />

156


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

dieser Initiative sind die Arbeit gegen Gewalt, Rassismus und Ausgrenzung sowie<br />

das Wirken für Gesundheit und Wohlergehen. Gesamtziel ist die erzieherische<br />

Wahrnehmung einer das Selbstbewusstsein stärkenden Lebenskultur und Lebenspraxis<br />

der Schülerinnen und Schüler.<br />

Das Arbeitsprinzip des Projektes besteht darin, dass die Jugendlichen von<br />

Gleichaltrigen in Blick auf Suchtprävention aufgeklärt werden. Es handelt sich<br />

hierbei um die Konkretisierung eines „Peer-to-Peer“-Ansatzes. Ausgangspunkt ist<br />

die Erfahrung, dass Jugendliche selbst einen großen Einfluss auf die Normen- und<br />

Wertebildung ihrer Altersgruppe haben, weil sie sich in strukturell ähnlichen<br />

Lebens- und Entwicklungslagen befinden. Dabei sollen besonders jene Schülerinnen<br />

und Schüler angesprochen werden, die sich gerade in der Pubertät befinden und<br />

starken Auseinandersetzungen in der Herausbildung ihres Norm- und Wertgefüges<br />

unterliegen.<br />

Interessierte Jugendliche, die bei der Aufklärung mitwirken wollen, können sich<br />

zu Schülermultiplikatoren ausbilden lassen. In der Fachstelle für Suchtvorbeugung<br />

der Diakonie Chemnitz finden monatlich Seminare statt, in denen sie nicht nur<br />

Kenntnisse über legale und illegale Drogen, die Formen der Sucht und Hilfsmöglichkeiten<br />

erlangen, sondern auch eigenes Verhalten und das Verhalten in der<br />

Gruppe analysieren sowie mit Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung vertraut<br />

gemacht werden.<br />

Die Schülermultiplikatoren haben die Aufgabe, die Lehrerinnen und Lehrer in<br />

den entsprechenden Unterrichtsstunden zu vertreten. Außerdem stehen sie bei<br />

Projekttagen und auf Elternabenden informierend und beratend zur Verfügung.<br />

Ihre Arbeit wird auch außerhalb ihrer Schule geschätzt. Sie gestalten Unterrichtsstunden<br />

an Grundschulen, anderen Gymnasien und bieten Lehrerfortbildungen an.<br />

157


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Es handelt sich hier um einen jugendkulturellen und in der Handlungsform<br />

überwiegend von Jugendlichen selbst getragenen Ansatz der „peer-to-peer“-<br />

Pädagogik.<br />

• Die Dokumentation spiegelt diesen Gedanken ebenfalls wider, da sie ein<br />

hohes Maß an Schülerbeteiligung zeigt.<br />

• In der Planung, Durchführung und der weiteren Entwicklung des Projektes<br />

wird ebenfalls die Dominanz der Schülerperspektive sichtbar.<br />

• Der Zusammenhang von jugendlicher Lebenskultur und dem Gebrauch von<br />

Suchtmitteln und Drogen ist ein Kernproblem jugendkultureller Praxis und<br />

jugendspezifischer Entwicklung alltagsprägender Normen: Suchtverhalten in<br />

der Konsumgesellschaft ist so gesehen ein Schlüsselproblem gerade von<br />

Schulen, denn dort bleibt das jugendkulturelle Wertgefüge nicht außen vor.<br />

Kontaktadresse: Rolf Bauer, Georgius-Agricola-Gymnasium,<br />

Park der Opfer des Faschismus, 09111 Chemnitz.<br />

Rot-Gelb-Schwarz – unsere Welt ist bunt.<br />

Ein Projekt der Anne-Frank-Schule in Radebeul (139/04)<br />

Das Ergebnis: Die Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Schule für geistig<br />

Behinderte setzen sich unter dem Motto „Rot, gelb, schwarz – unsere Welt ist<br />

bunt“ mit der Besonderheit des Einzel-nen und dem menschlichen Zusammenleben<br />

auseinander. In vier Projekten beschäftigen sie sich unter anderem mit<br />

Ausländerfeindlichkeit, verschiedenen Religionen, persönlichen Stärken und<br />

Schwächen sowie mit dem Leben von Anne Frank. Bei Exkursionen, in Rol-lenspielen<br />

oder durch künstlerische Arbeit lernen sie sich und andere besser wahrzunehmen<br />

und zu verstehen.<br />

Was wurde getan Die Anne-Frank-Schule in Radebeul ist eine Förder-schule<br />

für geistig Behinderte, an der gegenwärtig 61 Schülerinnen und Schü-ler in acht<br />

Klassen lernen. „Rot-Gelb-Schwarz – unsere Welt ist bunt“ ist das Motto für vier<br />

Projekte, in denen sich die Kinder und Jugendlichen auf unterschiedliche Weise<br />

mit Aspekten des menschlichen Zusammenlebens be-schäftigen. Rassismus, die<br />

Diskrimi-nierung von Ausländern und die verschiedenen Religionen, die in ihrer<br />

Umgebung gelebt werden, insbesondere die jüdische, stehen im Mittelpunkt des<br />

Projektes „Andere Kulturen“. Im Lernbereich Kunst fragen sich die Kinder und<br />

Jugendlichen unter dem Motto „Starke Typen“, was für sie ein „starker Typ“ ist<br />

und ob sie sich selbst als „stark“ wahrnehmen. Sie basteln Collagen, machen<br />

Rollenspiele zum Thema „Angst und Gewalt“, schreiben ihren eigenen Rap-<br />

Song, den sie beim Schulfest aufführen, und gestalten eine Ausstellung.<br />

Vor allem Schüler der Unterstufe setzen sich im Projekt „Ich bin anders“<br />

damit auseinander, wie sie selbst Ausgrenzung erfahren und wie sie ihr Verhalten,<br />

ihre Stärken und Schwächen wahrnehmen. Sie lesen gemeinsam das Buch „Der<br />

kleine Angsthase“ und studieren ein Rollenspiel zu dieser Geschichte ein. In spielerischer<br />

und künstlerischer Form beschäftigen sie sich in anderen Lernbereichen<br />

mit Themen wie Mut und Übermut, Alleinsein, Streiten und Vertragen,<br />

158


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Traurigsein, Angst oder Freude. Das<br />

Leben der Anne Frank bildet den Inhalt<br />

des vierten Projekts. Eine wichtige<br />

Erfahrung ist hier die Auseinandersetzung<br />

mit dem Eingesperrt-Sein. Die<br />

Schüler verdunkeln das Zimmer und<br />

bemühen sich, ganz still zu bleiben,<br />

während einer von ihnen im Raum darüber<br />

bzw. darunter horcht, ob er<br />

Geräusche wahrnimmt. Ihre Eindrücke<br />

vergleichen die Schüler mit Passagen<br />

aus Anne Franks Tagebuch. Sie diskutieren<br />

auch die Frage, warum einige<br />

Menschen der Familie Frank halfen,<br />

und was das für sie bedeutet hat.<br />

Wichtig bei allen beschriebenen Aktivitäten<br />

ist die unmittelbare, körperliche<br />

und sinnliche Erfahrung der gewählten<br />

Themen.<br />

Was war daran bemerkenswert<br />

Beispielsweise:<br />

• Die Schülerinnen und Schüler entwickeln<br />

zu jedem Projekt eigene<br />

Ideen und Vorstellungen. Sie<br />

machen so ihre individuelle Erfahrungswelt<br />

zum Thema des<br />

Unterrichts. Dabei gelingt es ihnen<br />

mit den Lehrerinnen und Lehrern<br />

Möglichkeiten zu finden, die die<br />

Auseinandersetzung mit den komplexen<br />

Themen auch für die besonderen<br />

Erfordernisse Kinder und Jugendlicher<br />

mit geistiger Behinderung<br />

gewährleisten.<br />

• Die Schüler lernen ihre eigene<br />

Gefühls- und Erfahrungswelt besser<br />

kennen und schaffen gleichzeitig die Voraussetzung dafür, andere<br />

Lebensweisen zu verstehen und sich in andere Menschen hineinzuversetzen.<br />

• Die Beschäftigung mit aktuellen politischen, aber auch historischen Themen<br />

kann als Hintergrund für die bessere Wahrnehmung der eigenen Lebenslage<br />

dienen und hilft den Schülern bei der Bewältigung ihrer besonderen<br />

Lebensumstände.<br />

Kontaktadresse: Gerlinde Ziegner, Anne-Frank-Schule,<br />

Anne-Frank-Straße 1, 01445 Radebeul.<br />

159


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

e. Welt und Umwelt<br />

Schule für den Urwald.<br />

Ein Projekt des Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasiums in Chemnitz (178/05)<br />

Das Ergebnis: Schülerinnen und Schüler des Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasiums<br />

in Chemnitz möchten gemeinsam mit ihrer Lehrerin einen Beitrag zur<br />

Rettung des Regenwaldes leisten. Mit dem Ziel, „Schule für den Urwald“ zu werden,<br />

organisieren sie thematische Veranstaltungen und führen umweltfreundliche<br />

Arbeitsmethoden in ihrer Schule ein.<br />

Was wurde getan Im September 2004 gründen Schülerinnen und Schüler der<br />

Klassen 8 bis 12 des Gymnasiums in Chemnitz gemeinsam mit ihrer Lehrerin die<br />

AG Umwelt. Ihre Absicht ist es, öffentlich sichtbar und mit spürbaren<br />

Handlungsfolgen gegen die Abholzung des Urwaldes vorzugehen. Die AG<br />

Umwelt ist für Schülerinnen und Schüler aller Altersklassen der Schule offen.<br />

Gemeinsam wird geplant und realisiert: Dabei wird die AG auch von<br />

Greenpeace und zwei Globetrottern aus Chemnitz, die im Urwald Boliviens<br />

unterwegs sind, unterstützt. Mit dem Ziel, „Schule für den Urwald“ zu werden,<br />

starten die Jugendlichen im Oktober 2004 ein umfangreiches Programm mit Altpapiersammlungen,<br />

einem Umwelttag und der Einführung von Recyclingpapier<br />

an der Schule. Unterstützung im Schutz des Urwaldes erhalten sie von ihren zwei<br />

Umweltpaten. Die ersten Wochen der AG-Arbeit gelten der Planung des<br />

Umwelttages an der Schule. Über Greenpeace werden Ausstellungsgegen-stände<br />

ausgeliehen, die zwei Globetrotter aus Chemnitz berichten in Diavorträgen von<br />

ihren Reisen, zwei Kuchenbasare werden organisiert, Lehrer und weitere Schüler<br />

160


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

werden zusätzlich in die Planungen integriert. Der Tag bringt einen Erlös von<br />

knapp 300 Euro für das Urwaldprojekt. Zusätzlich fertigt das Gymnasium auf<br />

Initiative der AG eine Schülerzeitung zu diesem Tag an. Weitere Erlöse werden<br />

durch die Beteiligung an der Aktion „Sachsen sucht den Supersammler“ erzielt.<br />

Seit Ende Oktober 2004 wird kontinuierlich Altpapier gesammelt. Während eines<br />

Besuchs der Stadtverwaltung Chemnitz entscheidet man mit Verantwortlichen<br />

der Stadt den zukünftigen Einsatz von recyceltem Papier im Gymnasium.<br />

Der Kontakt zu den zwei Umweltpaten lässt die Schüler an einer weiteren Reise<br />

der Globetrotter teilhaben. Nach deren Rückkehr ist die AG in das Abenteuercamp<br />

„Lagenhain“ an die Talsperre Kriebstein eingeladen. Hier erzählen die Umweltpaten<br />

von ihrer Reise und es wird für eine überschaubare Zeit eine Art „Erlebnis- und<br />

Erfahrungssituation“ im Umgang mit dem Leben in der Natur gemacht.<br />

Den Lohn für ihr Engagement erhält die Umwelt-AG im Juni 2005 mit der<br />

Auszeichnung „Schule für den Urwald“. Die Verleihung wird im Rahmen eines<br />

weiteren, von der AG organisierten öffentlichen Festes vorgenommen. Der durch<br />

Kuchenbasar, Spenden und Urwaldlauf eingenommene Erlös von 400 Euro wird<br />

für das Projekt „Regenzeit“ an die Urwaldpaten überreicht. Mit der Verleihung<br />

des Titels beendet die AG jedoch nicht ihre Arbeit. Sie entwirft einen Brief, mit<br />

dem die Schüler auch andere Schulen in Chemnitz überzeugen wollen, sich stärker<br />

mit der Umweltproblematik auseinanderzusetzen.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• In einem kurzen Zeitraum haben die Schülerinnen und Schüler der Umwelt<br />

AG ein Projekt auf die Beine gestellt, das auch in der Öffentlichkeit für<br />

Aufmerksamkeit sorgt.<br />

• Das Projekt wird eingebettet in zivilgesellschaftliche Kräfte und Akteure: Mit<br />

Greenpeace und den Umweltpaten unterstützen zusätzlich Partner das<br />

Engagement der Jugendlichen, sorgen für eine umweltpolitische Expertise<br />

und stellen aktuelle Informationen zur Verfügung.<br />

• Dem Projekt gelingt auf beeindruckende Weise die Verbindung lokalen, ökologisch<br />

orientierten <strong>Handeln</strong>s mit der globalen Herausforderung des Schutzes<br />

eines durch wirtschaftliche Interessen bedrohten Ökosystems, dem Regenwald.<br />

Kontaktadresse: Regina Tröger, Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium,<br />

Hohe Straße 35, 09112 Chemnitz.<br />

Freiberger Schulpartnerschaften in Nepal.<br />

Ein Projekt der Mittelschule „Clara Zetkin“ in Freiberg (182/05)<br />

Das Ergebnis: Die Mittelschule „Clara Zetkin“ in Freiberg verbindet ihr<br />

Engagement für den Klimaschutz und die Partnerschaft mit einer Schule in<br />

Nepal. Zusammen mit einem Freiberger Gymnasium, das ebenfalls eine Partnerschaft<br />

mit einer nepalesischen Schule aufgenommen hat, und Sponsoren aus der<br />

Region wird mit einem Spendenlauf Geld für eine Solaranlage gesammelt. Mit<br />

den Erlösen aus der Stromgewinnung werden zu gleichen Teilen die Schulpartnerschaften<br />

und eigene „Nachhaltigkeitsprojekte“ finanziert.<br />

161


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Was wurde getan Seit einem Jahr besteht die Schulpartnerschaft zwischen der<br />

Mittelschule „Clara Zetkin“ in Freiberg und der Janajoti Secondary School in<br />

Nepal. In ihrer Partnerschaftsvereinbarung setzen sich die Schulen unter anderem<br />

die Ziele, den „Eine-Welt-Gedanken“ zu fördern und sich für den Klimaschutz und<br />

erneuerbare Energien zu engagieren. Weiterhin soll die nepalesische Schule finanziell<br />

unterstützt und ein Schüleraustausch angeregt werden. Der Verein „Freiberger<br />

Agenda 21 e.V.“ ist Unterstützer der Partnerschaft. Mit dem ersten Projekt, dem<br />

Verkauf eines von den Schülern gestalteten Kalenders, werden 9.000 Euro für die<br />

Unterstützung der Schule in Nepal eingenommen. Gemeinsam mit dem Freiberger<br />

Gymnasium, das ebenfalls eine Partnerschaft zu einer nepalesischen Schule unterhält,<br />

wird die Idee entwickelt, eine Solarstromanlage anzuschaffen und die Erlöse<br />

aus der Stromgewinnung für die Schulpartnerschaften zu verwenden.<br />

Für das Projekt „SOLAR verbindet“ werden Sponsoren in der Region gewonnen,<br />

darunter die Deutsche Solar AG, die den Bau und die Betreuung der Anlage<br />

übernimmt. Für die Finanzierung des Projektes wird im September 2005 ein 48-<br />

stündiger Spendenlauf durchgeführt. Die Teilnehmer sind Schülerinnen und Schüler<br />

der beiden Freiberger Schulen sowie Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Die<br />

Läufer suchen sich Unterstützer, die für jede absolvierte Runde einen bestimmten<br />

Geldbetrag für das Solarprojekt spenden. Schließlich sind mehr als 1000 Menschen<br />

unterwegs und erlaufen einen Spendenbetrag von über 16.000 Euro. Hinzu kommen<br />

weitere 20.000 Euro Spendengelder von den Hauptsponsoren des Projektes.<br />

Die eine Hälfte des Geldes wird für die Errichtung der Solaranlage verwendet.<br />

Die andere Hälfte bekommen die beteiligten Schulen, um damit eigene<br />

„Nachhaltigkeitsprojekte“ wie die Beschaffung von Unterrichtsmaterialien zum<br />

Thema „Erneuerbare Energien“, Baumpflanzaktionen oder ein Modell einer<br />

Solaranlage zu finanzieren. Für die Zukunft ist die Reise einer Gruppe von<br />

Schülern und Lehrern der Freiberger Schule nach Nepal geplant.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Das Projekt verbindet die Auseinandersetzung mit einem Kernproblem der<br />

Ökologie – der naturverträglichen Gewinnung und einem adäquaten Umgang<br />

mit Energie – mit einer entwicklungspolitischen Perspektive.<br />

• Mit seiner auf Nachhaltigkeit angelegten Dimension im Sinne der Debatte um<br />

Strategien einer perspektivenreichen und langzeitwirksamen Gestaltung des<br />

Verhältnisses von Mensch und Umwelt beeindruckt das Projekt.<br />

• Für die handlungsbezogene Auseinandersetzung mit diesem thematischen<br />

Zusammenhang pflegen beide ortsansässigen Schulen lebendige Partnerschaften<br />

zu Schulen im selben Kultur- und Entwicklungsraum – sie stärken<br />

damit sowohl ihre Handlungs- und Unterstützungskompetenz als auch die<br />

Wirkung von Entwicklungshilfe in Nepal.<br />

• Die Mobilisierung „bürgergesellschaftlicher Aktivität“ vor Ort gelingt dem<br />

Projekt auf beeindruckende Weise: Bürgerschaft ebenso wie namhafte Sponsoren<br />

beteiligen sich an der Initiative.<br />

Kontaktadresse: Anne-Kathrin Kreis, Mittelschule „Clara Zetkin“,<br />

Dörnerzaunstraße 2, 09599 Freiberg.<br />

162


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

„Ein Tag mit Henne Henriette“.<br />

Ein Projekt der Friedrich-Schiller-Grundschule in Rodewisch (136/04)<br />

Das Ergebnis: Die Schülerinnen und Schüler der Friedrich-Schiller-Grundschule<br />

befassen sich in einem fächerübergreifenden Projekt mit der Nutztierhaltung von<br />

Hühnern in der industriellen Eierproduktion. Sie lernen die Lebensweise der<br />

Tiere in den verschiedenen Haltungsformen kennen, führen Verbraucherbefragungen<br />

durch, schreiben eigene Texte, erarbeiten ein Rezeptbuch und erstellen<br />

vielfältiges Arbeitsmaterial. Durch ihre Arbeit können sie Nutzen und Risiken der<br />

Hühnerhaltung dokumentieren.<br />

Was wurde getan Bei einem Besuch einer kleinen, nicht gewerblichen<br />

Hühnerfarm lernen die Schülerinnen und Schüler der Schiller-Grundschule die<br />

natürlichen Lebens- und Verhaltensformen der Hühner kennen. In einem großangelegten<br />

fächerübergreifenden Projekt beschäftigen sie sich auf variantenreiche<br />

Weise mit dem Leben von Hühnern in den verschiedenen Haltungsformen bei der<br />

industriellen Eierproduktion. Sie lernen die Bedeutung der einheitlichen Kodierung<br />

von Hühnereiern kennen und dokumentieren die daraus zu erschließenden<br />

Bedingungen der Eierproduktion im Sachunterricht auf einer Wandzeitung. Im<br />

Mathematikunterricht wird auf der Grundlage von Verbraucherbefragungen, welche<br />

die Kinder zumeist in ihrem Wohnumfeld durchführen, eine grafische<br />

Auswertung erstellt, die einen Überblick über das Konsumverhalten in Blick auf<br />

Eier und Hühnerprodukte gibt. Im Deutschunterricht werden Fantasiegeschichten<br />

zum Thema „Ein Tag im Leben eines Huhns“ geschrieben. Aus gesammelten Ei-<br />

Rezepten wird ein „Kleines vogtländisches Kochbuch“ erstellt und am Computer<br />

aus gesammelten Witzen ein „Hühnerwitze-Leporello“ gestaltet. Auch im Kunstund<br />

Werkunterricht werden Arbeiten zum Thema angefertigt. Darüber hinaus findet<br />

das Thema im Englisch-, Ethik- und Musikunterricht Berücksichtigung. Zwei<br />

163


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Schülerinnen setzen die Arbeit durch das selbstständige Herstellen eines<br />

Hühnerhofpuzzles über den Unterricht hinaus fort. Die schriftliche Projektdokumentation<br />

wird durch umfangreiches originelles Arbeitsmaterial zum Thema<br />

ergänzt, das eine inhaltliche Auseinandersetzung auf verschiedenen Ebenen<br />

dokumentiert.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• In der Projektarbeit erhalten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit,<br />

sich auf unterschiedliche Weise einem Thema aus ihrer unmittelbaren Lebenswelt<br />

zu nähern. Sie lernen die Hintergründe der Erzeugung tierischer Nahrungsmittel<br />

kennen und setzen sich mit deren Risiken auseinander.<br />

• Die Konfrontation mit der Nutztierhaltung in der industriellen Eierproduktion<br />

schärft ihre Wahrnehmung dafür, dass das Konsumverhalten der Menschen<br />

die Produktionsbedingungen mitbestimmt.<br />

• Die Arbeit an ihrem Thema verhilft den Schülerinnen und Schülern zu einer<br />

bewussteren Einstellung gegenüber den Lebensverhältnissen von Nutztieren<br />

und sensibilisiert sie für die Bedeutung des Tierschutzes als gesellschaftlicher<br />

Aufgabe.<br />

• Das Projekt dokumentiert auf herausragende Weise, wie aus einem Thema des<br />

Lebensalltags fächerverbindend und -übergreifend gelernt werden kann und<br />

zugleich das Wechselspiel von verantwortlichem <strong>Handeln</strong> und natürlicher<br />

Umwelt erfahrbar wird.<br />

Kontaktadresse: Antje Strobel, Friedrich-Schiller-Grundschule,<br />

Schillerstaße 2, 08228 Rodewisch.<br />

„Afrika – Äthiopien“.<br />

Ein Projekt der Förderschule (G) „Johanne Nathusius“ in Skäßchen (192/04)<br />

Das Ergebnis: Das Schulprogramm der Johanne-Nathusius-Förderschule in<br />

Skäßchen will das ganzheitliche Lernen der Schülerinnen und Schüler nicht nur<br />

im Unterricht, sondern auch durch weitere Aktivitäten umsetzen. Zu diesem<br />

Zweck initiiert die Schule regelmäßig unterschiedliche Projekte, die zum Beispiel<br />

ein umweltpolitisches oder soziales Ziel verfolgen, wie etwa die finanzielle<br />

Unterstützung von gleichaltrigen Jugendlichen in Äthiopien.<br />

Was wurde getan Um ein ganzheitliches Lernen zu ermöglichen, werden verschiedene<br />

Wege eingeschlagen. Der klassenübergreifende Unterricht etwa soll<br />

den sozialen Zusammenhalt zwischen den Schülerinnen und Schülern verstärken.<br />

In natur- und umweltorientierten Projekten erleben die Schüler ihre Umwelt<br />

durch Beobachten und Experimentieren. Die Klasse O2 hat es sich unter dem<br />

Motto „miteinander leben, miteinander teilen“ zur Aufgabe gemacht, gleichaltrige<br />

Jugendliche in Äthiopien finanziell zu unterstützen. Die sechs Jungen im Alter<br />

zwischen 13 und 15 Jahren nutzen zu diesem Zwecke etwa den „Tag der offenen<br />

Tür“ oder das Kirchenjubiläum, um eigenständig hergestellte Dinge wie<br />

Kräuteressig und kreativ bemalte und beklebte Steine zu verkaufen. Vom Erlös<br />

erwerben sie Stifte, Blöcke und weiteres Schulmaterial, das sie an die<br />

164


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Jugendlichen in Äthiopien schicken. Deren Antwort bleibt nicht aus und es entwickelt<br />

sich ein intensiver Kontakt über Briefe, per E-Mail und Video, der seinen<br />

Höhepunkt in einem Besuch aus Äthiopien findet. Der einwöchige, fächerübergreifende<br />

Unterricht 2004 beschäftigt sich zuvor mit dem afrikanischen<br />

Kontinent, so dass die Schülerinnen und Schüler Afrika aus geographischer, religiöser<br />

und kultureller Perspektive kennenlernen.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Schüler der Klasse O2 zeigen Solidarität, indem sie gleichaltrigen<br />

Jugendlichen, die sich in einer materiell schlechter gestellten Position befinden,<br />

helfen.<br />

• Es entsteht eine zwar begrenzte, dennoch substanzielle Kommunikation: Die<br />

Schülerinnen und Schüler aus Skäßchen erleben die Reaktionen der äthiopischen<br />

Schülerinnen und Schüler als Ergebnis ihrer Hilfsbemühungen. Sie verbinden<br />

das mit ihrem eigenen Tun und können im Kontext eines entwicklungspolitischen<br />

<strong>Handeln</strong>s intensive Selbstwirksamkeitserfahrungen machen.<br />

• Durch ihr Engagement in der Öffentlichkeit bringen die Schülerinnen und<br />

Schüler das Nord-Süd-Gefälle in Wohlstand und politischer Entwicklung und<br />

damit die „Entwicklungspolitik“ in die Kommune.<br />

Kontaktadresse: Heike Mosebach, Förderschule (G) „Johanne Nathusius“,<br />

Hauptstraße 36a, 01561 Skäßchen.<br />

Waldameisen.<br />

Ein Projekt der Janusz-Korczak-Schule in Chemnitz (174/03)<br />

Das Ergebnis: Die Schüler der Klassen 03a und 03b der Janusz-Korczak-Schule<br />

führen ein Umweltprojekt durch. Gegenstand ihres Projekts „Waldameisen“ ist<br />

der „Park der Ruhe“ an der Morgenleite, der sich nahe ihrer Schule befindet.<br />

Was wurde getan In diesem Park werden die Kinder – es handelt sich um<br />

Förderschüler mit geistiger Behinderung – ökologisch tätig und erwerben sich<br />

Wissen über die Natur ihrer Heimat. Sie leisten mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur<br />

Umsetzung der „Agenda 21“, deren Chemnitzer Mitarbeiter sämtliche Schulklassen<br />

der Stadt Chemnitz zur Pflege der Natur unter dem Thema „Waldameisen“<br />

aufgerufen haben. Der Ausdruck „Waldameisen“ steht dabei für<br />

Müllbeseitigungsaktionen in Waldgebieten. Die Kinder aus der Korczak-Schule<br />

beteiligen sich mit ihrem Projekt seit 2000 kontinuierlich an dieser Aktion. Die<br />

Pflege des schulnahen „Parks der Ruhe“ ist eine kontinuierliche Aufgabe, die die<br />

Schülerinnen und Schüler in der Art einer Patenschaft übernehmen.<br />

Angesichts der einzelnen Umweltsünden, auf die die Schüler stoßen, entsteht<br />

zwangsläufig eine Diskussion über die Verantwortung des einzelnen Menschen in<br />

der Umweltpolitik. Doch die Kinder stehen mit ihrer Arbeit nicht allein, sie finden<br />

die Unterstützung verschiedener Einrichtungen der Stadt. So kooperieren sie<br />

mit dem Grünflächenamt, der Polizei und Presse – dabei schreiben die Schülerinnen<br />

und Schüler eigenständig Eingaben an die Behörden. Außerdem versuchen<br />

die Kinder, mit den Jugendlichen zu sprechen, die sich abends im Park aufhalten.<br />

165


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Die Resultate ihres Projekts können sich sehen lassen: Mitarbeiter des<br />

Grünflächenamtes haben inzwischen die kaputten Bänke im Park entsorgt und durch<br />

neue ersetzt, der See ist vom Müll befreit und die Papierkörbe werden regelmäßig<br />

entleert. Gemeinsam mit Mitarbeitern der „Agenda 21“ vom Umweltzentrum beobachten<br />

die „Waldameisen“ auch Pflanzen und Tiere. Außerdem bestimmen sie die<br />

Wasserqualität des Parksees durch Bio-Indikation mit Hilfe von Wasserproben.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Durch ihr Engagement entwickeln die Schülerinnen und Schüler eine intensive<br />

Beziehung zur Natur und problematisieren das Verhältnis Mensch-Umwelt<br />

mit großer Intensität und mit Verantwortungsbewusstsein.<br />

• Ihre kontinuierliche Arbeit zur Pflege des Parks verhilft ihnen auch zur öffentlichen<br />

Anerkennung: Sie beteiligen sich mit ihrem Projekt an der<br />

Ausschreibung des Chemnitzer Umweltpreises 2003 und belegen den zweiten<br />

Platz in der Kategorie „Umwelterziehung“. In der Presse findet ihr Einsatz ein<br />

positives Echo.<br />

• Das Projekt steht in der Tradition des „Service-learning“ und zeigt eine handfeste<br />

Möglichkeit zivilgesellschaftlichen Engagements gerade für Förderschulen.<br />

Kontaktadresse: Marlies Batzsch, Janusz-Korczak-Schule,<br />

Max-Schäller-Straße 1, 09122 Chemnitz.<br />

Das Öko-Team.<br />

Ein Projekt der Grundschule Rothenburg (201/02)<br />

Das Ergebnis: Ein Schüler-Öko-Team hilft mit, den Wasser- und Energieverbrauch<br />

an der Grundschule in Rothenburg zu senken. Dazu startet es in Eigenregie<br />

verschiedene Ursachenforschungen und Aufklärungsarbeiten.<br />

166


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Was wurde getan An der Grundschule Rothenburg existiert seit Jahren ein<br />

Schülerparlament, das das Schulleben bereichert und ein von Lehrenden ebenso<br />

wie von den Schülerinnen und Schülern anerkanntes Gremium ist. Um die<br />

gemeinsame Arbeit noch effektiver zu gestalten, werden nach den Sommerferien<br />

2002 einzelne Arbeitsgruppen gebildet, die einzelne Probleme und Aufgaben im<br />

kleineren Kreis beraten und ihre Resultate dem gesamten Parlament vorlegen. So<br />

existiert auch auf Anregung der Schulleitung das aus zehn Schülerinnen und zehn<br />

Schülern bestehende Öko-Team, weil die Kosten für Wasser- und Energieverbrauch<br />

an der Schule gestiegen sind. Die Schüler wollen Ursachen dafür ermitteln<br />

und Gegenmaßnahmen ergreifen.<br />

Den Sechs- bis Zehnjährigen wird dabei ein hohes Maß an Selbstständigkeit<br />

und Verantwortung abverlangt. So gestaltet das Öko-Team ein Aufklärungsplakat<br />

für das Schulhaus und macht unangemeldete Kontrollen im Schulgebäude. Die<br />

Ergebnisse regelmäßigen Ablesens der Wasseruhr und des Stromzählers können<br />

mittels einer Tabelle und eines Diagramms erfasst und verglichen werden. Erste<br />

Resultate dieser AG werden 2003 dem Schülerparlament vorgestellt.<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Grundschülerinnen und Grundschüler verbinden mit diesem Projekt mehrere<br />

Dimensionen: Sie etablieren in ihrem Schülerrat handfeste und konsequenz-<br />

167


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

reiche Themen für die Arbeit innerhalb der Schulgemeinschaft und in Blick<br />

auf nachhaltigen Umgang mit Energie.<br />

• Da diese Arbeit über einen längeren Zeitraum konzipiert ist, ist es wichtig,<br />

dass ältere Schüler die jüngeren einbeziehen, ihnen Vorbild sind und sie anregen,<br />

das Begonnene kontinuierlich fortzusetzen. Es handelt sich ansatzweise<br />

um ein Tutorenmodell, das von den Kindern selbst etabliert wird.<br />

• Die schließlich erreichten Ergebnisse des Öko-Teams erzeugen Lerneffekte<br />

im Umgang mit Energie in der Schule insgesamt.<br />

• Die Kinder beginnen aus eigener Initiative und Rationalität in ihrem<br />

Schülerrat eine Art „Ausschuss-Modell“ abzubilden und erlernen dabei durch<br />

Selbsttätigkeit wesentliche Merkmale der institutionell ausdifferenzierten<br />

Entscheidungsvorbereitung.<br />

Kontaktadresse: Sabine Dohrmann, Grundschule Rothenburg,<br />

Uhsmannsdorfer Straße 5, 02929 Rothenburg.<br />

Ökologieprojekte der Mittelschule Mockrehna (83/01)<br />

Das Ergebnis: „Schüler mit Wirkung“ – das sind Mitglieder des Schulrats der<br />

Mittelschule Mockrehna. Sie initiieren über mehrere Jahre erfolgreiche Umweltprojekte<br />

innerhalb und außerhalb ihrer Schule.<br />

Was wurde getan Für die Schule beginnt ein lang andauerndes Engagement, als<br />

1999 die damalige Klasse 6c für ihr Spielplatz-Projekt beim ökologischen<br />

Jugendwettbewerb der Sparkassen als bestes Schulprojekt einen Förderpreis und<br />

zunächst ein Jahr Betreuung durch die BUNDjugend Sachsens erhält. Diese fachliche<br />

Unterstützung wird zur stabilen Grundlage für eine weitere kontinuierlichökologische<br />

Arbeit. Schon im Herbst desselben Jahres fassen Mitglieder des<br />

Schülerrats unter dem Motto „Nicht weiter pennen – sondern Müll trennen“ einen<br />

weiteren Schwerpunkt ins Auge.<br />

Sie gewinnen 132 Sponsoren und erreichen ebenso die Unterstützung der<br />

Gemeinde und des Fördervereins der Schule. Mit dieser Hilfe stellen sie zahlreiche<br />

neue und bunte Tonnen auf, in die der Müll getrennt sortiert werden kann. Die<br />

jährlichen Müllkosten sinken so um ca. 5.000 DM. Diese Motivation zum<br />

umweltbewussten <strong>Handeln</strong> der Schülerinnen und Schüler hängt direkt mit der<br />

engagierten und beharrlichen Aufklärungsarbeit des Schülerrats mittels einer<br />

Pausenaktion mit Plakaten, Wandtafeln und Diskussionen zusammen. In der<br />

nächsten Runde schreiben sich die „Schüler mit Wirkung“ das Energiesparen auf<br />

die Fahnen. Sie führen einen Energie-Check im Schulgebäude durch und überprüfen<br />

die Lüftungs- und Lichtnutzungs-gewohnheiten. Viele Energiedetektive<br />

können so wieder Einsparungen erzielen. Für beide Projekte leisten die<br />

Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht fachliche Unterstützung. Die finanziellen<br />

Einsparungseffekte können nun genutzt werden, um ein weiteres großes<br />

Vorhaben in Angriff zu nehmen. Nach den Wünschen der Schü-lerinnen und<br />

Schüler entstehen ein „Klassenzimmer im Grünen“, ein Verkehrsgar-ten, eine<br />

Streetball-Anlage und viele Bepflanzungen. Im Projekt „Schulhofgestal-tung“<br />

gibt es schon wieder viele neue Ideen, an deren Realisierung nun weiter gearbeitet<br />

wird.<br />

168


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Schülerinnen und Schüler verknüpfen Thema und Aufgabe des ökologischen<br />

<strong>Handeln</strong>s mit ihrer Institution „Schülerrat“.<br />

• Sie erreichen damit einerseits eine Handlungsgrundlage für ihr schulnahes<br />

ökologisches Engagement, anderseits bekommt die Arbeit im Schülerrat ein<br />

thematisches Zentrum und wird dadurch auf Ergebnisse bezogen und effektiv.<br />

• Es gelingt dem Schülerrat, sein ökologisches Projekt in den kommunalen<br />

Raum zu tragen und die Unterstützung zahlreicher Partner aus der Kommune<br />

zu mobilisieren.<br />

• Das Projekt bekommt auf der Basis seiner sichtbaren Wirksamkeit eine schulentwicklungsbezogene<br />

Dimension hinsichtlich der räumlichen Lernbedingungen,<br />

indem insbesondere die Schulhofgestaltung, aber auch die Gestaltung von Sportaußenanlagen<br />

und eines „grünen Klassenzimmers“ auf dieser Basis konzipiert<br />

und durchgeführt werden können.<br />

Kontaktadresse: Andrea Leisker, Mittelschule Mockrehna,<br />

Schulstraße 8, 04838 Mockrehna.<br />

Alles Müll oder was<br />

Ein Projekt des Theodor-Mommsen-Gymnasiums in Leipzig (221/00)<br />

Das Ergebnis: Einige Schüler des Leipziger Theodor-Mommsen-Gymnasiums<br />

setzen sich die Einbeziehung umweltbewusster Verhaltensweisen in den<br />

Schulalltag zum Ziel. Sie führen die Mülltrennung in ihrer Schule ein und bemühen<br />

sich um eine Umgestaltung des Schulhofes.<br />

Was wurde getan Dem umweltbewussten Verhalten an ihrer Schule mehr<br />

Gewicht zu verleihen, das nehmen sich einige Jugendliche und Lehrer des<br />

Theodor-Mommsen-Gymnasiums in Leipzig vor. Der Wettbewerb „Umweltschule<br />

in Europa“ ist der Anstoß zu verschiedenen Aktionen, die die Lebens- und<br />

Lernqualität des Gymnasiums verbessern sollen. Zunächst werden die<br />

Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrenden auf den Wettbewerb aufmerksam<br />

gemacht und für das Projekt sensibilisiert.<br />

Die schulinterne Ökogruppe setzt „Ökodetektive“ ein – also Schülerinnen und<br />

Schüler, die die Einhaltung vereinbarter Standards im Umgang mit Energie in der<br />

Schule prüfen und langfristig durchsetzen sollen. Außerdem wird die<br />

Mülltrennung in der Schule eingeführt. Die Projektteilnehmer setzen sich für die<br />

Sauberhaltung des Schulgebäudes und -geländes ein, regen Mehrwegflaschen für<br />

die Getränkeautomaten an, säubern den Schulteich und machen Vorschläge zur<br />

Umgestaltung des Schulhofes. Sie wollen Grünflächen schaffen, Bänke und Fahrradständer<br />

aufstellen und ein Biotop anlegen.<br />

Der größte Teil der Schülerschaft unterstützt diese Vorschläge. Einige von ihnen<br />

besuchen andere Schulen, um sich ein Bild von der dortigen Umsetzung ökologischer<br />

Ziele zu verschaffen. Die anhaltenden Bauarbeiten auf dem Schulgelände<br />

erschweren der Ökogruppe ihre Arbeit, jedoch konnte durch die Mülltrennung eine<br />

deutliche Verbesserung der hygienischen Verhältnisse erreicht werden. Die weitere<br />

Umgestaltung des Schulhofes ist das nächste Ziel, zudem möchten die Teilnehmer<br />

des Projektes noch mehr Schüler für ihre Ideen begeistern.<br />

169


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

Was war daran bemerkenswert Beispielsweise:<br />

• Die Schülerinnen und Schüler ergreifen die Initiative und entwickeln eine<br />

Strategie, um Elemente nachhaltigen Umgangs mit Energie, Müll und den<br />

Naturflächen auf ihrem Schulgelände einzuführen.<br />

• Sie nehmen Kontakt zu anderen Schulen auf, um die Erfahrungen anderer zu<br />

nutzen und sich Anregungen für die Umsetzung ihres Vorhabens zu holen.<br />

• Das Projekt ist auf eine mittelfristige Handlungsperspektive ausgerichtet,<br />

indem – ausgehend von der Schülerinitiative – Planungen für die naturnahe<br />

Umgestaltung des Schulhofes gemacht werden.<br />

• Die Verbindung von <strong>Handeln</strong> im eigenen Lern- und Lebensraum Schule,<br />

Aspekten ökologischen Wirtschaftens und nachhaltigen <strong>Handeln</strong>s sowie die<br />

auf Mittelfristigkeit angelegte Zeitperspektive machen die besondere zivilgesellschaftliche<br />

Basis dieses Schulprojekts aus.<br />

Kontaktadresse: Silke Bringezu, Theodor-Mommsen-Gymnasium,<br />

Bornaische Straße 104, 04227 Leipzig.<br />

4. Ergebnisse und Besonderheiten<br />

Wenn wir auf das Gesamt dieser 34 Projekte schauen, zeigt sich, dass der größte<br />

Teil der Beispiele aus Schulen des staatlichen Bildungswesens stammt. Nur vier<br />

Projekte kommen aus freien Initiativen oder Vereinen. Dabei sind alle Schularten<br />

des allgemeinbildenden Schulwesens in Sachsen vertreten: Die Grundschulen (3<br />

Projekte), die Mittelschulen (6 Projekte), die Förderschulen (7 Projekte) und die<br />

170


Gute Praxis aus sächsischen Schulen<br />

Gymnasien (14 Projekte). Es handelt sich durchweg um Schulen, die keine<br />

besonderen finanziellen oder pädagogischen Rahmenbedingungen als Voraussetzung<br />

ihres demokratischen Lernens und <strong>Handeln</strong>s ausweisen können. Allemal<br />

stammen die hier skizzierten Beispiele pädagogischer Praxis und demokratiepädagogischen<br />

Erfahrungslernens aus dem Raum des pädagogischen Alltags in<br />

Schule und Jugendarbeit.<br />

Bei der Frage nach einem besonderen Profil, einer eigenen Qualität, die in den<br />

Projekten der sächsischen Schulen insgesamt sichtbar werden, zeigen die hier<br />

vorgestellten Beispiele durchaus nennenswerte Auffälligkeiten. Einen eigenen<br />

Schwerpunkt zeigen auch die „schulbezogenen Projekte“. Diese demokratiepädagogischen<br />

Initiativen fallen besonders dadurch auf, dass sie sich oft mit Formen<br />

der geregelten Kommunikation und Konfliktprävention bzw. -moderation sowie<br />

hinsichtlich der Kommunikationsstrategie rational und systematisch untermauerter<br />

Formen bedienen. Streitschlichtung, die Selbstorganisation von Meinungsbildung<br />

und die durch thematische Schwerpunkte fundamental zentrierte Arbeit<br />

mit den durch das Schulgesetz gegebenen Beteilungsmöglichkeiten in Schülerverantwortung<br />

und Schülerräten stechen im Vergleich zur Ausschreibung auf<br />

Bundesebene nirgendwo so stark hervor, wie bei den sächsischen Projekten.<br />

Zudem handelt es sich hier um Projekte, die – stärker noch als andere – gerade<br />

den Handlungsimpuls, die Durchführung und die Vergewisserung über den<br />

Verlauf und die erreichten Ergebnisse bei den Schülerinnen und Schülern selbst<br />

sehen. Diese deutlich sichtbare Selbstaktivierung partizipativer Elemente durch<br />

die Kinder und Jugendlichen ist ein besonderes Merkmal auch der sächsischen<br />

Regionalberatung. Dieses wichtige Ergebnis wird in unserem Band durch die<br />

Beiträge von Schülern zum „Peer-Training“, zur Arbeit mit den Schülerräten in<br />

den Grundschulen sowie den Eigenbeitrag zur Kommunikation und Mediation<br />

systematisch unterstrichen.<br />

Die gewaltbezogenen Projekte gehen das Thema aus zwei verschiedenen<br />

Richtungen an. Zum einen geht es um die Stärkung von Selbstwertgefühl,<br />

Selbstwahrnehmung sowie Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit schon bei<br />

Grundschülern und vor allem bei Förderschülern. Hier kommen also grundlegende<br />

Elemente einer auf Integration, Differenzerfahrung und Toleranz bezogenen<br />

Stärkung sozialer Kompetenzen in den Blick. Zum anderen spielen Themen wie<br />

Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus eine Rolle. Es geht dann um kulturelle<br />

Erscheinungen, in denen die Intoleranz und Angst insbesondere auch in<br />

jugendkulturellen Milieus gerade in sozialen Gruppen gewaltförderlich wirken.<br />

Das Thema der „Neuen Rechten“ und der damit zusammenhängenden Indifferenz<br />

oder gar Ablehnung gegenüber der demokratischen Ordnung und Kultur ist und<br />

bleibt eine anhaltende Herausforderung für Schule und Jugendarbeit in Sachsen<br />

und darüber hinaus, kommt in den hier vorgestellten Projekten jedoch nur mittelbar<br />

im Bereich der Gewaltprävention zum Ausdruck.<br />

Zudem haben die Ausschreibungsergebnisse in Sachsen eine besondere<br />

Gewichtung bei Schulprojekten zum geschichtsbezogenen Bereich. Hier gibt es<br />

eine deutliche „Stärke“ bei den Projektbeispielen, das gilt insbesondere im Vergleich<br />

zu den Themen, die in den Wettbewerbsbeiträgen der anderen „neuen<br />

Länder“ sichtbar werden. Die vorliegenden Geschichtsprojekte zeugen von einer<br />

intensiven Arbeit und von einer großen Vielfalt in der schulischen Projektpraxis.<br />

Das gilt sowohl für die Wahl der Einzelthemen als auch für die damit korrespondie-<br />

171


Wolfgang Beutel / Wolfgang Wildfeuer<br />

renden Arbeitsformen. Auffällig ist dabei – nebst der Konzentration auf die meist<br />

lokal gebundene Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen<br />

Folgen vor Ort – insbesondere die Entwicklung von Projekten zu einer einen Kurs<br />

oder auch ein Schuljahr überdauernden Langzeitperspektive sowie eine Gruppe von<br />

Projekten, die sich intensiv mit den Ereignissen des Arbeiteraufstands in Berlin am<br />

17. Juni 1953 auseinandersetzt und – ganz im Sinne lokalpolitischer Forschung und<br />

entsprechenden Engagements – danach fragt, wie diese Tage vor Ort verlaufen sind,<br />

wer Widerstand geübt hat und in welcher Konsequenz dies geschehen ist. Gerade<br />

diese Projekte machen deutlich, dass dieser frühe Aufstand gegen die Parteidiktatur<br />

der SED nicht nur eine Sache in der Hauptstadt Berlin war, sondern eine<br />

Willensbewegung mit nachfolgender Machtdemonstration der SED-Diktatur, die<br />

die DDR auch in ihren Bezirken berührt hat. Diese Gruppe sächsischer Projekte<br />

steht auch im Vergleich zu den Einsendungen aus den anderen vier neuen<br />

Bundesländern und aus Berlin besonders herausragend da. Sie sind alle im Umfeld<br />

des Gedenkens zum 50. Jahrestag des Aufstandes durchgeführt worden.<br />

Die Projekte in der Kommune und im lokalen Umfeld geben Zeugnis von<br />

ideenreichen Formen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an kommunalpolitischen<br />

und kulturellen Entscheidungs- und Gestaltungsfragen. Die Mitwirkung<br />

bei solchen politischen Prozessen ist in ihrer Wirkung auf die<br />

Herausbildung einer demokratieorientierten politischen Identität kaum zu unterschätzen.<br />

Sowohl die Erfahrung von Kompromissen als Regelfall der Lösung von<br />

Problemlagen, ja auch des Scheiterns als Möglichkeit ist hierfür ebenso bedeutsam<br />

wie der Aspekt, eine kommunalpolitische Entwicklung als Ausdruck eigener<br />

Mitwirkung und damit der Beteiligung eigenen Willens und Wissens verstehen zu<br />

können.<br />

Die „Best-Practice“-Darstellungen zeigen allesamt, wie groß die Breite und<br />

die Varianz der in den Schulen und den Projekten bearbeiteten Themenfelder ist.<br />

Sie belegen zudem, wie verschieden und komplex die jeweils projektspezifischen<br />

Erfahrungen und Handlungsbedingungen vor Ort erscheinen. Insgesamt gesehen<br />

wird sichtbar, wie vielfältig die Landschaft an Projektideen und Praxisbeispielen<br />

in den Schulen Sachsens ist. Wir sind der festen Überzeugung, dass es noch weit<br />

mehr an Ideen, Projektplanungen und bereits laufenden oder abgeschlossenen<br />

interessanten Projekten gibt. Es wäre schön, wenn die Beispielsammlung dieser<br />

Veröffentlichung dazu ermutigen würde, solche Projekte fachöffentlich zugänglich<br />

zu machen, indem sie beim Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong><br />

<strong>Handeln</strong>“ eingereicht werden.<br />

172


III. Materialien


a. Texte zur „Demokratiepädagogik“<br />

a.1. Magdeburger Manifest zur Demokratiepädagogik<br />

Am 26. Februar 2005 wurde im Rahmen der Halbzeitkonferenz des BLK-<br />

Programms „Demokratie lernen und leben“ das „Magdeburger Manifest“ zur<br />

Demokratiepädagogik verabschiedet. Das Manifest entfaltet in 10 Punkten,<br />

warum demokratiepädagogische Aktivitäten in Deutschland engagiert vorangebracht<br />

werden müssen. Der Text wurde von Wolfgang Edelstein (Berlin), Peter<br />

Fauser (Jena) und Gerhard de Haan (Berlin) formuliert.<br />

1. Demokratie ist eine historische Errungenschaft. Sie ist kein Naturgesetz oder<br />

Zufall, sondern Ergebnis menschlichen <strong>Handeln</strong>s und menschlicher Erziehung.<br />

Sie ist deshalb eine zentrale Aufgabe für Schule und Jugendbildung. Demokratie<br />

kann und muss gelernt werden – individuell und gesellschaftlich. Die Demokratie<br />

hat eine Schlüsselbedeutung für die Verwirklichung der Menschenrechte. Die<br />

Entwicklung und die ständige Erneuerung demokratischer Verhältnisse bildet<br />

deshalb eine bleibende Aufgabe und Herausforderung für Staat, Gesellschaft und<br />

Erziehung. Die Erfahrung des menschenverachtenden Regimes des Nationalsozialismus<br />

zeigt, wie rasch die Demokratie in Staat und Gesellschaft zerstört<br />

werden kann. Das aktive Erinnern an diesen Zivilisationsbruch ist deshalb notwendiger<br />

Bestandteil demokratischer Erziehung.<br />

2. Angesichts der Geschichte, nicht weniger jedoch angesichts gegenwärtiger<br />

Entwicklungen und Gefährdungen durch Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit,<br />

Gewalt und Antisemitismus, wird deutlich, dass die Demokratisierung von<br />

Staat und Verfassung allein nicht genügt, die Demokratie zu erhalten und mit<br />

Leben zu erfüllen. Dazu bedarf es vielmehr der Verankerung der Demokratie<br />

nicht nur als Verfassungsanspruch und Regierungsform, sondern als Gesellschaftsform<br />

und als Lebensform.<br />

3. Demokratie als Gesellschaftsform bedeutet, diese als praktisch wirksamen<br />

Maßstab für die Entwicklung und Gestaltung zivilgesellschaftlicher Gemeinschaften,<br />

Verbände und Institutionen zu achten, zur Geltung zu bringen und<br />

öffentlich zu vertreten.<br />

4. Demokratie als Lebensform bedeutet, ihre Prinzipien als Grundlage und Ziel<br />

für den menschlichen Umgang und das menschliche <strong>Handeln</strong> in die Praxis des<br />

gelebten Alltags hineinzutragen und in dieser Praxis immer wieder zu erneuern.<br />

Grundlage demokratischen Verhaltens sind die auf gegenseitiger Anerkennung<br />

beruhende Achtung und Solidarität zwischen Menschen unabhängig von<br />

Herkunft, Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Religion und gesellschaftlichem<br />

Status.<br />

5. Politisch wie pädagogisch beruht der demokratische Weg auf dem entschiedenen<br />

und gemeinsam geteilten Willen, alle Betroffenen einzubeziehen (Inklusion<br />

und Partizipation), eine abwägende, am Prinzip der Gerechtigkeit orientierte<br />

Entscheidungspraxis zu ermöglichen (Deliberation), Mittel zweckdienlich und<br />

sparsam einzusetzen (Effizienz), Öffentlichkeit herzustellen (Transparenz) und<br />

eine kritische Prüfung des <strong>Handeln</strong>s und der Institutionen nach Maßstäben von<br />

Recht und Moral zu sichern (Legitimität).<br />

175


Materialien<br />

6. Demokratie lernen und Demokratie leben gehören zusammen: In demokratischen<br />

Verhältnissen aufzuwachsen und respektvollen Umgang als selbstverständlich<br />

zu erfahren, bildet eine wesentliche Grundlage für die Bildung belastbarer<br />

demokratischer Einstellungen und Verhaltensgewohnheiten. Darüber hinaus<br />

erfordert die Entwicklung demokratischer Handlungskompetenz Wissen über<br />

Prinzipien und Regeln, über Fakten und Modelle sowie über Institutionen und<br />

historische Zusammenhänge.<br />

7. Demokratie lernen ist eine lebenslange Herausforderung; jede neue gesellschaftliche<br />

und politische Situation kann neue Fähigkeiten und demokratische<br />

Lösungswege verlangen. Ganz besonders stellt Demokratie lernen ein grundlegendes<br />

Ziel für Schule und Jugendbildung dar. Das ergibt sich zuerst aus deren<br />

Aufgabe, Lernen und Entwicklung aller Heranwachsenden zu fördern. In welchem<br />

Verhältnis Einbezug und Ausgrenzung, Förderung und Auslese,<br />

Anerkennung und Demütigung, Transparenz und Verantwortung in der Schule<br />

zueinander stehen, entscheidet darüber, welche Einstellung Jugendliche zur<br />

Demokratie entwickeln und wie sinnvoll, selbstverständlich und nützlich ihnen<br />

eigenes Engagement erscheint.<br />

8. Demokratie wird erfahren durch Zugehörigkeit, Mitwirkung, Anerkennung<br />

und Verantwortung. Diese Erfahrung bildet eine Grundlage dafür, dass<br />

Alternativen zur Gewalt wahrgenommen und gewählt werden können und dass<br />

sich Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit (Selbstwirksamkeit) und die<br />

Bereitschaft, sich für Aufgaben des Gemeinwesens einzusetzen, ausbilden können.<br />

Von dieser Erfahrung hängt die Fähigkeit ab, Zugehörigkeit zu anderen und<br />

Abgrenzung von anderen als demokratische Grundsituation zu verstehen und sie<br />

nicht mit blinder Gefolgschaft, mit der Abwertung anderer und mit Fremdenfeindlichkeit<br />

zu beantworten. Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit<br />

bei Jugendlichen sind auch die Folge fehlender Erfahrung der<br />

Zugehörigkeit, mangelnder Anerkennung und ungenügender Aufklärung.<br />

9. Die Forderung, Demokratie lernen und Demokratie leben in der Schule miteinander<br />

zu verbinden, hat Konsequenzen für Ziele, Inhalte, Methoden und<br />

Umgangsformen in jedem Unterricht sowie für die Leistungsbewertung. Daraus<br />

folgt die Bedeutung des Projektlernens als einer grundlegend demokratisch angelegten<br />

pädagogischen Großform. Demokratie lernen und leben in der Schule<br />

impliziert die Forderung, Mitwirkung und Teilhabe in den verschiedenen Formen<br />

und auf den verschiedenen Ebenen des Schullebens und der schulischen Gremien<br />

zu erproben und zu erweitern und verlangt die Anerkennung und Wertschätzung<br />

von Aktivitäten und Leistungen, mit denen sich Schüler und Lehrer über die<br />

Schule hinaus an Aufgaben und Problemen des Gemeinwesens beteiligen.<br />

10. Erziehung zur Demokratie und politische Bildung stellen für die Schule,<br />

besonders für Lehrerinnen und Lehrer, eine Aufgabe von zunehmender gesellschaftlicher<br />

Dringlichkeit dar. Alle staatlichen und zivilgesellschaftlichen Kräfte<br />

sind gefordert, pädagogische Anstrengungen auf diesem Feld zu unterstützen, mit<br />

ausreichenden Mitteln zu versehen und ihre öffentliche Wahrnehmung zu stärken.<br />

Magdeburg, den 26. Februar 2005<br />

176


Materialien<br />

a.2. Demokratiepädagogik – Zwei Definitionsversuche<br />

Peter Fauser hat in diesem Buch ausgeführt, dass „Demokratiepädagogik“ sich<br />

als ein pädagogischer und bildungspolitischer Sammel- und Integrationsbegriff<br />

für sehr unterschiedliche Konzepte, Initiativen, Programme verstehen lässt und<br />

zugleich einen Beitrag dazu leistet, die Kompetenzen, die für Erhalt und<br />

Entwicklung der Demokratie wichtig sind, zu konkretisieren und in Blick auf das<br />

pädagogische <strong>Handeln</strong> näher zu bestimmen.<br />

Die beiden nachfolgenden „Definitionen“ von Demokratiepädagogik sollen<br />

als Versuche verstanden werden, diese beiden Aspekte des Begriffs herauszupräparieren.<br />

Sie sind nach der Magdeburger Halbzeitkonferenz des BLK-Programms<br />

(und im Anschluss an das „Magdeburger Manifest“) im Februar 2005 entstanden<br />

und wurden bei einer Fachkonferenz im Rahmen der Multiplikatorenausbildung<br />

zum BLK-Modellprogramm „Demokratie lernen und leben“ am 2. und 3.<br />

September 2005 im Landesinstitut für Schule und Medien Brandenburg (LISUM<br />

Brandenburg) in Ludwigsfelde erstmals öffentlich diskutiert. Der erste Text<br />

wurde von Peter Fauser, der zweite von Wolfgang Edelstein formuliert.<br />

Peter Fauser: Was ist Demokratiepädagogik – Eine funktionale Bestimmung<br />

„Demokratiepädagogik“ bezeichnet die gemeinsame Aufgabe zivilgesellschaftlich<br />

ausgerichteter Initiativen, Konzepte, Programme und Aktivitäten in Praxis<br />

und Wissenschaft, die das Ziel verfolgen, die Erziehung zur Demokratie zu fördern.<br />

Demokratie und Menschenrechte sind als umfassende und grundlegende<br />

Gestaltungsnormen eng miteinander verbunden und können nur miteinander verwirklicht<br />

werden. Wie die Menschenrechte, so ist auch die Demokratie eine historische<br />

Errungenschaft, deren Verständnis, Bedeutung und praktische Geltung<br />

durch politisches wie durch pädagogisches <strong>Handeln</strong> immer wieder aktiv erneuert<br />

und verwirklicht werden muss – als Regierungsform, als Gesellschaftsform und<br />

als Lebensform. Diese Auffassung von Demokratie begründet, warum es sinnvoll<br />

ist, von „Demokratiepädagogik“ zu sprechen:<br />

• „Demokratie“ ist nicht angeboren, sondern muss gelernt werden.<br />

• „Demokratie lernen“ begnügt sich nicht mit Wissen, sondern fordert darüber<br />

hinaus Kompetenz, verstanden als die Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft,<br />

die erforderlich ist, um als mündiger, verantwortungsfähiger<br />

Bürger in der modernen Welt bestehen und mitwirken zu können.<br />

• „Demokratie“ bezeichnet nicht nur ein inhaltliches, methodisches oder fachliches<br />

Spezialgebiet, sondern eine pädagogische Aufgabe und einen normativen<br />

Anspruch für die Erziehung insgesamt.<br />

Ihr grundlegender und zugleich übergreifender Charakter macht die Demokratiepädagogik<br />

ebenso dringlich wie schwierig. Es besteht die Gefahr, dass<br />

„Demokratie lernen“ als Teilaspekt eines Unterrichtsfachs gesehen, auf formale,<br />

aber oft wenig bedeutsame Mitwirkung in Gremien begrenzt oder als allgemeines<br />

Ziel nur gefordert wird, aber praktisch folgenlos bleibt. In Schule und<br />

Jugendarbeit sind Inhalte, Formen und Standards für professionelles pädagogisches<br />

<strong>Handeln</strong> und für die Gestaltung von Institutionen im Sinne des<br />

Demokratielernens noch zu wenig bewusst und zu wenig entwickelt und bilden<br />

noch kaum einen selbstverständlichen Bestandteil des beruflichen Wissens und<br />

Könnens. Demokratiepädagogik hat das Ziel, Entwicklungen auf diesem Feld<br />

177


Materialien<br />

anzuregen, zusammenzufassen und zu beschleunigen. Sie soll praktische Erfahrungen<br />

und Einsichten und wissenschaftliche Erkenntnisse bündeln und öffentlich<br />

vermitteln, den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis fördern,<br />

Versuche, Förderprogramme und Forschungen anregen und begleiten, die internationale<br />

Zusammenarbeit voranbringen und sich an der Bildung von<br />

Partnerschaften zivilgesellschaftlicher und staatlicher Akteure für diese Aufgabe<br />

beteiligen.<br />

Quelle: www.degede.de<br />

Wolfgang Edelstein: Was ist Demokratiepädagogik Versuch einer operativen<br />

Bestimmung<br />

Demokratiepädagogik umfasst pädagogische, insbesondere schulische und unterrichtliche<br />

Aktivitäten zur Förderung von Kompetenzen, die Menschen benötigen,<br />

• um an Demokratie als Lebensform teilzuhaben und diese aktiv in Gemeinschaft<br />

mit anderen Menschen zu gestalten;<br />

• um sich für Demokratie als Gesellschaftsform zu engagieren und sie durch<br />

partizipatives Engagement in lokalen und globalen Kontexten mitzugestalten;<br />

• um Demokratie als Regierungsform durch aufgeklärte Urteilsbildung und<br />

Entscheidungsfindung zu erhalten und weiter zu entwickeln.<br />

Um ihre Aufgaben zu erfüllen, erfordert Demokratiepädagogik<br />

• Schulische und außerschulische Erfahrungs- und Handlungsfelder. Diese<br />

demokratieförderlich zu gestalten und zu nutzen ist Aufgabe aller an Unterricht<br />

und Schulleben beteiligten Personen und Gruppen.<br />

• Kenntnisse und Wissensbestände als Grundlage für Urteils- und Entscheidungsfähigkeit.<br />

Dies ist vor allem die Aufgabe des politischen Unterrichts in<br />

fachlichen, fächerübergreifenden und projektdidaktischen Kontexten.<br />

• Kompetenzen für demokratisches und politisches <strong>Handeln</strong>. Dies ist vor allem<br />

die Aufgabe einer schulischen Lernkultur, die durch die Gestaltung des<br />

Schullebens und durch Kooperation mit außerschulischen Partnern<br />

Lerngelegen-heiten zur Partizipation, zur Übernahme von Verantwortung und<br />

zur Mitarbeit im Gemeinwesen bietet.<br />

• <strong>Demokratisch</strong>e Werte, Orientierungen und Einstellungen. Durch Unterricht<br />

und Schulleben sollen Kinder und Jugendliche soziale Kompetenzen,<br />

Orientierungen und persönliche Einstellungen entwickeln können, die dazu<br />

beitragen, die Bedeutung der für ein demokratisches Gemeinwesen konstitutiven<br />

Werte zu verstehen, diese in Entscheidungssituationen kritisch zu reflektieren<br />

und sie gegen demokratiekritische Einwände mit Argumenten zu verteidigen.<br />

Quelle: www.degede.de<br />

178


Materialien<br />

b. Arbeitsmaterialien und Kontaktadressen<br />

b.1. Weiterführende Literatur – kommentierte Hinweise in Auswahl<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (1990, 2 1995): <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>.<br />

Dokumentation des Kolloquiums „Schule der Demokratie“ vom 24. bis 26.<br />

September 1989, Universität Tübingen. Tübingen: Verlag Schöppe &<br />

Schwarzenbart.<br />

Eine Tagungsdokumentation, in deren Texten die Grundzüge des Ansatzes zum<br />

Wettbewerb „<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ vor dem Hintergrund der politischen und<br />

pädagogischen Ausgangslage Ende der 80er Jahre entwickelt werden. Diese werden<br />

vor dem Hintergrund der Stichworte „Rückzug der Jugend in die Privatheit“,<br />

„Bildung des Willens“ und „Theorie und Didaktik der politischen Bildung“<br />

diskutiert.<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (1995): Politisch bewegt Schule, Jugend und<br />

Gewalt in der Demokratie. Seelze-Velber: Friedrich Verlag.<br />

Dieser Band berichtet nach fünfjähriger Laufzeit erstmals aus der<br />

„Werkstatt“ des Wettbewerbs „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“.<br />

Praxisbeispiele werden skizziert und von Pädagogen aus Wissenschaft und<br />

Praxis kommentiert. Grundlagenbeiträge zu Jugendkultur, Aspekten der<br />

Fremdheit, zur Gewalt in der Schule und zur Moralerziehung ergänzen diesen<br />

Sonderdruck eines Themenheftes der Zeitschrift „Neue Sammlung“.<br />

Beutel, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (2001): Erfahrene Demokratie. Wie Politik praktisch<br />

gelernt werden kann. Opladen: Leske + Budrich.<br />

Das Buch berichtet umfassend über den Ansatz und die Erfahrungen des<br />

Wettbewerbs „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“. Seine empirische<br />

Basis sind zehn Jahre Schul- und Jugendförderung (1990-2000) im vereinigten<br />

Deutschland und damit rund 1500 Projekte, mit denen sich Schulen und<br />

Jugendliche beteiligt haben. Nebst übergreifenden Beiträgen zum Ansatz und zur<br />

Begründung des Förderprogramms im Spannungsfeld zwischen Schule, Jugend<br />

und Politik versammelt das Buch Praxisberichte, die beispielhaft Chancen und<br />

Schwierigkeiten demokratischen <strong>Handeln</strong>s in pädagogischer Absicht erkennen<br />

lassen. Eine umfassende Dokumentation schließt den Band ab.<br />

Beutel, W./ Fauser, P. et al. (2001): Demokratie lernen in Schule und Gemeinde.<br />

Demokratiepolitische und gewaltpräventive Potenziale in Schule und<br />

Jugendhilfe. Expertise für das Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />

(BMBF). Bonn: BMBF (erhältlich über Internet: www.bmbf.de/pub/demokratie_lernen.pdf).<br />

Im Rahmen der Vorbereitung des BLK-Modellprogramms „Demokratie lernen<br />

und leben“ versucht diese Expertise, die demokratiepädagogischen<br />

Potenziale durch einen umfassenden Katalog an „Best-Practice“-Beispielen<br />

sichtbar zu machen.<br />

Dahrendorf, R. (2003): Auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Vorlesungen<br />

zur Politik der Freiheit im 21. Jahrhundert. München: Beck.<br />

179


Materialien<br />

Ralf Dahrendorf setzt sich hier grundlegend mit dem Spannungsfeld von Freiheit<br />

und staatlich verfasster Ordnung vor dem Hintergrund gegenwärtiger<br />

Entwicklungen wie Globalisierung und Rückgang der Arbeit auseinander. Dabei<br />

fällt der „Bürgergesellschaft“ als Welt der freien und freiwilligen Assoziationen<br />

eine Schlüsselrolle zu. Das Buch formuliert Grundzüge einer Demokratiepolitik,<br />

die dabei die Dimension der transnationalen Politik und der globalen<br />

Entwicklungslinien im Blick behält.<br />

Dewey, J. (1993): Demokratie und Erziehung. Weinheim: Beltz.<br />

Dieses erstmals in den Vereinigten Staaten in den 1920er Jahren erschienene<br />

Buch ist eine Grundlagenschrift der „progressive education“, der Philosophie<br />

des Pragmatismus und letztlich der Reformpädagogik bis heute. Entscheidend ist<br />

in dieser politischen Philosophie mit pädagogischer Absicht die Einsicht in die<br />

Erfahrungs- und Kulturqualität der Demokratie, die Schulen pädagogisch nutzen<br />

und sichtbar machen müssen.<br />

Edelstein, W./ Bromba, M. (2001): Das anti-demokratische und rechtsextreme<br />

Potenzial unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland. Expertise<br />

für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Bonn: BMBF<br />

(erhältlich über Internet: www.bmbf.de/pub/antidemokratische_potenziale.pdf).<br />

Die Expertise kommt aufgrund sekundär-statistischer Auswertungen einer<br />

Anzahl von repräsentativen Bevölkerungsumfragen, aufgrund multivariater statistischer<br />

Analysen und nach Auswertung umfangreicher Forschungsliteratur sowie der<br />

Sichtung der internetbasierten Archive verschiedener großer Tageszeitungen und<br />

Periodika zu Ergebnissen, die die offenen Aufgaben der Demokratiepädagogik in<br />

Schule und Jugendbildung nachhaltig unterstreichen. Jugendliche im Alter von 16<br />

bis 20 Jahren sind bereits in hohem Maße ausländerfeindlich, nationalistisch und<br />

demokratiekritisch eingestellt. Zunehmende Gewaltakte gegen Fremde, die vor<br />

allem von jugendlichen Tätern verübt werden, müssen folglich vor dem Hintergrund<br />

einer erheblichen Zunahme extremistischer Einstellungen bei Jugendlichen und jungen<br />

Erwachsenen gesehen werden. Gerade im Hinblick auf den Extremismus in den<br />

neuen Bundesländern gilt, dass in verstärktem Maß politische Bildung der nachwachsenden<br />

Generation erforderlich ist, die den Kindern und Jugendlichen die<br />

Chancen und Vorzüge der Demokratie nahe bringen muss.<br />

Edelstein, W./ Fauser, P. (2001): Demokratie lernen und leben. Gutachten für ein<br />

Modellversuchsprogramm der Bund-Länder-Kommission. Materialien zur<br />

Bildungsplanung und Forschungsförderung, H. 96. Bonn: BLK.<br />

Dieses Gutachten begründet nicht nur die Planung und die Eckpunkte der<br />

Durchführung des aktuellen BLK-Modellprogramms, sondern begründet differenziert<br />

die Notwendigkeit demokratiepädagogischer Impulse und Interventionen<br />

im Bildungswesen, insbesondere in der Schule in einer über das<br />

Modellprogramm hinausweisenden Gültigkeit.<br />

Edelstein, W./ Fauser, P. (Hrsg.) (2002 ff.): Beiträge zur Demokratiepädagogik.<br />

Eine Schriftenreihe des BLK-Programms „Demokratie lernen & leben“. Berlin:<br />

BLK (online verfügbar über: http://blk-demokratie.de/materialien/beitraege-zurdemokratiepaedagogik).<br />

180


Materialien<br />

Diese Schriftenreihe entwickelt mit namhaften Autorinnen und Autoren knappe und<br />

systematisch angelegte Beiträge zu Grundlagenthemen demokratischer Schulentwicklung<br />

und Lernpraxis. Seit Mitte 2005 liegen Beiträge zu Werteerziehung, zu<br />

Menschenrechtserziehung, zu schulrechtlichen Aspekten der Demokratieerziehung,<br />

zur Didaktik des Demokratie-Lernens und zu grundlegenden Praxisstrategien aus<br />

dem angelsächsischen Raum wie „Service-Learning“, Deliberation und „Citizenship-Education“<br />

vor.<br />

Fauser, P. (2002): Lernen als innere Wirklichkeit. In: Neue Sammlung 42, H. 2, S. 39-68.<br />

Begründet wird ein Verständnis von Lernen und Denken, das deren „konstruktiv-generative<br />

Qualität“ in den Blick nimmt. Das Konzept eines „verständnisintensiven<br />

Lernens“ zielt auf den Aufbau von anwendungsbereitem, bewährtem<br />

und zugleich problemoffenem, intelligentem und flexiblem Wissen und<br />

Können. In der Förderung verständnisintensiven Lernens, dessen Hauptelemente<br />

Vorstellung, Erfahrung, Begreifen und Metakognition seien, kommt eine wichtige<br />

Aufgabe der Schule in den Blick, die damit zugleich einen Dreh- und Angelpunkt<br />

der Demokratiepädagogik konkretisiert.<br />

Fauser, P. (2003): Demokratie lernen und Schulentwicklung. Zur pädagogischen<br />

Begründung des BLK-Modellprogramms „Demokratie lernen und leben“. In:<br />

Polis, Report der DVpB, H. 3, S. 3-5.<br />

Fauser, P. (2004): Demokratiepädagogik oder politische Bildung In: kursiv –<br />

Journal für die politische Bildung 8, H. 1, S. 44-48.<br />

In diesen beiden Grundlagenartikeln skizziert der Autor Eckpunkte einer theoretischen<br />

Einordnung der Demokratiepädagogik. Schulpädagogische Motive für<br />

das Thema Demokratie-Lernen und Demokratiepädagogik werden benannt: die<br />

Verstehenstiefe des Lernens, handlungs- und projektorientierte Arbeitsweisen mit<br />

Realitäts- und Lebensbezug und die Notwendigkeit, Demütigung und Missachtung<br />

zu vermeiden und vielmehr die Erfahrung und Praxis gegenseitiger<br />

Anerkennung zu kultivieren.<br />

Fauser, P./ Luther, H./ Meyer-Drawe, K. (Hrsg.) (1992): Verantwortung.<br />

Jahresheft X des Erhard-Friedrich-Verlages in Zusammenarbeit mit Klett. Seelze-<br />

Velber: Friedrich-Verlag.<br />

In dieser Textsammlung wird der Begriff der „Verantwortung“ vor dem<br />

Hintergrund verschiedener pädagogischer Handlungsfelder durch knappe und<br />

prägnante Texte ausgeleuchtet. Eine Fülle von Projektskizzen, insbesondere auch<br />

aus den ersten Jahren der Arbeit des Förderprogramms <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>,<br />

ergänzt den Band.<br />

Himmelmann, G. (²2005): Demokratie Lernen als Lebens-, Gesellschafts- und<br />

Herrschaftsform. Ein Lehr- und Studienbuch. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

Der Autor legt eine detailreiche Darstellung des Zusammenhangs von<br />

Demokratie als politischer Großform und als alltagsbedeutsame Lebensform aus<br />

der Perspektive der Politikdidaktik vor. Hier wird zudem der Diskurs in Theorie<br />

und Didaktik der Politikwissenschaft nachgezeichnet, der die Ausgangslage für<br />

das Programm „<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ markiert. Zugleich ist das Buch als<br />

Arbeitshilfe ideal für Lehrzwecke.<br />

181


Materialien<br />

Himmelmann, G./ Lange, D. (Hrsg.) (2005): Demokratiekompetenz. Beiträge aus<br />

Politikwissenschaft, Pädagogik und politischer Bildung. Wiesbaden: VS-Verlag.<br />

Vor dem Hintergrund der sich zeitweise polarisierenden Debatte um<br />

Demokratie-Lernen aus schulpädagogischer Sicht und politische Bildung aus<br />

fachdidaktischer Perspektive dokumentiert dieser Band aktuelle Beiträge zur<br />

Begründung der Demokratie, ihrer weiteren Entwicklung als Aufgabe der<br />

Bürgergesellschaft und der daraus folgenden Anforderungen an Pädagogik in<br />

Jugendarbeit und Schule.<br />

Projektgruppe Praktisches Lernen (1988): Erfahrungen mit Praktischem Lernen.<br />

Eine Übersicht. In: Zeitschrift für Pädagogik 34, H. 6, S. 749-760.<br />

Dieser Artikel entfaltet das Konzept des praktischen Lernens und macht<br />

zugleich prägnant deutlich, in wie starkem Maße sich Themen von Bedeutung für<br />

Politik, Demokratie und das Gemeinwesen in Schulprojekten bereits in den<br />

1980er Jahren aufzeigen lassen.<br />

Reinhardt, V. (Hrsg.) (2005): Projekte machen Schule. Projektunterricht in der<br />

politischen Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.<br />

Mit Schwerpunktsetzungen auf der projektdidaktischen Theorie einerseits und<br />

projektdidaktisch innovativen Beispielen andererseits versucht der Band eine<br />

aktuelle Bilanz des Projektgedankens in der politischen Bildung der Schule heute<br />

jenseits aller Polarisierungen zu ziehen.<br />

b.2. Internetangebote und Kontakte<br />

www.demokratisch-handeln.de<br />

Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“<br />

Das Förderprogramm pflegt seit etwa fünf Jahren ein Internet-Portal, das<br />

umfassend über die aktuelle Entwicklung des Wettbewerbs informiert und durch<br />

eine Vielzahl an Angeboten Hilfen zur demokratischen Schulentwicklung geben<br />

möchte. Hierzu gehören neben einer umfassenden Dokumentation von Veranstaltungen<br />

und der wissenschaftlichen und praxisbezogenen Publizistik des<br />

Förderprogramms (Bibliographie) insbesondere eine ständig aktualisierte<br />

Datenbank, die alle in den Ausschreibungen seit 1990 vorgelegten Projekte durch<br />

Textskizzen charakterisiert und zugleich eine kriteriengeleitete Recherche (bis<br />

hin zur Textsuche) zugänglich macht. Darüber hinaus ist dort das Feld der regionalen<br />

Beratung über dieses Portal für alle Bundesländer, in denen ein solcher<br />

Service angeboten werden kann, zu erschließen. Informationen zur jeweils<br />

aktuellen Ausschreibung sind zudem online abrufbar.<br />

www.blk-demokratie.de<br />

BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“<br />

Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung<br />

(BLK) hat mit Beginn zum April 2002 ein auf fünf Jahre angelegtes Modellprojekt<br />

„Demokratie leben und lernen“ aufgelegt. 13 Bundesländer wirken hier mit dem<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie einer Reihe freier Träger und<br />

Stiftungen zusammen. Die Internet-Seite des Programms bietet umfängliche Informationen<br />

zum Programmverlauf, zum Entwicklungsstand in den Schulsets der<br />

182


Materialien<br />

beteiligten Bundesländer, grundlegende Materialien und Unterstützungsangebote<br />

zu Themenbereichen und Entwicklungsfeldern der Demokratiepädagogik<br />

(Praxisbausteine) sowie die PDF-Varianten der Grundlagenexpertise von Wolfgang<br />

Edelstein und Peter Fauser sowie der Schriftenreihe des BLK-Programms<br />

„Demokratie lernen & leben“, die unter dem Titel „Beiträge zur Demokratiepädagogik“<br />

von Wolfgang Edelstein und Peter Fauser herausgegeben werden.<br />

Literaturhinweise und ein „Newsletter“ ergänzen das vielfältige Angebot.<br />

www.theodor-heuss-stiftung.de<br />

Die Theodor-Heuss-Stiftung zur Förderung der politischen Bildung und Kultur<br />

in Deutschland und Europa e.V.<br />

Die überparteiliche „Theodor-Heuss-Stiftung zur Förderung der politischen<br />

Bildung und Kultur in Deutschland und Europa e.V.“ wurde nach dem Tode des<br />

ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss von ihrer heutigen Vorsitzenden<br />

Hildegard Hamm-Brücher gegründet. Damit wurde zugleich ein Preis gestiftet,<br />

der dazu beitragen wollte, den „demokratischen Staat“ im Sinne von Theodor<br />

Heuss mit demokratischem Leben zu erfüllen. Von der Freiheit den rechten<br />

Gebrauch zu machen, die Kräfte der Zivilgesellschaft zu mobilisieren sowie<br />

demokratischen Bürgersinn aus dem Geist von Freiheit und Verantwortung zu<br />

stärken ist das Ziel der Theodor-Heuss-Stiftung im Sinne ihres Namensgebers.<br />

Auf das Verhältnis zwischen den Generationen und das Engagement von Jugend<br />

und Schule für das Gemeinwesen wird dabei besonderer Wert gelegt. Die Stiftung<br />

ist einer der ideellen Träger des Wettbewerbs „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong><br />

<strong>Handeln</strong>“.<br />

Akademie für Bildungsreform<br />

Die „Akademie für Bildungsreform“ ist ein Zusammenschluss von Frauen und<br />

Männern aus Wissenschaft und Praxis zur Diskussion und öffentlichen Äußerung<br />

über Fragen der Schule, der Jugend- und Bildungspolitik. Zentrum der gegenwärtigen<br />

Arbeit ist das Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>, das in Verbindung mit<br />

der Theodor-Heuss-Stiftung (unter Leitung von Hildegard Hamm-Brücher) 1989<br />

ins Leben gerufen wurde. Die Akademie wurde 1980 gegründet und hat sich mit<br />

Fachtagungen, mit Gutachten und Appellen insbesondere den folgenden Themen<br />

zugewandt: Gerechtigkeit in der Schule; Der Leistungsbegriff der Schule;<br />

Gesundheit und Gesundheitsgefährdung in der Schule, Schulaufsicht und<br />

Gestaltungsfreiheit; Altersaufbau der Lehrerschaft; Praktisches Lernen in der<br />

Schule; <strong>Demokratisch</strong>es Lernen und <strong>Handeln</strong> Jugendlicher; Jugendausbildung und<br />

Jugendarbeitslosigkeit; Krieg und Pädagogik.<br />

Ihr Vorstand wird gegenwärtig gebildet von Prof. Dr. Andreas Flitner<br />

(Tübingen) und Prof. Dr. Peter Fauser (Jena). Die Adresse lautet: Akademie für<br />

Bildungsreform, c/o Prof. Dr. Peter Fauser, Löbstedter Straße 67, 07749 Jena,<br />

Tel.: (0 36 41) 88 99 10, Fax: (0 36 41) 88 99 12.<br />

www.pl-jena.de<br />

Service-Pool „Praktisches Lernen“ Jena<br />

Informationen zum Praktischen Lernen bietet das Datenbank- und Service-<br />

Projekt „Service-Pool Praktisches Lernen Jena“ an. Das Projekt ist angesiedelt<br />

am Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung der Friedrich-Schiller-<br />

183


Materialien<br />

Universität Jena und war eine der Initiativen, die wesentliche Voraussetzungen<br />

für den Wettbewerb „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ geschaffen hat.<br />

Unter dem Internet-Angebot „www.pl-jena.de“ werden eine Datenbank mit<br />

Schulprojekten aus dem Förderzeitraum der Jahre 1984-1994, Hinweise und<br />

Links zu den noch heute tätigen landesbezogenen Fördervereinen Praktischen<br />

Lernens sowie umfassende Möglichkeiten zum Bezug einschlägiger Literatur<br />

angeboten.<br />

www.degede.de<br />

Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe)<br />

Die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. (DeGeDe) versteht<br />

sich als Forum für alle, die demokratische Innovationsprozesse an Schulen und<br />

außerschulischen (Bildungs-)Einrichtungen gestalten, begleiten oder erforschen.<br />

Die im Februar 2005 gegründete, überfachlich organisierte Gesellschaft interessierter<br />

Professionen und Praktiker setzt sich zum Ziel, die Entwicklung von<br />

Kompetenzen für ein Leben in der Zivilgesellschaft nachhaltig zu fördern. Ihr<br />

Anliegen ist es, den Alltag der Schul- und Jugendbildung insgesamt im Sinne der<br />

gelebten Demokratie, der Partizipation und einer Kultur der gegenseitigen<br />

Achtung und Anerkennung zu verändern.<br />

Die Mitte Februar 2005 in Magdeburg begründete Dachorganisation bezieht<br />

sich in ihrem Verständnis von Demokratiepädagogik auf das „Magdeburger<br />

Manifest“ , das in zehn Thesen die Grundlagen demokratiepädagogischer Praxis<br />

und Entwicklung für Schule und Jugendarbeit zusammenfasst. Die Begründung<br />

dieser offenen pädagogischen Gesellschaft hat insbesondere im Raum der<br />

Fachdidaktik der politischen Bildung heftige Diskussionen ausgelöst.<br />

www.schola-21.de<br />

Informations- und Lernsystem für gute Projektpraxis<br />

Das Projektsystem SCHOLA-21 versucht – von der Mercator-Stiftung finanziert<br />

und gemeinsam mit der DKJS organisiert – ein interaktives Informationsund<br />

Lernsystem für gute Projektpraxis anzubieten. Hier werden bundesweit<br />

Information mit Unterstützung für Projektlernen kombiniert: Von der Datenbank<br />

bis zu Organisationshilfen bei der Projektplanung.<br />

www.dkjs.de<br />

Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung<br />

Die Deutsche Kinder und Jugendstiftung in Berlin versucht Demokratie-<br />

Lernen insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Stärkung von Eigeninitiative<br />

und Verantwortungshaltung in der Schule zu fördern. Schwerpunkte hierbei sind<br />

das Programm zur Förderung von Schulclubs sowie der Förderschwerpunkt zur<br />

Entwicklung und Unterstützung von Schülerfirmen. Die 1994 gegründete<br />

Stiftung will darüber hinaus einen Beitrag zum Zusammenwachsen von Ost und<br />

West in Deutschland leisten. Sie hat mit dem Wettbewerb „Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“ sowohl inhaltlich als auch durch finanzielle Förderung<br />

vielfach zusammengearbeitet, begleitet fachlich das „Investitionsprogramm<br />

Bildung und Betreuung des BMBF“ und kooperiert bzw. unterstützt viele<br />

Initiativen und Träger im Feld der Demokratiepädagogik sowohl in der<br />

Jugendarbeit als auch in der Schule.<br />

184


Materialien<br />

www.imaginata.de<br />

Die IMAGINATA in Jena<br />

Die IMAGINATA ist ein Experimentarium für die Sinne – Sie fördert<br />

Erfindergeist und Vorstellungsdenken: Überraschende Phänomene und Aktionen,<br />

experimentelle Installationen, Wachmacher für die Sinne regen an zum Staunen,<br />

Experimentieren, Spielen und Grübeln und vor allem: Sie machen Spaß und<br />

geben zu denken. Vorstellungen sind nicht nur unsere ständigen Begleiter beim<br />

alltäglichen <strong>Handeln</strong>. Sie spielen auch eine wichtige Rolle bei komplexen<br />

Problemlösungen oder kreativen Prozessen. Den wissenschaftlichen Hintergrund<br />

zur IMAGINATA bildet das Projekt „Imaginatives Lernen“ am Lehrstuhl für<br />

Schulpädagogik und Schulentwicklung der Friedrich-Schiller-Universität Jena<br />

(Prof. Dr. Peter Fauser). Der Lehrstuhl arbeitet an der Theorie der „Vorstellungs-<br />

Bildung“ sowie der praxisnahen Entwicklung und Erforschung von Formen<br />

„Verständnisintensiven Lernens“.<br />

www.bundeswettbewerbe.de<br />

Arbeitsgemeinschaft der bundesweiten Schülerwettbewerbe<br />

Die Arbeitsgemeinschaft der bundesweiten Schülerwettbewerbe ist ein<br />

Zusammenschluss von staatlich anerkannten und gesamtstaatlich geförderten<br />

Schülerwettbewerben in Deutschland. Ihr Ziel ist es, für die Beteiligung an pädagogisch<br />

sinnvollen Wettbewerben zu werben und Wettbewerbe als schulergänzende<br />

Instrumente zur Begabungsentwicklung und Begabtenförderung sowie zur<br />

Profilierung und Differenzierung von Schulen und Schulprogrammen zur<br />

Geltung zu bringen.<br />

www.wegweiser-bürgergesellschaft.de<br />

Der Wegweiser Bürgergesellschaft ist ein Projekt der Stiftung MITARBEIT in<br />

Kooperation mit der „Stabsstelle Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ des<br />

Bundesinnenministeriums. Das Projekt soll ein Wegweiser in und für die<br />

Bürgergesellschaft sein. In die Bürgergesellschaft, um Interessierte über Möglichkeiten<br />

des Engagements in der Bürgergesellschaft zu informieren und Politik<br />

und Verwaltungen bei der Schaffung notwendiger Rahmenbedingungen für dieses<br />

Engagement zu unterstützen. Für die Bürgergesellschaft zur Erleichterung<br />

von Erfahrungsaustausch, Kooperation und gegenseitigem Lernen zwischen<br />

unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Netzwerken. Sowohl für diejenigen, die<br />

zum ersten Mal aktiv werden, als auch für diejenigen, die sich schon seit längerem<br />

engagieren und einfach nach neuen Ideen suchen, soll der Wegweiser praktische<br />

Arbeitshilfen anbieten.<br />

www.amadeu-antonio-stiftung.de<br />

Die Amadeu Antonio Stiftung<br />

Ziel der Stiftung ist es, eine zivile Gesellschaft zu fördern, die anti-demokratischen<br />

Tendenzen entschieden entgegentritt. Dafür werden Gruppen unterstützt,<br />

die kontinuierlich gegen Rechtsextremismus vorgehen, sich für eine demokratische<br />

Zivilgesellschaft engagieren und für den Schutz von Minderheiten eintreten.<br />

Sie zu ermutigen, ihre Eigeninitiative vor Ort zu stärken und zu vernetzen, ist die<br />

wichtigste Aufgabe der Stiftung.<br />

185


Materialien<br />

www.sachsen-macht-schule.de<br />

Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Sächsischen Staatsministeriums für<br />

Kultus und Sport<br />

Der Bildungsserver des Sächsischen Kultusministeriums bietet umfassende<br />

Informationen zu den Schulen und zur Schulpolitik des Landes. Dazu gehören<br />

auch Infos und Web-Zugänge zu den schülerbezogenen Projekten wie das<br />

Kooperationsprojekt des Thüringer Kultusministeriums und des Sächsischen<br />

Kultusministeriums „Schüler als Experten für Unterricht“ oder das Projekt<br />

„Rauchfreie Schulen im Freistaat Sachsen“. Eine Schuldatenbank und<br />

Schulportraits sowie Grundlageninformationen zu den Bildungsgängen, zum<br />

Schulrecht und zum Kultusministerium runden die informative Seite ab.<br />

www.lsr-sachsen.de<br />

Der Landesschülerrat Sachsen<br />

Der Landesschülerrat Sachsen (LSR) versteht sich als das höchste beschlussfassende<br />

offizielle Schülergremium in Sachsen. Er organisiert bildungspolitische<br />

Aktionen auf Landesebene, erarbeitet und vertritt die bildungspolitischen<br />

Interessen aller Schülerinnen und Schüler in Sachsen gegenüber der Politik, der<br />

Gesellschaft und den Schulen. Die Webseite informiert rund um SV, Schulpolitik<br />

und alles, was in und um das Thema Schule los ist. Außerdem lässt sich die<br />

Homepage als Portal zur bundesweiten Schülervertretungsarbeit nutzen.<br />

www.ler-sachsen.de<br />

Der Landeselternrat Sachsen<br />

Die Seite des Landeselternrats Sachsen informiert über die aktuellen Projekte<br />

und die Grundlagen der Elternarbeit in Sachsen. Der Landeselternrat Sachsen arbeitet<br />

in schulartbezogenen Ausschüssen. Insbesondere hat der LER Informationsbroschüren<br />

als Hilfen für die Elternmitwirkung an der Schule online gestellt. Ein<br />

Diskussionsforum und ein Pressearchiv ergänzen das Angebot dieser Seite.<br />

www.demokratisches-sachsen.de<br />

„<strong>Demokratisch</strong>es Sachsen“<br />

Hierbei handelt es sich um ein Programm der Deutschen Kinder- und<br />

Jugendstiftung, das durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und die<br />

Sächsische Staatskanzlei gefördert wird. Sein Ziel ist es, junge Menschen in<br />

Sachsen dazu zu ermutigen, sich aktiv für ein tolerantes und demokratisches<br />

Miteinander einzusetzen und dabei die Demokratie im Alltag Jugendlicher erlebbar<br />

zu machen. Die Seite bietet Zugang zu den Einzelprojekten „Lernorte der<br />

Demokratie“ , „Werkstatt Europa“ und weiteren Initiativen.<br />

www.schuelermitwirkung.de<br />

Das Seminarprogramm „Mitwirkung mit Wirkung“ zur Qualifikation in der SV-Arbeit<br />

„Mitwirkung mit Wirkung“ findet im Rahmen des Programms „<strong>Demokratisch</strong>es<br />

Sachsen“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), gefördert<br />

durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales (SMS), statt. Das Projekt bietet<br />

Seminare zur Schülerbeteiligung vor Ort an und stellt entsprechende Materialien<br />

bereit. So ist dort bspw. die vom Landesschülerrat Sachsen und dem Projekt<br />

„Mitwirkung mit Wirkung“ gemeinsam erstellte „SchülerInnenfibel“ erhältlich.<br />

186


Materialien<br />

www.peer-training.de<br />

Der Verein „Peer-Trainig Sachsen e.V.“<br />

Der Verein wurde von in dieser Peer-Arbeit engagierten Jugendlichen und<br />

jungen Erwachsenen gegründet. Das „Peer-Training“ richtet sich auf die Vermittlung<br />

von Selbstwert-, Umgangs- und Kommunikationskompetenzen im<br />

Rahmen eines von den Grundwerten der Demokratie und der Toleranz bestimmten<br />

Menschenbildes. Die Angebote des Vereins zielen auf systematische Weitergabe<br />

dieser Kompetenzen in der eigenen Altersgruppe. Das Trainingsprogramm<br />

wurde von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), der European Peer<br />

Training Organisation (EPTO) und dem Eine Welt der Vielfalt e.V. entwickelt und<br />

durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.<br />

Die Seite gibt detaillierte Infos und Möglichkeiten zum Kontakt.<br />

www.sud-sachsen.de<br />

Das BLK-Modellprogramm „Demokratie lernen und leben“ in Sachsen<br />

„Schulleben und Unterricht demokratisch gestalten“ (SUD) ist das Thema<br />

zweier Schulsets in Zwickau/Bautzen und Chemnitz/Dresden, die sich inhaltlich<br />

v.a. auf die Aspekte „Unterricht“ und „Partizipation“ richten. Die Seite informiert<br />

über die Schulen, die Beteiligung an der systematischen „Selbstwirksamkeitsschulung“<br />

einiger der Programmschulen und über interne Fortbildungen sowie<br />

den Projektverlauf.<br />

187


Autoren<br />

Wolfgang Beutel: Dr. phil, Staatsexamen Lehramt Gymnasien (Deutsch, Pädagogik,<br />

Politik) an der Universität Tübingen; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am<br />

Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung der Friedrich-Schiller-<br />

Universität Jena und Geschäftsführer des Wettbewerbs „Förderprogramm <strong>Demokratisch</strong><br />

<strong>Handeln</strong>“.<br />

Peter Fauser: Prof. Dr. rer. soc.; Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik und<br />

Schulentwicklung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Vorstandsmitglied<br />

der Akademie für Bildungsreform; Gründer und Vorsitzender des Vereins IMA-<br />

GINATA e.V. sowie Wissenschaftlicher Leiter des Wettbewerbs „Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>“.<br />

Dirk Lange: Prof. Dr. rer. soc.; Inhaber der Professur für die Didaktik der<br />

Politischen Bildung am Institut für Politikwissenschaft der Carl von Ossietzky<br />

Universität Oldenburg; Herausgeber der Zeitschrift „Praxis Politik“ und Bundesvorsitzender<br />

der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB).<br />

Markus Vogelsang: Schüler an der Mittelschule Niederwiesa; Ausbildung als<br />

Mediator sowie im Bereich Kommunikation und Moderation; Begründer des<br />

Projekts „demokraGrundschulen“.<br />

Wolfgang Wildfeuer: Dr. päd.; Fortbildungsreferent an der Sächsischen Akademie<br />

für Lehrerfortbildung (SALF) Meißen; Trainer für Kommunikation,<br />

Mediation und Moderation; Regionalberater Sachsens für das Förderprogramm<br />

<strong>Demokratisch</strong> <strong>Handeln</strong>.<br />

Florian F. Woitek: Student an der Universität Leipzig; Peer-Trainer der „Ersten<br />

Stunde“ in Sachsen; Gründungsvorsitzender des Vereins „Peer-Training Sachsen<br />

e.V.”; auch heute noch als Peer-Trainer in Jugendgruppen und Schulen aktiv.<br />

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