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In allen Religionen gibt es eine breite Strömung von Gläubigen, die meinen durch äußere<br />
Handlungen Erlösung und Heil zu erlangen. Sadhus machen da keine Ausnahme. Auch unter<br />
ihnen gibt es viele, die blind an religiöse Überlieferungen glauben. Sie sind davon überzeugt<br />
durch Pilgerfahrten, Baden im Ganges und vielen anderen äußeren Handlungen Erlösung vom<br />
Karmakreislauf zu erlangen.<br />
Jemand fragte einmal den erleuchteten Yogi Ramakrishna wie es mit dem Bad im heiligen<br />
Ganges stünde und ob man dadurch von den Sünden frei werden würde. Ramakrishna sagte:<br />
"Wenn der fromme Mensch zum Gangesufer geht, springen die Sünden entsetzt von ihm ab.<br />
Sie warten bis er gebadet hat. Wenn er dann wieder das Ufer betritt, kommen sie alle eilig<br />
herbei und hängen sich ihm wieder an."<br />
Auch unter Yogis glauben manche durch das blinde Einhalten von Lebensregeln, zitieren von<br />
Mantras, Opferritualen und anderem dem Ziel der Erleuchtung näher zu kommen.<br />
Als nächstes las Severin einen Artikel, der ihm zur Frage der Vollkommenheit eine völlig andere<br />
Perspektive zeigte:<br />
Es mag sein, dass manche Sadhus glauben durch äußere Handlungen wie Pilgerfahrten und<br />
Riten, inneren Fortschritt zu erlangen. Sie deshalb zu verurteilen wäre aber voreilig. Man sollte<br />
bedenken mit welchem Eifer und Einsatz sie sich religiösen Zielen widmen. Sollte man das<br />
etwa nicht würdigen? Ist ein veräußerlichtes Leben in einer Konsumgesellschaft vielleicht<br />
höher zu bewerten. Liegen denn nicht auch hier Fehlorientierungen vor, die uns nicht auffallen,<br />
weil sie so selbstverständlich gelebt werden, dass sie als Norm gelten?<br />
Der Mensch muss nicht perfekt sein und kann es auch nie, solange er Mensch ist. Durch sein<br />
ganzes Leben muss er verstehen lernen und sich formen. Als Folge hiervon sollte er stark<br />
werden. Stärke muss trainiert werden.<br />
Schwäche ist oft eine Folge der Angst. In diesem Fall müssen wir nicht gegen Schwäche<br />
ankämpfen, sondern gegen die Angst in uns. Stärke ihrerseits hat auch mit Vertrauen zu tun,<br />
mit Selbstvertrauen und Gottesvertrauen.<br />
Was immer an Eigenschaften vorliegt, wir werden als Mensch nie vollkommen sein. Aber was<br />
als hoch zu bewerten ist, ist der Versuch es zu werden. Was zählt, ist der Einsatz und die<br />
Mühe, die wir auf uns nehmen besser und vollkommener zu werden.<br />
So wie sich bislang Severin zeigte gab es zwei wesentliche Ziele in seinem Yoga: das Streben nach<br />
Vollkommenheit und das Bemühen die Liebe zu entwickeln. Zu letzterem las er folgendes:<br />
Der Weg der Liebe ist scheinbar ein einfacher Weg, zumindest glauben das viele. So weit ich<br />
bislang sehen konnte, gelingt die Liebesmystik nur den Wenigsten, denn es sind die vielen<br />
Wünsche und Egoismen der Menschen, die eine offene Liebe verhindern. Wünsche und<br />
Egoismen abzulegen ist sehr schwer – somit ist der Weg der Liebe ein schwerer Weg.<br />
Viele versuchen zu Beginn Wünsche und Egoismen unter innerem Zwang zu überwinden.<br />
Wenn jemand seine Wünsche mit Gewalt unterdrückt, wie sollte er bei dieser Härte gegen sich<br />
selbst die Sanftmut erwerben, welche für die Liebe eine Voraussetzung ist?<br />
Wieder holte Severin die Suchfragen des Jnana-Yoga hervor und las sie durch. Ja, sie waren<br />
vielleicht durchführbar, aber nicht aus einem Zwang heraus, sondern durch Liebe und Hingabe.<br />
Er notierte noch einmal die Suchfragen in sein Protokollheft, diesmal etwas verändert, und fügte ein<br />
Gedicht von der Mystikerin Mira Bai hinzu:<br />
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