Die gesamte Ausgabe 1/2004 als pdf-Datei - Senioren Zeitschrift ...
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Dezember: Das hessische Kultusministerium<br />
bezeichnet es <strong>als</strong> „dramatischen<br />
Vorgang“, dass in den<br />
letzten 13 Jahren der Anteil derjenigen,<br />
die zur Hochschulbildung<br />
drängen, von fünf auf 20 Prozent<br />
gestiegen ist.<br />
Stadtgeschichte vor 30 Jahren<br />
Der Ruf nach einer „menschlichen<br />
Stadt“ wird immer lauter.<br />
Demonstrationen, die zu Gewalttätigkeiten<br />
führen, stören den städtischen<br />
Alltag. Der in den 70er Jahren<br />
begonnene Häuserkampf findet seinen<br />
Höhepunkt im Februar 1974.<br />
Das „Gesicht“ der Stadt verändert<br />
sich: Es werden erhebliche Aufwendungen<br />
für die Freizeitgestaltung<br />
getätigt. <strong>Die</strong> Stadt bemüht sich darüber<br />
hinaus, das Stadtgrün nicht nur zu<br />
erhalten, sondern durch einen dritten<br />
Grünring im Niddatal zu erweitern.<br />
Dennoch verändern immer neue<br />
Hochhäuser das Gesicht Frankfurts.<br />
In der Kulturpolitik wird der Rat<br />
von Bertolt Brecht befolgt, den „kleinen<br />
Kreis der Kenner zu einem großen<br />
Kreis der Kenner zu machen“. Das<br />
bedeutet, Kunst und Wissenschaft<br />
sollen jedermann erschlossen werden.<br />
In Massenauflagen werden Informationsschriften<br />
über Frankfurt verschenkt,<br />
die die Stadt von der angenehmen<br />
Seite zeigen und dem<br />
Image eines „Babylons am Main“ entgegenwirken<br />
sollen.<br />
Erinnern Sie sich?<br />
Im Oktober 1973 stiftet die Gemeinde<br />
Bergen-Enkheim das Amt<br />
des „Stadtschreibers“. <strong>Die</strong> Initiative<br />
zu diesem bisher in der Bundesrepublik<br />
einmaligen Literaturpreis<br />
stammt von dem Frankfurter Werbefachmann<br />
und Literaturförderer<br />
Franz Joseph Schneider, Gründungsmitglied<br />
der „Gruppe 47“. Ein Jahr<br />
lang soll der Stadtschreiber ohne<br />
materielle Sorgen leben können.<br />
Deshalb darf er kostenlos „An der<br />
Oberpforte 4“ wohnen und erhält<br />
25.000 Mark. Dafür werden von<br />
ihm die Teilnahme an Werkstattgesprächen<br />
sowie Lesungen und<br />
Schülergespräche erwartet. Am 30.<br />
August 1974 wird der Schriftsteller<br />
Wolfgang Koeppen erster „Stadtschreiber“.<br />
Jutta Perino<br />
„Wie war’s?“<br />
Nachgefragt: Paul Reisen<br />
Eine Jury aus vier Schriftstellern<br />
und vier Bürgern unter Vorsitz<br />
des Ortsvorstehers wählt die Preisträger<br />
des Bergen-Enkheimer Literaturpreises.<br />
Dr. h.c. Paul Reisen<br />
(Jahrgang 1925) ist seit 30 Jahren<br />
Mitglied der Jury. Jutta Perino<br />
sprach mit ihm über die 70er Jahre.<br />
Herr Reisen, welche Erinnerungen<br />
verbinden Sie persönlich<br />
mit dem Jahr 1974?<br />
Da fällt mir sofort der Rücktritt<br />
Willi Brandts ein, der der Guillaume-Affäre<br />
zum Opfer fiel. Helmut<br />
Schmidt wurde neuer Bundeskanzler.<br />
Und das Frankfurter<br />
Schauspiel hatte unter Harry<br />
Buckwitz eine große Zeit. Neben<br />
anderem kamen fast alle Dramen<br />
von Brecht zur Aufführung. In<br />
Frankfurt herrschte unter den jungen<br />
Leuten immer noch eine ziemliche<br />
Aufbruchstimmung, aber nicht<br />
mehr so dramatisch wie in den 60er<br />
Jahren. Ich bin Naturwissenschaftler<br />
und komme aus einer<br />
anderen Generation. Ich konnte<br />
den Frust der Demonstrierer schon<br />
verstehen, wenn ich auch deren<br />
chaotische Übertreibungen nicht<br />
nachvollziehen konnte. Wir hatten<br />
den Aufbau der Bundesrepublik<br />
zwar wirtschaftlich geschafft, aber<br />
kaum in geistiger Hinsicht.<br />
Paul Reisen<br />
kann<br />
sich ein<br />
Leben<br />
ohne Bücher<br />
nicht<br />
vorstellen.<br />
Foto: Perino<br />
Was bedeuten Bücher für Sie?<br />
Ich habe von Kindesbeinen an<br />
gelesen. Für mich sind Bücher<br />
lebensnotwendig. Als Kriegsgefangener<br />
fand ich in einem Haus<br />
eine englische Dünndruckausgabe<br />
von David Copperfield – dieses<br />
Buch hat mir geholfen, die Kriegszeit<br />
zu überstehen. Als Franz<br />
Schneider vor 30 Jahren in meine<br />
Apotheke kam und fragte, ob ich<br />
mich für seine Stadtschreiberidee<br />
einsetze, sagte ich sofort ja.<br />
Was ist das Besondere<br />
am Stadtschreiber-Preis?<br />
Der Preis ist sinnvoll. Er bringt<br />
die Leute zum Lesen, und damit<br />
dazu, ihre eigene Geschichte und<br />
die Geschichte überhaupt zu verstehen.<br />
Bücher sind wichtig <strong>als</strong><br />
Gegengewicht zur wachsenden<br />
Dominanz der neuen Medien. Mit<br />
dem „Dichter zum Anfassen“ wird<br />
die Neugier auf das Buch geweckt.<br />
Das „Gesicht“ der Stadt Frankfurt verändert sich in den 70er Jahren gewaltig: Der<br />
langwierige Umbau der Frankfurter Zeil – Hessens größter Einkaufsstraße – ist<br />
1973 abgeschlossen. Dichter Autoverkehr ist einer Fußgängerzone mit mehr Ruhe,<br />
besserer Luft und Kübelpflanzen gewichen. Foto: Institut für Stadtgeschichte<br />
SZ 1/<strong>2004</strong><br />
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