FINE Das Weinmagazin - 04/2010
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SÜSSWEIN-IKONEN
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SÜSSWEIN-IKONEN
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E u r o p e a n F i n e w i n e m a g a z i n e<br />
D e u t s c h l a n d · Ö s t e r r e i c h · S c h w e i z · S k a n d i n a v i e n · G r o s s b r i t a n n i e n · U S A · A u s t r a l i e n<br />
4 / <strong>2010</strong> Deutschland € 15<br />
Österreich € 16,90<br />
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Schweiz chf 30,00<br />
D a s W e i n m a g a z i n<br />
Frauen im Wein: Corinne Mentzelopoulos<br />
Stuart Pigott: Der Rang des deutschen Weins<br />
Armin Diel in der Bourgogne<br />
Schott Zwiesel<br />
Weingut Dr. Heger<br />
25 Weihnachts- Champagner<br />
Günther Jauchs Weingut von Othegraven<br />
5 0 Ja h r g ä n g e B e r n k a s t e l e r D o c t o r<br />
S Ü s s w e i n - i k o n e n
d r i n k r e s p o n s i b l y<br />
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A n d y Wa r h o l © / ® / TM T h e A n d y Wa r h o l F o u n d a t i o n f o r t h e V i s u a l A r t s , I n c .<br />
A N D Y W A R H O L<br />
1 9 6 2 : S e i n e e r s t e S o l o - A u s s t e l l u n g<br />
D i e G e b u r t s s t u n d e d e r Po p A r t<br />
N E V E R S T O P R E A C H I N G F O R T H E S T A R S
d r i n k r e s p o n s i b l y<br />
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N u r e j e w F o u n d a t i o n<br />
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R U D O L F N U R E J E W<br />
1 9 7 6 : D e r Tr i u m p h m i t D o r n r ö s c h e n<br />
E i n e n e u e D i m e n s i o n d e s k l a s s i s c h e n B a l l e t t s<br />
N E V E R S T O P R E A C H I N G F O R T H E S T A R S
ALL-<strong>FINE</strong> DAS WEINMAGAZIN 2002 480x287 GEO2002.indd 1-2<br />
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02/11/10 12:16<br />
R I C H A R D G E O F F R O Y<br />
G e t re u d e m E r b e D o m P é r i g n o n s<br />
e n t s t e h t a u s s e i n e n h ö c h s t e n A n s p r ü c h e n e i n e i n z i g a r t i g e s We r k .<br />
A l s Ke l l e r m e i s t e r k a n n nur er allein aus einem Erntejahr<br />
e i n e n D o m P é r i g n o n J a h r g a n g k re i e re n .<br />
N E V E R S T O P R E A C H I N G F O R T H E S T A R S
E U R O P E A N F I N E W I N E m a g a z I N E<br />
4/<strong>2010</strong><br />
D a s W E I N m a g a z i n<br />
Seite 28 Fünfzig Jahrgänge des großen Rieslings Seite 50 Bourgogne 2009<br />
Seite 84 Weinkultur aus Zwiesel<br />
Seite 96 Fünfundzwanzig Festtags-Champagner<br />
Seite 120 <strong>Das</strong> Genießer-Wochenende<br />
Seite 136 Die Weine von Dr. Heger<br />
10<br />
F I N E 4 / <strong>2010</strong>
D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />
I n h a l t<br />
Seite 108 Herdade dos Grous<br />
Seite 18<br />
Günther Jauchs Weingut von Othegraven<br />
Seite 62 Die Süßwein-Ikonen<br />
13 Fine Editorial Thomas Schröder<br />
14 Fine Degustation Die Fine-Kriterien<br />
18 Fine Saar Günther Jauchs Weingut von Othegraven<br />
28 Fine Mosel Der Schatz des Doctors<br />
40 Fine Frauen im Wein Corinne Mentzelopoulos<br />
50 Fine Bourgogne 2009: Prächtige Frühform<br />
62 Fine Tasting Die Süßwein-Ikonen<br />
Seite 126 Wein & Klima<br />
70 Fine <strong>Das</strong> Bier danach Mit Bittertönen den Abschied versüßen<br />
72 Fine Wein & Speisen Jürgen Dollase bei Thomas Martin in Jacobs Restaurant<br />
80 Fine Die Pigott Kolumne Vom Rang des deutschen Weins<br />
84 Fine Lifestyle Form und Grazie: Zwiesel Kristallglas<br />
92 Fine <strong>Das</strong> Große Dutzend Sherry<br />
96 Fine Champagne Fünfundzwanzig Festtags-Champagner<br />
1<strong>04</strong> Fine Lifestyle Die Parfümeurin Louise Turner<br />
108 Fine Portugal Der Mann aus dem Norden<br />
116 Fine Reiner Wein Anne Zielke: Die Liebe überwindet alles<br />
120 Fine Lifestyle <strong>Das</strong> »Mehr geht nicht«-Wochenende<br />
126 Fine Interview Manfred Stock über Wein im Klimawandel<br />
Seite 130 Balik-Lachs<br />
130 Fine Gourmandise Der Kuss der Lachse<br />
136 Fine Baden Weingut Dr. Heger<br />
146 Fine Abgang Ralf Frenzel<br />
F I N E<br />
I n h a l t<br />
11
Annäherung an den Maschinenpark: Im Gutsgarten von Othegraven fängt Günther Jauch klein an.<br />
18<br />
F I N E 4 / <strong>2010</strong>
»Wir machen hier<br />
nicht den Bajazzo ...«<br />
Dorothea und Günther Jauch haben sich mit dem Erwerb<br />
des VDP-Weinguts von Othegraven einer grossen Herausforderung<br />
gestellt. Wie ernst die Neulinge ihre Aufgabe<br />
nehmen werden, erzählen sie dem früheren Journalisten<br />
und Neuwinzer in Serrig an der Saar, Jochen Siemens.<br />
Text: Jochen Siemens<br />
Fotos: Johannes Grau<br />
Die Erfahrung, ein Weingut an der Saar übernommen zu haben, war damals gerade zwei Jahre alt, und<br />
nach der ersten ziemlich misslungenen Ernte frönte ich zum seelischen Ausgleich meiner alten Pro fession<br />
und schrieb eine Reportage über Weingüter im südlichen Oregon. Dabei traf ich auf Earl Jones. Er kam<br />
aus den Rebreihen angefahren auf einem kleinen grünen John-Deere-Gefährt, einer Art Golfkarren<br />
mit Ladefläche, und erzählte mit lustigen Augen und raumgreifenden Gesten, wie er als Mittfünfziger<br />
seine erfolgreiche Karriere als Chirurg in San Francisco an den Nagel gehängt und nun seit zehn Jahren<br />
aus dem Nichts sein Weingut Abacela hier westlich von Roseburg aufgebaut hat. Ich war schwer beeindruckt.<br />
Der Mann experimentierte noch immer mit verschiedenen Rebsorten, machte ganz beachtliche<br />
Weine, und die Passion für die Sache quoll ihm aus jedem Knopfloch. Dann fragte er mich, was ich denn<br />
täte. Ich erklärte ihm, dass ich vor ein paar Jahren meine Karriere als Journalist an den Nagel gehängt<br />
hatte und nun ein Weingut an der Saar betriebe. Da schaute er mich direkt an, schwieg eine Weile<br />
und sagte dann mit lauter Stimme und ein paar mehr Lachfältchen um die Augen: »So you are crazy!«<br />
F I N E<br />
S a a r<br />
19
Die Geschichte mit Earl Jones ging mir vor ein paar Monaten wieder durch den<br />
Kopf, als sich die den Fluss entlang wabernden Gerüchte, Günther Jauch übernehme<br />
ein Weingut an der Saar, zur Realität verdichteten. Günther Jauch, der<br />
Fernsehjournalist, Mister Quiz persönlich, der in Umfragen, was Beliebtheit und<br />
Zutrauen angeht, wohl angesehenste Deutsche, der, wie man in den Gazetten las,<br />
Wunschschwiegersohn der Republik! Was hat denn jetzt den geritten<br />
Da kam es sehr gut zupass, dass die Winzerin<br />
Heidi Kegel und ihr Mann wie jedes Jahr zur<br />
Jungweinprobe ins Weingut »von Othegraven«<br />
eingeladen hatten, jenes Weingut also, das die<br />
Jauchs übernehmen wollten. Es ist durchaus eine<br />
Auszeichnung, zu dieser Veranstaltung eingeladen<br />
zu sein, wenn man, von der Kegelschen Gastfreundschaft<br />
überwältigt, in großer Runde mit der<br />
Winzerelite der Saar steht und seine Weine präsentieren<br />
darf. Und dieses Mal hatte das Ganze für<br />
meinen Kellermeister Franz Lenz und mich noch<br />
den Kick, dass die Jauchs mit dabei sein sollten.<br />
Also los von Serrig nach Kanzem, wo am Fuß des<br />
steilen Altenbergs das schöne Gutsgebäude mit<br />
seinem weitläufigen Park und altem Baumbestand<br />
liegt. Heidi Kegel, die das Weingut seit den neunziger<br />
Jahren erfolgreich geführt hat, erklärte mit<br />
einem kleinen Kloß im Hals, wie froh sie sei, die<br />
Jauchs für die Aufgabe gewonnen zu haben, denn<br />
sie seien verwandt und das Weingut bliebe so<br />
weiter in der Familie. <strong>Das</strong> war also geklärt. Danach<br />
probierten wir unter der wie immer kundigen und<br />
anregenden Leitung von Klaus Piemont den großartigen<br />
Jahrgang 2009, und gerade was die Othegravschen<br />
Weine angeht, konnte man nur ein<br />
Wort sagen: Chapeau! Günther Jauch und seine<br />
Frau Dorothea waren während der Probe durchaus<br />
zurückgenommen, erklärten, sie wollten unbedingt<br />
die Stammbesatzung des Guts mit Kellermeister<br />
Andreas Barth dafür gewinnen, unter<br />
ihrer Leitung weiterzuarbeiten. Ich verabschiedete<br />
mich mit einer Gegeneinladung und dem<br />
Eindruck, die Jauchs könnten durchaus beseelt<br />
sein von der Passion für die Causa Wein.<br />
20<br />
F I N E 4 / <strong>2010</strong>
Weinbau als Familiensache: Dorothea und<br />
Günther Jauch stellen sich der Verantwortung,<br />
in Kanzem ein Vermächtnis zu wahren.<br />
Als wir dann im Sommer im Othegravschen<br />
Park erneut zusammen saßen, während im Gutshof<br />
ein Großes Gewächs 2009 gefüllt wurde und<br />
an den Rebstöcken die Trauben des neuen Jahrgangs<br />
in den Wein gingen, waren die Vorstellungen<br />
des Ehepaars Jauch schon deutlich konkreter.<br />
Günther Jauch erinnert sich an unerwünschte Ratgeber<br />
und deren Vorschlag, einfach dick »Jauch«<br />
auf das Etikett der Weinflaschen zu schreiben,<br />
damit wäre das Marketing doch erledigt. »Ja, und<br />
dann am besten noch dein Foto dazu«, wendet<br />
sich Dorothea Jauch an ihren Mann, und beide<br />
lachen herzlich bei dieser Vorstellung. Nein, laut<br />
mögen die Jauchs es nicht. Nicht in Potsdam an<br />
der Havel und auch nicht hier in Kanzem an der<br />
Saar, wo sie nun mitten in dem Prozess waren, ihr<br />
Weingut »von Othegraven« zu übernehmen.<br />
Natürlich müsse man auch über das Marketing<br />
nachdenken und neue Wege gehen; einen<br />
ersten Niederschlag davon sieht man im neuen,<br />
aufgeräumten und grafisch frischen Etikett der<br />
Othegravschen Weine. Aber alles im Rahmen dessen,<br />
was von Othegraven immer gewesen sei, nämlich<br />
ein »diskretes Weingut«. Plakativ modisch<br />
scheide aus, wie es auch keine einer Zeitmode<br />
geschuldete Entscheidung gewesen sei, ein Weingut<br />
zu kaufen. Die Stracks, Coppolas oder Depardieus<br />
begannen etwas Neues, getrieben möglicherweise<br />
von einer Leidenschaft oder aber auch nur<br />
einem Zeitgeist. Bei den Jauchs geht es hingegen,<br />
das wird im Gespräch rasch sehr deutlich, nicht<br />
darum, »wer wird (alles) Winzer«, sondern um<br />
eine Familiensaga.<br />
Ein obeliskartiger Gedenkstein am Rand des<br />
Parks zwischen gepflegten Blumen erinnert an<br />
Jauchs vielfachen Ur-Großvater Emmerich Grach,<br />
der das Weingut 1805 kaufte. Seit mehr als zweihundert<br />
Jahren also ist es im Familienbesitz. In<br />
den vergangenen Jahren war es immer wieder in<br />
Gefahr, aus der Familie heraus verkauft zu werden.<br />
Zuerst war es ein Gerücht, das den Jauchs zu<br />
Ohren kam, und das saß bei Günther Jauch quer.<br />
Sicher war viel Zeit vergangen seit der Kindheit<br />
und den Schulferien an der Saar. Der berufliche<br />
Werdegang führte Jauch ganz nach oben in der<br />
bundesdeutschen Medienwelt und ganz weit weg<br />
von Kanzem. Aber da war eben noch die Erinnerung<br />
an die Kinder- und Jugendtage auf von Othegraven,<br />
Erinnerungen an den Großonkel Max und<br />
Tante Maria von Othegraven, an die feudale Weingutswelt<br />
mit Park und der im Hintergrund dräuenden<br />
Steilstlage Kanzemer Altenberg. Erinnerungen,<br />
die im scharfen Kontrast standen zum<br />
Berliner Kiez, wo Jauch aufwuchs, Erinnerungen,<br />
die sich im Langzeitgedächtnis eingenistet hatten.<br />
Mit einem Brief an Heidi Kegel nahmen die<br />
Jauchs das Heft in die Hand und bekundeten ihr<br />
Interesse, sollte das Gut wirklich verkauft werden.<br />
Von da an gingen mehr als drei Jahre ins Land, bis<br />
das Gut rechtsgültig übertragen war, genug Zeit<br />
also für viele Gedanken und Abwägungen, genug<br />
Zeit den »Riesenschritt ins Fremde« zu bedenken,<br />
»in ein Abenteuer, das nichts mit dem zu tun hat,<br />
F I N E<br />
S a a r<br />
21
22<br />
F I N E 4 / <strong>2010</strong>
wovon ich etwas verstehe«, räumt Jauch freimütig<br />
ein und schließt die Frage an: »Hätte ich irgendein<br />
anderes Weingut gekauft Hätte sich diese<br />
Frage überhaupt gestellt Nein, sicher nicht«, sagt<br />
Jauch und fährt fort: »Aber umgekehrt, wenn es<br />
nun kein Weingut, sondern ...«, er sucht kurz nach<br />
einem passenden Bild, »... eine, sagen wir, Sockenfabrik<br />
gewesen wäre, die seit zweihundert Jahren<br />
in der Familie war, die hätte ich wahrscheinlich<br />
auch gekauft.«<br />
<strong>Das</strong> war natürlich nur so eine Gedankenspielerei,<br />
um zu unterstreichen, wie sehr es um Tradition<br />
und wie wenig es um Ich-kauf-mir-malein-Weingut<br />
geht. Jedenfalls ist den Jauchs hier<br />
im gepflegten Park am Fuß der Weinberge die<br />
Erleichterung anzumerken, dass erfreulicherweise<br />
im Hintergrund keine Sockenfabrik steht.<br />
Also nun noch ein Weingut. Dabei ist das<br />
Leben der Familie Jauch bisher schon keineswegs<br />
langweilig. Da ist die Familie mit vier Kindern in<br />
Potsdam, Jauchs TV-Produktionsfirma in Köln<br />
mit mehr als sechzig Mitarbeitern, dann natürlich<br />
RTL und »jetzt steht noch die ARD vor der Tür«,<br />
sagt Jauch und schaut seine Frau an. Deshalb sei<br />
die zweite Conditio für die Übernahme des Weinguts<br />
gewesen, »dass meine Frau mitmacht. Hätte<br />
sie gesagt«, fährt Jauch fort, »das ist deine Verwandtschaft,<br />
das sind deine Erinnerungen, aber<br />
für mich ist das nichts, hätte ich es nicht gemacht.<br />
Sie sagte aber, sie steigt mit ein, und nun teilen<br />
wir uns das ein«. Natürlich wüssten Barth und<br />
die Mannschaft, wie es geht, das Gut zu betreiben,<br />
und insofern könne man es auch so arrangieren,<br />
dass man nur bei schönem Wetter und zu<br />
Qualität als Verpflichtung:<br />
Andreas Barth wird als Kellermeister<br />
die VDP-Winzerfamilie<br />
Jauch begleiten.<br />
festlichen Weinproben an die Saar kommt. »Aber<br />
es geht nicht, ohne dass wir hier sind und mitmachen«,<br />
ist sich Dorothea Jauch sicher, »das ist<br />
eine ganz eigene Welt mit eigenen Veranstaltungen,<br />
die wir uns erobern müssen. Ein neues Feld,<br />
nicht nur lifestylig, sondern auch hart.«<br />
Lernen, hineinfinden, herantasten sind die<br />
Tätigkeitsworte, die dem Ehepaar Jauch häufig<br />
über die Lippen kommen, wenn man danach fragt,<br />
in welche Richtung sie das elf Hektar große Weingut<br />
mit seinen Lagen im Kanzemer Altenberg, der<br />
Wiltinger Kupp und dem Ockfener Bockstein führen<br />
wollen. »Ich möchte, dass das ein Erfolg wird«,<br />
beginnt Jauch und sieht eine gute Basis dafür<br />
gelegt, da er einerseits einen Trend zu Weißwein<br />
ausmacht und andererseits eine immer positivere<br />
Sicht im In- und Ausland auf deutschen Wein.<br />
Allerdings, unter Renditegesichtspunkten sei »es<br />
ganz schwierig, dieses Gut wettbewerbsfähig zu<br />
halten«. <strong>Das</strong> liege vor allem an den hohen Produktionskosten<br />
durch die Steillagen. Und man müsse<br />
sich auch damit befassen, ob die Betriebsgröße<br />
stimmt oder ob drei Hektar mehr oder weniger<br />
nicht zu erwägen wären. In einem ist sich Jauch<br />
aber ganz sicher. <strong>Das</strong> VDP-Weingut von Othegraven<br />
soll ein reines Rieslingweingut bleiben. Natürlich<br />
habe er darüber nachgedacht, ob man mal<br />
probiert, Rotwein zu machen oder »was ganz Verrücktes«,<br />
aber schlussendlich sei er zu dem Ergebnis<br />
gekommen: »Wir geben hier nicht den Bajazzo<br />
und machen mal dreihundert Flaschen von diesem<br />
oder vierhundert Flaschen von jenem«. So wollen<br />
die Jauchs folgerichtig einen neu hinzugepachteten<br />
halben Hektar im Altenberg denn auch bald<br />
mit Riesling bestocken.<br />
Seit den Gesprächen im Gutspark und gerade<br />
auch angesichts des schwierigen Jahrgangs <strong>2010</strong><br />
habe ich bei vielen der Einschätzungen, Sorgen<br />
und Hoffnungen, die die Jauchs beschäftigen, sehr<br />
lebendige Déjà-Vu-Erlebnisse, schließlich steckt<br />
man im Weinbau auch nach fünf Jahren noch in<br />
den Anfängen, und das wenig erfreuliche Jahr<br />
2006 war mein erster Jahrgang. Eines aber hat<br />
mich dann doch besonders gefreut. Als nämlich<br />
Günther Jauch schließlich noch von seiner Entdeckung<br />
der Kabinettweine, der Spät- und Auslesen<br />
schwärmte: »Überall hört man: Weißwein,<br />
aber trocken bitte. <strong>Das</strong> steht für eine gewisse Ignoranz«.<br />
Die feinherben und restsüßen Rieslinge seien<br />
»von Vorurteilen überlagert, und die Menschen<br />
bringen sich selbst um ein Geschmackserlebnis«.<br />
Willkommen an der Saar, Familie Jauch, dem ist<br />
gar nichts mehr hinzuzufügen. ><br />
F I N E<br />
S a a r<br />
23
Caro Maurer verkostet<br />
die Rieslinge des Saar-Weinguts von Othegraven<br />
2009 VO Riesling trocken 86 P<br />
Unschuldig, knackig und eine dezente Mineralik – der Wein erschließt sich<br />
durch seine attraktive Klarheit. Erfrischende Zitrusnoten, Mirabellenfrucht<br />
und Anklänge von weißen Blüten ergänzen sich in der Nase. Bleibt auch im<br />
Mund ganz bei seiner reinen Linie, fügt noch eine zarte hefige Note dazu –<br />
und überrascht zum Schluss mit angenehm beharrlicher Länge. Ein saartypischer<br />
Gutswein, der die Handschrift des Weinguts trägt, aber der trinkfreudigen<br />
Kategorie entsprechend seinen Auftritt nicht überhöht.<br />
2009 Max Riesling trocken 88 P<br />
Gibt sich bereits in der Nase ambitionierter, indem er ein ansehnliches Charakterbild<br />
des Saar-Rieslings aufzeichnet: Allem voraus schickt er eine leicht<br />
rauchige Mineralik, gefolgt von frischer Frucht mit Nektarinen, Zitronengras,<br />
Kräuternoten und weißen Blüten. Wartet mit mehr Substanz, Dichte<br />
und Konzentration auf. Die leicht cremige Textur – vermutlich hat ein<br />
Teil der Partien den biologischen Säureabbau durchlaufen – steht der kräftigen<br />
Säure gut.<br />
2009 Wiltingen Kupp Riesling trocken 86 P<br />
Ein junger, noch in sich gekehrter Wein, der sich derzeit zurückhaltend gibt,<br />
das jedoch mit animierender Delikatesse. Da ist eine rauchige Mineralität,<br />
die die aromatische Silhouette prägt und dabei der dezenten Pfirsichfrucht<br />
und einer zarten Nussigkeit nur einen begrenzten Spielraum einräumt. Im<br />
Mund tritt er als schlanker Typ auf, der sich auf ein Strukturgerüst aus markanter<br />
Säure stützt, was ihm eine elegante und subtile Anmutung verleiht.<br />
2009 Kanzem Altenberg GG Riesling trocken 93 P<br />
Riesling mit Statur, wirkt wie ein Prototyp für Großes Gewächs von der Saar.<br />
In der Nase noch verhalten, da er gerade erst gefüllt wurde; der Duft erinnert<br />
an Pfirsichlikör und tropische Frucht, unterlegt mit spürbarer Mineralik.<br />
Auch im Mund spiegelt er das Potential der Region wider – mit Mut<br />
zu Ecken und Kanten. Sehr konzentriert und dicht in der Textur, aber nicht<br />
üppig. Die Kraft baut sich bis zum Finale langsam auf, um dann die ganze<br />
Ausdrucksstärke lange nachwirken zu lassen. Die Säure wirkt noch straff,<br />
wartet quasi auf ihren Feinschliff durch die Lagerung. Ein Charakterwein,<br />
den man das nächste Mal in fünf Jahren probieren sollte, um dann vermutlich<br />
auf einen ganz neuen Typen zu treffen.<br />
2009 Kanzem Altenberg Riesling Kabinett 89 P<br />
Ein Kabinett, der sein Prädikat als echtes Geschenk der Natur würdigt. Gutsleiter<br />
Andreas Barth bewahrt damit die Tradition der restsüßen neben den<br />
moderneren trockenen Weinen. Parzelle zwölf im Altenberg ist dem Kabinett<br />
vorbehalten. <strong>Das</strong> Aroma: reife Pfirsichfrucht mit frischen Zitrusnoten<br />
und einer mineralischen Komponente; im Geschmack mischt noch eine feinherbe<br />
Note mit. <strong>Das</strong> raffinierte Spiel von Säure und Süße und die animierende<br />
Leichtigkeit machen den Klassiker aus.<br />
2009 Ockfen Bockstein Riesling Spätlese 85 P<br />
Trotz der reifen Steinfrucht gibt sich der Wein aus dieser Lage durch seine<br />
Schiefermineralik kühler. <strong>Das</strong> Aroma ist diffuser, florale Noten dringen<br />
immer wieder durch und schließlich auch noch Würzigkeit mit einem Hauch<br />
von Zimt. Der Körper erscheint breiter und fülliger und, obgleich Säure und<br />
Restsüße harmonisieren, im Finale auch etwas behäbig.<br />
2009 Kanzem Altenberg Riesling Spätlese 88 P<br />
Der Altenberg entwickelt im Wein ein einprägsames Profil: Ananas und<br />
Früchte wie Mango und Nektarinen werden noch betont durch eine leicht<br />
ölige Textur. Die Süße täuscht Honignoten vor, obwohl die Edelfäule Botrytis<br />
hier keine Rolle spielt. Im Mund gleitet er dahin, legt Schicht um Schicht<br />
neue aromatische Eindrücke auf, denen man im Finale nachsinnen kann. Die<br />
markante Säure hält ihn dabei durchgängig im Gleichgewicht.<br />
2009 Kanzem Altenberg Riesling Spätlese – Alte<br />
Reben<br />
91 P<br />
Ein Wein, der sich ganz selbstbewusst als restsüße Spätlese vorstellt und der<br />
Kategorie feinsinnigen Nachdruck verleiht. Die tropische Frucht ist diesmal<br />
noch gewürzt mit eingelegtem Ingwer; damit hat die Botrytis ihren Abdruck<br />
hinterlassen. Die Textur ist wie Seide, fein, sehr dicht verwoben und vielschichtig.<br />
So kommen auch Zucker und Säure weniger zum Tragen – alles<br />
zusammen wirkt in sich stimmig und hinterlässt einen bewundernswerten<br />
Gesamteindruck.<br />
1996 Kanzem Altenberg Riesling Spätlese 94 P<br />
Die Reife von vierzehn Jahren hat diesen Wein zu einem wundervollen Klassiker<br />
geschliffen. Ganz unverkennbar dominiert die Mineralik der Saar mit<br />
ihrer aparten Rauchigkeit jetzt das Bouquet. Die Frucht wickelt sich wie ein<br />
durchschimmerndes Gewebe um den schlanken, glatten, femininen Körper.<br />
Die Säure wirkt befriedet. Zurück bleibt das Glück von großem Genuss.<br />
1983 Kanzem Altenberg Riesling Spätlese 83 P<br />
Die bronzefarbenen Reflexe der Farbe und die Firne in der Nase sind deutliche<br />
Spuren des Alters. Tertiäraromen haben die Regie übernommen bei<br />
der verblassenden Erinnerung an Frucht und den Noten von Champignon<br />
und feuchtem Waldboden. Ein eigenwilliger und interessanter Typ, der allerdings<br />
seinen Höhepunkt hinter sich hat. Nur noch ein Vergnügen für erfahrene<br />
Rieslingliebhaber.<br />
1975 Kanzem Altenberg Riesling Auslese 90 P<br />
Attraktives helles Bernstein. Ein Wein, der in Würde und Schönheit gealtert<br />
ist. Die Säure hält ihn immer noch aufrecht. Die Frucht erinnert an<br />
getrocknete Pflaumen und Rosinen, er wirkt in seiner Konzentration mehr<br />
wie Likör als Wein. Ein delikates Unikat. <strong>Das</strong> Passende, um einen Abend<br />
ausklingen zu lassen.<br />
2009 Kanzem Altenberg Riesling Eiswein 93 P<br />
<strong>Das</strong> Ergebnis harter Arbeit. Am 28. Dezember gelesen. So hart gefroren<br />
waren damals die kleinen Beeren, dass die hauseigene Kelter daran gescheitert<br />
ist. Ein Kollege half aus, sodass das konzentrierte Aroma ihnen doch<br />
noch abgerungen werden konnte. Die Mühe wurde belohnt mit delikaten,<br />
betörenden Noten von Honig, Quitten, getrockneten Aprikosen, einer Spur<br />
Vanille und der Süße von Milchschokolade. Ein Kostbarkeit zum Altern.<br />
2007 Riesling brut 87 P<br />
Wie der Wein, so auch die Basis für den Schaumwein: zur gleichen Zeit gelesen,<br />
spontan vergoren – und dann erst selektioniert für die zweite Gärung<br />
in der Flasche. So schafft er es auch, eine Anmutung von der Saar rüberzubringen.<br />
Trotz der typisch hefigen Note mit Brioche, die sich in die Frucht<br />
und die Blüten des Bouquets mischt, hat die Säure ihre Frische bewahrt und<br />
bringt auch noch die mineralische Note zur Geltung. Ein erfrischend ungekünstelter<br />
Winzersekt.<br />
24<br />
F I N E 4 / <strong>2010</strong>
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Der Schatz<br />
des Doctors<br />
Die Mosel, der Weinberg und die Zeit<br />
Text: Till Ehrlich<br />
Fotos: Alex Habermehl<br />
Wenn Wein ein Kulturgut ist und im Wein das Eigene, Unwiederholbare und<br />
geschichtlich Hervorgebrachte geschätzt wird – dann hat die schreibende und<br />
sprechende Zunft ein Problem. Je mehr Storys erzählt werden, desto mehr werden<br />
wir in diese Geschichten verwickelt und verlieren das Wertvollste aus den Augen:<br />
den Wein. Ein Schatz, den die Sprache nur mühsam fasst. Über die Weine des<br />
Weinberges Bernkasteler Doctor zu sprechen, bedeutet deshalb auch, sich davor<br />
zu hüten, in historisierende Legenden verstrickt zu werden und vielmehr jenen<br />
Kokon abzu spulen, den die Götter als Schicksalsfaden um den Doctorwein<br />
gesponnen haben. Was ist mit ihm geschehen im Lauf der Zeit Und was ist<br />
diesem Weinberg und den Menschen, die dort Weinbau betreiben, widerfahren<br />
Edle Uferpartie an der Mosel: Der Doctorberg über Bernkastel<br />
28<br />
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F I N E<br />
M o s e l<br />
29
Die Weingüter Wegeler und Dr. Thanisch<br />
haben das Wertversprechen der Lage<br />
über hundert Jahre bis heute gehalten.<br />
S<br />
chon bei der Annäherung aus der Ferne<br />
berührt einen dieser Ort. Er liegt im Knie<br />
eines Flusses, zu Füßen des Berges, der steil, aber<br />
nicht sehr hoch ist. Im Norden und Osten schützen<br />
Wälder den Berg, und im Süden reflektiert<br />
die Mosel das Sonnen licht. <strong>Das</strong> Besondere aber<br />
ist sein schwarzer Boden. Diese Nichtfarbe absorbiert<br />
das Licht der Sonne am Vollkommensten.<br />
Es ist ein Schiefergestein aus dem Erdzeitalter<br />
des Devons, das die Zeit porös und zerbrechlich<br />
gemacht hat. Seine Schichten und Lamina speichern<br />
die Wärme und lagern soviel Nässe auf ihrer<br />
kühlen, lichtabgewandten Seite, dass darin Mikroorganismen<br />
gedeihen, die den mineral reichen<br />
Boden beleben und Nahrung und Fruchtbarkeit<br />
für die tiefer gehenden Rebwurzeln vorbereiten.<br />
Sie arbeiten in der luftlosen Tiefe des Berges,<br />
dabei entsteht ein Überangebot an Nährstoffen<br />
und Mineralien, die ermöglichen, dass hier ein<br />
langlebiges Gewächs wie die Rebe gedeihen und<br />
überhaupt so etwas wie Weinbautradition entstehen<br />
konnte.<br />
<strong>Das</strong> ist die Voraussetzung der Natur für den<br />
Weinbau am Doctorberg. Doch was ist das Wesen<br />
dieser Tradition Auf alten Anpflanzungstafeln,<br />
Kupferstichen und Photographien sieht man, wie<br />
dicht hier die Reben gepflanzt wurden. Fast ist<br />
man erschrocken und fragt sich, woher die Nährstoffe<br />
kommen, die eine so dichte Rebpflanzung<br />
erfordert. Und wenn man die herzförmige<br />
Erziehung der Reben an Holzpfählen sieht, ist<br />
das Erstaunen noch größer. Was andernorts mit<br />
30<br />
F I N E 4 / <strong>2010</strong>
Weingut Wegeler<br />
langen Fruchtruten im Drahtrahmen erzeugt wird,<br />
verwirklicht man mit zwei an den Pfahl gebundenen<br />
Kreisruten, aus denen die tragenden Triebe<br />
nach oben sprießen. Die Moselpfahlerziehung<br />
geht auf die römische Zeit zurück, sie mutet archaisch<br />
an, jede Pflanze wird individuell ringsum per<br />
Hand gepflegt. Jede ist ein Individuum und war<br />
immer teuer im Doctorberg. Einhundert Goldmark<br />
zahlte Geheimrat Julius Wegeler im November<br />
des Jahres 1900 für einen Rebstock, als er<br />
die Chance nutzte, etwa ein Drittel des Doctorberges<br />
zu erwerben. Eine Summe, die heute dem<br />
etwa achtfachen Eurowert entspricht. Es war kein<br />
Spontankauf, sondern eine jahrelang vorbereitete,<br />
wohlüberlegte Handlung. Bis heute ist es die größte<br />
Summe geblieben, die jemals für einen deutschen<br />
Weinberg gezahlt wurde.<br />
Noch immer liegen die Geschicke der von<br />
Julius Wegeler begründeten Weingüter – und<br />
damit auch für den Besitz im Doctorberg – in<br />
der Hand der Familie Wegeler. Für Dr. Tom Drieseberg,<br />
der heute gemeinsam mit seiner Frau Anja<br />
Wegeler-Drieseberg die Verantwortung trägt, ist<br />
Julius Wegelers Kauf mehr als nur eine geschickte<br />
kaufmännische Entscheidung. Der Geheimrat<br />
war auch ein ausgewiesener Kenner und Förderer<br />
der Künste und Kultur. Er hat durch die<br />
mit der Kaufsumme ausgedrückte Wertschätzung<br />
auch den Wert dieses Weinbergs als ein Kulturgut<br />
besiegelt. Seitdem hat es keine Kaufmöglichkeit<br />
mehr in der insgesamt 3,2 Hektar kleinen Steillage<br />
gegeben.<br />
In der Tat haben die beiden hauptsächlichen<br />
Besitzer des Doctors, die Weingüter Wegeler und<br />
Thanisch, Erben Müller-Burggraef, in den vergangenen<br />
hundert Jahren das Wertversprechen<br />
dieser Lage gehalten. Sie haben – wie auch das<br />
dritte Doctor-Weingut von Belang, das Gut Wwe.<br />
Dr. H. Thanisch, Erben Thanisch – die Tradition<br />
edelster Rieslinggewächse, die hier von den Trierer<br />
Kurfürsten im 17. Jahrhundert begründet wurde,<br />
bewahrt und weitergeführt. Diese Kontinuität in<br />
der Zeit ist der eigentliche Schatz des Doctors. Sie<br />
hat etwas mit Ethos, mit Haltung, zu tun.<br />
Es ist eine höchst anspruchsvolle Aufgabe,<br />
nicht nur einen schönen Wein zu keltern, sondern<br />
hohe Qualität über mehrere Generationen hinweg<br />
zu gewährleisten. <strong>Das</strong>s es den Wein gütern<br />
Wegeler und Thanisch, Erben Müller-Burg graef<br />
gelungen ist, seit Ende des 19. Jahrhunderts den<br />
Wert des Doctors mit jedem Jahrgang immer<br />
wieder zu verteidigen und neu entstehen zu lassen,<br />
ist ein Glücksfall für den deutschen Weinbau, der<br />
im 20. Jahrhundert großen Verwerfungen ausgesetzt<br />
war und um Haaresbreite seine Tradition<br />
selbst zerstört hätte.<br />
Die Gefahr zog ganz legal in Form des Weingesetzes<br />
von 1971 herauf. Über Nacht war der Doctor<br />
um mehr als zwei Hektar größer geworden.<br />
Man hatte auf dem Reißbrett einen neuen Doctor<br />
geschaffen und ihm die verschatteten Ost- und<br />
Südostlagen, die im Taleinschnitt zwischen dem<br />
Doctorberg und der Burg situiert sind, zugeschlagen.<br />
<strong>Das</strong> Gewöhnliche sollte das Außergewöhnliche<br />
verwässern. Doch beide Familien haben sich<br />
gewehrt. Rolf Wegeler für die Weingüter Geheimrat<br />
J. Wegeler und Walter Müller für das Weingut<br />
Thanisch, Erben müller-Burggraef. Sie haben<br />
fünfzehn Jahre lang für die Rücknahme der Lagenerweiterung<br />
einen zähen Gerichtsprozess gegen<br />
die Bundes republik Deutschland geführt und am<br />
Ende gewonnen. Seitdem hat der Doctor berg wieder<br />
sein traditionelles Maß.<br />
Wenn man Weinbau als Agrikultur begreift<br />
und betreibt, dann geht es um die Auseinandersetzung<br />
des Menschen mit einem Stück kultivierter<br />
Natur. Ist die Natur zu stark, verwandelt sich<br />
der Weinberg in Wildnis zurück. Dominiert der<br />
Mensch, kann ein Produkt der Önoindustrie entstehen.<br />
Menschen sind fehlbar, und Wetter und<br />
Klima sind als Teil der Natur unberechenbar. Dennoch<br />
gibt es im Doctorberg eine Kontinuität. Es<br />
lohnt sich, in dieser extremen Steillage mit Handarbeit<br />
und niedrigen Erträgen besondere Weine<br />
herzustellen, weil mit dem Doctorwein seit vier<br />
Jahrhunderten ein Qualitätsversprechen verbunden<br />
ist, das als bleibender Wert geschätzt und<br />
honoriert wird. Von welcher Lage kann man so<br />
etwas schon behaupten Es kommen in dieser Liga<br />
weltweit gewiss nur wenige zusammen. Dies hat<br />
die Fine-Degustation von fünfzig Jahrgängen aus<br />
dem Bernkasteler Doctor gezeigt.<br />
<strong>Das</strong> Spektrum dieser Verkostung umfasste<br />
Jahrgänge zwischen 2009 und 1921. Die Probe<br />
stand unter keinem sportiven Geist, es ging nicht<br />
darum, welches Weingut die besseren Weine habe.<br />
F I N E<br />
M o s e l<br />
31
die0susswe<br />
E<br />
Zu einer einzigartigen Fine-Verkostung trafen Pierre Lurton<br />
mit Château d’Yquem und Wilhelm Weil mit seinen Trockenbeerenauslesen<br />
aufeinander. Ein denkwürdiges Ereignis.<br />
Text: Thomas Schröder<br />
Fotos: Christof Herdt<br />
»Oh Gott – jetzt nur nichts Süßes mehr!« <strong>Das</strong> flehentliche Stoßgebet des Star-Winzers<br />
am Ende einer höchst ungewöhnlichen, ebenso konzentrierten wie ausschweifenden Verkostung<br />
wurde alsbald erhört, die Diskretion gebietet freilich Schweigen darüber, welchem<br />
der beiden illustren Wein macher dieser Wunsch hörbar über die Lippen kam. Pierre<br />
Lurton, Chef des legendären Sauternes-Châteaus d’Yquem, und Wilhelm Weil, der ungekrönte<br />
Rheingauer Riesling-König und Schöpfer weltberühmter Trocken beerenauslesen,<br />
waren mit ihren Weinen zu einem Gipfeltreffen nach Wiesbaden gekommen. Ein vinophiles<br />
Kräfte messen Ein freundschaft licher Austausch von sensorischen Delikatessen und<br />
fruchtbaren Gedanken Ein schieres Genusserlebnis Weittragende Erkenntnis<br />
62<br />
F I N E 4 / <strong>2010</strong>
inªikonen<br />
Von alledem hundert Prozent erfuhren die<br />
noblen Gäste, die sich mit hochgespannten<br />
Erwartungen am 14. Oktober in der herrschaftlichen<br />
Gründerzeit-»Villa Fortuna«, dem Sitz des<br />
Tre Torri Verlags, in dem auch Fine <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong><br />
erscheint, zu einem so noch nie komponierten<br />
Tasting eingefunden hatten. Aus halb<br />
Europa hatte sich ein würdiger Hofstaat um die<br />
beiden Granden der Winzerkunst versammelt:<br />
Aus Italien war der Südtiroler Minister und<br />
Winzer Dr. Thomas Widmann angereist, aus<br />
der Schweiz Dr. Luca Marighetti, der Züricher<br />
Unternehmensberater und Erfinder des poetischen<br />
Nonsens-Internetlexikons Wikipoiesis, aus<br />
Helsinki die beiden Fine-Finnen Pekka Nuikki<br />
und Juha Lihtonen, Jancis Robinson aus London<br />
hatte schweren Herzens aus Termingründen<br />
absagen müssen, ebenso Stuart Pigott. In der<br />
hohen Runde fanden sich die Unternehmer<br />
Johannes LaCour und Dr. Georg Kofler, die Chefredak<br />
teure Madeleine Jakits (Feinschmecker) und<br />
Peter Moser (Falstaff ) aus Wien, der Wein kenner<br />
und Pilz-Enzyklopädist Christian Volbracht (dpa),<br />
der Saar-Winzer Roman Niewodniczanski (van<br />
Volxem), Weils »Außenminister« Jochen Becker-<br />
Koehn und einige Weinenthusiasten mehr. Caro<br />
Maurer hielt, begeisterungsfähig, doch mit unbestechlichem<br />
Gaumen, ihre Eindrücke von den<br />
Weinen für Fine fest. Als dritter Star dieses Nachmittags<br />
gesellte sich der große Koch Hans-Stefan<br />
Steinheuer dazu, der das Tasting mit acht grandiosen,<br />
einfühlsam auf die einzelnen Flights eingehenden<br />
Gängen zu einem doppelten Genuss<br />
werden ließ.<br />
F I N E<br />
W E I N l e g e n d e n<br />
63
Fine-Herausgeber Ralf Frenzel, Initiator dieser<br />
einzigartigen Verkostung, begrüßte die<br />
Gäste – und schon begann das »Eintrinken« mit<br />
einem exquisiten Flight von elf Jahrgängen Kiedricher<br />
Gräfenberg Riesling Erstes Gewächs: ein<br />
Aufmarsch (2009 bis 1999), der überzeugend<br />
Klarheit und Helligkeit der Weilschen Qualitätsphilosophie<br />
formulierte. Pierre Lurton nannte<br />
gleich seinen Favoriten: 2006 – aber »was dazu<br />
essen«. Da schien er ratlos, auch wenn er seine<br />
Sprachlosigkeit (grundlos) seinem Konversations-<br />
Englisch zuschob – »wenn ich französisch spreche,<br />
hat alles mehr Poesie!«<br />
Lurton beantwortete den eleganten Riesling-<br />
Flight mit einer nicht minder großartigen zweiten<br />
Runde: Sieben Jahrgänge (2008 bis hinunter<br />
zu 1980) von Yquems sagenhaftem »Y« (I grec),<br />
die Wilhelm Weil sogleich begeistert feierte:<br />
»Ein Kraftkerl, der sich in die Brust wirft – hier<br />
bin ich!« Freilich, »Y« vor dem Ablauf von fünfzehn<br />
Jahren zu trinken, sei Frevel. Hier hörte man<br />
in der Runde schon divergierende Meinungen,<br />
von »hinreißende trockene Süße« bis »muss ich<br />
nicht haben«. Christian Volbracht aber brachte<br />
ohne diplomatische Hintergedanken diese beiden<br />
ersten Flights auf die schöne Formel, der Vergleich<br />
beider Weine zeige nichts Geringeres als die<br />
Unvergleichbarkeit des Wundervollen.<br />
Nun aber ertönten die spirituellen Fanfaren<br />
für das Hauptstück der Verkostung, jenem schwelgerischen<br />
Teil, der mit einundzwanzig Jahrgängen<br />
in drei Siebener-Flights und ebensolchen<br />
einundzwanzig Jahrgängen Gräfenberg Riesling<br />
Trockenbeerenauslese die große Stunde der<br />
Botrytis cinerea, die Stunde der Wahrheit für die<br />
beiden herrlichsten Süßweine der Welt schlagen<br />
ließ. Wie würden Semillon und Riesling einander<br />
begegnen, wie sich zueinander verhalten Und<br />
wie steht eine Jahresproduktion von immerhin<br />
einhundertdreißigtausend Flaschen d’Yquem<br />
neben einer mit unendlicher Mühe und Sorgfalt<br />
hergestellten Flaschenausbeute nur im dreistelligen<br />
Bereich Nur etwa zehn Prozent der Riesling-Produktion<br />
entfallen bei Weil auf die großen<br />
Aus- und süßen Spätlesen, neunzig Prozent gehören<br />
den trockenen Weinen; bei Château d’Yquem<br />
ist es genau umgekehrt: neunzig Prozent der Produktion<br />
wird Yquem, zehn Prozent gehen in den<br />
trockenen »Y«.<br />
Nach sieben Jahrgängen Yquem (2007 bis<br />
1995) findet Wilhelm Weil als erster wieder<br />
Worte. Einmalig und absolut großartig sei, was er<br />
hier trinken dürfe, Yquem sei ein Wein wunder; er<br />
empfinde es als große Ehre, seine Weine dazu in<br />
Vergleich setzen zu dürfen. Ja, sekundiert Pierre<br />
Lurton, Yquem sei ein Wein wie Kaschmir, exotisch<br />
und klassisch zugleich, ein orgasmisches<br />
Ereignis. Später, nach einundzwanzig und einem<br />
(1921) Jahrgang, wird er noch hinzufügen, dass<br />
eine solche Vertikale wie eine Zeitreise sei – und<br />
mit Yquem zu reisen, sei sicherlich die eleganteste<br />
Reise, die man sich vorstellen könne.<br />
Freilich, nach dem zweiten Yquem-Flight<br />
(1990 bis 1970) halten sich verzücktes Kosten und<br />
erste Ermüdung in der Kenner-Runde die Waage.<br />
»Mir schmeckt das alles inzwischen gleich«, bekennen<br />
einige, und einer wagt gar den gottes lästerlichen<br />
Satz, das sei nun »Langeweile auf höchstem<br />
Niveau«. Aber da zeigen sich wohl eher erste<br />
individuelle Grenzen der geschmacklichen Differenzierungsfähigkeit:<br />
Denn wenn Yquem auch<br />
ein Wein ist, der Jahrgang für Jahrgang bestimmte<br />
sensorische Erwartungen zu erfüllen hat und in<br />
der Tat auf das köstlichste erfüllt, so ist der Reichtum<br />
der Jahrgangs-Nuancen doch erheblich und<br />
beglückend, wie Caro Maurer beim intensiven, nie<br />
erlahmenden Nachschmecken der Weine bis hin<br />
zum grandiosen Yquem-Finale mit dem 1937-er,<br />
einem Wein von historischer Statur, erspürt und<br />
in ihren Notaten festhält.<br />
»Eine Flasche Yquem trinke ich an einem<br />
Abend für mich allein«, leitet Wilhelm Weil zum<br />
nächsten, mit um so größerer Spannung erwarteten<br />
Trockenbeerenauslese-Komplex über –<br />
»aber eine Flasche TBA Dafür brauche ich zehn<br />
64<br />
F I N E 4 / <strong>2010</strong>
Große Erwartungen erfüllen sich für<br />
eine Kenner-Runde, als Wilhelm Weil<br />
und Pierre Lurton ihre großen Süßweine<br />
präsentieren. Genießerisch und<br />
konzentriert diskutieren und trinken in<br />
der Wiesbadener Villa Fortuna Klaus<br />
Westrick und der Saar-Winzer Roman<br />
Niewodniczanski sowie der Südtiroler<br />
Landes rat Thomas Widmann.<br />
Freunde am Tisch!« Kiedricher Gräfenberg Riesling<br />
Trockenbeerenauslese: Da zeigt sich die versammeltste<br />
Konzentration und eine kaum vorstellbare<br />
Komplexität. <strong>Das</strong> ist kein Griff in den<br />
Honigtopf, das ist, Jahrgang für Jahrgang, ein fast<br />
narkotisches Wandeln durch einen Sesam, eine<br />
schier unfassliche Schatzkammer der Aromen.<br />
Fast narkotisches Wandeln, das schon – aber, so<br />
bekräftigt Roman Niewodniczanski, durch die<br />
zwar ganz eigene, aber ganz lichte Welt der Trockenbeerenauslesen.<br />
Da verschwimmt, da verdunkelt<br />
sich nichts, Struktur und Textur der Weine<br />
sind, bei allem samtenen Geheimnis, ganz klar.<br />
Vielfalt ist ein schlichter Begriff für ein sensorisches<br />
Erlebnis, das sich der sprachlichen Fassung<br />
fast entzieht. Wilhelm Weil, der bedächtige, mit<br />
Worten zurückhaltende Winzer, sieht das durchaus<br />
nüchtern: »Auf solche Vielfalt in der äußersten<br />
Beschränkung ist der Önologe eifersüchtig, aber<br />
der Ökonom ist dankbar für 130 000!«<br />
In meditativer Stille und immer empfänglicher<br />
für Hans-Stefan Steinheuers harmonisch stützende<br />
Kochkunst erleben die Gäste nun Weine<br />
von völlig anderer Stilistik als der Sauternes und<br />
haben alle genießerische Mühe, sich dem stillen<br />
Anprall der drei Flights von einundzwanzig Kiedricher<br />
Trockenbeerenauslesen zu erweisen, deren<br />
jede einzelne eine Hymne wert wäre. Als dann<br />
zum Schluss eine absolute Rarität, die einzigartige<br />
2003-er Trockenbeerenauslese Goldkapsel<br />
mit dem sagenhaften, wohl niemals zuvor vergorenen<br />
Mostgewicht von 316 Grad Oechsle gereicht<br />
wird, ist der Glanzpunkt der mit Highlights prunkenden<br />
Verkostung da: Nur dreißig Liter wurden<br />
davon produziert; zwölf Flaschen wurden kürzlich<br />
verauktioniert, für 5 117 Euro – pro Flasche.<br />
Weltrekord!<br />
Pierre Lurton spürte, wie sich langsam aller<br />
Augen auf ihn richteten: »Ich weiß«, begann er,<br />
»Sie alle sind gespannt, wie Pierre Lurton reagieren<br />
wird.« Sein Lob für die Weilschen Weine<br />
konnte liebenswürdiger nicht sein. Winzer, sagte<br />
er, seien immer Suchende, stets darauf bedacht,<br />
die genaue Balance zwischen den Kräften der<br />
Natur zu finden. Aber nur den wirklich Hochkarätigen<br />
sei es gegeben, in den extremen Bereichen<br />
der Süßweine diesen Gleichklang zu erspüren.<br />
Für beide, ihn und Wilhelm Weil, sei ja nicht<br />
die Süße, sondern die Säure ein zentrales Thema,<br />
denn nur sie lasse als Rückgrat des Weins den heftigen<br />
Reichtum des Zuckers vergessen – ein equilibristischer<br />
Akt, der jedes Jahr neu zu bestehen sei.<br />
Er zeigte sich überrascht von der außerordentlichen<br />
Aromenkraft der Weine und formulierte seine<br />
Empfindungen zum Aromenverlauf des Weins<br />
im Glas. Seinen Dank an Wilhelm Weil verband<br />
er mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen, »damit<br />
wir beide voneinander lernen können«.<br />
Ende der Probe, Schluss mit süß. Da machte<br />
sich auch Erleichterung frei, und gern folgte man<br />
der Einladung des Gastgebers zu einem Après in<br />
den Weinkeller der Villa Fortuna. Steinheuer hatte<br />
noch ein Spanferkel in petto, als erfrischenden<br />
»Reparaturwein« gab es Weilschen Kiedrich Klosterberg<br />
trocken 2008 aus der Doppelmagnum<br />
und, freudig begrüßt, das »Bier danach«, Spezialitäten<br />
aus der ungewöhnlichen Bier-Kollektion<br />
von »Braufactum«, wozu Bernd Fritz in seiner<br />
Kolumne sich zu Wort meldet.<br />
Vieles war nun zu bereden, eine der ungewöhnlichsten<br />
Weinproben der letzten Jahre zu<br />
bedenken. Der Abend wurde noch lang. ><br />
F I N E<br />
W E I N l e g e n d e n<br />
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