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Das geistige und kulturelle Umfeld zur Gründungszeit des Golden Dawn<br />
Jeder esoterische Orden ist in die geistig esoterischen und kulturellen Strömungen eingebettet,<br />
die zur Zeit seiner Gründung vorherrschen Der Golden Dawn macht da keine Ausnahme Um<br />
das Eigentliche und den Kern seiner Lehren besser verstehen zu können, ist es des halb<br />
wichtig kennenzulernen, welches geistige und kulturelle Klima im England des ausgehenden<br />
19 Jahrhunderts vorhanden war<br />
Diese Zeit zeichnet sich vor allem durch den unaufhaltsamen Auf stieg Englands zur<br />
Weltmacht aus, das mittels des Empires einen ansehnlichen Teil der Welt kontrollierte und<br />
wirtschaftlich ausbeutete Die weißen Flecke auf der Landkarte, die unerforschte Gebiete<br />
anzeigten, waren weitgehend verschwunden, die Welt unter den damaligen Großmächten<br />
aufgeteilt und der Glaube an die Überlegenheit der christlich westlichen Kultur noch<br />
ungebrochen Nachdem es nun in der äußeren Welt nichts mehr zu entdecken gab, wandte sich<br />
der Forscherdrang des Menschen der inneren Welt zu, und man ging daran, die Dimensionen<br />
der menschlichen Seele zu entdecken Dies geschah in zwei Strömungen Einerseits durch die<br />
Forschungen Sigmund Freuds und seiner Schuler wie C G Jung, Wilhelm Reich und so<br />
weiter, die zu einer mehr oder weniger wissenschaftlichen Anerkennung der Psychoanalyse<br />
beziehungsweise der analytischen Psychologie führten, andererseits durch ein vermehrt<br />
auftretendes Inter esse an esoterischen oder okkulten, wie man sie damals vorwiegend nannte,<br />
Wissensgebieten Wahrend die Geschichte der modernen Psychologie in der Nachfolge von<br />
Freud und Jung zur Genüge beschrieben und untersucht wurde, blieb demgegenüber die<br />
Renaissance der Esoterik im 19. Jahrhundert von der offiziellen Geistesgeschichte weitgehend<br />
unbeachtet, obgleich es auf den ersten Blick auffällt, daß moderne Psychologie und Esoterik<br />
in sehr vielen Fällen erstaunliche Parallelen aufweisen, wobei das esoterische Interesse viel<br />
früher einsetzte als die Forschungen Freuds. Dieses Wiedererwachen des Interesses an<br />
Esoterik, welches zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzte, lag schwerpunktmäßig in<br />
Frankreich und England. In Frankreich ist es vor allem verbunden mit Namen wie Alfons<br />
Louis Constant, besser bekannt unter dem Pseudonym Eliphas Levi, sowie dem Arzt Gerard<br />
Encausse, der sich den Namen Papus zulegte. J.K. Huysmans hat in seinen Romanen A<br />
Rebours und vor allem La Bas eine äußerst dichte und detaillierte Schilderung des geistigen<br />
und psychischen Klimas gegeben, das den Nährboden für das wiedererwachende okkulte und<br />
magische Interesse bildete.<br />
In England, wo seit jeher ein besonderer Spürsinn für das Verborgene der menschlichen Seele<br />
und für die archaischen Mythen vorhanden war, war das Interesse an okkulten Dingen vor<br />
allem in der sogenannten Middle Class weit verbreitet. Erstaunlich ist auch, immer wieder<br />
festzustellen, in welchem Maße sich offizielle Amtsträger der anglikanischen Kirche in<br />
okkulten Wissensgebieten engagierten. In der Zeit vor der Gründung des Golden Dawn gab es<br />
einige Personen, die in der einen oder anderen Weise starken Einfluß auf den Golden Dawn<br />
ausübten, ohne dem Orden direkt anzugehören. Hier muß vor allem John Dee genannt werden<br />
(1527—1608). Zusammen mit dem Medium Edward Kelly schuf er das Henochianische<br />
System der Magie, das im Golden Dawn eine zentrale Bedeutung hatte. Zu Beginn des 19.<br />
Jahrhunderts ist vor allem Francis Barret zu nennen.<br />
Er veröffentlichte im Jahre 1801 ein Buch The Magus, das die alten okkulten Lehren in<br />
England wieder bekanntmachte und darüber hinaus auch alle Angaben enthält, die zur<br />
Ausübung der praktischen Magie nötig sind. Zu seinen Anhängern zählte Frederick Hockley<br />
(1808—1885), dessen Namen wir in Verbindung mit der Gründung des Golden Dawn wieder<br />
begegnen werden. Sein Schüler K. R. H. MacKenzie (1835- 1886) bereiste verschiedene<br />
Länder Europas und knüpfte überall Verbindungen mit Gleichgesinnten an. In Paris besuchte<br />
er Eliphas Levi, der ihn mit der esoterischen Bedeutung des Tarot bekanntmachte, ein Wissen,