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Teil I<br />
Das magische Alphabet<br />
Einleitung<br />
Bereits fünfzig Jahre, seitdem ich es mir zur Aufgabe gemacht habe, die Grundprinzipien der<br />
Magie, der Kabbala und des Okkultismus im allgemeinen gründlich kennenzulernen und an<br />
andere weiterzugeben, beschäftigt mich vordringlich das Problem des Widerspruchs zwischen<br />
der Lehre des Golden Dawn und der Charakterstruktur des Durchschnittsschülers, ja sogar der<br />
Leiter okkulter Gruppen. Eine Zeitlang machte mich das recht besorgt, einfach deswegen,<br />
weil ich meinte, daß ein gewisser Grad an Übereinstimmung zwischen der Lehre und dem<br />
Lernenden vorhanden sein sollte.<br />
Erst viele Jahre später erkannte ich die Funktion der Therapie. Zum Bekanntenkreis einiger<br />
guter Freunde in London, wo ich damals wohnte, zählten auch Psychotherapeuten. Bei der<br />
Diskussion dieses Widerspruchs zwischen Lehre und Schüler kam ich manchen von ihnen<br />
persönlich nahe. Der eine oder andere von ihnen pflichtete mir bei, daß es nur eine einzige<br />
Möglichkeit zur Aufhebung dieses Widerspruchs gäbe, nämlich sich als Patient einer<br />
Psychotherapie zu unterziehen. Ich tat das mehrere Jahre lang, und ich kann sagen, daß mir<br />
die Therapie außerordentlichen Gewinn brachte. Selbst heute noch, dreißig bis vierzig Jahre<br />
nach dieser Zeit, erhalte ich immer wieder aus allen Himmelsrichtungen Briefe von Schülern,<br />
in denen festgestellt wird, daß ich einer der wenigen geistig normalen Schriftsteller sei, die<br />
über Magie schreiben. Es sei dahingestellt, ob die Verfasser dieser Briefe recht haben, aber<br />
immerhin spüren sie, daß es einen Unterschied macht, ob sich jemand einer Therapie<br />
unterzogen hat oder nicht.<br />
Heute stelle ich daher Briefpartnern wie Besuchern gegenüber in aller Entschiedenheit fest:<br />
Nur derjenige erzielt aus der Magie den größten Gewinn, der sich bewußt ist, daß man eine<br />
Doktorarbeit keinesfalls der Arbeit eines Studenten im ersten Semester zum Thema der<br />
persönlichen Therapie gleichsetzen darf. Die Unterschiede sind gewaltig.<br />
Lange Zeit meinte ich, die Therapie Jungs halte die Antwort auf dieses Problem bereit. Hm<br />
und wieder hörte ich jedoch von Leuten, mit denen ich persönlich zusammenkam oder die mir<br />
schrieben, die Klage, die von Jung entwickelte Therapie sei gleichsam Ain Soph, nämlich<br />
ohne Ende. So gelangte ich zu der Überzeugung, daß Jungs Psychoanalyse mit dem Herpes<br />
genitalis verglichen werden kann, daß heißt, sie kommt nie zum Schluß. Das führte<br />
schließlich dazu, daß m mir hinsichtlich der therapeutischen Wirksamkeit des Jungschen<br />
Systems — ungeachtet seines Wertes als Philosophie — ernste Zweifel kamen; auch wenn<br />
zahlreiche Autoritäten auf dem Gebiet des Okkultismus meinen, dies sei die einzige Art<br />
geistiger Therapie. Natürlich ist das Unsinn. Bei der Durchführung der Therapie kommt es<br />
nicht darauf an, ob ihre Inhalte und Grundlagen geistig, seelisch oder sonst etwas sind,<br />
sondern einzig und allein darauf, ob die Therapie einen dazu bringt, mit der eigenen latenten<br />
Infantilität, mit der man unaufhörlich konfrontiert wird, fertigzuwerden. Ob es manchen<br />
Autoritäten auf dem Gebiet der Magie oder des Okkultismus paßt oder nicht: die Freudsche<br />
Psychoanalyse ist unendlich effektiver.<br />
Aus der Freudschen Schule hat sich ein völlig neuer und außergewöhnlicher Zugang zu<br />
diesem Problem entwickelt. Ein Zugang, dessen Methode, obwohl sie an sich nicht in diese<br />
Richtung zielt, in den Wirkungen und in den Ergebnissen seltsamerweise weitaus spiritueller<br />
ist als alles, was ich sonst kenne. Wilhelm Reich, ursprünglich ein begeisterter Anhänger<br />
Freuds, hat ein therapeutisches System erarbeitet, das, erstaunlich genug, eine Brücke von der