ZithaKlinik
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Eine Frau in meinem Hörer<br />
Auf meinem Tisch steht ein neues Telefon. Es sieht aus wie ein<br />
Spielzeugpanzer: dunkel, wuchtig, unnahbar. Es hat 40 Knöpfe.<br />
Eine Soutane hat nur 33 Knöpfe. Und das ist schon ziemlich<br />
übertrieben. Es hat oben eine Lampe. Wenn die leuchtet,<br />
ist innen etwas los. Wenn sie nicht leuchtet, ist auch was nicht<br />
in Ordnung.<br />
Um mit diesem Unikum arbeiten zu können, war ich in einer<br />
innerbetrieblichen Fortbildung. Das ist eine Art Vorspiel:<br />
Man lernt etwas, das schon dazu gehört, aber das eigentliche<br />
Elend kommt erst noch. Wir waren zu acht und dazu<br />
zwei externe Experten. Wir lernten an einem anderen Gerät,<br />
da das eigentliche Gerät nicht vorrätig war. Die Sprache war<br />
Luxemburgisch, das Display auf Französisch, der Leitfaden auf<br />
Deutsch und die Powerpoint-Präsentation auf Englisch. Die<br />
beiden Experten sprachen gleichzeitig, ihre Idee war wohl,<br />
eine Gruppe von Führungskräften unter erschwerten Umständen<br />
in eine neue Technik einzuweisen.<br />
Wenn mein Panzer leuchtet, dann habe ich eine Nachricht auf<br />
Band. Bei meinem alten Gerät, hellgrau, klein, schnuckelig,<br />
drückte ich auf ein Knöpfchen und hörte die Nachricht ab.<br />
Jetzt muss ich 15 – ja fünfzehn – Knöpfe wählen, um an meine<br />
Nachrichten zu kommen. Ich habe mittlerweile Hornhaut<br />
auf den Fingern. Ein Seelsorger mit Hornhaut! Wie soll ich da<br />
noch einem Schwerkranken die Hand halten? Legt man einen<br />
Dekubitus auf einen Strohsack?<br />
Früher konnte man Anrufer mit zwei Knopfdrücken an eine<br />
andere Stelle weiterleiten. Heute erscheinen auf dem Display<br />
unter „Weiterleiten“ mehrere Möglichkeiten: Überleiten,<br />
Durchleiten, Umleiten, Rückleiten, Durchleuchten – Rechnung<br />
schickt der Radiologe – Rückführen (Reiki), Umpolen, Stylen,<br />
Waschen, Legen, Kämmen. Sind wir hier im Haarstudio oder<br />
wo? Bisher glaubte ich, ein Telefon diene zur Erleichterung<br />
kommunikativer Einschränkungen. Nun hält mir in nachreligi-<br />
ösen Zeiten ein Plastikdiabolus meine technische Beschränktheit<br />
vor Augen. Oh Heiliger Johannes vom Kreuz, leuchte in<br />
die Finsternis meiner technischen Behinderung!<br />
Während ich versuche, an meine Nachrichten zu kommen,<br />
meldet sich ständig eine Frauenstimme. Sie spricht sanft direktiv.<br />
Sie redet eigentlich schon, sobald ich den Hörer auch<br />
nur anfasse. Eigentlich wollte ich doch sprechen. Ich weiß, sie<br />
tut nur ihre Pflicht, ausführlich und unermüdlich. Wie man mit<br />
einer Situation umgeht, in der nicht zugehört wird, kennen<br />
viele von uns aus Gesprächen mit Vorgesetzten – zu Hause<br />
oder im Beruf. Doch bei dieser Frau versagt meine emotionale<br />
Intelligenz: Soft killt die Stimme meine soft skills. Zum wiederholten<br />
Male macht mich die neue Technik zum Idioten. Die<br />
Stimme ist immer im Einsatz. Hat sie kein Zuhause? Sie sagt<br />
mir, wer angerufen hat, wann, woher und warum. Kollegen<br />
meinen, meine Stimme sei in letzter Zeit leiser geworden. Unter<br />
ihrer Stimme zerbröselt mein Selbstwertgefühl. Ich nehme<br />
jetzt wieder Therapiestunden.<br />
Wenn ich keine Nachrichten auf Band habe, wird sie das schon<br />
alles selbst geregelt haben. Neulich bekam ich an einem Tag<br />
zwei Emails, in denen mir mitgeteilt wurde, mit meinem Telefon<br />
stimme etwas nicht. Die Frau ist übermotiviert. Gestern<br />
fragte sie mich, ob ich das Hemd nicht schon den zweiten<br />
Tag trage? („Ja sagen Sie mal, können Sie mich denn auch<br />
sehen?“)<br />
Ich frage mich, wer hat diese neuen Telefone bestellt? Ich frage<br />
die Kollegen, ich frage die Direktion, es weiß keiner. War<br />
es ein vorzeitiger Aprilscherz – iocus aprilis praecox – die Geräte<br />
kamen im März? Wollte die Küche Teflonpfannen kaufen<br />
und hat bei der Bestellung verkehrt angekreuzt? Das ist ja<br />
heute auf dem Computer alles so klein geschrieben. Hat der<br />
Küchenchef seine Brille zu Hause vergessen? Sollen wir vom<br />
Synergiepartner getestet werden auf Belastbarkeit?<br />
Ich weiß es nicht. Ich ziehe jeden Tag ein frisches Hemd an,<br />
stelle Blumen neben das Telefon und habe mich zu einem Kurs<br />
angemeldet: „Wedeln statt Wählen – Einführung in Rauchzeichen“.<br />
Mitzubringen sind: Decke, Meditationshocker, Mokassins,<br />
Pfeife, Hühnerfedern.<br />
Winfried Heidrich<br />
KLINIKSEELSORGER- ZITHAKLINIK