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Denis Gustavus - Interessengemeinschaft deutschsprachiger ...

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te er schon gar nicht mehr, dass es vielleicht<br />

auch nur die durchnässten Kleider sein<br />

konnten, die ihn frösteln ließen.<br />

Er machte einen Schritt rückwärts. Stolperte<br />

und setzte sich, ausgerechnet in einer der<br />

großen Pfützen. Als hätte der Schatten an<br />

der Hauswand darauf gewartet. Er bewegte<br />

sich, kroch lautlos heran. Direkt auf ihn<br />

zu, umklammerte ihn, deckte ihn zu. Ihm<br />

wurde noch kälter. Mitten in dem Schatten<br />

lag er nun. Wenn nur nicht die Füße so<br />

schwer wären, dachte er und schloss die<br />

Augen. Nur nicht hinsehen wollte er. Dann<br />

spürte er Wärme, ein Hauch davon, der sein<br />

Gesicht schon fast streichelte. Ein Atem,<br />

der schnell ein- und ausgeatmet wurde.<br />

Als mutig galt unser Mann nicht. In diesem<br />

Zustand erst recht nicht.<br />

Der Kopf brummte, der Magen knurrte, fast<br />

übel war ihm. Und jetzt die Augen öffnen?<br />

Nein, dachte er. Noch nicht, erst überlegen,<br />

langsam denken. Erst einmal abwarten, was<br />

noch kommt.<br />

Und dann wieder dieses Pitsch – Patsch.<br />

Um ihn herum. Neugier war es dann doch<br />

schon. Er öffnete erst das linke Auge und<br />

langsam das rechte.<br />

Zwei im Laternenlicht leuchtende Augen<br />

blickten ihn an. Eine Nase beschnupperte<br />

ihn. Und dann spürte er wieder diese Wärme,<br />

aber anders als vorher. Zutraulich! Oder<br />

war es Mitleid mit ihm? Auch er war nass<br />

bis auf die Haut. Und wenn er nicht gewusst<br />

hätte, dass er nicht lachen kann, hatte<br />

er doch das Gefühl, auch er lache. Er über<br />

ihn und der Vierbeiner über ihn. Zwei in<br />

der Nacht im Regen und pitsch patsch nass.<br />

Lange gingen sie danach nebeneinander<br />

her. Der Hund, als gehöre er zu ihm. Der<br />

Regen hörte nicht auf, es regnete und regnete<br />

unvermindert weiter.<br />

Er aber fühlte sich nicht mehr alleine in dieser<br />

Nacht. Pitsch – Patsch begleitete ihn.<br />

prosa<br />

Helga Thomas<br />

die gl o c k e n B l U m e<br />

o d e r m e i n e r s t e s ge B e t<br />

IGDA aktuell, Heft 2/3 (2009) Seite 36<br />

Als meine Großmutter fragte – es war eigentlich<br />

nur der Form nach eine Frage<br />

– „Na, du betest sicher nicht?“, spürte ich all<br />

die ablehnenden Gefühle in ihrer Stimme,<br />

die sie gegen meine Mutter hatte. Ich drückte<br />

mich ganz fest ins Bett und sagte mutig<br />

zu ihrem Gesicht, das über mir war, jeden<br />

Moment bereit, sich hrabzusenken und mir<br />

den unvermeidlichen Gutenachtkuss zu geben:<br />

„Natürlich bete ich“. Auch wenn sie es<br />

sich nicht anmerken ließ, sie war überrascht.<br />

Aber nun wollte sie mit mir beten und wollte<br />

wissen, welches denn mein Gebet sei.<br />

In meinem angstvollen Erschrecken kam<br />

mir aber eine Erinnerung zu Hilfe. Damals<br />

vor Jahren, als ich noch klein gewesen war<br />

und mit anderen Kindern im Krankenhaus<br />

weit weg von zu Hause gelegen hatte, hatten<br />

mich, d. h. uns, die beiden großen Mädchen<br />

nach unseren Gebeten gefragt. Sie hatten<br />

schon die Abende zuvor, wenn die Krankenschwester<br />

gute Nacht gesagt, das Licht<br />

gelöscht und die Notrufklingel über das Bett<br />

der Großen aufgehängt hatte, den Tag beendet<br />

mit: „Jetzt beten wir“. Ich hatte bis dahin<br />

nicht gewusst, was beten ist, aber ich hatte<br />

Bilder von schönen Frauen gesehen, die<br />

ihre Hände aneinander legten und ein Dach<br />

formten (wie bei dem hässlichen Fingerspiel<br />

„Petze, Petze ging in‘ Laden …“), das tat ich<br />

dann auch und ließ die Erinnerungsbilder<br />

des Tages an mir vorbeiziehen. Aber dazu<br />

brauchte es die Handhaltung nicht und ich<br />

wurde wieder wach. Beten musste noch etwas<br />

anderes sein. Die schönen Frauen lächelten,<br />

als ob sie jemand zuhörten und schauten<br />

dabei auf ihre Hände. Ich verfolgte nun den<br />

Tagesablauf vom Ende her, im Rhythmus<br />

des sanften Schaukelns, und lauschte, ob der<br />

Engel neben meinem Bett mir etwas zuflüsterte.<br />

Das war so anstrengend, dass ich müde<br />

wurde und einschlief, bevor ich beim Mor

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