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Denis Gustavus - Interessengemeinschaft deutschsprachiger ...

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Nöte den Abend mitzugestalten, als Katalysator<br />

der Freude zu wirken und den Gast<br />

darauf in die Nacht hinaus zu verabschieden,<br />

wohl versehen nicht gerade mit den<br />

heiligen Sterbesakramenten, dafür mit den<br />

Tröstungen eines gelungenen Essens, das<br />

in Magen und Geist jene Wärme ausbreitet,<br />

die Eros für jeden Empfänglichen bereit hält.<br />

Später im Office mit den andern der Brigade<br />

den Verlauf des Gastmahls kommentieren,<br />

einen Schluck nehmen, wenn Mitternacht<br />

längst vorbei ist. Abrechnen, das heißt, den<br />

tronc, das Trinkgeld teilen. Den nächsten Tag<br />

besprechen: morgen, wie immer zuerst die<br />

Mise en Place.<br />

Für das petit déjeuner sind andere zuständig,<br />

Frauen eben. Es ist unter unserer Würde.<br />

Wir sind ausgebildet, Hotelfachschule, in<br />

der Welt herum gekommen. Kennen Sie das<br />

Kulm? Nein? Das Savoy auch nicht und das<br />

Dorchester? Im Dorchester spielen Tommy<br />

Dorsey und Nat Gonella live, im Savoy Benny<br />

Goodman. Das allerdings war vor dem<br />

Krieg. Und Teddy Stauffer im Kulm - hier<br />

Kellner sein - Jahrzehnte vorbei! Was darauf<br />

folgte, war der lange Weg des Abstiegs eines<br />

Berufsstandes, «McDonaldisierung», durch<br />

Infrarot aufgewärmte Speisen, Steamer in der<br />

Küche, eine ganz andere Gastrophilosophie.<br />

Bei uns hat es mit Pragers Möven begonnen:<br />

Austern, Krevettencocktails, Champagnercüpli<br />

zu jeder Tageszeit und für jedermann.<br />

Diese zu kurz bemessenen Mahlzeiten! Auf<br />

den Tischchen waren anfangs vier Brötchen<br />

und die Ketchupflasche bereitgestellt, als Beigabe<br />

zum Lunch gedacht. Dann kamen ungeplant<br />

nachmittags die Alten und taten sich<br />

gütlich daran, stundenlang vor einer Tasse<br />

Kaffee oder Minztee sitzend. Und dieses Gerede<br />

an den schmalen Tischen! Den Gehstock<br />

auf den Boden gelegt, den Mantel über der<br />

Stuhllehne. Soll ich Ihnen beim Aufstehen<br />

helfen? Diese Rechnung konnte für niemanden<br />

mehr aufgehen, es war eine Entfremdung<br />

zwischen Gastgeber und ungeliebten, neuen<br />

Gästen. Dann wurde konsequenterweise das<br />

Trinkgeld abgeschafft und damit die Kultur<br />

des Dienens. Von jetzt an waren wir Lohnarbeiter<br />

und unser Beruf ein Job.<br />

essay<br />

IGDA aktuell, Heft 2/3 (2009) Seite 41<br />

Bereits mein Vater arbeitete im Service.<br />

Er begann seine Lehre zu einer Zeit, als der<br />

Beruf des Kellners noch Garantie war, die<br />

Welt zu sehen. Er mochte keine Jahresstelle.<br />

Mit Nachmittagstee, Stammtisch und Bierfröhlichkeit<br />

am Abend hatte er nichts zu<br />

schaffen. Das Gebaren der jungen Gäste, die<br />

heute die auf «cooles Design« getrimmten<br />

Gaststätten füllen, war ihm fremd. Er blieb<br />

eine Saison lang an einem Ort, dann ging er<br />

wieder. Überallhin. Sich immer wieder neu<br />

einfügend in das Ewiggleiche. Nach der Familiengründung<br />

wurde es allerdings schwieriger,<br />

sein Berufsethos zu halten. Enttäuscht<br />

brachte er die kupferne Flambierpfanne, die<br />

ihm gehörte, nach Hause. Sie wurde nicht<br />

mehr benötigt und endete im Keller. Einmal<br />

hatte er sie nochmals hervor genommen, für<br />

Crêpes Suzette zum Hochzeitstag, worauf<br />

der Küchenvorhang beim Flambieren Feuer<br />

fing. Früher, da hatte er sogar ein eigenes<br />

Gästebuch geführt. Alle großen Stationen<br />

seines Arbeitslebens waren darin verzeichnet.<br />

Es war die Welt! Und immer wieder Unterschriften,<br />

Widmungen berühmter Gäste:<br />

Könige, Filmstars, Minister, Bundesräte, der<br />

General. Die täglichen Begebenheiten seiner<br />

jungen Familie aber erfuhr er bald nur<br />

noch aus zweiter Hand. Am Morgen war der<br />

Nachwuchs in der Schule, nachmittags, während<br />

seiner Zimmerstunde, ebenfalls, und in<br />

der Nacht, wenn er heimkam, schlief alles. Es<br />

konnte drei Wochen dauern, bis ich meinen<br />

Vater kurz erblickte. Für mehr als ein paar<br />

Worte und Blicke reichte es dann nicht.<br />

Für ihn schien das Leben leicht. Was er<br />

verdiente, wussten wir nicht, vielleicht nicht<br />

einmal er selbst. Er lebte damals vom Tronc,<br />

das heißt, die Trinkgelder wurden nach einem<br />

vertraglich festgelegten Schlüssel an die<br />

Servicebrigade verteilt. Das war eine Rangordnung<br />

wie bei der Armee: Commis, Commis<br />

de Rang, Chef de Rang, Chef de Service,<br />

Chef de Restaurant, Maître d‘Hôtel - ich habe<br />

später als Quereinsteiger angefangen, mir<br />

eine Schürze umgebunden, den Chasseur<br />

gemacht mit der Voiture, den Gästen offeriert,<br />

was der Feinschmeckerwagen zu bieten<br />

hatte. An den Nachmittagen Sandwiches,

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