barrikade # 7 - Abrechnung mit Seidmans 'Gegen die Arbeit'.pdf
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arrikade sieben - April 2012<br />
beitskraft auspressende Rationalisierung, Akkordarbeit,<br />
Arbeitszwang, Arbeitsverherrlichung im<br />
Pack <strong>mit</strong>übernommen hätten. Mit dem kapitalismus-gleichen<br />
Ziel, möglichst viel Leistung aus den<br />
ArbeiterInnen herauszuholen und sie letztlich als<br />
Werkzeuge ihres „Produktivismus“ zu benützen.<br />
„Santillán wandelte sich vom eifrigen Kritiker kapitalistischer<br />
Technologie und Arbeitsorganisation zum<br />
enthusiastischen Befürworter derselben.“ (S. 81)<br />
Diese Behauptung ist meiner Meinung nach<br />
erstmal deshalb falsch, weil sie, richtiges Zitieren<br />
vorausgesetzt, durch <strong>die</strong> Quellen nicht gestützt,<br />
sondern entkräftet wird. Sie ist es auch wegen Mißachtung<br />
der Regeln einfacher Logik. Die Industrie<br />
ist ebenso wie Handwerk, Landwirtschaft oder Wissenschaft<br />
nicht per se kapitalistisch. Die Übergänge<br />
sind fließend, sie ist eine komplexe Form und ein<br />
Produkt menschlicher Arbeit. Sie der Herrschaft<br />
der Besitzenden zu entziehen ist möglich, weil <strong>die</strong>se<br />
in ihr keine notwendige Funktion ausüben. Die<br />
kapitalistische Beherrschung der Industrie ist keine<br />
Wesenseigenheit, sondern eine Okkupation oder<br />
Enteignung derer, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Arbeit machen. Die Zuversicht<br />
Santilláns, dass <strong>die</strong> Industrie zum Nutzen<br />
aller Menschen eingesetzt werden kann in Zustimmung<br />
zu kapitalistischen Ausbeutungsformen umzumünzen<br />
– das ist gemacht im wesentlichen <strong>mit</strong><br />
Wortspielereien und gespeist aus Denkblockaden:<br />
Arbeit: ungewollt, Industrie: unverstanden, ArbeiterInnenselbstverwaltung:<br />
unmöglich.<br />
Im Grunde ist es so: Santillán hatte wie viele<br />
andere Libertäre das Ziel: Wohlstand für alle! Er<br />
nennt auch Großzügigkeit und einen gewissen<br />
Überfluß als Bedingung für eine freie Gesellschaft.<br />
Allein um das Lebensnotwenige für alle zur Verfügung<br />
stellen zu können, sieht er <strong>die</strong> Notwendigkeit,<br />
über das in Spanien vorherrschende Handwerk<br />
und <strong>die</strong> Kleinproduktion hinauszugehen und das<br />
industrielle Potential zu entwickeln. Die Industrie<br />
war <strong>die</strong> Verheißung einer Zukunft, in der das Elend<br />
besiegt und, auch nach Santillán, <strong>mit</strong> verringerter<br />
(!) Arbeitsanstrengung <strong>die</strong> Bedürfnisse aller befriedigt<br />
werden könnten. Er versucht, auf ökonomische<br />
Fragen ökonomische Antworten zu geben<br />
und <strong>die</strong> schwierige Verbindung <strong>mit</strong> dem Ziel einer<br />
libertären Gesellschaft zu finden. Die positiven wie<br />
<strong>die</strong> zerstörerischen Auswirkungen der Industrialisierung<br />
sind jetzt deutlicher zu sehen als vor 75<br />
Jahren und <strong>die</strong> zu beantwortenden Probleme sind<br />
dramatisch angewachsen. (Meine eigene Hoffnung<br />
wäre, dass sich das Industriezeitalter als Durchgangsphase<br />
erweist hin zu einer bescheideneren<br />
und klügeren Daseinsweise der Menschen in Einklang<br />
<strong>mit</strong> der Erde.) Da <strong>die</strong> Ökonomie <strong>die</strong> „Politik“<br />
beherrscht, sind machbare ökonomische Alternativen<br />
umso mehr ausschlaggebend. Natürlich ist es<br />
in gewissem Sinne eine undankbare Aufgabe der<br />
sich Santillán stellte. Ihr wird oft ausgewichen oder<br />
davon geträumt, dass übermorgen alle Arbeit von<br />
Maschinen verrichtet wird (und da<strong>mit</strong> das Problem<br />
anstrengungslos gelöst wäre).<br />
Das erste Zitat ist überhaupt nicht zu beanstanden:<br />
„Der moderne Industrialismus nach dem Muster<br />
von Ford ist reiner Faschismus, rechtmäßiger Despotismus.<br />
In den großen, rationalisierten Betrieben ist das Individuum<br />
nichts, <strong>die</strong> Maschine alles. Diejenigen unter<br />
uns, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Freiheit lieben, sind nicht nur Feinde des<br />
staatlichen Faschismus, sondern auch des wirtschaftlichen<br />
Faschismus.“ (S. 81)<br />
Dann habe es bei Santillán einen „plötzlichen Sinneswandel“<br />
gegeben:<br />
– „Er bemerkte anerkennend, dass <strong>die</strong> Taylorisierung<br />
<strong>die</strong> ‚unproduktiven Bewegungen des Einzelnen’ beseitigt<br />
und seine ‚Produktivität’ gesteigert habe:<br />
‚Es ist nicht nötig, <strong>die</strong> derzeitige technische Organisation<br />
der kapitalistischen Gesellschaft zu zerstören, sondern<br />
wir müssen sie nutzen.<br />
Die Revolution wird der Fabrik als Privateigentum<br />
ein Ende bereiten. Aber wenn <strong>die</strong> Fabrik bestehen und,<br />
unserer Meinung nach verbessert werden muss, dann<br />
muss man wissen, wie sie funktioniert. Die Tatsache,<br />
dass sie gesellschaftliches Eigentum wird, ändert das<br />
Wesen der Produktion oder <strong>die</strong> Produktionsmethoden<br />
nicht. Die Verteilung der Produktion wird sich ändern<br />
und gerechter werden.’” (S. 82)<br />
Das Vorangestellte enthält Bruchstücke eines<br />
zehn Zeilen langen Satzes, in dem Santillán den<br />
Taylorismus beschreibt und nicht befürwortet:<br />
„Neben <strong>die</strong>sem nicht bezifferbaren Zuwachs an verfügbarer<br />
und nutzbarer Energie wurden weitere Perfektionierungsmaßnahmen<br />
durchgeführt; zum Beispiel <strong>die</strong> Taylorisierung,<br />
<strong>die</strong> unproduktive Bewegungen des Einzelnen<br />
beseitigt und seine Produktivität erhöht, wobei <strong>die</strong> menschliche<br />
Arbeitskraft in der Fabrik bis zur Erschöpfung<br />
in Anspruch genommen wird; andere Prozesse, <strong>die</strong> dem<br />
gleichen Zweck <strong>die</strong>nen, bei denen aber nicht der Mensch,<br />
sondern <strong>die</strong> Maschinen, <strong>die</strong> automatischen Anlagen, <strong>die</strong><br />
Organisation der Produktion im Mittelpunkt stehen,<br />
sind verschiedene Perfektionierungsmaßnahmen, <strong>die</strong> als<br />
industrielle Rationalisierung bezeichnet werden. Alte<br />
Maschinen werden ausgesondert und durch neuartige<br />
Apparate ersetzt, deren Betreiben nur ein unbedeutendes<br />
Eingreifen des Arbeiters erfordert; <strong>die</strong> Produktion wird<br />
so organisiert, dass <strong>die</strong>se Fabrik sich nur auf ein bestimmtes<br />
Teil, etc. spezialisiert. Dank <strong>die</strong>ser Taylorisierung<br />
bei den Menschen und <strong>die</strong>ser Rationalisierung bei den<br />
Werkzeugen lässt sich <strong>die</strong> Produktionskapazität unter<br />
Verringerung der Zahl der beteiligten Hände in unvorstellbarem<br />
Umfang erhöhen.“ (A, S. 124, <strong>die</strong>se und<br />
nachfolgende Übersetzungen durch eine staatlich<br />
geprüfte Dolmetscherin)<br />
Der Doppelpunkt soll<br />
eine Bestätigung durch<br />
das anschließend Zitierte<br />
vortäuschen, das aus zwei<br />
anderen Artikeln genommen<br />
ist (von A, S. 156 und<br />
203). Warum montiert<br />
Seidman hier drei Stellen?<br />
Denkbar wäre, um<br />
dem Taylorismus-Vorwurf<br />
mehr „Fleisch“ zu<br />
spen<strong>die</strong>ren, denn <strong>die</strong>ses<br />
Highlight der Santillán-<br />
“Kritik“ bestünde sonst<br />
nur aus einem falsch bewerteten<br />
Satzbruchteil;<br />
der ganze Satz wird stattdessen<br />
ja den LeserInnen<br />
vorenthalten. Und es soll<br />
wohl suggeriert werden,<br />
dass nach der Revolution<br />
der vorgefundene Taylorismus<br />
als Bestandteil der<br />
technischen Organisation<br />
(?) konsequent weiterbetrieben<br />
werden würde.<br />
13<br />
Plakat der sozialistischen<br />
UGT-Metallergewerkschaft<br />
Barcelona:<br />
»Wir siegen<br />
<strong>mit</strong> Disziplin!«