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barrikade # 7 - Abrechnung mit Seidmans 'Gegen die Arbeit'.pdf

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Bücher │ Skorpion • Rezensionen<br />

für ihre Entbehrungen als Agitator, Schriftsteller<br />

oder Redakteur einer Zeitung, sie wollen belohnt<br />

werden; letztlich wünschen sie sich Privilegien, <strong>die</strong><br />

sie über <strong>die</strong> einfachen Mitglieder der Bewegung in<br />

den Betrieben als Funktionäre erheben. Wie „wir“<br />

<strong>die</strong>se persönlichen Eitelkeiten und Machtgelüste in<br />

den Griff bekommen – das ist mir leider auch nach<br />

über 35 Jahren in unserer kleinen Bewegung ein<br />

Rätsel …<br />

* * *<br />

Ein hervorragendes Lesebuch, aber ebenso auch<br />

ein klassisches Lehrbuch für junge Genossinnen<br />

und Genossen, <strong>die</strong> sich in <strong>die</strong> Geschichte der klassenkämpferischen<br />

libertären Jugend Deutschlands<br />

einarbeiten wollen.<br />

Geradezu bewunderswert ist „<strong>die</strong> distanzlose Affinität“<br />

gegenüber dem Gegenstand seiner Untersuchung,<br />

<strong>die</strong> DÖhring an den Tag legt. „Sein wissenschaftlicher<br />

Anspruch“ (beides ‚Kritikpunkte’ von<br />

RüBner) soll eben nicht ein intellektuell-wissenschaftliches<br />

Publikum zufriedenstellen, sondern<br />

junge Linksradikale und Anarchistinnen erreichen<br />

und vom klassenkämpferischen Anarchosyndikalismus<br />

überzeugen.<br />

Mit <strong>die</strong>sem Buch kann man neue Genossinnen<br />

und Genossen gewinnen, vom anarchistischen<br />

Klassenkampf auf kollektiver Grundlage überzeugen.<br />

Und nochmals, DÖhring beweist, daß „im Gegensatz<br />

zu den linkskommunistischen Bewegungen [ist]<br />

<strong>die</strong> Geschichte der anarchosyndikalistischen ‚Freien Arbeiter-Union<br />

Deutschlands’ inzwischen längst kein Geheimnis<br />

mehr“ ist (ein weiterer Vorwurf RüBners 7 ),<br />

hält <strong>die</strong>ser anmaßenden Kritik, <strong>die</strong> ihm anhand seiner<br />

bisherigen Bücher über unsere Bewegung „profunde<br />

Ahnungslosigkeit“ bescheint, den Spiegel vor:<br />

• Band 1 beschreibt <strong>die</strong> Entwicklung der SAJD von<br />

1918 bis 1933 und ergänzt <strong>die</strong>se Geschichtsschreibung<br />

durch sechs ausführliche Porträts fünf führender<br />

SAJD-Genossen und der Genossin Anni Zerr.<br />

Im Abschnitt Treffen der Generationen finden sich<br />

Nachrufe und Erzählungen über Begegnungen <strong>mit</strong><br />

acht Altgenossen, <strong>die</strong> den Faschismus überlebten.<br />

• Band 2 widmet sich dann dem Kapitel Jugend nach<br />

1945 und Ausblick vor allem der Gründung und den<br />

Zielen der Anarchosyndikalistischen Jugend seit 2009.<br />

• Allein auf einhundert Seiten werden im Band 3<br />

historische Satzungen, Grundsatzerklärungen und<br />

Zeitungsartikel ebenso dokumentiert wie aktuelle<br />

Texte der seit einiger Zeit aktiven ASJ-Gruppen –<br />

Anarchosyndikalistische Jugend, <strong>die</strong> sich als eigenständige<br />

Organisation nahe zur FAU verstehen.<br />

Die von DÖhring aufgezählten 13 Eckpunkte der<br />

Erneuerung einer syndikalistisch-anarchistischen Jugendbewegung<br />

(S. 273 f) kann ich aus eigener Erfahrung<br />

vollständig unterschreiben, denn <strong>die</strong>se gelten<br />

für jede sozialrevolutionäre Bewegung oder Organisation,<br />

<strong>die</strong> ernst genommen werden will, egal ob<br />

jung oder alt.<br />

Organisiert Lesekreise und öffentliche Lesungen<br />

<strong>mit</strong> dem Genossen DÖhring, das meiner Meinung<br />

nach für jeden Jugendlichen erschwinglich sein sollte,<br />

denn das über 400 Seiten vollfette Buch kostet<br />

nur schlappe 14 Euro, das ist sicherlich der uneigennützigen<br />

Unterstützung des Berner Apropos-Verlages<br />

(fast <strong>die</strong> komplette ging an der AS-Me<strong>die</strong>nvertrieb<br />

Syndikat-A in Moers) und der unentgeltlichen Arbeit<br />

des Autors und der Gestalter geschuldet, denen<br />

ich hier<strong>mit</strong> ‚unseren Dank’ dafür aussprechen<br />

möchte. • fm<br />

Nachbemerkung: Der Rudolf Rocker-Rechteherr<br />

Heiner Becker hat Helge DÖhring „strafbewehrt“<br />

per Unterlassungserklärung verboten, eigenständige<br />

Texte Rockers zur Jugend abzudrucken (S. 22).<br />

Auch das sollten wir uns merken.<br />

Müllers Novemberrevolution<br />

RI C H A R D MÜLLER<br />

Eine Geschichte der<br />

Novemberrevolution<br />

Neuausgabe der Bände<br />

„Vom Kaiserreich zur<br />

Republik“, „Die Novemberrevolution“,<br />

„Der Bürgerkrieg in<br />

Deutschland“<br />

756 Seiten - 19,95 plus<br />

Porto = 21,85 Euro<br />

DieBuchmacherei@web.de<br />

Mit einer Einleitung zur Neuausgabe von Ralf<br />

Hoffrogge, Berlin 2011, 755 Seiten Broschur, <strong>mit</strong><br />

zahlreichen Fotos und Faksimiles.<br />

I.<br />

Richard Müller, der Mann <strong>mit</strong> dem Allerweltsnamen,<br />

war Metallarbeiter (Dreher) und eine der<br />

wichtigen Personen der Revolution von 1918. Als<br />

Vorsitzender der Revolutionären Obleute der Berliner<br />

Metallbetriebe – einer bemerkenswerten Organisation<br />

der Metallarbeiterschaft der Berliner Großbetriebe,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Notwendigkeiten der illegalen<br />

Arbeit unter dem Ausnahmezustand des 1. Weltkrieges<br />

<strong>mit</strong> einer strikten basisdemokratischen Entscheidungsstruktur<br />

erfolgreich kombinierte – saß<br />

er an der zentralen Schaltstelle der großen Streiks<br />

während des 1. Weltkrieges (1916, 1917, 1918). Die<br />

Revolutionären Obleute, und <strong>mit</strong> ihnen ihr Sprecher<br />

Richard Müller, spielten in der Vorbereitung<br />

und Durchführung der Revolution von 1918 ein<br />

weitaus wichtigere Rolle als etwa der (sowohl von<br />

parteikommunistischer wie konterrevolutionärer<br />

Seite) ziemlich überbewertete Spartakusbund um<br />

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, wobei sich<br />

beide Gruppierungen politisch durchaus nahe<br />

standen und der Spartakusbund inhaltlich einiges<br />

zur Radikalisierung der Obleute beitrug. Trotzdem<br />

lehnten <strong>die</strong> Obleute den Beitritt zur Silvester 1918<br />

gegründeten KPD wegen der mangelnden Verankerung<br />

der neuen Partei in den Betrieben ab und<br />

verblieben in der USPD.<br />

Daß <strong>die</strong> Revolutionäre in Berlin im November<br />

1918 von der Matrosenrevolte in Kiel bei ihrer Planung<br />

des bewaffneten Aufstandes überrascht und<br />

überrollt wurden, zeigt allerdings, daß Revolutionen<br />

doch eher spontan ausbrechen. Trotzdem hatte<br />

<strong>die</strong> Planung etwas für sich, denn sie verlieh der<br />

Revolte zumindest in Berlin zeitweise eine Richtung.<br />

Als Vorsitzender des Vollzugsrates der deutschen<br />

Arbeiter- und Soldatenräte in den ersten Wochen<br />

der Revolution war Richard Müller sogar Oberhaupt<br />

des Deutschen Reiches, das sich für kurze<br />

Zeit eine »Sozialistische Republik« nannte (wo<strong>mit</strong><br />

er der Nachfolger von Kaiser Wilhelm II. und Vorgänger<br />

des Reichspräsidenten Friedrich Ebert war)<br />

– der einzige revolutionäre Sozialist, der jemals in<br />

Deutschland solch eine Position innehatte.<br />

Als wichtiger Rätetheoretiker ist Müller in der<br />

zweiten Phase der Revolution in Erscheinung getreten,<br />

<strong>mit</strong> der von ihm und Ernst Däumig herausgegebenen<br />

Zeitschrift »Der Arbeiterrat«. Kurzfristig<br />

gehörte er der Zentrale der Vereinigten Kommu-

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