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barrikade # 7 - Abrechnung mit Seidmans 'Gegen die Arbeit'.pdf

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Mastkorb • Theorie [Ausblick auf den libertären Kommunismus]<br />

tiert, suggeriert Dr. Seidman, daß andere Ansätze<br />

der Analyse der Arbeit <strong>die</strong>se von ihm behandelten<br />

Strategien des Widerstandes ignoriert haben. Das<br />

ist eine etwas überzogene Argumentation. Über<strong>die</strong>s<br />

zu behaupten, daß <strong>die</strong> marxistische Analyse<br />

solch ein Phänomen ignoriert, weil sie auf den<br />

Arbeitsplatz als »einen potentiellen Bereich für <strong>die</strong><br />

Emanzipation« fokussiert, wo <strong>die</strong> »Arbeiter sich<br />

<strong>mit</strong> ihrem Beruf identifizieren«, scheint irgendwie<br />

das Konzept der Entfremdung phänomenal aus<br />

dem Blick verloren zu haben.<br />

Eine Gesellschaft, <strong>die</strong><br />

für den Fortschritt<br />

kämpft,<br />

wird durch äußeren<br />

Angriff<br />

auf Schwierigkeiten<br />

stoßen auf das reine<br />

Überleben beschränkt<br />

bleiben,<br />

was der Angreifer<br />

wiederum als Beweis<br />

der Unmöglichkeit des<br />

sozialen Fortschrittes<br />

anführt.<br />

• EDuarDo Galeano<br />

Graham, Helen<br />

Reclam Universal-<br />

Bibliothek, 2008,<br />

Nr. 17055,<br />

231 S. m. 23 Abb.<br />

Obwohl er keine politische Geschichte verfassen<br />

will, stellt Michael <strong>Seidmans</strong> Versuch, <strong>die</strong> französischen<br />

und spanischen Erfahrungen zu vergleichen,<br />

unausweichlich <strong>die</strong> Frage nach der unterschiedlichen<br />

Verfassung der beiden Volksfronten<br />

in der untersuchten Periode. Und <strong>die</strong>s war zudem<br />

eine Differenz, <strong>die</strong> sich aus entscheidenden sozialen<br />

und ökonomischen Unterschieden ergab.<br />

Der Staatsstreich des Militärs und <strong>die</strong> versuchte<br />

Revolution in Spanien sahen den Untergang des<br />

liberalen Republikanismus, der immer ein konstituierendes<br />

Element der französischen Erfahrung<br />

war. Als im Mai 1937 <strong>die</strong> spanische Volksfront<br />

komplett Wiedererstand, um einen rekonstruierten<br />

republikanischen Staat anzuführen, drehte sie sich<br />

um eine neue, sozialistisch-kommunistische Achse.<br />

Indem er Barcelona als Vergleich wählt, das einzige<br />

Gebiet in Spanien, in dem <strong>die</strong> Republikaner in der<br />

Gestalt der Esquerra es schafften, an der Macht zu<br />

bleiben, verschleiert der Autor <strong>die</strong>se Problematik.<br />

Aber dadurch riskiert er es, bei nichtspezialisierten<br />

LeserInnen den Eindruck zu hinterlassen, daß Barcelona<br />

ein Mikrokosmos der spanischen Volksfront<br />

sei, während Cataluña als Region eine sehr große<br />

Ausnahme darstellte.<br />

Barcelona ist für Dr. Seidman der Sitz der »spanischen<br />

Revolution«. Obwohl der Autor niemals<br />

seine Begriffe angemessen definiert, wird <strong>die</strong>ser<br />

Ausdruck als Kürzel für den Prozeß der komplexen<br />

politischen und sozio-ökonomischen Reorganisation<br />

gebraucht, der in den ersten zehn Monaten des<br />

Krieges stattfand. Aber es gibt da ein fundamentales<br />

Problem. Diese Monate sahen eine dramatische<br />

Verschiebung des Ortes der Macht, als das<br />

Potential für eine Volksrevolution rapide ero<strong>die</strong>rt<br />

wurde durch <strong>die</strong> Strategien des in Erscheinung tretenden<br />

Volksfront-Blocks der Politiker der Mitte<br />

und der linken Mitte und der reformistischen Gewerkschaftsführer.<br />

Die Tatsache, daß Dr. Seidman<br />

keine politische Geschichte schreibt, entbindet ihn<br />

nicht davon, für inadäquate Begriffsbestimmungen<br />

kritisiert zu werden, denn <strong>die</strong> politischen Entwicklungen,<br />

<strong>die</strong> am Rande seiner Stu<strong>die</strong> verbleiben, hatten<br />

direkten Einfluß auf <strong>die</strong> Leben der spanischen<br />

ArbeiterInnen, von denen er behauptet, sie seien<br />

<strong>die</strong> ProtagonistInnen seiner Untersuchung. Die<br />

wichtigste <strong>die</strong>ser Entwicklungen war offensichtlich<br />

das Scheitern der Revolution. Deren Einflüsse<br />

auf das Proletariat von Barcelona werden in <strong>die</strong>ser<br />

Rezension später betrachtet, im Zusammenhang<br />

<strong>mit</strong> der Frage des Arbeiterwiderstandes gegen <strong>die</strong><br />

Arbeit. Wie auch immer, man muß sich <strong>mit</strong> Dr.<br />

<strong>Seidmans</strong> Verständnis von dem auseinandersetzen,<br />

was <strong>die</strong> spanische Revolution konstituierte. Seine<br />

Stu<strong>die</strong> unterstellt sechs Monate revolutionärer Veränderung,<br />

gegen <strong>die</strong> sich beachtliche Teile der arbeitenden<br />

Klasse dickköpfig unzugänglich zeigten.<br />

Aber <strong>die</strong> Revolution war im Herbst 1936 gescheitert,<br />

eben weil <strong>die</strong> Basis der Staatsmacht nicht<br />

von den Kräften zerstört worden war, von denen<br />

zu erwarten gewesen wäre, daß sie genau <strong>die</strong>se<br />

Avantgardefunktion erfüllen würden. (Die marxistisch-leninistische<br />

POUM war zu schwach, und<br />

<strong>die</strong> libertäre Bewegung war fatal behindert durch<br />

organisatorische Spaltungen und ideologische Unzulänglichkeiten<br />

(sie hatte keine angemessene Theorie<br />

vom Staat).) Die CNT mag <strong>die</strong> Straßen von Barcelona<br />

kontrolliert haben, aber das bedeutete kaum<br />

den Sieg der Revolution. Daß <strong>die</strong> Libertären beides<br />

1936 verwechselten ist verständlich, nicht aber,<br />

daß Dr. Seidman <strong>die</strong>s stillschweigend 1990 macht.<br />

Und selbst wenn eine unproblematisch puristische<br />

CNT-Führung existiert hätte, so wäre sie isoliert<br />

worden durch den verbissenen Reformismus und<br />

<strong>die</strong> Staatsgläubigkeit von Largo Caballeros[4] sozialistischem<br />

Riesen, der UGT, <strong>die</strong> sich weigerte,<br />

jegliche Form von Gewerkschafts-Bündnis in Erwägung<br />

zu ziehen, bis es schließlich zu spät dafür<br />

war, um noch irgendeine autonome politische<br />

Funktion zu erfüllen. Und was <strong>die</strong> UGT betrifft, so<br />

muß man schlicht sagen, daß Dr. Seidman ihre Natur<br />

und Dynamik in den 1930ern mißversteht. Er<br />

nennt sie »revolutionär« und »radikal«, um sie von<br />

den reformistischen französischen Gewerkschaften<br />

abzusetzen. Tatsächlich war es nur der polarisierte<br />

Kontext, kombiniert <strong>mit</strong> einer revolutionären<br />

Rhetorik, der der UGT einen Anstrich von Radikalismus<br />

gaben. Die wesentliche Erfahrung <strong>mit</strong> der<br />

sozialistischen Bewegung in den 1930ern – Partei<br />

und Gewerkschaft, Sozialdemokraten und »Linkssozialisten«<br />

– ist, daß sie sich als ausgesprochen<br />

reformistische Macht offenbarte. Dr Seidman hätte<br />

besser daran getan, auf <strong>die</strong> signifikanten Ähnlichkeiten<br />

zwischen Marceau Pivert [5] und Francisco<br />

Largo Caballero zu achten – hinsichtlich der revolutionären<br />

Rhetorik und der reformistischen Praxis.<br />

Stattdessen vertraut der Autor auf eine Anzahl<br />

abgeschmackter Klischees über <strong>die</strong> Radikalisierung<br />

des Letzteren.<br />

Der grundlegende Einwand der Rezensentin gegen<br />

<strong>die</strong>se Stu<strong>die</strong> ist allerdings, daß Michael Seidman<br />

zur Stützung der Vergleiche, <strong>die</strong> er anzustellen<br />

versucht, weitgehend und durchgängig <strong>die</strong> große<br />

Belastung herunterspielt, <strong>die</strong> sich daraus ergab,<br />

daß sich <strong>die</strong> spanische Republik im Krieg befand.<br />

Sie kämpfte nicht nur gegen <strong>die</strong> heimischen Feinde<br />

und ihre faschistischen Unterstützer ums Überleben,<br />

sondern auch gegen das politische und ökonomische<br />

Establishment des demokratischen Europas<br />

und Nordamerikas (das von Anfang bis Ende<br />

<strong>die</strong> kapitalistische Kreditwürdigkeit der Republik<br />

als ernsthaft inadäquat einschätzte). Die Nicht-<br />

Intervention beinhaltete eine zermürbenden Wirtschaftskrieg.<br />

Die sich daraus ergebenden Bedingungen<br />

der Belagerung hatten eine verheerenden<br />

Effekt auf <strong>die</strong> Produktionskapazität der Republik<br />

und so<strong>mit</strong> auf <strong>die</strong> Lebenserfahrung der arbeitenden<br />

Klasse, sowohl innerhalb wie außerhalb des<br />

Arbeitsplatzes. Die materiellen Bedingungen des<br />

täglichen Leben verfielen schnell, und <strong>die</strong>s beeinflußte<br />

auch das Verhalten vieler ArbeiterInnen.<br />

An verschiedenen Punkten der Fallstu<strong>die</strong> zu Barcelona<br />

springt der Autor zwischen Beispielen aus<br />

den Jahren 1936 und 1938. Wir erfahren, daß einige<br />

ArbeiterInnen 1936-1937 abkömmlich oder nicht<br />

gebunden waren, daß andere 1938 versuchten,<br />

sich der Einberufung zu entziehen, während <strong>die</strong>-

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