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BOGART 23 (BeOurGuestARTist)

Das Gießener Mitmachmagazin für Creative - Aktuelles und Zeitloses aus Kunst, Kultur und Comic

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AUS LOUISES LOGBUCH<br />

Überhaupt, meine Lieben …<br />

… wer möchte ausschließen, dass sich mein Karton und sein Inhalt<br />

während der langen Reise, die mich hierhin geführt hat, nicht<br />

intensiv über das innerweltliche Verhältnis zueinander unterhalten<br />

haben oder darüber in Streit geraten sind, ob es eine Außenwelt<br />

gibt oder nicht und wenn ja, ob diese nicht auch nichts anderes ist,<br />

als gut oder schlecht designtes Packpapier?<br />

Oder nichts anderes als Luftnoppenfolie, deren Bläschen zerplatzen,<br />

wenn Druck ausgeübt wird?<br />

Dass die Welt mehr als ein Saustall ist, wusste ich bereits aus den<br />

vielen Erzählungen von Mama und Papa und dass auch das Leben<br />

nicht von Pappe ist, wurde mir in dem Moment klar, als der Deckel<br />

aufging.<br />

Aber das vorübergehende Leben im dionysischen Karton hat Fragen<br />

aufgeworfen, die beantwortet werden wollen.<br />

Am liebsten hätte ich ja gesagt: „Es zieht, mach' den Deckel wieder<br />

zu!“ Aber ich muss mich der Realität stellen.<br />

Wie dem auch sei und auch wenn man sich schon einmal an einem<br />

anderen Ort gesehen zu haben glaubt: Das außerpappliche Sein<br />

scheint von fremden Wesen beseelt.<br />

Geraldine sah irgendwie giraffi sch aus<br />

und war mir mit ihren abstehenden<br />

Ohren und den haarbebüschelten<br />

Antennen erstmal unheimlich. „Nasigoreng“<br />

war ihr erstes Wort, und ich<br />

habe gesagt, dass ich Louise heiße.<br />

Recht besehen, war das innerpappliche<br />

und noppenfoliierte Sein<br />

eigentlich ganz gemütlich, wenn auch<br />

nicht so kuschelig wie im Koben auf<br />

dem Stroh unter der Rotlichtlampe, dafür<br />

war diese kleine Welt überschaubar<br />

und schützend, irgendwie intrauterin,<br />

wenn auch nicht so feucht wie im säuischen<br />

Leib – wo Wohlfühlen, Wärme<br />

und Geborgenheit angesagt waren,<br />

beruhigende Vibrationen wenn Mama<br />

grunzte, altersgerechte Ernährung,<br />

im Fruchtwasser plantschen und so.<br />

Pränatale Wellness im Spa-Bereich von Fotos: Ulrich Reukauf<br />

Mutterns Bauch eben.<br />

Aber damit war dann ja Schluss. Brrr … dieses grässliche Geworfensein<br />

in die Welt, die so kalt ist und mit Rotlichtlampen geheizt<br />

werden muss, weil die Sonne nicht durch die Stalltür passt, war<br />

mein erster Gedanke, bis ich an Mamas Bauch lauter kleine Füllhörnchen<br />

entdeckte, die, Fortuna sei‘s gedankt, alle für mich waren<br />

und dem Leben einen ersten Sinn gaben. Schnell hatte ich mit<br />

etwas Übung meine volle Saugkraft erreicht und schlummerte, voll<br />

des Guten, nach kurzer Zeit zufrieden ein, bis mich ein polternder<br />

Zweibeiner mit gummierten Füßen lautstark in die Wirklichkeit<br />

zurückholte.<br />

Der Bauer, manche riefen ihn auch Dülmel, Herrscher über dieses<br />

Rotlichtmilieu, war ein grober Mensch, schmallippig, Borsten im<br />

Eine Ver- und Entwicklungs-Geschichte<br />

Protokoll und Übersetzung:<br />

Von Rauf van Winkel<br />

einem begnadeten Tiersprachenversteher<br />

Aus der Reihe „Schräge Reihe“ (Band 2)<br />

Gesicht, was ihn wenigstens etwas sympathisch machte, aber<br />

meist schlecht gelaunt. Immerhin hatte er die für Zweibeiner typischen,<br />

geschickten Vorderpfoten, die allerdings meistens, wenn er<br />

nichts tat und er mal nicht der Kuh von gegenüber am Füllhorn<br />

rummachte, an ihm herunterhingen oder in zwei Bauchtaschen<br />

verschwanden.<br />

Gebrüllt hat er, als er mich das erste Mal sah: „Die Sau hat geworfen!“,<br />

aber anscheinend war ich nicht der große Wurf, den er<br />

sich versprochen hatte.<br />

Papa Eber schien auch nicht bester Laune als er gewahr wurde, dass<br />

seine Kinder immer wieder Ferkel sind. Das war wohl ein Problem<br />

für ihn, aber schließlich sei seine Frau, wie er einsichtig vor sich<br />

hingrunzte, während er mich versöhnlich anschaute, eine Sau.<br />

Er hatte es ja auch genau gewusst, als er vor einigen Jahren mein<br />

Muttertier gefragt hatte, ob sie nicht seine Sau werden wolle und<br />

ob sie zusammen Ferkeleien machen wollten.<br />

Verlegen an einer Eberesche habe er sich damals geschubbert, als<br />

er sie anmachte, erzählt Mutter immer.<br />

Und ob sie wollte! Hat sie sich doch in ihrem spärlichen rosa Borstenkleidchen<br />

an ihn gelehnt und er hatte ihr ein frisch aus dem<br />

Waldboden hervorgewühltes, aufregend duftendes Trüffelchen<br />

in das Schnäuzelchen geschoben. Am Ohr hatte sie ihn dann geknabbert,<br />

leise kleine schweinische Sachen hineingegrunzt und ihm<br />

versichert, dass sie eine richtige kleine Sau sei und die Seinige wohl<br />

werden wollte und dabei ihren Schinken an dem seinem gerieben.<br />

Und dann kam irgendwann ich, und als auch der grobe Zweibeiner<br />

sah, dass ich ein Ferkel bin und er der Meinung war, dass ich nun<br />

Alleinanspruch auf Mamas Füllhörnchen hätte und Papa eigentlich<br />

nicht hierher gehöre, er überhaupt ein Aufrührer und Draufgänger<br />

sei, hat er ihn aus dem Rotlichtmilieu weggeschafft, weggesperrt<br />

wie einen Halunken. Jungsauen- und Abferkelställe waren für ihn<br />

fortan tabu. Gequiekt hatte mein Erzeuger, als Dülmel ihn an<br />

Schwanz und Ohrwascheln aus dem Koben herauszerrte, anstatt<br />

sich, wie die Nachbarsauen sich empörten, für Stallehre und Familie<br />

zur Wehr zu setzen, und Mutter war nun alleinsäugend.<br />

Zudem hat ein richtiger Saustall, nach Vorstellung der an den Füssen<br />

gummierten Zweibeinern, eine matriarchalische Sozialstruktur:<br />

Eber haben hier nur noch unter Aufsicht Zutritt, weil deren pheromone<br />

Ausdünstungen angeblich nur Unruhe brächten.<br />

Eine wahrlich lustfeindliche Maßnahme das Ganze also, die nur<br />

Menschen einfallen kann und die Papa naturgemäß überhaupt<br />

nicht passte.<br />

Aber als die erste Aufregung vorbei und die Tröge gefüllt worden<br />

waren, war drum herum erstmal zufriedenes Gegrunze und beruhigendes<br />

Geschmatze zu hören, durchaus<br />

auch mal ein entspann-ter Furz von Herzen.<br />

Eines Tages hätte sich Papa dann, so wird<br />

im Stall getratscht, mir nichts dir nichts mit<br />

einer anderen Sau vom Acker gemacht und<br />

Mama glaubt dem Klatsch, meint, er suhle<br />

sich jetzt mit der anderen im Schlamm,<br />

einer ‚dreckigen alten Schlampe‘, wie<br />

sie – das Wort ‚Drecksau‘ gemäß stallinterner<br />

politischer Korrektheit vermeidend<br />

– schimpfte.<br />

„Tja, so sind die Männer, wenn sie<br />

Schweine sind“, hat Geraldine gesagt, als<br />

ich ihr davon erzählte.<br />

Über eine schwer zu glaubende Wahrheit,<br />

die sich keiner traut, Mama zu sagen, wird<br />

hinter vorgehaltener Pfote spekuliert:<br />

Beim Freigang auf dem Hofe sei er fürwahr<br />

einer anderen Sau hinterher und dann<br />

prompt einem Mann mit weißer, knirschender<br />

Schürze in die Arme gelaufen, und<br />

der habe, als Papa, des komischen Geruches<br />

der Schürze wegen kurz zögerte, Urlaub<br />

vom Bauernhof versprochen und gesagt, er<br />

werde nicht in diesem Saustall zurückkehren<br />

müssen und solle jetzt einfach mal mitkommen,<br />

woanders hin, da, wo all die schönen<br />

Schinken herkämen und wo er mal so richtig<br />

abhängen könne.<br />

„Schinken“ – das war für Papa, der den<br />

Sauen immer auf die ihrigen schaute, das<br />

Stichwort. Leutselig und gutmütig wie er<br />

Ulrich Reukauf (61)<br />

studierte in Gießen Sozialwissenschaften<br />

mit<br />

anschließendem Lehrauftrag.<br />

Als Künstler trat er<br />

mit seinen "vermöbelten"<br />

Materialcollagen (s.a. BO-<br />

GART 6) hervor, leitete die<br />

vormalige Kunstwerkstatt<br />

Perspektive (Heuchelheim)<br />

und betrieb eine<br />

Galerie im Seltersweg.<br />

Er lebt jetzt in Gaggenau<br />

und ist häufi g Gast - auch<br />

als Laudator - der lokalen<br />

Szene. Unvergessen sein<br />

"Seitensprung" in der<br />

närrischen Hochkultur<br />

als Adjudant des GFV-<br />

Prinzenpaares 2006.<br />

war und ohne zu wissen, was es mit den Schinken nun auf sich<br />

habe, hat er es geglaubt und ist dem Mann in den Reiseanhänger<br />

hinterhergetrottet.<br />

Hätte er sich auf sein Bauchgefühl und seine hervorragende Nase<br />

verlassen, wäre das wohl nicht passiert. Wie dem auch sei, er war<br />

plötzlich verschwunden. „Tja, so ist nun mal der Lauf der Welt“,<br />

schnaubte Geraldine in altklugem Ton.<br />

Pappkarton hin, Saustall her – mal ehrlich, das kann doch nicht<br />

die reale Welt sein? Oder ist das da vielleicht die Welt an sich?<br />

Und steckt da was dahinter? Ist da etwa irgendwas im Busch? Der<br />

Weltgeist vielleicht?<br />

Geraldine und ich haben uns eine ganze Weile darüber gestritten.<br />

„Papperlapapp“, hat sie gesagt und gemeint, dass die Welt jenseits<br />

von Noppenfolie und Pappe, die ich jetzt vor Augen habe, diejenige<br />

sei, die man mit Welt an sich bezeichnet und damit basta!<br />

Fortsetzung folgt<br />

für Creative<br />

Bogart 11

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