BOGARTexhibition01
Günter Vossiek "Der Hund des Odysseus" – Ausstellung bis Frühjahr 2017 in der Radiologie/Neuromedizin (Gießen, Bahnhofstr. 64)
Günter Vossiek "Der Hund des Odysseus" – Ausstellung bis Frühjahr 2017 in der Radiologie/Neuromedizin (Gießen, Bahnhofstr. 64)
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BOGART
Exhibition # 1
w w w. g i - m i x . d e
Günter Vossiek
Farbskizzen · Stahlstichcollagen · Papiers froissés · Holzschnitt-Porträts
by Reinhard Müller-Rode · mediaARTgiessen · r.mr@gmx.de
Günter Vossiek: in Bad Harzburg geboren,
Studium SHfBK Braunschweig, DAAD-
Stipendium Slade School of Art, London.
In den 70er und Anfang der 80er Jahre politische
Grafik und Malerei, Karikaturen, Strassenkunst-
Aktionen. Seit damals bis heute Zeichnungen,
Collagen und Portraits: auf Papier, Leinwand,
Obstkistenböden, Glas, Leder, Plexiglas. Satirische
Portraitskizzen »Paffrather Schätzchen«.
Ab 1993 Ausstellungen, Aktionen, Filme, Publikationen
als Künstlergruppe »Paffrather Zweifel«.
Seit den 90er Jahren Airbrush-Farbzeichnungen,
Materialcollagen, »Papiers froissés«. Schwarzlichtinstallationen:
»Auto-da-Fé« (Köln), »retiens la nuit«
(Barjols, Provence). Installationen mit Wasserspiegelungen:
»diaphan-diacron« (Köln), »jardin des livres«
(Barjols).1996-2003: Drei Installationen für das
Projekt Z-Null; 2006-13: Foto-Porträtcollagen
»scrap-box«. Lebt in Südfrankreich.
www.guentervossiek.fr · guenter.vossiek@orange.fr
© Kai Streier
Günter vossiek – dAs Spiel mit kalkül und zufall
»Der Hund des Odysseus« lautet der Titel einer Zeichnung von
2014. Homer beschreibt Argos, den Hund des Odysseus, in dem
neben der Ilias berühmtesten Epos der Antike, der Odyssee, zu
der Günter Vossiek in vielen Jahren eine umfangreiche Serie von
Farbskizzen, Collagen und groben Federzeichnungen gemacht hat.
Ihm geht es in dieser jüngsten Zeichnung jedoch nicht eigentlich
darum, den jungen Hund des Odysseus während der Jagd zu
zeichnen, er denkt eher an persönliche Erlebnisse wie den Tod der
eigenen Hunde, an ihr wildes Dahinjagen in den provençalischen
Terrassenlandschaften. Im Kulturteil von 'Le Monde' sah er den
wunderschönen kleinen Steinkopf einer etruskischen Göttin. Er
zeichnete diesen als zarte Buntstiftskizze über eine kräftigere
Kohleskizze, in der Hunde über einen Stein hetzen. Bei diesem
Kopf dachte er an Pallas Athene, die, über Odysseus schwebend,
ihn während seiner ganzen Irrfahrten beschützte. Kenner der
Odyssee werden angesichts des Bildtitels diesen Bezug leicht
nachvollziehen können, wie auch die Assoziation, in dem Stein
unten im Bild nicht nur die Steine der Provence zu sehen, sondern
auch das felsige Ithaka. Dennoch geht Vossiek davon aus, dass die
meisten Betrachter die Zeichnung ganz anders deuten werden als
er, je nach ihren individuellen Erlebnissen, ihren Empfindungen oder
auch Reiseerfahrungen. Der Titel ist nicht mehr als ein poetischer
Impuls.
Reinhard Müller-Rode
»Von Haus aus ist Vossiek ein technisch brillanter Künstler und
ein politisch, sozial engagierter Realist, der sich immer um die
kritische, oft beißend-satirische Form einer Auseinandersetzung
um das, was als Wirklichkeit gilt, bemüht«, so 2007 der
Feuilletonist Peter Brinkemper.
1971 diente eine von ihm mitini tiierte »Strauß Mappe«
von 32 Künstlern, darunter Beuys, Staeck und Volland, der
Prozesskostenhilfe für den Karikaturisten Rainer Hachfeld vs.
FJS und gehört heute zu den Spezialitäten im Kunstbetrieb*.
– Vossieks skeptischer Blick wird auch in Ausstellungen wie
»Doi tsche Werte« (1990), »Schwarzer September« (1994),
»Spuren von Gewalt« und »Z-Null« (2003) deutlich.
Das jüngste seiner formal sehr unterschiedlichen
Projekte sind Farbolzschnitt-Porträts und
Plexiglas-Gravuren von ehemaligen Minenarbeitern
und ihren Familien im Bauxit-
Museum Les Gueules Rouges (»Rotschnauzen«) in
Tourves (2015).
*Exemplare dieses nachhaltigen Zeitdokuments befinden sich in der
Sammlung der Harvard Art Museums (harvardartmuseum.org) mit allen
Abbildungen und Beschreibungen. – Das Gesamtwerk und Einzelstücke
können im Kunst- (z.B. artax.de), ebay-Handel oder bei Auktionen
erworben werden.
Titel: Odysseus bei kalypso, Papier Froissié, 50/70 cm (2007)
Der Hund des Odysseus, Mischtechnik, 95/105 cm (2014)
Die Klicks auf ihrem knapp achtminütigen YouTube–Video »Körpermaler« (google nach:
Malen bis der Arzt kommt) aus dem Jahre 2002 zur Musik »The Last Man« von Clint Mansell
liegen noch im überschaubaren Bereich. Doch das sah das Kollektiv 'Paffrather Zweifel' mit
Günter Vossiek und Kollegen ebenso sportlich, wie die je nach Aufgabenstellung zwischen
'1 und 6 bewerteten Haltungsnoten' für ihre alle Gliedmaßen fordernden Pinselakrobatien
auf großformatigem Papier: »Wir haben nach der UNkünstlerischsten, banalsten, jedermann
bekannten Zeichnung gesucht: es war schließlich das 'Haus vom Nikolaus'. Dieses haben wir
dann in den absurdesten Pinselhaltungen und Körperstellungen auf Papierbahnen gemalt.«
In der schmalen Gratwanderung zwischen Unsinn und künstlererischer Aktion, die die drei
Akteure genau kalkuliert hatten, liegt der Witz der Performance, die anlässlich des 5jährigen
Bestehens der Galerie Krypta (Bergisch-Gladbach) als Videofilm erstmals gezeigt wurde.
(s.a. BOGART 24; S. 3, 6/7 im Onlinearchiv: gi-mix/de)
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BILDER DER ODYSSEE
"Seit meiner Jugend habe
ich oft an die fast dreitausendjährige
kraftvolle Dichtung
Homers gedacht und
vor etlichen Jahren dann
erste Arbeiten zu diesen
Erzählungen gemacht,
grobe, einfache, satirische
Federzeichnungen. […]
Bei den jetzigen Arbeiten
hat sich eine Art Bildergeschichte
entwickelt. Ich
habe die Odyssee mehrfach
kreuz und quer gelesen
und habe dabei spontane
Bildeinfälle kopfüber
heruntergemalt und
-gezeichnet, um die Skizzenhaftigkeit
der Arbeiten
zu steigern. Die Reihenfolge
der Bilder war mir in
dieser Arbeitsphase völlig
egal, die literarisch »richtige«
Abfolge habe ich danach
festgelegt. Mit groben
Strichen wird zuerst die
Farbe gesetzt. Farbfläche,
Farbauftrag, Hell-Dunkel
und Farbmodulation richten
sich dabei kaum nach
der Silhouette von Gegenständen
und Figuren, die
Farbwahl dagegen ist vom
anvisierten Thema beeinflusst.
Die Zeichnung, rasch
mit schwarzer Chinatusche
aus einem kräftigen chinesischen
Bambusrohr über
die Farbspuren feiner und
grober gezeichnet,
geschliert und geklekst,
umreisst die Figuren in
expressiv verzerrter
Bewegtheit".
(GV)
Buchillustration zu Gesang VI: Pallas Athena erscheint Nausikaa,
der Tochter des Königs der Phaiaken, im Schlaf und nennt ihr den
Ort, an dem Odysseus gestrandet ist. Nausikaa gibt ihm dort
Kleidung und zeigt ihm den Weg zum Hof ihres Vaters Alkinoos.
Günter Vossiek · Holger Schnapp
Odyssee – Illustrationen zu den 24 Gesängen
von Homers Odyssee als Collage und als Malerei.
448 S.; HC, runder Rücken kaschiert;
Format: 18,1x3,5x22,8 cm
Books on Demand, Norderstedt (2012)
Gebundene Ausgabe: Amazon € 74,90
E-book: Kindle-Editon € 39,99
Buchillustration zu Gesang X: Odysseus erzählt von den menschenfressenden Laistrygonen, der Zauberin Kirke und seiner Sehrnsucht nach Ithaka.
4 Bogart
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Die schöne Helena
Pastellzeichnungen, alle Motive 50/60 cm (2003/04)
Zeichnungen entstehen meist in Serien (z.B. Zeichnungen nach
Dürer, Velasquez, Die Schöne Helena , Cangeceiros, Fukushima-
Dancing, Säulen der Alhambra …). Es geht hier wie bei
anderen Techniken um den Gegensatz von Kalkül und Zufall.
Bei der Einbeziehung des Zufalls entsteht ein Gefühl der
Freiheit, neue Ausdrucksformen können sich entwickeln. Die fast
immer gegenständlichen Farbskizzen werden meist über Kopf
gezeichnet. Mehrere Konturen überlagern sich, teilweise durch
rasche Umrisslinien und Schraffuren, die nur gefühlt sind, da sie
mit geschlossenen Augen gezeichnet werden. »Dann zeichnet
man 'unbeobachteter' als mit offenen Augen«, bemerkt der
Zeichner lakonisch. Die Figuren vibrieren, fliessen, fliegen dann
auf dem Papier, wirken palimpsestartig und ephemer. Eines
dagegen brauchen sie nicht: anatomische Richtigkeit.
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Die Säulen der Alhambra
Fliegende, vibrierende Linien, Überzeichnungen und leichte
Verwischungen kennzeichnen auch die Pastellskizzen,
die nach iPad-Fotos von den Säulen der Alhambra in
Granada gemacht sind. Um der flirrenden Abstraktion
des maurischen Dekors Ausdruck zu verleihen, wird eine
superschnelle Zeichenweise von tanzenden Strichen und
kurzen Wischern mit dem Handballen benutzt. Im Detail ist
diese Zeichnung nahezu abstrakt. Erst beim Blick auf die
ganze Zeichnung tritt die Säulenstruktur hervor.
Alle Originale: Pastell, je ca. 57/76 cm (2015)
Ritter,
Tod und
Teufel
nach
Albrecht Dürer
Pastell/Kohle, (2003/04); oben: 70/100 cm; unten: 50/60 cm
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Karl der Grüne, Mischtechnik, 70/100 cm (2007) CANGACEIROS, Mischtechnik, 70/100 cm (2007)
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FUKUSHIMA DANCING
Pastell/Acryl, 90/105 cm (2011) Pastell/Acryl, 90/105 cm (2011)
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Stahlstichcollagen
Stahlstiche von Städteansichten des 19. Jahrhunderts
aus dem Bildband 'Europas alte Herrlichkeit' bilden
den Raum für die Collagen. Sie werden auf annähernd
Din A3 vergrössert, einige beim Kopieren verzerrt.
In sie hinein werden dann Figuren geklebt. Diese
stammen aus dem umfangreichen Schnippelbuch der
'Pädagogischen Aktion', Nürnberg 1981, (mit dem
knappen Titel: »AKTUELLES ABENDLÄNDISCHES
SCHWARZ-WEISSES BILDERARCHIV DER VISUELLEN
WIRKLICHKEIT ZUM GRAFISCHEN, KÜNSTLERISCHEN
UND PÄDAGOGISCHEN GEBRAUCH –
MATERIALIEN ZUM ANSCHAUEN...ABZEICHNEN +
NACHZEICHNEN...AUSSCHNEIDEN...KOPIEREN...
COLLAGIEREN...LAY-OUT-MACHEN... «). Durch die
absurden Kombinationen der Figuren entsteht in den
verstaubten majestätischen Panoramen neues Leben.
14 Bogart
Das Mitmachmagazin
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Papiers froissés
In den 'Papiers froissés', den mit Farbe
überrollten oder überspritzten zerknitterten
Papieren ( froissé = zerknittert ) verstecken
sich Figuren, Fabelwesen oder Bergrücken
ganz so, wie wir alle sie als Kinder in
Wolkenformationen entdeckt haben.
Mit gespritzter und gerollter Farbe entsteht
ein Illusionsraum, in dem die Papiers-froissés-
Figuren agieren. Und es ist das zufällig
Gefundene, das zur Komposition führt.
Aber nicht nur das: dieses Spiel aus Spritz-,
Roll- und Froissé-Technik nach und nach
zu beherrschen, verschafft auch eine nicht
unwichtige handwerkliche Befriedigung.
links bzw. untere Reihe: 50/60 cm bzw. 50/70 cm; rechts oben/Mitte: 41,5/29,5 cm (alle 2006)
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Farbholzschnitte 45/65 cm (2014-16)
Maurice
Lucienne
Antoine
Marie
Jérémy
20 21
Reloaded
REVIEW
»Kunst auf Kunst«
mit Strich & Farbe
Heinrich Will (1922):
Stehender Rückenakt; Kohle auf Papier (bläulich); ca. 44/60 cm
Teamwork: Günter Vossiek finishes Heinrich Wills „Vorarbeit“.
Gemeinsam mit Susanne
Brückmann, Hans-Michael
Die Holzschnitt-Porträts von ehemaligen Minenarbeitern
entstanden 2014/15. Dabei
ging es nicht darum, eine Reproduktionstechnik
zum tausendsten Mal zu wiederholen, um wie
beim klassischen Holzschnitt möchte viele möglichst
gleich aussehende Abzüge herstellen. Der
allzu präzisen Planung des traditionellen Mehrfarbenholzschnitts
wird eine neue Ausdrucksmöglichkeit
entlockt: eine Bohrmaschine ersetzt die
traditionellen Holz-Schneidemesser. Mit ihrer Hilfe
werden die Konturen eines projezierten Fotoporträts
in eine MDF-Platte 'gezeichnet'. Dieser Vorgang
wird auf zwei weiteren Platten wiederholt,
wobei der vibrierende Bohrer in jede weitere Platte
eine leicht abweichende Kontur fräst.
Alle drei Konterfeis werden übereinander auf
die dunkelfarbige Grundplatte gedruckt, sodass
ein Vierfarbdruck entsteht (s. Abb. rechts). Der
jeweils folgende Druck hat eine hellere Farbe als
der vorherige. Die letzte gedruckte Platte ist also
farblich die hellste und suggeriert 'Licht'. Die darunterliegenden
drei Farben bleiben innerhalb der
gefrästen Kontur der letzten Platte sichtbar, da diese
Konturen nicht deckungsgleich sind. Aber nicht
nur in der Kontur erscheinen die darunterliegenden
Farben: da die einzelnen Platten nicht vollständig,
sondern nur teilweise eingewalzt werden, sind
auch in der Fläche alle vier Farben sichtbar. Die
Farbe wird nicht unüberlegt, aber doch eher spontan
über die Holzplatte gerollt. Entscheidend ist:
die Wirkung des Farbauftrags ist nur noch zum Teil
planbar, der Zufall wird ein entscheidender Faktor
für das Druckergebnis. Genau das ist das Kalkül.
© Jérémy Bionda / Musée des Gueules Rouges
So gleicht kein Abzug dem andern, obwohl durch
die fotografische Projektion die Person in jedem
Abzug wiedererkennbar bleibt. Ausserdem entstehen
die Abzüge ohne Druckpresse. Die Farbe wird
(wie zu Beginn des europäischen Holzschnitts in
der Renaissance üblich) in das Papier gerieben, in
diesem Fall mit Bürste und Stoffballen. Der Farbauftrag
und die Kontur wirken grob, oft löchrig, stellenweise
fast verwittert, das abschliessende Porträt
ist jedoch äusserst
prägnant.
»Der traditionelle
Drucker würde sich
vermutlich an den
Kopf fassen, wenn
er meine Drucktechnik
sieht,«
sagt Vossiek, »weil
ich die über viele
Generationen entwickelten
Regeln
des Druckens –
scheinbar respektlos
– allesamt
über den Haufen
werfe. Aber für
die spezifische
Ausdruckskraft,
die mir für meine
Holzschnitt-Porträts
vorschwebt, muss
das so sein«.
Die vier Phasen
des Farb-
Holzschnitts
Léon
Kirstein, Frank Maessig,
Sergej Oster, Andreas Reh,
Florian „Flowy“ Schimke
und Dóra Szöke war Günter
Vossiek an der vorherigen
Ausstellung in den Gießener
Gemeinschaftspraxen
»Liebig-Center« beteiligt, bei
der aktuelle Übermalungen
originaler Akt- und
Porträtzeichnungen von
Heinrich Will
(* 27.8.1895;
† 19.2.1943) präsentiert
wurden. Diese eigenwillige
Hommage an den von NS-
Schergen durch das Fallbeil
hingerichteten Gießener
Kunstmaler verlieh dessen
Credo »Verschleudert mein
Werk nicht!« Respekt und
kann im Ausstellungskatalog
unter www.gi-mix.de online
nachvollzogen werden.
G. Vossiek (2015); Pastellkreide
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ODYSSEE: Buchillustration zu Gesang XVII: [...] Im Hof seines Hauses angekommen, erkennt ihn allein sein verwahrloster, sterbender Hund Argos.
Günter Vossiek: Der Hund des Odysseus
Farbskizzen · Stahlstichcollagen · Papiers froissés · Holzschnitt-Porträts
ab Herbst 2016 bis Frühjahr 2017
Bahnhofstraße 64 · 35390 Gießen Kunstinitiative