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Im Fokus<br />
Beim Morbus Scheuermann oder<br />
auch bei der Scheuermann-Krankheit<br />
(Adoleszentenkyphose, juvenile<br />
Kyphose), handelt es sich um eine<br />
Wachstumsstörung der jugendlichen<br />
Wirbelsäule mit vermehrter Rundrückenbildung<br />
im Bereich der Brustwirbelsäule.<br />
Im Volksmund wird die Erkrankung<br />
auch „Schneider-Buckel“ oder „Lehrlings-Buckel<br />
“ genannt. Die Wachstumsstörung<br />
beginnt an den noch knorpeligen<br />
Deck- und Grundplatten der Wirbelkörper.<br />
Der Wirbelköper (Corpus vertebrae)<br />
besteht aus einer harten Knochenschicht<br />
(Deckplatte und Grundplatte) und einem<br />
weichen Inneren (Spongiosa). Bei vermehrter<br />
Biegebelastung, zum Beispiel<br />
durch langes gebeugtes Sitzen und bei<br />
gleichzeitig schwacher Rückenmuskulatur<br />
werden die Wirbelkörper an den konkaven<br />
(= nach innen gewölbt) ventralen<br />
(= bauchseitig) Vorderkanten unverhältnismäßig<br />
stark belastet. Dadurch kommt<br />
es zu Schäden an den Knorpel-Knochen-<br />
Verbindungen der Wirbelkörperdeckplatten<br />
und Wirbelkörperkanten. An den<br />
Wirbelkörpern bleibt das Wachstum vorne<br />
allmählich zurück, so dass die Wirbelkörper<br />
sich keilförmig entwickeln können.<br />
Ebenfalls treten oft zerfurchte,<br />
zerklüftete Deckplatten, kleine linsen- bis<br />
erbsengroße Kavernen (krankhafte Hohlräume)<br />
auf. In gravierenden Fällen können<br />
die Deckplatten der Wirbelkörper<br />
einbrechen.<br />
Wirbelsäulenverkrümmung<br />
Durch den Eintritt des Bandscheibengewebes<br />
in die Wirbelkörper (Schmorl´sche<br />
Knötchen) wird der Zwischenwirbelraum<br />
verringert.<br />
Es kommt zu einer stärkeren Belastung<br />
der Wirbelsäule und der kleinen Wirbelgelenke.<br />
Oft besteht noch eine so genannte<br />
Morbus Scheuermann-Skoliose (Seitenausbiegung<br />
der Wirbelsäule). Ist Morbus<br />
Scheuermann stark ausgeprägt, kann die<br />
Erkrankung zu einem verfrühten Verschleiß<br />
der Bandscheiben führen, die im<br />
zweiten und dritten Lebensjahrzehnt eine<br />
Einsteifung der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte<br />
hervorrufen können. Um dies<br />
auszugleichen, müssen die anderen Wir-<br />
24 1/2007 orthinform<br />
Morbus<br />
Scheuermann:<br />
Was versteht man darunter?<br />
Abbildung: Pilates für den Rücken, BLV Buchverlag 2006<br />
belsäulenabschnitte eine Überbeweglichkeit<br />
annehmen. Oft entsteht kompensatorisch<br />
im Bereich der Lendenwirbelsäule<br />
ein verstärktes Hohlkreuz (Hyperlordose).<br />
Häufigkeit<br />
Bei der Scheuermann’schen Erkrankung<br />
handelt es sich um eine der häufigsten<br />
Wirbelsäulenerkrankungen. Benannt<br />
wurde die Erkrankung nach dem<br />
„Erstbeschreiber“ Holger Werfel Scheuermann,<br />
einem dänischen Orthopäden<br />
und Röntgenarzt. Männliche Jugendliche<br />
sind 4 bis 5 mal häufiger betroffen<br />
als weibliche. Während des pubertären<br />
Wachstumsschubes zwischen dem 11.<br />
und 15. Lebensjahr bei Mädchen und<br />
dem 12. und 17. Lebensjahr bei Jungen<br />
ist die Wirbelsäule besonders anfällig<br />
für Fehlentwicklungen.<br />
Entstehung<br />
Sowohl endogene (= angeborene) Ursachen,<br />
Stoffwechselstörungen aber auch<br />
starke mechanische Beanspruchungen<br />
können Morbus Scheuermann hervorrufen.<br />
Eine große Rolle spielt die schwache<br />
Muskulatur bei den Kindern. Bei heute<br />
nur noch geringen sportlichen Belastungen<br />
in Kindergarten, Schule und Ausbildung<br />
kann sich keine ausreichende Rükkenmuskulatur<br />
bilden. Selbst die<br />
Freizeitgestaltung der Kinder und Jugendlichen<br />
findet zunehmend im Sitzen<br />
statt, seit der PC Einzug in das Kinder-<br />
Regelmäßige Bewegung ist für eine angemessene<br />
Ausbildung der Rückenmuskulatur sehr<br />
wichtig.<br />
und Jugendzimmer genommen hat. Die<br />
zur Stabilisierung der Wirbelsäule notwendige<br />
Muskulatur kann nicht ausreichend<br />
aufgebaut werden. Der M. Scheuermann<br />
wird dadurch während der<br />
Wachstumszeit noch verstärkt.<br />
Diagnose<br />
Die Diagnose wird zunächst durch den<br />
typischen klinischen Befund gegeben. Der<br />
dazu passende Röntgenbefund, aufgenommen<br />
von der Seite, mögliche Rückenschmerzen<br />
und das entsprechende Alter<br />
bestätigen die Diagnose, wobei im Wachstumsalter<br />
die Beschwerden bei den Kindern<br />
und Jugendlichen häufig nur gering<br />
oder gar nicht vorhanden sind. Nicht selten<br />
wird Morbus Scheuermann zufällig<br />
festgestellt. Auffällig sind bei der Untersuchung<br />
die schwache Rückenmuskulatur,<br />
gelegentlich eine Seitausbiegung der Wirbelsäule<br />
sowie eine vermehrte Rundrükkenbildung.<br />
Für eine sorgfältige Diagnose bei<br />
Scheuermannscher Krankheit ist eine<br />
sagittale (seitliche) Ganzwirbelsäulenaufnahme<br />
erforderlich.<br />
Therapie<br />
Erst spät im Erwachsenenalter treten<br />
Symptome wie Rückenschmerzen auf.<br />
Abhängig von der vermehrten Rundrükkenbildung<br />
und verstärkten Hohlkreuzbildung<br />
kommt es zu starken lokalen<br />
Beschwerden im Bereich der verspannten<br />
Rückenmuskulatur, der Bänder und<br />
Gelenke, die auch zeitweilig in Arme<br />
und Beine ausstrahlen können. Die Ursache<br />
dieser Erkrankung ist jedoch immer<br />
im Jugendalter zu suchen.<br />
An erster Stelle ist sowohl im Kinderund<br />
Jugendalter als auch im Erwachsenenalter<br />
die Vermeidung von Fehlbelastungen<br />
(zum Beispiel stundenlanges gebeugtes<br />
Sitzen) zu nennen. Nicht jede<br />
Sportart ist für Scheuermann-Patienten<br />
geeignet. Sportarten, bei denen die Wirbelsäule<br />
erheblichen Kompressions-Belastungen<br />
und Torsions-Belastungen<br />
(Verdrehung um die eigene Längenachse)<br />
durch Stöße, Sprünge, Schläge, Stür-<br />
Im Fokus<br />
ze und Ähnliches ausgesetzt ist wie<br />
Kampfsport, Hallen-Ballsport, Geräteund<br />
Bodenturnen, Radfahren in Rennradhaltung,<br />
Laufsportarten auf harten<br />
Böden) können die Beschwerden verstärken.<br />
Geeignet sind zum Beispiel<br />
Kraftsport (ohne stemmende und drükkende<br />
Belastungen), Schwimmen, Gymnastik<br />
und Walking.<br />
Therapeutisches Ziel ist die Reklination,<br />
das heißt Aufrichtung und Strekkung,<br />
Dehnung verkürzter und in den<br />
Rund-rücken hineinziehender Strukturen<br />
und Muskelketten, die Kräftigung<br />
der Muskulatur und das Trainieren einer<br />
aufrechteren Haltung. Eine sehr wirksame<br />
physiotherapeutische Methode zur<br />
Selbstaufrichtung der Brustwirbelsäule<br />
ist die atemtherapeutische Krankengymnastik<br />
nach Katharina Schroth. Ist eine<br />
Selbstaufrichtung nicht mehr möglich,<br />
kann ein aufrichtendes Korsett Erfolg<br />
bringen.<br />
Operative Eingriffe sind nur sehr selten<br />
notwendig.<br />
Mit Abschluss des Wachstums kommt<br />
die Erkrankung zum Stillstand: Sie ist<br />
selbstlimitierend. Die eingetretenen<br />
Schäden an den Knorpeln und Wirbelkörpern<br />
bleiben für den Rest des Lebens<br />
bestehen. Verfrühte Verschleißveränderungen<br />
der Wirbelsäule, Blockaden der<br />
Brustwirbel und eine Zunahme der<br />
Bruswirbelsäulen-Kyphose (Buckel)<br />
können Spätfolgen von M. Scheuermann<br />
im Erwachsenenalter sein. Man<br />
spricht dann nicht mehr von Morbus<br />
Scheuermann, sondern vom „Zustand<br />
nach Morbus Scheuermann“ oder vom<br />
„Post-Scheuermann-Syndrom“.<br />
Eine Änderung der Wirbelsäulenverkrümmung<br />
ist dann nicht mehr möglich.<br />
Aber die muskuläre Stabilisation kann<br />
durch intensive krankengymnastische<br />
Behandlung verbessert werden. Zusätzlich<br />
können die Muskulatur gestärkt<br />
und Verkürzungen gedehnt werden.<br />
Dr. med. Uwe Heldmaier<br />
Facharzt für Orthopädie<br />
Spezielle orthopädische Chirurgie<br />
Sortmedizin und Chirotherapie<br />
Karlstr. 6<br />
72072 Tübingen<br />
orthinform 1/2007<br />
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