Tag der Württ. Pfarrerinnen und Pfarrer - Evangelischer Pfarrverein ...
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<strong>und</strong> Nächstenliebe, die in <strong>der</strong> Aussage<br />
gipfelt: Du bist verantwortlich.<br />
Schließlich gehört zu den Gr<strong>und</strong>orientierungen<br />
die Freiheit – eben die Freiheit<br />
eines Christenmenschen. Diakonie<br />
ist Mitarbeit an <strong>der</strong> Freiheit eines Menschen:<br />
dass er aufatmen, aufstehen <strong>und</strong><br />
neu anfangen kann – befreit von alter<br />
Schuld <strong>und</strong> Last. Deswegen verhandeln<br />
wir in Hessen <strong>der</strong>zeit mit zwei Ministerien,<br />
mit dem Justizministerium <strong>und</strong><br />
dem Sozialministerium, die Finanzierung<br />
des Übergangsmanagements – damit<br />
nach dem Strafvollzug <strong>der</strong> Weg in<br />
die Freiheit gelingt. Aber wir reden<br />
auch von Freiheit <strong>und</strong> Freiwilligkeit,<br />
denn <strong>der</strong> Dienst am Menschen soll keine<br />
Abhängigkeit erzeugen. Jesu »helfendes<br />
Handeln wird immer wie<strong>der</strong> von<br />
<strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung ›geh hin‹ begleitet<br />
von <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung, seinen Weg fortzusetzen«,<br />
wie die Diakonie-Denkschrift<br />
von 1998 hervorhebt (Ziffer<br />
151). Der große Freiheitsbrief des Neuen<br />
Testamentes, <strong>der</strong> Galaterbrief sagt es<br />
so: »Ihr seid zur Freiheit berufen. Aber<br />
seht zu, dass ihr durch die Freiheit<br />
nicht eurem Egoismus Raum gebt, son<strong>der</strong>n<br />
in <strong>der</strong> Liebe diene einer dem an<strong>der</strong>n«<br />
(Galater 5,13–14).<br />
Diese drei Gr<strong>und</strong>orientierungen – die<br />
unteilbare Würde jedes Menschen, <strong>der</strong><br />
Vorrang <strong>der</strong> Armen <strong>und</strong> die Mitarbeit<br />
an <strong>der</strong> Freiheit eines Menschen – müssen<br />
übersetzt werden in das situationsgerechte<br />
Handeln <strong>der</strong> Diakonie <strong>und</strong> ihrer<br />
Einrichtungen. Ob Menschengerechtes<br />
<strong>und</strong> Sachgerechtes hier zusammenwachsen<br />
o<strong>der</strong> die Spannungen zwischen<br />
den ethisch-diakonischen Gr<strong>und</strong>orientierungen,<br />
<strong>der</strong> Ökonomie <strong>und</strong> den<br />
politischen Vorgaben zu einer Zerreißprobe<br />
führen – das muss die Praxis beweisen.<br />
Und die Praxis zeigt bis dato,<br />
dass man – wie Kurt Scharf sagte –<br />
häufig die Rahmenbedingungen strapazieren<br />
muss, so dass es laut <strong>und</strong> ver-<br />
nehmlich knarrt. Wer Zumutungen im<br />
Beruf nicht mit langem Atem, nicht<br />
konfliktfreudig <strong>und</strong> nicht zugleich lösungsorientiert<br />
begegnen will, <strong>der</strong> sollte<br />
besser mit Diakonie nichts zu tun bekommen.<br />
›In Spannungen – <strong>und</strong> siehe,<br />
wir leben‹: Diese Variante eines alten<br />
Kirchentagsmottos eignet sich sehr für<br />
die Diakonie. Wenige Spannungsfel<strong>der</strong><br />
will ich im Folgenden benennen.<br />
Erstens frage nicht ich allein: Ist <strong>der</strong><br />
Sozialstaat nur ein Anhängsel <strong>der</strong><br />
Marktwirtschaft, das man vernachlässigen<br />
kann, o<strong>der</strong> ist er eine kulturelle<br />
Errungenschaft, die untrennbar zu unserer<br />
Demokratie gehört? Kein an<strong>der</strong>er<br />
als Gustav Heinemann hat auf diesen<br />
unauflöslichen Zusammenhang zwischen<br />
Sozialstaat <strong>und</strong> Demokratie hingewiesen.<br />
Er warnt damit zugleich:<br />
Kippt das eine, kippt auch das an<strong>der</strong>e.<br />
Wenn Diakonie also in diesem Sinne<br />
Teil des demokratisch-sozialstaatlichen<br />
Systems ist, indem sie soziale<br />
Dienstleistungen erbringt, muss sie<br />
auch erklärte Lobby sein <strong>und</strong> bleiben<br />
<strong>der</strong>er, die im wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen<br />
Kalkül vergessen werden. Für<br />
uns in <strong>der</strong> Diakonie <strong>und</strong> hoffentlich<br />
weit darüber hinaus ist <strong>der</strong> Sozialstaat<br />
kein Kostgänger <strong>der</strong> Wirtschaft, son<strong>der</strong>n<br />
Ausdruck einer Politik <strong>und</strong> einer<br />
Kultur <strong>der</strong> Solidarität. Deswegen ist es<br />
das kulturelle Armutszeugnis einer reichen<br />
Gesellschaft, wenn wachsend<br />
viele Kin<strong>der</strong> – fast jedes vierte Kind –<br />
in Armut leben. Und wenn aus Kin<strong>der</strong>n<br />
armer Eltern wie<strong>der</strong> arme Eltern<br />
werden.<br />
Zweitens: Seit Wichern ist die personelle<br />
Zuwendung das entscheidende<br />
diakonische Gr<strong>und</strong>prinzip. »Was wir<br />
den Armen geben sollten, ist nicht so<br />
sehr Geld o<strong>der</strong> Nahrung o<strong>der</strong> Kleidung.<br />
Wir schulden ihnen vielmehr<br />
uns selbst.« Der Ökonomisierungsdruck,<br />
<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> sozialen Arbeit liegt,<br />
11<br />
Gustav Heinemann<br />
hat auf<br />
den unauflöslichenZusammenhang<br />
zwischen<br />
Sozialstaat <strong>und</strong><br />
Demokratie<br />
hingewiesen.