SchwerpunktSterbenohne Hoffnung?Erfahrungen am Sterbebettin einer religionslosen Zeit„Welches Ziel soll ich denn haben für die Zeit,die mir jetzt noch zum Leben bleibt?“ Er hattean diesem Tag zusammen mit unserer Fürsorgerinden Antrag an die Krankenkasse gestellt,sie möge die Kosten für eine Unterbringungim Hospiz übernehmen.Jetzt stellte er mir die eingangs zitierte Frage.Ende 50, krebskrank, nicht mehr zu retten. Erhatte ein Haus gebaut <strong>und</strong> war schon eingezogen.Das eine oder andere war noch zu machen,<strong>und</strong> bis zur Rente wäre er auch mit derSchuldentilgung fertig geworden. Dann wollteer dort, mitten in seinem Garten, eine schöneZeit verleben. Vor kurzem hatte er nochdavon gesprochen. Doch jetzt konnte er nichtsmehr zu Ende bringen, <strong>und</strong> seiner Frau bliebendie restlichen Schulden. Sie ist berufstätig<strong>und</strong> wird es wohl schaffen. Seine Mutter, über80, die er mit ins Haus genommen hatte, leidetebenfalls an Krebs. Sie beginnt gerade eineStrahlentherapie <strong>und</strong> wird ihn wohl umein weniges überleben. Welches Ziel hat er danoch?Nach einer längeren Pause sagte ich, ich stündeseiner Situation ziemlich hilflos gegenüber.Ich wusste ja: Von Religion <strong>und</strong> ähnlichemhält er nicht viel. Wir Christen hätten dieHoffnung, dass mit dem <strong>Tod</strong> nicht alles aus ist.Und so bewusst dem Sterben entgegenzugehenwie er, gäbe ihm die Chance, sich wirklichauf den <strong>Tod</strong> vorzubereiten. Aber wenn mitdem <strong>Tod</strong> alles aus ist, dann macht das ebenauch keinen Sinn mehr.So habe ich erst einmal darauf verzichtet, fürseine letzten Tage oder Wochen noch anderesinnvolle Ziele zu suchen. Es blieb schon nochetwas Zeit. Wir haben erst einmal das Problemso stehen lassen. Doch eines ist mir aufgefallen:Er hat mir entgegen seiner Gewohnheitnicht widersprochen, vielleicht weil ich seineReligionslosigkeit einfach ernst genommenhabe!Die meisten Krebskranken, mit denen ich inLeipzig zu tun habe, sterben, ohne sich klaroder sichtbar mit ihrem <strong>Tod</strong> auseinanderzu -setzen. Ich erlebe das anders, als ich es in derLiteratur zur Sterbebegleitung lese. Der Gedankean das nahe Ende wird oft von den Patienten<strong>und</strong> Angehörigen möglichst lange verdrängt.Wenn dies nicht mehr möglich ist,dann folgen schon bald Dauerschläfrigkeit <strong>und</strong>Koma. Vielleicht hat sich das auch in der letztenZeit geändert. Die kollektive Verdrängungdes <strong>Tod</strong>es in unserer Gesellschaft wirkt sich sowohl auch im Sterben der einzelnen aus. Es istmanchmal schon gespenstisch, wenn in derganzen Palliativstation, auf der ich arbeite, keinPatient zu finden ist, der auch nur zur Kenntnisnimmt, dass er bald sterben wird.Durchaus gibt es einige wenige Menschen, diedem nahenden <strong>Tod</strong> offen ins Auge sehen. Essind eher die Christen unter den Patienten.Bei einigen hält der Glaube dieser letzten Prüfungstand, <strong>und</strong> sie finden Trost <strong>und</strong> Halt imGedanken, dass sie zu Gott gehen.Aber auch Christen beteiligen sich oft am allgegenwärtigenVerdrängen des <strong>Tod</strong>es oder stehenhoffnungslos am Totenbett ihrer Angehörigen.Ich weiß dann auch nichts zu sagen,denn lediglich darauf hinweisen, dass das Lei-16 Jesuiten Schwerpunkt: <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Auferstehung</strong>
Foto: IKM<strong>Tod</strong>kranker Patient im Hospizden jetzt vorbei oder der Betreffende friedlichgestorben ist, ist mir zu wenig. Da bleibt mirdann nur, ruhig bei den Trauernden zu bleiben,wenn sie es wünschen.Ich erlebe aber auch, wie einige, vor allem alteMenschen, dem <strong>Tod</strong> ruhig entgegengehen <strong>und</strong>gefasst, manchmal sogar gerne sterben, wennsie etwa ein erfülltes Leben hinter sich haben<strong>und</strong> alles geregelt ist. Es ist dann genug <strong>und</strong> sieerwarten für sich auch nichts mehr darüberhinaus. Mir ist das nicht leicht nachvollziehbar,aber ich stehe mit Achtung vor ihrer Weise, dasEnde ihres Lebens zu verarbeiten.Ich bin kein erfahrener Krankenhausseelsorger,erst seit etwas mehr als einem Jahr binich in dieser Arbeit. Wie mich das gelassene,manchmal sogar hoffnungsvolle Sterben einigerbeeindruckt, so macht mich viel öfter dasblinde oder perspektivlose Sterben vieler betroffen.Selten erlebe ich in der Sterbebegleitung,dass sich die Gr<strong>und</strong>einstellung zum <strong>Tod</strong>noch ändert.Wenn einer mit seinem Schicksal offen hadertoder mit Gott streitet, dann ist da Bewegung,<strong>und</strong> es endet meist im Frieden! Wo aber keinGegenüber ist, mit dem einer streiten könnte,<strong>und</strong> wo nur Verdrängung herrscht, da seheauch ich nur wenig Entwicklung. Vielleicht istdas nur auf meine Begrenztheit zurückzuführen.Aber es stimmt wohl auch, dass jemandmeist so stirbt, wie er gelebt hat. ■Bernd Knüfer SJMärz 2008/1 Jesuiten 17