DIE SPUR FÃœHRT NACH HANN.MÃœNDEN - Mauritz & Grewe
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» THEMA T HEMA<br />
Privatsphäre war gestern: Mit jedem Schritt und jedem Pageklick hinterlassen wir unzählige Spuren<br />
– ohne zu wissen, wer sie lesen und interpretieren wird. Warum das ein Problem ist und was<br />
man dagegen tun kann, hat Friederike Rüll für Euch recherchiert.<br />
Jo hat Folgendes herausgefunden: Leonard<br />
Lunt wirkt auf den ersten Blick unauffällig.<br />
Mehrmals in der Woche betrinkt er sich mit<br />
seinen Freunden. Bei Frauen gilt er als Schürzenjäger.<br />
Er liebt das Risiko, Fallschirmspringen ist<br />
eines seiner Hobbys. Um seinen ausschweifenden<br />
Lebensstil zu finanzieren, hat er einen Kredit über<br />
8000 Euro aufgenommen. Seine guten Noten im<br />
Jurastudium hat er nur bekommen, weil er einem<br />
Ghostwriter Geld für seine Examensarbeit gab.<br />
Jo weiß viel über Leonard, Leonard dagegen<br />
weiß noch nicht einmal, dass es Jo gibt. Der ist<br />
„Profiler“ und arbeitet für eine Kanzlei, bei der<br />
sich Leonard beworben hat. Leonard hat ihm die<br />
Recherche nicht schwer gemacht: Bilder von der<br />
letzten durchzechten Nacht hat er im Online-<br />
Netzwerk „Studi VZ“ präsentiert. Über seine Partnerschaften<br />
tauscht er sich in Blogs aus; hier hat<br />
er einen Nickname verwendet, der aber in seiner<br />
privaten E-Mail-Adresse wieder auftaucht. Dass<br />
Leonard einen Ghostwriter engagiert hat, weiß<br />
Jo, weil ihm der auf einer Forumsseite vermittelt<br />
wurde. Die ist zwar inzwischen gelöscht, aber über<br />
den Webdienst www.archive.org abrufbar, wo 85<br />
Milliarden frühere Versionen von Webseiten angezeigt<br />
werden. Über Leonards finanzielle Lage weiß<br />
er durch eine Schufa-Auskunft bescheid. Nur für<br />
wenige Informationen hat Jo zahlen müssen, zum<br />
Beispiel die über das Fallschirmspringen: Er hat<br />
sie von einer Agentur, die Daten von Zeitschriftenlesern<br />
auswertet, die an Preisausschreiben teilgenommen<br />
haben.<br />
Das Internet vergisst nie<br />
Beim Ausfüllen des Preisausschreibens oder bei<br />
seinen Ausflügen ins Netz hat sich Leonard noch<br />
nie gefragt, wer seine Spuren lesen wird, wie man<br />
sie interpretieren könnte und was langfristig damit<br />
geschieht. So geht es den meisten Nutzern<br />
von Angeboten im Netz. Sie gehen davon aus,<br />
dass E-Mail-Programme, Onlinenetzwerke und<br />
20 STADTMAGAZIN 37<br />
Suchmaschinen kostenlos sind. Die Währung,<br />
mit der sie bezahlen, ist aber kostbarer als jede<br />
Gebühr: Es sind die Daten, die sie von sich<br />
preisgeben. Und weil die Gold wert sind, hat<br />
der Holtzbrinck-Verlag im letzten Jahr 80 Millionen<br />
Euro für den Kauf von „Studi VZ“ bezahlt<br />
– keine Spende für die studentischen Gründer,<br />
sondern eine Investition des Konzerns. Die<br />
Holtzbrinck-Schwester von „Studi VZ“, „Schüler<br />
VZ“, ist mit drei Millionen angemeldeten<br />
// TEXT: FRIEDERIKE RÜLL / FOTOS: PHOTOCASE.DE, ST0CK.XCHNG<br />
Mitgliedern und mehr als sechs Milliarden Pageviews<br />
inzwischen die meistbesuchte Website<br />
in Deutschland. Für viele Studenten und Schüler<br />
findet ein wichtiger Teil des Privatlebens in<br />
dem Forum statt; es ist Tagebuch und Abbild<br />
der sozialen Netzwerke. Holtzbrinck verdient<br />
mit diesen leichtfertig preisgegebenen Informationen<br />
gutes Geld. Sie werden abgespeichert,<br />
ausgewertet, verknüpft und für die Marktforschung<br />
und individualisierte Werbung verkauft<br />
07/2008