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DIE SPUR FÃœHRT NACH HANN.MÃœNDEN - Mauritz & Grewe

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» WISSEN W IS I SE S N<br />

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auf das Gebüsch zu und zeigt auf eine Baumgruppe<br />

am Rande der B3 am Ortsausgang<br />

von Hann.Münden. Es ist früh am Abend. Nur<br />

wenige Autos fahren vorbei. „Dort liegt sie“ sagt<br />

Rainer Fach und meint damit die Gedenkplatte,<br />

die mit dem Adler verschwand. Der 58-Jährige<br />

gelernte Maschinenbauer war in den 70er Jahren<br />

Mitglied des Kommunistischen Bundes Westdeutschland<br />

(KBW), einer Kaderpartei, die zeitweise<br />

über 7 000 Mitglieder verfügte. Ziel des<br />

KBW war es, die klassenlose Gesellschaft marxistisch-leninistischer<br />

Prägung nach dem Vorbild<br />

Mao Zedongs zu verwirklichen. Zahlreiche Grünen-<br />

und einige SPD-Politiker machten im KBW<br />

ihre ersten politischen Gehversuche. Auch in der<br />

Universitätsstadt Göttingen und im 30 Kilometer<br />

entfernten Hann.Münden verfügte der KBW über<br />

Zellen.<br />

Rainer Fach gehörte der fünf Mitglieder zählenden<br />

Hann.Mündener Zelle an. Wenn er erzählt,<br />

begibt man sich auf eine Reise durch die<br />

bundesdeutsche Vergangenheit der 60er, 70er<br />

und 80er Jahre: Es geht um alternative Betreuungsprojekte<br />

für Heimkinder, die Frankfurter<br />

Brandstifterkommune und die Antiatomkraftbewegung.<br />

Fach hat sein Leben dem politischen<br />

„ Ursprünglich wollten wir ihn<br />

einschmelzen und die Bronze für den Guss<br />

von Befreiungsmedaillen verwenden.“<br />

Kampf gewidmet und diesen nicht nur mit Worten<br />

geführt: „Ich bin kein gewaltfreier Mensch“,<br />

sagt er. Gewalt gegen Dinge stuft er als legitimes<br />

Mittel zur Erreichung politischer Ziele ein. Anders<br />

bei Gewalt gegen Menschen – in Diskussionen<br />

um Flugzeugentführungen der RAF habe er<br />

sich immer gegen Gewalt ausgesprochen.<br />

„Der ‚Geier’ stach uns gewaltig in den Augen,<br />

wenn wir an ihm vorbeikamen“ sagt Fach. „Am<br />

Heldengedenktag lagen da frische Blumen für die<br />

Soldaten, während 25 000 Herero in die Wüste<br />

28 STADTMAGAZIN 37<br />

Die Spur führt nach<br />

Hann.Münden<br />

Es gibt Momente, da treffen Vergangenheit und Gegenwart völlig<br />

unverm unvermittelt aufeinander. Besonders spannend wird es dann, wenn sich<br />

dabe dabei scheinbar unlösbare Rätsel aufklären. Bei dem <strong>DIE</strong>BSTAHL DES<br />

BRONZENEN BRONZENE ADLERS VOM GÖTTINGER SÜDWESTAFRIKA-DENKMAL handelt es<br />

sich um solch solc ein Rätsel. Nach mehr als 30 Jahren bringt jetzt einer der Ent-<br />

führer Licht in ins Dunkel: Die Spur des Adlers führt nach Hann.Münden, genauer<br />

in den Reinha Reinhardswald, beliebtes Ausflugsziel und Heimat zahlloser Sagen, die<br />

den Stoff für viele Grimmsche Märchen bildeten.<br />

getrieben worden waren und verreckt sind. So<br />

was darf in Deutschland nicht stehen.“<br />

Tatsächlich waren die deutschen Truppen gnadenlos<br />

gegen die Herero vorgegangen, nachdem<br />

diese 1904 den Aufstand gegen die Besatzer gewagt<br />

hatten, die dem Hirtenvolk zuvor das Weideland<br />

und damit die Lebensgrundlage genommen<br />

hatten. Der Oberbefehlshaber, Generalleutnant<br />

Lothar von Trotha, ließ Männer, Frauen und<br />

Kinder der Herero von den Schutztruppen in die<br />

Omaheke-Wüste treiben. Diejenigen, die nicht<br />

verdursteten, wurden in Lagern interniert und<br />

mussten Zwangsarbeit leisten. Von 60 000 Herero<br />

überlebten nur 16 000 Krieg und Lager. Von 20<br />

000 Nama, die ebenfalls aufbegehrten, überlebte<br />

die Hälfte. Deshalb sprechen Historiker heute von<br />

Völkermord. Das Südwestafrika-Denkmal erinnert<br />

an vier Soldaten, die während der Niederschlagung<br />

des Aufstands gefallen sind.<br />

Nach den Schrecken von zwei Weltkriegen<br />

fristeten die unzähligen Kolonialdenkmäler in<br />

Deutschland zunächst ein Schattendasein, ehe<br />

die koloniale Vergangenheit<br />

im<br />

Zuge der 68er-<br />

Bewegung Teil<br />

der gesellschaftskritischenDiskussion<br />

wurde. In<br />

der Folgezeit kam<br />

es in Westdeutschland zu Denkmalstürzen oder<br />

Umwidmungen. So gelangte auch das Göttinger<br />

Kolonialdenkmal in den Blickpunkt des KBW. „Da<br />

es nicht auf politischem Wege zu beseitigen war,<br />

musste es auf mechanischem Wege weg.“ Planung<br />

und Durchführung der antikolonialen Aktion oblag<br />

der neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft „Denkmal“,<br />

die diese von langer Hand vorbereitete.<br />

Als knifflig erwies sich das Lösen der vier verrosteten<br />

Schrauben, die Adler und Sockel seit 1913<br />

verbanden: „Wochenlang zogen einige Göttinger<br />

Genossen abends mit einer Flasche ,Caramba’ am<br />

Denkmal vorbei und sprühten die Schrauben ein,<br />

um den Rost zu lösen“, erzählt Fach. Anschließend<br />

feilten sie die Gewinderänder an. Nach und nach<br />

gelang es so, die Schrauben zu lockern. „Auch<br />

mussten wir ein Fahrzeug für den Transport finden.<br />

Mit einer Spannweite von 1,2 Metern und<br />

einer Höhe von 1,4 Metern war das Vieh ein richtiges<br />

Monstrum“, so Fach. Die Lösung: Ein Citroën<br />

DS 21, bei dem man die Sitze ausbaute.<br />

Die Aktion startete am 7. April 1978<br />

um 2 Uhr morgens.<br />

Vier Mann lösten die Schrauben, während Fach im<br />

Auto wartete. Dabei stellte sich heraus, dass der<br />

angeblich massive Bronzeadler lediglich aus gestanztem<br />

Blech bestand: „Der wog höchstens 40<br />

Kilogramm. Als er runter fiel, hat es gescheppert“<br />

erinnert sich Fach lächelnd. Der Adler wurde ins<br />

Auto verfrachtet und Fach fuhr los. Dicht gefolgt<br />

von zwei Fahrzeugen, um etwaige Verfolger abzublocken.<br />

Kurz hinter Göttingen kehrten die Genossen<br />

um und Fach fuhr alleine weiter. Die Fahrt endete<br />

im Reinhardswald, wo der Adler zurückblieb.<br />

„Am nächsten Morgen trafen wir uns, um die<br />

Reaktionen der Bourgeoisie abzuwarten.“ Doch die<br />

Entführung blieb zur allgemeinen Enttäuschung<br />

zunächst unbemerkt. Erst nachdem man dem Göttinger<br />

Tageblatt in einem anonymen Anruf mitteilte,<br />

dass man das „kolonial-faschistische“ „Symbol<br />

finstersten Kolonialismus und Ausbeutertums“ entfernt<br />

habe, reagierte die Öffentlichkeit empört.<br />

Zuerst stellte sich allerdings die Frage, was man mit<br />

dem Adler anfangen sollte.<br />

Die Idee wurde verworfen, weil der Adler nur<br />

aus Blech bestand. „Es war wichtig, ihn so herzurichten,<br />

dass er, falls er gefunden wird, nicht mehr<br />

zusammengesetzt werden kann“, erklärt Fach. Deshalb<br />

zersägten sie den Adler in drei Teile.<br />

„Der Rumpf ist an Ort und Stelle verblieben.“ Er<br />

07/2008

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