A U S S T E L L U N G S T I P P S GEDANKENFARBE, NERVENSTRANGFARBE, ÖLFARBE, QUETSCHFARBE, ORANGE, ROT UND VIOLETT – MARIA LASSNIG Termin: 27. Februar bis 30. Mai 2010. Kunstbau, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München. Geöffnet: Dienstag bis Sonntag und Feiertage: 10–18 Uhr. www.Lenbachhaus.de Die spektakulärste Ausstellung dieses Frühjahrs dürfte die Präsentation des Alterswerks und früherer Filme von Maria Lassnig im Kunstbau des Lenbachhauses sein. Die österreichische Malerin feierte im vergangenen September ihren 90. Geburtstag. Sie widmet sich seit Jahrzehnten ihrer Erfindung, den ›Körperbewusstseinszeichnungen‹. Sie visualisiert auf eigenständige Weise emotionale Zwischentöne. In den Bildern findet das Doppelbödige, Zärtliche und Weggeschwiegene auf direkte oder groteske Weise seinen Platz. Ein in Violett-Gelborange gemaltes Ehepaar steht Stirn an Stirn. Das Sagen hat die Frau, der Mann hält den Blick gesenkt. Noch stützen sie sich beide, die Situation droht aber zu kippen. Drastischer noch hat sie das emotionale Ungleichgewicht zwischen Kind und dickem Mann dargestellt. Der durchgestaltete Kinderschänder (2001) steht fett, nackt und schwer im Raum, während das Kind als geplättetes Etwas daliegt. Machtausübung und Gewalttätigkeit wie im Bild des österreichischen Don Juan (2003) stehen Bildern voller Maria Lassnig im Atelier in der Gurkgasse, Wien 2008 Foto / © Horst Stasny Landmädchen, 2001 Öl auf Leinwand 125 x 100 cm © Maria Lassnig Foto: Lena Deinhardstein MUMOK Wien Optimismus und Zärtlichkeit gegenüber. Maria Lassnig hat die Bilder in ihren 80er Jahren gemalt. Bilder von phänomenaler Kraft. Die Künstlerin gibt kaum noch Bilder heraus und will ihr Werk lieber in eine Stiftung überführen. Fotografie gegen Malerei – eindringliche Inszenierungen. Die Gefühle eines anderen Menschen realistisch wahrzunehmen und die eigenen mit den Empfindungen des Gegenübers abzugleichen, fällt Erwachsenen oft schwer. Maria Lassnig erkundet seit Jahrzehnten ihre eigene Empfindungen, die anderer und versucht sie in einer allgemein verständlichen Gestalt zu konkretisieren. »Wenn ich male, ist so gut wie alles erlaubt. Das Peinliche ist die Herausforderung, ich will Peinliches malen.« Die Malerin macht, so der Direktor des Lenbachhauses, Helmut Friedel, »einen Bereich der Vorstellungen sichtbar, für den es im Wortsinn zuvor ›keinen Platz‹ gab«. (Katalog) Maria Lassnig studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Das Farbensehen habe sie sich aber selber erarbeiten müssen. »Durch Kontemplation den ersten Farbfleck zu entschlüsseln, mit diesem Schlüssel alle Nebenfarben durch Kalt-warm-Gegensätze zu bestimmen.« Altmeisterlich zu malen gelernt hatte die angehende Künstlerin während ihrer Studien in der Nazi-Zeit. »Man sah weder Impressionisten noch Expressionisten, Manet, Cézanne, Van Gogh, Kokoschka, alle waren von der Schule verbannt.« Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte die Wende. 1948 entstanden ihre ersten Körperbewusstseinszeichnungen. Sie beschäftigte sich mit der Zeit nach Kubismus und Surrealismus. »Ich gebe nach wie vor dem Unterbewussten die Freiheit, sich durch zu schlagen, durch die physiologischen Fakten, die man erkennen kann, wenn man den Arm auf den Tisch stützt oder die gebogenen Beine sich unten wölben.« Ende der sechziger Jahre geht Maria Lassnig nach New York und kehrt erst 1979/80 richtig nach Österreich zurück, als sie an die Wiener Hochschule für angewandte Kunst berufen wird. Die Kunstwelt hat die eigenständige Malerin erst im Alter von fast 70 Jahren wirklich entdeckt. Den großen Bogen der Gefühle bündelt sie in ihrem 1992 auf 35 mm gedrehte Film ›Kantate‹, einer Collage aus gelassenem Humor und Optimismus. Als 73-Jährige reflektiert sie in dem Film die Stationen ihres Künstlerlebens, tritt als Bänkelsängerin in wechselnden Kostümen auf und erzählt ihr Leben in vierzehn Liedstrophen von der Geburt über ihre Zeit in Paris, New York und als Star der Kunstszene. Sie schließt den Film mit einem wunderbar tröstlichen Satz: »Es ist die Kunst, jaja, die macht mich immer jünger, sie macht den Geist erst hungrig und dann satt …« Elisabeth Noske 26 <strong>BDK</strong> <strong>INFO</strong> <strong>14</strong>/2010
<strong>BDK</strong> <strong>INFO</strong> <strong>14</strong>/2010 27 K Ü N S T L E R G E S P R Ä C H E