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BDK_INFO 14 - BDK Bayern

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mit einer Geschwindigkeit von ca. 300.000 km/s entlang eines<br />

Lichtstrahls. Dabei ging ihm auf, dass er so eine stationäre<br />

Schwingung »sehen« müsste, die weder mit der gewohnten<br />

Wahrnehmung des Lichtes, noch mit den Voraussagen der<br />

damaligen Physik elektromagnetischer Schwingungen etwas zu<br />

tun hat. Die Übersetzung dieses Erlebnisses in sprachliche und<br />

dann mathematische Formen gelang Einstein erst, als er seine<br />

bildlichen Vorstellungen so klar gefasst hatte, dass er sie nach<br />

Belieben reproduzieren und neu strukturieren konnte.<br />

Richard Feynman, ebenfalls einer der herausragenden theoretischen<br />

Physiker des 20. Jahrhunderts, hat den umgekehrten<br />

Weg beschritten. In Form von »Feynman Graphen« fand er<br />

visuelle Lösungen für höchst komplizierte Gleichungssysteme<br />

zur Wechselwirkung von Licht und Materie. Später bemerkte<br />

Feynman, Einstein sei im Alter an der Formulierung einer<br />

»einheitlichen Theorie« der Natur gescheitert, weil er »aufhörte,<br />

in konkreten physikalischen Bildern zu denken, und nur<br />

noch mit Gleichungen umging«. 25<br />

Einstein und Feynman wiederum standen, um einen Ausdruck<br />

Isaak Newtons zu gebrauchen, »auf den Schultern von<br />

Riesen« wie Michael Faraday und James Clerk Maxwell.<br />

Diesen Physikern war es gelungen, die Symmetrieeigenschaften<br />

elektromagnetischer Felder durch die Weiterentwicklung<br />

anschaulicher Gedankenmodelle zu enthüllen, denen Clerk<br />

Maxwell erst in einem letzten Schritt die überaus elegante<br />

mathematische Form der nach ihm benannten Gleichungen<br />

gab. 26 Im Hinblick darauf ist die Analyse der Ergebnisse der<br />

TIMSS/III- Studie (Third International Mathematics and<br />

Science Study, Germany) durch den Erziehungswissenschaftler<br />

Jürgen Baumert 27 aufschlussreich. Sie zeigt, dass in Deutschland<br />

beim experimentellen Arbeiten im Physikunterricht der<br />

gymnasialen Oberstufe ein induktives Vorgehen weit verbreitet<br />

ist. Das Demonstrationsexperiment liefert das Anschauungsmaterial,<br />

aus dem von den Schülern ein theoretischer Ansatz<br />

oder ein physikalisches Gesetz erschlossen werden soll. Dem<br />

wäre hinzuzufügen, dass die »Formelphysik«, bei der<br />

Rechenaufgaben mit unverstandenen Grundlagen eingeübt<br />

werden, dem gleichen didaktischen Holzweg folgt. Das<br />

Schema des induktiven Lehrens und Lernens verbirgt die<br />

Einsicht, dass gerade die kreativsten Wissenschaftler, wie von<br />

Kant gefordert, zuerst Denkmodelle bilden, deren Gültigkeit<br />

sie im Experiment prüfen. Entsprechend dieser Kritik werden<br />

in Physikkursen, in denen der induktive Umgang mit Experimenten<br />

ausgeprägt ist, die schwächsten Leistungen erbracht. 28<br />

Die Frage nach dem Ausmaß, in dem das Zeichnen die großen<br />

Leistungen der Wissenschaftsgeschichte gefördert oder gar<br />

ermöglicht hat, ist allerdings kaum genauer zu beantworten.<br />

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Kunsthistoriker<br />

Horst Bredekamp die Rolle des »motorischen Denkens«<br />

mit dem Zeichenstift in der Theoriebildung durch Charles<br />

Darwin 29 und Galileo Galilei 30 eingehend untersucht hat.<br />

Einige Studien, die Psychologen in Zusammenarbeit mit<br />

Architekten und Designern durchgeführt haben, geben jedoch<br />

Hinweise darauf, wie das Zeichnen den Entwurf fördert. Besonders<br />

aufschlussreich ist hier der Ansatz von Ilse Verstijnen<br />

und Kollegen. 31 Diese Autoren ließen ihre Versuchspersonen<br />

figurale Elemente lernen, aus denen sie neue Bildmuster konstruieren<br />

sollten. Dabei zeigte sich, dass die rein mentale<br />

<strong>BDK</strong> <strong>INFO</strong> <strong>14</strong>/2010<br />

33<br />

S P E C I A L : K U N S T U N D G E H I R N<br />

Lösung solcher Aufgaben im Wesentlichen zum Aneinanderfügen<br />

vorgegebener Einheiten führt. Strukturell neuartige<br />

Konstruktionen ergaben sich vorzugsweise dann, wenn diese<br />

im Wechselspiel von Vorstellungsbildern und deren Verwirklichung<br />

mithilfe des Zeichenstiftes entstanden. Durch das<br />

Zeichnen könnte sich somit entscheiden, ob neue Gegenstände<br />

der Vorstellung im Raum bestehen können.<br />

Abb. 4: Die Kombination bildlicher Vorstellungen ist relativ leicht (oben), ihre<br />

Restrukturierung bedarf einer Zeichnung (unten; nach Anm. 27)<br />

Kant hätte so mit seinem Postulat von »Raum und Zeit als<br />

apriorischen Formen der Anschauung« Recht behalten, wenn<br />

diesen Formen eine körperliche Wirklichkeit zugestanden werden<br />

dürfte. Daraus ergibt sich eine Sicht auf das Gehirn des<br />

Menschen, aus der weder die Unterscheidung objektiver und<br />

subjektiver Vorgänge, noch die viel gepriesene Rolle des<br />

Wissens überzeugt. Das erstere ist der Fall, weil jeder äußere<br />

Vorgang eine innere und jeder innere Vorgang eine äußere<br />

Wirkung hat. Beide werden im kreativen Prozess durch Lernen<br />

zunehmend verknüpft. Das Wissen wiederum ist nicht die<br />

Substanz, sondern ein Baustoff der kreativen Intelligenz. Sie<br />

besteht nach dem Physiker Gerd Binnig 32 im Wechselspiel<br />

von Synthese und Analyse, wobei die Synthese der Versuch ist,<br />

bekannte Inhalte auf höherer Ebene zu Neuem zu verbinden.<br />

Die Analyse muss zeigen, ob sich dabei etwas von gedanklicher,<br />

künstlerischer oder sozialer Bedeutung ergeben hat.<br />

In der Verschränkung von Wahrnehmen und Handeln erweist<br />

sich so die kreative Intelligenz als ein Grundvermögen der<br />

Hirnfunktion, das die Form als Verkörperung einer räumlichen<br />

Struktur hervorbringt.

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