DIE RÖMISCHE REPUBLIK IM GESCHICHTSBILD DER ...

90 4. Die Exempla aus der römischen Republik
Brutus selbst festzustellende Tendenz fortsetzte, Eigenschaften des
Älteren auf den Jüngeren „abfärben“ zu lassen. 6
L. BRUTUS UND DAS CONSULAT
L. Iunius Brutus soll, so will es die legendenhafte Überlieferung, die
Römer zum Aufstand gegen die Königsherrschaft und zur Vertreibung
des letzten Königs geführt haben, nachdem Lucretia durch einen Sohn
des Tarquinius Superbus geschändet worden war. 7 Der Spätantike ist er
vor allem als Begründer des Consulats und erster Inhaber des Amtes
vertraut. Häufig wird sein Name nur genannt, um den Begriff „Consulat“
zu umschreiben. Als Epitheton ornans tritt „Brutus“ dabei neben Bezeichnungen
für Amt im weitesten Sinne wie potestas und honos oder
neben Amtsinsignien (insignia, habitus) wie die fasces oder die trabea,
die Toga mit dem Purpurstreifen. In erster Linie wird so der variatio des
Ausdrucks Genüge getan, zugleich handelt es sich aber immer auch um
einen Beitrag zur Präsenz des ersten Consuls im kulturellen Gedächtnis
der Spätantike. Auf diese Weise fällt der Name Brutus zunächst nur beiläufig.
Meist ist dies aber ein Beweggrund, die Gegenwart im Licht des
legendären Republikgründers zu betrachten, L. Brutus im übertragenen
Sinn (im Einzelfall auch ganz konkret) nach seiner Einschätzung des
Hier und Jetzt zu befragen.
Vor allem Claudian kommt in seinen panegyrischen Versdichtungen
wiederholt auf L. Iunius Brutus zu sprechen. 8 Allein in der Invektive gegen
den Eunuchen Eutropius 9 von 399, gegen dessen Consulat im Ostteil
des Reiches Claudian polemisiert, wird das Amt des Consuls dreimal auf
6
Besonders anschauliche Beispiele für einen Ideal-„Brutus“, in dem Elemente des
Republikbegründers Lucius und des Tyrannenmörders Marcus untrennbar miteinander
vermengt werden, kennt die Brutus-Rezeption in der Zeit der Amerikanischen
und der Französischen Revolution; hierzu Clarke (1981) 101.
7
S. v.a. Liv. 1,59f.
8
“Brutus is a favorite with Claudian”, so Barbara Saylor Rodgers, in: Nixon /
Rodgers, Pan.Lat. (1994) 434 Anm.181.
9
Der Rivale Stilichos war als Sklave geboren worden. Im fortgeschrittenen Erwachsenenalter
freigelassen, trat Eutropius in den Hofdienst ein. Unter Arcadius
stieg er 395 zum praepositus sacri cubiculi auf und baute seine Machtstellung
seither konsequent aus, bis zu seinem Sturz 399; zur Biographie des Eutropius s.
Scholten (1995) 223–227.