<strong>02</strong>/ <strong>2006</strong>h i n t e r g r u n d & m e i n u n gNicht mehrals Nebelkerzenvon Rudolf PietschNicht zuletzt aufgrund der Kritikder Leistungserbringer ruderte ProfessorKlie bei der Zusammenfassung derErgebnisse des Projekts Pflegebudgetzurück. In den Meilensteinen Nr. 3vom Februar <strong>2006</strong> formuliert er, dassdie ersten Ergebnisse nachdenklichstimmen würden. Die Forderung, dasPflegebudget als Regelversorgung einzuführen,greife vor. Insoweit scheinter einig mit der Pressemitteilung des<strong>ABVP</strong> vom Dezember 2005. Auch dieKritik des <strong>ABVP</strong> an fehlender Rechtssicherheitund Bedrohung der Pflegequalitätwird detailliert aufgenommen.Allerdings werden die Fragen nurscheinbar beantwortet.1. „Cash & Schwarz“ - das gehe beimPflegebudgetbezug nicht, wird behauptet.Rechtliche Begründungen dafür oder Regelungsvorschlägewerden hingegen nichtaufgezeigt, obwohl wieder drei Monateseit unserer detaillierten Kritik vergangensind. Die Meilensteine versuchen sich mitStammtischerwägungen aus den Rechtsproblemenzu winden, um die Hoffnungauf tatsächliche Reformqualität zu wahren:a) Behauptung: Arbeitsverträgezwischen Pflegebedürftigen und Pflegepersonseien unter selten vorliegendenBedingungen für den Pflegebedürftigengünstig. Sie kämen eher bei Menschenmit Behinderung in Frage. Anmerkung:Soll die bisherige Erfahrung dahingehendausgewertet werden, dass das persönlichePflegebudget im Pflegebereich (SGB XI)eingeführt werden soll, obwohl es nur imSGB IX sinnvoll anzuwenden ist?b) Behauptung: Zwischen Pflegedienstenund Pflegebedürftigen würdenmeist Dienstverträge geschlossen. Budgetnehmerzahlten dann an den Pflegedienst.Anmerkung: Kosteneinsparungensind lediglich dann zu erzielen, wenn dieVergütungen der bisher tätigen Leistungserbringerabgesenkt werden.c) Behauptung: Es würden zumeist400,- EUR Jobs im vereinfachten Haushaltcheckverfahrengenutzt.Anmerkung: Hier wird auf Erfahrungenzurückgegriffen, die es bei demeingeräumten Desinteresse der Versichertennicht gibt.2. Steuerrechtlich wird eingeräumt,dass nicht alle Leistungen der umsatzsteuerrechtlichenPrivilegierung unterliegen.Dies sei jedoch in der Praxis unproblematisch.Einerseits wären Budgetleistungennur ein kleiner Teil des Leistungsspektrumsder Pflegedienste, andererseits werdebei selbst beschafften Pflegekräften dieeinschlägige Steuergrenze nicht erreicht.Anmerkung: Auch hier wird wiederauf nicht gemachte Erfahrungen zurückgegriffen.Die betriebs- und volkswirtschaftlicheZweckmäßigkeit des Einsatzesvon 400,- EUR Kräften wird nichtdiskutiert, sondern vorausgesetzt. Diegesellschaftlichen Auswirkungen insbesonderebei Renteneintritt der 400,- EURJobber werden tabuisiert. Für die Pflegedienstewird der Fall nicht diskutiert, dassdas Modellprojekt Erfolg hat. Gemäß derZielsetzung sollen die Sachleistungendoch durch die Budgetleistungen ersetztwerden. Dann sind Pflegedienste undBudgetleistungen umsatzsteuerbar.3. Scheinantworten werden überdiesauf Fragen der Pflegequalität formuliert.Es wird darauf verwiesen, dass auchim derzeitigen System die Qualitätsverantwortungund Haftung nicht allein16durch die Qualitätssicherung der Diensteund deren Kontrolle durch den MDK geregeltwerden könnten.Anmerkung: Diese Argumentationist scheinheilig. In der klaren Erkenntnis,dass die Qualität derzeit nicht zu haltenist, werden die derzeitigen Qualitätsbemühungenklein geredet, obwohl die Bemühungender Krankenkassen im letztenJahrzehnt offensichtlich an die rechtlichenund wirtschaftlichen Grenzen gestoßensind.Und dann gibt sich der Autor, ProfessorThomas Klie, folgende Blöße: „... aufdie (Anmerkung des Verfassers: Qualitätsfragen)gibt es durchaus Antworten,sie sind aber nicht so einfach, wie vielesich das vorstellen. Die Lösung ist häufiggerade nicht, Pflegemängel allein Pflegekassenzu melden. Das kann sogar unzulässigsein und ist vor allen Dingen untermethodischen Gesichtspunkten, aber ggf.auch unter rechtlichen verfehlt.“Anmerkung: Was soll denn das heißen?Welche handlungsleitenden Schlussfolgerungensoll denn der Leistungserbringeraus einer derartigen Abfolge vongehaltlosen Thesen ziehen?Ohne im Detail darauf einzugehen,würde den Verfasser interessieren, inwelchen Fällen die Meldungen von Pflegemängelnan Pflegekassen unzulässigsein könnten. Dürfen die Pflegekassennicht mit Pflegeproblemen und den Auswirkungender wirtschaftlich restriktivenUmgangsformen belastet werden? Ist dieSchonung der Pflegekassensachbearbeitervor belastender Arbeit denn schon geltendesRecht?i
h i n t e r g r u n d & m e i n u n g <strong>02</strong>/ <strong>2006</strong>Nun wirdBürokratiedie von Rudolf Pietschsystematisch abgebautLand auf, Land ab brüsten sich dieOppositionen und Verwaltungsapparatemit Initiativen zum Abbau der Bürokratie.Fast in jedem Bundesland greifendie Regierungen das Thema auf. Nichtselten werden schnell formulierte Aufrufeverfasst, jedermann solle sich ausBürgerpflicht an der Initiative beteiligenund den Verantwortlichen die bürokratischenVorschriften zur Kenntnis bringen.Dahinter steht natürlich, dass die armenRegierenden gar nicht wissen können,welche Vorschriften in der Praxis zur Bürokratieführen. Oder? Im Februar <strong>2006</strong>versucht uns das Innenministerium seineBemühungen als Erfolg darzustellen. DerBundestag hat diesen Geschäftsbereichum 90 Gesetze und Rechtsverordnungenbereinigen können. Doch was hat der Bürgervom schlankeren Normenbestand?Es wird behauptet, dass ein umfangreicherNormenbestand eine nicht unerheblicheBelastung für Rechtsanwender darstelle.Deshalb bestehe für formal geltendesRecht, welches aber keine praktische Wirkungmehr entfalte, die Notwendigkeit,sie aus dem Bestand des geltenden Rechtszu entfernen. Worin soll jedoch die Verbesserungliegen, wenn der Bürger durchdie praktische Wirkung gar nicht berührtwird? Nach demdie Initiativeaber viele RessourcenundVe r wa lt u n ge nmit einbindet,ist der Bürgerjedenfalls durchdie Finanzierungder Arbeitsaufwendungenbelastet.Das allesnur der deutschbürokratischenOrdnung halber,dass ein platzraubendesGesetzaus dem Regalgenommenwerden könnte,wo es jedoch aufjeden Fall verbleibt,um diehistorische Entwicklungauchfür die Zukunftzu archivieren.Also eigentlichgar kein Nutzen.17Anerkannt überflüssige Gesetze schaffenkeine zusätzliche Bürokratie. Kritischsind doch angewandte Regelungen, aufdie aus unwirtschaftlichen Gründenoder Nichtbeachtung der Angemessenheitweiterhin bestanden wird. Tatsächlichentsteht dort Bürokratie, wo aktuellverwaltet wird. Der Streit wird deshalbimmer dahin gehen, dass eine Seite dieseVerwaltung als unwirtschaftlich erachtet,während die Auftraggeber von derNotwendigkeit der Verwaltungsaufgabenüberzeugt sind. Wirklich überflüssig sindnur Verwaltungsaufgaben, die sowohl vonSeiten des Anwenders als auch des Betroffenen,unstreitig als überflüssig angesehenwerden. Durch den betriebswirtschaftlichenKostendruck setzen diese sich durchNichtanwendung außer Kraft, also keinezusätzliche Bürokratie.Daher bleibt die Feststellung, dassdurch die Initiativen zum Bürokratieabbauwieder Verwaltungskräfte mit Dingenbeschäftigt werden, die zuvor kein Problemdargestellt haben. Von den Beschäftigtenist dabei nicht zu erwarten, dasssie, selbst wenn sie diese begreifen, dieSinnlosigkeit ihres Tuns veröffentlichen.Deshalb ist vom Spruch der mit Hausbesuchenbeauftragten Pflegefachkraft ausSachsen nur inoffiziell zu berichten, derda lautete: „Wenn ich ärztliche Verordnungenaufgrund der gesetzlichen Bestimmungennicht überprüfen dürfte, für wasbin ich dann eingestellt?“ Das wahre Problemliegt also darin, dem Auftraggeberfür sinnlose Bürokratie klarzumachen,dass sich seine aktuellen Verwaltungsanforderungenvereinfachen lassen. Das istungleich schwieriger, als nach nicht praktiziertenRechtsvorschriften zu forschenund diese durch drei Lesungen der Landtageoder des Bundestags zu treiben. i