Orthopädie und Unfallchirurgie - Mitteilungen und Nachrichten 1/2012
Orthopädie und Unfallchirurgie - Mitteilungen und Nachrichten 1/2012
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Aus unserem Fach<br />
beginnt mit der – sozialen <strong>und</strong> finanziellen<br />
– Aufrechterhaltung der Attraktivität<br />
des Faches Humanmedizin im Allgemeinen<br />
sowie <strong>Orthopädie</strong> <strong>und</strong> <strong>Unfallchirurgie</strong><br />
im Speziellen. Der Nachwuchsmangel<br />
wird in vielen Bereichen immer<br />
deut licher: Die<br />
Versorgungsdichte<br />
<strong>und</strong> gegebenenfalls<br />
-qualität nimmt in<br />
vielen ländlichen<br />
Bereichen rapide<br />
ab. Hier wird zunehmend<br />
über eine notwendige Änderung<br />
der bedarfsorientierten Zulassung<br />
gesprochen. Sektorenübergreifende beziehungsweise<br />
sich ergänzende Versorgungsstrukturen<br />
könnten neue Perspektiven<br />
aufzeigen. Nach welchen Kriterien<br />
aber der tatsächliche Bedarf berechnet<br />
<strong>und</strong> bestimmt wird, ist unklar. Der Versorgungsbedarf<br />
sollte sich meines Erachtens<br />
an der Krankheitsprävalenz <strong>und</strong><br />
-intensität ausrichten – Daten, die wir<br />
bisher nicht wirklich kennen.<br />
Über oder Unterversorgung?<br />
Während auf der einen Seite über Unterversorgung<br />
berichtet wird, beklagen<br />
andere „Expertenberichte“ Überversorgung.<br />
So haben zum Beispiel Berichte<br />
einzelner Krankenkassen festgestellt,<br />
dass die Zahl der endoprothetischen Primär-<br />
<strong>und</strong> Wechseloperationen deutlich<br />
stärker gestiegen ist, als es die rein demografische<br />
Entwicklung erwarten ließe.<br />
Es wurde die Hypothese aufgestellt,<br />
dass Rentner ohne künstliches Knie- oder<br />
Hüftgelenk schon bald in der Minderheit<br />
seien. Der Bericht endete mit der<br />
Fragestellung, ob durch zu breite Indikationsstellung<br />
bereits eine Tendenz zur<br />
Überversorgung bestehe – in diesem Zusammenhang<br />
fällt dann auch immer der<br />
Begriff „angebotsinduzierte Nachfrage“.<br />
Diese Diskussion, die von einigen Kollegen<br />
im Fach recht einseitig aufgenommen<br />
wurde, erscheint gefährlich. Die<br />
Notwendigkeit des Zahnersatzes für<br />
ältere Menschen ist nach meiner Kenntnis<br />
bisher nicht in der Breite hinterfragt<br />
worden – so dass bei derartigen Diskussionen<br />
offensichtlich weitere Faktoren eine<br />
Rolle spielen.<br />
Meines Erachtens gibt es in Deutschland<br />
im Bereich der Endoprothetik noch eine<br />
große Zahl unterversorgter Patienten –<br />
Patienten, die von einem solchen Eingriff<br />
profitieren würden, aber bisher aus verschiedensten<br />
Gründen den Zugang zur<br />
Operation nicht erhalten haben. Bei der<br />
Operationsentscheidung sollten sicherlich<br />
vor allem medizinische Kriterien im<br />
Vordergr<strong>und</strong> stehen. Aber erst wenn es<br />
Die Notwendigkeit des Zahnersatzes für ältere Menschen ist nicht<br />
in der Breite hinterfragt worden wie der Gelenkersatz.<br />
konsentierte Indikatoren für therapeutische<br />
Interventionen gibt, kann über<br />
Über-, Unter- oder gar Fehlversorgung<br />
einzelner Krankheitsbilder gesprochen<br />
werden. Hier sind die Fachgesellschaften<br />
<strong>und</strong> Verbände gefragt, zeitnah Korridore<br />
zu definieren. Im Rahmen der Versorgungsforschung<br />
kann <strong>und</strong> muss dann die<br />
Versorgungsrealität <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />
-qualität überprüft werden.<br />
Versorgungsforschung ist<br />
extrem wichtig<br />
Daher freue ich mich sehr, dass wir im<br />
Jahr 2013 von Seiten der DGOU <strong>und</strong> des<br />
BVOU gemeinsam die Jahrestagung des<br />
Deutschen Netzwerkes für Versorgungsforschung<br />
hier in Berlin ausrichten können.<br />
Immer wieder <strong>und</strong> in letzter Zeit<br />
vermehrt wird danach gefragt, ob es zu<br />
viele Orthopäden <strong>und</strong> Unfallchirurgen<br />
gäbe. Als Argumente für eine Überversorgung<br />
werden der demografiebereinigte<br />
Anstieg der Fachärzte, internationale Vergleichszahlen<br />
<strong>und</strong> regionale Unterschiede<br />
in der Versorgungsdichte angeführt.<br />
Sicherlich diskussionswürdige <strong>und</strong> beachtenswerte<br />
Entwicklungen – die Frage<br />
eines „zu viel“ oder „zu wenig“ kann meines<br />
Erachtens jedoch nur durch die Versorgungsnotwendigkeit<br />
(zeitlich, örtlich,<br />
inhaltlich) beantwortet werden. Dafür<br />
fehlen bislang sowohl belastbare Daten<br />
zur muskuloskelettalen Krankheitslast<br />
als auch konsentierte Indikationskriterien.<br />
Nach meiner Einschätzung mag es in<br />
einigen Bereichen unseres Faches Fehlversorgungen<br />
geben. Im Wesentlichen<br />
erscheint mir aber in der gegenwärtigen<br />
Situation ein Großteil der Bevölkerung<br />
(noch) nicht ausreichend fachkompetent<br />
betreut zu sein. Das gilt insbesondere für<br />
alte <strong>und</strong> sehr alte Menschen. Im geriatrischen<br />
Bereich kann <strong>und</strong> muss sich die<br />
<strong>Orthopädie</strong> <strong>und</strong> <strong>Unfallchirurgie</strong> intensiver<br />
einbringen als bisher. Auch jüngere<br />
Patienten beklagen Defizite in der or-<br />
thopädisch-unfallchirurgischenVersorgung <strong>und</strong> sehen deutliche Vorteile in der<br />
nicht-facharztspezifischen Versorgung:<br />
Physiotherapeuten, Osteopathen, Allgemeinmediziner<br />
<strong>und</strong> anästhesiologische<br />
Schmerztherapeuten haben gegenwärtig<br />
häufig ein besse-<br />
Wir müssen Zeichen setzen<br />
res, fre<strong>und</strong>licheres<br />
<strong>und</strong> kompetenteres<br />
Image als der<br />
Facharzt für <strong>Orthopädie</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Unfallchirurgie</strong>.<br />
Wir müssen auch überlegen, welche Bedeutung<br />
die deutsche <strong>Orthopädie</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Unfallchirurgie</strong> in Europa <strong>und</strong> der Welt<br />
haben beziehungsweise haben sollen. Wir<br />
können von unseren Nachbarn vieles lernen,<br />
wir sollten aber auch unsere Kompetenzen<br />
darstellen. Im Bereich der Traumaversorgung,<br />
der elektiven orthopädischen<br />
Chirurgie, aber auch im nicht-operativen<br />
Bereich können wir in vielen Dimensionen<br />
Zeichen setzen – <strong>und</strong>: Dies müssen wir aktiv<br />
betreiben. Ich freue mich sehr, dass wir<br />
für das nächste Jahr den EFORT Kongress<br />
nach einem Intervall von 18 Jahren wieder<br />
nach Deutschland holen konnten <strong>und</strong><br />
hoffe, dass wir uns als gute Gastgeber <strong>und</strong><br />
Ideenvermittler bewähren werden.<br />
Konservative Inhalte stärken<br />
Ich stehe heute auch hier als einer der<br />
Vertreter der konservativen <strong>Orthopädie</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Unfallchirurgie</strong>, <strong>und</strong> mir stellen sich<br />
an dieser Stelle einige wichtige Fragen:<br />
Wie wird es weitergehen mit den nichtoperativen<br />
Inhalten des Faches? Wie<br />
kann das exzellente Fachwissen gerade<br />
in diesem Bereich, derzeit überwiegend<br />
getragen von der älteren Generation,<br />
bewahrt, integriert <strong>und</strong> durch ein entsprechendes<br />
Weiterbildungsangebot im<br />
neuen gemeinsamen Fach verankert werden?<br />
Themen, die bei unserem Ziel der<br />
„kompetenten Patientenversorgung aus<br />
einer Hand“ durch eng vernetzte Fachärzte<br />
in Praxis <strong>und</strong> Klinik aktiv angegangen<br />
<strong>und</strong> gestaltet werden müssen. Nur<br />
mit einer guten Mischung aus medizinischem<br />
Überblick <strong>und</strong> Spezialwissen können<br />
wir unseren Patienten sowohl nach<br />
Verletzungen als auch bei Erkrankungen<br />
des Stütz- <strong>und</strong> Bewegungsapparates einen<br />
ganzheitlichen, aufeinander abgestimmten<br />
<strong>und</strong> ergebnisorientierten Weg<br />
zur Genesung sichern.<br />
<strong>Orthopädie</strong> <strong>und</strong> <strong>Unfallchirurgie</strong> <strong>Mitteilungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Nachrichten</strong> | Februar <strong>2012</strong>