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Inhalt SONDERAUSGABE CYBERCRIME & CYBERJUSTICE ... - ZIS

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Analogie und Verhaltensnorm im Computerstrafrecht_____________________________________________________________________________________a) Der Strafgesetzgeber muss sich so ausdrücken, dasssowohl die Bürger als auch die öffentlichen Stellen, die dasStrafgesetz vollziehen sollen, das Gesetz verstehen können.Um verstanden zu werden, muss der Gesetzgeber an vorhandeneVorstellungen anknüpfen und Wörter in etabliertenWortbedeutungen verwenden. Einen bei Juristen, EDV-Fachleutenund Bürgern gemeinsam etablierten Sprachgebrauch,auf den der Gesetzgeber hätte zurückgreifen können, als er1986 das deutsche Computerstrafrecht neu geschaffen hat, 7gab es jedoch kaum. Um strafbare Handlungen unmittelbarund knapp zu formulieren, fehlten ihm schlicht die Worte.Das hat sich bis heute vielleicht ein wenig, aber nicht grundlegendgeändert. Für den Gesetzgeber bestand daher – undbesteht auch heute noch – keine andere Möglichkeit, als inpraktisch jedem einzelnen Deliktstatbestand des Computerstrafrechtseinen gedanklichen Bogen zu schlagen:Der Gesetzgeber muss an Vorstellungen anknüpfen, dieseinem Leser geläufig sind, und Wörter in etablierten Wortbedeutungenverwenden. Deshalb geht er von den Verbotender klassischen Deliktstatbestände aus, bezieht sich auf sieund formuliert Besonderheiten und Abweichungen. So entstehtein neuer, zu dem klassischen Verbot analoger Tatbestand.Der regelungstechnische Rückgriff auf Analogien ist imComputerstrafrecht ein zielführender, unter Umständen sogarder einzige und regelmäßig jedenfalls der beste Weg, um hinreichendbestimmte Tatbestände zu formulieren. Hierin liegtder Wert von Analogie als Regelungstechnik.Ein weiterer Vorteil kann hinzutreten: Die mit neuentechnischen Möglichkeiten entstehende Kriminalität ist seltengenuin neuartig. Meist ist sie das Resultat einer Verlagerungbisheriger krimineller Aktivitäten. Die Analogie kann dieseVerlagerung dokumentieren und dazu beitragen, dass sich diestrafrechtliche Behandlung ähnlich gearteter Kriminalitätnicht sachwidrig aufspaltet, sondern gemeinsam fortentwickelt.b) Das eingangs angeführte Beispiel der beweiserheblichenDaten in § 269 StGB zeigt, dass der Gesetzgeber gelegentlichdoch vom Rechtsanwender zu ziehende Analogienanordnet. 8 Der Rechtsanwender hat dort zu prüfen, ob bei derWahrnehmung der Daten eine Urkunde vorläge, die Datenalso ein Urkundsanalogon darstellen.Wiederum kann das strafrechtliche Analogieverbot sonicht verletzt werden, denn es richtet sich nicht an den Gesetzgeber,und der Rechtsanwender hält sich im Rahmen dergesetzlichen Vorgabe. Die Anordnung einer vom Anwenderzu ziehenden Analogie kann aber mit dem Bestimmtheitsgebotin Konflikt geraten. Aus dem Gesetz selbst muss derAdressat seine Pflicht erkennen können und nicht erst aus derEntscheidung eines Rechtsanwenders. Diesem darf der Gesetzgeberauch nicht die Kompetenz verleihen, Tatbestandsmerkmaleim Einzelfall ad hoc per Analogie auszudehnen.Der Gesetzgeber darf hingegen die Konkretisierung vonTatbeständen in gewissem Umfang der Praxis überlassen.Auslegung und Subsumtion sind ohnehin notwendiger Be-7 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität v.15.5.1986 = BGBl. I 1986, S. 721.8 Weitere Beispiele bei Grünwald, ZStW 76 (1964), 1 (7 f.).standteil der Rechtsanwendung und nicht ohne Spielräumedenkbar. Die Frage, ob ein konkreter Umstand eines Fallesunter ein Merkmal des Tatbestandes zu subsumieren ist, wirddabei regelmäßig auch anhand von Ähnlichkeitserwägungenmit Bezug auf bereits entschiedene Fälle, „klare Fälle“ etc. zubeurteilen sein; in diesem Sinne hat die Rechtsanwendungstets eine „analogische“ Struktur. 9In § 269 StGB wird der Urkundsbegriff des § 267 Abs. 1StGB aufgegriffen und statt der Verkörperung der Gedankenerklärungihre Manifestation in Daten verlangt. Dadurch werdenalle Unbestimmtheiten des Urkundsbegriffs in § 269StGB übertragen (und es wäre schon in § 267 StGB wünschenswert,dass die erhebliche Abweichung seiner Begrifflichkeitvom Alltagssprachgebrauch in der Norm zumindestangedeutet würde). Die Analogie fügt auch weitere Vagheithinzu, denn viele Daten haben keine eindeutige Darstellung(eine bestimmte Wahrnehmung durch Menschen ist nur seltenihr Zweck). Diese Auslegungs- und Subsumtionsproblemeunterscheiden sich von anderen Begriffsbildungen abernicht spezifisch. Die Analogie ist hier nur eine Ausdrucksweise,in der ein Tatbestandsmerkmal umschrieben wird. Sieeröffnet dem Rechtsanwender aber keine zusätzlichen Spielräumeund beinhaltet somit keine unzulässige Kompetenzübertragung.4. Wert und Grenzen (Zwischenergebnis)Der Gesetzgeber ist also oft gut beraten, neue Tatbestände inAnalogie zu klassischen Tatbeständen zu entwickeln. Es istihm auch nicht verwehrt, dabei neue Begriffe in Analogie zubekannten Begriffen zu bilden.Der Gesetzgeber darf hingegen keine Aufforderung zuAnalogieschlüssen des Rechtsanwenders in die Tatbeständeaufnehmen, die beinhalten, dass dieser letztlich erst seine eigenenBegriffe, eigene Verhaltensnormen oder eigene Sanktionsnormenzu entwickeln hat. Deshalb muss die Analogieinsbesondere stets soweit im Gesetz ausgeführt werden, dass– in dem für Straftatbestände zu fordernden Maß an Bestimmtheit10 – klar wird, von welchem klassischen Tatbestandbzw. Begriff sie ausgeht, in welchen Merkmalen vondiesen abgewichen wird und welche anderen Kriterien dieentstehenden Leerstellen füllen sollen. Zu einem methodengerechtenAnalogieschluss gehört es ohnehin, die Abweichungzu benennen, die einer unmittelbaren Anwendung derAusgangsregel entgegensteht, und die Ähnlichkeit herauszu-9 Näher Hassemer/Kargl, in: Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen(Hrsg.), Nomos Kommentar, Strafgesetzbuch, Bd. 1, 3. Aufl.2010, § 1 Rn. 95 m.w.N.10 Die dabei heranzuziehenden Kriterien anzugeben, ist einesder in letzter Konsequenz bis heute ungelösten Probleme desstrafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips (Roxin, Strafrecht,Allgemeiner Teil, Bd. 1, 4. Aufl. 2006, § 5 Rn. 69 ff. m.w.N.).Diesem Problem kann hier nicht weiter nachgegangen werden.Es genügt festzustellen, dass der Einsatz von Analogieals Regelungstechnik insoweit keine besonderen Kriterien erfordert._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com443

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