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Inhalt SONDERAUSGABE CYBERCRIME & CYBERJUSTICE ... - ZIS

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Dominik Brodowski_____________________________________________________________________________________folgen. Das aber darf aus völkerrechtlicher Sicht nur über denausländischen Staat geschehen. Da ein Auskunftsverlangeneine Beschlagnahme nur ersetzt, aber gleichermaßen einZwangsmittel darstellt, kann für dieses nichts anderes gelten– auch nicht zwischen den Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion. 29Dürfen Unternehmen aber freiwillig Auskunft erteilenüber Daten, die im Ausland gespeichert sind? Das ist dannzulässig, wenn eine „rechtmäßige und freiwillige Zustimmung“der Person vorliegt, die „rechtmäßig befugt“ ist, dieDaten zu transferieren. 30 Abzustellen ist dabei erneut auf denjenigen,der primär verfügungsberechtigt über die Daten ist.Das ist bei Daten über Finanztransaktionen die Bank, aberetwa bei Internet-Festplatten oder einer Datenspeicherung inder „Cloud“ der jeweilige Kunde. In letzterem Fall ist daherder justizförmige Weg zu wahren und ein Rechtshilfeersuchenzu stellen.3. VerhältnismäßigkeitAlle Eingriffe erfordern schließlich aus verfassungsrechtlicherSicht, dass sie verhältnismäßig sind: Datenabfragen beiUnternehmen verfolgen ohne weiteres ein legitimes Ziel – dieStrafverfolgung – und sind regelmäßig auch geeignet und erforderlich.Bei der Angemessenheit des Datenzugriffs ist aberin mehrerlei Hinsicht Vorsicht geboten:Erstens ist zu hinterfragen, inwieweit auf die Vertraulichkeitder Kommunikation eingewirkt wird, selbst wenn sichder Zugriff nur auf archivierte Kommunikation bezieht –denn wer löscht heutzutage noch seine E-Mails? Exzessivestaatliche Zugriffe auf Kommunikation führen nämlich beimBürger zu einem generellen Gefühl des Überwacht-Seins.Das aber kann zur Gefahr übermäßig konformen, angepasstenVerhaltens und auch zur reduzierten Teilhabe am freiheitlichdemokratischenGemeinwesen führen. 31 Dies gilt es zu vermeiden,zumal ein freies und freiheitliches Internet ein notwendigerAusgleich ist für die zunehmende Mobilität undFlexibilität von Personen: Wenn Personen sich nämlich nicht29 Sowohl die Europäische Beweisanordnung (ABl. EU 2008Nr. L 350 v. 29.12.2008, S. 72) als auch die geplante EuropäischeErmittlungsanordnung (zuletzt Ratsdok. 18918/11) sehenkeine unmittelbare Beweiserhebung eines Staates im Hoheitsgebieteines anderen Staates vor, sondern nur eine erleichterteZusammenarbeit beider Staaten. Allein bei Telekommunikationsüberwachungen,die grenzüberschreitend und ohne Mitwirkungdes anderen Staates durchgeführt werden können,gestattet das europäische Beweiserhebungsrecht die unmittelbareDurchführung einer transnationalen Beweiserhebung,kombiniert allerdings mit einer Notifikationspflicht und derMöglichkeit des betroffenen anderen Staates, dieser zu widersprechen(Art. 20 Rechtshilfeübereinkommen-2000 [ABl.EU 2000 Nr. C 197 v. 12.7.2000, S. 3]; Art. 27d EuropäischeErmittlungsanordnung-E).30 So die Formulierung des Art. 32 lit. b Übereinkommen desEuroparats über Computerkriminalität v. 23.11.2001 (BGBl.II 2008, S. 1242) – SEV 185, der kodifiziertes Völkergewohnheitsrechtdarstellen dürfte.31 Vgl. BVerfGE 65, 1 (43).mehr in ihre Wohnungen zur geschützten Kommunikationmit nahen Angehörigen und Freunden zurückziehen können,so benötigen sie trotzdem einen Kommunikationspfad, in demsie frei – und regelmäßig auch frei von staatlicher Überwachung– kommunizieren können. Das Internet bietet diesebesondere Chance, und diese gilt es zu bewahren.Zweitens ist das mehrpolige Grundrechtsverhältnis – auchzu mitbetroffenen Dritten – zu berücksichtigen. Das gilt umsomehr, je atypischer die Datenabfragen werden und je höherdaher das Risiko unbeteiligter und unbescholtener Dritterwird, selbst in das Visier strafrechtlicher Ermittlungen zugeraten. 32 Im Sinne eines rechtsstaatlich-liberalen Strafrechtsverständnisseswiegen Strafverfolgungen gegen Unschuldigenämlich weitaus schwerer als die Nichtverfolgungvon Tätern. Daher ist ein data mining, etwa bei Finanztransaktionen,bei Verbindungsdaten oder bei Flugdaten nur unterganz besonders strikten Voraussetzungen und Verfahrenssicherungenfür zulässig zu erachten.Drittens dürfen solche Zugriffe nicht mit dem Hinweisdarauf bagatellisiert werden, es handele sich nur um von Unternehmenund nicht von staatlicher Seite erfasste und gespeicherteDaten. Gefahren für die Privatsphäre gingen dahervon diesen Unternehmen und gerade nicht von Seiten desStaates aus. Diese Argumentation ist nicht tragfähig: Zumeinen führte sie dazu, dass staatliche Behörden (zu) exzessiveDatenspeicherungen wenigstens duldeten, wenn nicht sogarimplizit befürworteten, anstatt diesen entschlossen entgegenzutreten.Zum anderen ließe sie außer Acht, dass durch einestaatliche (Zweit-)Nutzung von Datenbeständen eine gänzlichandere, weitaus intensivere Grundrechtsgefährdung vorliegt.V. Anwendung auf die drei FallbeispieleWas bedeutet all dies nun für die drei eingangs genanntenFallbeispiele?Im Fall 1 – der Suche nach Finanztransaktionen, die einbestimmtes Konto zum Ziel hatten – akzeptierte das Bundesverfassungsgerichtdas Vorgehen; es verlangte nicht einmaleinen präventiven Richtervorbehalt. Das Risiko, dass Unschuldigeverfolgt werden können, bezeichnete es trotz derhöchst ungewöhnlichen und daher risikobehafteten Datenabfrageals „unvermeidlich“ 33 . Mit der hier vertretenen Auffassungüberzeugt das nicht, denn die freiwillige Mitwirkung derBanken war datenschutzrechtlich unzulässig und durfte dahervon der Staatsanwaltschaft auch nicht eingefordert werden.Stattdessen wäre zumindest ein richterliches Auskunftsersuchennotwendig gewesen.Ebenfalls bedenklich ist der Fall 2: Dass sich die Polizeiüber die Begrenzungen des richterlichen Beschlusses hinwegsetzte,demzufolge nur auf E-Mails eines bestimmten Zeitraumszugegriffen werden sollte, und sichtlich gezielt nachZufallsfunden suchte, begründet einen derart schwerwiegendenVerfahrensmangel, dass ein Beweisverwertungsverbot zubejahen ist. Eine andere Auffassung vertritt freilich das zuständigeLandgericht Mannheim. 3432 Brodowski, JR 2010, 546 (547, 549).33 BVerfGK 15, 71 (82).34 LG Mannheim StV 2011, 352._____________________________________________________________________________________478<strong>ZIS</strong> 8-9/2012

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