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Inhalt SONDERAUSGABE CYBERCRIME & CYBERJUSTICE ... - ZIS

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Analogie und Verhaltensnorm im Computerstrafrecht_____________________________________________________________________________________bares Unrecht erfasst wird, darf auch nicht jede nachteiligeVeränderung von Daten als solches behandelt werden, dennweder Sachen noch Daten haben einen Selbstzweck oder eineeigene Würde. Eine Lösung des Bestimmtheitsproblems ergäbesich daher erst, wenn sich auch für das Merkmal „fremd“der Sachbeschädigung eine Entsprechung entwickeln ließe.Das vom Tatbestand der Sachbeschädigung in Bezug genommeneSachenrecht ist der über Jahrtausende wohl ambesten ausgearbeitete Teil unserer Rechtsordnung überhaupt.Auch in den Gewohnheiten der Bevölkerung ist er tief verwurzelt.Das zeigt sich in einer höchst bemerkenswerten Eigenschaftvon § 303 StGB: Die Sachbeschädigung führt garnicht zu einer unmittelbaren Beeinträchtigung eines Rechtsgutsträgers.Der Freiheit des Eigentümers tut die Tat erst dannAbbruch, wenn er die Sache später tatsächlich verwendenmöchte, wegen der Beschädigung bzw. Zerstörung aber nichtverwenden kann. Die Sachbeschädigung antizipiert dieseVerletzung und beinhaltet in diesem Sinne ein Vorfelddeliktzur eigentlichen Schädigung. Das fällt heute gar nicht mehrauf, weil das Sachenrecht derart gut und stabil ausgearbeitetist, dass uns die Unterscheidung zwischen Mein und Deinschon im Kindesalter in Fleisch und Blut übergeht und wirdie Verletzung von Eigentum wie eine tatsächliche Beeinträchtigungdes Eigentümers empfinden.Das „Datenrecht“ hingegen liefert heute Argumente, umzivilrechtliche Streitigkeiten im Nachhinein zu entscheiden.Das ist, wenn man in Rechnung stellt, wie jung das Rechtsgebietist, schon ziemlich viel. Es ist aber viel weniger als einSystem vor der Tat feststehender Verhaltensnormen, und dasbräuchte ein Straftatbestand der Datenveränderung, um daraufverweisen zu können. 66 Dieser „Mangel“ kann auch nichtvon den Strafgerichten durch konkretisierende Auslegung des§ 303a StGB behoben werden. 67 Erstens wäre es mehr als eineHerkulesaufgabe, die nötige Systematisierung der Grundzügedes Datenrechts nebenbei zu erledigen. Zweitens könnten siesich dabei nur Verhaltensnormen ausdenken, die aus demGesetz in keiner Weise zu ersehen wären. Drittens würde esdem gerade aus dem Strafrecht hinausgehenden Verweiszuwiderlaufen, wenn ausgerechnet die Strafgerichte den<strong>Inhalt</strong> der Pflichten klären würden.Zwischen dem Sachenrecht und dem „Datenrecht“ liegenJahrtausende rechtlicher und sozialer Entwicklungen. Vielleichtkönnte sich manches auch zügiger vollziehen. Das„Datenrecht“ steht aber vor der besonderen Herausforderung,keinen „Inhaber“ der Daten als „Eigentümerersatz“ bestimmenund diesem die Entscheidungen über „seine“ Daten übertragenzu können, sondern die maßgeblichen Verhaltensregeln inviel größerem Umfang selbst entwickeln zu müssen, als dasim Sachenrecht erforderlich war. Diese Entwicklung darf keinesfallseinfach als bereits geschehen postuliert werden.66 Ob sich dazu wirklich ein eigenständiges Rechtsgebiet herausbildenmuss oder nicht eher vielschichtige Rechtsproblemeinnerhalb vorhandener Systematik bzw. unter Erweiterungtraditioneller Rechtsgebiete zu lösen sind, ist eine ganz andereFrage. Mit guten Gründen in letzterem Sinne bereits Haft,NStZ 1987, 6 (10).67 A.A. Fischer (Fn. 29), § 303a Rn. 5 f.Deshalb ist es heute letztlich unmöglich, den aktuellen§ 303a StGB in einer dem Gesetzlichkeitsprinzip entsprechendenWeise zu handhaben und muss insbesondere auch eineverfassungskonforme Auslegung scheitern. In dem großenteilsgründlich vorbereiteten und durchgeführten Gesetzgebungsverfahrenzum 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalitätv. 15.5.1986 ist § 303a StGB spät, überstürztund – gerade auch bzgl. der Frage, ob es der Strafbarkeitvon Datenveränderungen überhaupt bedarf – entgegendem wissenschaftlichen Rat v.a. von Sieber eingefügt worden.68 Dabei hat man sich mit der vordergründig plausiblen,bei näherem Hinsehen aber in zentralen Punkten gar nichtdurchgeführten Analogie zur Sachbeschädigung begnügt undübersehen, dass dem Tatbestand sogar die Verhaltensnormfehlt. Ein Delikt ohne Verhaltensnorm, die nach allgemeinenKriterien im Voraus klärt, welches Verhalten zulässig ist, undwelches nicht, ist aber schlechterdings unbestimmt. 69 § 303aStGB sollte deshalb vom Bundesverfassungsgericht aufgehobenwerden. 706. Die Vorgaben der Cybercrime-ConventionNach einer Aufhebung stellt sich nicht nur die Frage, ob dieVorschrift kriminalpolitisch überhaupt nötig ist. 71 Deutschlandist nach Art. 4 Abs. 1 der Cybercrime-Convention vielmehrverpflichtet, Datenveränderungen unter Strafe zu stellen,und die bislang auf § 303a Abs. 1 StGB bezogene Analyseund Kritik trifft ohne nennenswerte Abweichungen 72 auchauf jene Vorschrift zu. 73Art. 4 Abs. 1 der Cybercrime-Convention enthält sogar eineeigene Begehungsvariante der Verschlechterung („deterioration“)von Computerdaten. In ihr tritt das Scheitern der Ana-68 Vgl. BT-Drs. 10/5058, S. 34. Er hielt §§ 303a, 303b StGBfür entbehrlich. Für den Fall, dass der Gesetzgeber sich fürGesetzgebung in dieser Richtung entscheiden sollte, riet erjedenfalls zu einer in § 303 StGB eingebetteten Lösung, diediesen vorsichtig erweitert (Sieber, Informationstechnologieund Strafrechtsreform, 1985, S. 61). Das war damals richtigund wäre es heute immer noch.69 Wie sehr das auch die Praxis irritiert, zeigt das Urteil desAG Böblingen WM 1990, 64 (65). Der Versuch einer Subsumtionwird nicht einmal ansatzweise unternommen. Stattdessenwerden die für den Tatbestand relevanten Umständebei der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt.70 Vgl. oben Fn. 3.71 Die Fachserie 10 Reihe 3 (Rechtspflege, Strafverfolgung)des Statistischen Bundesamts weckt Zweifel daran, denn sieweist für das Jahr 2010 deutschlandweit immerhin nur 67Aburteilungen bei 44 Verurteilungen aus (S. 40 f.), und dieWerte der Vorjahre waren ähnlich.72 Sie gründen in dem etwas anderen Datenbegriff, dessenAbweichungen sich in den hier bedeutsamen Punkten abernicht auswirken.73 Insbesondere soll er ebenso der Sachbeschädigung nachgebildetsein. In § 61 des Explanatory Reports wird ausführlicheine Gleichsetzung der einzelnen Begehungsvarianten mitden Begehungsformen der Sachbeschädigung (sowie zusätzlichdie Unterdrückensvariante) erörtert._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com455

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