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Inhalt SONDERAUSGABE CYBERCRIME & CYBERJUSTICE ... - ZIS

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Informationstechnologische Herausforderungen an das Strafprozessrecht*Von RiOLG Prof. Dr. Joachim Vogel, München**I. Das mir zugewiesene Thema „InformationstechnologischeHerausforderungen an das Strafprozessrecht“ ist so allgemeingefasst, dass ich über alles und nichts reden kann. Genau dasmöchte ich im Folgenden tun und mich folgenden übergreifendenFragen stellen: Wie verändert die Informationstechnologieden Strafprozess? Welche rechtlichen Probleme ergebensich hieraus und in welche Richtungen sind Lösungen zusuchen? Mit dem Mut zur gröblichen Vereinfachung 1 möchteich hierzu drei Thesen aufstellen: Über kurz oder lang wird Strafrechtspflege zur „e-criminaljustice“ mit elektronischer Akten-, Prozess- und Beweisführungwerden. Das zentrale rechtliche Problem istder Datenschutz; die Lösungen sind bereits im geltendenDatenschutzrecht vorgezeichnet. Die Auswertung und Überwachung der „e-Sphäre“ vonBeschuldigten wird zu einer strafprozessualen Standardermittlungs-und -beweismaßnahme werden. Die zentralenrechtlichen Probleme sind die aller strafprozessualenErmittlungs- und Beweismaßnahmen: Gesetzlichkeit, Verhältnismäßigkeit,Schutz des Kernbereichs der privatenLebensgestaltung und Beachtung der strafprozessualenGarantien und Privilegien namentlich zugunsten des Beschuldigtenund seines Verteidigers. Sie müssen mutatismutandis in der „e-Sphäre“ in gleicher, gleich wirksamerWeise gewährleistet werden wie außerhalb der „e-Sphäre“. Auch die „e-Sphäre“ von Nichtbeschuldigten und Unverdächtigen,im äußersten Fall der gesamten Bevölkerung,wird zunehmend in strafprozessuale Ermittlungen undBeweisführungen einbezogen werden, insbesondere indemRegister eingerichtet und ausgewertet und Private zubereichsspezifischer Datenerfassung und -speicherungbetreffend andere Private verpflichtet werden, um dieseDaten im Verdachtsfall durch Datenabgleich nach demRasterprinzip auswerten zu können (Vorratsdatenspeicherung).Zentrales rechtliches Problem ist die Wahrung desGrundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (und* Vortrag im Rahmen der von der Deutschen und der TürkischenLandesgruppe der Association Internationale de DroitPénal (AIDP), der Istanbul Bílgí University und der IstanbulBar Association veranstalteten Tagung „Cybercrime: Eindeutsch-türkischer Strafrechtsdialog“, Istanbul, 12.-15.10.2011.** Der Verf. ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrechtund Wirtschaftsstrafrecht der Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen und im Nebenamt Richter amOberlandesgericht München. Im folgenden Text ist die ursprünglicheFassung des Kurzvortrages beibehalten und nurum wenige Nachweise ergänzt sowie stellenweise aktualisiertworden.1 Zu den Einzelheiten Freiling/Brodowski, Cyberkriminalität,Computerstrafrecht und die digitale Schattenwirtschaft, 2011,besonders S. 46 ff., 122 ff. zum „Computerstrafprozessrecht“;Gercke/Brunst, Praxishandbuch Internetstrafrecht, 2009,besonders Rn. 633 ff. zum Strafprozessrecht.weniger der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung). Esgebietet, dass die „e-Sphäre“ von Nichtbeschuldigten undUnverdächtigen grundsätzlich nicht in strafprozessualeErmittlungen und Beweisführungen einbezogen wird undVorratsdatenspeicherungen grundsätzlich unterbleiben; zumöglichen Ausnahmen komme ich noch.Diese Thesen bedürfen der Erläuterung und Begründung, diein diesem Kurzvortrag nur skizzen- und bruchstückartig möglichsind:II. Es ist eine Binsenwahrheit, dass Informationstechnologielängst bei der Polizei, den Staatsanwaltschaften, Gerichtenund nicht zuletzt der Verteidigung Einzug gehalten hat.Akten werden gescannt und mit Verwaltungs- und Suchprogrammenausgewertet; es werden Textverarbeitungs-, Kalkulations-sowie Präsentationssoftware verwendet und Datenbankensowie Netzinhalte genutzt; Kommunikation findet viaE-Mail, Chats und dergleichen statt.Diese faktischen Phänomene genügen allerdings nicht zurBegründung einer „e-criminal justice“, die vielmehr erst dannentsteht, wenn es zudem einen expliziten juristischen Rahmenfür elektronische Akten-, Prozess- und Beweisführung gibt.Ein solcher Rahmen ist im deutschen Strafprozessrecht bislangnicht vorhanden, wohl aber im Ordnungswidrigkeitenrecht:§ 110a OWiG lässt es zu, formgebundene Verfahrensdokumenteelektronisch zu erstellen und bei Behörden undGerichten einzureichen, sofern sie mit einer qualifiziertenelektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehenund für die Bearbeitung durch die Behörde oder das Gerichtgeeignet sind; spiegelbildlich lässt § 110c OWiG die Erstellungelektronischer Dokumente durch Behörden und Gerichtezu. § 110b OWiG ermöglicht die elektronische Aktenführung,wobei § 110d OWiG u.a. die Akteneinsicht regelt. Und§ 110e OWiG stellt elektronische Dokumente beweisrechtlichUrkunden oder anderen Schriftstücken gleich. Obwohl essich um eine durchaus magere, rechtlich bis heute längstnicht in allen Bundesländern umgesetzte und vor allem faktischkeineswegs flächendeckend angewendete Regelunghandelt, verdeutlicht sie die Bereiche und Sachfragen, die imZuge der Schaffung einer „e-criminal justice“ zu regeln sind:Im Bereich der elektronischen Aktenführung sind erstensdas „Ob“ und zweitens das „Wie“ ihrer Zulässigkeit zu regeln:Soll es Pflicht sein oder im Ermessen der Behörden undGerichte stehen, elektronische Akten zu führen? Soll es möglichsein, neben einer elektronischen Akte eine Papierakte zuführen, und welche Aktenform soll führen? Wie geht man mitsächlichen – auch „papiernen“ – Beweismitteln um? In welchemelektronischen Format mit welchen elektronischenSchnittstellen werden elektronische Akten geführt und wiewerden sie aufgebaut bzw. handhabbar gemacht? Wie werdenAuthentizität und Integrität der elektronischen Akte geschütztund wie werden Vertraulichkeit und Zweckbindung gewährleistet?An dieser Stelle sind nicht nur technische, organisatorischeund nicht zuletzt finanzielle Herausforderungen zubewältigen, sondern es muss auch Überzeugungsarbeit im_____________________________________________________________________________________480<strong>ZIS</strong> 8-9/2012

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