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Der Originalbegriff im Zeitalter virtueller Welten - Medienwissenschaft

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dokumentarischen, indexikalischen Status, ist diese Einschreibung in technischen Bildern<br />

flüchtig. Weil „Fotografien unter Bedingungen entstehen, die sie physisch dazu zwingen,<br />

Punkt für Punkt dem Original zu entsprechen" - akzentuiert auch Flussers Fototheorie -,<br />

gehören sie zur Zeichenklasse der Indizes, „die Zeichen aufgrund ihrer physischen Verbindung<br />

sind" 62 - und damit nicht identisch mit dem Ikon, dessen Effekt in der Bildähnlichkeit,<br />

nicht notwendig in der materialen Verbindung entsteht. <strong>Der</strong> Index ist von seinem<br />

Gegenstand tatsächlich betroffen, teilt dessen Qualität (mit). Gilt diese Affektion, die auch<br />

<strong>im</strong> nicht-semantischen Raum dennoch einen Bezug zwischen Zeichen (besser: Signal) und<br />

Objekt herstellt, auch für einen elektro-medial vermittelten Impuls?<br />

Nun gilt zwar die prinzipielle binäre Codierung auch für die Registratur von Bildern.<br />

Was abgetastet werden kann, geht in den neutralisierenden Code des Digitalen ein. Da<br />

aber Bilder ohne die Erregungsräume ihrer Präsenz, die Schnittstelle von Repräsentation,<br />

Inszenierung und Rezeption mitsamt dem kontingenten Umraum der Wahrnehmung, dessen<br />

besonderes Fließen früher „Aura" genannt wurde, nicht existieren können, ist es mit<br />

dem Kriterium der errechneten Pixels offensichtlich nicht weit her. Digitale Bilder dürfen<br />

sich, obwohl sie errechenbar sind, nicht so leicht mit Daten der Information verrechnen<br />

oder der internen Verzweigungslogik des technischen Archivs einfach zurechnen lassen. 63<br />

Materialitäten der Medienkunst<br />

<strong>Der</strong> auratische <strong>Originalbegriff</strong> ist ein Dilemma für die museale Konservierung von Medienkunstwerken:<br />

„Ein Eingriff in die Technik bedeutet häufig auch eine Veränderung des<br />

authentischen Charakters einer Arbeit", und es gilt eher medienarchäologisch denn kunsthermeneutisch<br />

offenzulegen, welche Bestandteile, trotz oder gerade wegen ihrer überholten<br />

technischen Struktur (Benjamins Begriff der Patina) „in ihrer ursprünglichen Konfiguration<br />

erhaltenswert erscheinen oder von ihrer medienhistorischen Aura maßgeblich<br />

profitieren". 64<br />

Liegt die Originalität <strong>im</strong> Falle von Medienkunst nicht länger <strong>im</strong> Wesen des Kunstwerks,<br />

sondern in der Physik des Apparats? David Morley insistiert <strong>im</strong> Sinne der cultural<br />

studies auf den ,, v physics' of television, focusing on the largely unexamined significance<br />

of the television set itself (rather than the programmes it shows), both as a material and<br />

as a symbolic, if not totemic, object" 65 . Den Untersuchungen zu Fernsehen als Möbelstück<br />

gegenüber meint Medienarchäologie mit der Physik des Fernsehens seine technischen<br />

Bedingungen. 1878 schlägt der portugiesische Physiker Adriano de Paiva vor, Selen zu<br />

benutzen, um die Helligkeitswerte eines Bildobjekts in entsprechende Stromstärkegrade<br />

umzuwandeln. Videokünstler wie Nam June Paik und Bill Viola rücken ausdrücklich die<br />

Physik ihres Mediums in den Vordergrund: „hearing sound and watching movement and<br />

light is a very physical experience". 66<br />

An die Materialität des Videos erinnert der Medienkünstler Ach<strong>im</strong> Mohne, indem er<br />

für seine Installation MediaRecycling (Videoskulptur, Gesellschaft für aktuelle Kunst, Bremen<br />

1999) das während der Fernsehaufzeichnung vom Rekorder nicht aufgerollte, sondern<br />

„ausgespuckte" Band als Rohstoff zur Ausstellung bringt, „als Original in einem<br />

künstlerischen Prozess, der das Band gleichzeitig als Material, Körper, Zeichenträger und<br />

Skulptur versteht" 67 . Die Entdeckung dieser Materialität aber ist, nach einer Epoche der<br />

technischen Moderne, die ihre technischen Bedingungen gerade <strong>im</strong>mer als diss<strong>im</strong>ulatio<br />

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