Der Originalbegriff im Zeitalter virtueller Welten - Medienwissenschaft
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artis zum Verschwinden zu bringen trachtete, damit die audiovisuelle Illusion in der<br />
Wahrnehmung der Betrachter überhaupt funktioniert, schon ein Zeichen des Untergangs:<br />
<strong>Der</strong> Videorekorder ist tot, getötet durch tv on demand. Es wird keine Rekorder mehr geben,<br />
es wird keine Kassetten mehr geben, keine Regale mit liebevoll gestalteten Hüllen,<br />
keine Videotheken, keinen Bandsalat 68<br />
Drastisch erinnert das Video-Scratching an die Materialität des Mediums; hier wird<br />
<strong>im</strong> Reich des Visuellen praktiziert, was aus der Welt des Venyl für Disc-Jockeys längst vertraut<br />
ist. Durch Rückkopplung entstehen Bilder, die das Auge verletzen. <strong>Der</strong> VJ Safy (Assaf<br />
Etiel, Israel) zeigt in Berlin regelmäßig Live Scratchworks: mit verschiedenen beschädigten,<br />
stehenbleibenden Laserplayem (Bild und Ton). Das Verhältnis von Signifikant und<br />
Signifikat (Videoclips) wird damit ausgehebelt-Arbeit der Entsemantisierung; Bedeutung<br />
wird hier selbst zum (medial-archäologischen) Material: Arbeit mit dem Vorgefundenen<br />
(also der Datenmanipulation des Speichers).<br />
Archäologie <strong>im</strong> Cyberspace: Bildgebung statt Reproduktion von Vorgegebenem<br />
An die Stelle der Reproduktion rückt die Generierung von virtuellen Bildern, wie in der<br />
elektronischen Rekonstruktion der ältesten neolithischen Stadt Catalhüyük: There is no<br />
memory in dem Sinne, dass „Gedächtnis" selbst nur noch eine Metapher für vielmehr<br />
synchrone Vorgänge ist, eine Art Rückübersetzung elektronischer Verhältnisse in die Tradition<br />
unserer Begriffswelt. „Das Vergangene ist per Videostanze wieder da, konkret sehbar,<br />
nicht mehr in Zeit und Raum, eben Geschichte, eingebunden" - der Angriff einer computergenerierten<br />
Gegenwart auf die übrige Zeit. 69<br />
Die Zeit aber schlägt zurück: Die virtuelle Konstruktion der Kathedrale von Cluny<br />
verweist in besonderer Weise auf die Probleme der Langzeitverfügbarkeit von digital gespeicherten<br />
Daten. Bereits verlorengegangen konnte sie mit Hilfe konstenaufwendiger<br />
Updatingverfahren (vorläufig) vor dem digitalen Gedächtnisverlust bewahrt werden. 70<br />
Es kommt zu hybriden Allianzen von realem und virtuellem Ort <strong>im</strong> Cyberspace. Die<br />
Präsentation der virtuellen Rekonstruktion der antik-römischen Militärkolonie Colonia Ulpia<br />
Trajana, die in Zukunft <strong>im</strong> Archäologischen Park Xanten zu sehen sein wird, konfrontiert<br />
uns mit einem Paradox: am originalen Ort die virtuelle Rekonstruktion zu begehen.<br />
Eine Chance liegt hier darin, die Differenz zwischen realer archäologischer Lage und hypothetischer<br />
Rekonstruktion sichtbar machen zu können. Das geht aber nicht an einem<br />
Ort, der selbst schon ein Modell ist.<br />
Hat das Original als archäologisches Artefakt <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> digitaler Ausstellbarkeit<br />
ausgedient? Archäologie war die längste Zeit schon virtuell. Die virtuelle Archäologie tritt<br />
nicht erst in der Epoche digitaler Medien an die Stelle der unmittelbaren Anschauung. Archäologie<br />
hat selbst einmal mehr <strong>im</strong> Raum des Virtuellen - nämlich unter dem Pr<strong>im</strong>at der<br />
antiken Texte - denn <strong>im</strong> Raum der Originale gearbeitet; in hohem Maße operierte die mediale,<br />
nämlich textvermittelte Antike(n)rezeption als virtuelle Welt, in hohem Maße unabhängig<br />
vom Gegenstand. Erst mit j. j. Winckelmann tritt die Autopsie des Originals vehement<br />
an die Stelle des Studiums von Reproduktion. G. E. Lessing konnte sich etwa mit<br />
der antiken Skulpturengruppe des Laokoon in seiner gleichnamigen Streitschrift von 1766<br />
noch ausschließlich auf der Grundlage einer Kupferstichreproduktion des Objekts ausein-<br />
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