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Der Originalbegriff im Zeitalter virtueller Welten - Medienwissenschaft

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Bild die bildliche Aufzeichnung nicht mehr invariabel in einen Träger, das Negativ, eingebettet,<br />

sondern stets „fließend". Nicht erst in einem zweiten Schritt, ausgehend vom fixierten<br />

Negativ, sondern zu jedem Zeitpunkt können be<strong>im</strong> digital gespeicherten „Bild"<br />

Veränderungen vorgenommen werden, das insofern die Best<strong>im</strong>mung eines „originalen"<br />

Zustands nicht ermöglicht. Aufzeichnungszustand und eine nachträgliche Veränderung,<br />

die <strong>im</strong> photographischen Prozess noch unterschieden werden können, fallen be<strong>im</strong> digital<br />

gespeicherten „Bild" zusammen 102 - wobei es sich tatsächlich nur noch um permanente<br />

Zwischenspeicherung handelt. <strong>Der</strong> Ausfall eines materiellen Originals ist der Anfang des<br />

virtuellen Bildes - insofern virtuell Zustände meint, die nirgendwo, wenn nicht innerhalb<br />

des elektronischen Raums existieren; eine Differenz also zum Video- und Fernsehbild, das<br />

zwar nicht minder elektronisch fl<strong>im</strong>mert, aber durch seine Referenzialität auf Lichtquellen<br />

außerhalb seiner selbst angewiesen ist - außer <strong>im</strong> Rauschen. Digitale Bilder sind also<br />

nicht mehr analog zu photographischen Dokumenten zu lesen, sondern als Verbildlichung,<br />

Visualisierung einer mathematischen Struktur, von Algorithmen nämlich. <strong>Der</strong>en Abbild<br />

sind sie in der Tat - Photographien von inneren Maschinenzuständen zweiter Ordnung<br />

sozusagen. <strong>Der</strong> Verlust des Originals findet schon <strong>im</strong> Prozess der elektronischen<br />

(Trans-)Skription statt, wenn nämlich alles Dazwischen von ο und ι fortfällt (dem suchte<br />

Gotthard Günther eine mehrwertige Logik entgegenzustellen); hier kommt der technische<br />

Unterschied zwischen Raster- und vektorgraphischem Bildschirm ins Spiel.<br />

Im Digitalen sind die Bestandteile einer Datei diskrete Zustände. Das bedeutet<br />

für digitale Bilder: Es gibt nichts zwischen einem Pixel und den angrenzenden Pixeln. Diskrete<br />

Zustände sind für den Menschen aber sinnlich nicht erfahrbar; die Physis seines<br />

Wahrnehmungsapparates und auch seines Körpers ist vom Analogen, kontinuierlich ineinander<br />

Übergehenden gekennzeichnet. Das Digitale kommt also einher mit einem Verschwinden<br />

des Körpers darin. 103<br />

Gerade am (anderen) Ende dieser Austreibung aber erfolgt das re-entry des Körpers:<br />

Da seine Absicht ist, der Materialität des Pixels auf den Grund zu gehen, besteht<br />

Andreas Menns medienarchäologische Konsequenz darin, zunächst jedes Pixel eigenhändig,<br />

also mit dem eigenen Körper, zu produzieren. Dem Erscheinen seines Körpers <strong>im</strong> Bild<br />

vor einer digitalen Kamera entspricht „1", seinem Verschwinden „o". Er wird von der Kamera<br />

gescannt - mithin also getaktet. Und so heisst die aus den Bildern seines Körpers<br />

als Pixelmenge geformte Schrift, mit Abstand betrachtet, als Satz: „Ich möchte nur noch<br />

digital arbeiten" (also leben in diskreten Zuständen, ergänze ich) (Abb. 15).<br />

Angesichts des Virtuellen - also des nur <strong>im</strong> elektronischen Raum Stattfindenden -<br />

wird die klassische Unterscheidung von Original und Kopie obsolet. „Virtuell heisst: sichtbar,<br />

aber nicht existent." 104 Was heisst das nun für die Archivierung von Videokunst? Für<br />

Dan Grahams Video-Installation, deren Hardware verlorengegangen ist, gilt jedenfalls,<br />

dass der Computer dieselbe jetzt zu emulieren vermag, die frühen reel-to-reel Videodecks.<br />

Das eine ist die Speicherung der Medienkunstwerke, das andere, mit ihnen wieder<br />

zu arbeiten. Die musealen Arbeits- und Ausstellungsversionen sind als digitale Emulation<br />

denkbar 105 ; das videotechnische Original verbleibt in Reserve, als stillgestellte Autorisierung<br />

derselben. Was wird mit künstlerisch gestalteten Webpages geschehen, <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong><br />

jenseits des Internet?<br />

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