Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
und ehren zwar ihre rei<strong>ch</strong> gewordenen Bürger bzw. Vorfahren, do<strong>ch</strong><br />
sobald das Reizwort «Sklaverei» genannt wird, s<strong>ch</strong>liessen si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>nell<br />
die Gemeinde- und Familienar<strong>ch</strong>ive (zum Beispiel in Neuenburg, Basel<br />
etc.). Dass au<strong>ch</strong> einige S<strong>ch</strong>weizer Unternehmen mit Tausenden<br />
von Sklaven handelten, ist für viele etwas Neues und den Na<strong>ch</strong>fahrInnen<br />
oft mehr als unangenehm. So waren beispielsweise ein halbes<br />
Dutzend Basler Firmen zwis<strong>ch</strong>en 1783 und 1818 an etwa 71 Sklavenhandelsexpeditionen<br />
beteiligt, mit denen etwa 22 350 Mens<strong>ch</strong>en aus<br />
Afrika vers<strong>ch</strong>leppt wurden. Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf staatli<strong>ch</strong>er Seite war man<br />
an Profit interessiert: Der Staat Bern war 1723 der grösste Aktionär<br />
der sklavenhandelnden «South Sea Company», wel<strong>ch</strong>e ab 1713 den<br />
«Asiento de Negros» besass – einen exklusiven Monopolvertrag über<br />
die Lieferung von SklavInnen na<strong>ch</strong> Spanis<strong>ch</strong>-Amerika, der unter anderem<br />
beinhaltete, dass während dreissig Jahren jährli<strong>ch</strong> 4 800 SklavInnen<br />
geliefert werden sollten.<br />
Sklaverei war immer au<strong>ch</strong> mit Rassismus und widerli<strong>ch</strong>en Rassentheorien<br />
verbunden. Vers<strong>ch</strong>iedenste S<strong>ch</strong>weizer, die ges<strong>ch</strong>äftli<strong>ch</strong>,<br />
wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> oder privat Sklaverei-Staaten bereisten, «beglückten»<br />
(ähnli<strong>ch</strong> wie in den 1980ern S<strong>ch</strong>weizer Ges<strong>ch</strong>äftsleute bezügli<strong>ch</strong><br />
der südafrikanis<strong>ch</strong>en Apartheid) ihre Zeitgenossen und die Na<strong>ch</strong>welt<br />
mit Sklaverei-Re<strong>ch</strong>tfertigungen und rassistis<strong>ch</strong>en «Theorien». (Auguste<br />
Forel, Louis Agassiz, Johann Caspar Lavater, Carl Ludwig von<br />
Haller etc.). Mit der Firma Nestlé tau<strong>ch</strong>t zudem eine alte Bekannte<br />
in Sa<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsverletzungen auf. Wie andere Kakao- und<br />
Zuckerimporteurinnen (Su<strong>ch</strong>ard, Cailler etc.) profitierte au<strong>ch</strong> Nestlé<br />
von den Sklavereiprodukten Kakao und Zucker aus dem «s<strong>ch</strong>warzen<br />
Atlantik». Na<strong>ch</strong> 1888 war dann die S<strong>ch</strong>okolade «sklavereifrei» – theoretis<strong>ch</strong><br />
zumindest. Und heute? 2002 findet man Nestlé zusammen<br />
mit der übrigen Kakao- und S<strong>ch</strong>okoladenindustrie, mit Gewerk-<br />
s<strong>ch</strong>aftern und Ni<strong>ch</strong>tregierungsorganisationen in der «International<br />
Cocoa Initiative» mit Sitz in Genf. Na<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>ütternden Beri<strong>ch</strong>ten<br />
über Zehntausende von Kindersklavinnen und -sklaven, wel<strong>ch</strong>e in<br />
der Elfenbeinküste in der Kakaoernte bes<strong>ch</strong>äftigt waren, und na<strong>ch</strong><br />
Hinweisen auf einen eigentli<strong>ch</strong>en Kindersklavenhandel in Westafrika<br />
sollen bis 2005 spürbare Verbesserungen in Sa<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten<br />
und Arbeitsre<strong>ch</strong>t erzielt werden. Kevin Bales, der Autor von<br />
«Disposable People» (dt. «Die neue Sklaverei»), belegt mit Studien<br />
aus Lateinamerika, Afrika und Asien, dass die Sklaverei auf der Welt<br />
gar nie wirkli<strong>ch</strong> abges<strong>ch</strong>afft wurde und dass si<strong>ch</strong> die Sklaverei des<br />
21. Jahrhunderts «als viel profitabler erweist als die vor 200 Jahren,<br />
weil die ‹Ware Mens<strong>ch</strong>› im Überfluss vorhanden ist.» 27 Millionen<br />
Mens<strong>ch</strong>en sollen heute in Sklaverei oder sklavereiähnli<strong>ch</strong>en Lebens-<br />
und Arbeitsbedingungen existieren.<br />
Während Sklavenprofit-Städte wie Liverpool si<strong>ch</strong> heute mit ihrer<br />
Rolle in der Sklaverei auseinandersetzen, tun si<strong>ch</strong> die ehemalige Teilzeitkolonialma<strong>ch</strong>t<br />
S<strong>ch</strong>weiz und die damals beteiligten Städte Neuenburg,<br />
Basel und Bern damit oft sehr s<strong>ch</strong>wer. Die SVP wiederum<br />
wittert überall Wiedergutma<strong>ch</strong>ungs- und Ents<strong>ch</strong>ädigungsklagen aus<br />
dem bösen Fagan-Amerika. Der Bu<strong>ch</strong>autor Hans Fässler zur hierzulande<br />
fast unbekannten Forderung na<strong>ch</strong> Wiedergutma<strong>ch</strong>ung: «Die<br />
Forderung na<strong>ch</strong> Wiedergutma<strong>ch</strong>ung ist seitens der s<strong>ch</strong>warzen Gemeins<strong>ch</strong>aften<br />
rund um den Atlantik längst gestellt. 2001 haben si<strong>ch</strong><br />
die afrikanis<strong>ch</strong>en NGOs in Durban in einer pointierten Erklärung für<br />
Reparationen an die Opfer der ‹ungebro<strong>ch</strong>enen Kette von Sklaverei,<br />
Kolonialismus, Fremdbesetzung, Apartheid und Rassendiskriminierung›<br />
ausgespro<strong>ch</strong>en». Eine Forderung, die au<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>weiz einiges<br />
angeht.<br />
Büro gegen finstere Zeiten Bern<br />
158 159<br />
CHATEAU DE JOUX