Jedes Kind braucht seine Zeit - Kinder- und Jugendhilfe Backhaus
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Ein Jäger machte sich mit <strong>seine</strong>r Frau <strong>und</strong> <strong>seine</strong>m<br />
kleinen Sohn auf den Weg ins Gebirge, um die Sonne<br />
zu suchen. Der Jäger hatte die Sonne jeden Tag<br />
hinter dem hohen Felsen leuchten sehen. Dort hinauf<br />
wollte er mit <strong>seine</strong>r Frau <strong>und</strong> dem <strong>Kind</strong> steigen.<br />
Sie gingen erst durch einen lichten Wald. Die Hasen,<br />
Rehe <strong>und</strong> Füchse schauten ihnen nach <strong>und</strong><br />
fragten sich: Wo wollen die Menschen hin? Was<br />
suchen sie?<br />
Der Vater schaute zielbewusst nach vorn <strong>und</strong> schritt<br />
kräftig aus.<br />
Die Mutter ging etwas unsicher <strong>und</strong> war besorgt,<br />
ihre Kleider <strong>und</strong> Schuhe nicht zu beschmutzen oder<br />
zu zerreißen. Der kleine Junge hüpfte frohgemut<br />
voran. Und wenn er einen Hasen oder ein Reh entdeckte,<br />
rief er ihnen zu: „Wir wandern zur Sonne!“<br />
Manchmal schauten der Vater <strong>und</strong> die Mutter auf,<br />
beschatteten die Augen mit der Hand <strong>und</strong> schauten<br />
in die Sonne, die hoch oben über dem Felsen stand<br />
<strong>und</strong> sie seufzten: „Ach, der Weg ist noch so weit.“<br />
Dann gingen sie ohne Pause zu machen oder rechts<br />
<strong>und</strong> links zu schauen weiter.<br />
Der kleine Junge schaute nicht in die Sonne, er<br />
schaute auf den Weg. Er sah viele schöne Steine<br />
<strong>und</strong> die glänzten <strong>und</strong> blitzten in der Sonne. Der Junge<br />
staunte <strong>und</strong> fragte die Steine: „Ist denn die Sonne<br />
in euch?“ Aber er konnte die Antwort nicht abwarten,<br />
denn die Eltern waren schon weit voraus <strong>und</strong><br />
mahnten zur Eile. Er sah auch viele schöne bunte<br />
Blumen. Und wenn die Blumen so schön gelb leuchteten,<br />
fragte er wieder, ob vielleicht die Sonne in<br />
ihnen wäre. Aber die Eltern wollten nichts davon<br />
hören. Sie zeigten in die Sonne hinter dem Felsen<br />
<strong>und</strong> meinten, sie müssten sich beeilen, der Weg sei<br />
noch weit! Und sie merkten gar nicht, dass es so<br />
recht nach Sonnenschein roch, von den vielen Kräutern<br />
rings umher. Aber die Füße des Jungen waren<br />
noch klein <strong>und</strong> sie waren bald müde geworden. Da<br />
hängte er sie in einen klaren Gebirgsbach, der munter<br />
vorbeiplätscherte. Und er sah in dem sprudelnden<br />
Wasser die Sonne glitzern <strong>und</strong> fragte das Wasser,<br />
ob denn in ihm die Sonne wäre. Aber Vater <strong>und</strong><br />
Mutter gönnten ihm keine lange Pause <strong>und</strong> er konnte<br />
die Antwort gar nicht abwarten – er musste weitergehen.<br />
Dann kamen sie in einen dunklen Wald. Die Eltern<br />
sagten, dass nun das Ziel bald erreicht wäre. Der<br />
Junge hüpfte nicht mehr, er war müde. Es roch auch<br />
immer weniger nach Sonnenschein, die Blumen<br />
leuchteten nicht mehr, das Wasser gluckste nur<br />
dumpf <strong>und</strong> dunkel dahin <strong>und</strong> die Steine sahen grau<br />
<strong>und</strong> glanzlos aus. Endlich, endlich waren sie auf der<br />
Die <strong>Zeit</strong> ist eine gute Lehrmeisterin. Schade ist nur,<br />
dass sie alle ihre Lehrlinge umbringt. Curt Goetz<br />
Der Weg zur Sonne<br />
Zitate<br />
Bergspitze angekommen. Sie hatten ihr Ziel erreicht!<br />
Aber da war es dunkel, die Sonne war untergegangen.<br />
Der Mann war sprachlos, er konnte es nicht fassen.<br />
Hatte die Sonne nicht hinter dem Felsen gestanden?!<br />
Er hatte es doch genau gesehen. Die Frau<br />
war mürrisch <strong>und</strong> zeterte, sie hätte es doch gleich<br />
gesagt. Ihre Schuhe seien kaputt, die Kleider zerrissen<br />
<strong>und</strong> wofür das alles? Der Junge sagte nichts. Er<br />
war müde <strong>und</strong> traurig. Er legte sich hin, Tränen rollten<br />
ihm über das Gesicht. Er schloss die Augen, <strong>und</strong><br />
es dauerte nicht lange, da war er eingeschlafen. Da<br />
kamen mit einemmal die Steine anspaziert <strong>und</strong> sagte:<br />
„Sei nicht traurig! Schau dich nur genau an.“ Und<br />
als er sich anschaute, sah er, dass es in ihm genauso<br />
glitzerte, wie die Steine im Sonnenschein. Und<br />
die Blumen trippelten hinterdrein <strong>und</strong> sagten: „Schau<br />
dich genau an!“ Und da sah er, dass es aus ihm<br />
leuchtete, wie die Blumen im Sonnenschein. Da kam<br />
auch das Wasser <strong>und</strong> forderte ihn auf, sich anzuschauen.<br />
Da merkte er, dass es in ihm floss, sprudelte<br />
<strong>und</strong> funkelte. Er stand auf <strong>und</strong> schaute um sich<br />
– es war nicht mehr dunkel.<br />
Er stand da <strong>und</strong> erhellte die Welt.<br />
Ob der Mann noch immer sprachlos dasteht <strong>und</strong> die<br />
Frau weiterzankt oder ob sie zurückgegangen sind,<br />
das weiß ich nicht.<br />
Verfasser unbekannt<br />
Stellen Sie sich jetzt nicht die Frage, warum es ausgerechnet<br />
ein Jäger ist?<br />
- Vielleicht weil er eine Machtposition darstellt?<br />
Oder warum ist <strong>seine</strong> Frau eine pikfeine Dame?<br />
- Vielleicht ist sie sich Selbst am Wichtigsten?<br />
- Schaut sie nur auf das äußerliche Erscheinungsbild?<br />
Der kleine Junge aber, sieht die schönen Dinge<br />
im Leben, er schaut nicht nur in die Luft, er beobachtet<br />
die Umwelt <strong>und</strong> eigentlich benötigt er<br />
doch noch viel mehr <strong>Zeit</strong> all die w<strong>und</strong>ervollen<br />
Dinge auf dem Weg zur Sonne zu finden, oder?<br />
Durchblick mit <strong>Kind</strong>eraugen…<br />
Literatur:<br />
Unterrichtsmaterial FSP I<br />
Fachschule für Sozialpädagogik<br />
Astrid Stagge<br />
Erzieherin Kleinstheim<br />
GfS Emsland<br />
Verbringe nicht die <strong>Zeit</strong> mit der Suche nach einem<br />
Hindernis. Vielleicht ist keines da. Franz Kafka<br />
Ausgabe 76 13 KIM