Jedes Kind braucht seine Zeit - Kinder- und Jugendhilfe Backhaus
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deutlich machen, was sein muss <strong>und</strong> was nicht geht,<br />
wenn man die Zukunftsvorstellungen von Clemens<br />
berücksichtigt.<br />
c) Erziehungsleiterin <strong>und</strong> Profimutter übernehmen<br />
sofort Verantwortung. Sie wenden Energie <strong>und</strong> <strong>Zeit</strong><br />
auf <strong>und</strong> zeigen damit, dass ihnen der weitere Weg<br />
von Clemens auf gar keinen Fall gleichgültig ist. Und<br />
dass ihnen die Unterrichtssituation ebenso wenig<br />
gleichgültig ist. Dadurch ziehen sie alle beteiligten<br />
zuständigen Erwachsenen mit hinein in eine Verantwortung<br />
zugunsten von Clemens, ausgehend von<br />
der Vermutung, dass es zwischen allen eine annäherungsweise<br />
ähnliche pädagogische Wert- <strong>und</strong><br />
Zielvorstellung gibt.<br />
Solche Haltung zu aktualisieren <strong>und</strong> entsprechendes<br />
Verhalten auf den Weg zu bringen, war nur möglich<br />
in Gesprächen zu dem <strong>Zeit</strong>punkt frisch nach dem<br />
Vorfall. Tage später hätte sich die anfängliche Meinung<br />
auf Seiten der Schule ‚wie lange sollen wir das<br />
alles aushalten, dafür sind wir nicht mit den notwendigen<br />
pädagogischen Mitteln ausgestattet' vermutlich<br />
längst verfestigt.<br />
In unserem Fallbeispiel allerdings führte die Geschwindigkeit<br />
zur Flexibilität des konstruktiven Mitdenkens<br />
auf allen Seiten.<br />
Clemens betreffend konnte den Schulpädagogen<br />
gegenüber deutlich gemacht werden, dass <strong>seine</strong><br />
innere Uhr phasenweise anders tickt als der Organisations-<br />
<strong>und</strong> <strong>Zeit</strong>ablauf der Schule. Er <strong>braucht</strong> viel<br />
mehr <strong>Zeit</strong> <strong>und</strong> Lebensenergie als die meisten anderen<br />
<strong>Kind</strong>er, um in einer gr<strong>und</strong>legend für ihn veränderten<br />
Situation wieder neu Vertrauen fassen zu<br />
können, denn gr<strong>und</strong>sätzlich erlebt er neue Umstände<br />
<strong>und</strong> neue Gesichter zunächst einmal als gegen<br />
sich gerichtet. Die Sozialpädagogen erkennen an<br />
<strong>und</strong> verstehen, dass eine Schule "nicht ewig" abwarten<br />
kann, bis ein <strong>Kind</strong> sich wieder einklinkt. Deswegen<br />
arbeiten sie mit Nachdruck daran, Clemens'<br />
Wahrnehmungsfähigkeit <strong>und</strong> Wahrnehmungsbereitschaft<br />
für ihm entgegengebrachte Wertschätzung in<br />
der Schule stärken, nachdem alle anerkennen, dass<br />
er mehr <strong>Zeit</strong> als andere benötigt, um Vertrauen zu<br />
gewinnen. Mehr <strong>Zeit</strong> wird er überhaupt brauchen,<br />
nicht nur hier.<br />
Weiter übernehmen die Sozialpädagogen die Verantwortung<br />
dafür, der Klassenlehrerin anhand der<br />
Vorgeschichte von Clemens zu erklären, dass mit<br />
den Anfeindungen <strong>und</strong> der Ablehnung nicht sie ge-<br />
meint ist. Man kann sichtbar machen, in welcher<br />
Weise sie zur Projektionsfläche zum Abarbeiten<br />
alter Traumata wurde. Auch kann man ihr vorschlagen,<br />
Clemens zu helfen, sich von <strong>seine</strong>r ‚alten Geschichte'<br />
zu befreien. Bei spürbaren Änderungen<br />
<strong>seine</strong>s Verhaltens kann er überdies mit den ihm von<br />
der Freizeit her vertrauten Anerkennungen („Sonnen")<br />
belohnt werden.<br />
Sodann wird Clemens zukünftig regelmäßig von der<br />
von ihm hochgeschätzten <strong>und</strong> respektierten Erziehungsleiterin<br />
zuhause besucht werden. Dabei wird<br />
dann sein Verhalten besprochen <strong>und</strong> mit ihm bilanziert.<br />
Clemens ist als handelndes Subjekt (nicht zu behandelndes<br />
Objekt) in den Steuerungsprozess <strong>seine</strong>s<br />
Lebens einbezogen, indem er weiß: „Ich will in<br />
dieser Familie leben, ich will meine Fre<strong>und</strong>e in der<br />
Schule nicht verlieren. Und eigentlich gehe ich gern<br />
zur Schule."<br />
Er weiß auch, dass ihm alle helfen wollen, <strong>seine</strong><br />
ausfälligen Attacken zu überwinden, damit er gemäß<br />
<strong>seine</strong>m Willen leben kann. Aber das handelnde Subjekt<br />
ist er selbst, <strong>und</strong> alles wird dann zu dem von<br />
ihm gewünschten Ziele kommen, wenn er eine Veränderung<br />
<strong>seine</strong>s Verhaltens will <strong>und</strong> mit Hilfe bewerkstelligt.<br />
Hilfe ist von außen möglich, der Wille<br />
zur Erreichung <strong>seine</strong>s Zieles <strong>und</strong> zur Verhaltensänderung<br />
muss in ihm selbst angelegt sein.<br />
Alles wird <strong>seine</strong> <strong>Zeit</strong> brauchen, <strong>seine</strong> Clemens-<strong>Zeit</strong>.<br />
Und die wird zunächst nicht unbedingt übereinstimmen<br />
mit dem Rhythmus der Schule. Aber nun werden<br />
alle Erwachsenen soweit ihnen das irgend möglich<br />
ist, acht geben, dass Clemens auf <strong>seine</strong>m Weg<br />
zum guten Ziel Raum <strong>und</strong> <strong>Zeit</strong> gegeben wird.<br />
Die Klassenlehrerin hat ihm ihre Wertschätzung<br />
deutlich, aber nicht erdrückend, übermittelt <strong>und</strong> wird<br />
das weiter tun.<br />
Und Clemens hat sich murmelnd, aber verstehbar,<br />
bei ihr für <strong>seine</strong> Beleidigungen entschuldigt <strong>und</strong> ihr<br />
ein selbstgemaltes Bild geschenkt.<br />
<strong>Jedes</strong> <strong>Kind</strong> <strong>braucht</strong> <strong>seine</strong> <strong>Zeit</strong>, insbesondere<br />
der kleine Clemens.<br />
Helga Treblin<br />
Erziehungsleiterin<br />
GfS Aurich<br />
Muße - was ist das <strong>und</strong> wie geht das?<br />
Beim Recherchieren zu dem Thema „<strong>Zeit</strong>“ habe ich<br />
einen interessanten Artikel in der ZEIT ONLINE -<br />
Wissen: „Die Wiederentdeckung der Muße“ gef<strong>und</strong>en.<br />
Der Autor bezeichnet die Muße als „Pausen des<br />
Geistes“ <strong>und</strong> beschreibt wie wichtig diese Pausen<br />
sind. „Wenn er sich zum Mittagschlaf zurückzog,<br />
hängte der französische Dichter Saint-Pol-Roux an<br />
<strong>seine</strong> Tür das Schild ‚Poet bei der Arbeit‘. Denn er<br />
wusste: Müßiggang ist aller Ideen Anfang. Wirklich<br />
schöpferische Einfälle kommen einem am ehesten<br />
Ausgabe 76 5 KIM