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Seele aus der Balance - BMBF

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5 EINFÜHRUNGMit an<strong>der</strong>en Augen: Zwei Betroffene berichten,wie Unverständnis alles noch schlimmer machtPsychische Störungen sind immer nochein gesellschaftliches Tabu-Thema. Wiesehr Menschen, <strong>der</strong>en <strong>Seele</strong>nleben ernsthaft<strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Balance</strong> geraten ist, Vorurteileihrer Umwelt fürchten, hat zuletzt<strong>der</strong> Selbstmord des unter Depressionen leidendenFußballspielers Robert Enke deutlichgemacht. Tuula und Ralf sprechen über ihrLeben mit einer psychischen Störung, damitan<strong>der</strong>en Betroffenen das zuteil wird, woranes ihnen oft gemangelt hat: Verständnis fürihre Krankheit und <strong>der</strong>en Auswirkungen aufdas alltägliche Leben. Sie stehen stellvertretendfür Millionen Menschen in Deutschland,die erkrankt sind – nicht an Herz,Lunge o<strong>der</strong> Leber, son<strong>der</strong>n seelisch.„Nach mehr als 20 Jahren kenne ich die innerenKlippen, die ich umschiffen muss“, sagt Tuula. Siespricht sehr ruhig. Jetzt mit 57, so scheint es, ist sieim Reinen – mit sich und einer Erkrankung, diediagnostiziert wurde als Schizoaffektive Psychose,eine psychische Störung, die Symptome <strong>der</strong> Schizophrenieund <strong>der</strong> manisch-depressiven Störungvereint. Angefangen habe alles 1985. Tuula, dieals Siebzehnjährige <strong>aus</strong> Finnland nach Hamburggekommen war, studierte Sozialpädagogik: „Ichleistete mein Anerkennungsjahr in einer Schulefür Blinde und Sehbehin<strong>der</strong>te. Gleichzeitig war ichschwanger. Täglich arbeitete ich mit Kin<strong>der</strong>n, dieFrühgeburten waren und im Brutkasten erblindetwaren. Ich hatte Angst, mein Kind kommt auchzu früh auf die Welt. Dazu kam <strong>der</strong> Druck durchmeine Abschlussprüfung.“ Medizinische Komplikationenführten schließlich dazu, dass Tuula nichtwie geplant ihr Kind ambulant, son<strong>der</strong>n in einerKlinik ohne ihre vertraute Hebamme entbindenmusste. „Ich hatte Bluthochdruck und kam gegenmeinen Willen ins Krankenh<strong>aus</strong>. Dort fühlte ichmich dem Personal <strong>aus</strong>geliefert und hatte zu niemandemVertrauen.“ Dann habe sie „phobischeÄngste“ bekommen und sei „langsam in einean<strong>der</strong>e Realität verrückt“. Schließlich vermutete siesogar, man wolle ihr das Kind wegnehmen o<strong>der</strong> sieumbringen. Kurz darauf kam Tuula zum ersten Malin eine psychiatrische Klinik. Zwar wurde sie nachnur einem Tag wie<strong>der</strong> entlassen und mithilfe ihrerHebamme hat sie sich auch um ihr Kind kümmernkönnen. Dennoch hatte sich die Erkrankung unwi<strong>der</strong>ruflichwie ein Schatten auf ihr Familien lebengelegt: Gespräche über die Psychose seien mitihrem Mann, <strong>der</strong> Schwiegermutter und <strong>der</strong> Schwägerinnicht möglich gewesen, sagt sie.Jahre später kam es zum endgültigen Bruch:Tuula lebte inzwischen mit Mann und den beidenKin<strong>der</strong>n in Finnland. (Ihr zweites Kind war mittlerweileohne Komplikationen zur Welt gekommen.)„Wir zogen nach Finnland, weil dort die Berufs<strong>aus</strong>sichtenfür mich besser waren. Ich wurde zurHauptverdienerin, mein Mann blieb zu H<strong>aus</strong>e. Ichhabe anfangs alles gewuppt: Umzug, Behördengänge,Arbeit.“ Die Arbeit sei jedoch sehr belastendgewesen: Tuula arbeitete in <strong>der</strong> Familienhilfe, warzuständig für „heftige Fälle“. „Das hat meine <strong>Seele</strong>nicht verkraftet. Ich konnte mich nicht abgrenzenund war überfor<strong>der</strong>t. Dann driftete ich erneut ab.“Wahnvorstellungen führten zu „komischen Reaktionen“– und schließlich dazu, dass Tuula wie<strong>der</strong> ineine psychiatrische Klinik musste. „Meine Psychosewar für die gesamte Familie eine tiefe Erschütterung.Mein damaliger Mann war mit <strong>der</strong> Situationebenso überfor<strong>der</strong>t wie ich. Aus Pflichtgefühl fingich viel zu früh wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Arbeit an und erlitteinen Rückfall.“ Während sie mehrere Wochen in<strong>der</strong> psychiatrischen Klinik war, sei ihr Mann Halsüber Kopf mit den Kin<strong>der</strong>n nach Hamburg gezogen.1993 folgte die Scheidung. Das Sorgerechtwurde ihrem Mann zugesprochen. Aufgrund ihrerpsychischen Erkrankung habe sie vor Gericht keineChance gehabt, sagt Tuula.Seit 15 Jahren hat sie keine psychotischen Episodenmehr. Ihre Kin<strong>der</strong> sind erwachsen und haltenKontakt zu ihr. Seit neun Jahren hat sie einenneuen Partner. Heute sieht sich Tuula als Dolmetscherinzwischen Betroffenen, <strong>der</strong>en Angehörigenund professionellen Helfern. Deshalb engagiere sie

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