43 MECHANISMEN, URSACHEN UND AUSLÖSEROrgan mit <strong>Seele</strong> – Das GehirnEs wiegt nur knapp 1,4 Kilogramm und istvermutlich die komplizierteste Struktur desbekannten Universums: unser Gehirn. Esbesteht <strong>aus</strong> einem Netzwerk von etwa 50bis 100 Milliarden Nervenzellen. Viele davont<strong>aus</strong>chen unablässig im MillisekundentaktSignale <strong>aus</strong>. Verbunden sind sie über Synapsen,die ständig umgebaut, verstärkt o<strong>der</strong>gelöst werden. Die dabei ablaufenden molekularenProzesse bilden die Basis für Phänomenewie Lernen und Gedächtnis – undbestimmen damit auch unsere Persönlichkeitund unser <strong>Seele</strong>nleben.Zu verstehen ist <strong>der</strong> Aufbau des Gehirns nur, wennman weiß, dass alte Strukturen im Laufe <strong>der</strong> Evolutionmeist erhalten bleiben. Sie werden lediglichumgebaut o<strong>der</strong> erweitert und dadurch kontinuierlichan neue Anfor<strong>der</strong>ungen angepasst. Vereinfachtbetrachtet liegen in den „inneren“ und„unteren“ Bereichen des Gehirns die ältesten Hirnregionen.Sie sind unter an<strong>der</strong>em für die Reflexe,Instinkte, Triebe und die Steuerung des Hormonh<strong>aus</strong>halts zuständig. Hierzu zählen <strong>der</strong> Hirnstamm(1) und Teile des Zwischenhirns (Diencephalon)mit Thalamus (2), Zirbeldrüse (Epiphyse,beeinflusst den Schlaf-Wach-Zyklus) (3), Hypothalamus(steuert Atmung und Kreislauf) (4) undHirn anhangsdrüse (Hypophyse, wichtigste Hormondrüsedes Körpers) (5). Für die feinmotorischeSteuerung von Bewegungen und das Halten desGleichgewichts ist das Kleinhirn (Cerebellum)(6) zuständig. In <strong>der</strong> Mitte des Gehirns befindetsich das Limbische System mit dem Hippocampus(7) und dem Mandelkern (Amygdala) (8). ImLimbischen System entstehen Gefühle und Stimmungen.Für die entscheidenden Unterschiedezwischen Mensch und Tier sind die oberen Regionendes Gehirns, das Großhirn (Telencephalon) unddessen äußere Schicht, die Großhirnrinde (Kortex)(9) verantwortlich. Die Großhirnrinde verarbeitetSinnesreize – das Seh- und Hörzentrum liegenhier. Sie gibt die Befehle für die willent lichen,bewussten Bewegungen, sie steuert die Spracheund ist auch <strong>der</strong> Ort, an dem komplexe Denkvorgängeablaufen.Funktionelle Einheit des Gehirns:Die NervenzelleDie Nervenzellen (Neuronen) sind die kleinstefunktionelle Einheit des Gehirns. Ihr Zellkörper(Perikaryon) (10) ist über baumartig verzweigteFortsätze (Dendrite) (11) mit etwa 20 000 an<strong>der</strong>enNeuronen verbunden. Die Dendrite sind die„Antennen“, welche die von an<strong>der</strong>en Neuronenan den Kontaktstellen (Synapsen) eintreffendenSignale in Richtung Zellkörper weiterleiten.Übersteigt die Stärke <strong>der</strong> Signale einen Schwellenwert,wird vom Zellkörper <strong>aus</strong> ein Signal zumEnde eines beson<strong>der</strong>s langen Zellfortsatzes, demAxon (12) „gesendet“. Die Axone sind die „Kabel“des Nervensystems. Jedes Neuron hat nur ein Axon,das sich aber verzweigen und mehrere knopfartigeEnden (synaptische Endknöpfchen) bilden kann.Mit Strom: Signalleitung in den NervenzellenWeitergeleitet werden die Signale in diesen„Kabeln“ auf elektrochemischem Wege. Dazu istdie „Außenhaut“ <strong>der</strong> Nervenzellen – eine Membran– gespickt mit molekularen Pumpen und Schleusen,die mal durchlässig und mal undurchlässigfür spezifische Ionen – elektrisch geladenen Atomeund Moleküle – sind. Die Pumpen sorgen dafür,dass sich auf <strong>der</strong> Außenseite mehr positiv geladeneNatriumionen befinden als im Inneren <strong>der</strong>Zelle. Die Außenseite wird sozusagen zum Pluspol,das Zellinnere zum Minuspol. Werden diese „Pole“durch das Öffnen <strong>der</strong> Schleusen (Ionenkanäle)verbunden, än<strong>der</strong>t sich kurzzeitig die elektrischeSpannung an <strong>der</strong> Zellmembran. Diese Spannungsän<strong>der</strong>ung– Aktionspotenzial genannt – reicht<strong>aus</strong>, um benachbarte Schleusen zu öffnen: Wie beieiner Reihe umfallen<strong>der</strong> Dominosteine läuft dasAktionspotenzial schließlich entlang <strong>der</strong> Membranbis zum Ende des Axons, dem synaptischen Endknöpfchen.Dort geht es – von Ausnahmen abgesehen– zwar mit Strom nicht weiter, wohl aber mitchemischen „Postboten“, die auf <strong>aus</strong>geklügelteWeise das Signal zur nächsten Zelle tragen.
MECHANISMEN, URSACHEN UND AUSLÖSER44Die Kontaktstellen des Gehirns:Die SynapsenDamit ein elektrisches Aktionspotenzial vom Endeeiner Nervenzelle zu einer benachbarten übertragenwerden kann, wird es durch eine Kette vonReaktionen in ein chemisches Signal übersetzt:Erreicht also ein Aktionspotenzial (13) ein synaptischesEndknöpfchen (14), öffnet es Ionenkanäle(15), sodass Kalziumionen (16) (blau) in die Zelleströmen. Das führt dazu, dass Vesikel (17) – zelluläreSpeicherbehälter, die mit chemischen Botenstoffen(Neurotransmittern, grün) gefüllt sind – mit<strong>der</strong> „Außenhaut“ <strong>der</strong> Zelle (Membran) verschmelzen(18). Die Botenstoffe werden dabei in den synaptischenSpalt freigesetzt. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite dessynaptischen Spalts befinden sich Empfängermoleküle(Re zeptoren) (19). Sie steuern lonenkanäle,die durchlässig für Natriumionen (rot) sind. Verbindetsich nun ein Botenstoff mit einem spezifisch zuihm passenden Rezeptor, wird <strong>der</strong> Kanal geöffnet(20). Dieses Prinzip ähnelt dem Aufschließen einerTür mithilfe eines Schlüssels. Die daraufhin in dieZelle strömenden Natriumionen lösen schließlichein neues Aktionspotenzial <strong>aus</strong> – das Signalpflanzt sich wie<strong>der</strong> elektrochemisch fort (21). Diegebundenen Botenstoffe werden nach kurzer Zeitinaktiviert – <strong>der</strong> „Schlüssel“ wird abgezogen undunbrauchbar gemacht. Dadurch schließt sich die„Tür“ wie<strong>der</strong>.An den Synapsen messbar: Lernenund GedächtnisbildungLernen und GedächtnisLernen ist <strong>der</strong> Erwerb von Informationeno<strong>der</strong> motorischen Fähigkeiten (zum BeispielSchwimmen, Klavier spielen o<strong>der</strong>Sprachen). Gedächtnis ist die Fähigkeit,diese Informationen zu speichern undals Erinnerung wie<strong>der</strong> abzurufen.Das Weiterleiten eines Signals alleine ermög lichtnoch keine komplexen Phänomene wie Lernenund Gedächtnis. Doch <strong>der</strong> Übersetzungsprozessvon einer elektrischen in eine stoffliche, chemischeForm schafft die Grundlage dafür. An<strong>der</strong>s alsbei Aktionspotenzialen, die ähnlich wie digitaleInformationen nur die Zustände 1 o<strong>der</strong> 0 – an o<strong>der</strong><strong>aus</strong> – annehmen können, kann die Stärke einesSignals in chemischer – analoger – Form kontinuierlichabgestuft und verän<strong>der</strong>t werden. Denndie Stärke des weitergeleiteten Signals entspricht<strong>der</strong> Menge <strong>der</strong> freigesetzten Neurotransmitter.Mehr noch: Die von an<strong>der</strong>en Nervenzellen an denSynapsen eintreffenden Signale können miteinan<strong>der</strong>„verrechnet“ werden und sich verstärken o<strong>der</strong>schwächen.Wie Lernprozesse zu stofflichen Verän<strong>der</strong>ungenan den Synapsen führen, wurde erstmals anMeeresschnecken nachgewiesen – und im Jahr2000 auch mit dem Nobelpreis <strong>aus</strong>gezeichnet. DieWeichtiere besitzen beson<strong>der</strong>s große Nervenzellenund sind beliebte Versuchstiere bei Neurowissenschaftlern.Bei Berührung ziehen sie normalerweisereflexartig ihre Kiemen zurück. Werden siemehrmals hintereinan<strong>der</strong> berührt, fällt <strong>der</strong> Refleximmer schwächer <strong>aus</strong>. Die Schnecke hat sich darangewöhnt, was eine einfache Form des Lernens darstellt.Dies kann auch an den Synapsen beobachtetwerden: Wenn ständig Aktionspotenziale anden synaptischen Endknöpfchen <strong>der</strong> betreffendenZelle ankommen, werden kontinuierlich wenigerNeurotransmitter in den synaptischen Spalt abgegeben.Der umgekehrte Vorgang konnte auchbe obachtet werden: die Sensibilisierung, bei <strong>der</strong>auf ein ankommendes Aktionspotenzial hin, vermehrtNeurotransmitter freigesetzt werden. Veranlasstwerden diese Än<strong>der</strong>ungen durch Moleküle,
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