83AUSBLICKkommt, welche Rezeptoren beispielsweise durchNeuroleptika belegt werden und ab welcher Belegunges zu therapeutischen Wirkungen o<strong>der</strong>Nebenwirkungen kommt. Das sind sehr wichtigeEinblicke in die Hirnfunktion.Das beste Verfahren,um unmittelbarInfor mation überdie fortlaufende neuronaleGehirnaktivitätzu erhalten, istmeiner Ansicht nachdas EEG. Ich sehe hiergroße, bisher ungenutzteChancen, wieich kurz skizzierenmöchte: Menschenunterscheiden sich darin, wie gut sie in reizarmenUmgebungen wach bleiben können. Es gibt Menschen,die schlafen ein, wenn nichts los ist. DieseMenschen sind eher extrovertiert, brauchen Trubelund schaffen sich diesen bewusst o<strong>der</strong> unbewusst,damit sie immer ihre Vigilanz – ihre Wachheit –anheben und stabilisieren.Dieses Verhalten kann aber auch pathologisch<strong>aus</strong> dem Ru<strong>der</strong> laufen. Und das ist, glaube ich, bei<strong>der</strong> Manie und <strong>der</strong> Aufmerksamkeitsdefizit-HyperaktivitätsstörungADHS <strong>der</strong> Fall. Die Betroffenenhaben im EEG eine instabile Vigilanz. Wenn außennichts los ist, steuern sie dagegen, in dem sie eineAufregung nach <strong>der</strong> nächsten produzieren. Kin<strong>der</strong>,die übermüdet sind, zeigen ja auch so ein Verhalten.Sie drehen auf, wahrscheinlich um ihre Vigilanzdurch eine reizintensive Umwelt zu stabilisieren.Diesen Mechanismus im Detail zu verstehen,finde ich äußerst spannend.Das würde auch zu ganz neuen Therapien führen.Wir wollen zurzeit untersuchen, ob Patientenmit Manien und instabiler Vigilanz auf eine Vigilanz-stabilisierendeMedikation mit Psychostimulanzienansprechen, ähnlich wie dies als paradoxerscheinen<strong>der</strong> Effekt bei ADHS zu beobachten ist.de Zwaan: Ja, im Grunde orientieren wir uns in <strong>der</strong>Forschung oft an einzelnen Symptomen o<strong>der</strong> Symptomgruppen.So kann man Parallelen ziehen zwischenpsychischen Störungen wie ADHS undManien, die eigentlich zu sehr unterschiedlichenKrankheitsgruppen gezählt werden. Vielleicht istes ja wirklich so, wie Sie es gesagt haben: Das „sensationseeking behaviour“ wird vererbt. Und vielleichtist das dann ein Risikofaktor für die Entwicklungvon Depressionen o<strong>der</strong> auch an<strong>der</strong>enpsychischen Erkrankungen.Bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> Anorexie weiß man etwa, dasszwanghafte Persönlichkeitszüge einen Risikofaktordarstellen und dass Zwanghaftigkeit auch inden Familien anorektischer Patientinnen gehäuftvorkommt.Wenn es so wäre, wie würde sich das dann auf dieTherapie <strong>aus</strong>wirken?de Zwaan: Wenn ich das bei meinen Patienten alsdas Hauptproblem betrachte, dann würde ich inmein Therapieprogramm – medikamentös o<strong>der</strong>psychotherapeutisch – etwas einbauen, das ihneneine bessere Impulskontrolle erlaubt.Generell geht es häufig nicht darum, eine Heilungzu erreichen. Man versucht zu verhin<strong>der</strong>n,dass es zu Rückfällen kommt. Man kann eine BipolareStörung nicht heilen, man kann sie unterdrücken.Man kann eine Schizophrenie nicht heilen,man kann sie unterdrücken.Hegerl: So wie bei Diabetes o<strong>der</strong> Hypertonie.de Zwaan: Genau. Es ist ja nicht so ungewöhnlich,dass man eine Krankheit nicht heilen kann. Zudemgibt es oft chronische Verläufe. Da geht es gar nichtum die Heilung, son<strong>der</strong>n eher um ein lebenslangesManagement einer chronischen Erkrankung.Je früher eine psychische Störung erkannt wird, destobesser sind meistens die Erfolgs<strong>aus</strong>sichten einer Therapie.Welche Instrumente müssen verbessert werden,damit man psychische Störungen sehr viel früher alsbisher – noch in <strong>der</strong> Entstehungsphase – diagnostizierenkann?de Zwaan: Das ist letztlich ein Ausbildungsproblem.Gerade in H<strong>aus</strong>arztpraxen muss die Sensibilität fürpsychische Störungen groß sein. Denn psychischeErkrankungen sind extrem häufig. H<strong>aus</strong>ärzte müsseneinfach früher erkennen, wann ein Patient Problememit <strong>der</strong> psychischen Verarbeitung hat unddann Experten holen o<strong>der</strong> entsprechend fachgerechteingreifen.
AUSBLICK84Lei<strong>der</strong> tragen aber oft Organmediziner dazubei, dass psychische Störungen chronisch verlaufen.Bei den somatoformen Störungen, die mannicht auf eine organische Erkrankung zurückführenkann, ist es jedenfalls so. Unser gesamtesGesundheitssystem trägt im Grunde zur Chronifizierungsomatoformer Störungen bei. Denn Patienten,die mit den gleichen Beschwerden zu vielenunterschiedlichen Ärzten gehen, werden nichtgebremst. Für die wäre die Chipkarte ganz gut.Denn dann hätte man einen Überblick. Es ist nichtselten, dass solche Patienten mit 100 EEGs o<strong>der</strong>einem dicken Sack Röntgenbil<strong>der</strong> zu uns kommen,weil ein Arzt nicht wusste, was <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e gemachthat.Ich finde diese wahnsinnige Technisierung <strong>der</strong>Medizin toll, weil man vieles in <strong>der</strong> Organmedizinfrüher diagnostizieren kann. Ohne Kontrolle istdies aber für manche Patienten mit einer somatoformenStörung Gift.Hegerl: Bei Depressionen haben wir auch großeDefizite im rechtzeitigen Erkennen. Diejenigen, diezum H<strong>aus</strong>arzt gehen, kommen mit körperlichenBeschwerden. Und <strong>der</strong> H<strong>aus</strong>arzt hat es nicht einfach,eine psychische Störung zu erkennen, weil erauch nichts Körperliches übersehen möchte. Washinzu kommt: Viele Betroffene gehen gar nicht erstzum Arzt, weil sie nicht die Kraft haben und denken,sie sind selber schuld. Das Behandlungsdefizitwird weiter dadurch verschärft, dass selbst beirichtiger Diagnose oft nicht konsequent und nachneuestem Kenntnisstand behandelt wird und diePatienten, insbeson<strong>der</strong>e wenn kein Krankheitskonzeptvermittelt wurde, die Medikamente nichtnehmen o<strong>der</strong> die Psychotherapieangebote nichtannehmen.Wenn man etwas verbessern will, genügt esaber nicht, nur die H<strong>aus</strong>ärzte zu schulen. Erfolgreichsind gemeindebasierte Interventionen, indie auch Multiplikatoren wie Pfarrer, Lehrer, dieMedien, die Apotheker o<strong>der</strong> die Polizei eingebundensind, kombiniert mit einer professionellenÖffentlichkeitsarbeit.Sie sprechen die Öffentlichkeitsarbeit an. Warum istes eigentlich so schwer, mit falschen Vorstellungenüber psychische Störungen, mit <strong>der</strong> Stigmatisierungpsychisch Kranker aufzuräumen?Hegerl: Die Vorurteile werden wir nie ganzabbauen. Zum Teil ist es Unkenntnis o<strong>der</strong> Fehlinformation,aber nicht nur. Wichtig ist, immer wie<strong>der</strong>zu vermitteln, dass psychische ErkrankungenErkrankungen wie an<strong>der</strong>e auch sind. Auch <strong>der</strong>Diabetes mellitus geht sowohl mit körperlichenBeschwerden als auch psychischen Belastungenund Symptomen einher. Und die Behandlungbesteht einerseits in Verhaltensmodifikationen wieDiät und Sport aber an<strong>der</strong>erseits auch oft in einerPharmakotherapie, <strong>der</strong> Insulingabe.Die Stigmatisierung hat vor allem damit zutun, dass psychische Erkrankungen unser Selbst,das was uns <strong>aus</strong>macht, sozusagen unser Allerheiligstes,verän<strong>der</strong>n – und das auch noch voninnen her<strong>aus</strong>. Wir können uns nicht mehr auf unsselbst verlassen, es fehlt Distanz zu den Verän<strong>der</strong>ungenund dies ist für den Betroffenen aber auchfür an<strong>der</strong>e unheimlich. Der Stigmatisierung kannman durch sachliche Information entgegentretenund dadurch, dass man die Betroffenen immerwie<strong>der</strong> motiviert, sich professionelle Hilfe zu holen.de Zwaan: Dasist, glaube ich,das Wichtigste.Wir erleben beiEssstörungenauch immer, dasssich die Vorstellunghält, dieFamilie, die Mutter,die Erziehungseien schuld,wenn die Tochtermagersüchtigist. Die ofteinseitigen Vorstellungen über die Entstehungpsychischer Störungen basieren auf dem Bedürfnisdes Menschen, etwas zu verstehen. Bei psychischenErkrankungen hat man aber oft keinewirklich guten Erklärungen. Also werden dann vonden Betroffenen und ihrem Umfeld Erklärungenge bastelt. Und das macht die Öffentlichkeit auch.Sehr geehrte Frau Professor de Zwaan, sehr geehrterHerr Professor Hegerl, wir danken Ihnen für dasGespräch.
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5 EINFÜHRUNGMit anderen Augen: Zwe
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