12.07.2015 Aufrufe

Seele aus der Balance - BMBF

Seele aus der Balance - BMBF

Seele aus der Balance - BMBF

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

15STÖRUNGSBILDERLanger Weg zur gemeinsamen Sprache:Die Klassifikation psychischer StörungenZwischen 1968 und 1972 meldeten sich inden USA bei psychiatrischen Kliniken achtMenschen mit demselben bizarren Symptom:Sie hörten innere Stimmen, die „hohl“,„leer“ und „plopp“ sagten. Alle acht wurdenstationär aufgenommen. Obwohl sie sofortdanach behaupteten, keine Stimmen mehrzu hören und wie<strong>der</strong> gehen wollten, musstensie mindestens eine Woche bleiben. Bei<strong>der</strong> Entlassung gaben die Experten siebenvon ihnen eine Diagnose mit auf den Weg:Schizophrenie in Remission. Aber die Expertenlagen falsch.In Wirklichkeit handelte es sich bei den „Patienten“um geistig gesunde Freunde des Harvard-PsychologenDavid Rosenhan, die für seine Arbeit einen Teilihrer Lebenszeit geopfert hatten. Der Wert <strong>der</strong> 1973veröffentlichten Studie wurde in <strong>der</strong> Fachwelt vielstimmigbezweifelt, doch das „Rosenhan-Experiment“löste auch eine scharfe Debatte über die Verlässlichkeitvon Diagnosen <strong>aus</strong> und trug so letztlichdazu bei, dass präzisere Definitionen psychischerStörungen erarbeitet wurden.Fest steht, dass auch in Europa zu dieser Zeitregelhaft Fehldiagnosen vergeben wurden. Soschätzten Forscher den Anteil <strong>der</strong> psychisch krankenMenschen in <strong>der</strong> Bevölkerung, je nach Krankheitsdefinition,damals auf drei bis 70 Prozent. „Diediagnostische Übereinstimmung war unglaublichniedrig“, sagt Professor Harald J. Freyberger,Experte für die Klassifikation psychischer Störungenund Direktor <strong>der</strong> Klinik und Poliklinik fürPsychiatrie und Psychotherapie <strong>der</strong> Univer sitätGreifswald. Im Falle <strong>der</strong> Schizophrenie habe <strong>der</strong>Anteil übereinstimmen<strong>der</strong> Diagnosen bei 70 Prozentgelegen. „Bei 30 Prozent kam es zu einerfalschen Therapie.“ Heute sei die Schizophrenie-Diagnose vergleichsweise sicher zu stellen.Ermöglicht wurde diese Entwicklung durcheinen weltweiten Konsens unter den Experten:Nach jahrelangen, zum Teil erbittert <strong>aus</strong>getragenenKämpfen über Ursachen, Benennung undEinordnung psychischer Störungen einigtensich zunächst US-amerikanische Wissenschaftlerdarauf, schlicht alle typischen Symptome undSymptomkomplexe möglichst genau zu beschreibenund zudem anzugeben, welche und wie vieleSymptome zusammenkommen müssen, damitvon einem „Fall“ mit Krankheitswert gesprochenwerden kann. Dokument dieser zum Teil zähneknirschen<strong>der</strong>rungenen neuen Sachlichkeit wardie 1980 veröffentliche dritte Ausgabe des Diagnosesystems„Diagnostic and Statistical Manualof Mental Disor<strong>der</strong>s“ (DSM-III). Es ist von seinemAnspruch her dadurch gekennzeichnet, dassKrankheitsbil<strong>der</strong> weitestgehend anhand <strong>der</strong>Beschreibung <strong>der</strong> Symptome klas sifiziert werden.Während <strong>der</strong> 1990er-Jahre än<strong>der</strong>te auch dieWeltgesundheitsorganisation WHO ihr seit mehrals 100 Jahren bestehendes Klassifikationssystempsychischer Störun gen auf ähnliche Weise: In <strong>der</strong>10. Auflage <strong>der</strong> „International Statistical Classificationof Diseases and Related Health Problems“ –kurz ICD-10 – werden psychische Störungen ebenfallsnur noch anhand typischer Symptome undVerlaufsmerkmale geordnet und beschrieben. DieICD-10 ist seit dem Jahr 2000 in einer für Deutschlandangepassten Version für Diagnosevergabenverbindlich.Zehn HauptkategorienLaut ICD-10 werden psychische Störungen in zehndiagnostische Hauptkategorien und zahlreicheUnterkapitel geglie<strong>der</strong>t. In den ersten beidenGruppen mit den Codierungen F0 und F1 findensich Störungen, die auf vergleichsweise eindeutigeUrsachen zurückgeführt werden können:zum einen psychische Störungen aufgrund vonOrganerkrankungen, etwa Alzheimer-Demenzo<strong>der</strong> Demenz nach Schlaganfall, zum an<strong>der</strong>enStörungen aufgrund <strong>der</strong> Einnahme von abhängigmachenden Substanzen – beispielsweise eine akuteAlkoholvergiftung und durch Drogen verursachtePsychosen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!