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Lebenshilfe Aktuell 1/2010 - Lebenshilfe Bad Tölz-Wolfratshausen

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14 | 1/<strong>2010</strong> | <strong>Lebenshilfe</strong> <strong>Aktuell</strong><br />

Erinnerungen zur Entwicklung der Oberland Werkstätten<br />

Wenn ich über die vergangenen 28 Jahre meiner Tätigkeit<br />

als Geschäftsführer der Oberland Werkstätten GmbH nachdenke,<br />

kehren die Erinnerungen schnell und intensiv an die<br />

Anfangszeiten der ersten Jahre zurück.<br />

Einige Schlaglichter dazu:<br />

- Die Werkstätte in Gaißach war für den gesamten Landkreis<br />

<strong>Bad</strong> <strong>Tölz</strong>-<strong>Wolfratshausen</strong> errichtet worden und sollte 150<br />

Menschen mit Behinderungen einen Arbeitsplatz anbieten.<br />

Gerade einmal 60 Menschen mit Behinderungen verloren<br />

sich in den neuen Räumlichkeiten.<br />

- Die Küche war noch nicht in Betrieb, das Essen wurde von<br />

einer Betriebskantine aus der Nachbarschaft bezogen.<br />

- Die Wäscherei-Maschinen standen verpackt im Keller. Sie<br />

wurden angeschafft, um die zugesagten Zuschüsse für die<br />

Ausstattung nicht zu verlieren.<br />

- Produzierende GruppenleiterInnen und mithelfende Menschen<br />

mit Behinderungen prägten das Bild in den Arbeitsbereichen.<br />

- Sprachlich wurden die Menschen mit Behinderungen von<br />

Eltern, Angehörigen und <strong>Lebenshilfe</strong>-Verantwortlichen liebevoll<br />

als „unsere Schützlinge“ bezeichnet.<br />

- Nikolaus- bzw. Weihnachtsfeiern wurden vom pädagogisch<br />

ausgebildeten Personal und unter Einbeziehung der Eltern<br />

festlich gestaltet. Menschen mit Behinderungen durften,<br />

wie bei Kinderkrippenfeiern, im Rahmenprogramm mitwirken.<br />

- Soziale Arbeit hatte eine hohe gesellschaftliche Wertschätzung.<br />

Sicherlich auch deshalb, weil bei einem leergefegten<br />

Arbeitsmarkt soziale Berufe wenig Attraktivität für die Berufwahl<br />

ausstrahlten.<br />

- Fortbildungen für das angestellte Personal bekamen erst<br />

langsam den gebührenden Stellenwert.<br />

Auch ich habe als neuer, junger Geschäftsführer meinen<br />

Schwerpunkt auf die Schaffung guter Rahmenbedingungen<br />

gelegt. Es sollte den uns anvertrauten Menschen mit Behinderungen<br />

gut gehen und ihre natürliche Lebensfreude unterstützt<br />

werden.<br />

Meine sonderpädagogische Zusatzausbildung für Leiter von<br />

Werkstätten für Menschen mit Behinderungen machte ich<br />

beim Deutschen Caritas-Verband in Freiburg, weil ich bei<br />

der <strong>Lebenshilfe</strong> in Marburg mehrere Jahre Wartezeit in Kauf<br />

hätte nehmen müssen. In einer gruppendynamischen Fortbildungswoche<br />

hatte ich damals ein Schlüsselerlebnis. Ein<br />

von mir mit meinem begrenzten Talent gemaltes Bild über<br />

meine Rolle im System der Oberland Werkstätten GmbH wurde<br />

von den Kollegen (es waren wirklich nur Männer) äußerst<br />

kritisch hinterfragt. Es fehlten ihnen die Menschen mit Behinderungen,<br />

deren Gesichter, Bedürfnisse und Emotionen.<br />

Für mich ein sehr wichtiger Anstoß, mich mehr mit den<br />

Entwicklungspotentialen der uns anvertrauten Menschen<br />

auseinanderzusetzen und nicht nur für günstige Rahmenbe-<br />

dingungen zu sorgen. Damit wurde automatisch berufliche<br />

Bildung, Selbstbestimmung, Beteiligung und Mitwirkung zu<br />

einer entscheidenden Zielsetzung. Für mich war es und ist<br />

es immer noch erstaunlich, welche Leistungen Menschen<br />

erbringen können, wenn sie eine anregende, fördernde und<br />

auch fordernde Umgebung vorfinden.<br />

Im Jahre 1994 wurde durch unseren Hauptleistungsträger,<br />

den Bezirk Oberbayern, ein wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung<br />

des Unternehmens Oberland Werkstätten GmbH<br />

eingeleitet. Der bisher gewohnte kostendeckende Pflegesatz<br />

wurde zu einem leistungsbezogenen Entgelt umgewandelt.<br />

Der Bezirksverwaltung und den politischen MandatsträgerInnen<br />

ging es bei diesen Veränderungen sicherlich in erster<br />

Linie um Kosteneinsparungen und Vereinfachungen des Abrechnungssystems.<br />

Aber durch diese neuen Vorgaben haben<br />

sich unsere internen Fragestellungen gewandelt. Gingen<br />

sie früher mehr in die Richtung, „was wird bezahlt, wo gibt<br />

es Zuschüsse?“, so veränderten sie sich dahingehend, „was<br />

brauchen wir, um unsere inneren Strukturen und Ablaufprozesse<br />

besser, klarer, einfacher und effektiver zu gestalten.“<br />

Wir wurden von einer Versorgungseinrichtung zu einem gemeinnützigen<br />

Unternehmen.<br />

Ein weiterer wichtiger Impuls von außen kam wenige Jahre<br />

später von unseren Industriekunden. Diese forderten ein<br />

geprüftes Qualitätsmanagementsystem. 2000 wurden wir<br />

erstmals nach der DIN ISO zertifiziert. Viele weitere Entwicklungen<br />

in unsere Fertigungs-prozesse wurden durch die Anforderungen<br />

unserer Industriekunden angestoßen.<br />

Diese äußeren Impulse machten es aus heutiger Sicht möglich,<br />

dass mit einem seit 1994 um rund 25% verringerten<br />

Leistungsentgelt (bereinigt durch Preis- und Kostensteigerun-gen<br />

und Inflationsraten) gleichzeitig die berufliche Bildung<br />

sowohl der angestellten MitarbeiterInnen wie auch der<br />

Menschen mit Behinderungen wesentlich ausgeweitet und<br />

systematisiert werden konnte.<br />

Natürlich hat diese Entwicklung auch ihre Schattenseiten.<br />

Viele gewohnten arbeitsbegleitenden Angebote, insbesondere<br />

die kreativen Angebote im Bereich der Musik, des<br />

Theaters, des kreativen Gestaltens und die diversen Freizeitangebote<br />

wurden reduziert oder ganz aufgegeben. Diese<br />

<strong>Lebenshilfe</strong> <strong>Aktuell</strong> | 1/<strong>2010</strong> | 15<br />

Veränderungen haben die Kultur des Miteinanders in unseren<br />

Einrichtungen geprägt. Viele selbstbewusste Persönlichkeiten,<br />

manchmal auch sehr eigenwillige, man kann also<br />

sagen „völlig normale“ Menschen, prägen den betrieblichen<br />

Alltag. Natürlich hat dies nicht nur mit den Änderungen in<br />

den Werkstätten zu tun, sondern auch mit den neu geschaffenen<br />

<strong>Lebenshilfe</strong>-Einrichtungen von der Frühförderung über<br />

Kindergarten, Schule und Wohnheime sowie einer neuen Elterngeneration,<br />

deren Schutzbedürfnis für ihre Kinder nicht<br />

mehr vom eigenen Erleben des Dritten Reiches geprägt ist.<br />

Heute arbeiten viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

an anspruchsvollen Maschinen, Geräten und Vorrichtungen<br />

und stellen ein wichtiges Glied der gesamten wirtschaftlichen<br />

Wertschöpfungskette dar.<br />

Insbesondere bei Ehrungen von langjährigen Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern rührt es mich persönlich sehr an,<br />

wie Menschen mit Behinderungen, WeggefährtInnen über<br />

viele Jahre mit dem Älterwerden zurechtkommen. Beides ist<br />

erlebbar: Lebensfreude und Vitalität bis ins hohe Alter, wie<br />

sie vor einigen Jahrzehnten überhaupt nicht denkbar waren,<br />

strahlen manche aus. Andere benötigen einen hohen Unterstützungsbedarf,<br />

weil die geistigen und körperlichen Kräfte<br />

schwinden.<br />

Die vergangenen 28 Jahre haben gezeigt, welches Entwicklungspotential<br />

Menschen freisetzen können, wenn sie ein<br />

entsprechend anregendes und förderndes Umfeld vorfinden.<br />

Aus diesen Beobachtungen heraus wage ich keine Prognose,<br />

wo zukünftig die Grenzen der beruflichen Möglichkeiten<br />

für behinderte Menschen liegen. Unsere Außenarbeitsplätze<br />

- einzeln und in Gruppen -, die vielen anspruchsvollen Tätigkeitsbereiche<br />

in unseren Arbeitsgruppen, die erstaunlichen<br />

persönlichen Entwicklungsschritte im Bereich von Selbstbestimmung<br />

und Mitwirkung zeigen mir, dass wir in Zukunft<br />

unser Augenmerk weiter auf ihre Möglichkeiten und Ressourcen<br />

legen werden.<br />

Martin Zeller<br />

Geschäftsführer der Oberland Werkstätten GmbH

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