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Ausgewählte Abgrenzungsprobleme bei kriminellen und ...

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Rechtswissenschaftliche <strong>und</strong><br />

Philosophisch-humanwissenschaftliche Fakultät<br />

Schule für Kriminologie,<br />

Internationales Strafrecht <strong>und</strong> Rechtspsychologie (SCIP)<br />

<strong>Ausgewählte</strong> <strong>Abgrenzungsprobleme</strong><br />

<strong>bei</strong> <strong>kriminellen</strong> <strong>und</strong> terroristischen Organisationen<br />

im Sinne von Artikel<br />

260ter StGB<br />

Masterar<strong>bei</strong>t im Nachdiplomstudium<br />

Internationales Strafrecht (SCIP)<br />

vorgelegt von:<br />

Martin Stupf<br />

lic. iur., Rechtsanwalt<br />

eingereicht im Juni 2008 <strong>bei</strong> <strong>und</strong> betreut von:<br />

Prof. Dr. Günter Heine<br />

Universität Bern


Inhaltsverzeichnis<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

INHALTSVERZEICHNIS..................................................................................................... II<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS..........................................................................................IV<br />

LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................ VII<br />

MATERIALIENVERZEICHNIS....................................................................................... XII<br />

1. EINLEITUNG ........................................................................................................... 1<br />

2. BEGRIFFE UND UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND...................................... 3<br />

2.1. Begriff der „organisierten Kriminalität“ (OK) ................................................................................ 3<br />

2.2. Begriff des „organisierten Verbrechens“ .......................................................................................... 5<br />

2.3. Begriff der „<strong>kriminellen</strong> Organisation“ nach Art. 260ter StGB..................................................... 6<br />

2.4. Schlussfolgerungen <strong>und</strong> Empfehlungen ............................................................................................ 7<br />

3. MAFIÖSE ORGANISATIONEN UND VERBRECHERSYNDIKATE ............. 9<br />

3.1. Der Ursprung der Mafia..................................................................................................................... 9<br />

3.2. Die (ital.) Mafia <strong>und</strong> andere Verbrecherorganisationen als „Pate“ für Art. 260ter StGB ......... 10<br />

3.3. Verurteilung in der Schweiz wegen Unterstützung der ’Ndrangheta .......................................... 11<br />

3.4. Schlussfolgerungen für die Strafverfolgung ................................................................................... 12<br />

4. TERRORISTISCHE ORGANISATIONEN......................................................... 14<br />

4.1. Trotz weltweiter „Aufrüstung“ gegen Terrorismus keine einheitliche Definition ...................... 14<br />

4.1.1. Antiterrorismus-Strafrecht 14<br />

4.1.2. Definitionsversuche für Terrorismus 15<br />

4.2. Vom B<strong>und</strong>esgericht „zertifizierte“ Terrororganisationen............................................................. 18<br />

4.3. Gerichtsnotorische Terrororganisationen....................................................................................... 18<br />

4.3.1. Die „Brigate Rosse“ 18<br />

4.3.2. Die Euskadi ta Askatasuna (ETA) 20<br />

4.3.3. Das Terrornetzwerk Al-Qaïda (<strong>und</strong> Nachfolgeorganisationen) 21<br />

4.3.4. Die „religiös motivierte“, extremistische Gruppierung „Märtyrer für Marokko“ 23<br />

4.3.5. Zusammenfassung <strong>und</strong> Schlussfolgerung für die Strafverfolgung 24<br />

ii


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

4.4. Terrorist oder „legitimer“ Freiheitskämpfer? ............................................................................... 26<br />

4.4.1. Ausgangslage 26<br />

4.4.2. Abgrenzung am Beispiel der „Albanian National Army“ (ANA) 27<br />

4.4.3. Abgrenzung am Beispiel der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 29<br />

4.4.4. Zusammenfassung <strong>und</strong> Empfehlungen für die Strafverfolgung 31<br />

4.5. Die strafrechtliche Demokratieklausel (Art. 260quinquies Abs. 3 <strong>und</strong> 4 StGB).......................... 32<br />

4.5.1. Die „schwächer strukturierte Gruppe“ 33<br />

4.5.2. Kritik an der Strafnorm 33<br />

4.5.3. Zusammenfassung <strong>und</strong> Schlussfolgerungen für die Strafverfolgung 34<br />

4.6. „Kooperation“ zwischen Terroristen <strong>und</strong> <strong>kriminellen</strong> Organisationen....................................... 35<br />

4.6.1. Symbiotischer Terrorismus 35<br />

4.6.2. Narcoterrorismus am Beispiel der FARC 36<br />

4.6.3. Zusammenfassung <strong>und</strong> Empfehlungen für die Strafverfolgung 37<br />

4.7. Exkurs: Eingrenzung möglicher terroristischer Organisationen aufgr<strong>und</strong> internationaler<br />

Terrorlisten........................................................................................................................................ 38<br />

4.7.1. Hintergr<strong>und</strong> der Terrorliste des UN-Sicherheitsrats 38<br />

4.7.2. Erstellung eigener Terror-Listen durch UNO-Mitgliedstaaten <strong>und</strong> Umsetzung derselben 39<br />

4.7.3. Der Fall Youssef Nada 40<br />

4.7.4. Zusammenfassung <strong>und</strong> Schlussfolgerung für die Strafverfolgung 41<br />

5. (keine Veröffentlichung)...............................................................................................<br />

6. ZUSAMMENFASSUNG DER WICHTIGSTEN ERKENNTNISSE ................ 44<br />

7. (keine Veröffentlichung)<br />

SELBSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG ............................................................................... 48<br />

iii


Abkürzungsverzeichnis<br />

Abs. Absatz<br />

AJP Aktuelle Juristische Praxis<br />

ANA Albanian National Army<br />

Art. Artikel<br />

Aufl. Auflage<br />

BA Schweizerische B<strong>und</strong>esanwaltschaft<br />

BBl B<strong>und</strong>esblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

BetmG B<strong>und</strong>esgesetz über die Betäubungsmittel <strong>und</strong> die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz)<br />

vom 3. Oktober 1951 (SR 812.121)<br />

BG B<strong>und</strong>esgesetz<br />

BGE Entscheidung des Schweizerischen B<strong>und</strong>esgerichts<br />

BISS Bericht innere Sicherheit der Schweiz (Publikation des B<strong>und</strong>esamtes für<br />

Polizei, EJPD)<br />

BR Brigate Rosse<br />

BSK Basler Kommentar<br />

bspw. <strong>bei</strong>spielsweise<br />

BStP B<strong>und</strong>esgesetz über die B<strong>und</strong>esstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934 (SR<br />

312.0)<br />

BÜPF B<strong>und</strong>esgesetz betreffend die Überwachung des Post- <strong>und</strong> Fernmeldeverkehrs<br />

vom 6. Oktober 2000 (SR 780.1)<br />

BV B<strong>und</strong>esverfassung vom 29. Mai 1874 (SR 101)<br />

BWIS B<strong>und</strong>esgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit vom<br />

21. März 1997 (SR 120)<br />

bzw. beziehungsweise<br />

ca. circa<br />

CPI Codice Penale Italiano<br />

DAP Dienststelle für Analyse <strong>und</strong> Prävention<br />

d.h. das heisst<br />

DHKP-C Devrimci Halk Kurtuluş Partisi/Cephesi<br />

DIA Direzione Investigativa Antimafia<br />

Diss. Dissertation<br />

E. Erwägung<br />

iv


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

EAUe Europäisches Auslieferungsabkommen vom 13. Dezember 1957 (SR<br />

0.353.1)<br />

EBK Eidgenössische Bankenkommission<br />

EDA Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten<br />

EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte<br />

EMRK Konvention zum Schutz der Menschenrechte <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>freiheiten vom 4.<br />

November 1950 (SR 0.101)<br />

ETA Euskadi ta Askatasuna<br />

EU Europäische Union<br />

EÜBT Europäisches Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27.<br />

Januar 1977 (SR 0.353.3)<br />

FARC Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejèrcito del Pueblo<br />

f./ff. folgende Seite / folgende Seiten<br />

Fn. Fussnote<br />

GIA Groupe Islamique Armé<br />

GSPC Groupe Salafiste pour la Prédiction et le Combat<br />

GwG B<strong>und</strong>esgesetz zur Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanzsektor vom 10.<br />

Oktober 1997 (SR 955.0)<br />

GwV EBK Verordnung der Eidgenössischen Bankenkommission vom 18. Dezember<br />

2002 zur Verhinderung von Geldwäscherei (SR 955.022)<br />

ICTY Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International<br />

Criminal Tribunal for the former Yugoslavia)<br />

IRA Irish Revolutionary Army<br />

IRSG B<strong>und</strong>esgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März<br />

1981 (SR 351.1)<br />

IÜBFT Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus<br />

vom 9. Dezember 1999 (SR 0.353.22)<br />

lit. litera<br />

MROS Meldestelle für Geldwäscherei<br />

N. Note<br />

Nr. Nummer<br />

OSZE Organisation für Sicherheit <strong>und</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t in Europa<br />

PAV Parlamentarische Versammlung des Europarats<br />

Pra. Praxis des B<strong>und</strong>esgerichts<br />

RS R<strong>und</strong>schreiben<br />

v


SJ Semaine Judiciaire<br />

sogen. sogenannte<br />

SR Systematische Sammlung des B<strong>und</strong>esrechts<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

StGB Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (SR 311.0)<br />

SZW Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht<br />

u.a. unter anderem<br />

UCK Ushtria Çlirimtare e Kosovës<br />

UNO Organisation der Vereinten Nationen (United Nations Organisation)<br />

UNO-Pakt II Internationaler Pakt über bürgerliche <strong>und</strong> politische Rechte vom 16. Dezember<br />

1966 (SR 0.103.2)<br />

vgl. vergleiche<br />

ZBJV Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins<br />

ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht<br />

ZStrR Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht<br />

vi


Literaturverzeichnis<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

ARZT GUNTHER, Kommentar zu Art. 260ter StGB, in: Niklaus Schmid/Gunther Arzt/Paolo<br />

Bernasconi/Werner de Capitani, Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei,<br />

Band I, Zürich 2007, 303 ff. (zit. Arzt, OK-Kommentar)<br />

ARZT GUNTHER, Kommentar zu Art. 260quinquies StGB, in: Niklaus Schmid/Gunther<br />

Arzt/Paolo Bernasconi/Werner de Capitani, Einziehung, Organisiertes Verbrechen,<br />

Geldwäscherei, Band I, Zürich 2007, 399 ff. (zit. Arzt, OK-Kommentar)<br />

ARZT GUNTHER, Vorverlagerung des Schutzes gegen kriminelle Organisationen <strong>und</strong> Gewalt –<br />

alte Dogmen in einer neuen Welt, in: ZStrR 124 (2006), 350 ff. (zit. Arzt, ZStrR 2006)<br />

ARZT GUNTHER, Organisierte Kriminalität, Bemerkungen zum Massnahmenpaket des B<strong>und</strong>esrates<br />

vom 30. Juni 1993, in: Aktuelle Juristische Praxis 10/1993, 1187 ff. (zit. Arzt,<br />

AJP 1993)<br />

BÄNZIGER FELIX / LEIMGRUBER LUC, Das neue Engagement des B<strong>und</strong>es in der Strafverfolgung,<br />

Kurzkommentar zur „Effizienzvorlage“, Bern 2001 (zit. Bänziger/Leimgruber,<br />

Effizienzvorlage)<br />

BARTHELMESS PETRA, Transnationale organisierte Kriminalität, in: Bulletin 2002 zur schweizerischen<br />

Sicherheitspolitik, FSK / ETHZ, Zürich 2002 (zit. Sicherheitspolitik)<br />

BASSE-SIMONSOHN DETLEV MICHAEL, Geldwäschereibekämpfung <strong>und</strong> organisiertes Verbrechen:<br />

Die Sorgfaltspflichten der Finanzintermediäre <strong>und</strong> deren Konkretisierungen durch<br />

Selbstregulierung, Diss. Bern 2002 (zit. Basse-Simonsohn, Geldwäschereibekämpfung)<br />

BAUMGARTNER HANS, Basler Kommentar zu Art. 260ter StGB, in: Marcel Alexander<br />

Niggli/Hans Wiprächtiger, Strafrecht II, Basel 2007, 1720 ff. (zit. Baumgartner, BSK II)<br />

BESOZZI CLAUDIO, Organisierte Kriminalität: Synthese, in: Mark Pieth/Mario von Cranach/Claudio<br />

Besozzi/Christa Hanetseder/Karl-Ludwig Kunz, Gewalt im Alltag <strong>und</strong> organisierte<br />

Kriminalität, Die Ergebnisse eines Nationalen Forschungsprogramms (NFP<br />

40), Bern 2002, 71-150 (zit. Besozzi, NFP 40)<br />

CASSANI URSULA, Le train des mesures contre le financement du terrorisme: une loi nécessaire?,<br />

in: SZW 2003, 393 ff. (zit. Cassani, SZW 2003)<br />

DE VRIES REILINGH JEANINE, La répression des infractions collectives et les problèmes liés à<br />

l’application de l’article 260ter CP relatif à l’organisation criminelle, notamment du<br />

point de vue de la présomption d’innocence, in: ZBJV 138 (2002), 285 ff. (zit. De Vries<br />

Reilingh, ZBJV 2002)<br />

DEL PONTE CARLA, L’organisation criminelle, in: ZStrR 113 (1995), 240 ff. (zit. Del Ponte,<br />

ZStrR 1995)<br />

vii


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

DONATSCH ANDREAS / WOHLERS WOLFGANG, Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit,<br />

Zürich 2004, 191 ff. (zit. Donatsch/Wohlers, Strafrecht IV)<br />

EICKER ANDREAS, Anti-Terrorismus-Gesetzgebung im Lichte der Prozeduralisierung des<br />

Strafrechts, in: Philipp Juchli/Marcel Würmli (Hrsg.), Auswirkungen des Terrorismus<br />

auf Recht, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, Bern 2006, 197 ff. (zit. Eicker, Prozeduralisierung)<br />

ESTERMANN JOSEF, Organisierte Kriminalität in der Schweiz, Luzern 2002 (zit. Estermann,<br />

OK)<br />

FALCONE GIOVANNI, Die italienische Mafia als „Vorbild“ für das internationale organisierte<br />

Verbrechen, in: Organisierte Kriminalität in einem Europa durchlässiger Grenzen, BKA<br />

Wiesbaden 1991, 25 ff. (zit. Falcone, Mafia)<br />

FALK BERNHARD, Erfassung, Beschreibung <strong>und</strong> Analyse von OK, Defizite <strong>und</strong> Fortentwicklungsmöglichkeiten<br />

<strong>bei</strong> der OK-Deskription, in: Kriminalistik 1/1997, 15-22 (zit. Falk,<br />

Analyse der OK)<br />

FINGERHUTH THOMAS / TSCHURR CHRISTOF, Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz, Zürich<br />

2007 (zit. Fingerhuth/Tschurr, BetmG)<br />

FIOLKA GERHARD, Basler Kommentar zu Art. 260quinquies StGB, in: Marcel-Alexander<br />

Niggli/Hans Wiprächtiger, Strafrecht II, Basel 2007, 1731 ff. (zit. Fiolka, BSK II)<br />

FORSTER MARC, Zur Abgrenzung zwischen Terroristen <strong>und</strong> militanten „politischen“ Widerstandskämpfern<br />

im internationalen Strafrecht, in: ZBJV 141 (2005), 213 ff. (zit. Forster,<br />

ZBJV 2005)<br />

FORSTER MARC, Terroristischer Massenmord an Zivilisten als „legitimer Freiheitskampf“ (im<br />

Sinne von Art. 260quinquies Abs. 3 StGB) kraft „Analogieverbot“?, in: ZStrR 124<br />

(2006), 331 ff. (zit. Forster, ZStrR 2006)<br />

FORSTER MARC, Die Strafbarkeit der Unterstützung (insbesondere Finanzierung) des Terrorismus,<br />

Al-Qaida, ETA, Brigate Rosse – das schweizerische Antiterrorismus-Strafrecht<br />

auf dem Prüfstand, in: ZStrR 121 (2003), 423 ff. (zit. Forster, ZStrR 2003)<br />

FORSTER MARC, Kollektive Kriminalität, Das Strafrecht vor der Herausforderung durch das<br />

organisierte Verbrechen, in: Bibliothek zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Beiheft<br />

27/1998, 1 ff. (zit. Forster, Kollektive Kriminalität)<br />

GIANNINI MARIO, Anwaltliche Tätigkeit <strong>und</strong> Geldwäscherei, Zur Anwendbarkeit des Geldwäschereitatbestandes<br />

(Art. 305bis StGB) <strong>und</strong> des Geldwäschereigesetzes (GwG) auf<br />

Rechtsanwälte, Diss. Zürich 2005 (zit. Giannini, GwG)<br />

HARNISCHMACHER ROBERT F., Yakuza – Charakteristika der “japanischen Mafia”, in: Kriminalistik<br />

1/2004, 24 ff. (zit. Harnischmacher, Yakuza)<br />

HARTMANN ARTHUR, Die Mafia <strong>und</strong> ihre Strukturen, in: Kriminalistik 10/2000, 642 ff. (zit.<br />

Hartmann, Mafia)<br />

viii


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

HAUSER ROBERT / SCHWERI ERHARD / HARTMANN KARL, Schweizerisches Strafprozessrecht,<br />

Basel 2005 (zit. Hauser/Schweri/Hartmann, StPO)<br />

HEINE GÜNTER, Landesbericht Schweiz, in: Gropp Walter/Sinn Arndt (Hrsg.), Organisierte<br />

Kriminalität <strong>und</strong> kriminelle Organisationen, Präventive <strong>und</strong> repressive Massnahmen vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> des 11. September 2001, Giessener Schriften zum Strafrecht <strong>und</strong> zur<br />

Kriminologie, Bd. 14, 353 ff. (zit. Heine, Landesbericht)<br />

JOSITSCH DANIEL, Terrorismus oder Freiheitskampf? – Heikle Abgrenzungsfragen <strong>bei</strong> der<br />

Anwendung von Art. 260quinquies StGB, in: ZStrR 123 (2005), 458 ff. (zit. Jositsch,<br />

ZStrR 2005)<br />

JUCHLI PHILIPP, Wird im Kampf gegen Terrorismusfinanzierung überreguliert? – Eine Auslegeordnung<br />

internationaler <strong>und</strong> nationaler Vorschriften, in: Philipp Juchli/Marcel Würmli<br />

(Hrsg.), Auswirkungen des Terrorismus auf Recht, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, Bern<br />

2006, 165 ff. (zit. Juchli, Überregulierung)<br />

KOLLER HEINRICH, Kampf gegen den Terrorismus – Rechtsstaatliche Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong><br />

Schranken, in: ZSR 2006 I, 107 ff. (zit. Koller, ZSR 2006)<br />

KOUMBARAKIS ZINON, Die Kronzeugenregelung im schweizerischen Strafprozess de lege ferenda,<br />

Diss. Zürich 2006 (zit. Koumbarakis, Kronzeugenregelung)<br />

KRAUSKOPF LUTZ, Geldwäscherei <strong>und</strong> organisiertes Verbrechen als europäische Herausforderung,<br />

in: ZStrR 108 (1991), 385 ff. (zit. Krauskopf, ZStrR 1991)<br />

KUNZ KARL-LUDWIG, Massnahmen gegen die organisierte Kriminalität, in. plädoyer 1/1996,<br />

32 ff. (zit. Kunz, plädoyer 1996)<br />

LOBSIGER ADRIAN D., Verbrechensbekämpfung durch den B<strong>und</strong>?, Diss. Bern 1999 (zit. Lobsiger,<br />

Verbrechensbekämpfung)<br />

MOREILLON LAURENT / DE COURTEN FREDERIQUE, La lutte contre le terrorisme et les droits du<br />

suspect: le principe de sécurité à l’épreuve des droits fondamentaux, in: ZStrR 121<br />

(2003), 117 ff. (zit. Moreillon/De Courten, ZStrR 2003)<br />

MÖHN HEINZ-JOSEF, Ist der Begriff “Organisierte Kriminalität” definierbar?, in: Kriminalistik<br />

1994, 534 ff. (zit. Möhn, OK-Begriff)<br />

MÜLLER PETER, Organisiertes Verbrechen – Gegenstrategien des Gesetzgebers, in: Aktuelle<br />

Juristische Praxis 10/1993, 1180 ff. (zit. Müller, AJP 1993)<br />

NATTERER JUDITH, Landesbericht Schweiz 2001, in: Walter Gropp (Hrsg.), Rechtliche Initiativen<br />

zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, Freiburg im Breisgau 2001, 725<br />

ff. (zit. Natterer, Landesbericht 2001)<br />

NAY GUISEP / THOMMEN MARC, Kommentar zu Art. 337 StGB, in: Marcel-Alexander<br />

Niggli/Hans Wiprächtiger, Strafrecht II, Basel 2007, 1731 ff. (zit. Nay/Thommen, BSK<br />

II)<br />

ix


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

NIGGLI MARCEL ALEXANDER / RIEDO CHRISTOF, Basler Kommentar zu Art. 139 StGB, in:<br />

Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger, Strafrecht II, Basel 2007, 371 ff. (zit.<br />

Niggli/Riedo, BSK II)<br />

NOBEL PETER, Schweizerisches Finanzmarktrecht, Einführung <strong>und</strong> Überblick, Bern 2004 (zit.<br />

Nobel, Finanzmarktrecht)<br />

OBERHOLZER NIKLAUS, Neue gesellschaftliche Herausforderungen <strong>und</strong> neue Strafbestimmungen,<br />

Eine kritische Bestandesaufnahme der jüngsten Massnahmen zur Bekämpfung des<br />

„Organisierten Verbrechens“, in : Aktuelle Juristische Praxis 6/2000, 651 ff. (zit. Oberholzer,<br />

AJP 2000)<br />

OBERHOLZER NIKLAUS, Acht Thesen zur Organisierten Kriminalität, in: plädoyer 1/2001, 32<br />

ff. (zit. Oberholzer, plädoyer 2001)<br />

PIETH MARK, Die Bekämpfung des Organisierten Verbrechens in der Schweiz, ZStrR 109<br />

(1992), 257 ff. (zit. Pieth, ZStrR 1992)<br />

PIETH MARK / FREIBURGHAUS DIETER, Die Bedeutung des organisierten Verbrechens in der<br />

Schweiz, Bericht im Auftrag des B<strong>und</strong>esamtes für Justiz, EJPD Bern, Oktober 1993<br />

(zit. Bericht EJPD 1993)<br />

PIETH MARK, Das zweite Paket gegen das Organisierte Verbrechen, Die Überlegungen des<br />

Gesetzgebers, ZStrR 113 (1995), 225 ff. (zit. Pieth, ZStrR 1995)<br />

PIETH MARK, Situationsbericht für die Schweiz, in: Christoph Mayerhofer/Jörg-Martin Jehle,<br />

Organisierte Kriminalität, Heidelberg 1996, 33 ff. (zit. Situationsbericht)<br />

REINLE MICHAEL, Terrorismusfinanzierung – Einige Gedanken aus Sicht des Bankk<strong>und</strong>en, in:<br />

Philipp Juchli/Marcel Würmli (Hrsg.), Auswirkungen des Terrorismus auf Recht, Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft, Bern 2006, 113 ff. (zit. Reinle, Terrorismusfinanzierung)<br />

ROSENBERG KATRIN / BUSCHOR JULIA, Das Listing- <strong>und</strong> De-Listing-Verfahren von Terrorverdächtigen<br />

durch den Sanktionsausschuss des UN-Sicherheitsrates: Die Rolle der<br />

Schweiz, in: Jusletter vom 14. April 2008 (zit. Rosenberg/Buschor, Listing)<br />

ROULET NICOLAS, Organisiertes Verbrechen: Tatbestand ohne Konturen, in: plädoyer 5/1994,<br />

24 ff. (zit. Roulet, plädoyer 1994)<br />

SCHOTT TILMANN, Mafia – Mentalität <strong>und</strong> Parastaat, in: Kriminalistik 8/2000 (zit. Schott,<br />

Kriminalistik 2000)<br />

SCHRADER TOBIAS, Terrorismus <strong>und</strong> das Problem seiner Definition, in: Kriminalistik 10/2002,<br />

570 ff. (zit. Schrader, Terrorismus)<br />

SCHWERI ERHARD / BÄNZIGER FELIX, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen,<br />

Bern 2004 (zit. Schweri/Bänziger, Gerichtsstandsbestimmung)<br />

SOINE MICHAEL, Organisierte Kriminalität <strong>und</strong> Terrorismus – von Kooperation in Richtung<br />

Symbiose? in: Kriminalistik 7/2005, 409 ff. (zit. Soiné, Kriminalistik 2005)<br />

x


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

STEGMANN ANDREA, Organisierte Kriminalität, Feindstrafrechtliche Tendenzen in der Rechtssetzung<br />

zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, Diss. Bern 2004 (zit. Stegmann,<br />

OK)<br />

STAHEL ALBERT A., Organisierte Kriminalität <strong>und</strong> Sicherheit, Ein Zwischenbericht,<br />

Bern/Stuttgart/Wien 1999, 3 ff. (zit. Stahel, OK)<br />

STRATENWERTH GÜNTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen<br />

Gemeininteressen, Bern 2000, 197 ff. (zit. Stratenwerth, BT II)<br />

TSCHIGG ROBERTA, Die Einziehung von Vermögenswerten krimineller Organisationen, Diss.<br />

Bern 2003 (zit. Tschigg, Einziehung)<br />

TRECHSEL STEFAN, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Zürich 1997, 852<br />

ff.(zit. Trechsel, Kurzkommentar)<br />

VEST HANS, „Organisierte Kriminalität“ – Überlegungen zur kriminalpolitischen Instrumentalisierung<br />

des Begriffs, ZStrR 112 (1994), 121 ff. (zit. Vest, ZStrR 1994)<br />

VEST HANS, Terrorismus als Herausforderung für das Recht, Zürich 2005 (zit. Vest, Terrorismus)<br />

VEST HANS, Delikte gegen den öffentlichen Frieden (Art. 258-263 StGB), in: Martin Schubarth<br />

(Hrsg.), Stämpflis Handkommentar SHK, Bern 2007 (zit. Vest, Handkommentar<br />

SHK)<br />

VON LAMPE KLAUS, Organized Crime, Begriff <strong>und</strong> Theorie organisierter Kriminalität in den<br />

USA, in: Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien, Band 67, Diss. Frankfurt am<br />

Main 1999 (zit. Von Lampe, Organized Crime)<br />

VON LAMPE KLAUS, Organisierte Kriminalität unter der Lupe, in: Kriminalistik 7/2001, 465<br />

ff. (zit. Von Lampe, Kriminalistik 2001)<br />

WÜRMLI MARCEL, Terror woher – Terror wohin?, in: Philipp Juchli/Marcel Würmli (Hrsg.),<br />

Auswirkungen des Terrorismus auf Recht, Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft, Bern 2006, 3 ff.<br />

(zit. Würmli, Terror)<br />

xi


Materialienverzeichnis<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches <strong>und</strong> des Militärstrafgesetzes<br />

(Revision des Einziehungsrechts, Strafbarkeit der <strong>kriminellen</strong> Organisation, Melderecht<br />

des Financiers) vom 30. Juni 1993 (BBl 1993 277 ff.)<br />

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches, der B<strong>und</strong>esstrafrechtspflege<br />

<strong>und</strong> des Verwaltungsstrafrechtsgesetzes (Massahmen zur Verbesserung der Effizienz<br />

<strong>und</strong> der Rechtsstaatlichkeit in der Strafverfolgung) vom 28. Januar 1998 (BBl<br />

1998 1529 ff.)<br />

Botschaft betreffend die Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung<br />

des Terrorismus <strong>und</strong> zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge sowie die Änderung<br />

des Strafgesetzbuches <strong>und</strong> die Anpassung weiterer B<strong>und</strong>esgesetze vom 26. Juni<br />

2002 (BBl 2002 5390 ff.)<br />

Lage- <strong>und</strong> Gefährdungsanalyse Schweiz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001,<br />

Bericht des B<strong>und</strong>esrates an das Parlament vom 26. Juni 2002 (BBl 2002 1832 ff.)<br />

Bericht innere Sicherheit der Schweiz 2001 (BISS), Publikation des B<strong>und</strong>esamtes für Polizei<br />

Bericht innere Sicherheit der Schweiz 2002 (BISS), Publikation des B<strong>und</strong>esamtes für Polizei<br />

Bericht innere Sicherheit der Schweiz 2003 (BISS), Publikation des B<strong>und</strong>esamtes für Polizei<br />

Bericht innere Sicherheit der Schweiz 2004 (BISS), Publikation des B<strong>und</strong>esamtes für Polizei<br />

Bericht innere Sicherheit der Schweiz 2005 (BISS), Publikation des B<strong>und</strong>esamtes für Polizei<br />

Bericht innere Sicherheit der Schweiz 2006 (BISS), Publikation des B<strong>und</strong>esamtes für Polizei<br />

ARZT GUNTHER, Kritisches zum Phänomen der organisierten Kriminalität, in: Ein Kampf gegen<br />

Windmühlen?, Neue Zürcher Zeitung, Ressort Staatspolitisches Forum, 13. März<br />

2002, Nr. 60, 16 (http://www.ssn.ethz.ch/info_dienst/medien/nzz/documents.htm) (zit.<br />

Arzt, NZZ)<br />

WENAWESER CHRISTIAN, Fragwürdige Sanktionspraxis des UNO-Sicherheitsrats, in: Neue<br />

Zürcher Zeitung vom 20. November 2007 (zit. Wenaweser, NZZ).<br />

WIPRÄCHTIGER HANS, Die „kriminelle Organisation“ in der Gerichtspraxis, in: Ein Kampf<br />

gegen Windmühlen?, Neue Zürcher Zeitung, Ressort Staatspolitisches Forum, 13. März<br />

2002, Nr. 60, 16 (http://www.ssn.ethz.ch/info_dienst/medien/nzz/documents.htm) (zit.<br />

Wiprächtiger, NZZ)<br />

xii


1. Einleitung<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

«…die Organisation über Frau, Kinder, Vaterland <strong>und</strong> Religion zu<br />

stellen; die Befehle eines Leutnants ohne Zögern zu befolgen, selbst wenn<br />

es sich um Mord handelt; einer Strafverfolgungsbehörde keine Informationen<br />

oder Hilfe zu geben (omertà); die von einem Leutnant festgesetzten<br />

Abgaben zu zahlen, ungeachtet eines bestimmten Zwecks; Aussenstehenden<br />

nichts über die Organisation zu offenbaren; alle Mitglieder ungeachtet<br />

persönlicher Gefühle zu respektieren; die gegenüber einem anderen<br />

Mitglied eingegangenen Schulden zu bezahlen; niemals andere Mitglieder<br />

zu verletzen, zu bestehlen oder über sie abfällige Bemerkungen zu machen;<br />

nicht mit den Frauen, Schwestern oder Töchtern zu verkehren, ausser<br />

mit ehrbaren Absichten. » 1<br />

Mit der Einführung des Organisationstatbestandes „kriminelle Organisation“ (Art. 260ter<br />

StGB) versprach sich der Gesetzgeber ein „zentrales Element einer erfolgsversprechenden<br />

Gesamtstrategie gegen das organisierte Verbrechen“ geschaffen zu haben. 2 Hinter dieser Idee<br />

stand die düstere Befürchtung, die Schweiz würde sich über kurz oder lang zu einem „Sultanat<br />

der Mafia“ 3 entwickeln.<br />

Obwohl Art. 260ter StGB seit dem 1. August 1994 in Kraft ist, hat sich die Bestimmung seither<br />

nicht besonders bewährt: Es gibt nur wenige Urteile <strong>und</strong> in gut drei Viertel der berücksichtigten<br />

Strafentscheide (48 von 63) erfolgten Freisprüche bezüglich der Anklage wegen<br />

Art. 260ter StGB. 4 Die Anwendung von Art. 260ter StGB gestaltet sich in der Praxis tatsächlich<br />

als schwierig. Das mag zunächst an der inhaltlichen Unschärfe des Tatbestandes liegen,<br />

welcher mit kriminologischen Merkmalen angereichert wurde <strong>und</strong> in der Literatur bereits vor<br />

Einführung des Tatbestandes bis heute verschiedentlich Anlass zu Kritik gab. 5 Zudem stellte<br />

die gesetzliche Formulierung des Organisationstatbestandes den Gesetzgeber vor Probleme<br />

<strong>und</strong> evozierte rechtspolitische Auseinandersetzungen. 6 Dennoch hat sich der Wortlaut von<br />

Art. 260ter StGB bis heute unverändert gehalten <strong>und</strong> bleibt v.a. für die Strafverfolgung des<br />

B<strong>und</strong>es tägliche Realität.<br />

1<br />

Publikation des U.S. Departement of Justice 1993 (13-14) zu den Gr<strong>und</strong>regeln eines (amerikanischen) Cosa<br />

Nostra-Mitglieds, abgedruckt <strong>bei</strong> VON LAMPE, Organized Crime, 200 f.<br />

2<br />

BBl 1993 277 ff.; zum Erfordernis der Strafbestimmung siehe <strong>bei</strong> KRAUSKOPF, ZStrR 1991, 392 f.<br />

3<br />

ARZT, OK-Kommentar, 334 (Fn. 114) unter Berufung auf MARK PIETH bzw. den ehemaligen Untersuchungsrichter<br />

CARLO PALERMO <strong>und</strong> dessen Referat „Mani pulite in Italia e la pista Svizzera“; PIETH, Situationsbericht,<br />

33 f.; DEL PONTE, ZStrR 1995, 240 ff.; NATTERER, Landesbericht, 734.<br />

4<br />

BAUMGARTNER, BSK II, 1722; weitere Hinweise auf Statistiken <strong>bei</strong> ARZT, ZStrR 2003, 371; WIPRÄCHTI-<br />

GER, NZZ; KOUMBARAKIS, Kronzeugenregelung, 92, wo<strong>bei</strong> auch kantonale Urteile mitberücksichtigt wurden<br />

<strong>und</strong> Art. 260ter StGB oft gemeinsam mit Art. 19 Ziff. 2 lit. b BetmG (bandenmässiger Drogenhandel)<br />

angeklagt wurde.<br />

5<br />

ARZT, AJP 1993, 1187 ff.; derselbe, OK-Kommentar, 338 f. (unter Hinweis auf WIPRÄCHTIGER, NZZ);<br />

OBERHOLZER, AJP 2000, 651 ff.; derselbe, plädoyer 2001, 32 ff..<br />

6<br />

ARZT, AJP 1993, 1187 ff.; ROULET, plädoyer 1994, 25 ff.; KUNZ, plädoyer 1996, 35; VEST, ZStrR 1994,<br />

125 ff.; siehe dazu nachfolgend unter Kapitel 4.<br />

1


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Seit dem 1. Januar 2002 ist die sogen. Effizienzvorlage in Kraft, welche auf B<strong>und</strong>esebene zur<br />

Ausdehnung der Ermittlungs- <strong>und</strong> Untersuchungskompetenzen im Bereich des organisierten<br />

Verbrechens führte. 7 Aufgr<strong>und</strong> der internationalen Verflechtung, Aufwändigkeit <strong>und</strong> Komplexität<br />

der in diesem Bereich zu führenden Strafverfahren wurde vorgeschlagen, die Ermittlungen<br />

<strong>bei</strong> der B<strong>und</strong>eskriminalpolizei, unter Leitung der B<strong>und</strong>esanwaltschaft (BA), zu zentralisieren.<br />

Seither besteht für die Ermittlung <strong>und</strong> Anklage krimineller <strong>und</strong> terroristischer Organisationen<br />

im Sinne von Art. 260ter StGB originäre B<strong>und</strong>esgerichtsbarkeit, sofern die strafbaren<br />

Handlungen zu einem wesentlichen Teil im Ausland begangen wurden oder in mehreren<br />

Kantonen <strong>und</strong> da<strong>bei</strong> kein eindeutiger Schwerpunkt in einem Kanton besteht. 8<br />

Diese Ar<strong>bei</strong>t behandelt ausgewählte <strong>Abgrenzungsprobleme</strong> welche sich im Rahmen von Art.<br />

260ter StGB bezüglich krimineller oder terroristischer Zusammenschlüsse stellen <strong>und</strong> die<br />

Ermittlungstätigkeit erschweren können: Bei Verbrechensorganisationen im gemeinrechtlichen<br />

Deliktsbereich ist es die Abgrenzung einer <strong>kriminellen</strong> Organisation von einer gut organisierten,<br />

international tätigen Bande; <strong>bei</strong> terroristischen Organisationen ist es die heikle Abgrenzung<br />

zwischen einem Terroristen <strong>und</strong> einem „legitimen“ Freiheitskämpfer. Solche Abgrenzungen<br />

sind gesetzgeberisch kaum lösbar, weshalb diese der Rechtsprechung überantwortet<br />

ist. Unter Berücksichtigung der bisher ergangenen (v.a. internationalstrafrechtlichen)<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichts wird daher der Frage nachgegangen, für welche <strong>kriminellen</strong><br />

oder terroristischen Organisationen, Vereinigungen, Gebilde, Gruppierungen, professionellen<br />

Banden etc. Art. 260ter StGB einschlägig ist. Im Anschluss soll diese Rechtsprechung<br />

auch entsprechend (kritisch) gewürdigt <strong>und</strong> Schlussfolgerungen für die Strafverfolgung gezogen<br />

werden. Diese Abgrenzungsproblematik wird nicht selten von prozessualen <strong>und</strong> faktischen<br />

Hindernissen begleitet. Auch diese sollen in angemessenem Umfang zur Sprache kommen,<br />

um aufzuzeigen, dass den Intentionen der Effizienzvorlage nicht immer in gewünschter<br />

Weise nachgelebt werden kann. Aufgr<strong>und</strong> der besonderen Aktualität werden in zwei Exkursen<br />

Einzelaspekte im Zusammenhang mit Art. 260ter StGB erörtert.<br />

Es sollen in dieser Ar<strong>bei</strong>t nicht nur <strong>Abgrenzungsprobleme</strong> aus Sicht der Strafverfolgung aufgezeigt<br />

werden. Soweit möglich, sollen – unter Berücksichtigung von Gesetzgebung, Rechtsprechung<br />

<strong>und</strong> Lehre – wenn nicht Lösungen, so zumindest Empfehlungen formuliert werden,<br />

worauf <strong>bei</strong> künftigen Ermittlungen <strong>und</strong> in der Urteilsfindung im Zusammenhang mit Art.<br />

260ter StGB vermehrt geachtet werden sollte.<br />

(Die Literatur, Rechtsprechung, Presseberichte, Internetseiten sowie Hinweise auf aktuelle<br />

Strafverfahren wurden bis 17. Juni 2008 berücksichtigt.)<br />

7<br />

Botschaft über die Änderung des Strafgesetzbuches, der B<strong>und</strong>esstrafrechtspflege <strong>und</strong> des Verwaltungsstrafrechtsgesetzes<br />

(Massnahmen zur Verbesserung der Effizienz <strong>und</strong> der Rechtsstaatlichkeit in der Strafverfolgung)<br />

vom 28.01.1998, BG vom 22. Dezember 1999, in Kraft seit 1. Januar 2002 (BBl 1998 1529 ff.);<br />

BÄNZIGER/LEIMGRUBER, Effizienzvorlage, 26-50.<br />

8<br />

BBl 1998 1529 ff.; BBl 2002 1878; vgl. Art. 337 Abs. 1 lit. a <strong>und</strong> b StGB (Art. 340bis Abs. 1 aStGB); zur<br />

Entstehungsgeschichte der Effizienzvorlage ausführlich <strong>bei</strong> BÄNZIGER/LEIMGRUBER, Effizienzvorlage, 26-<br />

50.<br />

2


2. Begriffe <strong>und</strong> Untersuchungsgegenstand<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Die Antwort auf die Frage, was mit organisierter Kriminalität oder organisiertem Verbrechen<br />

genau gemeint ist, gehört vorab <strong>und</strong> hauptsächlich zum Erkenntnisgegenstand der Kriminologie.<br />

In Polizeikreisen hat die Bezeichnung „OK-Ermittlung“ eine organisationspolitische Bedeutung<br />

erlangt <strong>und</strong> zwar unter der Abkürzung „OK“. 9 Dies erspart den Ermittlungsbehörden<br />

lange Erklärungen, in welchem Bereich sie tätig sind. In der Lehre werden die Begriffe organisierte<br />

Kriminalität, organisiertes Verbrechen <strong>und</strong> kriminelle Organisation weitgehend synonym<br />

verwendet. 10<br />

Da der Gesetzgeber <strong>bei</strong> der Schaffung von Art. 260ter StGB diese Begriffe vor Augen hatte,<br />

wird nachfolgend kurz auf deren Bedeutung eingegangen.<br />

2.1. Begriff der „organisierten Kriminalität“ (OK)<br />

Bei OK handelt es sich, wie <strong>bei</strong> der Wirtschaftskriminalität auch, um einen kriminologischen<br />

Begriff, den das materielle Strafrecht nicht kennt. 11<br />

Seit Mitte der 80er Jahre ist die OK auch in der Schweiz ein kriminalpolitisches Thema <strong>und</strong><br />

wird als ein bedrohliches Phänomen empf<strong>und</strong>en. Die Botschaft spricht in diesem Zusammenhang<br />

zwar von organisiertem Verbrechen, meint aber eher die organisierte Kriminalität, wenn<br />

sie das organisierte Verbrechen als gefährliches Phänomen bezeichnet <strong>und</strong> festhält, es gehe<br />

um eine „kriminalistisch-kriminologische Umschreibung“, welche das besondere Gefährdungspotential<br />

identifizieren soll. 12 Es wird ausgeführt, in der Schweiz trete das organisierte<br />

Verbrechen in drei Formen in Erscheinung: Eine erste Form betreffe vor allem Kantone mit<br />

grösseren Agglomerationen. Hier gebe es Strukturen im Übergang von professioneller Bandenkriminalität<br />

zu Organisationen, die sich mafiöser Methoden bedienen, so z.B. Check- oder<br />

Autoknackerbanden, Schutzgelderpressungen, vor allem aber der Betäubungsmittelhandel<br />

mittlerer Stufe. Es handle sich da<strong>bei</strong> um „Inseln organisierter Basiskriminalität“. Die zweite<br />

Erscheinungsform betreffe die Finanzplätze der Schweiz (vorab die Kantone Zürich, Genf<br />

<strong>und</strong> Tessin); hier bestünden Hinweise, dass schweizerische Dienstleistungsunternehmen als<br />

logistische Basis internationaler „Operationen“, insbesondere für deren Finanzverwaltung <strong>und</strong><br />

zu Geldwaschtransaktionen, benutzt würden. Es werde in diesem Zusammenhang vermutet<br />

9<br />

Siehe dazu die Berichte zur inneren Sicherheit der Schweiz (Publikation des B<strong>und</strong>esamtes für Polizei),<br />

2001-2006, welche jeweils ein Kapitel der „Organisierten Kriminalität“ widmen <strong>und</strong> darunter namentlich<br />

kriminelle Gruppen aus Italien, Südosteuropa, der GUS <strong>und</strong> aus China sowie westafrikanische kriminelle<br />

Gruppen, Betäubungsmittelhandel, Menschenschmuggel <strong>und</strong> Menschenhandel zusammenfassen; FALK,<br />

Analyse der OK, 16.<br />

10<br />

ESTERMANN, OK, 9, der die möglichen Tätigkeitsfelder krimineller Organisationen weitgehend mit organisierter<br />

Kriminalität gleichsetzt; etwas differenzierter <strong>bei</strong> ARZT, OK-Kommentar, 312 ff.<br />

11<br />

BBl 1998 1544.<br />

12<br />

BBl 1993 280; LOBSIGER, Verbrechensbekämpfung, 129-131.<br />

3


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

bzw. befürchtet, dass die Schweiz in einem gewissen Mass die Funktion einer Drehscheibe<br />

bzw. eines logistischen Zentrums für das organisierte Verbrechen habe. Die dritte <strong>und</strong><br />

zugleich gefährlichste Variante ziele auf das Eindringen in die legale Wirtschaft ab; etwa vorstellbar<br />

in Form einer Beteiligung der Mafia an einem Schweizer Unternehmen. 13<br />

Organisierte Kriminalität stellt eine komplexe, transnationale Form der Kriminalität dar.<br />

Nicht ein bestimmtes Delikt <strong>und</strong> in der Regel auch nicht eine Serie von Straftaten, sondern<br />

erst die Existenz von (internationalen) Netzwerken, dauerhaften personalen Beziehungen sowie<br />

besondere Umstände der Tatplanung, -ausführung <strong>und</strong> Beuteverwertung, Vorgehensmuster<br />

wie (insbesondere merkantile) Professionalität, Konspiration, Intimidation, Korruption,<br />

Ar<strong>bei</strong>tsteiligkeit, der methodische Einsatz von Gewalt bzw. Einschüchterung, die Befriedigung<br />

nach (illegalen) Gütern <strong>und</strong> Dienstleistungen <strong>und</strong> der Versuch der Einflussnahme auf<br />

Staat <strong>und</strong>/oder Wirtschaft indizieren das Vorliegen von organisierter Kriminalität. 14<br />

Im nationalen Forschungsprogramm „Gewalt im Alltag <strong>und</strong> organisierte Kriminalität“ sind<br />

r<strong>und</strong> 15 Teams damit beauftragt worden, die verschiedenen Aspekte des Phänomens OK –<br />

Ausmass, Struktur, Vorgehensweise, Konsequenzen – näher zu beleuchten. Die Untersuchung<br />

kommt zum Schluss, dass es zwar illegale Märkte für Drogenhandel, Schmuggel, Menschenhandel,<br />

Korruption <strong>und</strong> Geldwäscherei gebe, die allesamt mehr oder minder organisiert seien.<br />

Die Situation sei jedoch nicht derart dramatisch, als dass die Schweiz zum Tummelplatz krimineller<br />

Organisationen geworden wäre. Sowohl die vermutete Bedeutung mafiöser Organisationen<br />

als auch die Menge reingewaschener Profite sei <strong>bei</strong> weitem nicht so gross wie gemeinhin<br />

angenommen werde. Als problematisch erachteten die Forscherteams eine Definition<br />

<strong>und</strong> das Verständnis von OK: Es sei ein Begriff, der in seiner nichtssagenden Allgemeinheit<br />

der Vielfalt krimineller Strukturen <strong>und</strong> Verhaltensweisen in keiner Weise gerecht werde. 15<br />

Andere Kritiker brachten vor, der Begriff der organisierten Kriminalität erlaube keine deutliche<br />

Abgrenzung zu herkömmlichen Kriminalitätsformen <strong>und</strong> lasse ganz allgemein klare Konturen<br />

zugunsten einer „Schlagwortartigkeit des Feindbilds“ vermissen. 16 Diesem Bef<strong>und</strong> ist<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich zuzustimmen.<br />

13 BBl 1993 282-285; BBl 2002 1833, 1840 f., 1863 f.; HEINE, Landesbericht, 353; ESTERMANN, OK, 190;<br />

NATTERER, Landesbericht, 736 f.; KOUMBARAKIS, Kronzeugenregelung, 89 f.; PIETH, ZStrR 1992, 261; derselbe,<br />

ZStrR 1995, 229; ROULET, plädoyer 1994, 26; STEGMANN, OK, 61.<br />

14 FALK, Analyse von OK, 15 f., 18.<br />

15 BESOZZI, Ergebnisse NFP 40, 71 f., insbes. 136-140; ARZT, OK-Kommentar, 334, „…organisierte Kriminalität<br />

jedenfalls im binnenschweizerischen Alltag nicht als echte Bedrohung zu betrachten ist, sondern als<br />

Phantom“; LOBSIGER, Verbrechensbekämpfung, 141 ff.; NATTERER, Landesbericht, 738 f.<br />

16 ROULET, plädoyer 1994, 24 ff.; ähnlich ARZT, AJP 1993, 1187 ff.; NATTERER, Landesbericht, 734 ff.; OBER-<br />

HOLZER, AJP 2000, 655; derselbe, plädoyer 2001, 32 f.<br />

4


2.2. Begriff des „organisierten Verbrechens“<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

In der Literatur wird das organisierte Verbrechen der organisierten Kriminalität weitgehend<br />

gleichgestellt bzw. zum Teil gleichgesetzt mit Bandenkriminalität, Wirtschaftskriminalität,<br />

Terrorismus, Drogen- <strong>und</strong> Waffenhandel. 17 ARZT spricht von „organisierter Kriminalität im<br />

engeren Sinne“ <strong>und</strong> zählt Waffenschmuggel, Entführungen, Schutzgelderpressung, Drogen-<br />

<strong>und</strong> Hehlerorganisationen, Prostitutions-, Pornographie-, Glücksspiel-, Schlepper- <strong>und</strong><br />

Schmugglerorganisationen sowie den Schwarzmarkt dazu. 18 Problematisch da<strong>bei</strong> ist, dass es<br />

heute kaum mehr eine gemeinstrafrechtlich verübte Straftat gibt, die nicht schon dem organisierten<br />

Verbrechen zugerechnet wird. 19<br />

In der Botschaft zum zweiten Massnahmenpaket gegen die Bekämpfung gegen die organisierte<br />

Kriminalität ist nachzulesen: „Organisiertes Verbrechen liegt dort vor, wo Organisationen<br />

in Annäherung an die Funktionsweise internationaler Unternehmen hochgradig ar<strong>bei</strong>tsteilig,<br />

stark abgeschottet, planmässig <strong>und</strong> auf Dauer angelegt sind <strong>und</strong> durch Begehung von Delikten<br />

sowie durch die Teilnahme an der legalen Wirtschaft möglichst hohe Gewinne anstreben. Die<br />

Organisation bedient sich da<strong>bei</strong> der Mittel der Gewalt, Einschüchterung, 20 Einflussnahme auf<br />

Politik <strong>und</strong> Wirtschaft. Sie weist regelmässig einen stark hierarchischen Aufbau auf <strong>und</strong> verfügt<br />

über wirksame Durchsetzungsmechanismen für interne Gruppennormen. Ihre Akteure<br />

sind da<strong>bei</strong> weitgehend austauschbar.“ 21 Aufgr<strong>und</strong> dieser (überwiegend kriminologischen)<br />

Merkmale wird deutlich, dass der Gesetzgeber, wenn er von organisiertem Verbrechen<br />

spricht, vor allem die kriminelle Organisation vor Augen hatte.<br />

Der Begriff „organisiertes Verbrechen“ hat auch Eingang ins Strafgesetzbuch gef<strong>und</strong>en: In<br />

der Marginale von Art. 337 StGB (B<strong>und</strong>esgerichtsbarkeit) erwähnt der Gesetzgeber ausdrücklich<br />

(u.a.) das organisierte Verbrechen. Es handelt sich <strong>bei</strong> dieser Bestimmung indessen um<br />

eine Zuständigkeitsnorm, weswegen sich letztlich auch der Schluss, die genannten Straftatbestände<br />

seien exklusiv dem organisierten Verbrechen zuzurechnen, verbietet.<br />

17<br />

Statt vieler MÜLLER, AJP 1993, 1180, der das organisierte Verbrechen als „schwer fassbares Phänomen“<br />

bezeichnet. In der Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Gesetzgebung über<br />

Geldwäscherei <strong>und</strong> mangelnde Sorgfalt <strong>bei</strong> Geldgeschäften) vom 12. Juni 1989 (BBl 1989 1067) wurde<br />

konkret auf die Fälle „Schweizerische Kreditanstalt“, „Texon Anstalt“, „Weisscredit Bank“, „Banco<br />

Ambrosiano“, „Pizza Connection“ <strong>und</strong> „Libanon-Connection“ verwiesen.<br />

18<br />

ARZT, OK-Kommentar, 314-320.<br />

19<br />

OBERHOLZER, plädoyer 2001, 32 f..<br />

20<br />

Eine Einschüchterung im hier verstandenen Sinne liegt dann vor, wenn Teile der Bevölkerung in ihrem<br />

Sicherheitsgefühl spürbar beeinträchtigt werden oder Verhaltensänderungen vornehmen, indem sie oder<br />

staatliche Behörden an ihrer statt Vorsichtsmassnahmen treffen (VEST, Handkommentar SHK, 100).<br />

21<br />

BBl 1993 280 f.; siehe auch <strong>bei</strong> HEINE, Landesbericht, 355; PIETH, ZStrR 1992, 262; derselbe, ZStrR 1995,<br />

228 f.; derselbe, Situationsbericht, 34 f.; BISS 2002, 11 <strong>und</strong> 54. Polizei- <strong>und</strong> Strafverfolgungsbehörden ar<strong>bei</strong>ten<br />

in diesem Zusammenhang mit sogen. Indikatorenkatalogen, um das organisierte Verbrechen besser erfassen<br />

zu können. Näheres dazu <strong>bei</strong> BAUMGARTNER, BSK II, 1724; BARTHELMESS, Sicherheitspolitik, 27,<br />

PIETH/FREIBURGHAUS, Bericht EJPD 1993, 9-15 <strong>und</strong> 26; ARZT, OK-Kommentar, 350; ROULET, plädoyer<br />

1994, 26 f.<br />

5


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Konkret erwähnt Art. 337 Abs. 1 StGB<br />

- die Beteiligung an oder Unterstützung einer <strong>kriminellen</strong> Organisation (Art. 260ter<br />

StGB);<br />

- die Finanzierung des Terrorismus nach Art. 260quinquies StGB;<br />

- die Geldwäscherei nach Art. 305bis StGB;<br />

- die mangelnde Sorgfalt <strong>bei</strong> Finanzgeschäften <strong>und</strong> Melderecht nach Art. 305ter StGB;<br />

- die Bestechungsstraftatbestände nach Art. 322ter-322septies StGB sowie<br />

- die Verbrechen, die von einer <strong>kriminellen</strong> Organisation im Sinne von Art. 260ter<br />

StGB ausgehen.<br />

Es ist unklar, was unter „Verbrechen, die von einer <strong>kriminellen</strong> Organisation i.S.v. Art. 260ter<br />

StGB ausgehen“, zu verstehen ist. Gemäss Botschaft sind damit Gewaltverbrechen aller Art,<br />

aber auch zur Bereicherung eingesetzte verbrecherische Mittel (wie Diebstahl, Betrug, Veruntreuung)<br />

gemeint; an anderer Stelle ist von „Verbrechen im Dunstkreis von Verbrechensorganisationen“<br />

die Rede. 22 Nicht zuletzt diese exemplifikative Auflistung von möglichen Verbrechenstatbeständen<br />

spricht für die hier vertretene These, dass der Begriff „organisiertes<br />

Verbrechen“ mehr darstellt als nur eine kriminologische bzw. kriminalpolitische Wortschöpfung<br />

wie die organisierte Kriminalität. Es kann von einem juristischen Ober- oder Sammelbegriff<br />

gesprochen werden, unter welchen sich die in Art. 337 Abs. 1 StGB aufgeführten<br />

Straftatbestände subsumieren lassen. Unter Art. 337 Abs. 1 StGB fällt demzufolge das, was<br />

kriminologisch <strong>und</strong> kriminalpolitisch unter organisierter Kriminalität zusammengefasst<br />

wird. 23<br />

2.3. Begriff der „<strong>kriminellen</strong> Organisation“ nach Art. 260ter StGB<br />

Gemäss Art. 260ter Ziff. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe<br />

bestraft, wer sich an einer Organisation beteiligt, die ihren Aufbau <strong>und</strong> ihre personelle Zusammensetzung<br />

geheim hält <strong>und</strong> die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen oder<br />

sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern. Derselben Strafdrohung unterliegt, wer eine<br />

solche Organisation in ihrer verbrecherischen Tätigkeit unterstützt.<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat die Vorgaben des Gesetzgebers übernommen, ausgebaut <strong>und</strong> umschreibt<br />

den Begriff der Verbrechensorganisation im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB<br />

(letztmals) wie folgt: „Er setzt eine strukturierte Gruppe von mindestens drei, im Allgemeinen<br />

mehr, Personen voraus, die mit dem Ziel geschaffen wurde, unabhängig von einer Änderung<br />

ihrer Zusammensetzung dauerhaft zu bestehen, <strong>und</strong> die sich namentlich durch die Unterwerfung<br />

ihrer Mitglieder unter Anweisungen, durch systematische Ar<strong>bei</strong>tsteilung, durch<br />

Intransparenz <strong>und</strong> durch in allen Stadien ihrer verbrecherischen Tätigkeit vorherrschende<br />

Professionalität auszeichnet. Im Weiteren gehört zum Begriff der <strong>kriminellen</strong> Organisation<br />

die Geheimhaltung von Aufbau <strong>und</strong> Struktur. Eine im Allgemeinen mit jeglichem strafbaren<br />

22<br />

BBl 1998 1544-1545. Zu den „Verbrechen im Dunstkreis von Verbrechensorganisationen“ gehören zweifelsohne<br />

die qualifizierten Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 2 BetmG).<br />

23<br />

BBl 1998 1544; NAY/THOMMEN, BSK II, 2521.<br />

6


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Verhalten verb<strong>und</strong>ene Verschwiegenheit genügt nicht. Erforderlich ist eine qualifizierte <strong>und</strong><br />

systematische Verheimlichung, die sich nicht notwendig auf das Bestehen der Organisation<br />

selbst, wohl aber auf deren interne Struktur sowie den Kreis ihrer Mitglieder <strong>und</strong> Helfer<br />

erstrecken muss. Zudem muss die Organisation den Zweck verfolgen, Gewaltverbrechen zu<br />

begehen oder sich durch verbrecherische Mittel Einkünfte zu verschaffen. Die Bereicherung<br />

durch verbrecherische Mittel setzt das Bestreben der Organisation voraus, sich durch die<br />

Begehung von Verbrechen, namentlich von Verbrechen gegen das Vermögen <strong>und</strong> von als<br />

Verbrechen erfassten Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, rechtswidrige<br />

Vermögensvorteile zu verschaffen.“ 24<br />

2.4. Schlussfolgerungen <strong>und</strong> Empfehlungen<br />

Der Begriff organisierte Kriminalität umschreibt ein Phänomen <strong>und</strong> mag für kriminologische<br />

<strong>und</strong> kriminalpolitische Überlegungen dienlich sein. Das Konzept der organisierten Kriminalität<br />

ist eine kriminalpolitisch motivierte Begriffsschöpfung, die aufgr<strong>und</strong> des Fehlens bisheriger<br />

strafrechtlicher Zugriffsmöglichkeiten geschaffen wurde. Es wird eine bildhafte, gleichsam<br />

allegorische Begrifflichkeit („Organisation“) verwendet, deren Bedeutungsgehalt nicht<br />

exakt <strong>und</strong> abschliessend bestimmt, sondern nur exemplarisch <strong>und</strong> analogisch erschlossen<br />

werden kann. 25 Für juristisch-dogmatische Abgrenzungen oder gar Straftatbestandsumschreibungen<br />

ist der Begriff jedoch nicht geeignet. Zu oft <strong>und</strong> irreführend wird OK wie ein Rechtsbegriff<br />

verwendet, obwohl er nirgends definiert ist. Spätestens im Gerichtssaal ist der Begriff<br />

der OK „unpraktikabler Prozessstoff“, 26 weshalb er in diesem Zusammenhang keine Erwähnung<br />

finden sollte.<br />

Auch der Begriff des organisierten Verbrechens, verstanden als Konzept, bringt keinen definitorischen<br />

Mehrwert: Er steht nicht nur für eine unbestimmte Anzahl möglicher Straftaten,<br />

sondern auch für eine Vielzahl graduell abgestufter Vernetzungsformen von Straftätern (krimineller<br />

Organisationen, Banden etc.), sei es regional, national oder international. 27 Die B<strong>und</strong>eszuständigkeitsnorm<br />

von Art. 337 Abs. 1 StGB bzw. die darin erwähnten Straftatbestände<br />

lassen immerhin die Annahme eines juristischen Oberbegriffes zu. Weiter kommt hinzu, dass<br />

die vom Gesetzgeber gewählte, offene Formulierung „Verbrechen, die von einer <strong>kriminellen</strong><br />

Organisation im Sinne von Art. 260ter StGB ausgehen“ Raum lässt für weitere Verbrechensstraftatbestände<br />

des Besonderen Teils des StGB, aber auch der Nebenstrafgesetzgebung (namentlich<br />

qualifizierte Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art.<br />

19 Ziff. 2 BetmG), die in Beziehung zum organisierten Verbrechen stehen.<br />

Die Begriffe OK <strong>und</strong> organisiertes Verbrechens können für Polizeiorganigramme <strong>und</strong> als<br />

Kurzumschreibung eines Phänomens mehrerer Deliktskategorien hilfreich sein, aufgr<strong>und</strong> ih-<br />

24<br />

BGE 132 IV 132 E. 4.1.1.; siehe auch BGE 129 IV 271, 273 f. E. 2.3.1 (publiziert in Pra 2004 Nr. 89, 511<br />

f.); Urteil des B<strong>und</strong>esgerichts 6S.463/1996 vom 27.08.1996, E. 4 (veröffentlicht in SJ 1997, 1 ff.); BBl 1993<br />

297 ff.; NATTERER, Landesbericht, 740 ff.<br />

25<br />

KUNZ, plädoyer 1996, 33; MÖHN, OK-Begriff, 534.<br />

26<br />

FALK, Analyse der OK, 17.<br />

27<br />

PIETH/FREIBURGHAUS, Bericht EJPD 1993, 15.<br />

7


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

rer kriminalpolitischen <strong>und</strong> -kriminologischen Prägung sind sie jedoch für die Begriffsjurisprudenz,<br />

für rechtliche Qualifikationen <strong>und</strong> Subsumptionen ungeeignet. Da sich die organisierte<br />

Kriminalität bzw. organisiertes Verbrechen zudem rasch an neue Gegebenheiten anpasst,<br />

ist eine abschliessende Definition nicht empfehlenswert 28 <strong>und</strong> im Übrigen forensisch<br />

auch nicht notwendig.<br />

Der Tatbestand der <strong>kriminellen</strong> Organisation (Art. 260ter StGB) <strong>bei</strong>nhaltet zwar weitgehend<br />

die aus der OK bzw. des organisierten Verbrechens entwickelten Merkmale <strong>und</strong> Indikatoren.<br />

Auch wenn sich einige Autoren zu Recht die Frage stellen, ob ein auf diese Weise zur materiellen<br />

Norm erhobener Straftatbestand den Anforderungen des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots<br />

zu genügen vermag, 29 hat sich die bisher ergangene Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtes<br />

zu Art. 260ter StGB doch um eine mehr oder minder träfe, für die Praxis brauchbare<br />

Umschreibung der Verbrechensorganisation bemüht.<br />

Für die weiteren Betrachtungen ist die Feststellung wichtig, dass in aller Regel Aktivitäten<br />

einer <strong>kriminellen</strong> Organisation im Sinne von Art. 260ter StGB als organisierte Kriminalität<br />

bezeichnet werden können, sich jedoch Bereiche der organisierten Kriminalität nicht Tätergruppen<br />

zurechnen lassen, für die die Voraussetzungen einer <strong>kriminellen</strong> Organisation im<br />

Sinne von Art. 260ter StGB gegeben wären. 30 Im folgenden Teil dieser Ar<strong>bei</strong>t wird nun der<br />

Frage nachgegangen, wann im Einzelfall von einer <strong>kriminellen</strong> oder terroristischen Organisation<br />

im Sinne von Art. 260ter StGB gesprochen werden kann <strong>und</strong> wo <strong>Abgrenzungsprobleme</strong><br />

zu anderen <strong>kriminellen</strong> oder nicht-terroristischen Gruppierungen bestehen.<br />

28<br />

HEINE, Landesbericht, 355.<br />

29<br />

OBERHOLZER, AJP 2000, 657; PIETH, ZStrR 1995, 234 (mit Hinweisen). ARZT, AJP 1993, 1188 f., kritisierte,<br />

es sei ein Mangel, dass nicht klar unterschieden werde zwischen einer unverbindlichen kriminologischen<br />

Umschreibung der „typischen“ Organisation <strong>und</strong> scharf definierten Tatbestandsmerkmalen. Die Botschaft<br />

suggeriere durch kriminologisch mehr oder weniger zutreffend beschriebene Merkmale eine restriktive<br />

Handhabung des Tatbestandes, die so jedoch nicht gewährleistet werden könne, weil die kriminologischen<br />

Merkmale nicht in den Tatbestand aufgenommen worden seien.<br />

30<br />

Bspw. <strong>bei</strong> einer Bande; ARZT, OK-Kommentar, 312.<br />

8


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

3. Mafiöse Organisationen <strong>und</strong> Verbrechersyndikate<br />

3.1. Der Ursprung der Mafia<br />

Der Ursprung des (europäischen) organisierten Verbrechens ist sehr eng mit der Kulturgeschichte<br />

Süditaliens verb<strong>und</strong>en. Dort hat der Landadel im 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert die Macht<br />

an die Pächter verloren. Diese haben in der Folge wie selbsternannte „Regionalfürsten“ <strong>und</strong><br />

Patrone, vorwiegend zu ihrem persönlichen Profit, notfalls auf gewalttätige Weise, ihre eigenen<br />

Normen durchgesetzt <strong>und</strong> sorgten wegen der Schwäche des Zentralstaates für „Ordnung“.<br />

Allerdings mutierten diese Landherren vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

zu veritablen Geschäftsleuten, wo<strong>bei</strong> ihnen vorab der illegale Betäubungsmittel- <strong>und</strong> Waffenhandel<br />

ungeahnte Gewinnmöglichkeiten erschloss. 31<br />

Der Begriff „Mafia“ wird auch als Synonym für organisierte Kriminalität oder für kriminelle<br />

Organisationen gebraucht, die sich analog der sizilianischen Mafia organisieren <strong>und</strong> deren<br />

kriminelle Aktivitäten ebenso angelegt sind. 32<br />

Die Mafia hat sich gewissermassen zu einer parastaatlichen Parallelgesellschaft entwickelt,<br />

indem sie sich (zumindest in Italien) innerhalb des Gemeinwesens zu einem konkurrierenden<br />

zweiten Staat mit eigenen, selbst geschaffenen Regeln etablierte. Nach der Feststellung des<br />

ermordeten sizilianischen Untersuchungsrichters FALCONE bedeutet Mafia nichts anderes als<br />

der „Ausdruck eines Verlangens nach Ordnung <strong>und</strong> damit nach Staat“. 33<br />

Die mafiösen Vereinigungen <strong>und</strong> Verbrechersyndikate gelten als die bekanntesten <strong>und</strong> etabliertesten<br />

Formen krimineller Organisationen. Typisch für mafiaähnliche Organisationen sind<br />

einerseits ein aggressives Gewinnstreben unter Einsatz verbrecherischer Mittel <strong>und</strong> andererseits<br />

die Bereitschaft zur Verübung von Gewaltverbrechen. 34 Mafiaähnliche verbrecherische<br />

Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie hochgradig ar<strong>bei</strong>tsteilig vorgehen <strong>und</strong> sich<br />

nach aussen hin stark abschotten. Dennoch konnten sich bis heute in der Schweiz eigentliche<br />

mafiöse Strukturen mit flächendeckender Gebietskontrolle <strong>und</strong> Einfluss auf gesellschaftliche<br />

Machtzentren bisher noch nicht etablieren. 35<br />

31 PIETH, ZStrR 1995, 228 f. mit Hinweis auf PINO ARLACCHI, Mafiose Ethik <strong>und</strong> der Geist des Kapitalismus,<br />

Frankfurt 1989; PIETH/FREIBURGHAUS, Bericht EJPD 1993, 18-22 (mit Hinweisen auf FALCONE, PADOVANI<br />

<strong>und</strong> ARLACCHI). Zu Strukturen <strong>und</strong> Konzepte der Mafia <strong>bei</strong> HARTMANN, Mafia, 642 ff. (insbes. 647 f.). Zur<br />

Entstehungsgeschichte der sizilianischen Mafia siehe JOHN DICKIE, Cosa Nostra – Die Geschichte der Mafia,<br />

Frankfurt 2006 sowie SCHOTT, Kriminalistik 2000, 513 ff.<br />

32 SCHOTT, Kriminalistik 2000, 513; zur Terminologie der Mafia siehe FALCONE, Mafia, 25 ff.; PIETH, ZStrR<br />

1995, 227 f.<br />

33 SCHOTT, Kriminalistik 2000, 514-515 unter Bezugnahme auf GIOVANNI FALCONE/MARCELLE PADOVANI,<br />

Inside Mafia, 1991, 76-77 <strong>und</strong> 137.<br />

34 FORSTER, Kollektive Kriminalität, 14; es kommen gr<strong>und</strong>sätzlich alle Formen von Gewaltverbrechen in Frage,<br />

namentlich qualifizierter Drogenhandel, Lösegeldentführung, Geiselnahme, Schutzgelderpressung,<br />

Brandstiftung- <strong>und</strong> Sprengstoffdelikte, illegaler Waffen- <strong>und</strong> Technologiehandel, illegale Prostitution, Frauen-<br />

<strong>und</strong> Menschenhandel etc.<br />

35 FORSTER, Kollektive Kriminalität, 8.<br />

9


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

3.2. Die (ital.) Mafia <strong>und</strong> andere Verbrecherorganisationen als „Pate“ für<br />

Art. 260ter StGB<br />

Italien kommt für das schweizerische Recht sicher die Rolle eines Vorbildes zu, weil auch<br />

hinter Art. 260ter StGB die Idee steckt, Vereinigungen „di tipo mafioso“ zu treffen. 36 Art.<br />

260ter StGB wurde in der öffentlichen Diskussion deshalb auch als eigentlicher Mafia-Artikel<br />

gehandelt <strong>und</strong> inhaltlich sehr viel restriktiver ausgestaltet als die kriminelle Gruppe. 37<br />

Die Botschaft umschreibt am Beispiel der Mafia, wie sich eine Organisation in ihrer heimischen<br />

Sozialstruktur etablieren kann. So habe die Mafia spätestens seit den Achtzigerjahren<br />

unter Einsatz der gewaltigen Erträge des Drogenhandels sich in kulturfremde Volkswirtschaften<br />

einkaufen können. Das eigentliche Risiko bestehe darin, <strong>bei</strong> Bedarf durch Korruption <strong>und</strong><br />

Erpressung die Regeln des Marktes partiell ausser Kraft zu setzen <strong>und</strong> den Wettbewerb zu<br />

verfälschen. Mit den gleichen Mitteln kann es dem organisierten Verbrechen gelingen, auch<br />

auf Politik <strong>und</strong> Verwaltung Einfluss zu nehmen. Die besondere Gefährlichkeit bestehe in der<br />

Begehung von Gewaltverbrechen <strong>und</strong> in der Bereicherung mit verbrecherischen Mitteln. 38<br />

Ein Kernelement mafiöser Vereinigungen <strong>und</strong> ähnlicher Verbrechersyndikate bildet die sogen.<br />

„omertà“, das totale Schweigegebot, das als striktes Zusammenar<strong>bei</strong>tsverbot mit staatlichen<br />

Behörden innerhalb der Organisation <strong>und</strong> auch in den kontrollierten Gebieten rigoros<br />

durchgesetzt wird. Durch Einschüchterungen der Bevölkerung demonstrieren mafiöse Organisationen<br />

ihre Macht <strong>und</strong> kontrollieren flächendeckend ganze Gebiete <strong>und</strong> Regionen. Sie<br />

zeichnet sodann ein hoher, eiskalter Pragmatismus aus, was die Begehung von Gewaltverbrechen<br />

gegen Konkurrenten, Feinde, Abtrünnige <strong>und</strong> Staatsorgane betrifft. 39<br />

An diesem Bild der (italienischen) Mafia hat sich seit Einführung von Art. 260ter StGB nichts<br />

geändert, wie etwa den jährlich erscheinenden Berichten zur inneren Sicherheit der Schweiz<br />

(verfasst von der Dienststelle für Analyse <strong>und</strong> Prävention, DAP) 40 entnommen werden kann.<br />

Darin werden die Camorra, ’Ndrangheta, die Cosa Nostra <strong>und</strong> die Sacra Corona Unità als die<br />

vier grössten mafiösen Organisationen bezeichnet, wo<strong>bei</strong> es sich <strong>bei</strong> der ’Ndrangheta um die<br />

gefährlichste, aktivste <strong>und</strong> dynamischste kriminelle Organisation Italiens 41 handle, welche<br />

auch Aktivitäten in der Schweiz entfalte. 42<br />

36<br />

ARZT, OK-Kommentar (1. Aufl.), 305 mit Hinweis auf GHERHARDO COLOMBO/LUIGI MAGISTRO, La Legislazione<br />

antimafia, Milano 1994.<br />

37<br />

ARZT, OK-Kommentar, 310.<br />

38<br />

BBl 1993 281 f.; 296; FORSTER, Kollektive Kriminalität, 8 ff.<br />

39<br />

SCHOTT, Kriminalistik 2000, 515 f.<br />

40<br />

Der Dienst für Analyse <strong>und</strong> Prävention (DAP) des B<strong>und</strong>esamtes für Polizei ist der Inlandgeheimdienst <strong>und</strong><br />

erfüllt die Aufgaben des präventiven Staatsschutzes. Er ist auch das Analyse- <strong>und</strong> Lageorgan des B<strong>und</strong>es im<br />

Bereich der inneren Sicherheit. Der DAP ar<strong>bei</strong>tet eng mit den Polizeiorganen der Kantone <strong>und</strong> der B<strong>und</strong>eskriminalpolizei,<br />

aber auch mit anderen schweizerischen Fachstellen <strong>und</strong> ausländischen Dienststellen zusammen.<br />

(http://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/fedpol/organisation/dienst_fuer_analyse.html., Stand<br />

16.06.2008).<br />

41<br />

So auch die Einschätzung der italienischen Direzione Investigativa Antimafia (DIA), vgl. BISS 2004, 51.<br />

42<br />

BISS 2004, 50 f.; BISS 2006, 50.<br />

10


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

3.3. Verurteilung in der Schweiz wegen Unterstützung der ’Ndrangheta<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hat in konstanter Rechtsprechung, aber in allgemeiner Weise festgehalten,<br />

dass unter den Begriff der <strong>kriminellen</strong> Organisation im Sinne von Art. 260ter StGB mafiaähnliche<br />

Verbrechersyndikate fallen. 43 Es hat sich bis anhin noch nicht in einem Entscheid konkret<br />

dazu äussern müssen, ob eine bestimmte Organisation als mafiös oder mafiaähnlich <strong>und</strong><br />

damit im Sinne von Art. 260ter StGB als kriminell zu qualifizieren sei. 44<br />

Dennoch ist es im Zusammenhang mit mafiösen Organisationen in der Schweiz zu einer prominenten<br />

Verurteilung gekommen: Im Jahre 2003 verurteilte ein Tessiner Geschworenengericht<br />

einen Rechtsanwalt wegen Zugehörigkeit zu einer (mafiösen) <strong>kriminellen</strong> Organisation<br />

im Sinne von Art. 260ter StGB. Das Gericht befand, der Rechtsanwalt habe verschiedene<br />

kriminelle Organisationen – namentlich die der kalabresischen `Ndrangheta zuzurechnenden<br />

Familien SERGI, MARANDO <strong>und</strong> TRIMBOLI sowie die Cosa Nostra – durch die Verwaltung<br />

derer Vermögen <strong>und</strong> ihrer aus <strong>kriminellen</strong> Handlungen stammenden Einkünfte unterstützt. 45<br />

Da dieses wegweisende, in italienischer Sprache verfasste Urteil in der Literstur zu Art.<br />

260ter StGB bis heute so gut wie keinen Niederschlag gef<strong>und</strong>en hat, wird nachfolgend näher<br />

darauf eingegangen.<br />

Das Gericht hatte zunächst die gr<strong>und</strong>legende Frage zu klären, ob die vom Rechtsanwalt unterstützten<br />

Personen <strong>und</strong> „Familien“ SERGI, MARANDO <strong>und</strong> TRIMBOLI überhaupt einer <strong>kriminellen</strong><br />

Organisation (in Italien) zugeordnet werden können. Es bezog sich da<strong>bei</strong> zunächst auf<br />

eine Aussage eines „tenente collonnello dell’Arma dei Carabinieri“, der über eine breite Erfahrung<br />

im Bereich der Bekämpfung der OK verfügte <strong>und</strong> über die Struktur der `Ndrangheta<br />

berichten konnte. Gestützt auf italienische Strafregisterauszüge verwies das Gericht mehrmals<br />

auf die Verurteilung von SERGI, MARANDO <strong>und</strong> TRIMBOLI wegen Art. 416bis des Codice Penale<br />

Italiano (CPI, associazione per delinquere di tipo mafioso). 46 Das Gericht erwähnte in<br />

seiner Begründung mehrmals das sog. Nord-Sud-Urteil, in welchem unter anderem Struktur<br />

<strong>und</strong> Merkmale der in Frage stehenden Gruppierung <strong>und</strong> die Rolle des SERGI dargelegt wurde.<br />

Schliesslich – <strong>und</strong> das dürfte wohl eher die Ausnahme bilden – machte der Angeklagte selber<br />

Aussagen, wonach SERGI der `Ndrangheta angehöre. Gestützt auf diese Beweise stand für das<br />

43<br />

Statt vieler BGE 132 IV 132 E. 4.1.2 (mit weiteren Hinweisen); FORSTER, ZBJV 2005, 220.<br />

44<br />

WIPRÄCHTIGER, NZZ; Siehe aber Fn. 52 nachfolgend.<br />

45<br />

Erstinstanzliches Urteil des Corte delle assise criminali (Kanton Tessin) vom 16. Juni 2003.<br />

46<br />

Deutscher Wortlaut von Art. 416bis CPI (Mafiaartige Vereinigung): Wer einer aus drei oder mehr Personen<br />

bestehenden mafiaartigen Vereinigung angehört, wird mit Gefängnisstrafe von drei bis zu sechs Jahren bestraft<br />

(Art. 305 Abs. 1, 306 Abs. 2, 416 Abs. 2, 416ter). Diejenigen, die die Vereinigung anregen, leiten oder<br />

organisieren, werden schon deswegen mit Gefängnisstrafe von vier bis zu neun Jahren bestraft (Art. 305<br />

Abs. 1 <strong>und</strong> 3, 306 Abs. 1 <strong>und</strong> 3, 416 Abs. 1 <strong>und</strong> 3; 275 Abs. 3 <strong>und</strong> 5, 299 Abs. 2, 380 Abs. 21 StPO). Die<br />

Vereinigung ist mafiaartig, wenn ihre Mitglieder (Art. 628 Abs. 3 Ziffer 3) sich der einschüchternden Macht<br />

der Bindung an die Vereinigung <strong>und</strong> der daraus folgenden Bedingung der Unterwerfung <strong>und</strong> der Schweigepflicht<br />

bedienen, um Verbrechen zu begehen, damit sie mittelbar oder unmittelbar die Leitung oder sonst<br />

wie die Kontrolle über wirtschaftliche Tätigkeiten, Konzessionen, Ermächtigungen, öffentliche Vergaben<br />

<strong>und</strong> Dienste erlangen oder für sich oder andere ungerechtfertigte Erträge oder Vorteile erzielen, oder damit<br />

sie <strong>bei</strong> Wahlen die freie Ausübung des Stimmrechts verhindern oder behindern oder für sich oder andere<br />

Stimmen verschaffen (Art. 416ter; 275 Abs. 3 <strong>und</strong> 5, 299 Abs. 2 StPO); siehe Originalurteil S. 55 ff. <strong>und</strong> 59<br />

ff.<br />

11


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Gericht die Zugehörigkeit der Familien SERGI, MARANDO <strong>und</strong> TRIMBOLI zur `Ndrangheta<br />

zweifelsfrei fest. Zur Frage, ob die `Ndrangheta als kriminelle Organisation im Sinne von Art.<br />

260ter StGB gelte, äusserte sich das Tessiner Gericht kurz <strong>und</strong> bündig wie folgt: „Dass die<br />

`Ndrangheta, die kalabresische „Schwester“ der sizilianischen Mafia, einen exemplarischen<br />

Fall von krimineller Organisation gemäss Art. 260ter StGB darstellt, muss nicht bewiesen<br />

werden.“ 47 Das Gericht erachtete dies als gerichtsnotorische Tatsache.<br />

Damit blieb noch die Frage zu klären, ob sich der angeklagte Rechtsanwalt über die Zugehörigkeit<br />

von SERGI, MARANDO <strong>und</strong> TRIMBOLI zur `Ndrangheta bewusst war oder eine solche<br />

zumindest hätte annehmen können. Das Gericht befand, der Angeklagte habe gewusst, dass<br />

SERGI in den Jahren 1984/85 in Italien wegen Drogenhandels <strong>und</strong> krimineller Vereinigung<br />

verfolgt wurde. Sodann sei der Angeklagte der Pate (sic!) der Tochter von SERGI gewesen <strong>und</strong><br />

habe diese sowie deren Mutter finanziell unterstützt, nachdem SERGI verhaftet worden war.<br />

Infolgedessen sei sich der Angeklagte auch wegen seiner kalabresischen Herkunft über die<br />

symbolische Bedeutung seiner Gesten bewusst gewesen. 48 Und schliesslich habe der Angeklagte<br />

zugegeben, SERGI im Rahmen eines gegen diesen laufenden Strafverfahrens kennen<br />

gelernt <strong>und</strong> von dessen Verhaftung <strong>und</strong> Verurteilung erfahren zu haben – nicht zuletzt aus<br />

zahlreichen Pressemitteilungen. Insgesamt attestierte das Gericht dem Angeklagten volles<br />

Wissen darüber, dass SERGI in den 80er-Jahren wegen Drogenhandels <strong>und</strong> dann in den 90er-<br />

Jahren im Zusammenhang mit der `Ndrangheta verübten Verbrechen angeklagt war <strong>und</strong> bewusst<br />

Umgang mit Mitgliedern der italienischen Mafia gepflegt habe. Der Tessiner Rechtsanwalt<br />

wurde erstinstanzlich zu 14 Jahren Zuchthaus, CHF 50'000 Busse <strong>und</strong> zu 5 Jahre Berufsausübungsverbot<br />

verurteilt. 49<br />

3.4. Schlussfolgerungen für die Strafverfolgung<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Materialien, der Gesetzgebungsgeschichte zu Art. 260ter StGB <strong>und</strong> der allgemeinen,<br />

aber konstanten Feststellung des B<strong>und</strong>esgerichts kann davon ausgegangen werden,<br />

dass seit jeher „etablierte“, international verfolgte <strong>und</strong> weltweit operierende mafiöse <strong>und</strong> mafiaähnliche<br />

Organisationen bzw. Verbrechersyndikate 50 wie <strong>bei</strong>spielsweise<br />

- die italienischen Mafiaorganisationen Camorra, Sacra Corona Unità, ‚’Ndrangheta,<br />

Cosa Nostra 51 ;<br />

47<br />

Originalurteil S. 247.<br />

48<br />

Originalurteil S. 41: „…X. che, già per al sua origine, ben conosceva il significato dell’impegno che SERGI<br />

gli chiedeva di assumere“.<br />

49<br />

Die hier auf Deutsch wiedergegebenen, wesentlichen Erwägungen finden sich im italienischen Originalurteil<br />

auf den Seiten 38 f., 41, 55 ff., 62-65, 76, 247; der Schuldspruch auf den Seiten 272-278. Das Urteil wurde<br />

vom Verurteilten bis ans B<strong>und</strong>esgericht weitergezogen, welches jedoch den Entscheid mit Urteil vom 3.<br />

November 2004 bestätigte (6P.82/2004). Dass es sich <strong>bei</strong> der 'Ndrangheta um eine kriminelle Organisation<br />

im Sinne von Art. 260ter StGB handelt, war nicht Gegenstand der Beschwerde <strong>und</strong> deshalb auch nicht vom<br />

B<strong>und</strong>esgericht zu prüfen.<br />

50<br />

Nach deren Vorbild ist der Tatbestand der <strong>kriminellen</strong> Organisation überhaupt erst ins schweizerische Strafrecht<br />

aufgenommen worden (BBl 1993 277 ff.).<br />

51<br />

MÖHN, OK-Begriff, 535; auch die Cosa Nostra in den USA gemeint, siehe dazu JOHN DICKIE (Fn. 30 hievor)<br />

<strong>und</strong> insbesondere <strong>bei</strong> VON LAMPE, Organized Crime, 188 ff., der die Cosa Nostra als „idealtypische“<br />

kriminelle Organisation beschreibt.<br />

12


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

- das nach dem Niedergang der ehemaligen Drogenkartelle Medellin 52 <strong>und</strong> Cali hervorgegangene<br />

Norte del Valle Cartel 53 in Südamerika;<br />

- die <strong>kriminellen</strong> Organisationen aus der GUS („Russen-Mafia“) 54 ;<br />

- die japanische Yakuza 55 <strong>und</strong><br />

- die chinesischen Triaden;<br />

die Voraussetzungen einer <strong>kriminellen</strong> Organisation im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB<br />

ohne weiteres erfüllen, zumal sich diese Gruppierungen im Einzelfall nur in ihrem kulturhistorischen<br />

<strong>und</strong> soziologischen Hintergr<strong>und</strong> unterscheiden. 56<br />

Für die Strafverfolgung ist diese Feststellung insofern von Bedeutung, als dass sie <strong>bei</strong> einem<br />

hinreichenden Tatverdacht einer Person, von der bekannt ist, dass diese eine der genannten<br />

mafiösen Organisationen oder Verbrechersyndikate angehört oder diese unterstützt, ohne weiteres<br />

ein Strafverfahren wegen Art. 260ter StGB (wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung<br />

einer <strong>kriminellen</strong> Organisation) einleiten darf. Weiter können <strong>bei</strong> derart langfristig angelegten,<br />

in dieser Grösse agierenden <strong>und</strong> überregional operierenden <strong>kriminellen</strong> Organisationen<br />

oder Verbrechersyndikaten die Kriterien von Art. 260ter StGB als erfüllt angesehen werden,<br />

was Beweiserleichterungen bedeutet. Es gibt ausreichend ausländische Urteile, Pressemeldungen<br />

sowie weitere Informationen, auf welche die Strafverfolgungsbehörde zurückgreifen<br />

kann, um die zuständigen Gerichte im Einzelfall unter Hinweis auf die Gerichtsnotorietät von<br />

der Existenz einer <strong>kriminellen</strong> Organisation überzeugen zu können.<br />

52<br />

Siehe dazu namentlich BGE 129 IV 271 ff., insbes. E. 2.3.2. (Pra. 6/2004, Nr. 89, 509 ff.): X. hatte im Rahmen<br />

seiner Tätigkeit als Chauffeur/Dolmetscher Kontakte zu Mitgliedern des Medellin-Kartells in Kolumbien.<br />

Für eine dieses Kartell unterstützende Person mietete er in Zürich zwei Schliessfächer <strong>bei</strong> Banken an<br />

<strong>und</strong> eröffnete auf seinen Namen mehrere Konti, auf welche Geld aus dem Drogenhandel eingezahlt wurde.<br />

X. wurde u.a. angewiesen, Geld nach Panama zu überweisen <strong>und</strong> zwar auf ein Konto, das unter einer falschen<br />

Identität eröffnet worden war, was X. wusste. Betreffend der Frage, ob es sich in casu um eine im<br />

Drogenhandel aktive kriminelle Organisation handeln könnte, stützte sich das B<strong>und</strong>esgericht auf die Akten<br />

der amerikanischen Untersuchung ab, aus denen hervorging, dass der Auftraggeber des X. gestanden habe,<br />

für eine kriminelle Organisation tätig zu sein, hinter der ein Rauschgifthändler von hohem Rang stand, welcher<br />

das (Medellin-)Kartell der Nordküste von Kolumbien kontrollierte. Aufgr<strong>und</strong> dieser Tatsachenfeststellungen<br />

hielt das Gericht fest, „que l’on a affaire à un réseau de trafiquants de drogue se livrant à un très<br />

important trafic“ <strong>und</strong> nahm deshalb die Existenz einer Verbrechensorganisation im Sinne von Art. 305bis<br />

Ziff. 2 lit. a StGB (identisch mit Art. 260ter Ziff. 1 StGB) ohne weiteres an.<br />

53<br />

Hintergr<strong>und</strong>wissen unter http://en.wikipedia.org/wiki/Norte_del_Valle_Cartel (Stand 16.06.2008).<br />

54<br />

BBl 2002 1864.<br />

55<br />

HARNISCHMACHER, Yakuza, 24 ff. (insbes. 25 <strong>und</strong> 27-29), der die japanische Yakuza in ihrem Aufbau, ihrer<br />

Macht <strong>und</strong> ihrer Stellung als mit der Mafia vergleichbar erklärt. Traditionelle Tätigkeitsfelder der Yakuza<br />

seien das Glücksspiel, Bedrohung <strong>und</strong> Erpressung <strong>bei</strong> der Eintreibung von Schutzgeldern, Drogenhandel,<br />

Geldwäscherei, Rotlichtmilieu, Prostitution sowie Gewaltverbrechen gegenüber anderen Gruppierungen.<br />

Als massiv müsse der Einfluss der Yakuza im Kapitalmarkt beurteilt werden: Mehr als 20'000 „legale“ Firmen<br />

würden aus den ca. 4000 Büros der Yakuza geleitet. Analog der Mafia kennt die Yakuza auch einen<br />

Ehrenkodex im Sinne der omertà.<br />

56<br />

BBl 1993 281; PIETH/FREIBURGHAUS, Bericht EJPD 1993, 23; BASSE-SIMONSOHN, Geldwäschereibekämpfung,<br />

67 ff.; FORSTER, Kollektive Kriminalität, 10; GIANNINI, GwG, 10 (mit weiteren Hinweisen); MÜLLER,<br />

AJP 1993, 1181; weitere Aufzählungen möglicher Verbrechersyndikate <strong>bei</strong> STAHEL, OK, 3 f.; BISS 2003 47<br />

ff., 53 ff.; BISS 2002 54 ff. <strong>und</strong> 63 f.<br />

13


4. Terroristische Organisationen<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Die Qualifikation einer Organisation als terroristisch <strong>und</strong> damit als kriminell (im Sinne von<br />

Art. 260ter Ziff. 1 StGB) gestaltet sich in der Praxis als schwierig. Das B<strong>und</strong>esgericht hat in<br />

einer konstanten Rechtsprechung festgehalten, dass unter Art. 260ter Ziff. 1 StGB auch terroristische<br />

Organisationen fallen, 57 obschon der Gesetzestext ausdrücklich nur von <strong>kriminellen</strong><br />

Organisationen spricht.<br />

Nicht nur in den Medien, sondern auch von Behörden wird eine Gruppierung oder Organisation<br />

manchmal etwas voreilig (zu Recht oder zu Unrecht) als extremistisch, f<strong>und</strong>amentalistisch,<br />

gewaltextremistisch oder terroristisch bezeichnet. Für die Strafverfolgung ist damit wenig<br />

gewonnen. Die nachfolgenden Ausführungen sollen Aufschluss darüber geben, nach welchen<br />

Kriterien Strafverfolgungsbehörden <strong>und</strong> Gerichte eine Gruppierung als terroristisch qualifizieren<br />

dürfen.<br />

4.1. Trotz weltweiter „Aufrüstung“ gegen Terrorismus keine einheitliche<br />

Definition<br />

Der Begriff Terrorismus geht auf das lateinische Wort terrori zurück <strong>und</strong> bedeutet „Furcht“,<br />

„Schrecken“. 58 Er bezeichnet (gr<strong>und</strong>sätzlich) die Verfolgung einer politischen Zielsetzung auf<br />

dem Weg der Ausübung von Gewalt. 59<br />

4.1.1. Antiterrorismus-Strafrecht<br />

Der 11. September 2001 hat nicht nur eine äusserst brutale Seite des globalen Terrorismus<br />

offenbart <strong>und</strong> einen weltweiten Schockzustand ausgelöst. Plötzlich stand das bis anhin eher<br />

stiefmütterlich behandelte Problem des internationalen Terrorismus zuoberst auf der Agenda<br />

staatlicher Exekutiven <strong>und</strong> internationalen Organisationen. Folge davon war eine kaum mehr<br />

überblickbare Masse von Empfehlungen, Gesetzen <strong>und</strong> Verordnungen, welche sich mit dem<br />

Ziel der Bekämpfung des Terrorismus befassen. 60<br />

Auch die Schweiz hat sich diesem internationalen Trend angeschlossen: Sie hat im Zusammenhang<br />

mit Terrorismus <strong>und</strong> Terrorismusfinanzierung alle zwölf spezifischen Antiterroris-<br />

57<br />

BAUMGARTNER, BSK II, 1724 f. mit Hinweisen auf die entsprechenden B<strong>und</strong>esgerichtsentscheide; KOLLER,<br />

ZSR 2006, 110-113.<br />

58<br />

WÜRMLI, Terror, 4.<br />

59<br />

JOSITSCH, ZStrR 2005, 463.<br />

60<br />

BBl 2002 1873-1875; KOLLER, ZSR 2006, 107 ff.; REINLE, Terrorismusfinanzierung, 114, mit Hinweis auf<br />

die Botschaft vom 26. Juni 2002 betreffend die Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus<br />

<strong>und</strong> zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge sowie die Änderung des Strafgesetzbuches<br />

<strong>und</strong> die Anpassung weiterer Gesetze (BBl 2002 5390, 5393); FORSTER, ZStrR 2003, 425-427.<br />

14


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

mus-Abkommen (bzw. Protokolle) der UNO in Kraft gesetzt. 61 Schon vor „9/11“ hat die<br />

Schweiz am 2. Oktober 2000 die Verordnung über Massnahmen gegenüber Personen <strong>und</strong><br />

Organisationen mit Verbindungen zu Usama bin Laden, der Gruppierung „Al-Qaïda“ oder<br />

den Taliban erlassen. 62 Am 7. November 2001 erliess der B<strong>und</strong>esrat als Reaktion auf die Resolution<br />

1373 des UN-Sicherheitsrats 63 <strong>und</strong> die Terroranschläge auf das World Trade Center<br />

in New York gestützt auf die Art. 184 <strong>und</strong> 185 der BV zusätzlich ein Verbot der Organisation<br />

Al-Qaïda sowie allfälliger Nachfolgeorganisationen. Das Verbot wurde seither immer wieder<br />

verlängert; es ist noch (mindestens) bis am 31. Dezember 2008 in Kraft. 64<br />

4.1.2. Definitionsversuche für Terrorismus<br />

Die internationalen Terrorismusabkommen enthalten keinen eigenen Begriff des Terrorismus.<br />

65 Vor allem aus rechtsstaatlichen Gründen liess sich bis anhin kein allgemeiner Terrorismustatbestand<br />

verwirklichen. Der hauptsächliche Gr<strong>und</strong> hiefür liegt in der im Einzelfall<br />

heiklen Abgrenzung zwischen Terroristen <strong>und</strong> „legitimen“ Befreiungs-, Widerstands- oder<br />

Freiheitskämpfern. 66 In der Schweiz scheiterte die Einführung eines selbständigen Terrorismustatbestandes<br />

bereits im parlamentarischen Verfahren. 67 Es wurde argumentiert, Gewalt<br />

gegen eine politische Ordnung aus dem Untergr<strong>und</strong> könne unter gewissen Umständen auch<br />

als Kampf einer Befreiungs- oder Selbstverteidigungsbewegung, als Form der berechtigten<br />

Vergeltung oder gar als Kriegsführung einer regulären Armee verstanden werden. 68<br />

61<br />

BBl 2002 1883 ff., 1893; im Einzelnen: Abkommen vom 14.09.1963 über strafbare <strong>und</strong> bestimmte andere<br />

an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (SR 0.748.710.1); Übereinkommen vom 16.12.1970<br />

zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen (SR 0.748.710.2); Übereinkommen<br />

vom 23.09.1971 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt<br />

(SR 0.748.710.3); Übereinkommen vom 14.12.1973 über die Verhütung, Verfolgung <strong>und</strong> Bestrafung von<br />

Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen, einschliesslich Diplomaten (SR 0.351.5); Internationales<br />

Übereinkommen vom 17.12.1979 gegen Geiselnahme (SR 0.351.4); Übereinkommen vom 03.03.1980<br />

über den physischen Schutz von Kernmaterial (SR 0.732.031); Protokoll vom 24.12.1988 zur Bekämpfung<br />

widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen (SR<br />

0.748.710.31); Übereinkommen vom 10.03.1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die<br />

Sicherheit der Seeschifffahrt (SR 0.747.71); Protokoll vom 10.03.1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher<br />

Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden (SR<br />

0.747.711); Übereinkommen vom 01.03.1991 über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zweck des<br />

Aufspürens (SR 0.748.710.4); Übereinkommen vom 15.12.1997 zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge<br />

(SR 0.353.21, in Kraft seit 23.10.2003); Übereinkommen vom 9.12.1999 zur Bekämpfung der Finanzierung<br />

des Terrorismus (SR 0.353.22, in Kraft seit 23.10.2003).<br />

62<br />

SR 946.203.<br />

63<br />

Am 28.09.2001 hat der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1373 gegen den Terrorismus angenommen. Die<br />

Resolution listet verschiedene Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus <strong>und</strong> dessen Finanzierung auf.<br />

Ausserdem fordert sie alle Staaten auf, innerhalb von 90 Tagen einem eigens zu diesem Zweck gegründeten<br />

Ausschuss einen Bericht über die zur Umsetzung dieser Resolution getroffenen Massnahmen einzureichen<br />

(BBl 2002 5397).<br />

64<br />

SR 122; BBl 2002 1835, 1857, 1861 <strong>und</strong> 1886. Zum schweizerischen Antiterror-Strafrecht: NOBEL, Finanzmarktrecht,<br />

§ 6 N. 112-123; BISS 2002, 12; BISS 2003, 14.<br />

65<br />

SCHRADER, Terrorismus, 570; BBl 2002 1838 f.<br />

66<br />

BBl 2002 5399, 5434, 5439 <strong>und</strong> 5402; ARZT, OK-Kommentar, 404; DONATSCH/WOHLERS, Strafrecht IV,<br />

200; FIOLKA, BSK II, 1734; HEINE, Landesbericht, 356 <strong>und</strong> 368; SOINE, Kriminalistik 2005, 412 f.; VEST,<br />

Terrorismus, 52 ff.<br />

67<br />

BBl 2002 5391 ff., 5402; HEINE, Landesbericht, 356; DONATSCH/WOHLERS, Strafrecht IV, 200; MOREIL-<br />

LON/DE COURTEN, ZStrR 2003, 118 ff.; VEST, Terrorismus, 52 ff.<br />

68<br />

BISS 2001, 22. Siehe dazu ausführlich nachfolgend unter Kapitel 4.4.<br />

15


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Zwei bedeutende Terrorismusabkommen enthalten Umschreibungen möglicher terroristischer<br />

Akte. Art. 1 des EÜBT 69 zählt inkriminierte Handlungen auf, die nicht mehr als politische<br />

Straftaten angesehen werden können <strong>und</strong> deshalb (gr<strong>und</strong>sätzlich) als terroristisch gelten sollten<br />

(widerrechtliche Inbesitznahme von Flugzeugen; Angriff auf Leib <strong>und</strong> Leben, die körperliche<br />

Unversehrtheit oder die Freiheit völkerrechtlich geschützter Personen einschliesslich<br />

Diplomaten; Entführung, Geiselnahme oder eine schwere widerrechtliche Freiheitsentziehung;<br />

Straftaten, <strong>bei</strong> deren Begehung eine Bombe, Handgranate, Rakete, automatische<br />

Schusswaffe oder ein Sprengstoffbrief/-paket verwendet wird <strong>und</strong> dadurch Personen gefährdet<br />

werden etc.). Art. 2 des IÜBFT 70 umschreibt Terrorismus mit dem Begehen einer Handlung,<br />

die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen<br />

Person, die in einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, her<strong>bei</strong>führen<br />

soll, wenn diese Handlung aufgr<strong>und</strong> ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt,<br />

eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale<br />

Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen.<br />

In der Literatur wird Terrorismus etwa mit „Einschüchterung von Gegnern durch mengen-<br />

oder waffenmässige Minderheiten mittels Verletzung <strong>und</strong> Tötung von nicht oder nur indirekt<br />

in den (bewaffneten) Konflikt involvierten Personen zur Verbreitung von extremen Ideologien“<br />

71 umschrieben oder es wird (sehr vereinfachend) dargelegt, es handle sich da<strong>bei</strong> um<br />

Gewaltausübung durch „Untergr<strong>und</strong>organisationen“ zur Verbreitung einer religiös oder politisch<br />

extremen Idee. 72 Für ARZT ist eine Organisation dann terroristisch, wenn sie vor Gewaltverbrechen<br />

zwecks Erreichung ihrer politisch unter Umständen diskutablen Fernziele<br />

nicht zurückschreckt, z.B. Anschläge auf Flugzeuge oder sonstige, die allgemeine Sicherheit<br />

untergrabende, nicht auf bestimmte Personen zielende Anschläge unternimmt oder Attentate<br />

auf gezielt ausgewählte Personen verübt. 73 Andere Autoren bezeichnen Terrorismus als die<br />

Androhung <strong>und</strong> Durchführung von vereinzelter <strong>und</strong> unvorhersehbarer Gewalt durch zumindest<br />

nicht staatlich legitimierte Personen, wo<strong>bei</strong> im Rahmen einer politischen Strategie mit<br />

dem Ziel einer psychischen Wirkung aus politischen Motiven gehandelt wird. 74<br />

Der B<strong>und</strong>esrat erwähnt in der Lage- <strong>und</strong> Gefährdungsanalyse von 2002 mit drei Elemente, die<br />

kumulativ erfüllt sein müssen, um von Terrorismus sprechen zu können: Erstens muss eine<br />

systematische Androhung oder Anwendung von Gewalt vorliegen, zweitens müssen die Täter<br />

69<br />

Europäisches Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977 (EÜBT, SR 0.353.3);<br />

BBl 2002 5395. Gemäss Art. 2 Ziff. 1 EÜBT kann der ersuchte Staat im Falle von Auslieferungsgesuchen<br />

entscheiden, dass eine schwere Gewalttat gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit<br />

einer Person nicht als politische oder mit einer solchen zusammenhängenden Straftat angesehen wird (sofern<br />

die Tat nicht ohnehin unter Art. 1 EÜBT fällt).<br />

70<br />

Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999<br />

(IÜBFT, SR 0.353.22).<br />

71<br />

WÜRMLI, Terror, 4.<br />

72<br />

BASSE-SIMONSOHN, Geldwäschereibekämpfung, 65.<br />

73<br />

ARZT, OK-Kommentar, 312 f.; siehe auch BBl 2002 5432.<br />

74<br />

SCHRADER, Terrorismus, 572.<br />

16


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

organisiert sein <strong>und</strong> planmässig zusammenar<strong>bei</strong>ten <strong>und</strong> drittens müssen sie politische oder<br />

religiöse Ziele verfolgen. 75 Das zweite Element weist eindeutig auf Art. 260ter StGB hin.<br />

In der Botschaft wird Art. 260ter StGB denn auch als „zweifellos der wichtigste Anwendungsfall<br />

zur Erfassung des terroristischen Umfeldes“ bezeichnet, d.h. terroristische Gruppierungen<br />

erfüllen in aller Regel die Voraussetzungen einer <strong>kriminellen</strong> Organisation. Für die<br />

Anwendung spreche insbesondere die Zwecksetzung von der Begehung von Gewaltverbrechen,<br />

die für terroristische Organisationen typisch sei. Als möglicher terroristischer Akt erwähnt<br />

der Gesetzgeber die Entführung <strong>und</strong> Sprengung eines Verkehrsflugzeuges. 76<br />

Auch wenn der ursprünglich geplante Straftatbestand des Terrorismus (Art. 260quinquies E-<br />

StGB) 77 für die Schweiz nie Gesetz geworden ist, hätte er in allgemeingültiger Weise (unter<br />

Berücksichtigung der Art. 1 EÜBT <strong>und</strong> 2 IÜBFT) sämtliche terrorismustypischen Merkmale<br />

umfasst: Es wird zunächst die Begehung eines besonders schweren Delikts, eines Gewaltverbrechens,<br />

vorausgesetzt. Darunter fallen Verbrechen gegen Leib <strong>und</strong> Leben, Erpressung,<br />

Freiheitsberaubung <strong>und</strong> Entführung wie auch die gemeingefährlichen Verbrechen des 7. Teils<br />

des StGB (Brandstiftung, Verursachung einer Explosion, Gefährdung durch Sprengstoffe<br />

etc.). Die genannten Gewaltverbrechen werden begangen, um die Bevölkerung einzuschüchtern<br />

oder einen Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu<br />

nötigen. Die Nötigungshandlungen müssen allerdings von einer gewissen Schwere sein: Weder<br />

genügt blosse untergeordnete Delinquenz, noch die Nötigung eines einzelnen Amtsträgers.<br />

Die Einschüchterung bzw. die Schaffung eines Angstklimas muss sich schliesslich auf<br />

eine unbestimmte Anzahl von Menschen beziehen. 78<br />

Es liegt letztlich in der gesellschaftlich-historischen Bedingtheit rechtlicher Normierungen,<br />

dass auch der Begriff des Terrorismus in den national organisierten Rechtsordnungen je unterschiedlich<br />

verstanden, als Rechtsbegriff legislatorisch festgelegt <strong>und</strong> letztlich auch in der<br />

Rechtsanwendung ausgelegt wird. Organisationen, die sich dem Terrorismusvorwurf ausgesetzt<br />

sehen, werden diesem ohnehin mit dem Argument zu begegnen versuchen, ihre Taten<br />

seien auf die Wiederherstellung oder Herstellung demokratischer <strong>und</strong> rechtsstaalicher Verhältnisse<br />

oder der Wahrung von Menschenrechten gerichtet; eine Anleihe für das entsprechende<br />

Argument findet sich bekanntlich in Abs. 3 von Art. 260quinquies StGB. 79<br />

Da es keine gefestigte Definition des Terrorismus gibt <strong>und</strong> insbesondere hier interessierende<br />

Abgrenzungsfragen gesetzgeberisch (auch aus politischen Gründen) nicht gelöst wurden, gilt<br />

es für Strafverfolgungsbehörden wie Rechtsanwender gleichermassen, die zu diesen Themen<br />

seither ergangene Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichts zu konsultieren.<br />

75 BBl 2002 1839.<br />

76 BBl 2002 5432 f.<br />

77 BBl 2002 5438; BBl 2002 1889.<br />

78 BBl 2002 5439-5441; HEINE, Landesbericht, 356 f.; FORSTER, ZStrR 2003, 426.<br />

79 Zu Art. 260quinquies StGB siehe nachfolgend unter Kapitel 4.5.<br />

17


4.2. Vom B<strong>und</strong>esgericht „zertifizierte“ Terrororganisationen<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht bezeichnet neben den mafiaähnlichen Verbrechersyndikaten auch hochgefährliche<br />

terroristische Organisationen wie die baskische Euskadi ta Askatasuna (ETA), 80 die<br />

extremistisch-islamistische Gruppierung „Märtyrer für Marokko“, 81 die extremistische kosovo-albanische<br />

Untergr<strong>und</strong>organisation „Albanian National Army“ (ANA), 82 die italienische<br />

„Brigate Rosse“ 83 <strong>und</strong> das terroristische Netzwerk Al-Qaïda 84 als kriminelle Organisationen.<br />

85<br />

Es orientiert sich da<strong>bei</strong> auch am Tatbestand von Art. 260ter StGB. Die darin enthaltenen<br />

(kriminologischen) Merkmale können jedoch im Falle terroristischer Organisationen nicht<br />

unbesehen übernommen werden bzw. sind hiefür nicht einschlägig. Darum hat B<strong>und</strong>esgericht<br />

in seiner internationalstrafrechtlichen Rechtsprechung 86 <strong>und</strong> (teilweise) in Berücksichtigung<br />

der internationalen Terrorismusabkommen zusätzliche, im Tatbestand von Art. 260ter StGB<br />

nicht erwähnte terrorismustypische Merkmale entwickelt, die es nachfolgend zusammenzufassen<br />

<strong>und</strong> für die Strafverfolgung zu bewerten gilt.<br />

4.3. Gerichtsnotorische Terrororganisationen<br />

4.3.1. Die „Brigate Rosse“ 87<br />

In zwei Auslieferungsentscheiden hat das B<strong>und</strong>esgericht die italienische "Brigate Rosse" als<br />

terroristische verbrecherische Organisation im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB bezeichnet.<br />

88<br />

80 Urteil des B<strong>und</strong>esgerichts vom 21.10.2002, 1A.174/2002.<br />

81 Urteil des B<strong>und</strong>esgerichts vom 05.04.2005, 1A.50/2005.<br />

82 BGE 131 II 235 ff.<br />

83 BGE 128 II 355 ff. <strong>und</strong> 125 II 569 ff.<br />

84 Urteil des B<strong>und</strong>esgerichts vom 15.11.2002, 1A.194/2002.<br />

85 Siehe auch BGE 132 IV 132 E. 4.1.2; Urteil des B<strong>und</strong>esgerichts vom 02.05.2008 (6B_645/2007, E. 7);<br />

BAUMGARTNER, BSK II, 1724 f; FORSTER, ZStrR 2003, 427 ff. <strong>und</strong> derselbe, ZBJV 2005, 220.<br />

86 Sämtliche nachfolgend behandelten Entscheide wurden von der I. öffentlichrechtlichen Abteilung in Auslie-<br />

ferungssachen gefällt.<br />

87 BBl 2002 1862. Die (ursprünglichen) Roten Brigaden (BR, italienisch Brigate Rosse) war eine linksextremistische<br />

Terrororganisation in Italien. Sie wurde 1970 in Mailand gegründet. Die Gruppe betrachtete sich<br />

als kommunistische Stadtguerilla nach Vorbild der uruguayischen Tupamaros. Zwischen 1970 <strong>und</strong> 1988<br />

verübte sie etwa 75 Mordanschläge <strong>und</strong> organisierte zahlreiche Entführungen <strong>und</strong> Banküberfälle. Den Höhepunkt<br />

des italienischen Linksterrorismus bildete die Entführung <strong>und</strong> Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten<br />

Aldo Moro im Jahre 1978. 1999 tauchte eine neue Gruppe auf, die unter dem Namen Rote<br />

Brigaden operierte. Zuletzt wurden Anfang 2007 15 Personen festgenommen, die der Mitgliedschaft in den<br />

neuen BR verdächtigt wurden. Charakteristisch für die Organisationsstruktur der BR ist die dezentrale Gliederung<br />

in lokale Basiszellen (sog. Kolonnen, ital. colonne) in einzelnen Städten. Diese colonne wiederum<br />

gliederten sich in einzelne Brigaden (ital. brigate) auf. Eine brigata setzte sich aus etwa fünf Mitgliedern<br />

(genannt Zelle, ital. cellula) zusammen, die, teils legal, teils illegal, in den einzelnen Fabriken oder Ar<strong>bei</strong>tervierteln<br />

aktiv waren. Colonne existierten seit 1970 in Mailand, seit 1972 in Turin <strong>und</strong> seit 1974 dann auch<br />

in Genua, Florenz, Venedig <strong>und</strong> vor allem Rom (http://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Brigaden, Stand<br />

16.06.2008).<br />

88 BGE 125 II 569 ff. (deutsche Übersetzung in Pra. 12/2000 Nr. 180, 1104 ff.) <strong>und</strong> BGE 128 II 355 ff.<br />

18


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Im ersten Entscheid ging es um die Auslieferung von Marcello Ghiringhelli an Italien. Ghiringhelli<br />

wurde von der italienischen Justiz wegen auf den Umsturz des Staates gerichteter<br />

Handlungen sowie wegen Tötungs-, Vermögens- <strong>und</strong> Verwaltungsdelikten für schuldig bef<strong>und</strong>en,<br />

die alle mit seiner Teilnahme als Organisator auf hoher Stufe in der Hierarchie an<br />

Aktivitäten der Mailänder <strong>und</strong> Turiner Kolonnen der „Roten Brigaden“ zusammenhingen.<br />

Da<strong>bei</strong> sei es zu Überfällen mit automatischen Schusswaffen in Brandizzo, Turin <strong>und</strong> Salerno<br />

gekommen, in deren Verlauf neun Personen den Tod fanden. Der Auszuliefernde machte in<br />

seiner Beschwerde geltend, er könne gestützt auf Art. 3 EAUe 89 nicht an Italien ausgeliefert<br />

werden, da die strafbare Handlung politischen Charakter habe.<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht wies die Beschwerde unter Hinweis auf die zum relativ politischen Delikt<br />

entwickelte Rechtsprechung ab: Ein relativ politisches Delikt liegt vor, wenn einer gemeinrechtlichen<br />

Straftat im konkreten Fall ein vorwiegend politischer Charakter zukommt. Der<br />

vorwiegend politische Charakter ergibt sich aus der politischen Natur der Umstände, Beweggründe<br />

<strong>und</strong> Ziele, die den Täter zum Handeln bestimmt haben <strong>und</strong> die in den Augen des<br />

Rechtshilferichters vorherrschend erscheinen. Das durch politischen Eifer veranlasste Delikt<br />

muss stets im Rahmen eines Kampfes um die Macht im Staat begangen worden sein <strong>und</strong> in<br />

einem engen, direkten <strong>und</strong> eindeutigen Zusammenhang mit dem Gegenstand dieses Kampfes<br />

stehen. Ausserdem ist erforderlich, dass der verursachte Schaden in einem angemessenen<br />

Verhältnis zum verfolgten politischen Ziel steht <strong>und</strong> die auf dem Spiel stehenden politischen<br />

Interessen müssen wichtig <strong>und</strong> legitim genug sein, um die Tat, wenn nicht zu rechtfertigen, so<br />

doch mindestens einigermassen verständlich erscheinen zu lassen. 90 Das Gericht kam zum<br />

Schluss, das absichtliche Töten von Sicherheitsbeauftragten, Polizisten, Soldaten <strong>und</strong> Passanten<br />

mit automatischen Schusswaffen, um Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten, sei<br />

grausam <strong>und</strong> verwerflich im Sinne von Art. 13 Abs. 1 lit. c EÜBT, weshalb den Taten nicht<br />

der dem politischen Delikt gebührende Schutz gewährt werden könne. 91 Ohne expliziten<br />

Hinweis auf Art. 260ter Ziff. 1 StGB, jedoch in Anwendung des EÜBT, qualifizierte das B<strong>und</strong>esgericht<br />

die „Brigate Rosse“ als terroristische Organisation. 92<br />

Diese Praxis wurde im Auslieferungsfall von Nicola Bortone ausdrücklich bestätigt. Bortone<br />

wurde vorgeworfen, er sei von 1985 bis September 1989 als Gründer, Mitglied <strong>und</strong> Förderer<br />

der „Brigate Rosse“ in Rom, Florenz, Mailand, Forlì <strong>und</strong> Neapel tätig gewesen. Er sei in Italien<br />

<strong>bei</strong> mehreren Treffen von Führungsmitgliedern der „Brigate Rosse“" anwesend gewesen<br />

<strong>und</strong> habe sich auch heimlich nach Frankreich begeben, um von der Leitung der terroristischen<br />

Organisation Instruktionen entgegenzunehmen. Für die Finanzierung der Reise <strong>und</strong> des Aufenthaltes<br />

habe der Verfolgte von der Organisation LIT. 3 Mio. erhalten bzw. mitgeführt. In<br />

89<br />

Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe, SR 0.353.1).<br />

90<br />

BGE 125 II 569 E. 9b; bestätigt (u.a.) in BGE 130 II 337 E. 3.2; 128 II 355 E. 4.2. Absolut politische Delikte<br />

stehen demgegenüber in unmittelbarem Zusammenhang mit politischen Vorgängen. Darunter fallen namentlich<br />

Straftaten, welche sich ausschliesslich gegen die soziale <strong>und</strong> politische Staatsorganisation richten, wie<br />

etwa Angriffe gegen die verfassungsmässige Ordnung, Landes- oder Hochverrat, Staatsstreich <strong>und</strong> Aufstand<br />

(BGE 125 II 569 E. 9b, 128 II 364 E. 4.2.).<br />

91<br />

BGE 125 II 577 f. E. 9b mit Hinweisen auf BGE 115 Ib 68 E. 5b, 113 Ib 175 E. 6b, 110 Ib 82 E. 4b, 110 Ib<br />

280 E. 6d, 109 Ib 64 E. 6a, 108 Ib 408 E. 7b.<br />

92<br />

BGE 125 II 574 E. 5c-d; FORSTER, ZStrR 2003, 429.<br />

19


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

einer von ihm benutzten Pariser Wohnung seien (neben internen Dokumentationen der „Brigate<br />

Rosse“ wie Protokolle von konspirativen Treffen, psychologische Tests usw.) drei kugelsichere<br />

Westen sowie Munition gef<strong>und</strong>en worden. Zwar erscheine er nicht als einer der führenden<br />

„Drahtzieher“ <strong>und</strong> Organisatoren der „Brigate Rosse“. Er sei jedoch deren Mitglied<br />

gewesen, habe ihnen unterstützend zur Verfügung gestanden <strong>und</strong> sich <strong>bei</strong> seiner Verhaftung<br />

als militanter Revolutionär ausdrücklich zur Organisation bekannt. 93 Auch Bortone vertrat vor<br />

B<strong>und</strong>esgericht die Auffassung, die Kampfhandlungen der „Brigate Rosse“ seien als politisch<br />

motiviert zu qualifizieren.<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hielt dem entgegen, <strong>bei</strong> schweren Gewaltverbrechen, namentlich Tötungsdelikten,<br />

werde der politische Charakter in aller Regel verneint. Eine einigermassen verständliche<br />

Tat sei der Einsatz von illegalen Mitteln gegen diktatorische oder systematische die<br />

Menschenrechte verletzende Regimes. Dies könnte <strong>bei</strong> eigentlichen offenen Bürgerkriegsverhältnissen<br />

der Fall sein oder wenn das betreffende Delikt (etwa <strong>bei</strong>m „Tyrannenmord“) das<br />

einzige praktikable Mittel zur Erreichung wichtiger humanitärer Ziele darstellen würde. Das<br />

B<strong>und</strong>esgericht kam zum Schluss, die „Brigate Rosse“ gehöre zu den <strong>kriminellen</strong> terroristischen<br />

Organisationen <strong>und</strong> nicht zu den Gruppierungen, die sich mit angemessenen (oder zumindest<br />

noch vertretbaren) Mitteln am Kampf um die politische Macht in ihrer Heimat beteiligen.<br />

Eine Beteiligung an bzw. Unterstützung dieser Organisation könne nicht als politisches<br />

Delikt im Sinne von Art. 3 Ziff. 1 EAUe angesehen werden. 94<br />

4.3.2. Die Euskadi ta Askatasuna (ETA) 95<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hatte im Entscheid vom 21. Oktober 2002 die Auslieferung einer deutschen<br />

Staatsangehörigen an Spanien zu beurteilen, welche dem „Kommando Barcelona“ der<br />

ETA angehört habe. Diesem werden insbesondere die Ermordung eines Obersten der spanischen<br />

Armee sowie diverse Sprengstoffanschläge <strong>und</strong> versuchte Bombenattentate vorgeworfen,<br />

welche zwischen August 1993 <strong>und</strong> April 1994 verübt wurden. Die Rolle der Auszuliefernden<br />

habe sich darauf beschränkt, in Barcelona zwei Wohnungen zu mieten, die den Mit-<br />

93<br />

BGE 128 II 361 E. 2.2-2.5.<br />

94<br />

BGE 128 II 366 E. 4.2-4.3.<br />

95<br />

Euskadi ta Askatasuna bzw. ETA (baskisch für Baskenland <strong>und</strong> Freiheit) ist eine baskische Organisation.<br />

Sie wurde am 31.07.1959 – in der Zeit der Franco-Diktatur – gegründet <strong>und</strong> verfolgt als Ziel eines von Spanien<br />

unabhängigen baskischen Staates, der die spanischen autonomen Regionen Baskenland <strong>und</strong> Navarra<br />

sowie das französische Baskenland umfassen soll. Als Ziel wird die Schaffung eines sozialistisch geprägten<br />

baskischen Staates angestrebt. Nach Angaben des spanischen Innenministeriums (Ministerio del Interior)<br />

wurden <strong>bei</strong> Anschlägen zwischen 1960 <strong>und</strong> 2003 insgesamt 817 Menschen von der ETA getötet, darunter<br />

339 Zivilisten. 478 gehörten staatlichen Organen an: Guardia Civil (198 Tote), Policía Nacional (145), Militär<br />

(97), Policía Local (24), Ertzaintza (baskische Polizei, 13), Mossos d’Esquadra (katalanische Polizei, 1).<br />

Zivile Ziele sind zumeist Politiker, Gemeinderatsmitglieder, Richter, Professoren <strong>und</strong> Unternehmer. Die<br />

ETA ist nach wie vor aktiv; ihr letztes prominentes Opfer ist der am 07.03.2008 <strong>bei</strong> einem Attentat ums Leben<br />

gekommene sozialistische Politiker Isaias Carrasco in der baskischen Kleinstadt Arrasate. Am<br />

21.05.2008 wurde Francisco Javier López Peña alias „Thierry“, der Leiter des militärischen <strong>und</strong> politischen<br />

Arms der ETA, zusammen mit weiteren Führungspersönlichkeiten der ETA im Bahnhofsviertel des französischen<br />

Bordeaux verhaftet (http://de.wikipedia.org/wiki/Euskadi_Ta_Askatasuna, Stand 16.06.2008); weitere<br />

Hinweise in BISS 2002, 28; BISS 2003, 10 <strong>und</strong> 25; BISS 2004, 35; BBl 2002 1862. Von der EU wurde<br />

die ETA, aber auch Organisationen aus ihrem Umfeld wie die Batasuna-Partei, im Jahre 2002 auf die EU-<br />

Liste verbotener Terrororganisationen aufgenommen (siehe dazu BISS 2002, 28).<br />

20


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

gliedern der baskischen ETA als Unterschlupf <strong>und</strong> als Versteck für Waffen (u.a. vier Handgranaten,<br />

eine Maschinenpistole, vier Sprengstoffzünder) <strong>und</strong> 90 Kilogramm Sprengstoff gedient<br />

hätten. 96<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht kam auch <strong>bei</strong> der ETA zum Schluss, dass es sich da<strong>bei</strong> um eine kriminelle<br />

terroristische Vereinigung handle. In Übereinstimmung <strong>und</strong> Wiederholung der zur „Brigate<br />

Rosse“ entwickelten Rechtsprechung, begnügte sich das Gericht ansonsten mit der Feststellung,<br />

es gehe aus dem Ersuchen <strong>und</strong> den Beilagen hervor <strong>und</strong> sei im Übrigen gerichtsnotorisch,<br />

dass es sich <strong>bei</strong> der baskischen separatistischen Organisation ETA um eine terroristische<br />

Organisation handle, die ihren Aufbau <strong>und</strong> ihre personelle Zusammensetzung geheim<br />

halte <strong>und</strong> die den Zweck verfolge, politisch motivierte Gewaltverbrechen zu begehen. 97<br />

4.3.3. Das Terrornetzwerk Al-Qaïda 98 (<strong>und</strong> Nachfolgeorganisationen)<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht hatte den USA im Jahre 2002 internationale Rechtshilfe wegen mutmasslicher<br />

finanzieller Unterstützung der Al-Qaïda bewilligt. 99<br />

Dem Entscheid vom 15. November 2002 lag ein Rechtshilfeersuchen der USA zugr<strong>und</strong>e. Im<br />

Sachverhalt hielten die amerikanischen Behörden (u. a.) fest, eine steuerprivilegierte gemeinnützige<br />

Stiftung mit Hauptsitz in den USA werde verdächtigt, Spenden aus verschiedenen<br />

Quellen (darunter einem schweizerischen Bankkonto) zur Unterstützung terroristischer Aktivitäten<br />

des internationalen Netzwerkes Al-Qaïda zu verwenden bzw. Geldwäscherei zu<br />

betreiben. Offiziell bezwecke die verdächtige Stiftung, Hilfsaktionen zugunsten von Moslems<br />

in von Kriegen betroffenen Regionen zu unterstützen <strong>und</strong> zu finanzieren. Geholfen werde<br />

unter anderem den Waisenkindern von muslimischen „Märtyrern“, welche im Kampf für die<br />

„islamische Sache“ ihr Leben liessen. Die Stiftung habe namentlich Mujaheddin im bosnischen<br />

Bürgerkrieg unterstützt <strong>und</strong> diesen bzw. der bosnischen Armee 6 Millionen USD sowie<br />

logistische Unterstützung (inkl. Waffen, Munition etc.) zukommen lassen. Die finanzielle<br />

Hilfe diene jedoch in Wirklichkeit dazu, an der Basis Unterstützung für terroristische Aktivitäten<br />

zu schaffen <strong>und</strong> namentlich „junge Rekruten“ anzuwerben. Ein naher Vertrauter Usama<br />

bin Ladens habe an die verdächtige Stiftung Gelder überwiesen <strong>und</strong> die als wohltätige Spen-<br />

96<br />

Urteil 1A.174/2002 E. 2.2, 2.3, 3.5 <strong>und</strong> 4.3.<br />

97<br />

Urteil 1A.174/2002 E. 3.2.<br />

98<br />

Das terroristische Netzwerk Al-Qaïda wurde höchstwahrscheinlich Ende der 80er-Jahre von Usama bin<br />

Laden, Ayman Al-Zawahiri, dem Anführer der ägyptischen Organisation Jihad, <strong>und</strong> Mohamed Atef gegründet.<br />

Al-Qaïda weist nicht die für islamistische Gruppierungen übliche hierarchische Struktur auf, sondern<br />

umfasst (gr<strong>und</strong>sätzlich) drei Ebenen. Die Führungsriege mit Beratern <strong>und</strong> Verbündeten um Usama bin<br />

Laden (Ebene 1: dazu zählen insbesondere Ayman Al-Zawahiri, Abou Zoubaïda sowie Soleiman Abou<br />

Ghaith), Organisationen <strong>und</strong> Gruppierungen, die zwar eng mit Al-Qaïda in Verbindung stehen, aber ein separates<br />

Netz bilden (Ebene 2) <strong>und</strong> schliesslich Einzelpersonen, die von den Zielen <strong>und</strong> Methoden der Al-<br />

Qaïda beeinflusst sind (Ebene 3). Das B<strong>und</strong>esamt für Polizei erwähnt als konkrete Beispiele von Organisationen<br />

<strong>und</strong> Gruppierungen im Umfeld von Al-Qaïda die Groupe Salafiste pour la Prédiction et le Combat<br />

(GSPC) <strong>und</strong> die Groupe Islamique Armé (GIA). Möglicherweise logistische Unterstützung soll Al-Qaïda<br />

von Mitgliedern der islamitischen Gruppe Takfir wal Hijra erhalten. Eine andere (bekanntere) Terrorgruppe<br />

im Irak ist die Ansar al-Islam bzw. die Ansar as-Sunna (BISS 2002, 37, 39 <strong>und</strong> BISS 2006, 27, 31). Siehe<br />

auch Einschätzung der Al-Qaïda durch den B<strong>und</strong>esrat in BBl 2002 1845-1847 <strong>und</strong> 1857.<br />

99<br />

Urteil 1A.194/2002; FORSTER, ZStrR 2003, 433-435.<br />

21


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

den getarnten Mittel in den Geldkreislauf eingespeist, welche in der Folge zur Unterstützung<br />

der terroristischen Aktivitäten der Al-Qaïda verwendet worden sein sollen. 100<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht kam zum Schluss, <strong>bei</strong>m terroristischen Netzwerk Al-Qaïda handle es sich<br />

um eine terroristische Organisation gemäss Art. 260ter Ziff. 1 StGB. Da<strong>bei</strong> prüfte es nicht<br />

näher, ob die einzelnen Tatbestandsmerkmale von Art. 260ter StGB auch tatsächlich gegeben<br />

waren. Vielmehr beschränkte es sich auf die (gerichtsnotorische) Feststellung, dass Al-Qaïda<br />

weltweit zahlreiche terroristische Verbrechen angelastet werden. Insbesondere würden ihr von<br />

den US-Behörden die Urheberschaft an den mörderischen Anschlägen vom 11. September<br />

2001 auf das World Trade Center in New York City <strong>und</strong> auf das Pentagon-Gebäude in Washington<br />

D.C. vorgeworfen, denen tausende von Menschen zum Opfer fielen. 101<br />

Mit Entscheid vom 21. Juni 2007 102 verurteilte das B<strong>und</strong>esstrafgericht erstmals zwei Personen<br />

u.a. wegen Unterstützung des Terrornetzwerkes der Al-Qaïda im Sinne von Art. 260ter<br />

StGB zu bedingten Freiheitsstrafen. Das Verfahren wurde im August 2004 von der B<strong>und</strong>esanwaltschaft<br />

(BA) eingeleitet, nachdem sich Pakistan an die Schweiz gewandt hatte, weil das<br />

Bekennerschreiben des Attentates gegen ein hochrangiges Regierungsmitglied auf einer in der<br />

Schweiz betriebenen Webseite publiziert wurde. In der Folge wurden auf derselben Webseite<br />

auch Drohungen von Al-Qaïda gegen mehrere europäische Länder weiterverbreitet, radikale<br />

islamistische Propaganda publiziert, grausamste Gewaltvideos gezeigt sowie Anleitungen<br />

zum Bombenbau veröffentlicht. Nach Auffassung des B<strong>und</strong>esstrafgerichtes haben die Angeklagten<br />

mittels Aufbau <strong>und</strong> Betreiben der Webseite ein Propagandawerkzeug <strong>und</strong> ein Kommunikationsmittel<br />

für kriminelle Organisationen kreiert. Zur Klärung der hier interessierenden<br />

Frage, ob es sich <strong>bei</strong> der Al-Qaïda <strong>und</strong> deren Nachfolgeorganisationen um terroristische<br />

Organisationen handelt, stützte sich die Strafkammer des B<strong>und</strong>esstrafgerichts (u.a.) auf Ermittlungsberichte<br />

der B<strong>und</strong>eskriminalpolizei ab. Weiter erwähnte sie die gegen Al-Qaïda <strong>und</strong><br />

deren Nachfolgeorganisationen verhängten Verbote. Von einer näheren Prüfung der Voraussetzungen<br />

von Art. 260ter StGB sah das Gericht ab. Der Entscheid wurde ans B<strong>und</strong>esgericht<br />

weitergezogen, welches mit Urteil vom 2. Mai 2008 die Ausführungen der Vorinstanz weitgehend<br />

übernahm <strong>und</strong> den erstinstanzlichen Entscheid bestätigte. 103<br />

100<br />

Urteil 1A.194/2002 E. 2.2.1, 2.4.1 <strong>und</strong> 3.7.<br />

101<br />

Urteil 1A.194/2002 E. 3.7. Der Al-Qaïda werden u.a. noch folgende (bekannte) Terroranschläge zugeschrieben:<br />

Am 12. Oktober 2002 sterben <strong>bei</strong> Bombenanschlägen in Diskotheken auf Bali (Indonesien) 202 Menschen,<br />

darunter auch drei Schweizer Opfer. Für den Anschlag wurde die islamische Organisation Jemaah Islamiyah<br />

verantwortlich gemacht, die Verbindungen zum Terrornetzwerk der Al-Qaïda unterhalten soll. Spanien<br />

wurde am 11. März 2004 als erstes westeuropäisches Land Opfer der globalen Dschihadbewegung, als<br />

zehn ferngezündete Bomben auf vier Madrider Vorortszüge 191 Menschen in den Tod rissen <strong>und</strong> weitere ca.<br />

2000 Personen verletzten (BISS 2004, 10 <strong>und</strong> 25). Am 7. Juli 2005 erfolgten Anschläge auf Londoner U-<br />

Bahn-Stationen <strong>und</strong> Busse. Es werden ca. 56 Menschen getötet <strong>und</strong> mindestens 700 weitere verletzt. Ob eine<br />

Verbindung der in England lebenden Attentäter zum Terrornetzwerk der Al-Qaïda bestand, ist bis heute<br />

ungeklärt (http://de.wikipedia.org/wiki/Al-Qaida, Stand 16.06.2008). Die Al-Qaïda <strong>und</strong> ihre Ableger werden<br />

sodann als Urheber zahlreicher weiterer Terroranschläge namentlich in Kenia, Jemen, Saudiarabien, Tunesien<br />

<strong>und</strong> Marokko verdächtigt (FORSTER, ZStrR 2003, 435 [Fn. 60]).<br />

102<br />

Urteil der Strafkammer des B<strong>und</strong>esstrafgerichts SK.2007.4 vom 21. Juni 2007.<br />

103<br />

6B_645/2007. In E. 7.2.1. hielt das B<strong>und</strong>esgericht unter Bezugnahme der Feststellungen des B<strong>und</strong>esstrafgerichts<br />

zur Al-Qaïda <strong>und</strong> deren Nachfolgeorganisationen fest, was folgt: „La Cour des affaires pénales a retenu<br />

(arrêt entrepris consid. 4.2.1 p. 13) que presque tous les groupes islamistes radicaux et leurs exposants<br />

22


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

4.3.4. Die „religiös motivierte“, extremistische Gruppierung „Märtyrer für Marokko“<br />

In BGE 1A.50/2005 hatte das B<strong>und</strong>esgericht ein spanisches Auslieferungsersuchen betreffend<br />

des in der Schweiz arrestierten Mohammed Achraf zu beurteilen, welchem die spanische<br />

Strafjustiz vorwarf, als „Emir“ der radikalen salafistisch-islamistischen Organisation „Märtyrer<br />

für Marokko“ aufgetreten zu sein. Diese Organisation sei im Verlaufe des Jahres 2002<br />

von 12 Häftlingen in einem Gefängnis in Salamanca gegründet worden. Nach ihrer Haftentlassung<br />

hätten sie abredegemäss begonnen, den „Jihad“ bzw. den bewaffneten Kampf aufzunehmen.<br />

Achraf habe einem Dritten die Absicht bekanntgegeben, ein Attentat von grosser<br />

Tragweite zu verüben, wo<strong>bei</strong> er über die nötigen finanziellen Mittel verfüge <strong>und</strong> Personen<br />

gesucht habe, die bereit waren, „Märtyrer des Jihad“ zu werden. Er habe geplant, insgesamt<br />

1’000 Kilogramm Sprengstoff für einen Anschlag entweder gegen die Audencia Nacional<br />

oder den spanischen Obersten Gerichtshof in Madrid einzusetzen. 104<br />

Für das B<strong>und</strong>esgericht stellt auch diese extremistisch-islamistische Vereinigung eine verfolgungswürdige<br />

terroristische Organisation im Sinne von Art. 260ter StGB dar: Sie bestehe aus<br />

einem Gründungskern von ein bis zwei Dutzend Angehörigen. Die Organisation sei bestrebt,<br />

ihren Aufbau <strong>und</strong> die Identität ihrer Mitglieder geheim zu halten <strong>und</strong> bezwecke, politische<br />

bzw. f<strong>und</strong>amentalistisch-religiöse Ziele gewaltsam durchzusetzen. Mittel dafür seien namentlich<br />

Bombenanschläge gegen zivile Einrichtungen <strong>und</strong> öffentliche Gebäude des spanischen<br />

Staates, mit denen dieser destabilisiert <strong>und</strong> die Bevölkerung in Angst <strong>und</strong> Schrecken versetzt<br />

werden soll. Das B<strong>und</strong>esgericht betonte, dass gerade die Einschüchterung der Bevölkerung<br />

<strong>und</strong> die Nötigung von Staaten <strong>und</strong> internationalen Organisationen durch Gewaltverbrechen als<br />

typisch terroristisch im Sinne des EÜBT anzusehen sei. 105<br />

utilisateurs des sites de l'accusé appartenaient directement ou indirectement au réseau Al-Qaïda, en se<br />

référant, d'une part, à un rapport de police du 9 juillet 2007 et en relevant, d'autre part, que plusieurs de<br />

ces groupes (Jam'yah Ta'Awun Al-Islamia et Jeemah Islamiyah, notamment) ainsi que certains de leurs<br />

membres (Aiman al-Zawahiri) étaient expressément visés par l'Ordonnance du Conseil fédéral du 26 juin<br />

2007 instituant des mesures à l'encontre de personnes et entités liées à Oussama ben Laden, au groupe « Al-<br />

Qaïda » ou aux Talibans (RS 946.203). La Cour des affaires pénales a encore expressément souligné dans<br />

ses considérants (consid. 4.4.2 et 4.4.3, p. 18 ss) l'existence de liens entre diverses organisations ayant utilisé<br />

les forums de discussion du recourant et le réseau Al-Qaïda respectivement l'appartenance revendiquée<br />

par ces organisations à ce réseau terroriste (consid. 4.4.2, p. 18-19: Etendard Abou Bakr as Siddiq [organisation<br />

Al-Qaïda]; Kataeb Abou Hafs al Masri [organisation Al-Qaïda ou organisation Al-Qaïda branche<br />

Europe]; Jamaat al Tawheed al Islamiya [organisation Al-Qaïda Europe]; Kataeb Abi Hafs al Masri Tanzin<br />

[Al-Qaïda]; Jammat al Tawheed al Islamiya Liwaa Omar al Moukthar [section information]; consid.<br />

4.4.3 p. 19 s.: Al Katba al Khadra [branche de Jamaat al Tawheed Wal Jihad]; Brigades al-islambouli [organisation<br />

Al-Qaïda]; organisation Al-Qaïda Afghanistan).“<br />

104<br />

1A.50/2005 E. 2.4.1 f.<br />

105<br />

1A.50/2005 E. 2.7 f.; FORSTER, ZStrR 2006, 334. Am 27. Februar 2008 hat das nationale Strafgericht Spaniens<br />

das Urteil gegen 30 angeklagte Islamisten in dieser Sache gesprochen. Der in der Schweiz festgenommene<br />

Anführer der Terroristengruppe <strong>und</strong> an Spanien ausgelieferte Hauptangeklagte Mohammed Achraf<br />

wurde zu einer Gefängnisstrafe von 14 Jahren verurteilt, 19 weitere Mitglieder wurden mit 5 <strong>und</strong> mehr<br />

Jahren bestraft. Für 10 Angeklagte endete der Prozess mit Freisprüchen (nachzulesen in der NZZ vom<br />

05.03.2008).<br />

23


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

4.3.5. Zusammenfassung <strong>und</strong> Schlussfolgerung für die Strafverfolgung<br />

Gruppierungen oder Organisationen, die zu terroristischen Mitteln greifen, verstehen sich<br />

selbst ausnahmslos als „good guys“, welche angeblich für ein demokratisches Gemeinwesen<br />

kämpfen. 106 Solche Selbsteinschätzungen sind irrelevant, weshalb massgebend einzig sein<br />

kann, ob ein in Frage stehender terroristischer Akt gegenüber einem Terror- bzw. Unrechtsregime<br />

unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit als gerade noch nachvollziehbar erscheint.<br />

107 Es muss mit anderen Worten ein vernünftiges Mass zwischen eingesetzten Mitteln<br />

(Gewalt) <strong>und</strong> angestrebtem Ziel (z.B. demokratische Rechtsordnung) bestehen. 108 Dies ist <strong>bei</strong><br />

keiner der genannten Gruppierungen der Fall.<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht erachtet es als gerichtsnotorische Tatsache, dass die Organisationen „Brigate<br />

Rosse“, ETA <strong>und</strong> Al-Qaïda als terroristisch im Sinne von Art. 260ter StGB gelten. Eine<br />

nähere Prüfung der in Art. 260ter StGB erwähnten Kriterien hält es daher für obsolet. Eine<br />

auch nur summarische Prüfung dieser Kriterien ergibt, dass die Strukturen aller drei Organisationen<br />

seit Jahren bzw. Jahrzehnten bestehen <strong>und</strong> damit auf Dauer angelegt sind. Alle drei<br />

Gruppierungen verfügen regional (ETA, „Brigate Rosse“) oder international (Al-Qaïda) über<br />

Ableger <strong>und</strong> Nachfolgeorganisationen. Zur Planung <strong>und</strong> Ausführung ihrer Anschläge schotten<br />

sich die Mitglieder komplett von der Aussenwelt ab; ihre personellen Verflechtungen sind bis<br />

auf die Führungsriege weitgehend unbekannt. Sie versuchen nicht, ihre (meist ideologischen)<br />

109 Ziele mit angemessenen, noch vertretbaren Mitteln durchzusetzen, sondern verüben<br />

bis in die jüngste Vergangenheit blutige Anschläge (mit Sprengstoff, automatischen Waffen<br />

etc.) <strong>und</strong> nehmen da<strong>bei</strong> den Tod Unbeteiligter oder Zivilsten bewusst in Kauf. Dieses Vorgehen<br />

ist ohne jeden Zweifel als terrorismustypisch im Sinne des EÜBT oder des IÜBFT zu<br />

bezeichnen. Rechtfertigungs- oder Schuldausschliessungsgründe bestehen keine.<br />

Diese Gr<strong>und</strong>sätze hat das B<strong>und</strong>esgericht im Falle der noch relativ jungen Terrororganisation<br />

„Märtyrer für Marokko“ bestätigt: Eine Gruppierung, die im Geheimen einen Terrorakt brutalsten<br />

Ausmasses auf zivile Einrichtungen plant, handelt terrorismustypisch <strong>und</strong> erfüllt die<br />

Voraussetzungen von Art. 260ter Ziff. 1 StGB.<br />

Für die Strafverfolgung bedeutet dies, dass im Falle von Mitgliedern, Exponenten, Unterstützern<br />

oder von Aktivitäten der vom B<strong>und</strong>esgericht „zertifizierten“ Terrororganisationen in der<br />

Schweiz ohne weiteres ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren wegen Art. 260ter<br />

StGB eröffnet werden kann. Vom Beweis, dass es sich <strong>bei</strong> der „Brigate Rosse“, ETA, Al-<br />

106<br />

CASSANI, SZW 2003, 301.<br />

107<br />

CASSANI, SZW 2003, 302; JOSITSCH, ZStrR 2005, 467 f.; FORSTER; ZBJV 2005, 218 ff.; VEST, Handkommentar<br />

SHK, 102.<br />

108<br />

VEST, Handkommentar SHK, 102.<br />

109<br />

Insbesondere <strong>bei</strong> der Al-Qaïda handelt es sich nicht um eine monolithisch strukturierte Terrororganisation<br />

nach traditionellem Muster, sondern eher um eine breite ideologische Bewegung, welche zur Rechtfertigung<br />

terroristischer Aktionen mit ähnlichen Vorgehensweisen dient. Der islamistische Terrorismus der Al-Qaïda<br />

hat sich in den letzten Jahren zu einer eigenständigen, weltweiten Bewegung, dem sogen. Dschihadismus,<br />

entwickelt. Dschihadisten operieren im Westen zunehmend ohne vorgängige Ausbildung, selbständig, lokal<br />

<strong>und</strong> opportunistisch (BISS 2006, 10 <strong>und</strong> 29 f.).<br />

24


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Qaïda <strong>und</strong> der „Märtyrer für Marokko“ tatsächlich um eine terroristische Organisation handelt,<br />

sind die Ermittlungsbehörden befreit. Im Falle aller anderen (noch nicht bekannten) Terrororganisationen<br />

muss der Nachweis der terroristischen Organisation nach Art. 260ter StGB<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich als erbracht angesehen werden, wenn solche Organisationen in gleicher oder<br />

ähnlicher Weise ein (gewaltsames) Vorgehen wie die vier genannten Terrororganisationen<br />

zum Erreichen ihrer Ziele geplant oder gewählt haben. Handelt es sich da<strong>bei</strong> um eine etablierte,<br />

seit Jahren bestehende <strong>und</strong> dauerhaft eingerichtete Organisation, sollte auch die Strafverfolgungsbehörde<br />

von einer gerichtsnotorischen Tatsache ausgehen dürfen, es liege eine terroristische<br />

Organisation im Sinne von Art. 260ter StGB vor. Zu denken ist da<strong>bei</strong> etwa an die<br />

palästinensischen Gruppierungen „Hamas“ <strong>und</strong> „Hizbollah“, die (zumindest regional) in gleicher<br />

Art <strong>und</strong> Weise „Angst <strong>und</strong> Schrecken“ in der Bevölkerung verbreiten. 110<br />

110 Z.B. FORSTER, ZStrR 2003, 440; BGE 115 IV 440.<br />

25


4.4. Terrorist oder „legitimer“ Freiheitskämpfer?<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Das Hauptproblem für Strafverfolgungsbehörden <strong>und</strong> Gerichte hinsichtlich Ermittlung <strong>und</strong><br />

Qualifizierung einer Organisation als terroristisch nach Art. 260ter StGB besteht in der Abgrenzung<br />

zwischen international geächtetem Terrorismus <strong>und</strong> legitimem, militantem Befreiungs-<br />

oder Freiheitskampf. 111 Bezüglich der Einstufung der jeweiligen Widerstandsbewegungen<br />

als terroristisch oder freiheitskämpferisch besteht international wenig Konsens, da die<br />

entsprechenden Zielsetzungen je nach Gesellschaft <strong>und</strong> Zeitgeist unterschiedlich bewertet<br />

werden <strong>und</strong> die gleiche politische Bewegung zwischen „terroristisch“ <strong>und</strong> „freiheitskämpferisch“<br />

oszillieren kann. 112 Letztlich geht es auch um die Frage, ob <strong>und</strong> wann eine Organisation<br />

trotz gelegentlicher oder häufiger terroristischer Methoden politische Legitimität beanspruchen<br />

darf. 113<br />

4.4.1. Ausgangslage<br />

Der Gesetzgeber nennt keine Kriterien, wie die Abgrenzung „Terrorist – Freiheitskämpfer“<br />

konkret vorzunehmen ist. Diese delikate Aufgabe, im Einzelfall die straflose „politisch legitime“<br />

Gewaltanwendung von der terrorismustypischen Handlung abzugrenzen, hat er den<br />

zuständigen Gerichten überlassen. 114 Insbesondere <strong>bei</strong> Bürgerkriegen gehört die Abgrenzung<br />

zwischen Terroristen <strong>und</strong> Schwerverbrechern einerseits <strong>und</strong> Konfliktparteien bzw. separatistischen<br />

Widerstandskämpfern andererseits zu den schwierigsten Fragen des internationalen<br />

Strafrechts <strong>und</strong> wird oft mit der Redewendung „one man’s terrorist is another man’s freedom<br />

fighter“ umschrieben. 115 Das B<strong>und</strong>esgericht zählt (gr<strong>und</strong>sätzlich) extremistische Parteien,<br />

oppositionelle politische Gruppen sowie Organisationen, die mit angemessenen (nicht verbrecherischen)<br />

Mitteln um die politische Macht in ihrem Heimatland ringen oder einen Freiheitskampf<br />

gegen diktatorische Regimes führen, nicht zu den <strong>kriminellen</strong> Organisationen. 116 Gerade<br />

<strong>bei</strong> Anhängern von separatistischen Widerstandorganisationen, die sich gegen ethische<br />

Verfolgung <strong>und</strong> Unterdrückung wehren, dürfe nicht ohne weiteres auf internationalstrafrechtlich<br />

verfolgungswürdige „terroristische“ Schwerverbrechen geschlossen werden. 117 Unzulässig<br />

wäre es bspw., alle muslimischen Bürgerkriegsopfer oder alle getöteten <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>eten<br />

muslimischen Kämpfer pauschal in einen terroristischen Zusammenhang oder gar ins Umfeld<br />

der Al-Qaïda zu stellen. 118<br />

111<br />

FIOLKA, BSK II, 1734.<br />

112<br />

JOSITSCH, ZStrR 2005, 463.<br />

113<br />

ARZT, OK-Kommentar, 414.<br />

114<br />

BGE 130 II 344; FORSTER, ZStrR 2003, 445; derselbe, ZBJV 2005, 221 f.<br />

115<br />

CASSANI, SZW 2003, 299-302; MOREILLON/DE COURTEN, ZStrR 2003, 118 f.<br />

116<br />

BGE 133 IV 58 E. 5.3.1; 131 II 235 E. 2.12; 130 II 337 E. 3.4; 128 II 355 E. 3.4; 125 II 569 E. 5c.<br />

117<br />

BGE 133 IV 58 E. 5; 130 II 337 E. 6 <strong>und</strong> 7.1.<br />

118<br />

FORSTER, ZStrR 2003, 434: Zwischen der strafbaren Unterstützung terroristischer Organisationen <strong>und</strong> der<br />

zulässigen finanziellen Hilfe an Bürgerkriegsopfer muss jedenfalls unterschieden werden.<br />

26


4.4.2. Abgrenzung am Beispiel der „Albanian National Army“ (ANA)<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Gleich in zwei Entscheiden mit gr<strong>und</strong>sätzlich identischem Sachverhalt hatte sich das B<strong>und</strong>esgericht<br />

mit der „Albanian National Army“ (ANA) zu befassen. 119 Es war zu prüfen, ob die<br />

Auslieferung eines Albaners im Jahre 2004 an Serbien-Montenegro zulässig war, dem von<br />

serbischer Seite vorgeworfen wurde, er habe nach Beendigung des Bürgerkriegs der ANA,<br />

einer Nachfolgeorganisation der kosovo-albanischen UCK, 120 angehört <strong>und</strong> diese logistisch<br />

sowie finanziell unterstützt <strong>und</strong> sei u.a. auch über die Tötung eines serbischen Polizisten informiert<br />

gewesen. Der Verfolgte machte geltend, sowohl <strong>bei</strong> der UCK als auch <strong>bei</strong> der ANA<br />

habe es sich um legitime Bürgerkriegsparteien gehandelt, weshalb keine Rechtshilfe wegen<br />

Art. 260ter StGB geleistet werden dürfe. Ziel des serbischen Ersuchens sei es, (u.a.) die kosovo-albanischen<br />

Bürgerkriegsgegner (namentlich die Nachfolgeorganisationen der UCK) als<br />

Terroristen zu diskreditieren. 121<br />

Im ersten Entscheid (vom 8. Juli 2004) bestätigte das B<strong>und</strong>esgericht seine bisherige (unter<br />

Kapitel 4.3.1. erwähnte) Rechtsprechung zum politischen Delikt 122 <strong>und</strong> hielt ausdrücklich<br />

fest, dass diese Praxis auch für die Prüfung der Frage gelte, ob es sich <strong>bei</strong>m Verfolgten um<br />

einen mutmasslichen Terroristen oder um einen bewaffneten politischen Widerstandskämpfer<br />

handle. 123 Bei Auslieferungen, <strong>bei</strong> denen es um die Frage ob Terrorist oder Freiheitskämpfer<br />

gehe, seien erhöhte Anforderungen an die Verlässlichkeit <strong>und</strong> Genauigkeit des Ersuchens zu<br />

stellen als <strong>bei</strong> gemeinrechtlichen Straftaten ohne politische Konnotation. Erforderlich sei auch<br />

eine „Ausleuchtung des politischen <strong>und</strong> völkerrechtlich-humanitären Kontextes“. Weder dürfe<br />

die internationale Rechtshilfe in Strafsachen zu politischen Zwecken missbraucht werden,<br />

noch dürften Hinweise auf den angeblich politischen Charakter einer Strafverfolgung dazu<br />

führen, dass Schwerstkriminelle oder Terroristen von der Strafverfolgung verschont blieben.<br />

124 Gemäss Ersuchen handelte es sich <strong>bei</strong> den Angehörigen der ANA in erster Linie um<br />

serbische Polizei- <strong>und</strong> Sicherheitskräfte. Die ursprüngliche UCK könne kaum als terroristisch<br />

bezeichnet werden, da es sich da<strong>bei</strong> unbestrittenermassen um eine völkerrechtlich anerkannte<br />

Bürgerkriegspartei handelte. Da keine verlässlichen Informationen zur inneren Struktur <strong>und</strong><br />

zum Aufbau der ANA vorlagen, der Bericht des B<strong>und</strong>esamtes für Polizei (DAP) darüber auch<br />

nicht ausreichend Aufschluss gab, sonstige Berichte von internationalen Gremien (UNO, OS-<br />

119<br />

BGE 131 II 337 ff. <strong>und</strong> 131 II 235 ff.<br />

120<br />

Die UCK (Ushtria Çlirimtare e Kosovës, zu deutsch: Befreiungsarmee des Kosovo) war eine albanische<br />

paramilitärisch-freischärlerische Organisation, die für die Unabhängigkeit des Kosovo <strong>und</strong> in Teilen für die<br />

Errichtung eines Großalbanien kämpfte. Sie entstand 1994, öffentlich trat sie erstmals 1996 in Erscheinung.<br />

Ihr Ziel war die Unabhängigkeit des Kosovo, ihr Mittel war der bewaffnete Kampf. Teile der UCK strebten<br />

auf diese Weise auch den Zusammenschluss aller mehrheitlich von ethnischen Albanern besiedelten Gebiete<br />

in Serbien, Mazedonien <strong>und</strong> Montenegro mit dem Mutterland Albanien an. Mitbegründer <strong>und</strong> Anführer war<br />

bis zu seinem Tod im Jahre 1998 Adem Jashari, danach bis zur Auflösung der UCK im Jahre 1999 Hashim<br />

Thaçi. Zur ANA siehe insbes. unter http://www.verfassungsschutz-bw.de/ausl/ausl_jugo_bestr_fbksh.htm.<br />

Stand 16.06.2008 sowie BBl 2002 1861 <strong>und</strong> BISS 2003, 26 <strong>und</strong> BISS 2001, 30.<br />

121<br />

BGE 130 II 337 E. 2.<br />

122<br />

BGE 130 II 337 E. 3.2 mit Hinweisen.<br />

123<br />

BGE 130 II 337 E. 3.3; FORSTER, ZStrR 2003, 430 f. <strong>und</strong> 438 f.<br />

124<br />

BGE 130 II 337 E. 6.1.<br />

27


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

ZE, ICTY) fehlten <strong>und</strong> auch keine Terrorismusexperten <strong>bei</strong>gezogen wurden, konnte das B<strong>und</strong>esgericht<br />

nicht prüfen, ob das Rechtshilfeerfordernis der <strong>bei</strong>dseitigen Strafbarkeit (u.a.) bezüglich<br />

Art. 260ter StGB in casu erfüllt war. 125<br />

Gestützt auf die Ergänzungen der serbischen Botschaft zum Rechtshilfeersuchen sowie Zusatzberichte<br />

des DAP <strong>und</strong> des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten<br />

(EDA), bewilligte das B<strong>und</strong>esamt für Justiz die Auslieferung erneut. Auch dieser Entscheid<br />

wurde <strong>bei</strong>m B<strong>und</strong>esgericht angefochten. Seinen zweiten Entscheid (vom 28. Februar 2005)<br />

stützte das B<strong>und</strong>esgericht vor allem auf die ergänzende Berichterstattung des DAP ab, wonach<br />

die ANA für „Untergr<strong>und</strong>aktionen“ <strong>und</strong> „Anschläge“ verantwortlich sei <strong>und</strong> mit ihren<br />

gezielten Kampfhandlungen versuche, die Krisenregion zu destabilisieren <strong>und</strong> damit die internationalen<br />

Friedensbemühungen zu behindern. 126<br />

Unter anderem in Berücksichtigung der Zusatzberichte des DAP <strong>und</strong> des EDA sowie der Verfügung<br />

des UNO-Generalsekretärs, welcher die ANA am 17. April 2003 auf die Liste der als<br />

terroristisch eingestuften extremistischen Gruppen setzte, bezeichnete das B<strong>und</strong>esgericht die<br />

ANA aufgr<strong>und</strong> ihrer Struktur <strong>und</strong> ihrer verbrecherischen Aktivitäten im fraglichen Zeitraum<br />

(Frühjahr 2003) als terroristische Organisation im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB: Die<br />

ANA sei eine relativ straff geführte <strong>und</strong> paramilitärisch organisierte extremistische Untergr<strong>und</strong>organisation<br />

mit einigen h<strong>und</strong>ert aktiven Mitgliedern, die ihren Aufbau <strong>und</strong> ihre personelle<br />

Zusammensetzung geheim halte. Ihr Ziel habe darin bestanden, „die ehemalige Bürgerkriegsregion<br />

Kosovo-Südserbien mit dem Einsatz von Gewalt politisch zu destabilisieren, um<br />

die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien zu erzwingen.“ Zu diesem Zweck habe die ANA<br />

im Februar <strong>und</strong> März 2003 nicht nur Attentate mit Schusswaffen <strong>und</strong> Sprengstoff auf serbische<br />

Sicherheitskräfte verübt, sondern ab Mitte April 2003 auch die Urheberschaft eines<br />

Bombenanschlages gegen zivile Einrichtungen, namentlich die Eisenbahnbrücke in Zvecan,<br />

für sich beansprucht. 127<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht kam zum Schluss, wenn <strong>bei</strong> schweren Gewaltverbrechen, namentlich Tötungsdelikten,<br />

der politische Charakter der verfolgten Straftaten in der Regel verneint wird,<br />

Analoges auch für die Unterstützung von politisch motivierten terroristischen Gewalttaten<br />

125<br />

BGE 130 II 337 E. 7.1-7.2 <strong>und</strong> 7.4. Das B<strong>und</strong>esamt für Justiz wurde vom B<strong>und</strong>esgericht daher aufgefordert,<br />

die Menschenrechtslage in Serbien <strong>und</strong> Montenegro näher abzuklären <strong>und</strong> tatsächliche Abklärungen hinsichtlich<br />

aller Auslieferungsvoraussetzungen vollumfänglich vorzunehmen (E. 7.6-7.7).<br />

126<br />

BGE 131 II 235 E. 2.11.1. Die ANA gehört gemäss den Berichten zur inneren Sicherheit der Schweiz zu<br />

den extremistischen Organisationen ethnisch albanischer Gruppen. Sie ist vor allem im Nordwesten Mazedoniens,<br />

im Grenzgebiet zum Kosovo <strong>und</strong> im südserbischen Presevo-Tal sowie in Albanien <strong>und</strong> Griechenland<br />

aktiv. Die ANA hat sich zu mehreren Anschlägen bekannt, <strong>bei</strong> denen seit 2001 etwa 25 Angehörige der<br />

Sicherheitskräfte aus Mazedonien <strong>und</strong> Serbien getötet wurden (BISS 2003, 26). Im November 2001 verübte<br />

die ANA erstmals einen Anschlag gegen ein Büro der EU in Tetovo. Sie wich damit von ihrer bisherigen<br />

Linie ab, nur mazedonische Einrichtungen, Polizeikräfte <strong>und</strong> Bevölkerungsgruppen anzugreifen (BISS 2001,<br />

30). Öffentlich zum bewaffneten Kampf hat die ANA Anfang 2003 aufgerufen. Die Kämpfer der lokalen<br />

Zellen der ANA sollen zudem zu Angehörigen von <strong>kriminellen</strong> Clanstrukturen gehören, die in Schutzgelderpressungen,<br />

Schmuggel, Waffen-, Drogen- <strong>und</strong> Menschenhandel involviert sind (BISS 2003, 26).<br />

127<br />

Die ANA wurde deshalb vom zuständigen Sonderbevollmächtigten des UNO-Generalsekretärs auf die Liste<br />

der als „terroristisch“ eingestuften extremistischen Gruppierungen gesetzt.<br />

28


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

gelten muss. Mit dem gewaltsamen Vorgehen der ANA, Sprengstoffanschläge gegen zivile<br />

Einrichtungen wie Eisenbahnbrücken <strong>und</strong> Attentate auf serbische Sicherheitskräfte zu verüben,<br />

habe diese die Zivilbevölkerung systematisch eingeschüchtert <strong>und</strong> eine Bürgerkriegsregion<br />

destabilisiert. Die Einschüchterung der Bevölkerung <strong>und</strong> Nötigung eines Staates durch<br />

Gewaltverbrechen sei insgesamt als „typisches Merkmal für terroristische Aktivitäten im Sinne<br />

des EÜBT“ zu werten. 128<br />

4.4.3. Abgrenzung am Beispiel der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front<br />

(DHKP-C)<br />

Das B<strong>und</strong>esamt für Justiz hatte über ein Auslieferungsgesuch der Türkei bezüglich eines<br />

mutmasslichen Helfers der extremistischen Widerstandsorganisation DHKP-C 129 zu befinden.<br />

Dem Verfolgten wurde vorgeworfen, er habe im Herbst 1995 als kurdischstämmiges Mitglied<br />

der DHKP-C Gewaltverbrechen, namentlich die Tötung eines Polizisten, begangen <strong>und</strong> sei<br />

zwischen 1994 <strong>und</strong> 1995 Mitglied einer terroristischen Organisation gewesen. Dieser widersetzte<br />

sich der Auslieferung <strong>und</strong> machte geltend, er sei kurdischer Abstammung <strong>und</strong> werde<br />

aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt.<br />

Zur hier allein interessierenden Frage, ob es sich <strong>bei</strong> der DHKP-C im massgeblichen Zeitraum<br />

(Herbst 1995) um eine terroristische Organisation im Sinne von Art. 260ter StGB handelte,<br />

stellte das B<strong>und</strong>esgericht (u.a. gestützt auf ein lückenhaftes Rechtshilfeersuchen) eine ganze<br />

Anzahl von Mängeln im Auslieferungsentscheid fest: Der angefochtene Entscheid enthalte<br />

keine Angaben darüber, ob die fragliche Organisation im Herbst 1995 tatsächlich terroristisch<br />

tätig war <strong>und</strong> worin im relevanten Zeitraum die verbrecherischen Aktivitäten bestanden hatten.<br />

Auch dem Bericht des DAP seien diesbezüglich keine Informationen zu entnehmen. Es<br />

werde auch nicht behauptet, die Staatengemeinschaft habe die Widerstandsaktivitäten der<br />

DHKP-C schon ab Herbst 1995 als terroristisch eingestuft. Ebensowenig werde erläutert,<br />

welcher Art die politischen Forderungen an die türkische Regierung waren <strong>und</strong> ob sich diese<br />

damals auf das Ziel der politisch-kulturellen Autonomie der kurdischen Bevölkerungsgruppe<br />

bzw. der Wahrung der Menschenrechte konzentrierten. Der historisch-völkerrechtliche Kontext<br />

bzw. Bürgerkriegshintergr<strong>und</strong> werde zudem völlig ausgeblendet. Schwere Anschläge im<br />

fraglichen Zeitraum, namentlich Sprengstoff- oder Brandanschläge gegen zivile Ziele, würden<br />

nicht erwähnt. Im Entscheid werde weder dargelegt, inwiefern die DHKP-C als Bürgerkriegspartei<br />

im türkisch-kurdischen Konflikt anzusehen war, noch gegen wen genau sich die nicht<br />

näher spezifizierten Anschläge gerichtet haben bzw. wann <strong>und</strong> wo diese erfolgten. Da<strong>bei</strong> wäre<br />

es von Bedeutung gewesen, abzuklären, ob in casu einzelne Gewaltakte im Kontext gegensei-<br />

128<br />

BGE 131 II 235 E. 2.12/2.13 <strong>und</strong> E. 3.5.<br />

129<br />

Die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front, (türkisch: Devrimci Halk Kurtuluş Partisi/Cephesi oder<br />

DHKP-C) ist eine militante marxistisch-leninistische Organisation in der Türkei. Ihr Generalsekretär ist<br />

Dursun Karataş. Die Organisation steht auf der Liste der terroristischen Vereinigungen der EU sowie der<br />

USA. Sie wurde 1994 als Nachfolgeorganisation der Devrimci Sol gegründet. Der Namensteil "Partisi/Cephesi"<br />

(Partei-Front) beschreibt die <strong>bei</strong>den Teile der Organisation. "Partei" steht für den politischen<br />

Flügel, wohingegen "Front" den Flügel für militante Operationen beschreibt (weitere Infos abrufbar unter<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Revolution%C3%A4re_Volksbefreiungspartei-Front, Stand 16.06.2008).<br />

29


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

tiger Menschenrechtsverletzungen bzw. eines akuten Bürgerkrieges begangen wurden, oder<br />

ob es sich um schwere Anschläge, namentlich gegen Zivilisten, in Zeiten relativen Friedens<br />

oder ausserhalb von der Konfliktregion handelte. Ohne minimale Angaben zum Kontext des<br />

bewaffneten Konfliktes zwischen militanten separatistischen Gruppierungen <strong>und</strong> türkischen<br />

Sicherheitskräften im Herbst 1995 lasse sich die terroristische Natur der beteiligten Organisationen<br />

nicht im strafrechtlichen Sinne prüfen. 130 Infolge mangelnder Tatsachengr<strong>und</strong>lagen<br />

konnte das B<strong>und</strong>esgericht nicht beurteilen, ob es sich <strong>bei</strong> der DHKP-C im Herbst 1995 um<br />

eine terroristische Organisation im Sinne von Art. 260ter StGB oder lediglich um eine (militante)<br />

Freiheitskampfbewegung handelte. 131<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht stellt mit diesem gr<strong>und</strong>legenden Entscheid auf einen historischvölkerrechtlichen<br />

bzw. völkerrechtlich-humanitären Kontext (bürgerkriegsähnliche Situation)<br />

ab <strong>und</strong> nimmt da<strong>bei</strong> Bezug auf mehrere Quellen: Zunächst wird die Berichterstattung des<br />

DAP konsultiert, wonach die DHKP-C Ende 1992/Anfang 1993 aus der Spaltung der Organisation<br />

„Devrimci Sol“ („Revolutionäre Linke“) hervorgegangen sei. Ziel der DHKP-C sei es<br />

gewesen, mit terroristischen Methoden in der Türkei die geltende Staatsordnung durch Streik,<br />

Boykott, Aufstand in den Fabriken <strong>und</strong> Gefängnissen, Anschläge, Attentate <strong>und</strong> Selbstmordattentate<br />

zu beseitigen. Von Anschlägen betroffen worden seien hauptsächlich Repräsentanten<br />

von Staat, Armee, Polizei, Justiz <strong>und</strong> Politik. Der Bericht enthielt jedoch gemäss B<strong>und</strong>esgericht<br />

ausser dem Hinweis, dass die DHKP-C seit Oktober 1997 auf der Liste der terroristischen<br />

Organisationen stehe <strong>und</strong> mit Beschluss vom 2. Mai 2002 in die vom EU-Rat geführte<br />

Liste der terroristischen Organisationen aufgenommen worden sei, keine weiteren Angaben<br />

zu konkreten Aktionen der DHKP-C im fraglichen Deliktszeitraum (1995), weshalb er für den<br />

konkreten Fall nicht einschlägig berücksichtigt werden konnte. Weiter zog das Gericht Urteile<br />

des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie Berichte des Europarates,<br />

der EU-Kommission <strong>und</strong> des Europäischen Folterschutzausschusses <strong>bei</strong>, welche bestätigten,<br />

dass <strong>bei</strong> dem in den Jahren 1992-1997 wütenden Bürgerkrieg in den von Kurden bewohnten<br />

Gebieten der Türkei schwerste Menschenrechtsverletzungen, darunter systematische Folterungen,<br />

Vergewaltigungen <strong>und</strong> Exekutionen durch sog. „Todesschwadronen“, erfolgt sind.<br />

Das gewaltsame Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegen den separatistischen Widerstand<br />

habe namentlich 1995 zur Entvölkerung kurdischer Dörfer geführt. 132<br />

130<br />

BGE 133 IV 58 E. 5.3.1 unter Hinweis auf BGE 131 II 235 E. 2.13, 3.5; FORSTER, ZBJV 2005, 236-238;<br />

derselbe, ZStrR 2006, 333; CASSANI, SZW 2003, 299 f.<br />

131<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht verzichtete in diesem Falle darauf, das B<strong>und</strong>esamt für Justiz anzuweisen, <strong>bei</strong> den türkischen<br />

Behörden um eine Ergänzung des Rechtshilfeersuchens nachzufragen, weil aufgr<strong>und</strong> der (bisherigen)<br />

Rechtshilfeakten nicht mehr zu erwarten war, dass die notwendigen zusätzlichen Abklärungen <strong>und</strong> Garantien<br />

innert angemessener Frist erhältlich gemacht worden wären. Das Ersuchen wurde zudem vor über dreieinhalb<br />

Jahren eingereicht, der Verfolgte befand sich im Zeitpunkt des B<strong>und</strong>esgerichtsentscheids bereits seit<br />

fast einem Jahr in Haft (BGE 133 IV 58 E. 7).<br />

132<br />

BGE 133 IV 58 E. 4.<br />

30


4.4.4. Zusammenfassung <strong>und</strong> Empfehlungen für die Strafverfolgung<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Aus der Sachdarstellung <strong>und</strong> den Beilagen ausländischer Rechtshilfeersuchen ergeben sich<br />

nicht immer ausreichend verlässliche Anhaltspunkte für eine verfolgungswürdige Beteiligung<br />

an terroristischen Straftaten. 133 Es obliegt jedoch der ersuchenden Behörde, ausreichende<br />

Sachinformationen zu liefern, aufgr<strong>und</strong> derer sich juristisch prüfen lässt, ob es sich um eine<br />

Gruppierung handelt/handelte, die im internationalstrafrechtlichen Sinne als terroristisch bzw.<br />

verbrecherisch einzustufen ist. Zu Recht verlangt das B<strong>und</strong>esgericht deshalb besonders sorgfältige<br />

Abklärungen <strong>und</strong> stellt erhöhte Anforderungen an die Ausführlichkeit, Widerspruchsfreiheit<br />

<strong>und</strong> Verlässlichkeit des Rechtshilfeersuchens. Die Schweiz setzt sich andernfalls massiver<br />

internationaler Kritik aus, wenn sie gerade <strong>bei</strong> Widerstandsorganisationen oder Bürgerkriegsparteien<br />

rein aufgr<strong>und</strong> eines nicht widerspruchsfreien, lückenhaften Sachverhalts in<br />

einem ausländischen Rechtshilfeersuchen eine terroristische oder kriminelle Organisation<br />

bejahen <strong>und</strong> schlimmer noch, eine Person, deren Auslieferung verlangt wird, zu Unrecht ausliefern<br />

würde. Auch wäre es unzulässig, Konfliktparteien eines Bürgerkrieges ohne jede Differenzierung<br />

als terroristisch einzustufen <strong>und</strong> internationalstrafrechtlich zu verfolgen. 134<br />

Bei der notwendigen Abgrenzung, ob es sich in casu um eine Widerstandsorganisation oder<br />

bereits um eine Terrororganisation handelt, ist den konkreten Aktivitäten der fraglichen Organisation<br />

im Zeitpunkt der verfolgten Straftaten Rechnung zu tragen. Diesbezüglich können<br />

sich Abklärungen zum Bürgerkriegshintergr<strong>und</strong> der inkriminierten Delikte aufdrängen. Das<br />

B<strong>und</strong>esgericht nennt eine Reihe möglicher Quellen, die konsultiert werden können: Im Vordergr<strong>und</strong><br />

stehen die Einschätzungen des DAP, aber auch Urteile internationaler Gerichte (wie<br />

dem EGMR) <strong>und</strong> Berichte europäischer Gremien. Weiter können Berichte des EDA (Abteilung<br />

Völkerrecht) Aufschluss über die Menschenrechtssituation in einem bestimmten Land<br />

geben. Für die Abklärung dieses völkerrechtlich-humanitären Kontextes kann sich sodann der<br />

Beizug von entsprechenden Experten empfehlen. In politisch <strong>und</strong> völkerrechtlich schwierigen<br />

Fällen wie den vorliegenden ist gemäss B<strong>und</strong>esgericht ein grosses Gewicht auf wirksame <strong>und</strong><br />

überprüfbare Menschenrechtsgarantien zu legen. 135<br />

Die vom B<strong>und</strong>esgericht entwickelten Gr<strong>und</strong>sätze gelten selbstverständlich auch für die Strafverfolgungsbehörde,<br />

der gestützt auf Art. 78 IRSG 136 der Vollzug ausländischer Rechtshilfeersuchen<br />

wegen Art. 260ter StGB obliegt. Auch wenn sie nicht über eine Auslieferung einer<br />

Person zu befinden hat, 137 sind die Sachverhaltsfeststellungen der ausländischen Behörden für<br />

eigene Ermittlungen <strong>und</strong> im Rahmen der internationalen Zusammenar<strong>bei</strong>t im heiklen Bereich<br />

der Terrorismusbekämpfung akribisch zu prüfen <strong>und</strong> <strong>bei</strong> Bedarf eine Ergänzung des Sachverhalts<br />

<strong>und</strong> der Rechtshilfeakten einzufordern.<br />

133<br />

Vgl. Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe.<br />

134<br />

BGE 133 IV 58 E. 5.3.2; 130 II 337 E. 7.1.; CASSANI, SZW 2003, 293 ff. <strong>und</strong> 299 f.; FORSTER, ZBJV 2005,<br />

236 ff.; VEST, Handkommentar SHK, 101-103.<br />

135<br />

BGE 123 II 161 E. 6; 122 II 373 E. 2d; Urteil 1A.4/2005 vom 28.02.2005 E. 4.3-4.6.<br />

136<br />

B<strong>und</strong>esgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG, SR 351.1).<br />

137<br />

Gemäss Art. 55 IRSG ist für Auslieferungsentscheide das B<strong>und</strong>esamt für Justiz zuständig.<br />

31


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

In eigenen gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren hat sich die Strafverfolgungsbehörde<br />

frühzeitig grösstmögliche Klarheit darüber zu verschaffen, ob es sich <strong>bei</strong> der von ihr verfolgten<br />

Organisation bzw. Mitgliedern oder Unterstützern derselben um Freiheitskämpfer oder<br />

Terroristen handelt. Wichtig ist da<strong>bei</strong> (u.a.) ein regelmässiger Informationsaustausch mit dem<br />

Inlandgeheimdienst DAP im Rahmen des B<strong>und</strong>esgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der<br />

inneren Sicherheit vom 21. März 1997 (BWIS). 138 Eine allgemeine Analyse <strong>und</strong> Einschätzung<br />

zur politischen Situation sowie zu kombattanten Gruppierungen in einem bestimmten<br />

Land zu einem bestimmten Zeitpunkt sollte der DAP gr<strong>und</strong>sätzlich ohne weiteres zuhanden<br />

der Ermittlungsbehörden abgeben können. 139 Für die vom DAP alljährlich verfassten Berichte<br />

zur inneren Sicherheit der Schweiz gilt es zu beachten, dass die darin uneinheitlich verwendete<br />

Terminologie (Extremismus, Gewaltextremismus, Terrorismus, Netzwerkkriminalität, Guerillakämpfer,<br />

Rebellen etc.) weder verlässlich, noch geeignet ist, um eine juristisch operationable<br />

Abgrenzung zwischen Terroristen <strong>und</strong> „legitimen“ Freiheitskämpfern in der vom B<strong>und</strong>esgericht<br />

vorgegebenen Weise vornehmen zu können. 140 Deshalb ist die Strafverfolgungsbehörde<br />

gehalten, aufgr<strong>und</strong> von „open sources“ eigene Nachforschungen anzustellen oder<br />

sich – soweit angezeigt – mit Sachverständigen auszutauschen, um den Sachverhalt mit Blick<br />

auf den in Frage stehenden Tatbestand rechtsgenüglich erstellen zu können.<br />

4.5. Die strafrechtliche Demokratieklausel (Art. 260quinquies Abs. 3 <strong>und</strong><br />

4 StGB)<br />

Der heiklen Unterscheidung zwischen „legitimen“ Widerstandskämpfern bzw. Bürgerkriegsparteien<br />

<strong>und</strong> Terroristen hat der Gesetzgeber auch <strong>bei</strong>m Erlass von Art. 260quinquies StGB<br />

Rechnung getragen. So sehen die Absätze 3 <strong>und</strong> 4 dieser Bestimmung Strafbarkeitsausschlüsse<br />

vor <strong>bei</strong> Personen, welche namentlich (das humanitäre Kriegsvölkerrecht respektierende)<br />

Bürgerkriegsparteien finanziell unterstützen oder auch Freiheitskämpfer gegen Unterdrückung<br />

<strong>und</strong> Besatzung bzw. politische Aktivisten, die zur Durchsetzung ihrer ideellen <strong>und</strong> politischen<br />

Anliegen angemessene Mittel des gewalttätigen Widerstands einsetzen. 141<br />

Im Vordergr<strong>und</strong> steht da<strong>bei</strong> die gesetzliche Ausschlussklausel von Art. 260quinquies Abs. 3<br />

StGB, welche bestimmt, dass die Tat nicht als Finanzierung einer terroristischen Straftat gilt,<br />

wenn sie auf die Herstellung oder Wiederherstellung demokratischer <strong>und</strong> rechtsstaatlicher<br />

Verhältnisse oder die Ausübung oder Wahrung von Menschenrechten gerichtet ist. Diese<br />

138<br />

SR 120. Die Verhinderung <strong>und</strong> teilweise die Bekämpfung von Terrorismus <strong>und</strong> gewalttätigem Extremismus<br />

fällt unter das BWIS. Die Überwachung einschlägiger Organisationen, um die Strukturen, Tätigkeiten <strong>und</strong><br />

Ziele terroristischer Netze frühzeitig zu erkennen, erfordert entsprechende Möglichkeiten der Informationsbeschaffung,<br />

welche in Art. 14 Abs. 2 BWIS abschliessend aufgezählt sind (BBl 2002 1870); NATTERER,<br />

Landesbericht, 750.<br />

139<br />

Vgl. Art. 2 <strong>und</strong> Art. 10-18 BWIS sowie die öffentlich zugänglichen Berichte zur inneren Sicherheit der<br />

Schweiz (BISS) 2001-2006.<br />

140<br />

Zur staatsschutzrechtlichen Bedeutung der Begriffe Terrorismus <strong>und</strong> Extremismus siehe <strong>bei</strong> LOBSIGER,<br />

Verbrechensbekämpfung, 38 f.<br />

141<br />

BBl 2002 5439; BBl 2002 1889; CASSANI, SZW 2003, 301 f.; FORSTER, ZStrR 2003, 444 f.<br />

32


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Ausrichtung ist objektiv zu verstehen, auf Motive <strong>und</strong> Absichten der Täterschaft kommt es<br />

nicht an. 142<br />

4.5.1. Die „schwächer strukturierte Gruppe“<br />

Da die meisten Fälle von Terrorismusfinanzierung bereits durch das Unterstützen einer <strong>kriminellen</strong><br />

Organisation im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 2 StGB abgedeckt sind, werden von<br />

Art. 260quinquies StGB ausschliesslich Fälle erfasst, in welchen die Akteure des zu unterstützenden<br />

Unterfangens zu lose miteinander verb<strong>und</strong>en sind, als dass man sie noch als Organisation<br />

bezeichnen könnte. Somit gibt es nach Auffassung des B<strong>und</strong>esrates Finanzierungshandlungen<br />

zu Gunsten von weiteren, schwächer strukturierten Gruppierungen <strong>und</strong> zu Gunsten<br />

von terroristischen Einzeltätern, für die Art. 260ter StGB nicht einschlägig sein soll. 143 Der<br />

Gesetzgeber nennt jedoch in der Botschaft keine konkreten Beispiele von Gruppierungen oder<br />

Organisationen, für welche diese Voraussetzung zutreffen könnte. Das Parlament hatte<br />

schlicht die Befürchtung, ohne eine solche Einschränkung könnten Menschen oder Gruppierungen<br />

kriminalisiert werden, die sich für Menschenrechte engagieren. 144 Art. 260quinquies<br />

StGB wird in der Lehre deshalb auch als strafrechtliche Demokratieklausel bezeichnet. 145 Die<br />

Einführung der Norm ist demnach darauf zurückzuführen, dass keine allgemein akzeptierte<br />

Definition des Terrorismus besteht. 146<br />

4.5.2. Kritik an der Strafnorm<br />

Es stellt sich somit die Frage nach dem Nutzen bzw. Mehrwert eines besonderen Terrorismusfinanzierungstatbestandes:<br />

Zunächst ist der wesentliche <strong>und</strong> praktisch wichtigste Teil der Terrorismusfinanzierung,<br />

die finanzielle Unterstützung von Terrorakten <strong>und</strong> terroristischen Organisationen,<br />

bereits durch Art. 260ter StGB strafrechtlich erfasst, (der Art. 260quinquies<br />

StGB im Übrigen vorgeht). 147 Dies wird auch künftig der Fall sein, wenn es am Zusammenhang<br />

zwischen Finanzierung <strong>und</strong> konkreter terroristischer Haupttat fehlt, die Unterstützungshandlung<br />

indes zugunsten einer <strong>kriminellen</strong> Organisation erfolgt. Spezialfälle der Finanzierung<br />

können zusätzlich durch Art. 260bis <strong>und</strong> 305bis StGB „aufgefangen“ werden.<br />

142<br />

FORSTER, ZStrR 2006, 336 f.; VEST, Handkommentar SHK, 101; anderer Auffassung <strong>und</strong> ausschliess lich<br />

das subjektive Element betonend JOSITSCH, ZStrR 2005, 446 f. Der normative Begriff der Zielrichtung des<br />

Kampfes muss vernünftigerweise auch im objektiven Wortsinne ausgelegt werden.<br />

143<br />

BBl 2002 5433; DONATSCH/WOHLERS, Strafrecht IV, 201; FORSTER, ZStrR 2003, 426; HEINE, Landesbericht,<br />

357; VEST, Terrorismus, 60.<br />

144<br />

FIOLKA, BSK II, 1744; FORSTER, ZBJV 2005, 215 ff.<br />

145<br />

VEST, Handkommentar SHK, 102.<br />

146<br />

BGE 130 II 337; CASSANI, SZW 2003, 299 f.; FIOLKA, BSK II, 1744; JOSITSCH, ZStrR 2005, 463 ff.; REIN-<br />

LE, Terrorismusfinanzierung, 119; MOREILLON/DE COURTEN, ZStrR 2003, 118 ff.; VEST, Terrorismus, 34<br />

ff., 50 ff.<br />

147<br />

ARZT, OK-Kommentar, 422; FIOLKA, BSK II, 1750. Siehe dazu auch BGE 128 II 355 betr. einem Mitglied<br />

<strong>und</strong> Förderer der „Brigate Rosse“ <strong>und</strong> im Entscheid 1A.194/2002 vom 15.11.2002 zum Fall einer „wohltätigen“<br />

Stiftung, die dem Terrornetzwerk Al-Qaïda Gelder zugespiesen hat. Wenn Art. 260ter StGB dem Finanzierungsstraftatbestand<br />

vorgeht, ist das Argument, mit Art. 260quinquies StGB habe ein eigenständiger<br />

Auffangtatbestand der Terrorismusfinanzierung geschaffen werden müssen, weil Art. 2 IÜBFT die Strafbarkeit<br />

nicht an das Handeln einer <strong>kriminellen</strong> Organisation anknüpfe, nicht stichhaltig (BBl 2002 1874 f.).<br />

33


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Das Finanzierungsverbot in Art. 260quinquies StGB bezieht sich sodann auf terroristische<br />

Anschläge statt auf terroristische Organisationen, was den Tatbestand fast unbrauchbar<br />

macht. Der Finanzierungstatbestand verbietet nicht, Organisationen in Kenntnis ihres terroristischen<br />

Charakters finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. 148 In der Lehre ist zudem umstritten,<br />

ob auch von Einzeltätern oder lose strukturierten Gruppen beträchtliche Gefahren<br />

ausgehen können. 149 Insgesamt erweist sich die Lücke <strong>bei</strong> schwächer strukturierten Gruppierungen<br />

<strong>und</strong> terroristischen Einzeltätern als ausserordentlich schmal, weshalb es nicht weiter<br />

erstaunlich ist, dass auch der Gesetzgeber selbst keine einschlägigen Beispiele solcher Täterschaften<br />

<strong>und</strong> (krimineller) Organisationen nennen kann. 150 ARZT bezeichnet die Norm deshalb<br />

als „völlig untauglicher Versuch einer negativen Definition des Terrorismus“. 151<br />

4.5.3. Zusammenfassung <strong>und</strong> Schlussfolgerungen für die Strafverfolgung<br />

Mit der Ausschlussklausel von Art. 260quinquies StGB ist für die Strafverfolgung nichts gewonnen:<br />

Es ist nicht nur fragwürdig, an welche Gruppierungen oder Organisationen der Gesetzgeber<br />

konkret gedacht hatte, sondern auch Abgrenzungen zu gewöhnlichen <strong>kriminellen</strong><br />

Banden, militanten Freiheitskämpfern oder politischen Widerstandskämpfern bleiben von<br />

vornherein ungeklärt. Der Zweck von Art. 260ter StGB verlangt (wie Art. 260quinquies<br />

StGB) ebenfalls eine Abgrenzung gegenüber nichtterroristischen militanten Freiheitskämpfern<br />

oder Bürgerkriegsparteien. Die dargestellte internationalstrafrechtliche Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esgerichts weist klar in diese Richtung. Art. 260quinquies StGB bringt diesbezüglich<br />

keine Neuerung.<br />

Wenn Terrorismus lediglich eine Frage der Perspektive ist, kann Art. 260quinquies StGB<br />

kaum je angewandt werden, weil so gut wie alle Terroristen irgendwelche politischen Ziele<br />

verfolgen, Menschenrechte fördern wollen oder gegen rechtsstaatliche Mängel ankämpfen. 152<br />

Art. 260quinquies StGB soll in diesem Zusammenhang nur dann zur Anwendung gelangen,<br />

wenn die Finanzierung von Terrorakten „das eigentliche Ziel“ des Täters darstellt. 153 Die Beschränkung<br />

von Art. 260quinquies StGB auf dolus directus stellt die Strafverfolger jedoch vor<br />

enorme Beweisprobleme. 154<br />

148 ARZT, OK-Kommentar, 410.<br />

149 Bejahend FIOLKA, BSK II, 1735 <strong>und</strong> VEST, Terrorismus, 60; derselbe, Handkommentar SHK, 96; a. M.<br />

FORSTER, ZStrR 2003, 440 f.<br />

150 FORSTER, ZStrR 2003, 439 ff.; BBl 2002 5438.<br />

151 ARZT, OK-Kommentar, 410; derselbe, ZStrR 2006, 368.<br />

152 JOSITSCH, ZStrR 2005, 464.<br />

153 BBl 2002 5442; FIOLKA, BSK II, 1739. Demgegenüber reicht <strong>bei</strong> einer Deliktsbegehung nach Art. 260ter<br />

StGB der Eventualvorsatz aus.<br />

154 Bei Art. 260quinquies StGB ist im Gegensatz zu Art. 260ter StGB der Eventualvorsatz ausgeschlossen;<br />

ARZT, OK-Kommentar, 418.<br />

34


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Zudem sind die Organisation <strong>und</strong> Durchführung terroristischer Anschläge erschreckend<br />

preisgünstig. Die dafür erforderlichen Finanztransaktionen lassen sich leicht verstecken, so<br />

dass mit Art. 260quinquies StGB kaum jemals ein Terroranschlag verhindert werden kann. 155<br />

Insgesamt bringt Art. 260quinquies StGB gegenüber Art. 260ter StGB keine Vorteile oder<br />

Verbesserungen für eine bessere Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Es darf daher<br />

darüber nachgedacht werden, ob nicht besser eine Streichung der gesetzlichen Ausschlussklausel<br />

angezeigt wäre.<br />

4.6. „Kooperation“ zwischen Terroristen <strong>und</strong> <strong>kriminellen</strong> Organisationen<br />

Im Rahmen von Terrorismusermittlungen stellt sich für die Strafverfolgungsbehörden die<br />

weitere Herausforderung, dass sich Terroristen vermehrt mit „Vertretern“ der organisierten<br />

Kriminalität (gemeint: international organisierte Banden oder kriminelle Organisationen) einlassen<br />

bzw. durch eine Zusammenar<strong>bei</strong>t mit diesen ihre Finanzen aufbessern. Terroristische<br />

Vereinigungen scheinen nach neueren polizeilichen Erkenntnissen vermehrt dazu überzugehen,<br />

in <strong>kriminellen</strong> Tätigkeitsfeldern, wie Drogen- <strong>und</strong> Waffenhandel, illegaler Migration <strong>und</strong><br />

Geldwäscherei nach Einnahmequellen zu suchen. So wird bspw. die Finanzierung des Terrorismus<br />

auch durch illegalen Betäubungsmittelhandel bewerkstelligt. Der B<strong>und</strong>esrat hielt diesbezüglich<br />

in der Lage- <strong>und</strong> Gefährdungsanalyse 2002 fest, solche Querverbindungen zwischen<br />

klassischen Tätergruppierungen der organisierten Kriminalität <strong>und</strong> terroristischen<br />

Gruppierungen würden „Anlass zur Sorge“ bereiten. 156<br />

4.6.1. Symbiotischer Terrorismus<br />

Die skizzierte Entwicklung bedingt, dass sich die Grenzen zwischen organisierter Bandenkriminalität/<strong>kriminellen</strong><br />

Organisationen einerseits <strong>und</strong> Terrorismus andererseits zunehmend<br />

vermischen bzw. mittlerweile fliessend sind, was eine eindeutige Zuordnung der Akteure <strong>bei</strong><br />

Ermittlungen erschwert. Dennoch müssen im Einzelfall die allgemein<strong>kriminellen</strong> von terroristischen<br />

Motiven unterschieden werden können, zumal nicht jeder Terrorist auch zugleich als<br />

Mitglied oder Unterstützer einer <strong>kriminellen</strong> Organisation betrachtet werden darf. Diese Abgrenzung<br />

ist <strong>bei</strong> denjenigen terroristischen Gruppierungen schwierig, <strong>bei</strong> denen nicht mehr<br />

die gewaltsame Durchsetzung der politischen Ideologie im Vordergr<strong>und</strong> steht, sondern das<br />

profitorientierte Handeln bzw. die Bereicherung mit illegalen Mitteln. Als Folge davon ist<br />

155<br />

FIOLKA, BSK II, 1736 unter Hinweis auf EICKER, Prozeduralisierung, 206 <strong>und</strong> VEST, Handkommentar SHK,<br />

99. Gemäss BISS 2006, 39, sind die generierten Summen für terroristische Aktionen zum Teil so klein, dass<br />

sie gar nicht mehr mit dem regulierten Finanzsystem in Kontakt kommen <strong>und</strong> daher auch die Abwehrmassnahmen<br />

im Finanzsektor an ihre Grenze stossen. Zudem werden die Gelder auch nach dem sogen. Hawala-<br />

System, transferiert: Hawalas sind archaische Geldtransfersysteme, die vor allem im Mittleren Osten <strong>und</strong> in<br />

Asien verbreitet sind. Für illegale Transaktionen eignen sie sich insofern, als die Finanztransaktionen nicht<br />

mit schriftlichen oder elektronischen Aufzeichnungen (paper trail) dokumentiert werden. Die Fahndung<br />

nach illegalen Transaktionen wird verunmöglicht oder zumindest ausserordentlich erschwert. Das Hawala-<br />

System besteht aus einem auf Vertrauen <strong>und</strong> Clanstrukturen basierenden Netzwerk von Personen in verschiedenen<br />

Ländern <strong>und</strong> mit verschiedensten Aktivitäten (BBl 2002 1848).<br />

156<br />

BBl 2002 1834 <strong>und</strong> 1863; SOINE, Kriminalistik 2005, 410 ff.<br />

35


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

nicht nur eine vermehrte Professionalisierung der terroristischen Gruppen bezüglich gemeinrechtlicher<br />

(organisierter) Kriminalität festzustellen, sondern auch die Vermischung von legalen<br />

<strong>und</strong> illegalen Geschäftstätigkeiten <strong>bei</strong>der Organisationsstrukturen bis hin zur Unkenntlichkeit.<br />

Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom sogen. symbiotischen Terrorismus.<br />

157<br />

4.6.2. Narcoterrorismus am Beispiel der FARC<br />

Eine bedeutende Form des „symbiotischen Terrorismus“ ist der sogen. Narcoterrorismus.<br />

Damit ist die Finanzierung bewaffneter Konflikte subversiver Gruppen durch illegalen Betäubungsmittelhandel<br />

gemeint. Insbesondere in Lateinamerika sollen die Verbindungen zwischen<br />

im Drogenhandel aktiven, gut organisierten Banden oder <strong>kriminellen</strong> Organisationen <strong>und</strong> terroristischen<br />

Gruppierungen am ausgeprägtesten <strong>und</strong> gewissermassen bereits institutionalisiert<br />

sein. 158<br />

Die bisher einzig nachgewiesene Verflechtung bzw. Symbiose bis hin zur Unterschiedslosigkeit<br />

von organisierter, illegaler Betäubungsmittelkriminalität <strong>und</strong> Terrorismus zeigt sich derzeit<br />

am deutlichsten am Beispiel der in Kolumbien agierenden FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias<br />

de Colombia – Ejército del Pueblo). 159 Es handelt sich da<strong>bei</strong> um eine linksgerichtete,<br />

sich selbst als marxistisch bezeichnende kolumbianische Guerillabewegung, die seit<br />

1964 mit terroristischen Mitteln einen bewaffneten Kampf gegen staatliche <strong>und</strong> nichtsstaatliche<br />

Akteure führt. Sie verstand sich ursprünglich als bäuerliche Selbstverteidigungsgruppe<br />

gegen die von Grossgr<strong>und</strong>besitzern <strong>und</strong> Militär ausgehende Gewalt <strong>und</strong> hatte sich eine „revolutionäre<br />

Landreform“ zum Ziel gesetzt. Bis heute sieht die FARC ihr Feindbild in Staat <strong>und</strong><br />

Militär. Gegenwärtig gilt sie als grösste Guerillaorganisation Lateinamerikas.<br />

In den 1980er Jahren wurde Kolumbien zu einem der grössten Kokainproduzenten weltweit.<br />

Die FARC war damals noch nicht direkt in den Drogenanbau verwickelt, gewann aber unter<br />

den Kokabauern neue Anhänger <strong>und</strong> entdeckte den Drogenhandel als Einnahmequelle, indem<br />

sie Sicherheitsdienste (Schutz von Anbauflächen) <strong>und</strong> Infrastruktur (Labors, versteckte Landepisten)<br />

für die Drogenhändler bereitstellte. Seit der Zerschlagung der <strong>bei</strong>den grossen kolumbianischen<br />

Drogenkartelle Medellin <strong>und</strong> Cali Ende der 90er Jahre hat die FARC ihre Aktivitäten<br />

auf die Kokainproduktion ausgeweitet <strong>und</strong> soll nun selbst Koka anbauen, eigene Labore<br />

für die Weiterverar<strong>bei</strong>tung betreiben <strong>und</strong> das fertige Kokain an das einzig verbliebene<br />

südamerikanische Grosskartell Norte del Valle verkaufen. Es gilt als erwiesen, dass sich die<br />

FARC heute hauptsächlich aus Lösegeldzahlungen (als Folge von Geiselnahmen) <strong>und</strong> illegalem<br />

Drogenhandel finanziert. 160 Mittlerweile wird die FARC als eines der grössten Drogen-<br />

157<br />

SOINE, Kriminalistik 2005, 414 f.<br />

158<br />

SOINE, Kriminalistik 2005, 415; siehe auch http://www.b<strong>und</strong>estag.de/dasparlament/2006/36/thema/008.html<br />

(Stand 16.06.2008).<br />

159<br />

Zu deutsch: Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens - Volksarmee.<br />

160<br />

Die Einnahmen werden jährlich auf über 300 Millionen US-Dollar geschätzt, andere Quellen sprechen sogar<br />

von bis zu 980 Millionen US-Dollar, wovon schätzungsweise 40% allein aus dem Drogenhandel stammen<br />

sollen (http://de.wikipedia.org/wiki/FARC (Stand 16.06.2008).<br />

36


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

kartelle Lateinamerikas gehandelt. Ohne an dieser Stelle die einzelnen Kriterien von Art.<br />

260ter StGB näher zu prüfen, dürfte aufgr<strong>und</strong> dieser Feststellungen auch die FARC – in Anlehnung<br />

an die b<strong>und</strong>esgerichtliche Rechtsprechung in BGE 129 IV 271 161 – ohne weiteres als<br />

„klassisches“ kolumbianisches Drogenkartell <strong>und</strong> damit als Verbrechensorganisation im Sinne<br />

von Art. 260ter StGB bezeichnet werden.<br />

Seit 2004 macht die FARC vermehrt auch wieder mit terroristischen Aktivitäten von sich reden,<br />

indem sie mehrere Anschläge auf das kolumbianische Militär <strong>und</strong> die Polizei verübte.<br />

Weiter befinden sich zur Durchsetzung ihrer Forderungen derzeit über 700 Menschen in ihrer<br />

Gewalt, darunter auch die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Als Folge<br />

dieser Geiselnahmen ist es am 4. <strong>und</strong> 5. Februar 2008 zu weltweiten Protestmärschen gegen<br />

die FARC gekommen, in welchen die Demonstranten „keine Entführungen, keine Lügen,<br />

keine Toten, frei von Terrorismus <strong>und</strong> keine FARC mehr“ forderten. 162<br />

4.6.3. Zusammenfassung <strong>und</strong> Empfehlungen für die Strafverfolgung<br />

Terroristische Organisationen, die zwar ihren ideologischen Unterbau <strong>bei</strong>behalten haben, jedoch<br />

über keine starken ideologischen Führungspersönlichkeiten verfügen, ihre Ideale bereits<br />

durch Verhandlungen <strong>und</strong> Absprachen mit der Staatsgewalt kompromittiert haben 163 <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>är<br />

auch (oder sogar überwiegend) materielle Ziele verfolgen, sind aufgr<strong>und</strong> ihrer Wirkungsweise<br />

heute eher einer <strong>kriminellen</strong> Organisation statt einer Terrororganisation zuzurechnen.<br />

164<br />

Für die Strafverfolgung <strong>und</strong> die Anwendbarkeit von Art. 260ter StGB ist es jedoch ohne Belang,<br />

ob eine ursprünglich politisch geprägte Gruppierung zur Terrororganisation mutiert ist<br />

<strong>und</strong> parallel dazu analog einem Verbrechersyndikat im internationalen Drogenhandel mitmischt:<br />

Beide Formen sind von Art. 260ter Ziff. 1 StGB gleichermassen erfasst. Symbiosen<br />

zwischen <strong>kriminellen</strong> Organisationen <strong>und</strong> Terrororganisationen stellen so besehen juristisch<br />

keine weiteren <strong>Abgrenzungsprobleme</strong> dar. 165<br />

Dennoch sind die zuständigen Strafverfolgungs- <strong>und</strong> Polizeibehörden gut beraten, wenn sie<br />

althergebrachte Muster <strong>bei</strong> der getrennten Aufklärung <strong>und</strong> Bekämpfung von organisierter<br />

161<br />

Siehe dazu Fn. 52 hievor.<br />

162<br />

Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/FARC (Stand 16.06.2008), offizielle Webseite: http://www.farcep.org;<br />

weitere Quellen: http://www.tagesschau.de/ausland/demonstrationkolumbien2.html., (Stand 16.06.2008);<br />

SOINE, Kriminalistik 2005, 415. Kolumbien, Peru, die USA, Kanada <strong>und</strong> auch die EU bezeichnen die FARC<br />

als terroristische Organisation, währenddem sie in Venezuela als eine „aufständische Partei mit politischen<br />

Zielsetzungen“ <strong>und</strong> nicht als Terroristen betrachtet wird. Namentlich die USA haben im Nachgang zum 11.<br />

September 2001 die Parteien des internen kolumbianischen Konflikts, also die FARC <strong>und</strong> die Ejército de<br />

Libération Nacional (ELN), auf die Terrorliste des State Departement gesetzt. Die EU folgte diesem Schritt.<br />

Siehe auch BBl 2002 1859 f.<br />

163<br />

SOINE, Kriminalistik 2005, 410 ff.; in der Literatur wird dieser Typus als „Fighters turned Fellons“ genannt,<br />

siehe dazu auch CURTIS/KARACAN, The Nexus Among Terrorists, Narcotics Traffickers, Weapons<br />

Proliferators, And Organized Crime Networks in Western Europe“, in: The Library of Congress 2002, 22 ff.<br />

164<br />

BBl 2002 1839.<br />

165<br />

Zur Abgrenzungsproblematik Bande/kriminelle Organisation siehe gleich nachfolgend unter Kapitel 5.<br />

37


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Kriminalität (darin enthalten kriminelle Organisationen, internationale Bandenkriminalität)<br />

<strong>und</strong> Terrorismus aufbrechen <strong>und</strong> diese als verb<strong>und</strong>ene Ermittlungsbereiche betrachten. 166 Da<br />

die Ermittlungstätigkeit <strong>und</strong> das hiefür zur Verfügung stehende Instrumentarium (namentlich<br />

verdeckte Zwangsmassnahmen wie Telefon-, Mail/Internet- <strong>und</strong> Videoüberwachung, Verdeckte<br />

Ermittlung etc.) für <strong>bei</strong>de Bereiche weitgehend identisch ist, sollten namentlich die<br />

Polizeibehörden ihre Kommissariate auch ausreichend mit entsprechenden Spezialisten <strong>bei</strong>der<br />

„Lager“ besetzen. Auf diese Weise können insbesondere Einnahmen des Terrorismus effizienter<br />

aufgespürt <strong>und</strong> eingedämmt werden, was zwangsläufig auch die Möglichkeiten terroristischer<br />

Gruppierungen schwächt <strong>und</strong> zugleich ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des<br />

internationalen Terrorismus darstellen würde.<br />

4.7. Exkurs: Eingrenzung möglicher terroristischer Organisationen aufgr<strong>und</strong><br />

internationaler Terrorlisten<br />

Eines der aktuell umstrittensten Themen in der internationalen Terrorismusbekämpfung ist<br />

das weltweit verbreitete Führen von sogen. Terrorlisten. Im Fokus der Kritik steht da<strong>bei</strong> das<br />

sogen. Listing-Verfahren, das eine für jeden online zugängliche Terrorliste mit verdächtigen<br />

Personen geschaffen hat. Die Zulässigkeit <strong>und</strong> Grenzen dieser Massnahme wird zurzeit heftig<br />

diskutiert <strong>und</strong> steht unter Beschuss von Menschenrechtsorganisationen. Derzeit (Stand Juni<br />

2008) befinden sich 370 Individuen <strong>und</strong> 112 Unternehmen auf der UN-Terrorliste. Aufgr<strong>und</strong><br />

eines Listings ergeben sich für die Betroffenen gr<strong>und</strong>sätzlich drei Konsequenzen: Einfrieren<br />

von Konten, Aus- <strong>und</strong> Durchreiseverbot <strong>und</strong> Waffenembargo. 167 Im Rahmen dieses Exkurses<br />

interessiert der (angebliche) Mehrwert einer solchen Terrorliste im Kampf gegen den Terrorismus.<br />

4.7.1. Hintergr<strong>und</strong> der Terrorliste des UN-Sicherheitsrats<br />

Die Al-Qaïda <strong>und</strong> die Taliban zeichneten international schon vor den Attentaten auf das<br />

World Trade Center in New York für terroristische Aktivitäten verantwortlich. Bereits im<br />

Oktober 1999 erliess der UN-Sicherheitsrat deshalb die Resolution 1267, 168 welche (unter<br />

anderem) Wirtschaftssanktionen gegen das Taliban-Regime in Afghanistan <strong>und</strong> die Al-Qaïda<br />

enthält. Es kam zur Gründung eines Sanktionsausschusses, des „Al-Qaïda and Taliban Sanctions<br />

Committee“. Diesem obliegt die Überwachung <strong>und</strong> Weiterentwicklung der Sanktionen.<br />

Dieser Ausschuss führt eine konsolidierte Liste mit Privatpersonen <strong>und</strong> Organisationen, die<br />

der Taliban oder der Al-Qaïda nahe stehen. Anfänglich (1999) richteten sich die Sanktionsmassnahmen<br />

nur gegen das Taliban-Regime; in den folgenden Jahren weitete sich der Wir-<br />

166<br />

SOINE, Kriminalistik 2005, 417.<br />

167<br />

ROSENBERG/BUSCHOR, Listing, 2.<br />

168<br />

Die konsolidierte Liste ist abrufbar unter www.un.org/sc/committees/1267/consolist.shtml (Stand<br />

16.06.2008). (Security Council Committee established pursuant to resolution 1267 (1999) concerning Al-<br />

Qaida and the Taliban and Associated Individuals and Entities).<br />

38


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

kungskreis auf natürliche <strong>und</strong> juristische Gruppierungen <strong>und</strong> Personen aus, die im Verdacht<br />

stehen, terroristische Organisationen finanziell zu unterstützen. 169<br />

In der Schweiz sind die UN-Resolutionen 1267 <strong>und</strong> 1373 vom B<strong>und</strong>esrat mit der Verordnung<br />

vom 2. Oktober 2000 über Massnahmen gegenüber Personen <strong>und</strong> Organisationen mit Verbindungen<br />

zu Usama bin Laden, der Gruppierung Al-Qaïda oder den Taliban 170 sowie der Verordnung<br />

vom 7. November 2001 über das Verbot der Gruppierung „Al-Qaïda“ <strong>und</strong> verwandter<br />

Organisationen 171 umgesetzt worden. 172 Ziel letztgenannter Verordnung ist es, nicht nur<br />

die Gruppierung Al-Qaïda, sondern auch Tarngruppen, Nachfolgeorganisationen oder Gruppierungen<br />

mit ähnlichem Sinngehalt zu verbieten. Im Anhang dieser Verordnung findet sich<br />

die aktuelle Liste der Terrorverdächtigen.<br />

4.7.2. Erstellung eigener Terror-Listen durch UNO-Mitgliedstaaten <strong>und</strong> Umsetzung<br />

derselben<br />

Gewisse Staaten <strong>und</strong> Organisationen, vornehmlich die USA, aber auch die EU, erstellen aufgr<strong>und</strong><br />

ihnen vorliegender Erkenntnisse eigene Listen von Personen <strong>und</strong> Gruppierungen, die<br />

Verbindungen zu terroristischen Aktivitäten aufweisen sollen. Die USA bspw. übermitteln<br />

anderen Staaten ihre Listen <strong>und</strong> ersuchen diese, die Bezeichnung der Personen <strong>und</strong> Gruppierungen<br />

als terroristisch zu übernehmen <strong>und</strong> gegen diese Massnahmen, insbesondere die Blockierung<br />

von Vermögenswerten, zu ergreifen. Da sich diese Listen auf einen Erlass von Präsident<br />

George W. Bush 173 stützen, hat es sich eingebürgert, diese Listen als Bush-Listen zu<br />

bezeichnen.<br />

In der Schweiz erfolgt die Umsetzung der Bush-Listen nach zwei Listentypen: Die Listen<br />

nach Typ 1 enthalten Namen von natürlichen <strong>und</strong> juristischen Personen <strong>und</strong> Gruppierungen,<br />

die Verbindungen zu Usama bin Laden, der Gruppierung Al-Qaïda oder den Taliban aufweisen<br />

sollen <strong>und</strong> daher auch dem UNO Al-Qaïda <strong>und</strong> Taliban Sanktionskomitee zur Prüfung<br />

<strong>und</strong> Integrierung in die Namensliste dieses Komitees vorgelegt werden. Die Listen nach Typ<br />

2 enthalten Namen von natürlichen <strong>und</strong> juristischen Personen <strong>und</strong> Gruppierungen, die Verbindungen<br />

zu terroristischen Aktivitäten aufweisen sollen, aber nicht mit Usama bin Laden,<br />

der Gruppierung Al Qaïda oder den Taliban in Verbindung gebracht werden; 174 im Sinne eines<br />

Umkehrschlusses gewissermassen alle anderen, möglichen natürlichen <strong>und</strong> juristischen<br />

Personen sowie Gruppierungen, die direkt oder indirekt mit Terrorismus in Verbindung ge-<br />

169<br />

ROSENBERG/BUSCHOR, Listing, 2 f.<br />

170<br />

SR 946.203.<br />

171<br />

SR 122.<br />

172<br />

Siehe dazu auch vorne unter Kapitel 4.1.1. (Antiterrorismus-Strafrecht).<br />

173<br />

Executive Order 13224 vom 23. September 2001. Auf der Homepage der Kontrollstelle für Geldwäschereibekämpfung<br />

(www.gwg.admin.ch) sind derzeit (Stand Juni 2008) über 70 Bush-Listen abrufbar, welche für<br />

die Schweiz Gültigkeit haben.<br />

174<br />

Umfassende Dokumentation <strong>und</strong> Hintergr<strong>und</strong>wissen zu den für die Schweiz gültigen Terror-Namenlisten<br />

unter http://www.gwg.admin.ch/d/dokumentationen/gesetze_<strong>und</strong>_regulierung/sanktionen/index.php (Stand<br />

10.06.2008). Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements<br />

ist die für die Umsetzung der Sanktionen <strong>und</strong> Aktualisierung der Listen zuständige Behörde.<br />

39


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

bracht werden könnten. Mittlerweile verfügen nicht nur die UNO <strong>und</strong> deren Mitgliedstaaten<br />

über Terrorlisten. Auch internationale Gremien, namentlich die EU, haben eigene Listen mit<br />

Verdächtigen verfasst. 175<br />

Die Mitgliedstaaten der UNO erhalten im Einzelfall keinen Zugriff auf die Informationen,<br />

welche die Aufnahme einer bestimmten Person oder Gruppierung auf die Terror-Namensliste<br />

rechtfertigen bzw. der ersuchende Staat erlaubt mit Verweis auf die nationale Sicherheit oftmals<br />

überhaupt keinen Zugriff auf die entsprechenden Informationen <strong>und</strong> Beweise. 176 Die<br />

Listen sind abänderbar, können namentlich durch den UN-Sicherheitsausschuss jederzeit ergänzt<br />

werden.<br />

Wird ein Individuum, Unternehmen oder Gruppierung vom Sanktionsausschuss direkt auf die<br />

Liste gesetzt, haben diese keine Möglichkeit, sich direkt dagegen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Sanktionen zur Wehr zu setzen. Der Entscheid über ein Listing wird einzig von 15 Mitgliedern<br />

des UN-Ausschusses gefällt <strong>und</strong> zwar in alleiniger Instanz. Die Kriterien für ein Listing<br />

beruhen somit nicht auf klaren rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen, sondern auf politischem Ermessen.<br />

Prozessgarantien, wie eine faire <strong>und</strong> öffentliche Anhörung von einem unabhängigen <strong>und</strong> unparteiischen<br />

Gericht sind nicht vorhanden. 177<br />

Damit entspricht das Zustandekommen, Umsetzen <strong>und</strong> Abändern von Terrorlisten nicht den<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen schweizerischer Rechtsstaatlichkeit. Entsprechend laut <strong>und</strong> kritisch sind denn<br />

auch die Reaktionen auf die Existenz <strong>und</strong> Umsetzung solcher Listen ausgefallen. 178<br />

4.7.3. Der Fall Youssef Nada<br />

Kürzlich hatte sich das B<strong>und</strong>esgericht gestützt auf eine Beschwerde des italo-ägyptischen<br />

Geschäftsmannes Youssef Nada mit der UN-Namensliste zu befassen, welcher im November<br />

175<br />

Siehe unter http://www.consilium.europa.eu/showPage.asp?id=631&lang=de&mode=g. Auf der Liste<br />

(Council Common Position 2007/871/CFSP of 20 December 2007) befinden sich derzeit (Stand Juni 2008)<br />

die Namen von 54 natürlichen Personen <strong>und</strong> 48 Gruppierungen, darunter u.a. die ETA, IRA, Hamas, PKK<br />

(Kongra-Gel), Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), „Brigate Rosse“ <strong>und</strong> die FARC.<br />

176<br />

WENAWESER, NZZ.<br />

177<br />

ROSENBERG/BUSCHOR, Listing, 6; WENAWESER, NZZ.<br />

178<br />

Der Schweizer Dick Marty, Tessiner FDP-Ständerat <strong>und</strong> Europaratsabgeordneter, hat am 23.01.2008 seinen<br />

Bericht (Committee on Legal Affairs and Human Rights, UN Security Council black lists, Bericht vom<br />

19.03.2007; abrufbar unter http://assembly.coe.int/CommitteeDocs/2007/20070319_ajdoc14.pdf. (Stand<br />

16.06.2008) über diese auch als „black lists“ bezeichneten Namenslisten des UN-Sicherheitsrates dem Parlamentarischen<br />

Versammlung des Europarates (PAV) vorgestellt. Er resümierte: „Selten habe ich so etwas<br />

Ungerechtes erlebt wie die Aufstellung dieser Listen“. Letztlich herrsche Willkür <strong>bei</strong> den Einträgen. Die<br />

PAV befand, die Praxis der schwarzen Listen verstosse gegen Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> sei „vollkommen willkürlich“:<br />

Es fehlen Angaben über die Dauer des Listings, es besteht kein Recht auf rechtliches Gehör <strong>und</strong> unabhängige<br />

Überprüfung des Listings <strong>und</strong> es werden gr<strong>und</strong>legende Menschenrechte sowie die Rechtsstaatlichkeit<br />

verletzt (Europarat Resolution 1597 [2008]). Die Parlamentarier des Europarats stellten insgesamt<br />

fest, auf den Listen würden Namen oft nur aufgr<strong>und</strong> eines Verdachts landen, unter Verletzung elementarster<br />

rechtsstaatlicher Prinzipien. Der Europarat regte daher an, die Vorgehensweise müsse überdacht werden, um<br />

„die Glaubwürdigkeit des internationalen Kampfs gegen Terrorismus aufrechtzuerhalten“ <strong>und</strong> appellierte an<br />

die UNO, die mangelhaften Punkte zu verbessern <strong>und</strong> die Sanktionen gr<strong>und</strong>rechtskonformer auszugestalten.<br />

Vgl. http://www.humanrights.ch/home/de/Instrumente/Nachrichten/Terrorismus/idart_5450-content.html,<br />

(Stand 16.06.2008) <strong>und</strong> ROSENBERG/BUSCHOR, Listing, 6.<br />

40


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

2001 auf die UN-Terrorliste gesetzt wurde. Trotz Einstellung des gegen ihn geführten gerichtspolizeilichen<br />

Ermittlungsverfahrens durch die BA am 31. Mai 2005 <strong>und</strong> dessen Bemühungen,<br />

von der Liste gestrichen zu werden, verblieb NADA auf der Terrorliste. Erfolglos war<br />

auch seine Beschwerde ans B<strong>und</strong>esgericht, da dieses die Sanktionsbeschlüsse des UN-<br />

Sicherheitsrates für die UNO-Mitgliedstaaten als verbindlich erklärte <strong>und</strong> für eine Streichung<br />

von der Liste (Delisting-Verfahren) 179 ausschliesslich der Sanktionsausschuss zuständig sei.<br />

Eine Ausnahme bestünde nur, wenn zwingendes Völkerrecht (ius cogens) verletzt wäre, zu<br />

welchem nur gerade die elementarsten Menschenrechte gehören, wie etwa das Recht auf Leben,<br />

der Schutz vor Folter <strong>und</strong> das Sklavereiverbot, was vorliegend jedoch nicht zutreffe. Das<br />

B<strong>und</strong>esgericht gab sich unzufrieden mit der herrschenden Praxis, wonach Sanktionen vom<br />

Sicherheitsrat beschlossen werden können, ohne dass Einzelne die Möglichkeit hätten, sich<br />

vorgängig oder nachträglich dazu zu äussern oder dagegen Beschwerde vor internationalen<br />

oder nationalen Instanzen zu erheben. Es erachtete die Einführung eines Delisting-Verfahrens<br />

durch den Sanktionssauschuss zwar als wesentlichen Fortschritt gegenüber der bisherigen<br />

Situation, stellte aber gleichzeitig fest, dass dieses Verfahren weder den Anforderungen an<br />

gerichtlichen Rechtsschutz 180 noch an eine wirksame Beschwerde 181 genüge. 182<br />

4.7.4. Zusammenfassung <strong>und</strong> Schlussfolgerung für die Strafverfolgung<br />

An der Rechtmässigkeit der Terrorlisten sind auch aus Sicht der Strafverfolgung erhebliche<br />

Zweifel angebracht, nicht nur, weil diese Listen aufgr<strong>und</strong> eines Verfahrens erstellt werden, in<br />

deren Verlauf die Rechte der verdächtigen Personen kaum geschützt sind <strong>und</strong> deshalb auch<br />

unbescholtene Bürger unter Verdacht fallen können. 183 Die auf den Listen aufgeführten Personen<br />

unterliegen gewissermassen einem Generalverdacht, den Terrorismus in irgendeiner<br />

Weise zu unterstützen. Für einen Tatverdacht, welcher die Eröffnung eines gerichtspolizeilichen<br />

Ermittlungsverfahrens rechtfertigen würde, reicht dies selbstredend nicht aus. Die Strafverfolgungsbehörde<br />

würde sich berechtigter Kritik aussetzen, wenn sie namentlich aufgr<strong>und</strong><br />

einer Anzeige der MROS, gestützt auf eine Verdachtsmeldung (nach Art. 9 GwG) einer Finanzintermediärin,<br />

eine auf diesen Terrorlisten figurierende Person oder Organisation unterhalte<br />

<strong>bei</strong> ihr ein Konto, ohne nähere polizeiliche <strong>und</strong> internationale Abklärungen ein Strafverfahren<br />

wegen Art. 260quinquies oder 260ter StGB eröffnen würde.<br />

Zusätzlich zum nicht vorhandenen Gr<strong>und</strong>rechtsschutz sind diese Listen problematisch, weil<br />

die darin Aufgeführten – wie <strong>bei</strong> NADA geschehen – auf der Namensliste verbleiben, auch<br />

179<br />

Die Schweiz <strong>und</strong> andere Staaten schlugen dem UN-Sanktionsausschuss daher vor, einen sogen. Focal Point<br />

(als direkte Anlaufstelle für Individuen <strong>und</strong> Organisationen, die ein Delisting-Gesuch stellen wollen) einzurichten,<br />

<strong>bei</strong> dem die Individuen direkt Berufung einlegen können. Diese Empfehlungen hat der UN-<br />

Sicherheitsrat am 19.12.2006 in die Resolution 1730 aufgenommen (ROSENBERG/BUSCHOR, Listing, 5).<br />

180<br />

Gemäss Art. 29a BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK <strong>und</strong> Art. 14 Ziff. 1 UNO-Pakt II.<br />

181<br />

Im Sinne von Art. 13 EMRK <strong>und</strong> Art. 2 Abs. 3 UNO-Pakt II.<br />

182<br />

BGE 133 II 450 ff, insbesondere die Erwägungen 5.4, 7.1-7.4, 8-8.3 <strong>und</strong> 9.2; Presseberichte zum Beschwerdeverfahren<br />

siehe u.a. Basler Zeitung vom 27.11.2007 <strong>und</strong> 08.01.2008 sowie NZZ vom 20.11.2007.<br />

183<br />

CASSANI, SZW 2003, 293 ff.<br />

41


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

wenn oft keine schlüssigen Beweise für die behauptete Terrorismusverbindung präsentiert<br />

werden können 184 bzw. Ermittlungsverfahren eingestellt werden müssen.<br />

Bedenklich stimmt weiter, dass die Schweiz eine Typisierung von Terrorverdächtigen vorgenommen<br />

hat: Offenbar sollten sehr gefährliche Terroristen (Liste Typ 1) von weniger gefährlichen<br />

Terroristen (Liste Typ 2) abgegrenzt werden. Als Erklärung für diese Typisierung<br />

könnte höchstens angeführt werden, dass die Terrorverdächtigen gemäss Typ 2 (z.B. Mitglieder<br />

der IRA) derzeit nicht mehr so aktiv sind wie diejenigen im Umfeld der Al-Qaïda <strong>und</strong><br />

deren Nachfolgeorganisationen. 185 Wenn man aber den Terrorismus auch mit den Mitteln des<br />

Strafrechts bekämpfen will, erscheint eine solche Begründung willkürlich <strong>und</strong> nicht vertretbar.<br />

Für die Strafverfolgung stellen diese (internationalen <strong>und</strong> nationalen) Terrorlisten nach dem<br />

Gesagten nicht mehr als Informationsquellen dar, die es im Einzelfall sorgfältig zu überprüfen<br />

gilt, bevor ein Strafverfahren eröffnet oder Ermittlungsmassnahmen gegen die Betroffenen,<br />

namentlich wegen Finanzierung des Terrorismus, eingeleitet werden. 186<br />

184<br />

So haben namentlich die USA schon vor dem 11. September 2001 „Hilfswerke“ wie terroristische Organisationen<br />

behandelt, auch dann, wenn ein erheblicher Teil der Gelder zweifelsfrei in legale Projekte geflossen<br />

ist (ARZT, OK-Kommentar, 407).<br />

185<br />

REINLE, Terrorismusfinanzierung, 129.<br />

186<br />

Weit schwieriger gestaltet sich die Situation für die (schweizerischen) Finanzintermediäre, vorab die Banken<br />

<strong>und</strong> Finanzinstitute: Art. 5 GwV EBK (Verordnung der Eidgenössischen Bankenkommission vom<br />

18.12.2002 zur Verhinderung von Geldwäscherei, SR 955.022) verbietet Geschäftsbeziehungen mit <strong>kriminellen</strong><br />

<strong>und</strong> terroristischen Organisationen. Diesbezüglich übermittelt die EBK den Banken zwar Listen mit<br />

Namen von Personen <strong>und</strong> Organisationen mit mutmasslich terroristischem Hintergr<strong>und</strong>. Es liegt aber auf der<br />

Hand, dass es in der Praxis für Finanzintermediäre indes schwierig sein dürfte, aus eigener Wahrnehmung<br />

terroristische Organisationen (als solche) bzw. gar die Absicht zu terroristischen Handlungen zu erkennen.<br />

Finanzintermediäre werden daher geneigt sein, rein aufgr<strong>und</strong> dieser Terrorlisten eine Verdachtsmeldung<br />

nach Art. 9 GwG auszulösen, auch wenn aufgr<strong>und</strong> anderer Quellen im Einzelfall feststeht, dass die betroffene<br />

Person oder Gruppierung mit grösster Wahrscheinlichkeit nichts (mehr) mit Terrorismus zu tun hat. Eine<br />

Verpflichtung zu erhöhter Sorgfalt <strong>und</strong> zur Meldung für Finanzintermediäre macht aber nur Sinn, wenn der<br />

Regulierte erkennen kann, wann die Pflicht tatsächlich ausgelöst wird (JUCHLI, Überregulierung, 188).<br />

42


5. (keine Veröffentlichung)<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

43


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

6. Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse<br />

Bei der Schaffung von Art. 260ter StGB hat der Gesetzgeber in erster Linie an hochgefährliche<br />

terroristische Gruppierungen oder mafiaähnliche Verbrechersyndikate gedacht. Je Organisation<br />

weist ihre eigenen Aufbaumuster <strong>und</strong> Eigenschaften auf, so dass die Kriterien von Art.<br />

260ter StGB oft nur teilweise abgedeckt sind, ohne dass dadurch der Organisationscharakter<br />

eines <strong>kriminellen</strong> Zusammenschlusses bezweifelt werden müsste. 187 Im Wissen um diese<br />

Wandlungsfähigkeit krimineller Organisationen hat der Gesetzgeber bewusst keine abschliessende<br />

Definition der Organisation vorgegeben. Es entspräche daher nicht seinem Willen,<br />

wenn an einer besonderen Form, Aufbau oder Struktur einer <strong>kriminellen</strong> oder terroristischen<br />

Organisation festgehalten würde. Mit der Umschreibung des Organisationsbegriffes durch das<br />

B<strong>und</strong>esgericht wird klar, dass auch andere Formen als die syndikatsartige oder terroristische<br />

Vereinigung als kriminelle Organisationen qualifiziert werden können.<br />

Bei den international bekannten, dauerhaft bestehenden <strong>und</strong> seit Jahren aktiven Verbrechensorganisationen,<br />

wie z.B. die vier italienischen Mafiaorganisationen, sind die Kriterien von<br />

Art. 260ter StGB ohne weiteres gegeben. Weder die Strafverfolgung, noch die zuständigen<br />

Gerichte sehen sich daher mit Beweisproblemen konfrontiert. Es darf von einer gerichtsnotorischen<br />

Tatsache ausgegangen werden.<br />

Terrorismustypische Handlungen sind auf alle Fälle schwere Anschläge (<strong>und</strong> damit Gewalttaten)<br />

auf Zivilisten, Verkehrsmittel, bewohnte Gebäude oder Strassen <strong>und</strong> Plätze zu bezeichnen,<br />

mit dem Zweck, die Bevölkerung einzuschüchtern oder den betroffenen Staat oder die<br />

internationalen Staatengemeinschaft politisch zu nötigen. 188<br />

Im Falle der Terrororganisationen „Brigate Rosse“, ETA, Al-Qaïda <strong>und</strong> „Märtyrer für Marokko“<br />

kann in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichts ohne nähere<br />

Prüfung der Kriterien von Art. 260ter StGB von terroristischen Organisationen ausgegangen<br />

werden. Gleiches muss für andere Gruppierungen oder Organisationen gelten, die in gleicher<br />

oder ähnlicher Weise wie die genannten Terrororganisationen strukturiert bzw. vernetzt sind<br />

<strong>und</strong> vergleichbare Terrorakte planen oder ausführen.<br />

Nach der internationalstrafrechtlichen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichts <strong>und</strong> unter Berücksichtigung<br />

der internationalen Terrorismusabkommen, vorab des EÜBT, fallen extremistische<br />

Parteien, oppositionelle Gruppen <strong>und</strong> weitere Organisationen, sofern sie sich angemessener,<br />

nicht verbrecherischer Mittel bedienen, nicht unter Art. 260ter StGB. Dies gilt auch für den<br />

187<br />

BBl 1993 277, 296-298; BBl 2002 1841.<br />

188<br />

BGE 133 IV 58 E. 5; 130 II 337 E. 7.1; 131 II 235 E. 2.13 <strong>und</strong> 3.5; BGE 1A.288/2004 <strong>und</strong> 1A.4/2005 E.<br />

3.5; FORSTER, ZBJV 2005, 237 f. <strong>und</strong> ZStrR 2006, 334, HEINE, Landesbericht, 356 f. sowie VEST, Terrorismus,<br />

58.<br />

44


Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

finanzierten Freiheitskämpfer, wenn er sich „angemessener Mittel des gewalttätigen Widerstands“<br />

bedient. 189<br />

Bei der heiklen Abgrenzung „Terrorist oder (legitimer) Freiheitskämpfer“ ist den Strafverfolgern<br />

<strong>und</strong> den Gerichten ein hohes Mass an Definitionskompetenz aufgebürdet worden. 190 Das<br />

B<strong>und</strong>esgericht hat jedoch eine Vielzahl von Kriterien entwickelt, anhand derer terrorismustypisches<br />

Verhalten vom legitimen Befreiungskampf unterschieden werden kann. Im Vordergr<strong>und</strong><br />

stehen da<strong>bei</strong> die Fragen, wie, wann, gegen wen <strong>und</strong> vor allem mit welchen eingesetzten<br />

(angemessenen) Mitteln der (angebliche) Befreiungskampf geführt wird. Der „legitime“ Widerstandskampf<br />

bedeutet andererseits aber nicht, dass die bekämpften Machthaber ihrerseits<br />

ohne weiteres als Terrororganisation einzustufen wären. 191 Da in diesem Zusammenhang der<br />

völkerrechtlich-humanitäre Kontext im Zeitraum der verfolgten Delikte interessiert, ist die<br />

Strafverfolgungsbehörde gehalten, sich im Einzelfall an nationale <strong>und</strong> internationale Behörden<br />

<strong>und</strong> Gremien zu wenden sowie Sachverständige <strong>bei</strong>zuziehen.<br />

Der Straftatbestand der Finanzierung des Terrorismus, welcher separat in Art. 260quinquies<br />

StGB geregelt wurde, bringt gegenüber Art. 260ter StGB keine Neuerungen. Stattdessen stellt<br />

er die Strafverfolgungsbehörden vor zusätzliche Beweisprobleme <strong>und</strong> stiftet Verwirrung bezüglich<br />

der anvisierten Täterschaft, zumal auch der Gesetzgeber die Antwort schuldig bleibt,<br />

welche Gruppierungen mit der Einführung dieser Bestimmung erfasst werden sollten. Es ist<br />

daher für die Einschätzung, ob es sich um eine Gruppierung handelt, die sich für die Herstellung<br />

oder Wiederherstellung demokratischer <strong>und</strong> rechtsstaatlicher Verhältnisse oder für die<br />

Ausübung oder Wahrung von Menschenrechten einsetzt, <strong>bei</strong> der vom B<strong>und</strong>esgericht entwickelten<br />

internationalstrafrechtlichen Rechtsprechung anzuknüpfen.<br />

Für die strafrechtliche Verfolgung <strong>und</strong> rechtliche Qualifikation einer Gruppierung oder Organisation,<br />

die einerseits mit terroristischen Aktivitäten ihre ideologischen Ziele verfolgt, sich<br />

andererseits aber auch in einem „klassischen“ Deliktsbereich des organisierten Verbrechens<br />

(insbesondere im internationalen Drogenhandel) als kriminelle Organisation etabliert hat, bestehen<br />

keine Anwendungsprobleme in Bezug auf Art. 260ter StGB: Für <strong>bei</strong>de Organisationsstrukturen<br />

ist die Strafbestimmung einschlägig.<br />

Im Hinblick auf die Eröffnung eines gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens (wegen Finanzierung<br />

des Terrorismus) besteht kein Verlass auf die von Staaten <strong>und</strong> internationalen<br />

Gremien (UNO, EU) <strong>und</strong> auch der Schweiz publizierten Terrorismuslisten. Das Zustandekommen<br />

<strong>und</strong> die Rechtmässigkeit dieser Terrorlisten entsprechen nicht schweizerischem<br />

Rechtsverständnis. Für die Strafverfolgung kommt diesen Listen daher höchstens Informationscharakter<br />

zu.<br />

189<br />

BGE 130 II 343 f.; Siehe Zusammenfassung der b<strong>und</strong>esgerichtlichen Rechtsprechung <strong>bei</strong> FORSTER, ZStrR<br />

2006, 333 sowie Art. 1 <strong>und</strong> 2 EÜBT.<br />

190<br />

HEINE, Landesbericht, 357.<br />

191<br />

ARZT, OK-Kommentar, 417.<br />

45


(keine Veröffentlichung)<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Insgesamt ist eine präzise Abgrenzung zwischen <strong>kriminellen</strong>, terroristischen, anderen <strong>kriminellen</strong><br />

Zusammenschlüssen (professionellen Banden, <strong>kriminellen</strong> [Motorrad-]Gangs etc.) <strong>und</strong><br />

nicht-terroristischen Gruppierungen (wie Freiheitskämpfern) vom Gesetzgeber weder beabsichtigt<br />

worden, noch kann eine solche gewährleistet werden. 192 Es ist daher zunächst von der<br />

Strafverfolgungsbehörde, dann von den zuständigen Gerichten im Einzelfall sorgfältig zu prüfen,<br />

ob die Kriterien bzw. (kriminologischen) Merkmale von Art. 260ter Ziff. 1 StGB für die<br />

betreffende Gruppierung überwiegend erfüllt sind.<br />

192 HEINE, Landesbericht, 357; BBl 2002 1841.<br />

46


7. (keine Veröffentlichung)<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

47


Selbständigkeitserklärung<br />

Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Ich erkläre hiermit, dass ich diese Ar<strong>bei</strong>t selbständig verfasst <strong>und</strong> keine anderen als die angegebenen<br />

Quellen benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäss aus Quellen entnommen<br />

wurden, habe ich als solche gekennzeichnet. Mir ist bekannt, dass andernfalls der<br />

Senat gemäss Art. 36 Abs. 1 Bst. o des Gesetzes über die Universität vom 5. September 1996<br />

zum Entzug des aufgr<strong>und</strong> dieser Ar<strong>bei</strong>t verliehenen Titels berechtigt ist.<br />

Bern, im Juni 2008<br />

48

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