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die lebenslängliche freiheitsstrafe - SCIP - Universität Bern

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UNIVERSITÄT BERN<br />

DIE LEBENSLÄNGLICHE FREIHEITSSTRAFE<br />

MAGISTERARBEIT<br />

REFERENT<br />

PROF. DR. KARL- LUDWIG KUNZ<br />

VERFASSERIN<br />

LIC.IUR.HSG KATHRIN HEINZL<br />

VORGELEGT AM:<br />

30.9.2003


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Inhaltsverzeichnis<br />

I<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

INHALTSVERZEICHNIS ....................................................................................................................................I<br />

LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................................................ V<br />

ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS ..................................................................................... XII<br />

MATERIALIEN...............................................................................................................................................XIII<br />

VERZEICHNIS DER AUSKUNFTSPERSONEN........................................................................................XIV<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS....................................................................................................................XVI<br />

EINLEITUNG ....................................................................................................................................................... 1<br />

1. GESCHICHTLICHES...................................................................................................................................... 5<br />

1.1 MITTELALTER BIS 18. JAHRHUNDERT ............................................................................................................ 5<br />

1.2 HELVETIK UND 19. JAHRHUNDERT ................................................................................................................ 6<br />

1.3 DAS 20. JAHRHUNDERT ................................................................................................................................. 7<br />

2. ALLGEMEINES ............................................................................................................................................... 9<br />

2.1 BEGRIFFLICHES.............................................................................................................................................. 9<br />

2.2 STRAFEN DES ERWACHSENENSTRAFRECHTS.................................................................................................. 9<br />

2.3 EINTEILUNG DER FREIHEITSSTRAFEN .......................................................................................................... 10<br />

2.3.1 Einteilung nach der Strafart .............................................................................................................. 10<br />

2.3.2 Einteilung nach der Strafdauer........................................................................................................... 11<br />

3. DER ANWENDUNGSBEREICH DER LEBENSLÄNGLICHEN FREIHEITSSTRAFE....................... 13<br />

3.1 STRAFGESETZBUCH ..................................................................................................................................... 13<br />

3.2 ATOMGESETZ............................................................................................................................................... 13<br />

3.3 MILITÄRSTRAFGESETZ................................................................................................................................. 13<br />

4. DIE GESETZLICHE REGELUNG DES VOLLZUGES............................................................................ 15<br />

4.1 ALLGEMEINES ............................................................................................................................................. 15<br />

4.1.1 Zuständigkeit....................................................................................................................................... 15<br />

4.1.2 Die Strafvollzugskonkordate ............................................................................................................... 15<br />

4.2 GRUNDSÄTZE FÜR DEN VOLLZUG VON FREIHEITSSTRAFEN......................................................................... 16<br />

4.2.1 Resozialisierung.................................................................................................................................. 17<br />

4.2.2 Arbeitspflicht....................................................................................................................................... 18<br />

4.2.3 Wiedergutmachung ............................................................................................................................. 19<br />

4.2.3.1 Wiedergutmachungskonzept in der Strafanstalt Saxerriet............................................................................20<br />

a) Immaterielle Wiedergutmachung ....................................................................................................................20<br />

b) Materielle Wiedergutmachung ........................................................................................................................20<br />

c) Schuldensanierung...........................................................................................................................................20<br />

4.2.3.2 Tataufarbeitung und Wiedergutmachung (TaWi) – <strong>Bern</strong>er Modell ..............................................................21<br />

4.2.4 Stufenvollzug....................................................................................................................................... 22


Inhaltsverzeichnis<br />

II<br />

4.2.4.1 Einzelhaft......................................................................................................................................................23<br />

4.2.4.2 Gemeinschaftshaft.........................................................................................................................................23<br />

4.2.4.3 Urlaube und andere Vollzugslockerungen ....................................................................................................23<br />

a) Urlaube ............................................................................................................................................................23<br />

b) Versetzung in den offenen Vollzug .................................................................................................................24<br />

c) Externe Beschäftigung.....................................................................................................................................24<br />

4.2.4.4 Halbfreiheit ...................................................................................................................................................24<br />

4.2.4.5 Bedingte Entlassung......................................................................................................................................24<br />

4.3 VOLLZUGSANSTALTEN FÜR FREIHEITSSTRAFEN .......................................................................................... 25<br />

4.3.1 Allgemeines......................................................................................................................................... 25<br />

4.3.2 Anstalten für kurze Freiheitsstrafen.................................................................................................... 25<br />

4.3.3 Anstalten für langfristige Freiheitsstrafen .......................................................................................... 26<br />

4.3.3.1 Anstalt für Erstmalige ...................................................................................................................................26<br />

4.3.3.2 Anstalt für Rückfällige..................................................................................................................................26<br />

4.3.3.3 Kritik.............................................................................................................................................................26<br />

4.3.4 Vollzugseinrichtungen für Halbfreiheit............................................................................................... 27<br />

5. DIE BEENDIGUNG DER LEBENSLÄNGLICHEN FREIHEITSSTRAFE ............................................ 28<br />

5.1 BEDINGTE ENTLASSUNG.............................................................................................................................. 28<br />

5.1.1 Voraussetzungen ................................................................................................................................. 28<br />

5.1.2 Verfahren ............................................................................................................................................ 29<br />

5.1.3 Probezeit, Schutzaufsicht und Weisungen........................................................................................... 29<br />

5.1.4 Bewährung und Widerruf.................................................................................................................... 29<br />

5.1.5 Rechtsmittel......................................................................................................................................... 30<br />

5.2 BEGNADIGUNG ............................................................................................................................................ 30<br />

6. DIE LEBENSLÄNGLICHE FREIHEITSSTRAFE IN DER PRAXIS ...................................................... 32<br />

6.1 STATISTIK DER LEBENSLÄNGLICHEN FREIHEITSSTRAFE .............................................................................. 32<br />

6.1.1 Häufigkeit............................................................................................................................................ 32<br />

6.1.2 Austrittsgründe und durchschnittliche Dauer..................................................................................... 33<br />

6.1.3 Fazit .................................................................................................................................................... 34<br />

6.2 VOLLZUG DER LEBENSLÄNGLICHEN FREIHEITSSTRAFE AM BEISPIEL DER GESCHLOSSENEN STRAFANSTALT<br />

PÖSCHWIES........................................................................................................................................................ 35<br />

6.2.1 Einleitendes......................................................................................................................................... 35<br />

6.2.2 Die Lebenslänglichen in der Strafanstalt............................................................................................ 35<br />

6.2.2.1 Abteilung für Normalvollzug........................................................................................................................36<br />

6.2.2.2 Gruppe für Integration ..................................................................................................................................36<br />

6.2.2.3 Pavillon für Langstrafige...............................................................................................................................37<br />

6.2.3 Arbeit .................................................................................................................................................. 37<br />

6.2.3.1 Im Allgemeinen ...........................................................................................................................................37<br />

6.2.3.2 Bei den Lebenslänglichen ............................................................................................................................39<br />

a) In der Abteilung für Normalvollzug ................................................................................................................39<br />

b) In der Gruppe für Integration ..........................................................................................................................39<br />

c) Im Pavillon für Langstrafige............................................................................................................................40


Inhaltsverzeichnis<br />

III<br />

6.2.4 Ver<strong>die</strong>nst ............................................................................................................................................. 40<br />

6.2.5 Ausbildung .......................................................................................................................................... 40<br />

6.2.6 Freizeit................................................................................................................................................ 41<br />

6.2.6.1 Im Allgemeinen ............................................................................................................................................41<br />

6.2.6.2 Bei den Lebenslänglichen .............................................................................................................................42<br />

a) In der Abteilung für Normalvollzug ................................................................................................................42<br />

b) In der Gruppe für Integration ..........................................................................................................................42<br />

c) Im Pavillon für Langstrafige............................................................................................................................43<br />

6.2.7 Kontakte zur Aussenwelt ..................................................................................................................... 43<br />

6.2.7.1 Im Allgemeinen ............................................................................................................................................43<br />

a) Briefe und Telefon...........................................................................................................................................43<br />

b) Besuche ...........................................................................................................................................................43<br />

c) Ausgang und Urlaub........................................................................................................................................44<br />

6.2.7.2 Bei den Lebenslänglichen .............................................................................................................................45<br />

a) In der Abteilung für Normalvollzug ................................................................................................................45<br />

b) In der Gruppe für Integration ..........................................................................................................................45<br />

c) Im Pavillon für Langstrafige............................................................................................................................46<br />

6.2.8 Zellenausstattung ................................................................................................................................ 46<br />

6.3 LEBENSLÄNGLICHE IM STRAFVOLLZUG....................................................................................................... 47<br />

7. DIE SCHÄDLICHEN WIRKUNGEN DER INHAFTIERUNG................................................................. 50<br />

7.1 DIE STADIEN DER LEBENSLANGEN HAFT..................................................................................................... 50<br />

7.1.1 Dreiphasentheorie............................................................................................................................... 50<br />

7.1.2 Kritik ................................................................................................................................................... 51<br />

7.2 PSYCHISCHE AUSWIRKUNGEN DER HAFT .................................................................................................... 52<br />

7.3 STATUSWECHSEL......................................................................................................................................... 53<br />

7.4 HAFTDEPRIVATIONEN.................................................................................................................................. 54<br />

7.5 ANPASSUNG AN DIE INSTITUTION ................................................................................................................ 56<br />

7.6 SUBKULTUR................................................................................................................................................. 56<br />

7.7 PRISONISIERUNG.......................................................................................................................................... 58<br />

7.8 AUSEINANDERSETZUNG MIT DER SCHULD................................................................................................... 59<br />

8. DIE VERFASSUNGSMÄSSIGKEIT DER LEBENSLÄNGLICHEN FREIHEITSSTRAFE................. 60<br />

8.1 EINLEITUNG................................................................................................................................................. 60<br />

8.2 ARGUMENTE FÜR DIE UNVEREINBARKEIT MIT DER VERFASSUNG ............................................................... 60<br />

8.3 ARGUMENTE FÜR DIE VEREINBARKEIT MIT DER VERFASSUNG .................................................................... 61<br />

8.4 FAZIT........................................................................................................................................................... 63<br />

9. DIE RECHTFERTIGUNG DER LEBENSLÄNGLICHEN FREIHEITSSTRAFE ................................. 64<br />

9.1 ABSOLUTE THEORIEN.................................................................................................................................. 64<br />

9.1.1 Im Allgemeinen ................................................................................................................................... 64<br />

9.1.2 Bei der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe............................................................................................. 65<br />

9.2 RELATIVE THEORIEN ................................................................................................................................... 67


Inhaltsverzeichnis<br />

IV<br />

9.2.1 Im Allgemeinen ................................................................................................................................... 67<br />

9.2.1.1 Generalprävention.........................................................................................................................................68<br />

9.2.1.2 Spezialprävention..........................................................................................................................................68<br />

9.2.2 Bei der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe............................................................................................. 69<br />

9.2.2.1 Generalprävention.........................................................................................................................................69<br />

a) Negative Generalprävention ............................................................................................................................69<br />

b) Positive Generalprävention .............................................................................................................................71<br />

9.2.2.2 Spezialprävention.........................................................................................................................................72<br />

a) Resozialisierung ..............................................................................................................................................73<br />

b) Sicherung.........................................................................................................................................................74<br />

9.3 TÄTER-OPFER-AUSGLEICH.......................................................................................................................... 75<br />

9.3.1 Im Allgemeinen ................................................................................................................................... 75<br />

9.3.1.1 Exkurs: Straf-Mediation im Kanton Zürich ..................................................................................................75<br />

9.3.2 Bei der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe............................................................................................. 76<br />

9.4 VEREINIGUNGSTHEORIEN ............................................................................................................................ 76<br />

9.5 FAZIT........................................................................................................................................................... 76<br />

10. DIE REVISION DES ALLGEMEINEN TEILS DES STRAFGESETZBUCHES.................................. 78<br />

10.1 WAS IST BISHER GESCHEHEN? ................................................................................................................... 78<br />

10.2 ÜBERSICHT ................................................................................................................................................ 79<br />

10.3 DIE FREIHEITSSTRAFE IM E-STGB............................................................................................................. 80<br />

10.3.1 Im allgemeinen (Art. 40 E-StGB) ...................................................................................................... 80<br />

10.3.1.1 Einheits<strong>freiheitsstrafe</strong>..................................................................................................................................80<br />

10.3.1.2 Mindestdauer der Freiheitsstrafe.................................................................................................................80<br />

10.3.1.3 Beibehaltung der langen Freiheitsstrafen für schwere Verbrechen .............................................................81<br />

10.3.2 Exkurs: Kurze Freiheitsstrafe (Art. 41 E-StGB) ............................................................................... 82<br />

11. DIE EIGENE MEINUNG............................................................................................................................. 83<br />

12. WEITERE MEINUNGEN............................................................................................................................ 85<br />

12.1 PROF. DR. PETER ALBRECHT ..................................................................................................................... 85<br />

12.2 PAUL BRENZIKOFER .................................................................................................................................. 86<br />

12.3 PROF. DR. DR. GÜNTHER KAISER .............................................................................................................. 87<br />

12.4 PROF. DR. STEFAN TRECHSEL.................................................................................................................... 87<br />

ANHANG ............................................................................................................................................................. 90<br />

FRAGEBÖGEN .................................................................................................................................................... 90<br />

„Die Lebenslänglichen im Strafvollzug“..................................................................................................... 90<br />

„Schlussworte“............................................................................................................................................ 90<br />

GESETZESTEXTE................................................................................................................................................ 90<br />

dStGB........................................................................................................................................................... 90<br />

GG................................................................................................................................................................ 91<br />

E-StGB ......................................................................................................................................................... 92<br />

SELBSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG............................................................................................................. 94


Literaturverzeichnis<br />

V<br />

Literaturverzeichnis<br />

AEBERSOLD Peter Menschenbilder im Strafrecht und im Strafvollzug –<br />

Straftheorien, Kriminalprävention, Resozialisierung, in:<br />

Caritas Schweiz (Hrsg.): Menschenbilder in der<br />

Strafverfolgung und im Strafvollzug, Wertesysteme und<br />

Entscheidungskriterien, Luzern 1998, S. 39 ff. (zit.<br />

„Aebersold, Menschenbilder“)<br />

AEBERSOLD Peter<br />

Von der Kastration zur Incapacitation, Über den Umgang<br />

mit gefährlichen, insbesondere sexuell gestörten Tätern, in:<br />

Bauhofer Stefan/ Bolle Pierre-Henri/ Dittmann Volker<br />

(Hrsg.): „Gemeingefährliche Straftäter“, Schweizerische<br />

Arbeitsgruppe für Kriminologie, Reihe Kriminologie, Band<br />

18, Chur/Zürich 2000, S. 171 ff. (zit. „Aebersold,<br />

Gemeingefährliche Straftäter“)<br />

AMT FÜR FREIHEITS-<br />

ENTZUG UND<br />

BETREUUNG (Hrsg.)<br />

Modellversuch Tataufarbeitung und Wiedergutmachung<br />

(TaWi) – <strong>Bern</strong>er Modell, Schlussbericht an das Bundesamt<br />

für Justiz, Modellversuch 1999-2003, <strong>Bern</strong> 2003 (zit. „Amt<br />

für Freiheitsentzug und Betreuung“)<br />

BECKMANN Wolfgang/<br />

WAGENSONNER Anke<br />

Die Freiheitsstrafe und ihre Surrogate in der Schweiz, in:<br />

Jescheck Hans-Heinrich (Hrsg.): Die Freiheitsstrafe und ihre<br />

Surrogate im deutschen und ausländischen Recht,<br />

Rechtsvergleichende Untersuchungen zur gesamten<br />

Strafrechtswissenschaft, 3. Folge, Band 16, Baden-Baden<br />

1983, S. 861 ff. (zit. „Beckmann/Wagensonner“)<br />

BEWÄHRUNGS- UND<br />

VOLLZUGSDIENSTE<br />

(Hrsg.)<br />

Straf-Mediation, Zürich 2003 (zit. „Bewährungs- und<br />

Vollzugs<strong>die</strong>nste“)


Literaturverzeichnis<br />

VI<br />

BRUGHELLI Rossella<br />

Alternativen zur Freiheitsstrafe: Gemeinnützige Arbeit und<br />

Wiedergutmachung, in: Kunz Karl-Ludwig (Hrsg.): Die<br />

Zukunft der Freiheitsstrafe, Kriminologische und<br />

rechtsvergleichende Perspektiven, Schweizerische<br />

kriminologische Untersuchungen, Neue Folge der <strong>Bern</strong>er<br />

kriminologischen Untersuchungen, Band 2, <strong>Bern</strong>/Stuttgart<br />

1989, S. 1 ff. (zit. „Brughelli“)<br />

FEIGE Johannes Vom Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe, in:<br />

Würtenberger Thomas/Müller-Dietz Heinz (Hrsg.): Die<br />

Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe, Beiträge zur<br />

Strafvollzugswissenschaft, Heft 10, Stuttgart 1972, S. 1 ff.<br />

(zit. „Feige“)<br />

GRASBERGER Ulrike<br />

Verfassungsrechtliche Problematiken der Höchststrafen in<br />

den USA und in der Bundesrepublik Deutschland,<br />

Todesstrafe und lebenslange Freiheitsstrafe, Giessener<br />

Kriminalwissenschaftliche Schriften, Band 4, Bonn 1996<br />

(zit. „Grasberger“)<br />

HARTWIG Peter-Ernst Der Einfluss der „allgemeinen“ Strafzwecke im<br />

Strafvollzug, Aachen 1995 (zit. „Hartwig“)<br />

HEER Marianne<br />

Lange Strafen und längere Verwahrungen, Ein Überblick<br />

über das geltende und das künftige Recht, in: Dittmann<br />

Volker/Kuhn André/ Maag Renie/Wiprächtiger Hans<br />

(Hrsg.): Zwischen Mediation und Lebenslang, Neue Wege<br />

in der Kriminalitätsbekämpfung, Schweizerische<br />

Arbeitsgruppe für Kriminologie, Reihe Kriminologie, Band<br />

20, Chur/Zürich 2001, S. 171 ff. (zit. „Heer“)


Literaturverzeichnis<br />

VII<br />

HEILAND Hans-Günther/<br />

SCHULTE Werner<br />

Strafe und Verhalten – oder: Wieviel Strafrecht ist nötig?,<br />

in: Peters Helge (Hrsg.): Muss Strafe sein? Zur Analyse und<br />

Kritik strafrechtlicher Praxis, Stu<strong>die</strong>n zur<br />

Sozialwissenschaft, Band 122, Opladen 1993, S. 61 ff. (zit.<br />

„Heiland/Schulte“)<br />

JUNG Heike Zur Problematik der Legitimation längeren<br />

Freiheitsentzuges, in: Jung Heike/Müller-Dietz Heinz<br />

(Hrsg.): Langer Freiheitsentzug – wie lange noch?, Plädoyer<br />

für eine antizyklische Kriminalpolitik, Schriftenreihe der<br />

Deutschen Bewährungshilfe, Band 21, Bonn 1994, S. 31 ff.<br />

(zit. „Jung“)<br />

KAISER Günther Kriminologie, Eine Einführung in <strong>die</strong> Grundlagen, 10.,<br />

völlig neubearbeitete Auflage, Heidelberg 1997 (zit.<br />

„Kaiser“)<br />

KAISER Günther/<br />

KERNER Hans-Jürgen/<br />

SCHÖCH Heinz<br />

Strafvollzug, Eine Einführung in <strong>die</strong> Grundlagen, 4.,<br />

neubearbeitete Auflage, Heidelberg 1991 (zit.<br />

„Kaiser/Kerner/Schöch“)<br />

KIRCHENAMT im Auftrag<br />

des Rates der Evangelischen<br />

Kirche in Deutschland (Hrsg.)<br />

Strafe: Tor zur Versöhnung?, Eine Denkschrift der<br />

Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug,<br />

Gütersloh 1990 (zit. „Kirchenamt“)<br />

KUNZ Karl-Ludwig Kriminologie, Eine Grundlegung, 3., vollständig<br />

überarbeitete Auflage, <strong>Bern</strong>/Stuttgart/Wien 2001 (zit.<br />

„Kunz“)


Literaturverzeichnis<br />

VIII<br />

KURY Helmut<br />

Gemeingefährlichkeit und Me<strong>die</strong>n – Kriminologische<br />

Forschungsergebnisse zur Frage der Strafeinstellungen, in:<br />

Bauhofer Stefan/Bolle Pierre-Henri/Dittmann Volker<br />

(Hrsg.): „Gemeingefährliche“ Straftäter, Schweizerische<br />

Arbeitsgruppe für Kriminologie, Reihe Kriminologie, Band<br />

18, Chur/Zürich 2000, S. 193 ff. (zit. „Kury“)<br />

LAUBENTHAL Klaus<br />

Strafvollzug, Dritte, neu bearbeitete Auflage, Berlin/<br />

Heidelberg/New York/Hongkong/London/ Mailand/ Paris/<br />

Tokio 2003 (zit. „Laubenthal“)<br />

LAUN Stefan<br />

Alternative Sanktionen zum Freiheitsentzug und <strong>die</strong> Reform<br />

des Sanktionensystems, Würzburger Schriften zur<br />

Kriminalwissenschaft, Band 9, Frankfurt am Main/Berlin/<br />

<strong>Bern</strong>/Brüssel/New York/Oxford/Wien 2002 (zit. „Laun“)<br />

MAIER Philipp/<br />

URBANIOK Frank<br />

Die Anordnung und praktische Durchführung von<br />

Freiheitsstrafen und Massnahmen, Mit<br />

Behandlungskonzepten für erwachsene Straftäter nach<br />

Schweizerischem Strafgesetzbuch, IOT-Handbuch für<br />

Praktiker, Band 1, Zürich 1998 (zit. „Maier/Urbaniok“)<br />

MEIER <strong>Bern</strong>d-Dieter<br />

Strafrechtliche Sanktionen, Berlin/Heidelberg/New York/<br />

Barcelona/Hongkong/London/Mailand/Paris/Singapur/Tokio<br />

2001 (zit. „Meier“)<br />

MERGEN Armand<br />

Vollzug in der Zwangsgemeinschaft, in: Schuh Jörg (Hrsg.):<br />

Aktuelle Probleme des Straf- und Massnahmenvollzugs,<br />

Schweizerische Arbeitsgruppe für Kriminologie, Reihe<br />

Kriminologie, Band 1, Grüsch 1987, S. 133 ff. (zit.<br />

„Mergen“)


Literaturverzeichnis<br />

IX<br />

MÜLLER-DIETZ Heinz<br />

Lebenslange Freiheitsstrafe und bedingte Entlassung, in:<br />

Würtenberger Thomas/Müller-Dietz Heinz (Hrsg.): Die<br />

Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe, Beiträge zur<br />

Strafvollzugswissenschaft, Heft 10, Stuttgart 1972, S. 35 ff.<br />

(zit. „Müller-Dietz“)<br />

NIGGLI Marcel Alexander<br />

Mehr innere Sicherheit durch Strafjustiz und Strafvollzug?,<br />

in: Bauhofer Stefan/Bolle Pierre-Henri (Hrsg.): Innere<br />

Sicherheit – Innere Unsicherheit?, Kriminologische<br />

Aspekte, Schweizerische Arbeitsgruppe für Kriminologie,<br />

Reihe Kriminologie, Band 13, Zürich 1995, S. 89 ff. (zit.<br />

„Niggli“)<br />

PLESS-BÄCHLER Eva<br />

Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Schweiz, Diss.,<br />

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REHBERG Jörg<br />

Strafrecht II, Strafen und Massnahmen, Jugendstrafrecht,<br />

siebte, ergänzte und verbesserte Auflage, Zürich 2001 (zit.<br />

„Rehberg“)<br />

RIKLIN Franz Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I,<br />

Verbrechenslehre, 2. Auflage, Zürich 2002 (zit. „Riklin“)<br />

RÖHL Klaus Friedrich<br />

Über <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe, Kriminologische<br />

Forschungen, Band 6, Berlin 1969 (zit. „Röhl“)<br />

SCHLECHTRIEM <strong>Bern</strong>d<br />

Das Mordmerkmal der Heimtücke und <strong>die</strong> lebenslange<br />

Freiheitsstrafe, Diss., Köln 1986 (zit. „Schlechtriem“)<br />

SCHUH Jörg<br />

Freiheitsstrafe – Heute, Versuch einer Einführung, in: Schuh<br />

Jörg (Hrsg.): Aktuelle Probleme des Straf- und<br />

Massnahmenvollzugs, Schweizerische Arbeitsgruppe für<br />

Kriminologie, Reihe Kriminologie, Band 1, Grüsch 1987, S.<br />

11 ff. (zit. „Schuh“)


Literaturverzeichnis<br />

X<br />

SCHULTZ Hans<br />

Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, Ein<br />

Grundriss, Erster Band, Die Allgemeinen Voraussetzungen<br />

der Kriminalrechtlichen Sanktionen, 4., überarbeitete<br />

Auflage, <strong>Bern</strong> 1982 (zit. „Schultz, Band I“)<br />

ders.<br />

Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, Ein<br />

Grundriss, Zweiter Band, Die Kriminalrechtlichen<br />

Sanktionen, Das Jugendstrafrecht, 4., überarbeitete Auflage,<br />

<strong>Bern</strong> 1982 (zit. „Schultz, Band II“)<br />

SEELMANN Kurt<br />

Strafrecht, Allgemeiner Teil, Basel 1999 (zit. „Seelmann“)<br />

STRATENWERTH Günter<br />

Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I: Die Straftat,<br />

Zweite, neubearbeitete Auflage, <strong>Bern</strong> 1996 (zit.<br />

„Stratenwerth, AT I“)<br />

ders.<br />

Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II: Strafen und<br />

Massnahmen, <strong>Bern</strong> 1989 (zit. „Stratenwerth, AT II“)<br />

ders.<br />

Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Die Straftat, Vierte, völlig<br />

neu bearbeitete Auflage, Köln/Berlin/Bonn/München 2000<br />

(zit. „Stratenwerth, Die Straftat“)<br />

SURBER Reto Andrea<br />

Das Recht der Strafvollstreckung, Diss., Zürich 1998 (zit.<br />

„Surber“)<br />

SUTER Stefan Guillotine oder Zuchthaus? Die Abschaffung der<br />

Todesstrafe in der Schweiz, Basel/Frankfurt am Main 1997<br />

(zit. „Suter“)<br />

TRECHSEL Stefan Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937,<br />

Kurzkommentar, 2. neubearbeitete Auflage, Zürich 1997<br />

(zit. „Trechsel“)


XI<br />

TRECHSEL Stefan/<br />

NOLL Peter<br />

Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Allgemeine<br />

Voraussetzungen der Strafbarkeit, 5., neu bearbeitete<br />

Auflage, Zürich 1998 (zit. „Trechsel/Noll“)<br />

WEBER Hartmut-Michael<br />

Die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, Für eine<br />

Durchsetzung des Verfassungsanspruchs, Baden-Baden<br />

1999 (zit. „Weber“)<br />

WOLF Jean-Claude<br />

Verhütung oder Vergeltung? Einführung in ethische<br />

Straftheorien, Alber-Reihe, Praktische Philosophie, Band<br />

43, Freiburg/München 1992 (zit. „Wolf“)


Abbildungs- und Tabellenverzeichnis<br />

XII<br />

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis<br />

ABBILDUNG 1: ANZAHL VERURTEILUNGEN BEI MORD, GEISELNAHME UND ANGRIFFEN AUF DIE<br />

UNABHÄNGIGKEIT DER EIDGENOSSENSCHAFT 1991-2001 ................................32<br />

ABBILDUNG 2: ANZAHL LEBENSLÄNGLICHE VERURTEILUNGEN BEI MORD, GEISELNAHME UND<br />

ANGRIFFEN AUF DIE UNABHÄNGIGKEIT DER EIDGENOSSENSCHAFT 1991-2001 33<br />

ABBILDUNG 3: ANZAHL UND ART DER AUSTRITTSGRÜNDE BEI VERURTEILUNGEN ZU MORD<br />

1991-2001.........................................................................................................34<br />

ABBILDUNG 4: DURCHSCHNITTLICHE AUFENTHALTSDAUER (INKLUSIVE UNTERSUCHUNGSHAFT)<br />

BEI ZU MORD VERURTEILTEN PERSONEN, WELCHE IN DEN JAHREN 1991-2001<br />

BEDINGT ENTLASSEN WURDEN...........................................................................34<br />

ABBILDUNG 5: DIE KANTONALE STRAFANSTALT PÖSCHWIES...................................................35<br />

ABBILDUNG 6: DER WOHNBEREICH MIT PAUSENHOF IM NORMALVOLLZUG .............................36<br />

ABBILDUNG 7: DAS FREUNDSCHAFTSSPIEL DES FC INTER PÖSCHWIES GEGEN DEN FC<br />

WALLISELLEN IN DER STRAFANSTALT PÖSCHWIES AM 9.8.2003.......................42<br />

ABBILDUNG 8: DER BESUCHSPAVILLON....................................................................................43<br />

ABBILDUNG 9: DIE ZELLENANSICHT .........................................................................................46<br />

TABELLE 1:<br />

DIE GEWERBEBETRIEBE UND DER INNENDIENST................................................39


Materialien<br />

XIII<br />

Materialien<br />

BGE 80 IV 11<br />

BGE 98 Ib 106<br />

BGE 98 Ib 108<br />

BGE 98 Ib 175<br />

BGE 99 Ib 48<br />

BGE 100 Ib 274<br />

BGE 100 IV 197<br />

BGE 101 Ib 153<br />

BGE 101 Ib 454<br />

BGE 103 Ib 25<br />

BGE 106 Ia 132<br />

BGE 106 IV 381<br />

BGE 107 Ia 105<br />

BGE 107 Ia 106<br />

BGE 110 IV 67<br />

BGE 117 Ia 86<br />

BGE 118 IV 219<br />

BGE 119 IV 8<br />

BGE 124 IV 194<br />

BGE 124 IV 195<br />

BGE 124 IV 198<br />

BGE 125 IV 235<br />

BVerfGE 45, 187<br />

Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine<br />

Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes<br />

sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998, BBl<br />

1999 1979 (zit. „Botschaft StGB“)<br />

Botschaft zur Volksinitiative „Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem<br />

gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter" vom 4. April 2001, BBl 2001 3433 (zit.<br />

„Botschaft Volksinitiative“)


Verzeichnis der Auskunftspersonen<br />

XIV<br />

Verzeichnis der Auskunftspersonen<br />

Rolf Aebi; Sozial<strong>die</strong>nst der Strafanstalt Saxerriet und Verantwortlicher für <strong>die</strong><br />

Wiedergutmachung; Auskunft vom 11.9.2003 (zit. „Aebi, Auskunft vom 11.9.2003“)<br />

Prof. Dr. Peter Albrecht; ehemaliger Strafgerichtspräsident in Basel, Professor für<br />

Strafrecht an der <strong>Universität</strong> Basel sowie an der <strong>Universität</strong> <strong>Bern</strong>; Auskunft vom<br />

7.8.2003 (zit. „Albrecht, Auskunft vom 7.8.2003“)<br />

Bruno Altorfer; Öffentlichkeits<strong>die</strong>nst Strafanstalt Pöschwies; Auskunft vom 26.8.2003<br />

(zit. „Altorfer, Auskunft vom 26.8.2003“); Auskunft vom 5.9.2003 (zit. „Altorfer,<br />

Auskunft vom 5.9.2003“)<br />

Prof. Dr. Andrea Baechtold; Honorarprofessor am Institut für Strafrecht und<br />

Kriminologie an der <strong>Universität</strong> <strong>Bern</strong>; Auskunft vom 11.9.2003 (zit. „Baechtold,<br />

Auskunft vom 11.9.2003“)<br />

Paul Brenzikofer; ehemaliger Leiter der Strafanstalt Saxerriet, ehemaliger Dozent am<br />

Schweizerischen Ausbildungszentrum für Strafvollzugspersonal sowie ehemaliger<br />

Dozent für Kriminologie an der <strong>Universität</strong> St.Gallen; Auskunft vom 9.8.2003 (zit.<br />

„Brenzikofer, Auskunft vom 9.8.2003“); Auskunft vom 4.9.2003 (zit. „Brenzikofer,<br />

Auskunft vom 4.9.2003“)<br />

Prof. Dr. Dr. Günther Kaiser; emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für<br />

ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg/Breisgau; Auskunft vom<br />

8.8.2003 (zit. „Kaiser, Auskunft vom 8.8.2003“)<br />

Erich Kobel; Direktionsassistent der Anstalten Hindelbank; Auskunft vom 5.9.2003 (zit.<br />

„Kobel, Auskunft vom 5.9.2003“)<br />

Daniel Laubscher; Bundesamt für Statistik; Auskunft vom 19.9.2003 (zit. „Laubscher,<br />

Auskunft vom 19.9.2003“)


Verzeichnis der Auskunftspersonen<br />

XV<br />

Prof. Dr. Margit E. Oswald; Professorin für Sozialpsychologie und Rechtspsychologie<br />

an der <strong>Universität</strong> <strong>Bern</strong> sowie wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des<br />

Modellprojekts „Tataufarbeitung und Wiedergutmachung"; Auskunft vom 6.8.2003 (zit.<br />

„Oswald, Auskunft vom 6.8.2003“)<br />

Dr. Martin-L. Pfrunder; Direktor der Kantonalen Strafanstalt Lenzburg; Auskunft vom<br />

5.9.2003 (zit. „Pfrunder, Auskunft vom 5.9.2003“)<br />

Heinz Sutter; Bundesamt für Justiz, Sektion Strafrecht Allgemeiner Teil; Auskunft vom<br />

9.9.2003 (zit. „Sutter, Auskunft vom 9.9.2003“)<br />

Prof. Dr. Stefan Trechsel; Professor für Strafrecht an der <strong>Universität</strong> Zürich; Auskunft<br />

vom 3.9.2003 (zit. „Trechsel, Auskunft vom 3.9.2003“)


Abkürzungsverzeichnis<br />

XVI<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

A.a.O.<br />

Am angegebenen Ort<br />

AB<br />

Abs.<br />

Art.<br />

AT<br />

ATA<br />

AtG<br />

BBl<br />

BGE<br />

BV<br />

BVerfGE<br />

bzw.<br />

Ca., ca.<br />

ders.<br />

d.h.<br />

Diss.<br />

Amtliches Bulletin der Bundesversammlung<br />

Absatz<br />

Artikel<br />

Allgemeiner Teil<br />

Aussergerichtlicher Tatausgleich<br />

Bundesgesetz über <strong>die</strong> friedliche Verwendung der Atomenergie<br />

und den Strahlenschutz (Atomgesetz, AtG) vom 23. Dezember<br />

1959 (SR 732.0)<br />

Bundesblatt<br />

Bundesgerichtsentscheid<br />

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom<br />

18. Dezember 1998<br />

Entscheid des Bundesverfassungsgerichts<br />

beziehungsweise<br />

Circa<br />

derselbe<br />

das heisst<br />

Dissertation<br />

dStGB Deutsches Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871<br />

ECDL<br />

EJPD<br />

EMRK<br />

European Computer Driving Licence<br />

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement<br />

Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und<br />

Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (SR 0.101)<br />

E-StGB Entwurf zur Änderung des Allgemeinen Teils des<br />

FC<br />

ff.<br />

Fr.<br />

GG<br />

Hrsg.<br />

Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 13. Dezember 2002<br />

Fussballclub<br />

fortfolgende<br />

(Schweizer) Franken<br />

Grundgesetz für <strong>die</strong> Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai<br />

1949<br />

Herausgeber


Abkürzungsverzeichnis<br />

XVII<br />

i.d.R.<br />

in der Regel<br />

i.w.S.<br />

im weiteren Sinn<br />

lit.<br />

litera<br />

MStG Militärstrafgesetz (MStG) vom 13. Juni 1927 (SR 321.0)<br />

N<br />

Note<br />

OG<br />

Bundesgesetz über <strong>die</strong> Organisation der Bundesrechtspflege vom<br />

16. Dezember 1943 (SR 173.110)<br />

S. Seite<br />

SIZ<br />

Schweizerisches Informatik-Zertifikat<br />

Sog., sog.<br />

so genannt(e)<br />

SR Systematische Sammlung des Bundesrechts (zit. nach<br />

Ordnungsnummern)<br />

StGB<br />

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (SR<br />

311.0)<br />

StGB 1937 Schweizerisches Strafgesetzbuch in der Fassung vom 21.<br />

Dezember 1937<br />

TaWi<br />

Tataufarbeitung und Wiedergutmachung<br />

TOA<br />

Täter-Opfer-Ausgleich<br />

u.a.<br />

unter anderem<br />

usw.<br />

und so weiter<br />

V.a., v.a.<br />

vor allem<br />

Vgl.<br />

vergleiche<br />

VSMZ<br />

Verein Straf-Mediation Zürich<br />

VStGB (1) Verordnung (1) zum Schweizerischen Strafgesetzbuch vom 13.<br />

November 1973 (SR 311.01)<br />

VStGB (2) Verordnung (2) zum Schweizerischen Strafgesetzbuch vom 6.<br />

Dezember 1982 (SR 311.02)<br />

VStGB (3) Verordnung (3) zum Schweizerischen Strafgesetzbuch vom 16.<br />

Dezember 1985 (SR 311.03)<br />

WGM<br />

Wiedergutmachung<br />

Z.B., z.B.<br />

zum Beispiel<br />

Ziff.<br />

Ziffer<br />

zit.<br />

zitiert<br />

z.T.<br />

zum Teil


Einleitung 1<br />

Einleitung<br />

Seit es <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe gibt, unterliegt sie einem steten Wandel, sowohl in ihrer<br />

Ausgestaltung als auch in ihrer Begründung. 1 Die vorliegende Arbeit will daher den Lesern<br />

und Leserinnen 2 einen Überblick über <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Schweiz<br />

verschaffen.<br />

In den vergangenen Jahrhunderten wurden <strong>die</strong> Strafen immer mehr gemildert, und <strong>die</strong>se<br />

Tendenz hält bis heute an. 3 Betrachtet man das heutige Strafensystem im historischen<br />

Kontext, so ist <strong>die</strong> Entwicklung der Freiheitsstrafe seit über 100 Jahren rückläufig. Obwohl<br />

<strong>die</strong> kriminalpolitische Diskussion von der Suche nach Alternativen zur Freiheitsstrafe geprägt<br />

ist, sind wir von einer Überwindung der Freiheitsstrafe noch weit entfernt. Trotz Zunahmen<br />

von informellen Sanktionen und solchen von minderer Intensität behauptet sich insbesondere<br />

<strong>die</strong> lange Freiheitsstrafe. 4<br />

Die Freiheitsstrafe in ihrer modernen Ausprägung beginnt in der zweiten Hälfte des 16.<br />

Jahrhunderts. Zu jener Zeit wurden in Holland und England Haftanstalten errichtet, in<br />

welchen der Freiheitsentzug dem Zweck einer planmässigen Erziehung der Gefangenen zu<br />

Arbeit und Ordnung <strong>die</strong>nen sollte. Diese Entwicklung hin zu Zielen einer Besserung und<br />

sozialen Integration von Straftätern stand im Gegensatz zu den Strafzwecken des römischen,<br />

germanischen und fränkischen Strafrechts, wo der Gedanke der Vergeltung dominierte. 5 Im<br />

Schweizerischen StGB von 1937 findet man gesetzlich verankert, dass der Zweck des<br />

Strafvollzuges in der Resozialisierung des Straftäters liegen soll. Dieser Aufgabe wurde<br />

jedoch noch einige Jahrzehnte keine allzu grosse Bedeutung geschenkt und erst mit der<br />

Reform der 70er Jahre begann der Gedanke der Resozialisierung allmählich in den<br />

Strafvollzug einzufliessen. 6<br />

Nach heftigen Diskussionen während der Vorbereitungen zum Schweizerischen StGB war<br />

1937 auf <strong>die</strong> Aufnahme der Todesstrafe verzichtet worden. Seither nimmt <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong><br />

Freiheitsstrafe den Platz der Höchststrafe ein. 7 Den totalen Ausschluss des Lebenslänglichen<br />

wollte der Gesetzgeber jedoch nicht absolut gelten lassen und führte <strong>die</strong> Möglichkeit der<br />

bedingten Entlassung auch für Lebenslängliche ein.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

Pless-Bächler, S. 1.<br />

In der Folge wird aus Gründen der leichteren Lesbarkeit <strong>die</strong> männliche Form verwendet.<br />

Brughelli, S. 1.<br />

Jung, S. 31.<br />

Laubenthal, N 85.<br />

Pless-Bächler, S. 1.<br />

Suter, S. 60-61.


Einleitung 2<br />

Seit der Einführung des Schweizerischen StGB ist viel Zeit vergangen. Die Diskussion über<br />

den Begriff der Strafe, ihre Problematik und insbesondere ihre Legitimation hat jedoch kein<br />

Ende gefunden. 8<br />

Die folgenden Überlegungen wollen <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in ihrer heutigen<br />

Ausgestaltung darstellen, sowie kritisch auf ihre Legitimation hin untersuchen. Im Lichte des<br />

sich verändernden Rechtsbewusstseins ist es nämlich unumgänglich, <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong><br />

Freiheitsstrafe zu überdenken.<br />

In einem ersten Teil der Arbeit wird <strong>die</strong> geschichtliche Entwicklung der Freiheitsstrafe,<br />

insbesondere der <strong>lebenslängliche</strong>n, vom Mittelalter bis zur Gegenwart dargestellt.<br />

Bevor <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe im Einzelnen zur Sprache kommt, muss allerdings<br />

einleitend vom heutigen System der Sanktionen als Ganzem <strong>die</strong> Rede sein. Das zweite<br />

Kapitel stellt daher eine kurze Einführung dar.<br />

Die Zuchthausstrafe stellt <strong>die</strong> schwerste Freiheitsstrafe im Strafensystem dar. Dort, wo das<br />

Gesetz es bestimmt, kann sie als einzige Sanktion lebenslänglich dauern. Nur schwerste<br />

Verbrechen können zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe führen. Im dritten Kapitel werden<br />

<strong>die</strong> entsprechenden Gesetzesartikel kurz vorgestellt.<br />

In einem vierten Teil wird auf <strong>die</strong> gesetzliche Regelung des Vollzuges der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe eingegangen. Das folgende Kapitel behandelt <strong>die</strong> Beendigung der Strafe,<br />

welche auf zwei Arten geschehen kann.<br />

Nach dem eher theoretischen Teil folgt <strong>die</strong> praktische Seite der lebenslangen Freiheitsstrafe.<br />

Mit Hilfe von Angaben des Bundesamtes für Statistik wird <strong>die</strong> Situation der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe in der Schweiz in den Jahren 1991-2001 grafisch dargestellt. Zudem wird am<br />

Beispiel einer geschlossenen Strafanstalt untersucht, wie <strong>die</strong> Vollpraxis der <strong>lebenslängliche</strong>n<br />

Freiheitsstrafe heutzutage aussieht. Mit Hilfe von Informationen von Fachpersonen wird<br />

sodann <strong>die</strong> Situation der Lebenslänglichen in der Anstalt aufgezeigt. Auf eine persönliche<br />

Befragung der Lebenslänglichen wurde jedoch bewusst verzichtet, denn angesichts der<br />

kleinen Zahl wären <strong>die</strong>se wenig ergiebig gewesen und hätten somit auch nicht als<br />

repräsentativ gelten können.<br />

Der Aufenthalt in einer Strafanstalt stellt für den Betroffenen eine sehr intensive<br />

Entzugssituation dar. Im Gefangenen werden gravierende Deprivationszustände<br />

hervorgerufen und er ist über<strong>die</strong>s Stressfaktoren ausgesetzt, welche auf seine Psyche<br />

einwirken. 9 In einem siebten Teil wird daher auf <strong>die</strong> schädlichen Haftfolgen eingegangen.<br />

8<br />

9<br />

Pless-Bächler, S. 2.<br />

Laubenthal, N 207.


Einleitung 3<br />

Da <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe, im Gegensatz zur Todesstrafe, auf <strong>die</strong> physische<br />

Vernichtung des Straftäters verzichtet, erscheint sie weitaus weniger grausam. Teilweise wird<br />

sie jedoch als „soziale Todesstrafe“ bezeichnet und als verfassungswidrig betrachtet. Es stellt<br />

sich <strong>die</strong> Frage, ob eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht der Menschenwürde widerspricht. 10<br />

In einem achten Teil der Arbeit wird <strong>die</strong> verfassungsrechtliche Problematik der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe behandelt. Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Diskussion ist der<br />

Entscheid 45, 187 des Bundesverfassungsgerichts Deutschlands.<br />

Die Diskussion um Abschaffung oder Beibehaltung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe hat<br />

zeitlebens im Schatten der Auseinandersetzungen um <strong>die</strong> Todesstrafe gestanden. 11<br />

Jahrzehntelang war sie als Ablösung der Todesstrafe historisch legitimiert. Vor dem<br />

Hintergrund sich wandelnder Verhältnisse kann jedoch eine historisch begründete<br />

Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe nicht mehr genügen. Mit grosser<br />

Selbstverständlichkeit wurde bisher davon ausgegangen, dass <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong><br />

Freiheitsstrafe als Reaktion auf schwerste Rechtsgutsverletzungen gerechtfertigt sei. Sie stellt<br />

jedoch den grössten Eingriff dar, den der Staat in der Form einer Strafe gegenüber seinen<br />

Bürgern vornehmen darf. Aus der Intensität des Eingriffs ergibt sich daher dessen<br />

Verpflichtung, <strong>die</strong>se Strafe genügend zu legitimieren. 12 Im neunten Kapitel wird auf <strong>die</strong> Frage<br />

eingegangen, ob man <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe mit den Strafzwecken rechtfertigen kann.<br />

Die vorliegenden Erwägungen zur <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe gehen von den<br />

bestehenden Strukturen aus. Die Schweiz kennt de lege lata als Hauptstrafen nur <strong>die</strong><br />

Freiheitsstrafe und <strong>die</strong> Geldstrafe. 13 Es besteht somit eine gewisse Sanktionsarmut, denn oft<br />

hat der Richter nur <strong>die</strong> Möglichkeit, als Sanktion eine unbedingte oder bedingte<br />

Freiheitsstrafe oder aber eine Geldstrafe auszusprechen. Beim Sanktionenrecht besteht jedoch<br />

auch deshalb ein Reformbedarf, weil das System zu viele, namentlich kurze Freiheitsstrafen<br />

kennt. Am 21. September 1998 hat der Bundesrat <strong>die</strong> Botschaft zur Änderung des<br />

Schweizerischen StGB verabschiedet. Die Gesetzesentwürfe sind inzwischen vom Parlament<br />

verabschiedet und im Bundesblatt veröffentlicht worden. 14 Mit den Gesetzesentwürfen<br />

werden eine Gesamterneuerung der Allgemeinen Bestimmungen und der Vorschriften über<br />

<strong>die</strong> Einführung und Anwendung des StGB sowie eine parallele Anpassung des<br />

Militärstrafgesetzes und ein neues Gesetz über das Jugendstrafrecht vorgeschlagen. Die<br />

wichtigsten Anliegen <strong>die</strong>ser Revision sind <strong>die</strong> Neuordnung sowie Differenzierung des<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

14<br />

Grasberger, S. 60.<br />

Müller-Dietz, S. 38.<br />

Pless-Bächler, S. 77, S. 113.<br />

Riklin, § 1 N 5.<br />

Sutter, Auskunft vom 9.9.2003.


Einleitung 4<br />

Sanktionssystems, <strong>die</strong> Festlegung von Strafvollzugsgrundsätzen, <strong>die</strong> Anpassung der<br />

Bestimmungen über den Geltungsbereich und <strong>die</strong> Voraussetzungen der Strafbarkeit an Lehre<br />

und Rechtsprechung sowie <strong>die</strong> Trennung von Jugendstrafrecht und Erwachsenenstrafrecht. 15<br />

Aus <strong>die</strong>sem Grund wird im zehnten Teil auf den Entwurf des StGB vom 13. Dezember 2002<br />

eingegangen.<br />

Schliesslich werden <strong>die</strong> einzelnen Hauptaspekte der Arbeit nochmals aufgenommen und in<br />

einer kurzen persönlichen Stellungnahme erläutert.<br />

Um einen besseren Überblick über <strong>die</strong>ses doch sehr weite Themengebiet zu erlangen, wurden<br />

zusätzlich Interviews mit Personen aus der Lehre und Praxis geführt, welche im Schlusswort<br />

aufgeführt sind.<br />

Im Anhang der Arbeit werden <strong>die</strong> Gesetzesartikel sowie <strong>die</strong> verwendeten Interviewfragen<br />

aufgeführt.<br />

15<br />

Botschaft StGB, 1981.


1. Geschichtliches 5<br />

1. Geschichtliches<br />

Im Folgenden wird <strong>die</strong> geschichtliche Entwicklung der Freiheitsstrafe, insbesondere der<br />

lebenslangen Freiheitsstrafe, vom Mittelalter bis hin zur Gegenwart kurz dargestellt.<br />

1.1 Mittelalter bis 18. Jahrhundert<br />

Die vorherrschenden Strafmittel im Mittelalter 16 waren <strong>die</strong> Todesstrafe, Verstümmelungs-,<br />

Körper- sowie Ehrenstrafen. Freiheitsstrafen hingegen wurden äusserst selten ausgesprochen<br />

und hatten nicht den Charakter der heutigen Freiheitsstrafen. Die Einsperrung war v.a. eine<br />

Zwangsmassnahme zum Eintreiben einer Schuld, selten jedoch eine selbständige Strafe. 17 Die<br />

Strafe wurde in Türmen, Kellern und Verliesen unter unmenschlichen Bedingungen<br />

vollzogen. Die Freiheitsstrafe hatte damals eher den Charakter einer Körperstrafe und führte<br />

unter den schrecklichen Vollzugsumständen auch oft zum Tode. 18<br />

Auch im 16. und 17. Jahrhundert war <strong>die</strong> Freiheitsstrafe noch selten. Wurde sie trotzdem<br />

ausgesprochen, so war sie meist Begnadigung von der Todesstrafe und in Form von „ewigem<br />

Gefängnis“ in Stadtmauern und Kerkern, von Einmauerung oder von „Anschmieden im<br />

eigenen Haus oder im Haus eines Verwandten“ zu vollziehen.<br />

Als Folge des 30-jährigen Krieges 19 verarmten grosse Teile der Bevölkerung. In <strong>die</strong>ser Zeit<br />

entstanden sog. Arbeitshäuser, wo Landstreicher, Obdachlose, aber auch Geisteskranke und<br />

Rechtsbrecher eingesperrt und zu Zwangsarbeit verpflichtet wurden. Bereits 1595 waren in<br />

Amsterdam <strong>die</strong> ersten Zuchthäuser gebaut worden. Neben der Todesstrafe sowie den<br />

Körperstrafen war nun auch <strong>die</strong> Freiheitsstrafe selbständiges Strafmittel. Durch <strong>die</strong> Art und<br />

Weise der Einsperrung sollte Vergeltung und Abschreckung geübt werden.<br />

In der Aufklärung wurde der umfassende Geltungsanspruch der absoluten Straftheorie immer<br />

häufiger kritisiert, und man begann sich mit der Frage des Strafzweckes zu beschäftigen.<br />

Einflussreich auf <strong>die</strong> Praxis der Strafrechtspflege waren v.a. der Italiener Caesare Beccaria<br />

Bonesana mit seiner Schrift „Dei Delitti e delle Pene“ sowie Heinrich Pestalozzi. Beide<br />

setzten sich für <strong>die</strong> Abschaffung der Todes- und Körperstrafe und für deren Ersatz durch <strong>die</strong><br />

Freiheitsstrafe ein. Im Vordergrund stand <strong>die</strong> Frage, welchen Zweck <strong>die</strong> Strafe im Hinblick<br />

auf <strong>die</strong> Gesellschaft verfolge. 20<br />

16<br />

17<br />

18<br />

19<br />

20<br />

Eine Zusammenfassung der mittelalterlichen Strafen findet sich in der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser<br />

Karls V. von 1532 (Constitutio Criminalis Carolina).<br />

Pless-Bächler, S. 7.<br />

Kaiser/Kerner/Schöch, S. 34; Laubenthal, N 89.<br />

1618-1648.<br />

Pless-Bächler, S. 7-9.


1. Geschichtliches 6<br />

Unter dem Einfluss des Reformers John Howard, welcher auch gegen <strong>die</strong> Todes- und<br />

Körperstrafe kämpfte und sich für eine Verbesserung des Gefängniswesens einsetze, begann<br />

eine langsame Erneuerung des Strafvollzugswesens. 21 Doch so wichtig <strong>die</strong>se Impulse auch<br />

sein mochten, sie bewirkten allenfalls eine Verbesserung der Lage und Behandlung der<br />

Gefangenen, führten jedoch nicht zu einer echten Erneuerung. 22<br />

1.2 Helvetik und 19. Jahrhundert<br />

Bis zum Untergang der alten Eidgenossenschaft im Jahre 1798 hatten <strong>die</strong> Kantone eigene<br />

Strafgesetzgebungen. In der Zeit der Helvetik 23 gelang es jedoch ein einheitliches Strafrecht<br />

für <strong>die</strong> Republik zu schaffen. 24 Das Peinliche Gesetzbuch für <strong>die</strong> Helvetische Republik lehnte<br />

sich inhaltlich stark an den französischen Code Pénal von 1791 an und war von<br />

humanistischem Gedankengut durchdrungen. Die Freiheitsstrafe gewann eine zentrale<br />

Stellung neben der Todesstrafe. Als Modifikationen der Freiheitsstrafe im Vollzug waren <strong>die</strong><br />

Kettenstrafe 25 , <strong>die</strong> Stockhausstrafe 26 oder <strong>die</strong> einfache Einsperrung 27 vorgesehen. Von<br />

längeren Freiheitsstrafen sah das Gesetz jedoch ab, um <strong>die</strong> Probleme ihrer Vollstreckung zu<br />

umgehen.<br />

Nach dem Untergang der Helvetik im Jahre 1803 erhielten <strong>die</strong> Kantone <strong>die</strong> Strafrechtshoheit<br />

zurück, wobei <strong>die</strong> meisten auf <strong>die</strong> Beibehaltung des Peinlichen Gesetzbuches verzichteten,<br />

einige neues Recht schufen und viele ihre Bestimmungen verschärften und wieder<br />

mittelalterliche Strafen übernahmen. 28 Die Freiheitsstrafe trat somit in ihrer Bedeutung wieder<br />

hinter <strong>die</strong> Todes- und Körperstrafe zurück. 29<br />

1848 wurde mit der ersten Bundesverfassung <strong>die</strong> Todesstrafe für politische Verbrechen<br />

abgeschafft. Sieben Kantone 30 verzichteten ganz auf <strong>die</strong> Todesstrafe. 31 Nach der Totalrevision<br />

der Bundesverfassung im Jahre 1874 wurde <strong>die</strong> Todesstrafe im zivilen Recht abgeschafft,<br />

wobei <strong>die</strong> Bestimmungen des Militärstrafgesetzes in Kriegszeiten vorbehalten blieben.<br />

Diejenigen Kantone, welche <strong>die</strong> Todesstrafe noch kannten, ersetzen <strong>die</strong>se durch <strong>die</strong><br />

<strong>lebenslängliche</strong> Zuchthausstrafe. 32<br />

21<br />

22<br />

23<br />

24<br />

25<br />

26<br />

27<br />

28<br />

29<br />

30<br />

31<br />

32<br />

Laubenthal, N 99.<br />

Kaiser/Kerner/Schöch, S. 37.<br />

1798-1803.<br />

Suter, S. 7.<br />

Zu einer Kettenstrafe konnten nur Männer verurteilt werden. Ihre Höchstdauer betrug 24 Jahre.<br />

Die Stockhausstrafe bedeutete Einzelhaft und dauerte höchstens 20 Jahre.<br />

Die Einsperrung dauerte höchstens sechs Jahre und fand in den kantonalen Schallenwerken statt.<br />

Pless-Bächler, S. 10-11.<br />

Beckmann/Wagensonner, S. 867.<br />

Freiburg, Neuenburg, Zürich, Genf, Basel-Stadt, Basel-Land und Tessin.<br />

Suter, S. 14, S. 18.<br />

Pless-Bächler, S. 13.


1. Geschichtliches 7<br />

Die Öffentlichkeit verlangte jedoch, nachdem eine Gewaltwelle das Land überrollt hatte,<br />

erneut nach der Todesstrafe. Mit der Revision von 1879 wurde das allgemeine Verbot der<br />

Todesstrafe wieder aufgehoben, sie blieb nur für politische Vergehen abgeschafft. Zehn<br />

Kantone 33 führten <strong>die</strong> Todesstrafe wieder ein. 34 Nach 1879 wurde jedoch in sechs von <strong>die</strong>sen<br />

zehn Kantonen kein Todesurteil mehr vollstreckt. Zum Tode verurteilte Personen wurden zu<br />

<strong>lebenslängliche</strong>m Zuchthaus begnadigt. Die lebenslange Freiheitsstrafe war neben ihrer<br />

Funktion als Gnadenstrafe in den meisten Kantonen 35 selbständiges Strafmittel.<br />

Es wurden mit der Zeit jedoch Stimmen laut, welche eine erneute Vereinheitlichung der<br />

Strafgesetzgebung forderten. Im Jahre 1889 beauftrage der Bundesrat den <strong>Bern</strong>er Professor<br />

Carl Stooss mit den Vorbereitungen zur Vereinheitlichung des Strafrechts.<br />

Im 19. Jahrhundert wurde der Strafvollzug von neuem Gedankengut aus den USA und aus<br />

England beeinflusst. Es entstanden zahlreiche neue Gefängnisbauten 36 . Die Ausgestaltung des<br />

Strafvollzugs liess jedoch immer noch sehr zu wünschen übrig. Die Anstalten waren<br />

verwahrlost, <strong>die</strong> Verpflegung und <strong>die</strong> Hygiene waren schlecht und <strong>die</strong> Insassen wurden kaum<br />

beschäftigt und oft auch brutal behandelt. Beeinflusst durch das Gedankengut der Aufklärung<br />

und durch <strong>die</strong> französische Revolution begann man nun ebenfalls das Gefängniswesen zu<br />

reformieren. 37<br />

1.3 Das 20. Jahrhundert<br />

Der Schweizerische Juristenverein verlangte 1912 <strong>die</strong> Abschaffung der Todesstrafe und löste<br />

damit bei den Vorbereitungen zu einem Schweizerischen StGB heftige Diskussionen aus.<br />

Sowohl der Nationalrat 38 als auch der Ständerat 39 sprachen sich gegen <strong>die</strong> Todesstrafe im<br />

zivilen Recht aus. Nachdem das Referendum ergriffen worden war, kam es am 3. Juli 1938 zu<br />

einer Volksabstimmung. 40 Das StGB von 1937 kennt <strong>die</strong> Todesstrafe nicht. Todesurteile,<br />

welche nach altem Recht ausgesprochen worden waren, wurden in <strong>lebenslängliche</strong>s<br />

Zuchthaus umgewandelt. Am 1. November 1987 trat das 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen<br />

Menschenrechtskonvention über <strong>die</strong> Abschaffung der Todesstrafe in Kraft. Im zivilen Recht<br />

ist heute <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Zuchthausstrafe <strong>die</strong> Höchststrafe.<br />

33<br />

34<br />

35<br />

36<br />

37<br />

38<br />

39<br />

40<br />

Appenzell I.Rh., Obwalden, Uri, Schwyz, Zug, St. Gallen, Luzern, Wallis, Schaffhausen und Freiburg.<br />

Suter, S. 33, S. 49.<br />

Ausser in Aargau, Basel-Stadt, Schaffhausen und Waadt.<br />

Einige unserer heutigen Gefängnisbauten stammen noch aus jener Bauperiode, z.B. Regensdorf und<br />

Hindelbank.<br />

Pless-Bächler, S. 13-14.<br />

144 zu 38 Stimmen.<br />

22 zu 14 Stimmen.<br />

Suter, S. 59-61.


1. Geschichtliches 8<br />

Neben der jahrzehntelang mit grosser Heftigkeit und grossem Engagement geführten<br />

Diskussion über <strong>die</strong> Todesstrafe nahm <strong>die</strong> Frage der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe einen<br />

vergleichsweise geringen Platz ein. Vorrangiges Ziel war jedoch damals der Verzicht auf <strong>die</strong><br />

Todesstrafe, denn immerhin mussten <strong>die</strong> zehn Kantone, welche bis dahin <strong>die</strong> Todesstrafe<br />

noch kannten, von ihrer Abschaffung überzeugt werden. Weder im Ständerat noch im<br />

Nationalrat wurde daher ausführlich über <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe diskutiert und so<br />

wurde sie wie selbstverständlich als Ablösung der Todesstrafe aus von Vorschlägen der<br />

Expertenkommissionen übernommen und als Höchststrafe ins StGB aufgenommen. 41<br />

41<br />

Pless-Bächler, S. 15-17.


2. Allgemeines 9<br />

2. Allgemeines<br />

Bevor <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Strafe im Einzelnen zur Sprache kommt, muss einleitend vom<br />

heutigen System der Sanktionen als Ganzem <strong>die</strong> Rede sein.<br />

2.1 Begriffliches<br />

Die von den Strafgesetzen vorgesehenen Rechtsfolgen eines Delikts werden mit dem<br />

Oberbegriff Sanktionen gekennzeichnet. Die Sanktion stellt in der Regel <strong>die</strong> staatliche<br />

Reaktion auf den Rechtsbruch des Straftäters dar. Diese Reaktion erfolgt als Strafe oder als<br />

Massnahme. Nur ausnahmsweise kann im Erwachsenenstrafrecht trotz der Vollendung eines<br />

Deliktes von einer Sanktion abgesehen werden. 42 Im schweizerischen StGB werden <strong>die</strong><br />

Sanktionen im Wesentlichen in Art. 35-69 StGB geregelt.<br />

Unter Strafe versteht man den ausgleichenden Eingriff in <strong>die</strong> Rechtsgüter desjenigen, der<br />

schuldhaft ein Delikt verübt hat. Als Massnahme i.w.S. lässt sich jede Rechtsfolge eines<br />

Delikts ohne Strafcharakter auffassen. Öfters wird der Begriff der Massnahme jedoch in<br />

einem engeren Sinn 43 verwendet und meint eine Sanktion, mit welcher eine besondere<br />

Rückfallgefahr bekämpft werden soll, <strong>die</strong> sich als Folge eines abnormen Zustandes beim<br />

Täter ergibt. 44<br />

2.2 Strafen des Erwachsenenstrafrechts<br />

Die Strafen des schweizerischen StGB lassen sich in Haupt- und Nebenstrafen unterteilen, je<br />

nachdem, ob eine Strafe selbständig oder nur in Verbindung mit einer anderen Strafe verhängt<br />

werden kann. 45 Als Hauptstrafen kennt das geltende Recht nur <strong>die</strong> Freiheitsstrafe 46 und <strong>die</strong><br />

Busse 47 . Als Nebenstrafe 48 kommen Amtsunfähigkeit, Entziehen der elterlichen Gewalt,<br />

Berufsverbot, Landesverweisung sowie Wirtshausverbot in Betracht.<br />

Im Folgenden wird jedoch lediglich auf <strong>die</strong> Freiheitsstrafe, im Speziellen auf <strong>die</strong><br />

<strong>lebenslängliche</strong>, eingegangen.<br />

42<br />

43<br />

44<br />

45<br />

46<br />

47<br />

48<br />

Maier/Urbaniok, S. 25.<br />

Sog. sichernde Massnahme.<br />

Rehberg, S. 5.<br />

Stratenwerth, AT II, §1 N 2.<br />

Art. 35-41 StGB.<br />

Art. 48-50 StGB.<br />

Art. 51-56 StGB.


2. Allgemeines 10<br />

2.3 Einteilung der Freiheitsstrafen<br />

2.3.1 Einteilung nach der Strafart<br />

Freiheitsstrafen sind Sanktionen, welche mit dem Entzug oder Beschränkung der<br />

selbstbestimmten Bewegungsfreiheit verbunden sind. 49 Im StGB werden drei verschiedene<br />

Arten von Freiheitsstrafen unterschieden:<br />

a) Zuchthaus mit einer Dauer von einem bis zu 20 Jahren, ausnahmsweise auch<br />

lebenslänglich; 50<br />

b) Gefängnis mit einer Dauer zwischen drei Tagen und drei Jahren; 51<br />

c) Haft mit einer Dauer zwischen einem Tag und drei Monaten. 52<br />

Es existieren jedoch auch Straftatbestände, welche ein gegenüber den genannten<br />

regelmässigen Ansätzen erhöhtes Strafminimum 53 , ein herabgesetztes oder auch ein<br />

heraufgesetztes Strafmaximum 54 vorsehen. 55<br />

Die traditionelle Gliederung der Freiheitsstrafen nach ihrer Schwere wurde vom geltenden<br />

Recht übernommen und bei der Zuchthaus- und der Haftstrafe 56<br />

sogar ausdrücklich<br />

ausgesprochen. Sie bildet unter anderem den Anknüpfungspunkt für <strong>die</strong> begriffliche<br />

Dreiteilung 57 der Straftaten. Die unterscheidenden Merkmale haben sich jedoch erheblich<br />

verändert und abgeschwächt.<br />

Der eindeutigste Unterschied der Freiheitsstrafen liegt in ihrer möglichen Dauer. Sie<br />

überschneiden sich im Grenzbereich jedoch nicht unwesentlich. Früher traten daher zu der<br />

Abgrenzung nach der Dauer regelmässig Unterschiede in den Nebenfolgen der<br />

Freiheitsstrafen, v.a. in Gestalt der Entziehung oder Herabsetzung der bürgerlichen Ehren und<br />

Rechte. Eine Verurteilung zu Zuchthaus oder Gefängnis kann, seit es <strong>die</strong> Einstellung in der<br />

bürgerlichen Ehrenfähigkeit nicht mehr gibt, nur noch in einzelnen Hinsichten härtere<br />

Rechtsfolgen auslösen als eine Verurteilung zu Haft 58 . Die Zuchthausstrafe dürfte den<br />

49<br />

50<br />

51<br />

52<br />

53<br />

54<br />

55<br />

56<br />

57<br />

58<br />

Schultz, Band II, S. 26.<br />

Art. 35 StGB.<br />

Art. 36 StGB.<br />

Art. 39 StGB.<br />

Z.B. Art. 111 StGB.<br />

Z.B. Art. 139 Ziff. 1 Abs. 1 StGB und Art. 286 StGB, sowie Art. 225 Abs. 1 StGB.<br />

Surber, S. 45.<br />

Art. 35 StGB, Art. 39 Ziff. 1 StGB.<br />

Verbrechen, Vergehen und Übertretung.<br />

So bei der Verwahrung als Gewohnheitsverbrecher (Art. 42 StGB), der Amtsunfähigkeit (Art. 51 Ziff. 2<br />

StGB) und der Landesverweisung (Art. 55 StGB).


2. Allgemeines 11<br />

Betroffenen jedoch nach wie vor, auf informelle Weise, stärker brandmarken als andere<br />

Sanktionen 59 .<br />

Was den Vollzug anbelangt, hat das StGB, entgegen der Tradition, Zuchthaus und Gefängnis<br />

von Anfang an insofern gleichgestellt, als sie beide erziehend auf den Gefangenen einwirken<br />

und ihn auf den Wiedereintritt in das bürgerliche Leben vorbereiten sollen 60 . Zunächst wurde<br />

jedoch versucht, Zuchthaus- und Gefängnisgefangene im Vollzug voneinander zu trennen und<br />

sie einem unterschiedlich harten Regime zu unterstellen. Die Einzelhaft sollte bei der<br />

Zuchthausstrafe drei Monate, bei der Gefängnisstrafe hingegen nur einen Monat dauern,<br />

wobei nur dem Gefängnisinsassen der Gebrauch eigener Kleidung gestattet werden konnte.<br />

Der Briefverkehr und der Empfang von Besuchen waren im Zuchthaus „nur unter engen<br />

Grenzen“ zugelassen, im Gefängnis dagegen „nur so weit beschränkt, als es <strong>die</strong> Ordnung in<br />

der Anstalt gebietet“ 61 . Während das Gesetz beim Arbeitszwang zwischen Zuchthaus und<br />

Gefängnis nicht unterschied, begegnete man in der Praxis jedoch Versuchen, nach der Dauer<br />

der Arbeitszeit, der Art und Schwere der zu leistenden Arbeit usw. zu differenzieren. Die<br />

Haftstrafe hingegen nahm auf der anderen Seite stets eine Sonderstellung ein, ohne<br />

Anstaltskleidung, mit der Möglichkeit der „Selbstbeköstigung“ und der Befugnis „sich<br />

angemessene Arbeit selbst zu beschaffen“ 62 .<br />

Seit der Teilrevision von 1971 gelten für den Vollzug von Zuchthaus- und Gefängnisstrafen<br />

allerdings keinerlei unterschiedliche Regelungen mehr. Die beiden Arten können nunmehr in<br />

der gleichen Anstalt vollzogen werden. Die dem Zuchthausgefangenen zusätzlich auferlegten<br />

Restriktionen sind weggefallen. Geblieben ist dagegen <strong>die</strong>, im Vergleich zu anderen<br />

Strafgefangenen, privilegierte Stellung 63 des Haftgefangenen. 64<br />

2.3.2 Einteilung nach der Strafdauer<br />

Es werden unterschieden:<br />

a) Kurzfristige Freiheitsstrafen, nämlich alle Haftstrafen sowie <strong>die</strong> Gefängnisstrafen bis<br />

zu drei Monaten; 65<br />

b) Langfristige Freiheitsstrafen, d.h. Gefängnisstrafen von über drei Monaten und alle<br />

Zuchthausstrafen. 66<br />

59<br />

60<br />

61<br />

62<br />

63<br />

64<br />

65<br />

Ob <strong>die</strong> erhöhte diskriminierende Wirkung der Zuchthausstrafe tatsächlich besteht erscheint Rehberg<br />

angesichts der geringen Kenntnisse weiter Kreise über <strong>die</strong> Unterschiede zwischen den Arten von<br />

Freiheitsstrafen und der Handhabung in der Vollzugspraxis fragwürdig; Rehberg, S. 21.<br />

Art. 37 Abs. 1 StGB 1937 .<br />

Art. 35 Ziff. 2 StGB 1937 , Art. 36 Ziff. 2 StGB 1937 .<br />

Art. 39 Ziff. 2 und 3 StGB 1937 .<br />

Es gibt jedoch keine Selbstbeköstigung mehr.<br />

Stratenwerth, AT II, § 3 N 3-7.<br />

Art. 37 bis Ziff. 1 StGB, Art. 39 Ziff. 2 und 3 StGB.


3. Der Anwendungsbereich der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 12<br />

Diese Einteilung der Freiheitsstrafen hat heute ebenfalls wenig praktische Relevanz. Im<br />

Bereiche der kurzfristigen Freiheitsstrafen und auch darüber hinaus für Freiheitsstrafen bis zu<br />

einem Jahr sind seit 1971 verschiedene neue Vollzugsformen entstanden. So sind heute<br />

insbesondere <strong>die</strong> Gemeinnützige Arbeit wie auch <strong>die</strong> Halbgefangenschaft in den meisten<br />

Kantonen <strong>die</strong> üblichen Vollzugsformen für Strafen mit kurzer Dauer. 67<br />

66<br />

67<br />

Art. 37 StGB.<br />

Surber, S. 48.


3. Der Anwendungsbereich der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 13<br />

3. Der Anwendungsbereich der <strong>lebenslängliche</strong>n<br />

Freiheitsstrafe 68<br />

Die Zuchthausstrafe stellt <strong>die</strong> schwerste Freiheitsstrafe in unseren Strafensystem dar. Ihre<br />

Dauer reicht von einem bis zu zwanzig Jahren, wo es das Gesetz bestimmt, kann sie allerdings<br />

auch lebenslänglich dauern. Nur sehr schwere Verbrechen können zu einer <strong>lebenslängliche</strong>n<br />

Freiheitsstrafe führen. In der Schweiz findet sich <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe im<br />

Strafgesetzbuch, im Atomgesetz sowie im Militärstrafgesetz.<br />

3.1 Strafgesetzbuch<br />

Lebenslängliches Zuchthaus kann beim Tatbestand des Mordes 69 , der Geiselnahme 70 und bei<br />

Angriffen auf <strong>die</strong> Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft 71 verhängt werden.<br />

Die Androhung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe war bis zum 31.12.1989 bei Mord als<br />

einzigem Delikt absolut. Seit dem 1.1.1990 ist <strong>die</strong> Strafandrohung alternativ, d.h. es kann<br />

anstelle der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe eine Zeitstrafe nicht unter zehn Jahren verhängt<br />

werden. Bei der Geiselnahme und der Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft kann jedoch nur<br />

in schweren Fällen <strong>lebenslängliche</strong>s Zuchthaus verhängt werden. Bei beiden Tatbeständen ist<br />

<strong>die</strong> Strafdrohung fakultativ.<br />

3.2 Atomgesetz<br />

Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe wird im Atomgesetz beim Tatbestand der qualifizierten<br />

Gefährdung durch Freisetzen von Atomenergie angedroht. Art. 29 Ziff. 1 Abs. 2 AtG sieht <strong>die</strong><br />

<strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe alternativ zu Zuchthaus nicht unter fünf Jahren vor.<br />

3.3 Militärstrafgesetz<br />

Im Militärstrafgesetz findet man <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe bei Ungehorsam vor dem<br />

Feind in Kriegszeiten 72 , Meuterei vor dem Feind 73 , vorsätzlichem Wachtverbrechen oder<br />

-vergehen vor dem Feind in Kriegszeiten 74 , landesverräterischer Verletzung militärischer<br />

Geheimnisse 75 , militärischem Landesverrat 76 , schwerer Begünstigung des Feindes 77 , Mord 78<br />

und schwerer Geiselnahme 79 .<br />

68<br />

69<br />

70<br />

71<br />

72<br />

73<br />

74<br />

75<br />

76<br />

Pless-Bächler, S. 18-19.<br />

Art. 112 StGB.<br />

Art. 185 Ziff. 3 StGB.<br />

Art. 266 Ziff. 2 Abs. 2 StGB.<br />

Art. 61 Ziff. 2 MStG.<br />

Art. 63 Ziff. 2 MStG.<br />

Art. 76 Ziff. 3 MStG.<br />

Art. 86 Ziff. 2 MStG.<br />

Art. 87 Ziff. 3 MStG.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 14<br />

Da <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe im Atomgesetz und im Militärstrafgesetz keine<br />

praktische Bedeutung erlangt hat, werden <strong>die</strong>se Gesetze im weiteren Verlauf der Arbeit ausser<br />

Acht gelassen. Gemäss Angaben des Bundesamtes für Statistik 80 wird <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong><br />

Freiheitsstrafe fast nur bei Mord verhängt, und ist lediglich bei <strong>die</strong>sem Delikt von praktischer<br />

Bedeutung, weshalb sie in den weiteren Ausführungen als Strafe für Mord verstanden wird.<br />

77<br />

78<br />

79<br />

80<br />

Art. 91 Ziff. 2 MStG.<br />

Art. 116 Ziff. 1 MStG.<br />

Art. 151 c Ziff. 3 MStG.<br />

Vgl. 6.1 Statistik der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 15<br />

4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges<br />

4.1 Allgemeines<br />

4.1.1 Zuständigkeit<br />

Entsprechend dem föderalistischen Staatsaufbau 81 der Schweiz fällt <strong>die</strong> Durchführung des<br />

Strafvollzuges in den Aufgabenbereich der einzelnen Kantone. 82 Es gibt keine einheitliche<br />

gesetzliche Grundlage für den Strafvollzug, d.h. <strong>die</strong> Schweiz kennt kein nationales<br />

Strafvollzugsgesetz. Das Vollzugswesen ist auf verschiedenen Ebenen und nur bruchstückhaft<br />

geregelt. Sowohl Rechtsquellen des Bundes 83 als auch der Kantone 84 beinhalten<br />

Vollzugsrecht. 85<br />

Der Vollzug strafrechtlicher Sanktionen obliegt zwar den Kantonen 86 , doch der Bundesrat hat<br />

sehr weitgehende Möglichkeiten zum Eingriff in <strong>die</strong> Kompetenz der Kantone zur<br />

Durchführung des Strafvollzuges. 87 Er hat davon teilweise Gebrauch gemacht, indem er drei<br />

Vollzugsverordnungen zum Strafgesetzbuch erlassen hat: 88<br />

VStGB (1) vom 13.11.1973; 89<br />

VStGB (2) vom 6.12.1982; 90<br />

VStGB (3) vom 16.12.1985. 91<br />

Die Kompetenz des Bundesrates ist jedoch fakultativ. 92 Solange der Bundesrat keine<br />

Anordnungen getroffen hat, sind <strong>die</strong> Kantone verpflichtet, <strong>die</strong> notwendigen Regelungen zu<br />

erlassen. 93<br />

4.1.2 Die Strafvollzugskonkordate<br />

Die Kantone wären nach dem StGB gehalten, je nach Differenzierungsgrad, 10 oder 14<br />

Anstalten für erwachsene Straftäter zu errichten, was sogar <strong>die</strong> Möglichkeiten grosser<br />

Kantone übersteigt. In den kleinen Kantonen besteht andererseits gar kein Bedarf, alle<br />

81<br />

82<br />

83<br />

84<br />

85<br />

86<br />

87<br />

88<br />

89<br />

90<br />

91<br />

92<br />

93<br />

Art. 3 BV, Art. 123 Abs. 2 BV.<br />

Beckmann/Wagensonner, S. 893.<br />

Das StGB und <strong>die</strong> dazugehörigen Verordnungen enthalten strafvollzugsrechtliche Rahmenbestimmungen.<br />

Auf kantonaler Ebene findet man Vollzugsregeln z.T. in Kantonsverfassungen, Verordnungen,<br />

Strafprozessordnungen, Gesetzen über den Betrieb von Anstalten, regierungsrätlichen Verordnungen und oft<br />

auch in Reglementen sowie Hausordnungen der Strafanstalten.<br />

Pless-Bächler, S. 21.<br />

Art. 374 StGB.<br />

Art. 397 bis StGB.<br />

Trechsel, Art. 397 bis N 1.<br />

SR 311.01.<br />

SR 311.02.<br />

SR 311.03.<br />

BGE 100 Ib 274.<br />

BGE 99 Ib 48.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 16<br />

Anstaltstypen, welche das StGB vorschreibt, zu betreiben. Das Bundesrecht gibt den<br />

Kantonen daher gemäss Art. 383 Abs. 2 StGB <strong>die</strong> Möglichkeit über <strong>die</strong> gemeinsame<br />

Errichtung oder den gemeinsamen Betrieb von Anstalten Vereinbarungen zu treffen. 1956-<br />

1963 haben sich <strong>die</strong> Kantone aufgrund <strong>die</strong>ser Sachlage zu drei regionalen Konkordaten<br />

zusammengeschlossen. 94<br />

Konkordat Ostschweiz: Zürich, Glarus, Schaffhausen, Appenzell A.Rh., Appenzell<br />

I.Rh., St. Gallen, Graubünden und Thurgau. 95<br />

Konkordat Nordwest- und Innerschweiz: Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Luzern,<br />

Zug, <strong>Bern</strong>, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft sowie Aargau. 96<br />

Konkordat Westschweiz: Freiburg, Waadt, Wallis, Neuenburg, Genf, Jura und mit<br />

Besonderheiten Tessin. 97<br />

Dabei handelt es sich um interkantonale Vertragswerke, welche eine Lücke zwischen der<br />

Gesetzgebung des Bundes und jener der Kantone schliessen und eine Rechtsvereinheitlichung<br />

mittels verbindlicher Richtlinien, Normen und Empfehlungen anstreben. 98<br />

4.2 Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen<br />

Für den Vollzug von Freiheitsstrafen stellt das StGB lediglich einige wenige Grundsätze auf:<br />

Erziehung und Vorbereitung des Gefangenen auf den Wiedereintritt in das bürgerliche<br />

Leben als Vollzugsziel. 99<br />

Pflicht des Gefangenen zur Verrichtung von Arbeit, <strong>die</strong> ihm zugewiesen wird. Die<br />

Zuweisung der Arbeit soll nach Möglichkeit auf seine Fähigkeiten und seine spätere<br />

Erwerbstätigkeit ausgerichtet sein. 100<br />

Hinwirken darauf, dass das Unrecht, welches dem Geschädigten zugefügt wurde, wieder<br />

gutgemacht wird. 101<br />

Der so genannte Stufenvollzug: Einzelhaft – Gemeinschaftshaft – Übertritt in eine<br />

Entlassungsanwärterstation und/oder Beschäftigung ausserhalb der Strafanstalt –<br />

94<br />

95<br />

96<br />

97<br />

98<br />

99<br />

100<br />

101<br />

Surber, S. 40.<br />

SR 343.1.<br />

SR 343.2.<br />

SR 343.3.<br />

Rehberg, S. 16.<br />

Art. 37 Ziff. 1 Abs. 1 Satz 1 StGB.<br />

Art. 37 Ziff. 1 Abs. 2 StGB.<br />

Art. 37 Ziff. 1 Abs. 1 Satz 2 StGB.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 17<br />

bedingte Entlassung. 102<br />

Dazu kommt <strong>die</strong> stufenweise Gewährung von weiteren<br />

Vollzugserleichterungen, insbesondere von Urlauben. 103<br />

4.2.1 Resozialisierung<br />

Der Resozialisierungsauftrag stellt einen idealtypischen Auftrag an <strong>die</strong> Behörden und<br />

Vollzugseinrichtungen dar. Die Arbeitspflicht, <strong>die</strong> Wiedergutmachung sowie das Prinzip des<br />

Stufenvollzuges sind <strong>die</strong> gesetzgeberisch vorgesehenen Instrumente zur Umsetzung <strong>die</strong>ses<br />

Auftrags. Der Resozialisierungsauftrag kann und darf jedoch nicht als Selbstzweck verstanden<br />

werden. Obwohl er im StGB nicht ausdrücklich erwähnt wird, steht er klar im Kontext eines<br />

wesentlichen Zwecks unseres Strafsystems und des Strafrechts: Vermeidung von Kriminalität<br />

sowie Vermeidung von Rückfällen. Aus dem Resozialisierungsauftrag ist ein zentrales<br />

strafvollzugspolitisches Konzept erwachsen, nämlich <strong>die</strong> Normalisierung des Anstaltslebens.<br />

Darunter wird <strong>die</strong> Angleichung der Verhältnisse im Anstaltsalltag an jene ausserhalb der<br />

Anstalt verstanden, <strong>die</strong>s hat insbesondere durch <strong>die</strong> Schaffung realitätskonformer<br />

Anforderungen an <strong>die</strong> Gefangenen zu geschehen.<br />

Mit dem Resozialisierungsauftrag geht der Gesetzgeber grundsätzlich davon aus, dass<br />

Delinquenz im Wesentlichen eine Folge sozialer Desintegration des Täters ist und dass<br />

entsprechende Defizite aufgrund derer Lernfähigkeit behoben werden können. Delinquenz ist<br />

jedoch nicht ausschliesslich oder immer primär eine Folge mangelnder Eingliederung in <strong>die</strong><br />

Gesellschaft, <strong>die</strong> Ursachen sind weit unterschiedlicher und differenzierter. Die Tätergruppen<br />

sind in einem sehr unterschiedlichen Masse Wiedereingliederungsbemühungen zugänglich<br />

oder bedürftig. So ist z.B. bei Wirtschaftsstraftätern nicht <strong>die</strong> Frage mangelnder Sozialisation<br />

deliktursächlich. Des Weiteren gibt es gemeingefährliche Sexual- und Gewalttäter mit sehr<br />

hohem Rückfallpotenzial bei denen zwischen Resozialisierungsbemühungen und den<br />

Postulaten der öffentlichen Sicherheit sowie des Opferschutzes sorgfältig abgewogen werden<br />

muss. Ebenfalls zu einer Relativierung des Resozialisierungsauftrags führt der hohe<br />

Ausländeranteil in den Anstalten und Gefängnissen, zumal ein wesentlicher Teil <strong>die</strong>ser<br />

Insassen nach Verbüssung ihrer Freiheitsstrafen <strong>die</strong> Schweiz verlassen müssen. Der<br />

Resozialisierungsauftrag ist bei kurzen Freiheitsstrafen nur bedingt anwendbar. Es wurde<br />

verschiedentlich und auch zu Recht <strong>die</strong> kontraproduktive Wirkung kurzer Freiheitsstrafen<br />

kritisiert.<br />

In den letzten Jahren hat der Resozialisierungsauftrag eine differenziertere Ausprägung<br />

erhalten. So ist <strong>die</strong> Arbeit mit Straffälligen heute durch einen deliktspräventiven Fokus und<br />

102<br />

103<br />

Trechsel, Art. 37 N 4.<br />

Rehberg, S. 22.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 18<br />

durch Differenzierung geprägt, d.h. das Delikt ist zentrales Thema des Vollzuges und für <strong>die</strong><br />

unterschiedlichen Gruppen von Tätern werden mehr und mehr spezifische Vollzugsformen<br />

sowie Behandlungs- und Betreuungsinstrumente entwickelt. Die Betreuung und Behandlung<br />

von Tätern orientieren sich nach deren individuellem Bedarf an Ausbildung und Entwicklung<br />

sowie ihrem Rückfallpotenzial. Für Letzteres wurden in den letzen Jahren verschiedene<br />

Instrumente zur Gefährlichkeitsbeurteilung entwickelt. 104<br />

4.2.2 Arbeitspflicht<br />

Die Arbeit stellt einen Grundpfeiler für <strong>die</strong> gesellschaftliche Integration dar, weshalb das<br />

StGB auch vorschreibt, dass der Gefangene zur Arbeit verpflichtet ist, welche ihm<br />

zugewiesen wird. 105 Die zugewiesene Arbeit soll möglichst auf <strong>die</strong> Fähigkeiten und <strong>die</strong><br />

spätere Erwerbstätigkeit des Gefangenen ausgerichtet sein. Die Arbeitspflicht zielt v.a. auf <strong>die</strong><br />

Resozialisierung hin.<br />

In den schweizerischen Vollzugseinrichtungen besteht ein breites Angebot an Arbeits- und<br />

Ausbildungsmöglichkeiten in verschiedenen handwerklichen Gewerben, wie Schreinerei,<br />

Metallbau, Malerei usw. sowie in der Landwirtschaft, der Gärtnerei oder in anstaltsinternen<br />

Versorgungsbetrieben wie Küche, Bäckerei, Wäscherei, Hauswirtschaft und Verwaltung.<br />

Den in eine Vollzugsanstalt eingewiesenen Personen soll für <strong>die</strong> zugewiesene Arbeit ein<br />

Ver<strong>die</strong>nstanteil zukommen, dessen Höhe von den Kantonen bestimmt wird. 106 Dieses so<br />

genannte Pekulium wird während der Dauer des Strafvollzuges gutgeschrieben. Es soll dem<br />

Gefangenen ermöglichen, Artikel des täglichen Bedarfs zu kaufen und Ersparnisse für <strong>die</strong> Zeit<br />

nach seiner Entlassung zu bilden. 107 Ein Teil des Betrages geht auf ein Sperrkonto und wird<br />

für Aufwendungen des Gefangenen nach seiner Entlassung verwendet, der andere Teil wird<br />

ihm für Ausgaben während des Anstaltsaufenthalts zur Verfügung gestellt. 108<br />

Die Arbeitsleistung des Gefangenen kann jedoch nicht unmittelbar erzwungen werden. Ihre<br />

Verweigerung lässt sich aber durch den Entzug von Vergünstigungen ahnden und führt dazu,<br />

dass dem Gefangenen kein oder nur ein gekürzter Ver<strong>die</strong>nstanteil ausgerichtet wird. 109<br />

104<br />

105<br />

106<br />

107<br />

108<br />

109<br />

Rehberg, S. 22-24.<br />

Für Haftgefangene gilt das nur, wenn sie sich selbst keine angemessene Arbeit beschaffen; Art. 39 Ziff. 3<br />

Abs. 1 StGB.<br />

Art. 6 Abs. 1 VStGB (1).<br />

Nach BGE 106 IV 381 ist der Ver<strong>die</strong>nstanteil nur geschuldet, wenn der Gefangene produktive Arbeit leistet<br />

und sich gut führt.<br />

Art. 377 StGB, 378 StGB; Aus <strong>die</strong>sem frei verfügbaren Pekulium hat der Gefangene grundsätzlich auch ihm<br />

auferlegte Geldbussen zu bezahlen nach BGE 125 IV 235.<br />

Rehberg, S. 24-26.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 19<br />

4.2.3 Wiedergutmachung<br />

Mit Inkrafttreten des Opferhilfegesetzes per 1.1.1993 wurde <strong>die</strong> Wiedergutmachung als<br />

Vollzugsziel genannt. Sie lässt sich durch <strong>die</strong> Verwendung eines Teils des Ver<strong>die</strong>nstanteils<br />

für <strong>die</strong> Opfer oder gemeinnützige Organisationen oder durch <strong>die</strong> Leistung gemeinnütziger<br />

Arbeit erreichen. 110 Eine weitere Möglichkeit ist der Aufbau von Kontakten zwischen dem<br />

Gefangenen und seinem Opfer mit dem Ziel der Versöhnung, sofern das Opfer einwilligt. 111<br />

Im Bereiche der längeren Freiheitsstrafen wegen Sexual- oder Gewalttaten erscheint eine<br />

Zusammenführung von Täter und Opfer jedoch sehr problematisch und wird darum kaum<br />

durchgeführt. Auch <strong>die</strong> Möglichkeiten finanzieller Beiträge oder der Leistung freiwilliger<br />

Arbeitseinsätze für das Allgemeinwohl sind eingeschränkt, zumal <strong>die</strong> wenigsten Gefangenen<br />

über entsprechende finanzielle Verhältnisse verfügen und <strong>die</strong> Möglichkeiten der Bewegung<br />

ausserhalb der Vollzugseinrichtung begrenzt sind. 112<br />

Vor der materiell orientierten<br />

Wiedergutmachung sollte jedoch im Hinblick auf <strong>die</strong> Rückfallprävention <strong>die</strong> Förderung der<br />

Opferempathie durch Therapie und/oder verhaltensorientierte Betreuungs- und<br />

Behandlungsprogramme das vordringlichere Ziel sein. 113<br />

In der Praxis hat <strong>die</strong>ser Grundsatz allerdings noch wenig systematische Umsetzung erfahren.<br />

Die Strafanstalt Saxerriet im Kanton St.Gallen hat seit mehreren Jahren das Thema<br />

Wiedergutmachung in ihr Arbeitskonzept integriert und der Kanton <strong>Bern</strong> führt bis in das Jahr<br />

2003 den Modellversuch „Tataufarbeitung und Wiedergutmachung (TaWi) – <strong>Bern</strong>er Modell“<br />

durch. Die Thematik der Wiedergutmachung hat allerdings seit Beginn des <strong>Bern</strong>er<br />

Modellversuchs im Schweizerischen Strafvollzug zunehmend an Bedeutung gewonnen. In<br />

verschiedenen Kantonen und Vollzugsbereichen wurden seither Versuche lanciert. Die<br />

Caritas Luzern führte den Aufbau einer Scheune mit Eingewiesenen als Wiedergutmachung<br />

durch, <strong>die</strong> Strafanstalt Realta im Kanton Graubünden erarbeitet ein<br />

Wiedergutmachungskonzept und im Kanton Luzern gab es eine Interpellation betreffend<br />

Übertragbarkeit des <strong>Bern</strong>er TaWi-Modells. 114<br />

Im Folgenden wird kurz das Wiedergutmachungskonzept der Strafanstalt Saxerriet sowie <strong>die</strong><br />

Tataufarbeitung und Wiedergutmachung im Kanton <strong>Bern</strong> aufgezeigt.<br />

110<br />

111<br />

112<br />

113<br />

114<br />

Trechsel, Art. 37 N 1a.<br />

Rehberg, S. 26.<br />

Pless-Bächler, S. 71.<br />

Rehberg, S. 27.<br />

Amt für Freiheitsentzug und Betreuung, S. 35.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 20<br />

4.2.3.1 Wiedergutmachungskonzept in der Strafanstalt Saxerriet 115<br />

Ziel des Wiedergutmachungskonzeptes ist, den Insassen zu einer Einstellungsveränderung zu<br />

motivieren, eine Auseinandersetzung mit der Tat und deren Opferproblematik, Einfühlung in<br />

<strong>die</strong> Opfersituation, Einsicht in <strong>die</strong> Folgen der Tat sowie Bereitschaft zu materieller und<br />

immaterieller Wiedergutmachung.<br />

a) Immaterielle Wiedergutmachung<br />

Die WGM-Gespräche werden innerhalb von zwei Monaten nach Eintritt in <strong>die</strong> Strafanstalt<br />

durchgeführt und sind für jeden Insassen verbindlich. Entweder sind <strong>die</strong> WGM-<br />

Vergünstigungen nach einem entsprechenden Verlauf des Gesprächs zu empfehlen und<br />

angezeigt und der eingeleitete Prozess ist weiterzuführen und zu bearbeiten, oder das erste<br />

Gespräch zeigt deutlich, dass der Insasse dem WGM-Gedanken gegenüber kein Verständnis<br />

aufbringt und auch keine Bereitschaft, daran zu arbeiten und sich auf einen entsprechenden<br />

Prozess einzulassen.<br />

Die WGM-Gespräche werden in der Regel in einem Rhythmus von sechs Monaten 116<br />

durchgeführt, wobei überprüft wird, ob <strong>die</strong> WGM-Vergünstigungen noch gerechtfertigt sind<br />

und vom WGM-Konzept aus vertreten werden können. Der Gesprächsverlauf wird in einem<br />

Formular schriftlich festgehalten, welches bei der Entlassung des Insassen zum Insassen-<br />

Dossier kommt.<br />

b) Materielle Wiedergutmachung<br />

Der Insasse entscheidet halbjährlich im Gespräch mit dem WGM-Berater über <strong>die</strong><br />

Verwendung des WGM-Geldes. Falls er Schulden hat, kann er <strong>die</strong> Hälfte des WGM-Geldes<br />

zur Schuldensanierung verwenden. Ist der Insasse gemäss Urteil zu Zahlungen an das Opfer<br />

verpflichtet, so muss das WGM-Geld hierfür eingesetzt werden. Hat hingegen der Staat<br />

anstelle des Insassen Zahlungen an das Opfer getätigt, geht der WGM-Betrag an den Staat.<br />

Die materielle WGM berechtigt aber nur teilweise zu Vergünstigungen.<br />

c) Schuldensanierung<br />

Die Schuldensanierung muss eingeleitet werden und ist Bedingung für <strong>die</strong> Leistung der<br />

Gemeinnützigen Arbeit, für den Antritt der externen Arbeit sowie für den Antritt der<br />

Halbfreiheit. Der Insasse wird im Laufe der ersten drei Monate zu einem Gespräch mit dem<br />

Schuldensanierer verpflichtet.<br />

115<br />

116<br />

Aebi, Auskunft vom 11.9.2003.<br />

Die WGM-Berater können <strong>die</strong> Insassen auch ausserhalb der sechsmonatlichen Gespräche zu weiteren<br />

Sitzungen aufbieten, wenn <strong>die</strong>s angezeigt ist.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 21<br />

Vom Ver<strong>die</strong>nstanteil des Insassen wird ein bestimmter Betrag für <strong>die</strong> Wiedergutmachung<br />

bzw. für <strong>die</strong> Schuldensanierung eingesetzt: 10 % für <strong>die</strong> Wiedergutmachung plus Fr. 50.- pro<br />

Monat für <strong>die</strong> Schuldensanierung 117 , sodann kann der Insasse <strong>die</strong> Hälfte des<br />

Wiedergutmachungsgeldes zur Schuldensanierung verwenden.<br />

Der zuständige Sozialarbeiter wird laufend durch <strong>die</strong> Schuldensanierer über <strong>die</strong> Fälle<br />

informiert. Zeigt sich bei der Entlassung des Insassen aus der Anstalt, dass eine<br />

Schuldensanierung wegen einem zu hohen Schuldenbetrag nicht fortgesetzt werden kann, so<br />

bleibt <strong>die</strong> Insolvenzerklärung. Der Kontostand bei der Schuldensanierung kann in <strong>die</strong>sem Fall<br />

für <strong>die</strong> Vorschussleistung des Konkursverfahrens verwendet werden. Die Auszahlung <strong>die</strong>ser<br />

Gelder erfolgt ausschliesslich direkt an das Konkursamt bzw. <strong>die</strong> verfügende Stelle. Der Rest<br />

des Kontostandes muss aber an <strong>die</strong> Wiedergutmachung geleistet werden.<br />

Das „Konto für Schuldensanierung“ bildet eine Rückstellung zur Vorfinanzierung von<br />

Sanierungen. Die Schuldensanierer können daraus Vorschüsse in der Regel bis max. Fr.<br />

5‘000.- pro Fall beanspruchen.<br />

4.2.3.2 Tataufarbeitung und Wiedergutmachung (TaWi) – <strong>Bern</strong>er<br />

Modell<br />

Das Amt für Freiheitsentzug und Betreuung der Polizei- und Militärdirektion des Kantons<br />

<strong>Bern</strong> setzte nach verschiedenen Versuchen in den einzelnen bernischen Vollzugsinstitutionen<br />

einen Projektleiter ein und reichte beim Bundesamt für Justiz 1998 ein Beitragsgesuch für<br />

einen Modellversuch „Tataufarbeitung und Wiedergutmachung (TaWi) – <strong>Bern</strong>er Modell“ ein.<br />

1999 unterstützte <strong>die</strong> Sektion Straf- und Massnahmenvollzug des Bundesamts für Justiz<br />

zunächst einen ersten Projektteil in Form einer „Machbarkeitsstu<strong>die</strong>“. Aufgrund der positiven<br />

Ergebnisse bewilligten das Bundesamt für Justiz und der Regierungsrat des Kantons <strong>Bern</strong><br />

2000 den zweiten Teil des Modellversuchs, <strong>die</strong> „Umsetzungs- und Implementierungsphase“.<br />

Das <strong>Bern</strong>er TaWi-Modell bietet Straftätern im Straf- und in angepasster Form im<br />

Massnahmenvollzug sowie Betreuten der Bewährungshilfe ein professionelles Angebot, auf<br />

kognitiver und emotionaler Ebene ihre Taten und <strong>die</strong> Folgen aufzuarbeiten und dafür aktiv <strong>die</strong><br />

Verantwortung zu übernehmen. Dieses Angebot ist freiwillig und daher weder mit negativen<br />

noch mit positiven Anreizen verbunden. Sofern <strong>die</strong>s von den Opfern erwünscht wird, können<br />

eine Mediation und Wiedergutmachung angestrebt werden. Andernfalls sind substitutive<br />

Formen möglich, so z.B. eine Spende an eine Hilfsorganisation. Die Kontaktaufnahme zu<br />

Opfern sowie Mediationen werden von neutralen Fachpersonen durchgeführt.<br />

117<br />

Bei Halbfreiheit mindestens Fr. 250.- pro Monat.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 22<br />

Die Ergebnisse des Modellversuchs sind viel versprechend und legen nahe, Tataufarbeitung<br />

und Wiedergutmachung professionell im bernischen Straf- und Massnahmenvollzug<br />

fortzuführen. 118<br />

Frau Prof. Dr. Margit E. Oswald, welche an der wissenschaftlichen Begleitung und<br />

Evaluation des Modellprojekts beteiligt war, wurde um eine kurze persönliche Stellungnahme<br />

gebeten: Nach ursprünglichen Bedenken ist Frau Prof. Dr. Oswald heute der Auffassung, dass<br />

<strong>die</strong> Tataufarbeitung ein sehr wichtiger Prozess darstellt, wenn man mit Freiheitsstrafen nicht<br />

kontraproduktive Effekte erreichen möchte. Ohne Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme<br />

wird man <strong>die</strong> Strafe immer als ungerecht, bzw. sich selbst als Opfer wahrnehmen und <strong>die</strong>s ist<br />

nachgewiesenermassen nicht produktiv für <strong>die</strong> Prävention. Aus Geldgründen des Kantons<br />

wird jedoch nach Meinung von Frau Prof. Dr. Oswald das Projekt vermutlich nicht<br />

weitergeführt werden und falls doch, dann bestimmt nicht mit professionellen und externen<br />

TaWi-Beratern, wie <strong>die</strong>s notwendig wäre. 119<br />

4.2.4 Stufenvollzug<br />

Der Vollzug von Freiheitsstrafen von über drei Monaten basiert auf dem sog.<br />

Progressivsystem, das im vergangenen Jahrhundert in England und Irland entwickelt 120 und,<br />

in vereinfachter Form, zunehmend auch in der Schweiz eingeführt wurde. Der Gefangene soll<br />

nach dem Grundgedanken des Stufenvollzuges über mehrere Schritte durch allmähliche<br />

Übernahme von immer mehr Eigenverantwortung (re)sozialisiert werden, d.h. an <strong>die</strong> soziale<br />

Wirklichkeit in Freiheit herangeführt und auf den Wiedereintritt in das bürgerliche Leben<br />

vorbereitet werden. Zu <strong>die</strong>sem Zweck hat der Gefangene vier Stufen zu durchlaufen:<br />

Einzelhaft, Gemeinschaftshaft, Halbfreiheit und bedingte Entlassung. Neben <strong>die</strong>sen<br />

bundesrechtlich vorgeschriebenen Phasen können <strong>die</strong> Kantone auch weitere Erleichterungen<br />

des Vollzuges gewähren. Der Übertritt von einer Stufe in <strong>die</strong> nächste sowie <strong>die</strong> Gewährung<br />

von Vollzugserleichterungen hängen zum Grossteil vom Wohlverhalten des Inhaftierten ab.<br />

Den Behörden kommt bei der Beurteilung desselben ein weites Ermessen zu. Die relativ<br />

flexible Ordnung ist sinnvoll, denn sie erlaubt es, möglichst individuell auf <strong>die</strong> Entwicklung<br />

jedes einzelnen Gefangenen einzugehen. Sie bringt allerdings auch <strong>die</strong> Gefahr der<br />

Rechtsungleichheit und der Willkür mit sich. Im Vollzugsalltag besteht <strong>die</strong> Gefahr einer allzu<br />

mechanischen Anwendung der Regelung. Über<strong>die</strong>s werden Erfolge im Wohlverhalten und in<br />

118<br />

119<br />

120<br />

Amt für Freiheitsentzug und Betreuung, S. iv.<br />

Oswald, Auskunft vom 6.8.2002.<br />

Kaiser/Kerner/Schöch, S. 42; Laubenthal, N 103.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 23<br />

der Anpassung an <strong>die</strong> Realität des Vollzuges nur zu leicht mit erfolgreicher Resozialisierung<br />

verwechselt. Das System ist daher von Kritik nicht verschont geblieben. 121<br />

4.2.4.1 Einzelhaft<br />

Die erste Stufe stellt <strong>die</strong> Einzelhaft dar. Der Gefangene verbringt in <strong>die</strong>ser Stufe sowohl seine<br />

Ruhe- als auch seine Arbeits- und Freizeit alleine in der Zelle. Die Dauer der Einzelhaft wird<br />

vom Gesetz zeitlich nicht fixiert. In <strong>die</strong>ser Zeit werden in der Regel <strong>die</strong> für <strong>die</strong><br />

Vollzugsplanung erforderlichen Abklärungen getroffen, so u.a. <strong>die</strong> Abklärung der Fähigkeiten<br />

oder des Ausbildungsbedarfs. Auf <strong>die</strong> Einzelhaft kann mit Rücksicht auf den körperlichen<br />

oder geistigen Zustand des Gefangenen verzichtet werden. Auch eine Rückversetzung in <strong>die</strong><br />

Einzelhaft ist möglich.<br />

In der Praxis wird <strong>die</strong>se Form der strikten Einzelhaft jedoch kaum oder nur noch für sehr<br />

kurze Zeit vollzogen. 122 Die Strafanstalt Pöschwies verfügt beispielsweise über eine so<br />

genannte Eintrittsabteilung, welche vom übrigen Anstaltsbetrieb abgetrennt ist, in welcher <strong>die</strong><br />

Gefangenen nur <strong>die</strong> Ruhe- und teilweise <strong>die</strong> Freizeit alleine verbringen. 123<br />

4.2.4.2 Gemeinschaftshaft<br />

Den Normalfall der Unterbringung von Gefangenen im Strafvollzug, stellt <strong>die</strong><br />

Gemeinschaftshaft dar, welche vom Gesetz stillschweigend vorgesehen ist. Der Gefangene<br />

verbringt seine Ruhezeit allein in seiner Zelle, Arbeit und Freizeitgestaltung hingegen<br />

erfolgen gemeinsam mit anderen Gefangenen. 124<br />

4.2.4.3 Urlaube und andere Vollzugslockerungen 125<br />

a) Urlaube<br />

Der erste Schritt zur Vollzugslockerung ist <strong>die</strong> Gewährung von Urlauben. Urlaube sind zwar<br />

im StGB nicht ausdrücklich vorgesehen, werden aber von den Kantonen aus dem<br />

Resozialisierungszweck des Strafvollzuges abgeleitet. Die Voraussetzungen für <strong>die</strong><br />

Gewährung von Urlauben wurden von den Kantonen auf dem Boden der drei<br />

Vollzugskonkordate geregelt.<br />

121<br />

122<br />

123<br />

124<br />

125<br />

Surber, S. 56.<br />

Rehberg, S. 28.<br />

§ 5 Hausordnung Strafanstalt Pöschwies.<br />

Stratenwerth, AT II, § 3 N 33.<br />

Rehberg, S. 28-29.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 24<br />

b) Versetzung in den offenen Vollzug<br />

Sofern ein Gefangener seine Strafe nicht im offenen Vollzug antreten konnte, bedeutet eine<br />

Versetzung aus einer geschlossenen Anstalt in eine halboffene oder offene Anstalt eine<br />

wesentliche Vollzugslockerung.<br />

c) Externe Beschäftigung<br />

Im Rahmen der Aufträge der anstaltseigenen Gewerbebetriebe oder zum Besuch einer<br />

Ausbildungsstätte kann dem Gefangenen erlaubt werden, ausserhalb der Anstalt einer<br />

Beschäftigung nachzugehen oder auch Kurse zu besuchen.<br />

4.2.4.4 Halbfreiheit<br />

Die dritte Stufe stellt <strong>die</strong> Halbfreiheit dar. Gefangene, welche mindestens <strong>die</strong> Hälfte der<br />

Strafzeit verbüsst, bei lebenslanger Zuchthausstrafe mindestens zehn Jahre, und sich bewährt<br />

haben, können in freier geführte Anstalten 126 oder Anstaltsabteilungen eingewiesen oder auch<br />

ausserhalb der Strafanstalten beschäftigt werden. Gemein- und fluchtgefährliche Gefangene<br />

sind von <strong>die</strong>sem Privileg jedoch auszuschliessen. Die Halbfreiheit soll dem Gefangenen mit<br />

einer längeren Freiheitsstrafe den späteren Übergang vom Anstaltsleben in <strong>die</strong> Freiheit<br />

erleichtern und es ihm ermöglichen, sich wieder in den bürgerlichen Alltag einzugewöhnen.<br />

Er soll dadurch in <strong>die</strong> Lage versetzt werden, auf den Zeitpunkt seiner Entlassung hin seine<br />

Arbeits- und Wohnsituation zu regeln und auch gewisse finanzielle Mittel anzusparen.<br />

Gefangene, welche ausserhalb der Strafanstalt beschäftigt werden, arbeiteten aufgrund eines<br />

von ihnen selbst abgeschlossenen Arbeitsvertrages ohne Beaufsichtigung durch das Personal<br />

der Anstalt in einem Betrieb, der nicht zur Anstalt gehört. Empfänger des Lohns ist der<br />

Gefangene selbst. Dieser wird aber allenfalls von der Vollzugseinrichtung verwaltet und der<br />

Gefangene hat aus ihm ein Kostgeld zu leisten. 127<br />

4.2.4.5 Bedingte Entlassung<br />

Die vierte und letzte Etappe des Stufenvollzuges lässt sich als bedingten Verzicht auf den<br />

Vollzug eines Teils der ausgesprochenen Strafe charakterisieren. Sie <strong>die</strong>nt spezialpräventiven<br />

Zwecken, indem sie dem Verurteilten Gelegenheit gibt, sich während einer Probezeit in<br />

Freiheit zu bewähren und wieder in <strong>die</strong> Gesellschaft einzuordnen. 128<br />

Auf <strong>die</strong> bedingte Entlassung wird im fünften Kapitel ausführlicher eingegangen.<br />

126<br />

127<br />

128<br />

Z.B. offene Anstalten, Übergangsheime, Entlassungsanwärterstationen.<br />

Surber, S. 58-59.<br />

BGE 103 Ib 25; BGE 124 IV 198.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 25<br />

4.3 Vollzugsanstalten für Freiheitsstrafen<br />

4.3.1 Allgemeines<br />

In der Schweiz existieren rund 170 Anstalten, <strong>die</strong> Strafen und strafrechtliche Sanktionen<br />

vollziehen. Die meisten <strong>die</strong>nen allerdings als lokale Einrichtungen lediglich der<br />

Untersuchungshaft, der Halbgefangenschaft und dem Vollzug kurzer Strafen. Für längere<br />

Strafen und Massnahmen hingegen stehen rund zwei Dutzend mittlere bis grössere<br />

Institutionen zur Verfügung. Die Mehrheit <strong>die</strong>ser Anstalten hat weniger als 100 Plätze, <strong>die</strong><br />

übrigen zwischen 100 und 200 Plätze. Die Strafanstalt Pöschwies mit ihren Zweigbetrieben<br />

Ringwil und Haus Lägern ist mit insgesamt 466 Plätzen <strong>die</strong> grösste Strafanstalt der<br />

Schweiz. 129<br />

Verschiedene Normen des StGB schreiben den Kantonen vor, welche Anstaltstypen sie zur<br />

Verfügung stellen müssen. Die Kantone haben auch <strong>die</strong> Möglichkeit, Anstalten gemeinsam zu<br />

errichten oder zu betreiben sowie für bestimmte Anstaltstypen private Institutionen<br />

zuzulassen. Des Weiteren dürfen <strong>die</strong> Kantone <strong>die</strong> bundesrechtlich vorgeschriebenen<br />

Anstaltstypen weiter differenzieren. 130<br />

4.3.2 Anstalten für kurze Freiheitsstrafen<br />

Nach Art. 39 Ziff. 2 StGB sollen <strong>die</strong> kurzfristigen Strafen, d.h. <strong>die</strong> Haft- oder Gefängnisstrafe<br />

bis zu drei Monaten, in einer besonderen Anstalt vollzogen werden, jedenfalls aber nicht in<br />

Räumen, <strong>die</strong> dem Vollzug anderer Freiheitsstrafen oder Massnahmen <strong>die</strong>nen. Die Gefahr<br />

krimineller Ansteckung durch notorische Übeltäter, welche sich schwerwiegende Taten haben<br />

zuschulden kommen lassen, soll dadurch abgewendet werden. 131<br />

Es existieren in der Praxis allerdings kaum Vollzugseinrichtungen, welche einzig für <strong>die</strong>se<br />

Kategorie Verurteilter zur Verfügung stünden. Heute verbüsst ein wesentlicher Teil der zu<br />

Strafen bis zu drei Monaten Verurteilter ihre Strafe in Halbgefangenschaft oder mit<br />

gemeinnütziger Arbeit. Auch das Electronic Monitoring zielt unter anderem auf <strong>die</strong>se<br />

Verurteilten. Praktisch werden daher kurzfristige Freiheitsstrafen, sofern sie mittels<br />

Freiheitsentzug vollzogen werden, mehrheitlich in Gefängnissen durchgeführt. 132<br />

129<br />

130<br />

131<br />

132<br />

Rehberg, S. 42.<br />

Art. 39 Ziff. 2 StGB, Art. 37 Ziff. 2 StGB, Art. 382-384 StGB.<br />

Trechsel, Art. 37 N 5.<br />

Rehberg, S. 42-43.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 26<br />

4.3.3 Anstalten für langfristige Freiheitsstrafen<br />

Der Vollzug von Zuchthaus- und Gefängnisstrafen unterliegt seit der Teilrevision von 1971<br />

denselben Regeln, d.h. er kann in der gleichen Anstalt vollzogen werden. 133 In Art. 37 Ziff. 2<br />

StGB hat der Gesetzgeber <strong>die</strong> Unterscheidung zwischen Anstalten für Erstmalige und<br />

Anstalten für Rückfällige getroffen. Diese Trennung der Anstalten für Erstmalige und<br />

Rückfällige soll „kriminelle Infektion“ verhüten, doch stellt <strong>die</strong>se These eine unbewiesene,<br />

den Vollzugserfahrungen und heutigen kriminologischen Lehre widersprechende Theorie<br />

dar. 134<br />

4.3.3.1 Anstalt für Erstmalige<br />

In eine Vollzugseinrichtung für Erstmalige kann nur eingewiesen werden, wer weder<br />

innerhalb von fünf Jahren vor der Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verbüsst<br />

hat, noch vor beliebig langer Zeit nach Art. 42 StGB als Gewohnheitsverbrecher verwahrt<br />

oder als besonders gefährlicher oder schwererziehbarer Jugendlicher nach Art. 91 Ziff. 2<br />

StGB in ein Erziehungsheim eingewiesen worden ist. Ausnahmsweise kann ein Verurteilter,<br />

der als rückfällig gilt, in eine Anstalt für Erstmalige eingewiesen werden, wenn <strong>die</strong>s<br />

notwendig erscheint sowie dem erzieherischen Zweck der Strafe entspricht. 135<br />

4.3.3.2 Anstalt für Rückfällige<br />

In eine Anstalt für Rückfällige werden jene Täter eingewiesen, welche <strong>die</strong> Voraussetzungen<br />

für erstmalige Täter nicht erfüllen. Doch auch ein Erstmaliger kann in eine Anstalt für<br />

Rückfällige eingewiesen werden, falls besondere Umstände wie Gemeingefährlichkeit,<br />

ernsthafte Fluchtgefahr oder erhöhte Gefahr der Verleitung anderer zu Delikten vorliegen. 136<br />

4.3.3.3 Kritik<br />

Die vom Gesetzgeber gewählte Unterscheidung hat sich jedoch in der Praxis als nicht<br />

zweckmässig erwiesen. Die Einweisung in eine der Anstaltskategorien erfolgt nicht in erster<br />

Linie oder allein aufgrund des Kriteriums „erstmalig“ oder „rückfällig“, sondern aufgrund<br />

einer Einschätzung des Rückfallpotenzials, der Fluchtgefahr, in Berücksichtigung der<br />

Strafdauer und der Schwere der Tat.<br />

Einerseits werden erstmalige Täter mit schweren Delikten oder mit sehr langen Strafen in<br />

aller Regel zumindest für eine erste Phase des Vollzuges in den geschlossenen Vollzug<br />

133<br />

134<br />

135<br />

136<br />

Trechsel, Art. 35 N 1, N 5.<br />

Surber, S. 78.<br />

Art. 37 Ziff. 2 StGB.<br />

Art. 37 Ziff. 2 StGB.


4. Die gesetzliche Regelung des Vollzuges 27<br />

eingewiesen. Andererseits gelten Ausländer ohne Aufenthaltsberechtigung meist als<br />

fluchtgefährlich und werden deshalb regelmässig, trotz erstmaliger Delinquenz, in einer<br />

geschlossenen Anstalt untergebracht. Umgekehrt werden auch Rückfällige ohne Flucht- oder<br />

Gemeingefahr in offenen Anstalten untergebracht. Die Unterscheidung zwischen offenen und<br />

geschlossenen Anstalten ist somit aussagekräftiger und entspricht insbesondere der<br />

Realität. 137<br />

4.3.4 Vollzugseinrichtungen für Halbfreiheit<br />

Gefangene, welche mindestens <strong>die</strong> Hälfte der Strafzeit verbüsst haben, bei <strong>lebenslängliche</strong>m<br />

Zuchthaus zehn Jahre, und sich über<strong>die</strong>s bewährt haben, können in freier geführte Anstalten<br />

oder Anstaltsabteilungen eingewiesen oder auch ausserhalb der Anstalt beschäftigt werden.<br />

Mit der Beschäftigung ausserhalb der Anstalt ist <strong>die</strong> Vollzugsstufe der Halbfreiheit gemeint.<br />

Das Institut der freier geführten Anstalt oder Anstaltsabteilung 138 hat in der Praxis wenig<br />

eigenständige Bedeutung erlangt angesichts des differenzierten Stufenvollzuges. Die meisten<br />

Strafanstalten führen entsprechende Abteilungen 139 . Dazu kommen einige Wohnheime,<br />

welche von privaten Organisationen betrieben werden. 140<br />

137<br />

138<br />

139<br />

140<br />

Rehberg, S. 44.<br />

Auch Entlassungsanwärterstation.<br />

So z.B. <strong>die</strong> Strafanstalt Pöschwies mit der Kolonie Ringwil.<br />

Rehberg, S. 45.


5. Die Beendigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 28<br />

5. Die Beendigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe<br />

5.1 Bedingte Entlassung<br />

Die bedingte Entlassung ist nicht primär eine Wohltat für den Strafgefangenen, sondern <strong>die</strong><br />

vierte Stufe des Strafvollzuges. 141<br />

5.1.1 Voraussetzungen<br />

Für <strong>die</strong> bedingte Entlassung müssen zwei Drittel der Strafe, mindestens aber drei Monate,<br />

verbüsst worden sein. Bei der <strong>lebenslängliche</strong>n Zuchthausstrafe müssen 15 Jahre erstanden<br />

worden sein. 142<br />

Die dem Verurteilten angerechnete Untersuchungshaft ist bei der<br />

Fristberechnung mitzuzählen. 143 Sodann sind mehrere, gemeinsam zu vollziehende Strafen<br />

zusammenzurechnen. 144<br />

Das Verhalten des Gefangenen während des Strafvollzuges darf jedoch nicht gegen eine<br />

Entlassung sprechen. Das Bundesgericht neigt indessen neuerdings dazu, das Verhalten<br />

während des Vollzuges nicht mehr als selbständiges Entscheidungskriterium zu betrachten,<br />

sondern als Umstand, der bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist. 145 Es muss<br />

anzunehmen sein, dass sich der Gefangene in der Freiheit bewähren wird, wobei es hierfür<br />

ausreicht, dass vernünftigerweise erwartet werden kann, der Bestrafte werde sich in Zukunft<br />

bewähren. 146 Eine entsprechende Überzeugung der Behörde ist allerdings nicht<br />

erforderlich. 147 Die Prognose soll aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände beurteilt<br />

werden, wobei das Vorleben, <strong>die</strong> Täterpersönlichkeit, das deliktische und sonstige Verhalten<br />

sowie <strong>die</strong> voraussichtlichen Lebensverhältnisse zu berücksichtigen sind. 148 Demjenigen, der<br />

erstmals eine Strafe verbüsst, wird man in der Regel eine Chance geben, selbst wenn er nur<br />

vage Zukunftspläne hat. 149 Bei Ausländern ist eine gewisse Zurückhaltung zulässig, vor allem<br />

wenn es sich um sog. „Kriminaltouristen“ handelt. 150 Bei Rückfälligen werden an <strong>die</strong> günstige<br />

Prognose höherer Anforderungen gestellt. 151<br />

141<br />

142<br />

143<br />

144<br />

145<br />

146<br />

147<br />

148<br />

149<br />

150<br />

151<br />

Trechsel, Art. 38 N 1.<br />

Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB.<br />

BGE 110 IV 67.<br />

Art. 2 Abs. 5 VStGB (1).<br />

BGE 124 IV 195.<br />

Rehberg, S. 31.<br />

BGE 98 Ib 106.<br />

BGE 124 IV 194.<br />

BGE 98 Ib 108.<br />

BGE 101 Ib 153.<br />

Trechsel, Art. 38 N 8.


5. Die Beendigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 29<br />

Die bedingte Entlassung ist nach Auffassung des Bundesgerichts <strong>die</strong> Regel, von welcher nur<br />

aus guten Gründen abgewichen werden kann. 152<br />

5.1.2 Verfahren<br />

Über <strong>die</strong> bedingte Entlassung entscheidet, den Kanton Thurgau ausgenommen, nicht der<br />

Richter, sondern <strong>die</strong> zuständige Vollzugsbehörde des Urteilskantons, sofern <strong>die</strong> hierfür<br />

erforderlichen zeitlichen Bedingungen eingetreten sind. 153<br />

Die Prüfung der weiteren<br />

Voraussetzungen erfolgt von Amtes wegen, da <strong>die</strong> bedingte Entlassung eine Vollzugsstufe<br />

darstellt und daher vom Gefangenen nicht abgelehnt werden kann. Für den Entscheid ist als<br />

Grundlage ein Bericht der Anstaltsleitung einzuholen. Die Behörde muss den Betroffenen<br />

stets anhören 154 , es sei denn dem Gesuch kann ohne weiteres entsprochen werden. Der<br />

Entscheid der Behörde ist zu begründen. 155<br />

5.1.3 Probezeit, Schutzaufsicht und Weisungen<br />

Dem bedingt Entlassenen ist eine Probezeit zwischen einem und fünf Jahren anzusetzen. Bei<br />

<strong>lebenslängliche</strong>r Zuchthausstrafe beträgt <strong>die</strong> Probezeit jedoch obligatorisch stets fünf Jahre.<br />

Während <strong>die</strong>ser Zeit kann der Entlassene unter Schutzaufsicht gestellt werden. 156 Diese soll<br />

dem Betroffenen vor allem eine Hilfe sein, weshalb ihre Anordnung in weitem Umfang<br />

zulässig ist. 157 Des Weiteren besteht <strong>die</strong> Möglichkeit, dem bedingt Entlassenen Weisungen<br />

über sein Verhalten während der Probezeit zu erteilen. Das Gesetz nennt als Beispiele<br />

Auflagen über Berufsausübung, Aufenthalt, ärztliche Betreuung, Verzicht auf alkoholische<br />

Getränke und Schadensdeckung. 158 Für das Gelingen der bedingten Entlassung ist es wichtig,<br />

dass sie gut vorbereitet und mit einer intensiven Betreuung 159 verbunden wird. 160<br />

5.1.4 Bewährung und Widerruf<br />

Wenn sich der Entlassene bis zum Ablauf der Probezeit bewährt, wird er endgültig entlassen.<br />

Der wichtigste Grund für einen Widerruf der bedingten Entlassung liegt in der Verübung<br />

einer oder mehrerer Straftaten währen der Probezeit. Die Rückversetzung ist dann zwingend,<br />

wenn der Entlassene zu einer drei Monate übersteigenden und unbedingt zu vollziehenden<br />

152<br />

153<br />

154<br />

155<br />

156<br />

157<br />

158<br />

159<br />

160<br />

BGE 119 IV 8.<br />

Schultz, Band II, S. 147.<br />

Auch das Recht auf Akteneinsicht ist eingeschlossen.<br />

Trechsel, Art. 38 N 10-12; Art. 38 Ziff. 1 Abs. 3 StGB.<br />

Art. 38 Ziff. 2 StGB.<br />

BGE 118 IV 219.<br />

Art. 38 Ziff. 3 StGB.<br />

Vgl. dazu den in verschiedenen kantonalen Regelungen festgelegten „Grundsatz der durchgehenden<br />

Fürsorge“.<br />

Rehberg, S. 34.


5. Die Beendigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 30<br />

Freiheitsstrafe verurteilt wird. Bei der Verurteilung zu einer milderen bzw. einer bedingten<br />

Strafe kann <strong>die</strong> zuständige Behörde jedoch von der Rückversetzung Umgang nehmen. Des<br />

Weiteren sieht das Gesetz den Widerruf auch dann vor, wenn der Entlassene trotz förmlicher<br />

Mahnung der zuständigen Behörde einer ihm erteilten Weisung schuldhaft 161 zuwiderhandelt,<br />

sich beharrlich der Schutzaufsicht entzieht oder in anderer Weise das auf ihn gesetzte<br />

Vertrauen täuscht. In „leichten Fällen“ kann allerdings eine Rückversetzung unterbleiben.<br />

Sieht <strong>die</strong> Behörde vom Widerruf ab, so hat sie sog. Ersatzmassnahmen zu treffen, nämlich<br />

den Entlassenen zu verwarnen, ihm weitere Weisungen zu erteilen oder <strong>die</strong> Probezeit um<br />

höchstens <strong>die</strong> Hälfte der festgesetzten Dauer zu verlängern.<br />

Wie bei einer Rückversetzung zu verfahren ist, bleibt dem kantonalen Recht überlassen, doch<br />

hat der Betroffene jedenfalls einen Anspruch auf rechtliches Gehör 162 , auch dann, wenn <strong>die</strong><br />

Rückversetzung zwingend vorgeschrieben ist. Wird der Verurteilte schon während des<br />

Rückversetzungsverfahrens in Haft gesetzt, ist <strong>die</strong>se Zeit auf den Strafrest anzurechen. Der<br />

Vollzug der Reststrafe kann allerdings nicht mehr angeordnet werden, wenn seit Ablauf der<br />

Probezeit fünf Jahre vergangen sind. 163<br />

5.1.5 Rechtsmittel<br />

Sämtliche letztinstanzlichen kantonalen Entscheidungen, welche im Zusammenhang mit der<br />

bedingten Entlassung getroffen werden, unterliegen grundsätzlich der<br />

Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht gemäss Art. 98 lit. g OG. 164<br />

Beschwerderecht steht allein dem Betroffenen zu. 165<br />

5.2 Begnadigung<br />

Unter Begnadigung versteht man den teilweisen oder bedingten Verzicht auf Vollstreckung<br />

einer vollstreckbaren Strafe, welcher von einer nichtrichterlichen Behörde nach Billigkeit<br />

ausgesprochen wird. 166 Die Begnadigung lässt das ausgefällte Urteil als solches bestehen und<br />

betrifft lediglich seinen Vollzug. 167<br />

Das Begnadigungsgesuch kann vom Verurteilten selbst, von seinem gesetzlichen Vertreter<br />

und, mit Einwilligung des Verurteilten, von seinem Verteidiger oder von seinem Ehegatten<br />

gestellt werden. Bei politischen Delikten steht <strong>die</strong> Einleitung des Verfahrens ebenfalls dem<br />

Das<br />

161<br />

162<br />

163<br />

164<br />

165<br />

166<br />

167<br />

BGE 100 IV 197.<br />

BGE 98 Ib 175.<br />

Art. 38 StGB.<br />

Stratenwerth, AT II, § 3 N 90.<br />

BGE 101 Ib 454.<br />

Trechsel, Vor Art. 349 N 1.<br />

BGE 80 IV 11.


31<br />

Bundesrat oder der Kantonsregierung zu. 168 Zuständig für seine Behandlung ist bei Urteilen<br />

eidgenössischer Instanzen <strong>die</strong> Bundesversammlung, bei Urteilen kantonaler Gerichte <strong>die</strong><br />

Begnadigungsbehörde des Urteilskantons. 169<br />

Die materiellen Voraussetzungen der Begnadigung sind nirgends vorgeschrieben und lassen<br />

sich der Natur der Begnadigung nach auch nicht gesetzlich regeln. 170 Gründe für <strong>die</strong><br />

Begnadigung können sein: das Vorliegen einer Gesetzeshärte, <strong>die</strong> ausnahmsweise Korrektur<br />

eines Fehlurteils 171 , eine einschneidende Veränderung in den persönlichen Verhältnissen des<br />

Betroffenen, <strong>die</strong> Änderung rechtlicher Voraussetzungen usw. 172 Das Vorliegen eines Grundes<br />

genügt aber noch nicht, der Betroffene muss auch „begnadigungswürdig“ sein, d.h.<br />

grundsätzlich eine rechtstreue Gesinnung zeigen und nicht liederlich oder arbeitsscheu sein. 173<br />

Da <strong>die</strong> Begnadigung dem freien Ermessen der zuständigen Behörde unterliegt, brauchen<br />

deren Entscheide nicht begründet zu werden und lassen sich auch nicht durch eidgenössische<br />

Rechtsmittel anfechten. 174 Wenn jedoch der Anspruch des Verurteilten auf Entgegennahme<br />

und Behandlung eines Begnadigungsgesuchs missachtet wird, besteht <strong>die</strong> Möglichkeit eines<br />

solchen Rechtsmittels. 175<br />

Die Begnadigung für Lebenslängliche hat seit der Einführung des Schweizerischen<br />

Strafgesetzbuches ihre Bedeutung verloren. Mit der bedingten Entlassung wurde der<br />

Höchststrafe das Zeitlose genommen. Die Begnadigung ist seither nicht mehr <strong>die</strong> einzige<br />

Chance, dass der Gefangene seine Freiheit wiedererlangt. 176 Eine bedingte Entlassung macht<br />

<strong>die</strong> Begnadigung gegenstandslos. 177<br />

168<br />

169<br />

170<br />

171<br />

172<br />

173<br />

174<br />

175<br />

176<br />

177<br />

Art. 395 Ziff. 1-2 StGB.<br />

Art. 394 StGB.<br />

BGE 107 Ia 105.<br />

Eine Ausnahme für krasse Fehlurteile kennt z.B. <strong>die</strong> Praxis von Basel-Stadt.<br />

Pless-Bächler, S. 34.<br />

Trechsel, Vor Art. 394 N 2.<br />

BGE 107 Ia 106.<br />

BGE 106 Ia 132.<br />

Pless-Bächler, S. 35.<br />

BGE 117 Ia 86.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 32<br />

6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis<br />

6.1 Statistik der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 178<br />

Im Folgenden wird lediglich auf das Strafgesetzbuch eingegangen. Die Tatbestände des<br />

Atomgesetzes 179 sowie des Militärstrafgesetzes 180 , welche ebenfalls <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong><br />

Freiheitsstrafe vorsehen, sind seit 1984 nicht mehr vorgekommen und werden hier deshalb<br />

nicht behandelt.<br />

6.1.1 Häufigkeit<br />

Nach dem StGB kann beim Tatbestand des Mordes 181 , der Geiselnahme 182 und bei Angriffen<br />

auf <strong>die</strong> Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft 183<br />

<strong>lebenslängliche</strong>s Zuchthaus verhängt<br />

werden. In den Jahren 1991 bis 2001 gab es insgesamt 191 Morde und 4 Geiselnahmen, aber<br />

keinen Angriff auf <strong>die</strong> Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft. Im Jahresdurchschnitt ergibt<br />

<strong>die</strong>s ungefähr 17,7 Delikte, bei denen <strong>die</strong> Strafdrohung, alternativ oder fakultativ,<br />

lebenslänglich ist.<br />

Von <strong>die</strong>sen 195 verübten Delikten wurden lediglich 23 Personen zu lebenslänglich verurteilt.<br />

Im Jahresdurchschnitt ergibt <strong>die</strong>s ungefähr 2 Personen, <strong>die</strong> zu lebenslänglich verurteilt<br />

wurden.<br />

Anzahl<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001<br />

Jahr<br />

Art. 112 StGB Art. 185 Ziff. 3 StGB Art. 266 Ziff. 2 Abs. 2 StGB<br />

Abbildung 1: Anzahl Verurteilungen bei Mord, Geiselnahme und Angriffen auf <strong>die</strong> Unabhängigkeit der<br />

Eidgenossenschaft 1991-2001<br />

178<br />

179<br />

180<br />

181<br />

182<br />

183<br />

Laubscher, Auskunft vom 19.9.2003.<br />

Art. 29 Ziff. 1 Abs. 2 AtG.<br />

Art. 61 Ziff. 2 MStG, Art. 63 Ziff. 2 MStG, Art. 76 Ziff. 3 MStG, Art. 86 Ziff. 2 MStG, Art. 87 Ziff. 3<br />

MStG, Art. 91 Ziff. 2 MStG, Art. 116 Ziff. 1 MStG, Art. 151 c Ziff. 3 MStG.<br />

Art. 112 StGB.<br />

Art. 185 Ziff. 3 StGB.<br />

Art. 266 Ziff. 2 Abs. 2 StGB.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 33<br />

Anzahl<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001<br />

Jahr<br />

Art. 112 StGB Art. 185 Ziff. 3 StGB Art. 266 Ziff. 2 Abs. 2 StGB<br />

Abbildung 2: Anzahl <strong>lebenslängliche</strong> Verurteilungen bei Mord, Geiselnahme und Angriffen auf <strong>die</strong><br />

Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft 1991-2001<br />

Da es in den Jahren 1991-2001 lediglich beim Tatbestand des Mordes zu <strong>lebenslängliche</strong>n<br />

Verurteilungen gekommen ist, werden <strong>die</strong> Geiselnahme sowie <strong>die</strong> Angriffe auf <strong>die</strong><br />

Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft im Folgenden nicht weiter behandelt.<br />

6.1.2 Austrittsgründe und durchschnittliche Dauer<br />

Die lebenslange Freiheitsstrafe kann auf drei Arten beendet werden: durch den Tod des<br />

Inhaftierten, durch <strong>die</strong> bedingte Entlassung oder durch <strong>die</strong> Begnadigung. 184<br />

In den Jahren 1991 bis 2001 hat es laut Bundesamt für Statistik 13 bedingte Entlassungen,<br />

jedoch keine Begnadigungen gegeben. Das Bundesamt für Statistik erfasst alle Todesfälle,<br />

welche ihm <strong>die</strong> Gefängnisse melden. In <strong>die</strong>ser Zeitperiode erhielt es jedoch keine Meldung<br />

über Lebenslängliche, <strong>die</strong> gestorben sind.<br />

Weitere Austrittsgründe können Strafverbüssung, Strafunterbruch sowie eine Entweichung<br />

sein. Werden <strong>die</strong> Insassen in eine Institution ausserhalb des Straf- und<br />

Massnahmenvollzuges 185 transferiert, so werden sie in der Statistik mit „Strafe verbüsst“ aus<br />

dem Vollzug entlassen, da das Bundesamt für Statistik keine Meldungen von solchen<br />

Institutionen mehr erhält 186 . Beim Strafunterbruch wurde das Verfahren neu aufgerollt und<br />

während <strong>die</strong>ser Zeit wurde <strong>die</strong> Strafe unterbrochen 187 . Bei einer Entweichung sind Personen<br />

aus dem Gefängnis geflohen und nicht wieder gefasst worden.<br />

184<br />

185<br />

186<br />

187<br />

Pless-Bächler, 1993, S. 45.<br />

Z.B. Heime, psychiatrische Anstalten, Spitäler usw.<br />

Die Aufenthaltsdauer entspricht daher nicht der effektiven Dauer.<br />

Dieses Urteil dürfte eigentlich nicht in der Statistik erscheinen, da bei der Revision ein Freispruch<br />

gesprochen wurde. Dies wurde dem Bundesamt für Statistik jedoch nicht gemeldet.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 34<br />

Die durchschnittliche effektive Dauer 188 der lebenslangen Freiheitsstrafe bei den 13 Personen,<br />

welche in den Jahren 1991 bis 2001 bedingt entlassenen wurden, lag zwischen 9,2 und 15,6<br />

Jahren.<br />

4<br />

Anzahl<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001<br />

Jahr<br />

Bedingte Entlassung Begnadigung Todesfall<br />

Strafverbüssung Strafunterbruch Entweichung<br />

Abbildung 3: Anzahl und Art der Austrittsgründe bei Verurteilungen zu Mord 1991-2001<br />

20<br />

15<br />

Dauer<br />

10<br />

5<br />

0<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001<br />

Jahr<br />

Durchschnittliche Aufenthaltsdauer (inklusive Untersuchungshaft)<br />

Abbildung 4: Durchschnittliche Aufenthaltsdauer (inklusive Untersuchungshaft) bei zu Mord verurteilten<br />

Personen, welche in den Jahren 1991-2001 bedingt entlassen wurden<br />

6.1.3 Fazit<br />

Aus den Angaben des Bundesamtes für Statistik ist ersichtlich, dass <strong>die</strong> lebenslange<br />

Freiheitsstrafe nahezu nur bei Mord verhängt wird, sie ist also nur bei <strong>die</strong>sem Delikt von<br />

praktischer Bedeutung. Der Jahresdurchschnitt der zu <strong>lebenslängliche</strong>r Freiheitsstrafe<br />

Verurteilten ist, verglichen mit dem Jahresdurchschnitt aller Delikte, bei denen <strong>die</strong><br />

Strafdrohung (alternativ oder fakultativ) lebenslänglich ist, verschwindend klein.<br />

188<br />

Inklusive Untersuchungshaft.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 35<br />

Heute lässt man <strong>die</strong> Lebenslänglichen ihre Strafe nicht mehr bis ans Ende ihrer Tage<br />

verbüssen. Es ist praktisch <strong>die</strong> Regel, dass ein Lebenslänglicher nach 14 bis 15 Jahren bedingt<br />

entlassen wird, wenn nicht schwerwiegende Gründe dagegen sprechen. Die Begnadigung<br />

hingegen hat an Bedeutung verloren.<br />

6.2 Vollzug der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe am Beispiel<br />

der geschlossenen Strafanstalt Pöschwies 189<br />

6.2.1 Einleitendes<br />

Die Kantonale Strafanstalt Pöschwies befindet sich in<br />

Regensdorf im Kanton Zürich. Sie ist <strong>die</strong> geschlossene<br />

Strafanstalt des Ostschweizer Strafvollzugskonkordates<br />

für Männer und <strong>die</strong>nt dem Vollzug<br />

folgender Strafen und Massnahmen:<br />

Abbildung 5: Die Kantonale Strafanstalt Pöschwies<br />

Zuchthaus gemäss Art. 35 StGB, Gefängnis gemäss Art. 36 StGB, Verwahrungen gemäss Art.<br />

42 StGB und Massnahmen gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB.<br />

Sie ist mit insgesamt 466 Plätzen <strong>die</strong> grösste Anstalt der Schweiz. Die Anstaltsanlage besitzt<br />

eine Spezialabteilung mit einem Eintrittspavillon 190 , einem Sicherheitspavillon 191 sowie einem<br />

Pavillon für Langstrafige, des Weiteren eine Abteilung für Suchtprobleme, zwei Abteilungen<br />

für Normalvollzug, eine Abteilung Erweiterungsbau, eine Abteilung Halbfreiheit sowie den<br />

Zweigbetrieb Kolonie Ringwil.<br />

6.2.2 Die Lebenslänglichen in der Strafanstalt<br />

Zur Zeit befinden sich zehn Personen in der Strafanstalt Pöschwies, welche eine<br />

<strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe zu verbüssen haben. Die Lebenslänglichen können<br />

grundsätzlich in allen Abteilungen untergebracht werden. Zwei der zehn Lebenslänglichen<br />

befinden sich im Normalvollzug, einer in der Gruppe für Integration und <strong>die</strong> restlichen sieben<br />

Personen in der Abteilung für Langstrafige.<br />

Im Folgenden werden <strong>die</strong> genannten Abteilungen kurz vorgestellt.<br />

189<br />

190<br />

191<br />

Hausordnung Strafanstalt Pöschwies; Altorfer, Auskunft vom 26.8.2003; Altorfer, Auskunft vom 5.9.2003.<br />

Neueintritte.<br />

Hohe Sicherheit, Fluchtgefährliche, Krisenintervention, Gruppe für Integration.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 36<br />

6.2.2.1 Abteilung für Normalvollzug<br />

Im Normalvollzug gibt es acht Wohngruppen à 24<br />

Abbildung 6: Der Wohnbereich mit Pausenhof im Normalvollzug<br />

Insassen, <strong>die</strong> in zwei Abteilungen gegliedert sind. Die<br />

verschiedenen Wohngruppen unterscheiden sich<br />

hinsichtlich der Zusammensetzung der Insassen und<br />

ihrer Betreuungsbedürfnisse. Mit der Zuweisung zu<br />

einer bestimmten Gruppe ist deshalb eine weitere Differenzierung möglich. Dezentralisierung<br />

und <strong>die</strong> Möglichkeit der Aufteilung ethnischer Gruppen reduzieren <strong>die</strong> Risiken für <strong>die</strong><br />

Sicherheit der Anstalt.<br />

Das Essen wird in der Regel gemeinsam eingenommen, und <strong>die</strong> in der Gruppe zu<br />

verbringende Zeit kann im Rahmen der internen Regelung in den beiden Aufenthaltsräumen<br />

oder auch auf dem vorgelagerten Freiareal der Wohneinheiten in Gemeinschaft verbracht<br />

werden. Die acht Wohneinheiten werden von je einem Abteilungsleiter geführt und<br />

koordiniert.<br />

6.2.2.2 Gruppe für Integration<br />

Die Gruppe für Integration ist für <strong>die</strong> Aufnahme von Gefangenen bestimmt, welche wegen<br />

einer psychischen Erkrankung oder Veränderung in der Persönlichkeitsstruktur, trotz<br />

Behandlung, den Anforderungen an das Leben in einer Gruppe des Normalvollzugs nicht<br />

gewachsen sind, im Normalvollzug zu einer übermässigen Belastung von Personal und<br />

Mitgefangenen Anlass geben oder aber ein primär therapeutisch ausgerichtetes Regime<br />

benötigen. Der Aufenthalt ist nicht zeitlich limitiert, sondern hängt von den Fortschritten ab,<br />

welche der Gefangene erzielt. Der Übertritt oder <strong>die</strong> Rückkehr des Gefangenen in den<br />

Normalvollzug wird jedoch angestrebt.<br />

In der Gruppe wird <strong>die</strong> Arbeitszeit, <strong>die</strong> Essenszeit und <strong>die</strong> Freizeit sowie <strong>die</strong> Nacht verbracht.<br />

Lediglich für den Hofspaziergang wird <strong>die</strong> Gruppe verlassen. Das Grundprinzip ist hier <strong>die</strong><br />

Gemeinschaftshaft. Die Gruppe wird von einem festen Team betreut, welches über besondere<br />

Fachkenntnisse verfügt, d.h. neben den Aufsehern stehen nach Möglichkeit auch ausgebildete<br />

Psychiatriepfleger zur Verfügung.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 37<br />

6.2.2.3 Pavillon für Langstrafige<br />

Im Pavillon für Langstrafige befinden sich Insassen, welche eine lange Strafe zu verbüssen<br />

haben, aber weder in <strong>die</strong> Gruppe für Fluchtgefährliche, noch in <strong>die</strong>jenige für hohe Sicherheit<br />

gehören. Die Gefangenen <strong>die</strong>ses Pavillons sollen aufgrund ihrer Straftat und Straflänge eine<br />

besondere Förderung erfahren, um Rückfälle möglichst zu vermeiden, und über<strong>die</strong>s soll<br />

möglichen Schädigungen durch eine lange Strafe entgegengewirkt werden. In erster Linie<br />

geschieht <strong>die</strong>s durch eine entsprechende Gestaltung des Gruppenbetriebes sowie der<br />

Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Bei urlaubsberechtigten Insassen sind <strong>die</strong><br />

Möglichkeiten des Stufenvollzuges und der Vorbereitung auf externe Arbeit und <strong>die</strong><br />

Halbfreiheit gut vorzubereiten.<br />

Der Pavillon wird im Gruppensystem betrieben und umfasst zwei Gruppen à 15 Plätze. Die<br />

Gruppe verbringt ihre Arbeitszeit sowie <strong>die</strong> Pausen und Spazierzeiten weitgehend im<br />

Bereiche des Normalvollzuges, Essenszeit und Freizeit dagegen werden auf der jeweiligen<br />

Gruppe verbracht.<br />

Im Weiteren wird auf einzelne ausgesuchte Bereiche des Anstaltslebens genauer eingegangen.<br />

Es folgen Ausführungen zur Arbeit, zum Ver<strong>die</strong>nst, zur Ausbildung, zur Freizeit, zu den<br />

Kontakten mit der Aussenwelt sowie zur Unterbringung der Gefangenen.<br />

Vorweg kann gesagt werden, dass <strong>die</strong> Lebenslänglichen in der Strafanstalt Pöschwies in<br />

Bezug auf <strong>die</strong> genannten Punkte nicht anders behandelt werden, als <strong>die</strong> anderen Gefangenen.<br />

Sie erfahren keine andere Behandlung bzw. Förderung. Man versucht lediglich mittels<br />

Therapie, Aus- und Weiterbildung eine Veränderung zu bewirken, doch manchmal hilft nur<br />

noch ein Tapetenwechsel in Form einer Versetzung in eine andere Anstalt.<br />

Zuerst wird im Sinne einer allgemeinen Einführung auf <strong>die</strong> entsprechende Situation in der<br />

Anstalt eingegangen und anschliessend auf <strong>die</strong> Abteilungen/Gruppen, in welchen sich <strong>die</strong><br />

zehn Lebenslänglichen aufhalten, da sich Besonderheiten und Unterschiede in der<br />

Behandlung v.a. in Bezug auf <strong>die</strong> Abteilungen/Gruppen ergeben.<br />

6.2.3 Arbeit<br />

6.2.3.1 Im Allgemeinen<br />

Die Befähigung zu regelmässiger und sinnvoller Arbeit sowie eine berufliche Förderung<br />

gehören zu den wichtigsten Voraussetzungen für <strong>die</strong> Bewährung in der Freiheit. Entsprechend<br />

ist ihnen auch im Vollzug Bedeutung zuzumessen.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 38<br />

Die Werk- und Lehrmeister sind für <strong>die</strong> Arbeitsplatzgestaltung, <strong>die</strong> Förderung sowie den<br />

Arbeitseinsatz der Gefangenen verantwortlich. Sie haben auf eine möglichst realitätsgerechte<br />

Arbeitsplatzgestaltung zu achten.<br />

Die Gefangenen sind verpflichtet, <strong>die</strong> ihnen zugewiesene Arbeit zu verrichten und werden<br />

soweit möglich nach ihrer Eignung beschäftigt. Weigert sich ein Inhaftierter, so hat <strong>die</strong>s je<br />

nach den Umständen Fernsehentzug, Gruppenausschluss 192 oder einen Gewerbewechsel zur<br />

Folge. Es wird von Montag bis Freitag, von 7.30 Uhr bis 11.40 Uhr und 13.30 Uhr bis 16.40<br />

Uhr gearbeitet. Im Rahmen des behandlungsorientierten Gruppenvollzuges gelten auch<br />

Einzel- und/oder Gruppentherapie sowie Lernprogramme als Arbeit.<br />

Folgende Arbeitsmöglichkeiten bestehen in der kantonalen Strafanstalt Pöschwies:<br />

Gewerbebetriebe<br />

Plätze<br />

Bäckerei 6<br />

Buchbinderei 26<br />

Durckerei/Setzerei 10<br />

Eintrittswerkstatt 28<br />

Einzelhaft Fluchtgefährliche, Erhöhte Sicherheit,<br />

38<br />

Integration und Kristenintervention<br />

Garage 4<br />

Gärtnerei 16<br />

Industrieabteilung 14<br />

Körberei 16<br />

Malerei 6<br />

Maurerei 3<br />

Mechanische Werkstatt 8<br />

Schneiderei 12<br />

Schlosserei/Dreherei 10<br />

Schreinerei 10<br />

Montageabteilung 28<br />

Wäscherei/Lingerie 14<br />

Erweiterungsbau 56<br />

Abteilung für Suchtprobleme 26<br />

Verkaufshaus 5<br />

Innen<strong>die</strong>nst<br />

Plätze<br />

Bibliothek 2<br />

Coiffeur 1<br />

Elektriker/Technischer Dienst 4<br />

192 Aufenthalt in der Zelle, statt auf der Wohngruppe.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 39<br />

Hausarbeit 31<br />

Reinigungs<strong>die</strong>nst 16<br />

Küche 18<br />

Zahnarztgehilfe 1<br />

Personalrestaurant 2<br />

Tabelle 1: Die Gewerbebetriebe und der Innen<strong>die</strong>nst<br />

6.2.3.2 Bei den Lebenslänglichen<br />

Die zehn Lebenslänglichen der Strafanstalt Pöschwies arbeiten in den folgenden Betrieben: je<br />

eine Person im Bereich Hausarbeit, Malerei, Industrieabteilung, Reinigungs<strong>die</strong>nst,<br />

Schreinerei, Setzerei, Eintrittswerkstatt, Montageabteilung sowie zwei Lebenslängliche in der<br />

mechanischen Werkstatt.<br />

a) In der Abteilung für Normalvollzug<br />

Die Gefangenen des Normalvollzuges verlassen am Morgen selbständig den Wohnbereich,<br />

suchen selbständig ihren Arbeitsplatz auf und kehren auch über Mittag und am Abend<br />

selbständig in ihre Wohneinheiten zurück. Die Werkmeister der einzelnen Betriebe sind für<br />

<strong>die</strong> Beaufsichtigung und Betreuung der Insassen während der Arbeitszeit sowie für <strong>die</strong><br />

berufliche Anleitung und Überwachung verantwortlich. Sie entscheiden über <strong>die</strong><br />

Arbeitszuweisung innerhalb des Betriebes und geben eine regelmässige Qualifikation ab,<br />

welche insbesondere zur Bemessung des Arbeitsver<strong>die</strong>nstes <strong>die</strong>nt.<br />

b) In der Gruppe für Integration<br />

Die Insassen der Gruppe für Integration arbeiten in den Arbeitsräumen ihrer Gruppe und<br />

werden mit Arbeit aus der Eintrittswerkstatt der Strafanstalt versorgt oder auch mit<br />

therapeutischen Arbeiten beschäftigt. Die Arbeit ist dabei nicht in erster Linie auf<br />

Produktivität im Sinne eines privatwirtschaftlichen Betriebes ausgerichtet, sondern im<br />

Vordergrund steht eine den Insassen der Gruppe angepasste Beschäftigung, welche geeignet<br />

ist, sie auf <strong>die</strong> Arbeitsbedingungen in den Werkstätten der Anstalt oder auf <strong>die</strong> Arbeit in der<br />

Freiheit vorzubereiten. Die Arbeit soll <strong>die</strong> Insassen nicht überfordern und nicht im<br />

Widerspruch zu den therapeutischen Bemühungen in der Abteilung stehen.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 40<br />

c) Im Pavillon für Langstrafige<br />

Die Insassen im Pavillon für Langstrafige arbeiten in den Werkstätten des Normalvollzuges.<br />

Bei entsprechender Qualifikation und zeitlicher Berechtigung sind als Vorbereitung auf eine<br />

allfällige Halbfreiheit auch externe Arbeitseinsätze möglich. Für <strong>die</strong> Beaufsichtigung und<br />

Betreuung der Insassen während der Arbeitszeit sowie für <strong>die</strong> berufliche Anleitung und<br />

Überwachung sind, wie für <strong>die</strong> Insassen des Normalvollzuges, <strong>die</strong> Werkmeister<br />

verantwortlich. Die spezielle Förderung im beruflichen Bereich bedingt eine enge<br />

Zusammenarbeit zwischen den Pavillon-Verantwortlichen, den entsprechenden<br />

Gewerbebetrieben, dem Sozial<strong>die</strong>nst sowie den verantwortlichen Lehrkräften bei einer<br />

Berufsausbildung.<br />

6.2.4 Ver<strong>die</strong>nst<br />

Die Bemessung des Ver<strong>die</strong>nstes erfolgt unter Berücksichtigung der Anforderungen für <strong>die</strong><br />

zugewiesene Arbeit, der Arbeitsleistung des Gefangenen im Verhältnis zu seiner<br />

Leistungsfähigkeit und seines Verhaltens. Der Ver<strong>die</strong>nst wird mindestens einmal monatlich<br />

auf den Konten des Gefangenen gutgeschrieben. Das Minimum und das Maximum des<br />

Arbeitsver<strong>die</strong>nstes richtet sich nach den Richtlinien der Ostschweizer<br />

Strafvollzugskommission.<br />

Die Hälfte des Ver<strong>die</strong>nstes wird in der Regel auf ein Sperrkonto gutgeschrieben. Das<br />

Guthaben auf dem Sperrkonto wird verzinst. Der nicht auf das Sperrkonto gutgeschriebene<br />

Teil der Entschädigung wird dem Gefangenen monatlich bis zum Maximalbetrag von Fr.<br />

250.- bar ausbezahlt. Die Telefonspesen werden von <strong>die</strong>sem Betrag jedoch vorab abgezogen.<br />

Der nach Abzug für das Sperrkonto und der Barauszahlung verbleibende Rest wird dem<br />

Gefangenen auf dem Reservekonto gutgeschrieben und ebenfalls verzinst.<br />

6.2.5 Ausbildung<br />

Die Möglichkeiten, eine beruflich-handwerkliche Ausbildung nachzuholen oder eine solche<br />

zu ergänzen, sind vorhanden. Die Berufslehre oder Anlehre dauert so lange, wie das vom<br />

eidgenössischen Berufsbildungsgesetz für den betreffenden Beruf gefordert ist und endet mit<br />

dem eidgenössischen Anlehrausweis oder mit der offiziellen Lehrabschlussprüfung, welche<br />

intern abgelegt wird. Eine formlose Anlehre 193 ist in fast allen Bereichen der Strafanstalt<br />

möglich.<br />

193<br />

Ohne Berufsschule und ohne Ausweis.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 41<br />

Für alle beruflichen Ausbildungen müssen jedoch gewisse Voraussetzungen erfüllt sein: Das<br />

Strafmass muss zeitlich eine berufliche Ausbildung erlauben, <strong>die</strong> persönliche Eignung und<br />

Neigung für den gewählten Beruf sowie Kenntnisse der deutschen Sprache müssen vorhanden<br />

sein. Für eine volle Berufslehre sind <strong>die</strong> Bedingungen noch höher angesetzt: Eine gewisse<br />

schulische Vorbildung ist vorausgesetzt, <strong>die</strong> deutsche Sprache muss beherrscht sowie <strong>die</strong><br />

persönliche Eignung für den gewählten Beruf abgeklärt werden.<br />

In der Bäckerei, der Buchbinderei, der Druckerei/Setzerei, der Garage, der Gärtnerei, der<br />

Malerei, der Schlosserei/Dreherei, der Schreinerei, im Reinigungs<strong>die</strong>nst sowie in der Küche<br />

sind Lehren oder Anlehren möglich. Eine Ausbildung ausserhalb der Anstalt ist allerdings<br />

nicht möglich.<br />

6.2.6 Freizeit<br />

6.2.6.1 Im Allgemeinen<br />

Die Freizeitgestaltung <strong>die</strong>nt auf der einen Seite der Psychohygiene der Insassen, hat<br />

andererseits aber auch, im Rahmen der geführten Sport- und Freizeitgruppe, eine wichtige<br />

erwachsenenbildnerische Aufgabe zu erfüllen. Der Insasse ist zu einer möglichst<br />

eigenverantwortlichen und nicht nur konsumorientierten Freizeitgestaltung anzuregen. Der<br />

faire Umgang in Sportgruppen sowie <strong>die</strong> Gespräche in kreativen Gruppensituationen bieten<br />

dabei viele Übungs- und Begegnungsmöglichkeiten, welche auch für <strong>die</strong> Bewältigung von<br />

Konflikten im Rahmen der Primärgruppe oder am Arbeitsplatz fruchtbar gemacht werden<br />

können.<br />

Sportliche Betätigung ist auch deshalb wichtig, da sie ein sinnvolles Abbauen von<br />

aufgestauter Aggressivität ermöglicht. Für alle Insassen wird daher ein Mindestangebot an<br />

sportlicher Betätigung vorgesehen. Die Möglichkeit zu einem vernünftigen Umgang mit<br />

Wettbewerb sowie Aggression und das Zusammenspielen in einer Gruppe sind dabei aus<br />

pädagogischen Gründen zu fördern.<br />

Die freie Zeit der Insassen erstreckt sich von Montag bis Freitag, von 12.00 Uhr bis 13.00 Uhr<br />

und am Abend nach dem Abendessen 194 bis 20.00 Uhr, am Wochenende hingegen jeweils 3 ½<br />

Stunden am Morgen oder abwechselnd am Nachmittag.<br />

Es besteht grundsätzlich kein Zwang zur Freizeitbeschäftigung, doch wird mit der Gruppe für<br />

Langstrafige ein Abkommen getroffen, dass <strong>die</strong> Gefangenen an sportlichen und schulischen<br />

Aktivitäten teilnehmen und möglichst etwas für <strong>die</strong> Ausbildung machen.<br />

194<br />

Ca. 17.00 Uhr.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 42<br />

Den Gefangenen werden folgende<br />

Sportmöglichkeiten geboten:<br />

Fussball bzw. Fussballclub,<br />

Tischtennis, Krafttraining, Vita-<br />

Parcours, Billard, Badminton,<br />

Basketball sowie Medizinalturnen.<br />

Abbildung 7: Das Freundschaftsspiel des FC Inter Pöschwies gegen den FC Wallisellen in der Strafanstalt<br />

Pöschwies am 9.8.2003<br />

In Bezug auf Freizeitkurse gibt es folgende Möglichkeiten: Gesprächsgruppen für<br />

verschiedene Nationalitäten und Religionen, Koranschule, Deutsch für Fremdsprachige 195 ,<br />

Sprachkurse in Englisch 196 und Italienisch, Informatikkurse 197 , Internetkurse, Fernkurse,<br />

Hatha-Yoga, Gitarrenunterricht sowie <strong>die</strong> Musikgruppe. Die Möglichkeit externe Kurse zu<br />

besuchen besteht jedoch nicht.<br />

6.2.6.2 Bei den Lebenslänglichen<br />

a) In der Abteilung für Normalvollzug<br />

Den Gefangenen im Normalvollzug stehen <strong>die</strong> ganzen Freizeitangebote der Strafanstalt zur<br />

Verfügung, sofern nicht vom Platzangebot her Einschränkungen notwendig sind. Es geht<br />

dabei um Freizeitkurse verschiedener Art, welche in den Schulräumen durchgeführt werden,<br />

Veranstaltungen im Kultraum oder im Gemeinschaftsaal sowie sportliche Betätigung in der<br />

Halle und auf dem Freiareal. Die Insassen im Normalvollzug können in der Regel nur<br />

ausserhalb der Arbeitszeit von <strong>die</strong>sen Möglichkeiten Gebrauch machen.<br />

b) In der Gruppe für Integration<br />

Mit Ausnahme der sportlichen Betätigung auf dem gesicherten Hartplatz, in der Turnhalle und<br />

allenfalls geführt auf dem Fussballplatz, verlassen <strong>die</strong> Insassen der Gruppe für Integration<br />

<strong>die</strong>se während der Freizeit nicht. In der Gruppe können jedoch eigene Freizeitaktivitäten<br />

durchgeführt werden, wobei nach der Zusammensetzung des Insassenbestandes und nach den<br />

Interessen der Insassen entschieden wird, ob auch kleinere Veranstaltungen oder Kurse auf<br />

kreativem oder handwerklichem Gebiet durchgeführt werden können.<br />

195<br />

196<br />

197<br />

Mit Diplom.<br />

Mit Diplom.<br />

Inklusive ECDL und SIZ-Diplom.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 43<br />

c) Im Pavillon für Langstrafige<br />

Den Insassen <strong>die</strong>ses Pavillons stehen <strong>die</strong> gesamten Freizeitangebote der Strafanstalt zur<br />

Verfügung. Sie können über<strong>die</strong>s Freizeitkurse besuchen, welche in den Schulräumen<br />

durchgeführt werden. Auch Veranstaltungen in den beiden Sälen und sportliche Betätigung in<br />

der Halle und auf dem Freiareal sind zugelassen.<br />

6.2.7 Kontakte zur Aussenwelt<br />

6.2.7.1 Im Allgemeinen<br />

Eine erfolgreiche Wiedereingliederung nach der Strafverbüssung setzt voraus, dass der<br />

Kontakt mit der Aussenwelt nicht völlig abbricht. Im privaten Bereich sind daher <strong>die</strong><br />

bestehenden Kontakte, soweit sie nicht den Vollzugszielen zuwiderlaufen, zu erhalten oder<br />

bei Bedarf neu aufzubauen.<br />

a) Briefe und Telefon<br />

Die ein- und ausgehende Korrespondenz sowie andere Sendungen werden kontrolliert.<br />

Die Gefangenen dürfen mindestens einmal pro Woche ein zeitlich beschränktes<br />

Beziehungstelefonat führen. Die Auflagen des Sicherheits<strong>die</strong>nstes bleiben jedoch vorbehalten.<br />

Bei Vorliegen wichtiger Gründe, kann <strong>die</strong> Anstaltsdirektion einem Gefangenen auch<br />

zusätzliche Telefonate gestatten. Mobiltelefone sind nicht erlaubt.<br />

b) Besuche<br />

In der Regel dürfen <strong>die</strong> Gefangenen einen Besuch pro<br />

Woche empfangen. Besuche vom Vormund, in der<br />

Schweiz zugelassenen Anwälten sowie von<br />

Sozialarbeitern in amtlicher Funktion oder anderen<br />

schweizerischen Amtspersonen werden auf <strong>die</strong> Zahl<br />

Abbildung 8: Der Besuchspavillon<br />

der zulässigen Besuche jedoch nicht angerechnet. Die Zahl der Personen pro Besuch wird von<br />

der Anstaltsdirektion festgelegt, doch sind mehr als vier Personen nicht zugelassen. Zum<br />

Besuch werden insgesamt zwölf vom Gefangenen bezeichnete Personen zugelassen, wobei es<br />

sich nicht um Personen handeln darf, welche vom Besuch ausgeschlossen sind. Personen,<br />

deren Kontakt mit der verurteilten Person den Vollzugszweck erheblich gefährdet, werden<br />

zum Besuch nicht zugelassen. Personen, <strong>die</strong> wiederholt gegen <strong>die</strong> Besuchsvorschriften<br />

verstossen haben oder in anderer Weise <strong>die</strong> Sicherheit und Ordnung der Vollzugseinrichtung


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 44<br />

erheblich gefährden, können für höchstens drei Monate, im Wiederholungsfall dauernd von<br />

Besuchen ausgeschlossen werden. Ehe- und Lebenspartner, Kinder, Eltern und Geschwister<br />

dürfen jedoch nicht dauernd vom Besuch ausgeschlossen werden.<br />

Die reguläre Besuchsdauer beträgt eine Stunde und kann, wenn besondere Umstände<br />

vorliegen, im Einzelfall verlängert werden.<br />

Die Besuche werden im Besuchspavillon empfangen. Bei Fluchtgefahr oder bei Verdacht auf<br />

Schmuggel findet der Besuch hinter einer Trennscheibe statt. Falls der Inhaftierte nicht<br />

urlaubsberechtigt ist, kann er ca. alle sechs Wochen ein Familienzimmer reservieren für sich<br />

und seine Lebenspartnerin.<br />

c) Ausgang und Urlaub<br />

In der Strafanstalt Pöschwies gibt es keinen Ausgang, sondern lediglich den Urlaub.<br />

Urlaube dürfen nur gewährt werden, wenn das Verhalten der inhaftierten Person im Vollzug<br />

nicht dagegen spricht und wenn Grund zur Annahme besteht, dass der Urlaub korrekt und<br />

nach den festgelegten Bedingungen und Auflagen verlaufen wird. Es besteht jedoch kein<br />

Rechtsanspruch auf Urlaub. Man unterscheidet zwischen Sach- und Beziehungsurlauben.<br />

Sachurlaube können gewährt werden zur Besorgung dringender, nicht aufschiebbarer<br />

persönlicher, geschäftlicher und rechtlicher Angelegenheiten, für welche <strong>die</strong> Anwesenheit des<br />

Gefangenen ausserhalb der Strafanstalt unerlässlich ist, d.h. insbesondere: zur eigenen Heirat<br />

oder der Heirat der nächsten Angehörigen; für <strong>die</strong> Geburt, Taufe, erste Kommunion, Firmung<br />

oder Konfirmation des eigenen Kindes und entsprechende Anlässe anderer<br />

Glaubensrichtungen; zum Besuch von schwer kranken Angehörigen oder zu deren Bestattung;<br />

zur Entlassungsvorbereitung. Die Dauer richtet sich nach dem entsprechenden Urlaubszweck,<br />

kann jedoch höchstens 16 Stunden dauern.<br />

Beziehungsurlaube hingegen <strong>die</strong>nen der Aufrechterhaltung und Pflege persönlicher und<br />

familiärer Beziehungen, soweit <strong>die</strong>se für <strong>die</strong> soziale Wiedereingliederung der inhaftierten<br />

Person wertvoll und nötig sind. Sie können insbesondere gewährt werden zum Besuch von:<br />

Ehe- und Lebenspartner, eigenen Kindern, Eltern oder Geschwistern; weiteren nahen<br />

Verwandten, sofern zu <strong>die</strong>sen Personen engere Beziehungen bestehen; andere Personen, wenn<br />

<strong>die</strong> enge Beziehung nach der Entlassung eine echte Hilfe sein wird. Bei Freiheitsstrafen von<br />

mehr als 18 Jahren können Beziehungsurlaube frühestens nach Verbüssung von sechs Jahren<br />

gewährt werden. Die Beziehungsurlaube werden nur einmal pro Monat gewährt.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 45<br />

Der Umfang ist folgender: 28 Stunden pro vollzogenem Monat im ersten Jahr der<br />

Urlaubsberechtigung 198 , 32 Stunden vom zweiten Jahr der Urlaubsberechtigung an 199 . Sie<br />

dauern im ersten Jahr der Berechtigung längstens 56 Stunden und in der Folge längstens 72<br />

Stunden.<br />

Über <strong>die</strong> Urlaubsgewährung entscheidet <strong>die</strong> einweisende Behörde, sofern sie <strong>die</strong>se<br />

Kompetenz nicht an <strong>die</strong> Anstaltsdirektion delegiert hat. Über <strong>die</strong> Urlaubsablehnung<br />

entscheidet <strong>die</strong> Anstaltsdirektion in eigener Kompetenz.<br />

6.2.7.2 Bei den Lebenslänglichen<br />

a) In der Abteilung für Normalvollzug<br />

Den Gefangenen im Normalvollzug steht ein Korrespondenzrecht zu. Die Zensur kann sich,<br />

abgesehen von den Fällen, in denen der Inhalt der Korrespondenz für <strong>die</strong> Betreuung<br />

wesentlich ist, darauf beschränken, das Einschmuggeln von verbotenen Gegenständen, Geld<br />

und Drogen zu verhindern.<br />

Für <strong>die</strong> Beziehungspflege und <strong>die</strong> Erledigung von wichtigen Sachgeschäften steht des<br />

Weiteren das Telefon zur Verfügung.<br />

Für den Besuch suchen <strong>die</strong> Insassen <strong>die</strong> Besuchsräume im Eingangsbereich auf.<br />

Normalerweise werden mehrere Besuche gleichzeitig in einem cafeteriaähnlichen Raum<br />

durchgeführt. Eine Einzelüberwachung findet in der Regel nicht statt. Für Besuche des<br />

Rechtsanwalts, des Vormunds oder ähnlichen Personen stehen Räume für Einzelbesuche zur<br />

Verfügung. Längere Besuche von grösseren Familiengruppen können ebenfalls in separaten<br />

Räumen durchgeführt werden.<br />

Wesentliches Mittel für den Kontakt mit der Aussenwelt sind für <strong>die</strong> Insassen im<br />

Normalvollzug <strong>die</strong> Urlaube. Abgesehen von Ausländern ohne jede Beziehung zur Schweiz,<br />

bei denen Urlaube mit zu grosser Fluchtgefahr verbunden wären, werden <strong>die</strong> meisten Insassen<br />

urlaubsberechtigt sein.<br />

b) In der Gruppe für Integration<br />

Hinsichtlich des Briefverkehrs gilt dasselbe Regime, wie bei den Abteilungen im<br />

Normalvollzug.<br />

Bei Besuchen hingegen wird im Einzelfall zu entscheiden sein, ob Zustand und Verhalten des<br />

Gefangenen <strong>die</strong> Zulassung zum allgemeinen Besuchsraum erlauben oder ob <strong>die</strong> Besuche im<br />

198<br />

199<br />

Total 14 Tage.<br />

Total 16 Tage.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 46<br />

Einzelbesuchsraum oder mit Trennscheibe abzuwickeln sind. Bei der Beurteilung der Insassen<br />

steht <strong>die</strong> Stellungnahme des Psychiaters im Vordergrund.<br />

Sind <strong>die</strong> formalen Voraussetzungen für einen Urlaub gegeben, muss der Psychiater prüfen<br />

unter welchen Auflagen ein Urlaub gewährt werden kann.<br />

c) Im Pavillon für Langstrafige<br />

Der Pavillon für Langstrafige wird auch hier weitgehend dem Normalvollzug angeglichen.<br />

Den Gefangenen steht ein Korrespondenzrecht zu. Für <strong>die</strong> Beziehungspflege und <strong>die</strong><br />

Erledigung von Sachgeschäften steht ebenfalls das Telefon zur Verfügung.<br />

Für den Besuch suchen <strong>die</strong> Insassen des Pavillons für Langstrafige <strong>die</strong> Besuchsräume im<br />

Eingangsbereich auf, wobei in der Regel keine Einzelüberwachung stattfindet. Für<br />

Besprechungen mit dem Rechtsanwalt, dem Vormund oder ähnlichen Besuchern stehen auch<br />

hier Räume für Einzelgespräche zur Verfügung.<br />

6.2.8 Zellenausstattung<br />

Der Gefangene ist von Montag bis Freitag von 20.00<br />

Uhr bis 6.30 Uhr in der Zelle und am Wochenende <strong>die</strong><br />

ganze Zeit abzüglich der zweimal 3 ½ Stunden am<br />

Morgen oder am Nachmittag. Es werden<br />

ausschliesslich Einzelzellen angeboten. Die Zelle<br />

gliedert sich in einen Nassbereich mit Toilette/Lavabo<br />

Abbildung 9: Die Zellenansicht<br />

und einen Wohnbereich. Dusche und Bad können stockwerkweise täglich benutzt werden.<br />

Die Zelle entspricht bezüglich Grösse, Belichtung und Belüftung den EMRK-Richtlinien.<br />

Fenster und Türe sind entsprechend dem jeweiligen Sicherheitsstandard der Abteilung<br />

konstruiert. Die Möblierung ist einfach und zweckmässig: Bett, Stuhl, Schreibtisch,<br />

Kleiderkasten, Büchergestell. Die übrige Einrichtung, namentlich den Computer, den<br />

Fernseher und <strong>die</strong> Unterhaltungselektronik, haben <strong>die</strong> Gefangenen selbst zu bezahlen.<br />

Grundsätzlich darf man alles in seinem Zimmer aufbewahren, was nicht zur<br />

Fluchtvorbereitung oder als Waffe benutzt werden könnte.<br />

In den Zellen sind in Bezug auf Tiere lediglich Wellensittiche und Kanarienvögel erlaubt.<br />

Von den zehn Lebenslänglichen der Strafanstalt Pöschwies besitzt jedoch kein Insasse ein<br />

Haustier.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 47<br />

6.3 Lebenslängliche im Strafvollzug<br />

Die Lebenslänglichen sind in der Anstalt stets Einzelfälle. 200<br />

Selbst in der grössten<br />

schweizerischen Strafanstalt 201 befinden sich nur ganz ausnahmesweise einmal mehr als 10<br />

Lebenslängliche. In (halb)offenen Anstalten sind häufig gar keine Lebenslänglichen, oder<br />

selten einmal ein bis zwei Personen anzutreffen. Generalisierungen sind deshalb sehr<br />

problematisch.<br />

Die Menschen, von denen hier <strong>die</strong> Rede ist, sind fast ausschliesslich als Mörder verurteilt.<br />

Aber mehr als <strong>die</strong> gemeinsame Tat ist es <strong>die</strong> gemeinsame Situation der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe, welche sie formt und bestimmt. Man kann kaum von einem Typ des<br />

Lebenslänglichen als vom Typ des Mörders sprechen. Soweit sich aber überhaupt<br />

gemeinsame Züge aufdecken lassen, sind sie nicht so sehr für <strong>die</strong> Mörder, als vielmehr für <strong>die</strong><br />

Lebenslänglichen charakteristisch. 202<br />

Bei den Lebenslänglichen ist eine recht einheitliche Grundstimmung festzustellen. Sie haben<br />

kaum eine Perspektive, da sie das Entlassungsdatum nicht kennen und das bedeutet für sie<br />

Phasen der Hoffnungslosigkeit und der Sinnlosigkeit. 203 Ein mehrere Jahre lang dauernder<br />

Aufenthalt im Gefängnis führt unweigerlich zu Fehleinschätzung der eigenen Person und der<br />

eigenen Fähigkeiten. Die einen Gefangenen sehen sich zunehmend als Supermänner und<br />

glauben, dass <strong>die</strong> Welt draussen auf sie warte, besonders Frauen und Arbeitgeber, <strong>die</strong> anderen<br />

Gefangenen sind überzeugt, dass sie draussen überhaupt niemand mehr will, und dass sie zu<br />

gar nichts mehr zu gebrauchen seien. Ein Leben, das so stark fremdbestimmt ist, wird zu<br />

einem Leben, in dem <strong>die</strong> resignativen Kräfte oder Wahnvorstellungen Überhand gewinnen<br />

und damit auch sozial untaugliche Wert- und Normvorstellungen zunehmen. Nach vielen<br />

Jahren im geschlossenen Strafvollzug ohne Vollzugslockerungen ist für den Lebenslänglichen<br />

auch das Angebotsprogramm ausgereizt und schmal geworden, so dass der langjährige<br />

Gefangene immer mehr und mehr abstumpft. Er kann ja nicht mehr als drei bis vier Anlehren,<br />

x-Mal den Französischkurs und x-Mal den Anfängerkurs für Informatik besuchen. 204<br />

Von einer gewissen „Sonderstellung“ kann man jedenfalls deshalb sprechen, weil das Urteil<br />

sowohl dem gesamten Personal als auch den Mitgefangenen bekannt ist, im Gegensatz zu den<br />

meisten anderen Gefangenen, wo Delikt und Strafmass i.d.R. <strong>die</strong>sem Personenkreis nicht,<br />

200<br />

201<br />

202<br />

203<br />

204<br />

Kobel, Auskunft vom 5.9.2003.<br />

Kantonale Strafanstalt Pöschwies.<br />

Röhl, S. 97-98.<br />

Brenzikofer, Auskunft vom 4.9.2003.<br />

Pfrunder, Auskunft vom 5.9.2003.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 48<br />

nicht mehr oder nicht genau bekannt ist 205 . Ein Lebenslänglicher wird von allen <strong>die</strong>sen<br />

Personen als „Lebenslänglicher“ wahrgenommen, als Gefangener, welcher <strong>die</strong> Anstalt<br />

möglicherweise nie mehr oder jedenfalls ernst nach einer sehr langen Haftzeit verlassen<br />

wird. 206<br />

Die Mitgefangenen gehen mit den Lebenslänglichen durchaus normal um. Der Umgang mit<br />

<strong>die</strong>sen wird, wie draussen auch, durch Sympathie und Antipathie in Bezug auf Persönlichkeit,<br />

Herkunft, Erziehung, Deliktart usw. beeinflusst. 207 Hass oder Bewunderung gibt es generell<br />

sicherlich nicht 208 . Andere Gefangenen haben häufig Verständnis dafür, dass <strong>die</strong>se<br />

Gefangenengruppe gewisse „Privilegien“ 209 geniesst. 210<br />

Für das Vollzugspersonal ist es im Bereich der langstrafigen Gefangenen insbesondere seit<br />

dem Zollikerberg 211 zunehmend schwieriger geworden zu entscheiden und Verantwortung zu<br />

tragen. Der langjährige Gefangene entlässt das Personal nicht aus der Rolle des<br />

Entscheidungsträgers, obwohl in zunehmendem Masse <strong>die</strong> Vollzugsentscheide nicht mehr in<br />

der Strafanstalt selbst getroffen werden und dem Anstaltspersonal oft nur noch <strong>die</strong> Rolle der<br />

Verantwortlichen übrig bleibt. Gerade bei langjährigen Gefangenen hört <strong>die</strong> Perspektive der<br />

Gefängnismauer auf und der Groll auf den Staat entlädt sich bei denen, <strong>die</strong> er täglich sieht,<br />

auch wenn <strong>die</strong>se Personen Entscheide anderer durchführen müssen. 212<br />

Beim Personal ist eher eine nachsichtige Grundhaltung und auch eine besondere<br />

Aufmerksamkeit <strong>die</strong>sen Gefangenen gegenüber festzustellen. Auf der einen Seite darf der<br />

Lebenslängliche unter keinen Umständen entweichen, denn <strong>die</strong>s hätte verschiedene sehr<br />

unangenehme Folgen, auf der anderen Seite könnte sich ein besonderes Engagement<br />

angesichts der langen Haftdauer hier speziell lohnen. Besondere Sicherheitsvorkehrungen<br />

werden generell jedoch keine getroffen. 213<br />

205<br />

206<br />

207<br />

208<br />

209<br />

210<br />

211<br />

212<br />

213<br />

Von „prominenten“ Verurteilten, Sexualdelinquenten usw. abgesehen.<br />

Baechtold, Auskunft vom 11.9.2003.<br />

Pfrunder, Auskunft vom 5.9.2003.<br />

Anderer Meinung ist Paul Brenzikofer: Der Lebenslängliche wird von den schwachen Gefangenen<br />

bewundert, von den starken hingegen eher gehasst, <strong>die</strong>se wollen sich über ihn stellen. Für alle ist er der<br />

Inbegriff des Kriminellen. Er ist abgeschrieben, ganz besonders dann, wenn sein Delikt in irgendeiner Weise<br />

mit Sexualität verbunden war; Brenzikofer, Auskunft vom 4.9.2003.<br />

Z.B. Unterbringung in einer besonderen Abteilung zusammen mit anderen Langstrafigen.<br />

Baechtold, Auskunft vom 11.9.2003.<br />

Am Zollikerberg bei Zürich wurde am 30.10.1993 <strong>die</strong> 20-jährige Pasquale Burmann von einem einschlägig<br />

vorbestraften Strafgefangenen während eines Hafturlaubs ermordet. Der Mord löste eine Welle der<br />

öffentlichen Empörung aus und stellt einen Einschnitt in der Kriminalgeschichte der Schweiz dar;<br />

Aebersold, Gemeingefährliche Straftäter, S. 171.<br />

Pfrunder, Auskunft vom 5.9.2003.<br />

Baechtold, Auskunft vom 11.9.2003; Brenzikofer, Auskunft vom 4.9.2003.


6. Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Praxis 49<br />

Im Allgemeinen verhalten sich <strong>die</strong> Lebenslänglichen in der Haft gut. 214 Sie werfen in Bezug<br />

auf ihr Verhalten nicht mehr Probleme auf als lange Zeitgefangene. 215 Zwar weisen<br />

Lebenslängliche häufig Depressionen 216 auf, doch sobald der Verurteilte sein Urteil<br />

„akzeptiert“ hat und sich auf einen langen Aufenthalt in der Anstalt einrichtet, wird er<br />

normalerweise ein besonders unproblematischer Gefangener. Nach längerer Haftdauer 217<br />

treten allerdings häufig erneut depressive Phasen auf. 218<br />

Die Gefahr einer Flucht aus dem Strafvollzug ist bei Lebenslänglichen meist geringer als bei<br />

Verwahrlosten mit viel kürzeren Strafen. Dasselbe gilt für den Suizid. Allerdings ist <strong>die</strong><br />

Suizidgefahr während der Untersuchungshaft aufgrund der existenziellen Unsicherheiten<br />

gross. 219<br />

Abschliessend kann festgestellt werden, dass der Vollzug sich durchaus problematisch<br />

gestaltet, von einer eigentlichen Sonderstellung der Lebenslänglichen im Vollzug kann<br />

indessen nicht gesprochen werden.<br />

214<br />

215<br />

216<br />

217<br />

218<br />

219<br />

Pfrunder, Auskunft vom 5.9.2003.<br />

Baechtold, Auskunft vom 11.9.2003.<br />

Oder seltener Auflehnung.<br />

Ca. nach 6-10 Jahren.<br />

Baechtold, Auskunft vom 11.9.2003.<br />

Brenzikofer, Auskunft vom 4.9.2003.


7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung 50<br />

7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung<br />

Der Aufenthalt in einer Strafanstalt stellt für den Betroffenen eine intensive Entzugssituation<br />

dar. Im Gefangenen werden gravierende Deprivationszustände hervorgerufen und er ist<br />

Stressfaktoren ausgesetzt, welche auf seine Psyche einwirken. 220<br />

Das folgende Kapitel widmet sich daher den schädlichen Haftfolgen.<br />

7.1 Die Sta<strong>die</strong>n der lebenslangen Haft<br />

7.1.1 Dreiphasentheorie<br />

Moritz Liepmann stellte seine Erhebung über „Eigenart und Verhalten lebenslänglich<br />

Verurteilter“ in einem Gutachten vor dem Deutschen Juristentag 1912 vor. Er beschrieb den<br />

Vollzugsverlauf in drei Sta<strong>die</strong>n. 221<br />

Im ersten Stadium der Haft überwiege der Zustand hochgradiger Erregung, welcher mit tiefen<br />

Depressionen abwechsle. Zwar bringt das Urteil den Lebenslänglichen, welche zwischen Tat,<br />

Entdeckung sowie Verurteilung starken Spannungen ausgesetzt gewesen seien, eine gewisse<br />

Entlastung, doch sobald sich <strong>die</strong> Zuchthaustür hinter ihnen geschlossen habe, erschüttere sie<br />

der Ernst des Gedankens, dass <strong>die</strong>s für immer geschehe. Dieser Zustand erfordere eine<br />

besonders behutsame Behandlung im Vollzug, da es ansonsten bereits jetzt zu einem<br />

Zusammenbruch der geistigen Kräfte des Gefangenen und zu schweren Disziplinwidrigkeiten,<br />

Aggressionen und dem bekannten „Zuchthausknall“ komme. Bei richtiger Behandlung trete<br />

jedoch eine Beruhigung spätestens nach ein bis zwei Jahren ein.<br />

Als nächstes folgt das zweite Stadium, in welchem <strong>die</strong> Selbsterhaltung einen häufig<br />

erfolgreichen Kampf gegen <strong>die</strong> zerstörenden Kräfte des Zuchthauses führt. Kein Gefangener<br />

könne den Gedanken der <strong>lebenslängliche</strong>n Inhaftierung aushalten. Alle Inhaftierten<br />

klammerten sich an <strong>die</strong> Vorläufigkeit <strong>die</strong>ser Situation und ein jeder hoffe darauf, noch einmal<br />

<strong>die</strong> Freiheit wiederzuerlangen. Diese Hoffnung helfe ihm, Haltung zu bewahren sowie eine<br />

totale Anpassung zu vermeiden und schütze ihn vor dem Zusammenbruch. Zudem bringe<br />

<strong>die</strong>ser Gedanke viele dazu, ihre besten Kräfte einzusetzen, um durch gute Führung eine<br />

Begnadigung zu erreichen.<br />

Zur dritten und letzten Phase der Haft führt Liepmann aus: „Nach 20 Jahren Strafhaft tritt<br />

dann regelmässig das trübste, dritte Stadium ein. Es leitet sich ein durch ein „Abflauen der<br />

guten Affekte“: an Stelle der Hoffnungsfreudigkeit tritt dumpfe Resignation; <strong>die</strong><br />

220<br />

221<br />

Laubenthal, N 207.<br />

Feige, S. 2-3.


7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung 51<br />

Enttäuschung schädigt wohl auch das Nervensystem, hypochondrische Befürchtungen<br />

nehmen überhand, <strong>die</strong> Gesundheit leidet vielleicht auch wirklich, der Gefangene fängt an, <strong>die</strong><br />

Fortsetzung der Strafe als eine zwecklose Härte zu empfinden, er fühlt sich einer langsam zu<br />

vollziehenden Todesstrafe ausgesetzt, an Stelle früheren Vertrauens tritt Misstrauen,<br />

Verbitterung und Hass auf <strong>die</strong> Gesellschaft. „Stiller und trauriger“ werden dann viele<br />

Gefangene und ziehen sich mit schwindender Hoffnung immer mehr zurück, werden zu<br />

Einsiedlern, kommen nicht mehr zum Arzt und antworten auf <strong>die</strong> Frage nach dem Grunde<br />

ihres Fernbleibens wohl „weil ich <strong>die</strong>ses Leben nicht verlängern will“. Dann beginnt ein<br />

grausames Zerstörungswerk des inneren Lebens durch <strong>die</strong> abtötende Haft. Das Notwendigste<br />

und Beste im Menschen, sein Wille zum Schlechten, aber auch zum Guten wird langsam, aber<br />

sicher gewürgt. Es fehlt <strong>die</strong> den Menschen „heiligende“ Freude. Das Vegetieren beginnt und<br />

siegt. Die Gefangenen werden stumpf und gefühllos, Maschinen, endlich Ruinen. Das ist der<br />

Nährboden für entstehende geistige Störungen.“ 222<br />

7.1.2 Kritik<br />

Die Untersuchungsergebnisse von Moritz Liepmann beruhen auf umfangreichen Erhebungen<br />

und der Auswertung der Angaben über mehr als 2’000 Lebenslängliche aus verschiedenen<br />

europäischen Ländern sowie auf Vorarbeiten anderer Wissenschaftler. Das Gutachten stellt<br />

somit eine gut fun<strong>die</strong>rte Untersuchung der Haftwirkungen beim Vollzug der <strong>lebenslängliche</strong>n<br />

Freiheitsstrafe dar. Der Vollzug der Zuchthausstrafe zu Anfang <strong>die</strong>ses Jahrhunderts kann<br />

jedoch nicht mit der heutigen Situation in den Vollzugsanstalten verglichen werden. Die<br />

Beurteilung Liepmanns wird darum als zu pessimistisch und nicht ohne weiteres auf <strong>die</strong><br />

Gegenwart übertragbar bezeichnet.<br />

In der neueren Literatur weisen <strong>die</strong> Ansichten über <strong>die</strong> Haftfolgen beim Vollzug der<br />

lebenslangen Freiheitsstrafe ein sehr breites Spektrum auf. Sie reichen von der Behauptung<br />

schwerer Persönlichkeitsveränderungen bis hin zur Beschreibung der erfolgreichen<br />

Resozialisierung der meisten Gefangenen nach ihrer Entlassung aus dem Strafvollzug. 223<br />

222<br />

223<br />

A.a.O. S. 184 ff.<br />

BVerfGE 45, 187.


7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung 52<br />

7.2 Psychische Auswirkungen der Haft<br />

Alle Gefangenen werden im Zuchthaus den gleichen unnatürlichen Lebensbedingungen<br />

unterworfen. Der lebenslänglich Inhaftierte ist während einer aussergewöhnlich langen Zeit<br />

unnatürlichen Belastungen ausgesetzt. Dies kann zu psychischen Reaktionen führen, <strong>die</strong> sich<br />

jedoch sehr unterschiedlich äussern. 224<br />

Mittels geeigneter Behandlungsmassnahmen ist nicht nur dem sozialisationsfeindlichen Effekt<br />

der Prisonisierung, sondern auch den psychischen Auswirkungen des Aufenthalts in einer<br />

Strafanstalt entgegenzuwirken. Die Inhaftierung kann als eine permanente Konflikt<br />

erzeugende Daseinskonstellation mit zunehmender Dauer Reaktionen beim Einzelnen<br />

hervorrufen, welche über blosse Einstellungs- und Persönlichkeitsänderungen hinausgehend<br />

dem Bereich der Psychopathologie zuzuordnen sind. Die durch <strong>die</strong> psychotraumatische<br />

Situation der Haft hervorgerufenen Reaktionen werden bestimmt durch <strong>die</strong> Konstitution und<br />

Disposition des Individuums, seine Frustrationstoleranz, seine Verantwortungsbereitschaft<br />

und sein Konfliktlösungsvermögen. Es kann dabei zu bloss vorübergehenden abnormen<br />

Verhaltensformen kommen, wie Affektreaktionen, intrapsychischer Entladung,<br />

Kurzschlusshandlungen, psychogenen Zweckreaktionen und Ausnahmezuständen. Es können<br />

jedoch auch progressiv abnorme Persönlichkeitshaltungen entstehen, dominante<br />

Affekteinstellungen, paranoische Entwicklungen sowie Neurosen.<br />

Der Vollzug von langen Freiheitsstrafen kann zu Persönlichkeitsveränderungen beim<br />

Gefangenen führen. Die international publizierten Stu<strong>die</strong>n zur Langzeitstrafe ergeben jedoch<br />

keine monokausale Beziehung zwischen Haftdauer und psychischen Beeinträchtigungen. 225<br />

Die Deprivation des Vollzuges vermag insbesondere bei entsprechender Prädisposition<br />

Persönlichkeitsänderungen zu begünstigen. 226 Motivationsverlust, Apathie, sozialer Rückzug<br />

sowie neurotische Reaktionen sind demgemäss als Symptome einer psychischen<br />

Sekundärbeeinträchtigung in unterschiedlichen Ausprägungen festzustellen. Dies gilt<br />

ebenfalls für das Auftreten abnormer Erlebnisreaktionen. Die psycho-sozialen Belastungen<br />

können beim Gefangenen immer neue psychische Traumata hervorrufen, insbesondere bei<br />

einer langjährigen Strafe. Dies bewirkt kumulativ einen Spannungszustand, welcher sich<br />

schliesslich in einer Affektreaktion entlädt. Die intrapsychische Entladung erfolgt meist in<br />

Form des „Zuchthausknalls“ oder des „Haftkollers“, darunter versteht man Schreikrämpfe,<br />

224<br />

225<br />

226<br />

Röhl, S. 111.<br />

Lauenthal, N 228.<br />

Pless-Bächler, S. 74; Kaiser/Kerner/Schöch, S. 252; Feige, S. 6.


7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung 53<br />

Zerstörung der Zelleneinrichtung, tätliche Angriffe auf das Vollzugspersonal oder auf<br />

Mitgefangene.<br />

Die Explosivreaktion kann allerdings auch in suizidalen Handlungen und<br />

Selbstbeschädigungen zum Ausdruck kommen. Eine besondere Gefährdung besteht während<br />

der Untersuchungshaft bzw. bei Erstverbüssern im ersten Monat der Inhaftierung. Bezogen<br />

auf das zugrunde liegende Delikt findet sich eine relativ höhere Suizidgefährdung bei<br />

Tötungs- und Sexualstraftätern.<br />

Zu den weiteren psychischen Variationen im Strafvollzug gehören ferner psychogene<br />

Zweckreaktionen. Hierunter fällt insbesondere das Ganser-Syndrom, welches in<br />

charakteristischer Weise beim Inhaftierten auftritt. Der Insasse glaubt, durch<br />

„Geisteskrankheit“ den Stressfaktoren entgehen zu können, d.h. sein Unterbewusstsein führt<br />

<strong>die</strong> Simulation einer Psychose durch, deren Symptome ein systematisches Verkehrt-Denken<br />

und -Handeln sind.<br />

Die Haft kann zwar abnorme Erlebnisreaktionen und abnorme erlebnisreaktive<br />

Entwicklungen als psychische Variationen hervorrufen, doch führt auch ein<br />

Langstrafenvollzug nicht zwangsläufig zu einer irreversiblen Persönlichkeitsschädigung oder<br />

gar zu einem vollständigen Persönlichkeitsverfall. Die Auswirkungen der Stressfaktoren der<br />

Inhaftierung sind vielmehr multifaktoriell 227 bedingt. 228<br />

7.3 Statuswechsel<br />

Durch das Herausgerissenwerden aus dem früheren Leben erlebt der Gefangene einen<br />

Rollenverlust, der bis zum Identitätsverlust führen kann. 229 Für ihn erfolgt mit dem Haftantritt<br />

eine Ausgliederung aus seinem gewohnten sozialen Umfeld. Er verliert den bisherigen<br />

gesellschaftlichen Status und wird in ein neues, geschlossenes soziales System eingegliedert.<br />

Mit <strong>die</strong>sem Wandel sieht sich der Inhaftierte im Aufnahmeverfahren konfrontiert. Die nach<br />

dem Aufnahmeakt erfolgende Durchsuchung beginnt mit der Wegnahme der<br />

Identitätsausrüstung, es finden Prozeduren einer Entpersönlichung statt. 230 Der Haftantritt und<br />

<strong>die</strong> Eingliederungsprozeduren kommen somit einer Degra<strong>die</strong>rungszermonie gleich, welche<br />

beim Verurteilten eine Entwürdigung des Ichs einleiten kann. 231<br />

227<br />

228<br />

229<br />

230<br />

231<br />

Als Faktoren nehmen kumulativ Einfluss: Persönlichkeitsmerkmale, vorinstitutionelle Biographie,<br />

Lebensalter, Prädisposition, Spannungstoleranz, Adaptationsstrategie, Verarbeitungsmechnismen,<br />

Anstaltserfahrung, Anstaltsstruktur, Aussenweltkontakte sowie Behandlungsmassnahmen.<br />

Laubenthal, N 229-233.<br />

Pless-Bächler, S. 66.<br />

Laubenthal, N 208.<br />

Schuh, S. 37.


7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung 54<br />

7.4 Haftdeprivationen<br />

Der Gefangene sieht sich im Strafvollzug einer Überreglementierung ausgesetzt, welche zu<br />

einem Autonomieverlust führt. Sämtliche Lebensbereiche unterliegen einer strengen<br />

Kontrolle: Der Aufenthaltsort, das Bett, <strong>die</strong> Einrichtung der Zelle, <strong>die</strong> Zeit für das Aufstehen,<br />

das Zubettgehen und für <strong>die</strong> Mahlzeiten, <strong>die</strong> Möglichkeiten eigener Tätigkeiten, <strong>die</strong><br />

Kontaktaufnahme mit der Aussenwelt usw. Die Folge <strong>die</strong>ser weitgehenden Freistellung von<br />

Selbstfürsorge und Selbstverantwortung ist eine erlernte Hilflosigkeit. 232 Der Gefangene steht<br />

unter der Autorität von Aufsichts- und Pflegepersonen, wie das Kind unter der elterlichen<br />

Autorität. Indem dem Insassen <strong>die</strong> Verantwortung zum grössten Teil abgenommen wird, zieht<br />

er sich auf <strong>die</strong> Entwicklungsstufe eines Kindes zurück. 233<br />

Des Weiteren erfolgt der Autonomieverlust auch aus dem Mangel an Privatsphäre. 234<br />

Alleinsein, Intimität, Anonymität sowie Zurückhaltung als persönliche Bedürfnisse sind in<br />

einer Strafanstalt nur bedingt zu realisieren.<br />

Der Gefangene wird in der Strafanstalt einer Vielzahl unerwünschter Situationen und<br />

Interaktionen ausgesetzt, ohne dass er <strong>die</strong>sen ausweichen kann. Er erlebt einen Verlust an<br />

Sicherheit, denn er befindet sich in einer Gemeinschaft mit anderen Menschen, welche<br />

oftmals ihr bisheriges Leben lang Konflikte nur mit Gewalt und aggressivem Verhalten zu<br />

lösen suchten. Zwar <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> Institution der Sicherung der Allgemeinheit vor Rechtsbrechern,<br />

sie vermag <strong>die</strong>se indessen nicht zureichend untereinander oder gar vor Übergriffen seitens des<br />

Vollzugspersonals zu schützen.<br />

Den von allen Gefangenen, männlichen wie auch weiblichen, am nachhaltigsten empfundenen<br />

Stress-Faktor stellt der Abbruch heterosexueller Kontakte dar, welcher mit einer Inhaftierung<br />

zwangsläufig verbunden ist. Die sexuelle Deprivation und ihre Folgen sind durch <strong>die</strong> Urlaubs-<br />

und Ausgangsbestimmungen zwar etwas entschärft worden, doch kommen für<br />

Vollzugslockerungen nicht alle Inhaftierten in Betracht. V.a. zu langen Freiheitsstrafen<br />

Verurteilte bleiben nach dem Haftantritt für Jahre von derartigen Erleichterungen<br />

ausgeschlossen, d.h. sie müssen heterosexuellen Beziehungen für eine lange Zeit entsagen<br />

und verlieren damit eine Bezugsperson, welche für <strong>die</strong> Bestätigung ihrer Identität als Mann<br />

bzw. Frau bedeutsam ist. Werden <strong>die</strong> Kontakte zum anderen Geschlecht mit dem Strafantritt<br />

auf Dauer abgebrochen, so neigen <strong>die</strong>se Gefangenen im Vollzug zur Übernahme aktiver oder<br />

passiver homosexueller Rollen und gehen dabei Bindungen ein, welche zusätzliche<br />

psychische Belastungen verursachen.<br />

232<br />

233<br />

234<br />

Laubenthal, N 209.<br />

Pless-Bächler, S. 63-64; Kaiser/Kerner/Schöch, S. 251; Weber, S. 114; Mergen, S. 137.<br />

Weber, S. 114.


7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung 55<br />

Die Trennung von den Angehörigen zählt neben der sexuellen Deprivation zu den als<br />

einschneidendsten empfundenen Beschränkungen der Haft. Insbesondere bei langstrafigen<br />

Verurteilten stellt sich das Problem der Aufrechterhaltung von Aussenkontakten. Erhebliche<br />

Belastungsfaktoren sind hierbei der allmähliche Wegfall zwischenmenschlicher<br />

Verbindungen, <strong>die</strong> Ungewissheit sowie Angst vor endgültigem Verlust. Sodann<br />

beeinträchtigen Persönlichkeitsveränderungen, neue Erfahrungen, Einsichten und soziale<br />

Bezüge auf beiden Seiten <strong>die</strong> Lebensfähigkeit früherer Beziehungen. Manche Gefangene<br />

entledigen sich <strong>die</strong>ser psychischen Stressoren durch den Abbruch sämtlicher<br />

Aussenweltkontakte, um so einem quälenden Auflösungsprozess zu entgehen.<br />

Beim Inhaftierten werden jedoch anstaltsbedingt noch weitere Deprivationen hervorgerufen.<br />

Dies betrifft den Entzug materieller Güter, welcher durch Regelungen nicht aufgefangen<br />

werden kann, wodurch es als Folge zu einem ausgedehnten illegalen Tauschhandel in den<br />

Vollzugsanstalten kommt. 235<br />

Zwangsläufige Wirkungen der Organisation von Freiheitsentzug sind auch Deprivationen im<br />

sensoriellen Bereich. Das Leben im Zuchthaus ist eintönig und ohne grosse Reize, der<br />

Mensch in Gefangenschaft entbehrt andersartige, immer wieder neue Sinnesreize. Dieser<br />

Mangel lässt <strong>die</strong> seelische Spannung wachsen. 236 Er läuft Gefahr, in <strong>die</strong>ser ständigen<br />

Gereiztheit in Fantasien und irreale Vorstellungen abzurücken, Situationen und<br />

Begebenheiten falsch einzuschätzen und sie überzubewerten. 237<br />

Bei zu langen Zeitstrafen Verurteilten treten über<strong>die</strong>s als spezielle Belastungen der Zeitfaktor<br />

sowie ein Mangel an Zukunftsperspektive hinzu. Zeit existiert im Vollzug nicht als Positivum,<br />

sondern als Strafe, d.h. der Zeitbegriff erhält in der Strafanstalt eine andere Bedeutung. Wer<br />

für längere Zeit einer totalen Institution ausgesetzt bleibt, hat zunehmend Schwierigkeiten,<br />

Zeit einzuteilen und zu gestalten. Der Mangel an Zukunftsperspektive beruht auf einer<br />

unabsehbaren Unveränderlichkeit der Situationen. 238 Die sinnlose Gegenwart und <strong>die</strong><br />

hoffnungslose Zukunft sind <strong>die</strong> stärksten Wirkungsfaktoren der lebenslangen Haft, sie bringen<br />

jene apathische, dumpf gedrückte Grundstimmung hervor, welche als typisch für <strong>die</strong><br />

Lebenslänglichen gelten kann. 239<br />

235<br />

236<br />

237<br />

238<br />

239<br />

Laubenthal, N 210-214.<br />

Pless-Bächler, S. 68-69.<br />

Röhl, S. 112-113.<br />

Laubenthal, N 209-215.<br />

Röhl, S. 116.


7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung 56<br />

7.5 Anpassung an <strong>die</strong> Institution<br />

Wie jeder Mensch Negativerlebnisse und Konflikte durch Mechanismen der Ich-Verteidigung<br />

zu bewältigen sucht, kommt es auch beim Gefangenen zu inter-individuell verschiedenartigen<br />

Abwehrtechniken: kognitive Anpassung an den Konflikt, Isolierung durch Abtrennung<br />

partieller Bewusstseinsinhalte, Projektion der Verantwortung auf andere Personen,<br />

Verdrängung, Reaktionsbildung, Identifikation oder Rückzugsreaktionen. Die Art des jeweils<br />

realisierten Abwehrmechanismus ergibt sich aus der Gesamtheit der psychischen Faktoren,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> konkrete Situation des Inhaftierten beeinflussen.<br />

Nach dem „elementaren und direkten Angriff auf das Selbst“ sieht sich der Verurteilte einer<br />

permanenten Reglementierung und Kontrolle seiner Aktivitäten ausgesetzt. Im Rahmen der<br />

primären Adaptation stehen ihm verschiedene kombinierbare bzw. zeitlich gestaffelte<br />

Strategien des Arrangements zur Verfügung: Rückzug aus der Situation, Einnahme eines<br />

kompromisslosen Standpunkts 240 , Kolonisierung 241 , Konversion 242 sowie opportunistische<br />

Kombination von Kolonisierung, Konversion, Loyalität gegenüber Mitgefangenen und<br />

sekundärer Anpassung.<br />

Der Strafgefangene findet eine gewisse Freiheit in der totalen Institution mittels Strategien der<br />

sekundären Adaption. Er wendet verbotene Mittel an und verfolgt unerlaubte Ziele um <strong>die</strong><br />

Organisationserwartungen hinsichtlich seiner Person zu umgehen. Sekundäre Anpassung<br />

erlangt <strong>die</strong> Funktion einer Schrankenbildung zwischen der Institution und dem Einzelnen. Sie<br />

ermöglicht ein Unterleben in der Anstalt, d.h. eine „selbstbewahrende Ablehnung des<br />

Ablehnenden“. 243<br />

7.6 Subkultur<br />

In allen Zwangsgesellschaften bildet sich eine charakteristische Subkultur heraus. 244 Der<br />

Gefangene muss gezwungenermassen in der neuen Gemeinschaft eine eigene Rolle finden<br />

und Selbstbestätigung suchen. Die Bildung von Subkulturen als Reaktion auf <strong>die</strong><br />

Haftsituation scheint daher natürlich zu sein. Für viele Inhaftierte bedeutet <strong>die</strong> Zugehörigkeit<br />

zur Subkultur eine Überlebensstrategie in den langen Jahren der Gefangenschaft. 245<br />

Phänomene einer Gefangenensubkultur mit eigenen Gebräuchen Sitten und Gewohnheiten<br />

wurden Mitte des 20. Jahrhunderts aufgearbeitet. Danach existiert in den Strafanstalten eine<br />

240<br />

241<br />

242<br />

243<br />

244<br />

245<br />

Verweigerung jeglicher Zusammenarbeit mit dem Vollzugspersonal.<br />

Aufbau einer stabilen Existenz in relativer Zufriedenheit.<br />

Übernahme der Rolle eines perfekten Insassen.<br />

Laubenthal, N 216-218.<br />

Mergen, S. 136.<br />

Pless-Bächler, S. 67; Mergen, S. 141.


7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung 57<br />

eigenständige subkulturelle Gegenordnung mit spezifischen Normen, eigener Organisation<br />

und besonderen Gebräuchen. Es kommt zu einer Herausbildung divergierender<br />

Insassenrollen, welche durch den informellen Status des einzelnen Inhaftierten bedingt sind.<br />

Dieser gründet auf <strong>die</strong> jeweilige Akzeptanz der Gruppennormen, auf Macht und Ansehen<br />

innerhalb der Gefangenengemeinschaft, Sexualverhalten sowie wirtschaftliche Stellung. Der<br />

Deliktsart wird zudem eine Bedeutung für <strong>die</strong> Position unter den Inhaftierten zugeschrieben.<br />

So rangieren z.B. Sexualstraftäter in der Gefängnishierarchie auf der niedrigsten Stufe. Ferner<br />

soll dem „Dienstalter“ 246 Statusfunktion zukommen. Im Vollzugsalltag tritt <strong>die</strong><br />

Insassensubkultur heute v.a. durch gewalttätig ausgetragene Machtkämpfe als Folge von<br />

Blockbildungen zu Tage. Hinzu kommen auch mit dem Einschmuggeln und dem Handeln von<br />

Betäubungsmitteln verbundene Aktivitäten.<br />

Des Weiteren zeigt sich <strong>die</strong> Anstaltssubkultur auch im Sprachgebrauch der Gefangenen.<br />

Diese bilden eine rund um <strong>die</strong> Uhr in der Einrichtung anwesende, von der Aussenwelt mehr<br />

oder weniger abgeschottete Sprachgemeinschaft, welcher auch eine Einheit stiftende Funktion<br />

im Sinne eines Zusammengehörigkeitsgefühls zukommt.<br />

Eine Reaktion auf <strong>die</strong> Gegebenheiten im Strafvollzug stellt auf der subkulturellen Ebene auch<br />

der Bereich der illegalen Tausch- und Kaufgeschäfte dar. Aufgrund der in den Anstalten nur<br />

sehr begrenzt gegebenen Möglichkeiten zum Besitz von Gegenständen besteht eine<br />

Mangelwirtschaft, welche insbesondere unerlaubte Sachen betrifft, wie z.B. Alkohol,<br />

Betäubungsmittel usw. Das Schwarzmarktgeschehen ist auch von subkulturellen<br />

Gegenleistungen 247 geprägt, wobei <strong>die</strong> Eintreibung der illegalen Schulden von den<br />

Gefangenen mit Nachdruck betrieben wird. 248<br />

Untersuchungen zur Subkultur haben deutlich gemacht, dass zwischen der Härte des<br />

Anstaltsregimes und der Ausprägung subkultureller, zumeist resozialisierungsfeindlicher<br />

Normen, ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Je weniger Zwang auf eine Gruppe<br />

ausgeübt und je weniger Wert auf Autorität gelegt wird, desto geringer ist das Bedürfnis der<br />

Inhaftierten, sich in Subkulturen zusammenzuschliessen. 249<br />

246<br />

247<br />

248<br />

249<br />

Hafterfahrung und Seniorität.<br />

Sexuelle Hingabe, Übermittlung von Nachrichten, Einschmuggeln verbotener Gegenstände usw.<br />

Laubenthal, N 219-222.<br />

Schuh, S. 36.


7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung 58<br />

7.7 Prisonisierung<br />

Primäre sowie sekundäre Adaption sind <strong>die</strong> beiden Aspekte eines Prozesses, welcher als<br />

Prisonisierung bezeichnet wird: Anpassung an das Leben in der Anstalt, verbunden mit einer<br />

Anpassung an deviante Normen einer Subkultur.<br />

Die Übernahme subkultureller Werte und Aktivitäten soll von bestimmten Faktoren abhängig<br />

sein. Es wird ein Zusammenhang zwischen der Länge des Anstaltsaufenthalts und dem<br />

Prisonisierungsgrad konstatiert. Die Normkonformität der Insassen ist jedoch abhängig von<br />

der Haftphase: hohe Konformität zu Haftbeginn, verstärkte Nonkonformität gegen Mitte der<br />

Strafverbüssung sowie erneute Konformität vor Haftende. Der Prisonisierungsprozess verläuft<br />

somit zyklisch in Form einer U-Kurve. Der Prisonisierungsgrad kann, abgesehen von der<br />

Länge der Inhaftierung, auch durch <strong>die</strong> Beziehungen zu Mitgefangenen, <strong>die</strong> Erwartungen an<br />

<strong>die</strong> Zeit nach der Entlassung, <strong>die</strong> Intensität der Entfremdung von der freien Gesellschaft sowie<br />

eine Ablehnung der Institution, <strong>die</strong> Anstaltsstruktur und <strong>die</strong> Persönlichkeit des Insassen<br />

beeinflusst werden.<br />

Als ein weiterer Faktor tritt <strong>die</strong> Art der übernommenen Rolle hinzu. Die Gefangenen werden<br />

im Hinblick auf ihr Verhalten gegenüber dem offiziellen System mittels bestimmter als<br />

soziale Verhaltenstypen bezeichneter Verhaltensstile eingeteilt. Vorbild hierfür ist eine für<br />

den nordamerikanischen Vollzug entwickelte Typologie in welcher der prosoziale 250 , der<br />

pseudosoziale 251 , der asoziale 252 sowie der antisoziale 253 Typus unterschieden werden. Es<br />

kann jedoch ausgeschlossen werden, dass es eine spezifische Anstaltsgesellschaft mit<br />

übereinstimmenden formellen und informellen Normen und Werten gibt, in welche der<br />

Verurteilte sich im Verlauf seines Anstaltsaufenthalts einem ganz bestimmten<br />

Verhaltenstypus gemäss einfügt. Die Entzugssituation der Haft löst vielmehr individuell<br />

divergierende Adaptionsmechanismen aus. Die Dynamik der Akkulturation folgt dabei<br />

wesentlich den Erfahrungen der vorinstitutionellen Biographie. Zwar <strong>die</strong>nt eine gewisse<br />

informelle Ordnung auch der Bewahrung des Vollzugsalltags vor unvorhergesehenen<br />

Störfaktoren, doch sind <strong>die</strong> in den Anstalten unterschiedlich ausgeprägten Subsysteme<br />

geeignet, <strong>die</strong> Chancen einer Vollzugszielerreichung zu beeinträchtigen. 254<br />

250<br />

251<br />

252<br />

253<br />

254<br />

Dieser Typus ordnet sich unter und orientiert sich an den konventionellen und legalen Normen der Anstalt.<br />

Dieser Typus erscheint opportunistisch und angepasst. Er wechselt zwischen den Normensystemen und<br />

richtet sich jeweils zu seinem eigenen Vorteil nach denjenigen des Vollzugsstabes oder denen der<br />

Insassensubkultur.<br />

Dieser Typus schenkt weder den Insassennormen noch der Anstaltsordnung grosse Bedeutung. Er<br />

beschränkt seine sozialen Beziehungen auf ein Minimum und lebt zurückgezogen.<br />

Dieser Typus lehnt <strong>die</strong> offiziellen Stabsnormen ab und übernimmt <strong>die</strong> opponierende Insassenrolle.<br />

Laubenthal, N 224-227.


7. Die Schädlichen Wirkungen der Inhaftierung 59<br />

7.8 Auseinandersetzung mit der Schuld<br />

Die Einsicht in das Unrecht der Tat und in <strong>die</strong> eigene Schuld bleibt eine seltene Ausnahme. 255<br />

Wenn nicht <strong>die</strong> charakterlichen und geistig-seelischen Voraussetzungen für eine tiefere<br />

Auseinandersetzung mit der Schuldfrage fehlen, so ist der Mord, wie jede andere überlegte<br />

Tat, wohl nie ein bewusster Verstoss gegen das Tabu des Tötungsverbots, sondern er wird<br />

von vornherein in der Überlegung entschuldigt. Die Mörder teilen ebenfalls <strong>die</strong> allgemein<br />

üblichen moralischen Grundvorstellungen, doch finden sie für den eigenen Fall eine<br />

Ausnahme. Die allermeisten Taten werden gerechtfertigt und entschuldigt, noch bevor sie<br />

begangen sind, weshalb Reue dann später kaum möglich ist. Kommen doch Schuldgefühle<br />

auf, so fehlt <strong>die</strong> Aussicht, dass <strong>die</strong> Strafe ein Ende nehme und <strong>die</strong> Schuld getilgt werden<br />

könnte. Da es eine psychische Notwendigkeit ist, dass Schuldgefühle schliesslich überwunden<br />

werden, übersteigt es <strong>die</strong> Möglichkeiten des Menschen, auf <strong>die</strong> Dauer im Bewusstsein <strong>die</strong><br />

Strafe als gerechte Vergeltung auf sich zu nehmen, weshalb zwangsläufig<br />

Entladungsmechanismen einsetzen, welche <strong>die</strong> Schuld verkleinern oder gar auslöschen.<br />

Die typische Reaktion des Mörders besteht darin, dass er seine Tat zwar als ein Verbrechen<br />

anerkennt, sich aber über <strong>die</strong> Grösse seines Verbrechens hinwegtäuscht. Hier beginnt der<br />

Selbstbetrug, wozu <strong>die</strong> Relativierung des Sachverhalts <strong>die</strong>nt. Die Tat wird beschönigt,<br />

verharmlost, <strong>die</strong> Werturteile werden verfälscht, das Motiv verkleinert, alles aus der Tendenz<br />

zur Schuldentlastung. Auch findet oft eine juristische Umwertung der Tat statt, so dass aus<br />

Mord Totschlag, aus Angriff Notwehr wird usw. Die zweite Stufe des Selbstbetruges beginnt<br />

dort, wo eine Verdrehung des Sachverhalts hinzutritt. Schliesslich besteht <strong>die</strong> letzte Stufe des<br />

Selbstbetruges im Abstreiten der Tat. Beharrliches Leugnen wird so zur Schutzhaltung gegen<br />

allfällige Schuldgefühle. 256<br />

Eine Auseinandersetzung mit der Schuld stellt somit eine seltene Ausnahme dar. Mörder<br />

haben zu ihren Opfern fast nie eine Relation der Anteilnahme und denken nur an sich selbst.<br />

Diese Erscheinung wird mit dem Erlebnis der Zukunftslosigkeit erklärt: Menschen, <strong>die</strong> keine<br />

Zukunft haben, können sich <strong>die</strong> Vergangenheit nicht aneignen, so dass <strong>die</strong> Tat unverarbeitet<br />

in der Persönlichkeit verharrt. 257<br />

255<br />

256<br />

257<br />

Pless-Bächler, S. 71.<br />

Röhl, S. 119-122.<br />

Feige, S. 15.


8. Die Verfassungsmässigkeit der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 60<br />

8. Die Verfassungsmässigkeit der <strong>lebenslängliche</strong>n<br />

Freiheitsstrafe<br />

Da es in der Schweiz zu <strong>die</strong>sem Thema kaum Debatten gibt 258 , wird im Folgenden auf <strong>die</strong><br />

Situation in der Bundesrepublik Deutschland eingegangen. Im Jahre 1977 hatte das<br />

Bundesverfassungsgericht in BVerGE 45, 187 über <strong>die</strong> Verfassungsmässigkeit der<br />

lebenslangen Freiheitsstrafe zu entscheiden.<br />

Es stellt sich <strong>die</strong> Frage, wie das Bundesverfassungsgericht mit der Höchststrafenproblematik<br />

umgeht und insbesondere, welche Bedeutung den einzelnen Verfassungsprinzipien bei der<br />

Entscheidfindung zukommt. 259<br />

8.1 Einleitung<br />

Das Landgericht Verden 260 war auf Grund der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt,<br />

der Angeklagte habe das Opfer heimtückisch und zur Verdeckung von Straftaten getötet. Die<br />

Besonderheit des § 211 dStGB 261<br />

besteht nun darin, dass <strong>die</strong> Verhängung der<br />

<strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe hier zwingend vorgeschrieben ist. Diese Problematik hat das<br />

Schwurgericht veranlasst, das hängige Verfahren auszusetzen und dem<br />

Bundesverfassungsgericht im Wege der konkreten Normenkontrolle <strong>die</strong> Frage zur<br />

Entscheidung vorzulegen, ob § 211 Abs. 1 dStGB insoweit verfassungswidrig sei, als er<br />

bestimme, dass der Mörder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft werde. 262<br />

8.2 Argumente für <strong>die</strong> Unvereinbarkeit mit der Verfassung<br />

Das Schwurgericht hielt <strong>die</strong> zur Prüfung vorgelegte Norm für unvereinbar mit Art. 1, Art. 2 II<br />

2 in Verbindung mit Art. 19 II und ferner mit Art. 3 I GG. Die Begründung war folgende:<br />

Der durch <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe bewirkte endgültige Ausschluss des Straftäters aus<br />

der Gesellschaft und seine damit verbundene psychische Vernichtung verletze <strong>die</strong> dem<br />

Gesetzgeber in Art. 1 GG aufgegebene Pflicht zur Achtung der Menschenwürde, welche<br />

jedem menschlichen Wesen zukomme.<br />

Über<strong>die</strong>s habe <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe <strong>die</strong> völlige Beseitigung der Bewegungsfreiheit<br />

und damit einen Verstoss gegen <strong>die</strong> in Art. 2 II 2 GG enthaltene Garantie der persönlichen<br />

Freiheit unter Überschreitung der Wesensgehaltssperre des Art. 19 II GG zur Folge.<br />

258<br />

259<br />

260<br />

261<br />

262<br />

Beckmann/Wagensonner, S. 881.<br />

Grasberger, S. 59.<br />

Schwurgericht.<br />

Alle in der Arbeit verwendeten deutschen Gesetzesartikel sind im Anhang aufgeführt.<br />

Schlechtriem, S. 36-37.


8. Die Verfassungsmässigkeit der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 61<br />

Sodann hat der Gesetzgeber für den Straftatbestand der vorsätzlichen Tötung verschiedene<br />

Rechtsfolgen vorgesehen. Der Tatbestand des Mordes zwinge zur Verhängung lebenslanger<br />

Freiheitsstrafe, der Tatbestand des Totschlags hingegen eröffne dem Richter <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

innerhalb eines Strafrahmens <strong>die</strong> Strafe nach dem Verschulden oder der Gefährlichkeit des<br />

Täters zu bemessen. Bei gleichem geschütztem Rechtsgut seien <strong>die</strong> verschiedenen<br />

Rechtsfolgen nur zu rechtfertigen, wenn <strong>die</strong> in § 211 dStGB geregelte Qualifizierung<br />

zwingend eine höhere Schuld und Gefährlichkeit des Täters ergebe. Der Unrechtsgehalt des<br />

Mordes sei aber nicht notwendigerweise grösser als der eines Totschlags. Das übrige<br />

Strafrecht trägt dem Grundsatz, dass <strong>die</strong> Strafe schuldangemessen sein müsse, durch <strong>die</strong> in<br />

den einzelnen Tatbeständen enthaltenen Strafrahmen Rechnung. Lediglich bei Mord und<br />

Völkermord gelte <strong>die</strong> absolute Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe. Unter Umständen<br />

müsse der Richter daher wegen des Fehlens eines Strafrahmens eine Strafe verhängen, welche<br />

über <strong>die</strong> von ihm selbst als angemessen empfundene Strafe hinausgehe, weshalb <strong>die</strong><br />

Strafvorschrift gegen Art. 3 GG verstosse. 263<br />

8.3 Argumente für <strong>die</strong> Vereinbarkeit mit der Verfassung<br />

Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, dass ein Verstoss gegen Art. 1 I GG nicht<br />

vorliegt. Das Landgericht Verden begründet <strong>die</strong> Verletzung der Menschenwürde<br />

hauptsächlich mit dem Hinweis auf wissenschaftliche Untersuchungen über<br />

Persönlichkeitswandlungen im Strafvollzug und auf <strong>die</strong> Strafvollzugserfahrung, dass bei<br />

langjährigem Freiheitsentzug persönlichkeitsschädigende Folgen auftreten. Prüft man aber das<br />

einschlägige Schrifttum nach, so ergeben sich erhebliche Zweifel, ob <strong>die</strong> angeführten Belege<br />

für <strong>die</strong> behaupteten Schadenswirkungen der lebenslangen Freiheitsstrafe derart fun<strong>die</strong>rt sind,<br />

dass sich daraus verfassungsrechtliche Folgerungen für <strong>die</strong> Beurteilung der gesetzgeberischen<br />

Entscheidung herleiten liessen. Viele Behauptungen gehen letztlich auf das Gutachten von<br />

Moritz Liepmann für den 31. Deutschen Juristentag aus dem Jahre 1912 zurück. Es bleibt<br />

jedoch zu berücksichtigen, dass der Vollzug der Zuchthausstrafe zu Anfang <strong>die</strong>ses<br />

Jahrhunderts nicht mit den heutigen Verhältnissen verglichen werden kann. In der neueren<br />

Literatur weisen <strong>die</strong> Ansichten über <strong>die</strong> Haftfolgen beim Vollzug der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe ein sehr breites Spektrum auf. Für <strong>die</strong> verfassungsgerichtliche Nachprüfung ist<br />

bei einer derartigen Sachlage Zurückhaltung geboten. Dem Bundesverfassungsgericht ist zwar<br />

der Schutz der Grundrechte gegenüber dem Gesetzgeber übertragen, weshalb es bei seiner<br />

Prüfung nicht an <strong>die</strong> Rechtsauffassung des Gesetzgebers gebunden ist. Soweit dabei<br />

263<br />

BVerfGE 45, 187.


8. Die Verfassungsmässigkeit der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 62<br />

allerdings Wertungen und tatsächliche Beurteilungen des Gesetzgebers von Bedeutung sind,<br />

kann sich das Gericht über sie nur hinwegsetzen, wenn sie widerlegbar sind. Wenn das<br />

Bundesverfassungsgericht dennoch einen Verstoss gegen <strong>die</strong> Menschenwürde verneint hat, so<br />

hatte <strong>die</strong>s folgende Gründe:<br />

Die Androhung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe findet ihre Ergänzung in einem<br />

Behandlungsvollzug. Die Vollzugsanstalten sind auch bei den zu lebenslanger Freiheitsstrafe<br />

verurteilten Gefangenen verpflichtet, auf deren Resozialisierung hinzuwirken, sie<br />

lebenstüchtig zu erhalten und schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges und damit<br />

deformierenden Persönlichkeitsveränderungen entgegenzuwirken. Sodann ist <strong>die</strong> volle<br />

Verbüssung der lebenslangen Freiheitsstrafe eine seltene Ausnahme. Die zu lebenslanger<br />

Freiheitsstrafe Verurteilten werden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, vorzeitig im<br />

Gnadenwege entlassen. Daraus ergibt sich eine weitere Begrenzung der Gefahr<br />

schwerwiegender Persönlichkeitsveränderungen.<br />

Das Bundesverfassungsgericht stimmt dem vorlegenden Gericht allerdings zu, dass der<br />

gegenwärtige Rechtszustand, wonach <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe nur im Wege der<br />

Begnadigung ausgesetzt oder erlassen werden kann, zu rechtsstaatlichen Bedenken Anlass<br />

gibt, und dass das Rechtsstaatsprinzip eine Verrechtlichung der Entlassungspraxis gebietet.<br />

Des Weiteren stellt sich <strong>die</strong> Frage, ob es mit dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz vereinbar<br />

ist, für jeden Fall der heimtückischen Tötung und der Tötung zur Verdeckung einer anderen<br />

Straftat ausschliesslich <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe anzudrohen. Es muss hierbei allerdings<br />

berücksichtigt werden, dass <strong>die</strong> absolute Strafdrohung einen Beitrag zur Rechtssicherheit und<br />

gleichmässigen Bestrafung der Straftäter darstellt. Die absolute Androhung einer so schweren<br />

Strafe ist nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn dem Richter von Gesetzes wegen<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit offen bleibt, bei der Subsumtion konkreter Fälle unter <strong>die</strong> abstrakte Norm zu<br />

einer Strafe zu kommen, welche mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der<br />

Verhältnismässigkeit vereinbar ist. Dies ist jedoch unter Berücksichtigung der Vorschriften<br />

des Allgemeinen Teils des dStGB und im Wege einer verfassungskonformen restriktiven<br />

Auslegung des § 211 dStGB möglich.<br />

Entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts liegt nach Ansicht des<br />

Bundesverfassungsgerichts auch kein Verstoss gegen Art. 3 I GG vor. Es ist Sache des<br />

Gesetzgebers darüber zu befinden, wie er den verschiedenen Unrechts- und Schuldgehalt der<br />

Tötungshandlungen bei der Gestaltung der materiellen Strafnormen berücksichtigt. Durch Art.<br />

3 I GG ist er nur insoweit gebunden, als <strong>die</strong> gewählte Tatbestandsfassung und Strafandrohung<br />

durch sachliche Erwägungen hinreichend begründet sein müssen und nicht willkürlich sein


8. Die Verfassungsmässigkeit der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 63<br />

dürfen. Es ist freilich nicht zu verkennen, dass zwischen der Strafandrohung des § 211 I<br />

dStGB für Mord und der des § 212 I dStGB für Totschlag eine erhebliche Lücke klafft.<br />

Allerdings heben sich bei der schon im Hinblick auf den Verhältnismässigkeitsgrundsatz<br />

gebotenen restriktiven Auslegung <strong>die</strong> Mordqualifikation der Heimtücke und der<br />

Verdeckungsabsicht unter dem Gesichtspunkt der Tatschwere und der Täterschuld so<br />

wesentlich von den anderen Fällen der vorsätzlichen Tötung ab, dass <strong>die</strong> grossen<br />

Unterschiede in den Strafandrohungen gerechtfertigt erscheinen.<br />

Schliesslich steht nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts auch Art. 19 II GG der<br />

lebenslangen Freiheitsstrafe nicht entgegen. Weder aus der Entstehungsgeschichte des Art. 2<br />

II 2 in Verbindung mit Art. 102 GG und Art. 104 GG noch aus der des Art. 19 II GG ergibt<br />

sich ein Anhaltspunkt dafür, dass <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe in Frage gestellt werden<br />

sollte. Daraus kann zwar keine allgemein verfassungsrechtliche Billigung der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe hergeleitet werden, wohl aber ihre Verträglichkeit speziell mit Art. 2 II 2 und<br />

Art. 19 II GG. 264<br />

8.4 Fazit<br />

Die <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe für Mord ist laut Bundesverfassungsgericht nach<br />

Massgabe folgender Leitsätze mit dem Grundgesetz vereinbar:<br />

Es kann nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse nicht festgestellt werden, dass<br />

der Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe zu irreparablen Schäden psychischer oder<br />

physischer Art führt, welche <strong>die</strong> Würde des Menschen verletzen.<br />

Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, <strong>die</strong> Voraussetzungen, unter denen <strong>die</strong> Vollstreckung<br />

einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende<br />

Verfahren gesetzlich zu regeln 265 .<br />

Die Qualifikation der Tötung eines Menschen als Mord gemäss § 211 Abs. 2 dStGB<br />

verletzt bei einer an dem verfassungsrechtlichen Verhältnismässigkeitsgrundsatz<br />

orientierten restriktiven Auslegung nicht das Grundgesetz.<br />

264<br />

265<br />

BVerfGE 45, 187.<br />

Am 1.5.1982 wurde <strong>die</strong> gesetzliche Strafaussetzungsregelung des § 57 a dStGB in Kraft gesetzt. Eine<br />

Strafaussetzung erfolgt, wenn mindestens 15 Jahre der Strafe verbüsst sind, nicht <strong>die</strong> besondere Schwere der<br />

Schuld des Verurteilten eine weitere Vollstreckung gebietet und dem Verurteilten auf Grund seines<br />

Verhaltens im Vollzug eine günstige Sozialprognose gestellt werden kann; Weber, S. 19.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 64<br />

9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe<br />

Das typische Zwangsmittel des Strafrechts ist <strong>die</strong> Strafe. Sie stellt ihrem Wesen nach einen<br />

Eingriff in <strong>die</strong> Rechtsgüter des Verurteilten dar, mit dem dessen tatbestandsmässiges,<br />

rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten öffentlich missbilligt wird. Dass der Staat für sich<br />

in Anspruch nimmt, solche Sanktionen anzudrohen, auszusprechen und schliesslich zu<br />

vollziehen, wird in verschiedener Weise begründet. 266<br />

Bei den Straftheorien geht es um <strong>die</strong> Lehren über <strong>die</strong> Sinngebung der Strafe. 267 Es werden<br />

absolute und relative Theorien unterschieden. Für <strong>die</strong> absoluten Straftheorien gilt, dass sie in<br />

nützlichen Zwecken der Strafe für <strong>die</strong> Gesellschaft noch keine hinreichende Legitimation<br />

sehen, sondern eine Begründung der Strafe gegenüber dem Täter fordern. Die relativen<br />

Theorien indessen begnügen sich für <strong>die</strong> Legitimation der Strafe mit deren gesellschaftlich<br />

nützlichen Wirkungen. 268 Die absoluten Strafzwecke betreffen immer <strong>die</strong> Vergangenheit, <strong>die</strong><br />

relativen hingegen <strong>die</strong> Zukunft. 269<br />

9.1 Absolute Theorien<br />

9.1.1 Im Allgemeinen<br />

Die absoluten Theorien heissen absolut, weil nach ihnen <strong>die</strong> Strafe, losgelöst von jedem<br />

Zweckgedanken, nur gerechte Vergeltung sein soll. Das Übel, das der Täter getan hat, soll mit<br />

einem Übel, welches ihm dafür vom Staat absichtlich zugefügt wird, ausgeglichen werden.<br />

Zwischen den beiden Übeln soll ein Gleichgewicht bestehen. 270<br />

Massgeblich geprägt wurde <strong>die</strong> absolute Straftheorie vom deutschen Idealismus, namentlich<br />

von Immanuel Kant 271<br />

und Georg Wilhelm Friedrich Hegel 272 . In neuerer Zeit hat<br />

insbesondere Andrew von Hirsch <strong>die</strong> absoluten Theorien unter dem Begriff „just deserts“ 273<br />

neu belebt, v.a. im Zusammenhang mit der Strafzumessung. 274<br />

266<br />

267<br />

268<br />

269<br />

270<br />

271<br />

272<br />

273<br />

Rehberg, S. 1.<br />

Riklin, § 5 N 9-10, N 29.<br />

Seelmann, S.19.<br />

Niggli, S. 91.<br />

Trechsel/Noll, S. 16.<br />

Immanuel Kant (1724-1804): Allein aus der begangenen Tat könne <strong>die</strong> Strafe ihre Rechtfertigung beziehen.<br />

Er war der Ansicht, ein kategorischer Imperativ gebiete als sittliches Grundgesetz, dass Verbrechen um der<br />

Gerechtigkeit willen bestraft werden. Gerecht sei <strong>die</strong> Strafe nur dann, wenn sie sich am Prinzip der<br />

Gleichheit orientiere; Meier, S. 19.<br />

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1804): Er begründete <strong>die</strong> Strafe mit der seinem dialektischen Denken<br />

entsprechenden Überlegung, das Verbrechen sei <strong>die</strong> Verneinung des Rechts, durch das Übel der Strafe<br />

werde das Verbrechen aufgehoben und mit <strong>die</strong>ser Verneinung der Verneinung des Rechts das Rechts<br />

wiederhergestellt; Schultz, Band I, S. 42.<br />

In den USA wird <strong>die</strong> neo-klassische Straftheorie des „just deserts“ favorisiert. Diese verzichtet ganz auf eine<br />

Präventionsorientierung und progapiert stattdessen eine „gerechte“ tatproportionale Strafbemessung. Die


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 65<br />

9.1.2 Bei der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe<br />

Bei Bekanntwerden eines Morddelikts ist es meist <strong>die</strong> Öffentlichkeit, <strong>die</strong> empört nach<br />

Vergeltung ruft. Sie entwickelt ein grosses Aggressionspotenzial und starke<br />

Vergeltungsbedürfnisse. 275 Solche Reaktionen sind jedoch nicht unverständlich. In einem<br />

solchen Fall wird <strong>die</strong> Öffentlichkeit mit Ängsten um ihre eigene Sicherheit konfrontiert und<br />

muss sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass es Menschen gibt, <strong>die</strong> fähig sind andere<br />

Menschen zu töten. Ein vorsätzliches Tötungsdelikt löst ganz andere Gefühle aus wie etwa<br />

ein Vermögensdelikt, denn <strong>die</strong> Vernichtung des Rechtsgutes Leben kann nicht wieder<br />

gutgemacht werden. Zusätzlich kommt <strong>die</strong> moralische Verwerflichkeit hinzu, welche<br />

geradezu ein Charakteristikum des Mordes ist und ihn von den anderen Tötungsdelikten<br />

deutlich abhebt. Die Öffentlichkeit identifiziert sich mit dem Opfer, so dass Mitgefühl mit<br />

dem Opfer sowie mit den Angehörigen, Gefühle des Abscheus, der Angst, der Ohnmacht und<br />

angestaute Aggressionen plötzlich hervorbrechen. 276 Der Täter ist in einem solchen Fall der<br />

geeignete Sündenbock, auf den sich das Racheverlangen der Gesellschaft konzentriert und an<br />

welchem es sich entladen kann. 277<br />

Doch inwieweit ist <strong>die</strong>ses Strafbedürfnis der Gesellschaft tatsächlich vorhanden? Dem<br />

Dictum „homo homini lupus“ zufolge würde das Strafrecht lediglich <strong>die</strong> öffentlichen<br />

Strafbedürfnisse exekutieren und dadurch <strong>die</strong> latent drohende Privatjustiz vermeiden. Dies<br />

lässt sich jedoch in Frage stellen und ins Gegenteil kehren: Das, was sich als Strafverlangen<br />

darstellt, ist bloss <strong>die</strong> Folge der staatlichen Legitimation der Strafe und <strong>die</strong>nt letztlich<br />

professionellen Erhaltungsinteressen. Auch viktimologische Forschungen deuten auf ein<br />

Auseinanderklaffen zwischen unterstelltem und wirklichem Strafverlangen. So verlangen<br />

Opfer einer Straftat grundsätzlich viel weniger nach einer harten Strafe als Nichtopfer, deren<br />

Erfahrungen mit Kriminalität sich auf <strong>die</strong> Berichte der Massenme<strong>die</strong>n beschränken. Das<br />

keineswegs konstante Kollektivstrafverlangen lässt sich je nach Informationsquelle und –<br />

verwertung negativ und positiv beeinflussen. 278 Wo ein Strafbedürfnis vorhanden ist, ist es<br />

274<br />

275<br />

276<br />

277<br />

278<br />

Deliktsschwere allein bestimmt <strong>die</strong> Strafart und <strong>die</strong> Strafhöhe. Die Strafzumessung erfolgt dabei nach<br />

standardisierten Zumessungsregeln, wobei auf <strong>die</strong> sozialen Hintergründe des Geschehens sowie <strong>die</strong><br />

Sozialisierungsbedürftigkeit des Täters keine Rücksicht genommen wird; Kunz, § 33 N 1-4.<br />

Kunz, § 33 N 1-4.<br />

Stratenwerth, AT I, § 2 N 10.<br />

Pless-Bächler, S. 87-88.<br />

Weber, S. 23; Kaiser, S. 94-96.<br />

Brughelli, S. 4-5.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 66<br />

auch korrigierbar, d.h. aufklärerisch steuerbar. 279 Über<strong>die</strong>s unterliegt es dem sozialen<br />

Wandel. 280<br />

Die Ursachen des Vergeltungsbedürfnisses, sein Umfang und seine Gestalt müssen erforscht<br />

werden, denn noch mangelt es an Wissen in <strong>die</strong>sen Bereichen. Unter Mithilfe von Soziologen,<br />

Psychologen und Kriminologen müsste vermehrt Grundlagenforschung zum Problem der<br />

Gewaltdelikte in der Gesellschaft betrieben werden. 281 Die Resultate <strong>die</strong>ser Forschungen<br />

müssten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wobei sich dann zeigen wird, ob sich<br />

das Vergeltungsbedürfnis ändert. 282<br />

Einerseits darf <strong>die</strong>sem „Ruf der Strasse“, welcher völlig vorwissenschaftlich und regelmässig<br />

in krasser Verkennung der Wirkung von Strafen nach drakonischem Eingreifen und<br />

rücksichtsloser Strenge ruft, nicht nachgegeben werden, doch auf der anderen Seite sind es<br />

letztlich gewählte Parlamentarier, wenn nicht sogar <strong>die</strong> Stimmbürger, <strong>die</strong> entscheiden. Auch<br />

Kriminalpolitik ist „Kunst des Möglichen“, d.h. sie muss den politischen Machtverhältnissen<br />

Rechnung tragen. Dies war ein Motiv dafür, dass <strong>die</strong> Expertenkommission zur Revision des<br />

Allgemeinen Teils des StGB <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe nicht aus dem Gesetz<br />

gestrichen hat. 283<br />

Zwar gilt der Vergeltungsgedanke heute als überholt, doch auch wenn Art und Höhe einer<br />

Strafe durch <strong>die</strong> Höhe der Schuld begrenzt wird, schimmert bei der Frage nach der<br />

Bemessung der Strafe immer noch der Vergeltungsgedanke im Sinne des Talionsprinzips<br />

durch, was insbesondere bei der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe offensichtlich ist. 284 Die<br />

Befürworter der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe argumentieren, dass <strong>die</strong> grösstmögliche<br />

Rechtsgutverletzung, d.h. <strong>die</strong> Vernichtung eines Menschenlebens, dessen Wert gar nicht<br />

schätzbar ist, auf <strong>die</strong>se Weise sanktioniert werden müsse, da sich <strong>die</strong>se Strafe von allen<br />

anderen abhebt und ebenfalls nicht messbar ist. 285 Doch stellt sich <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong><br />

lebenslange Freiheitsstrafe <strong>die</strong> einzige gerechte Reaktion auf eine derartige Tat ist. 286 Was<br />

„gerecht“ bedeutet, entspringt dem subjektiven Empfinden des Staates und seiner Bürger.<br />

Dieses Empfinden ist im Laufe der Zeit Änderungen unterworfen. Die Festlegung einer<br />

„gerechten“ Strafgrösse ist daher nie frei von einer gewissen Willkür.<br />

279<br />

280<br />

281<br />

282<br />

283<br />

284<br />

285<br />

286<br />

Kunz, § 28 N 15.<br />

Kaiser, S. 115.<br />

Pless-Bächler, S. 88.<br />

Brughelli, S. 5; Kury, S. 226-227.<br />

Trechsel/Noll, S. 29.<br />

Aebersold, Menschenbilder, S. 41.<br />

Schlechtriem, S. 119; Grasberger, S. 17; Weber, S. 218; Wolf, S. 133-134; Feige, S. 14; Jung, S. 36; Laun,<br />

S. 44.<br />

Meier, S. 20.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 67<br />

Ein weiteres Argument der Befürworter der lebenslangen Freiheitsstrafe ist, dass <strong>die</strong><br />

Androhung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe dadurch gerechtfertigt sei, dass bei Mord der<br />

Unrechtsgehalt grösser sei als bei der vorsätzlichen Tötung. Unrecht ist jedoch ein<br />

hypothetischer Begriff, welcher nicht messbar ist, weshalb auch eine solche Begründung<br />

unzulänglich ist. Dieselben Bedenken existieren hinsichtlich der Schuld, auch sie kann weder<br />

genau gemessen noch genau definiert werden. 287 Heute ist über<strong>die</strong>s anerkannt, dass auch <strong>die</strong><br />

Gesellschaft einen Teil der Verantwortung für <strong>die</strong> Bildung von Kriminalität trägt. 288<br />

Wer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird und in einer Strafanstalt den Verlust seiner<br />

Freiheit erleidet, wird von der öffentlichen Meinung stets als „Krimineller“ eingestuft und<br />

erhält damit einen dauerhaften Makel. 289 Dass <strong>die</strong> Straftat durch <strong>die</strong> Strafe aufgehoben wird,<br />

ist reine Metaphysik und entzieht sich empirischer Überprüfbarkeit. Auf <strong>die</strong> Freiheitsstrafe,<br />

trifft <strong>die</strong> Annahme, mit der Strafe habe der Verurteilte seine Schuld ausgeglichen, gerade<br />

nicht zu, denn wer seine Strafe verbüsst hat, verlässt <strong>die</strong> Strafanstalt nicht als Entsühnter,<br />

sondern als einer, der gesessen hat. Die Strafe beginnt sozusagen erst mit der Entlassung,<br />

denn anscheinend ist ein Grossteil der Bevölkerung nicht bereit, <strong>die</strong> Strafe wirklich als Sühne<br />

zu akzeptieren. 290 Die Gesellschaft zelebriert zwar den Schuldspruch, doch sie anonymisiert<br />

<strong>die</strong> Wiedereingliederung. 291<br />

9.2 Relative Theorien<br />

9.2.1 Im Allgemeinen<br />

Die relativen Theorien 292 nehmen eine Gegenposition zu den absoluten Theorien ein. Zu den<br />

weltanschaulichen Grundlagen der relativen Theorien zählen <strong>die</strong> Ideen der Aufklärung, der<br />

Glaube an <strong>die</strong> Erziehungsfähigkeit auch des Erwachsenen durch geeignete sozialpädagogische<br />

Einwirkung sowie <strong>die</strong> Ablehnung aller Versuche, <strong>die</strong> Probleme des gesellschaftlichen Lebens<br />

metaphysisch zu deuten. 293 Die Strafe hat eine soziale Funktion zu erfüllen, sie ist nicht<br />

Selbstzweck, sondern Vorbeugungsmittel. Der Sinn der Strafe ist allein <strong>die</strong> Verhinderung von<br />

Verbrechen in der Zukunft. 294<br />

Erstmals ausformuliert wurde der Grundgedanke der relativen Straftheorien in der<br />

Aufklärung, namentlich von Cesare Beccaria, welcher zwischen den zwei möglichen<br />

287<br />

288<br />

289<br />

290<br />

291<br />

292<br />

293<br />

294<br />

Pless-Bächler, S. 89-91.<br />

Brughelli, S. 2; Kaiser, S. 97; Kirchenamt, S. 59.<br />

Kirchenamt, S. 26.<br />

Aebersold, Menschenbilder, S. 42.<br />

Kirchenamt, S. 45.<br />

Auch präventive Theorien genannt.<br />

Hartwig, S. 132.<br />

Riklin, § 5 N 34.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 68<br />

Wirkungsebenen der Strafe, d.h. der Einwirkung auf den Täter und der Einwirkung auf <strong>die</strong><br />

Allgemeinheit unterschied. Die erste Wirkungsweise wird heute mit dem Begriff der<br />

Spezialprävention bezeichnet und für <strong>die</strong> zweite hat sich der Begriff der Generalprävention<br />

durchgesetzt. 295<br />

9.2.1.1 Generalprävention<br />

Der Staat wirkt bei der Generalprävention zum Zwecke der Verhinderung von Straftaten<br />

mittels der Strafe über einen einzelnen Rechtsbrecher hinaus auf <strong>die</strong> gesamte<br />

Rechtsgemeinschaft. Die Abschreckung potenzieller Rechtsbrecher durch Androhung des<br />

Strafübels, welche für Feuerbach 296 im Vordergrund stand, wird heute als „negative“<br />

Generalprävention bezeichnet. Ihr wird als „positive“ Generalprävention <strong>die</strong> andere Wirkung<br />

der Androhung und Verhängung von Strafe gegenübergestellt, den Geltungsanspruch der<br />

Norm, das Vertrauen in ihre Unverbrüchlichkeit zu bekräftigen. 297<br />

9.2.1.2 Spezialprävention<br />

Nach der Theorie der Spezialprävention 298 soll <strong>die</strong> Tat nicht vergolten werden, sondern es soll<br />

vielmehr neuen Delikten des Täters vorgebeugt werden. Dies kann auf dreierlei Weise<br />

geschehen, und zwar anknüpfend an <strong>die</strong> Unterscheidung von Liszt’s 299 durch Abschreckung<br />

der Gelegenheitsverbrecher, durch Besserung der verbesserlichen Gewohnheitsverbrecher und<br />

durch Sicherung vor den unverbesserlichen Gewohnheitsverbrechern.<br />

Die Spezialpräventionstheorie geht in ihrer modernen Form auf <strong>die</strong> Aufklärungszeit zurück.<br />

Im 19. Jahrhundert ist sie durch <strong>die</strong> Vergeltungstheorie zurückgedrängt worden und hat durch<br />

Franz Liszt eine Wiederbelebung erfahren. Im Verlaufe des Jahrhunderts ist sie jedoch wieder<br />

der Vergeltungstheorie gewichen. Die Lehre der Spezialprävention erhielt neuen Auftrieb<br />

durch <strong>die</strong> von Filippo Gramatica begründete Bewegung der Défense sociale, welche eine<br />

Sanktion nur dann verhängen wollte, wenn <strong>die</strong> Verhinderung neuer Delikte durch den Täter es<br />

295<br />

296<br />

297<br />

298<br />

299<br />

Meier, S. 21.<br />

Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775-1833): Er gilt als grösster deutscher Kriminalist der ersten Hälfte<br />

des 19. Jahrhundert und eigentlicher Begründer der modernen deutschen Strafrechtswissenschaft. Er<br />

unterschied zwischen Spezial- und Generalprävention, wobei <strong>die</strong> Generalprävention bei ihm im Mittelpunkt<br />

stand. Die gesetzliche Strafdrohung soll bewirken, dass <strong>die</strong> zum Delikt drängenden Antriebe durch ein<br />

stärkeres Gegenmotiv aufgewogen werden. Man hat <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Theorie des psychologischen Zwanges<br />

genannt; Stratenwerth, AT I, § 1 N 8.<br />

Stratenwerth, AT I, § 1 N 20.<br />

Auch Individualprävention genannt.<br />

Franz von Liszt (1851-1919): Er war der grösste deutsche Kriminalist der zweiten Hälfte des 19.<br />

Jahrhunderts. Er begründete eine spezialpräventive Lehre, welche internationale Wirkungen zeitigte und zu<br />

tiefgreifenden Umgestaltungen des Sanktionensystems führte. Seine kriminalpolitische Grundauffassung<br />

legte er in der Marburger Antrittsvorlesung „Der Zweckgedanke im Strafrecht“ 1882 nieder. Im Zentrum<br />

stand <strong>die</strong> zweckgerichtete Spezialprävention; Riklin § 5 N 40.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 69<br />

erfordert, und <strong>die</strong> wenn möglich schon eingreifen möchte, bevor jemand eine Straftat begeht.<br />

In Deutschland hatte sie in der Epoche der Reformeuphorie Mitte der sechziger Jahre bis<br />

Mitte der siebziger Jahre einen erheblichen Einfluss, ehe sie einer kritischen Betrachtung,<br />

welche als Abkehr von der Behandlungsideologie bezeichnet werden kann, unterworfen<br />

wurde. 300 Das böse Erwachen kam nach den Untersuchungen, welche hauptsächlich in den<br />

USA durchgeführt wurden. Robert Martinson prägte als Ergebnis seiner Auswertung „What<br />

works?“ das Schlagwort „nothing works“, worauf in den USA und Schweden das Pendel zu<br />

einem <strong>die</strong> Gesellschaft sichernden Strafvollzug umschlugen. 301 In der Zwischenzeit hat sich<br />

jedoch selbst in den USA wieder eine differenziertere Beurteilung durchgesetzt. Nach neueren<br />

Untersuchungen lassen sich bei bestimmten Delinquenten, welche aufgrund klarer<br />

Indikationen ausgewählt werden, durchaus Verbesserungen erzielen. Voraussetzung ist, dass<br />

<strong>die</strong> Betroffenen eine minimale Motivation aufbringen. Zudem kommen heute andere<br />

Behandlungskonzepte zum Zuge. Nach <strong>die</strong>sen Modifikationen hat behandlungsorientierter<br />

Vollzug durchaus wieder eine Berechtigung, allerdings nicht als umfassende Alternative,<br />

sondern als ergänzendes Angebot für ein beschränktes und definiertes Klientel. Dies<br />

bestätigen in der Schweiz <strong>die</strong> Erfahrungen im Massnahmenzentrum St. Johannsen im Kanton<br />

<strong>Bern</strong> oder in der Arbeitserziehungsanstalt Arxhof im Kanton Basel-Landschaft. 302<br />

9.2.2 Bei der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe<br />

9.2.2.1 Generalprävention<br />

a) Negative Generalprävention<br />

Früher wurde davon ausgegangen, dass sehr hohe, exemplarische Strafen<br />

Abschreckungswirkung hätten. Heute steht man <strong>die</strong>ser Frage jedoch kritischer gegenüber. Ob<br />

<strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe Abschreckungswirkung im Sinne der negativen<br />

Generalprävention hat, wird überwiegend bezweifelt. Der Wissensstand zu <strong>die</strong>ser Frage ist<br />

allerdings dürftig. Untersuchungen in der Schweiz fehlen ganz, wobei Arbeiten zu <strong>die</strong>sem<br />

Thema v.a. in den USA und in den skandinavischen Ländern vorhanden sind. Da <strong>die</strong>se aber<br />

aus unterschiedlichen Kulturen und Rechtssystemen stammen und uneinheitliche Methoden<br />

anwenden, erbringen sie keine verallgemeinerungsfähigen Resultate. In den anderen<br />

europäischen Ländern wurde <strong>die</strong>se Frage bislang stets nur im Zusammenhang mit der<br />

300<br />

301<br />

302<br />

Hartwig, S. 142.<br />

Kunz, § 31 N 22-23; Laun, S. 49.<br />

Aebersold, Menschenbilder, S. 46.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 70<br />

Todesstrafe oder mit der Frage nach der Präventivwirkung von Freiheitsstrafen überhaupt<br />

diskutiert. 303<br />

Für <strong>die</strong> Beantwortung der Frage, ob beim Übergang von der lebenslangen zu einer hohen<br />

zeitigen Freiheitsstrafe <strong>die</strong> Abschreckungswirkung nachlässt, zieht man hilfsweise<br />

Untersuchungen heran, welche sich mit dem Übergang von der Todesstrafe auf <strong>die</strong><br />

lebenslange oder eine sehr hohe zeitige Strafe befassen bzw. welche Staaten mit und ohne<br />

Todesstrafe vergleichen.<br />

Würde <strong>die</strong> Abschreckungsthese zutreffen, so müssten <strong>die</strong> Tötungsdeliktsraten in den Staaten<br />

mit Todesstrafenandrohung niedriger liegen als in solchen ohne <strong>die</strong> Androhung. Tradition<br />

haben solche Untersuchungen vor allem für <strong>die</strong> USA. Eine hilfsweise Betrachtung der<br />

Untersuchungen zur Abschreckungswirkung der Todesstrafe erbrachte für <strong>die</strong> drei breit<br />

angelegten Untersuchungen von Liepmann (1912), Sellin (1959) und Archer/Gartner (1984)<br />

kein Nachlassen einer etwaigen Abschreckungswirkung, welche sich in einer Zunahme der<br />

Tötungsdelikte bemerkbar machte. Ein Vergleich der Tötungsdelikts- und Sanktionsraten<br />

zwischen drei europäischen Abolitions- 304 und sechs Retentionsländern 305 führte zu dem<br />

Ergebnis, dass sich <strong>die</strong> Tötungsdelikte unabhängig vom Anwendungsumfang der jeweils<br />

schwersten Sanktion entwickelten und <strong>die</strong> Abolitionsländer mit einer wesentlich selteren<br />

Anwendung ihrer zeitigen Höchststrafen sogar günstigere präventive Effekte erzielten als <strong>die</strong><br />

Retentionsländer mit einer erheblich häufigeren Anwendung der <strong>lebenslängliche</strong>n<br />

Freiheitsstrafe. 306<br />

Die abschreckende Wirkung wird zudem für bestimmte Tätergruppen bezweifelt, so für<br />

Triebtäter oder Affektverbrecher, welche keine Überlegungen über <strong>die</strong> Folgen ihrer Tat<br />

anstellen. 307 Vor der Begehung eines Mordes befindet sich der Täter fast immer in einer<br />

seelischen Ausnahmesituation, in welcher ein Abwägen des Für und Wider der Tat nicht<br />

erfolgt. Über<strong>die</strong>s besteht in der Regel das Vertrauen darauf, dass <strong>die</strong> Tat nicht aufgeklärt<br />

werde. 308 Seine Anstrengungen sind darauf gerichtet, <strong>die</strong> Spuren zu verwischen, damit kein<br />

Verdacht auf ihn fällt. 309 Natürlich gibt es Personen, welche <strong>die</strong> Straftaten bewusst begehen,<br />

nur bezieht sich ihr Kalkül nicht auf <strong>die</strong> Art oder Höhe der Strafe, sondern auf das Risiko<br />

303<br />

304<br />

305<br />

306<br />

307<br />

308<br />

309<br />

Pless-Bächler, S. 93.<br />

Länder ohne lebenslange Freiheitsstrafe: Spanien, Norwegen und Zypern.<br />

Länder mit lebenslanger Freiheitsstrafe: England und Wales, Schottland, Frankreich, Niederlande,<br />

Österreich und Deutschland.<br />

Weber, S. 205, S. 211.<br />

Aebersold, Menschenbilder, S. 43.<br />

Grasberger, S. 44-45.<br />

Pless-Bächler, S. 94.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 71<br />

erwischt zu werden. 310 Abschreckend wirkt daher nicht etwa eine möglichst schwere, sondern<br />

eine möglichst sicher zu erwartende Strafe. 311 Eine zu erwartende harte Strafe kann sogar den<br />

Anreiz für <strong>die</strong> Tatbegehung in einer Jugendbande erhöhen, weil damit der subjektive Nutzen<br />

der Tat im Sinne einer höheren Anerkennung in der „peer-group“ vergrössert wird. 312 Ferner<br />

scheint <strong>die</strong> Erwartung informeller Sanktionen, v.a. durch Familie und Freundeskreis, grössere<br />

Bedeutung zu besitzen als <strong>die</strong> erwarteten Konsequenzen in Form von staatlicher Strafe. 313<br />

Es kann davon ausgegangen werden, dass nicht <strong>die</strong> Höhe der Strafdrohung, sondern vielmehr<br />

das Entdeckungsrisiko und <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit bestraft zu werden, <strong>die</strong> Mordkriminalität<br />

beeinflussen. Somit muss bei einer Abschaffung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe nicht<br />

damit gerechnet werden, dass <strong>die</strong> Mordkriminalität ansteigt.<br />

Gegen den Strafzweck der Generalprävention sind nicht zuletzt unter Bezugnahme auf <strong>die</strong><br />

Kant’sche Kritik, dass der Einzelne nicht unter <strong>die</strong> Gegenstände des Sachenrechts gemengt<br />

werden dürfe, Bedenken erhoben worden. 314 Indem der Staat <strong>die</strong>se Strafe androht und sie<br />

auch demonstrativ über den Straftäter verhängt, um andere abzuschrecken, benutzt er den<br />

Täter als Mittel zum Zweck und verletzt somit <strong>die</strong> Rechtsstaatlichkeit auf der einen Seite und<br />

<strong>die</strong> Menschenwürde des Täters auf der anderen Seite. 315<br />

b) Positive Generalprävention<br />

Die positive Generalprävention lässt sich unter zwei Aspekten betrachten. Zum einen unter<br />

demjenigen ihrer instrumentalen und unter demjenigen ihrer symbolischen Wirkung. Die<br />

instrumentale Wirkung bedeutet, dass <strong>die</strong> Höhe der Strafe effektiv verbrechensvorbeugend<br />

wirkt, <strong>die</strong> symbolische Wirkung hingegen bedeutet, dass ihr symbolischer Gehalt das<br />

Rechtsbewusstsein der Gesellschaft stärkend beeinflusst.<br />

In der Literatur ist <strong>die</strong> Frage nach der Wirkung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe im Sinne<br />

der positiven Generalprävention umstritten, wobei sie heute tendenziell eher bezweifelt wird.<br />

Die Forschung kann bis heute keine umfassenden empirischen Resultate über eine solche<br />

Wirkung zur Verfügung stellen. Verschiedene Probleme verkomplizieren <strong>die</strong> empirische<br />

Forschung bezüglich der Effektivität der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe. So sind etwa <strong>die</strong><br />

Methoden der Untersuchungen unterschiedlich sowie <strong>die</strong> Voraussetzungen für <strong>die</strong><br />

Erhebungen 316<br />

nicht <strong>die</strong>selben, wodurch folglich auch <strong>die</strong> vorhandenen Daten nicht<br />

310<br />

311<br />

312<br />

313<br />

314<br />

315<br />

316<br />

Aebersold, Menschenbilder, S. 43.<br />

Niggli, S. 98; Heiland/Schulte, S. 69-70; Wolf, S. 135.<br />

Maier/Urbaniok, S. 35; Kaiser, S. 83; Heiland/Schulte, S. 73-74.<br />

Kaiser, S. 82; Kirchenamt, S. 63; Niggli, S. 100; Weber, S. 211; Laun, S. 47.<br />

Hartwig, S. 134.<br />

Grasberger, S. 43.<br />

Z.B. Kulturkreis, Strafgesetzgebung usw.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 72<br />

vergleichbar und nicht allgemein gültig sind. Die Diskussionen bezüglich der instrumentalen<br />

Wirkung der lebenslangen Freiheitsstrafe bewegen sich daher auf spekulativem Grund.<br />

Die Befürworter der lebenslangen Freiheitsstrafe sind der Meinung, dass <strong>die</strong> Symbolfunktion<br />

für <strong>die</strong> Erhaltung des Rechtsbewusstseins und des Gefühls der Rechtssicherheit in der<br />

Bevölkerung durchaus von Gewicht sei. Laut <strong>die</strong>sen Stimmen, müsse mit einer<br />

Verunsicherung der Allgemeinheit gerechnet werden, falls <strong>die</strong>se Strafdrohung gestrichen<br />

würde. Die Verwerflichkeit des Mordes wecke in der Öffentlichkeit ein besonders grosses<br />

Strafbedürfnis, welchem der Staat Rechnung zu tragen habe. Der Staat müsse demonstrieren,<br />

dass er das Rechtsgut Leben ebenso hoch einschätze, wie seine Bürger und folglich sei nur <strong>die</strong><br />

höchstmögliche Strafe gerechte Sanktion für seine Vernichtung. Die <strong>lebenslängliche</strong><br />

Freiheitsstrafe sei ein notwendiges Mittel, um <strong>die</strong> Vergeltungsbedürfnisse zu kanalisieren und<br />

aufzufangen.<br />

Der Symbolcharakter der lebenslangen Freiheitsstrafe ist unbestritten. Die <strong>lebenslängliche</strong><br />

Freiheitsstrafe erinnert jedoch sehr an das Talionsprinzip. Sie hat eindeutig<br />

Vergeltungscharakter, denn sie kommt der Ausschaltung des Beteiligten gleich. Sie hat den<br />

„zivilen“ Tod zur Folge, was klar dem Gebot der Menschenwürde widerspricht. Die Symbolik<br />

liegt auch in der umfassenden Verfügungsgewalt des Staates über das Individuum. Diese<br />

Machtstellung unterliegt aufgrund ihrer Totalität der Kritik. Die Erhaltung der Bedeutung<br />

einer Norm wird auf Kosten der Menschenwürde angestrebt. Ein Rechtsstaat sollte solche<br />

Symbole nicht notwendig haben.<br />

Die lebenslange Freiheitsstrafe kann nicht mit generalpräventiven Überlegungen<br />

gerechtfertigt werden, ohne dass Vergeltungsgedanken zum Vorschein kommen. Dass man<br />

vordergründig aus generalpräventiven Gründen nach der lebenslangen Freiheitsstrafe<br />

verlangt, zu ihrer Begründung aber auf <strong>die</strong> Vergeltung zurückgreift, ist abzulehnen. Die<br />

relative Seltenheit der Verurteilungen zu <strong>lebenslängliche</strong>r Freiheitsstrafe lässt den Schluss zu,<br />

dass <strong>die</strong>se Strafgrösse für <strong>die</strong> Generalprävention keine unverzichtbare Notwendigkeit<br />

darstellt. 317<br />

9.2.2.2 Spezialprävention<br />

Ein Bedürfnis nach spezialpräventiver Wirkung der Strafe besteht dort, wo vom Straftäter ein<br />

Rückfall in erneute Delinquenz erwartet werden muss, wo also von seiner Gefährlichkeit<br />

ausgegangen werden muss. Besonders bei Tötungsdelinquenten ist <strong>die</strong> Frage nach der<br />

Rückfallgefahr von Gewicht, weil jeder spezifische Rückfall <strong>die</strong> Vernichtung von<br />

317<br />

Pless-Bächler, S. 95-99.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 73<br />

Menschenleben bedeutet. Die Meinung, dass Mörder im allgemeinen gefährliche, d.h.<br />

rückfallgefährdete Menschen sind, ist weit verbreitet. Solche Vorstellungen werden vor allem<br />

durch einseitige und reisserische Berichterstattungen in den Me<strong>die</strong>n gefördert. Die Praxis<br />

zeigt jedoch, dass bei Mörder kaum mit einem Rückfall in dasselbe oder in ein ähnliches<br />

Delikt gerechnet werden muss. 318 In der Literatur ist man sich ebenfalls einig, dass <strong>die</strong><br />

Legalbewährung bedingt entlassener Lebenslänglicher bedeutend höher ist, als <strong>die</strong>jenige<br />

anderer Delinquenten. 319<br />

a) Resozialisierung<br />

Bei der Resozialisierung im Strafvollzug geht es vor allem darum, durch sinnvolle<br />

Resozialisierungsangebote schädigende Wirkungen des langen Vollzuges zu verhindern oder<br />

zumindest zu vermindern. 320 Eine Anpassung an <strong>die</strong> Aussenwelt wird heute im Vollzug durch<br />

<strong>die</strong> Gewährung von Vollzugslockerungen angestrebt. Diese soll dem Gefangenen einen<br />

gewissen Bezug zum Leben draussen erhalten und ihm helfen, damit der Faden zur Realität<br />

nicht ganz reisst. Resozialisierung durch Anpassung an das Leben draussen hat jedoch nur<br />

dann eine Chance, wenn das Anstaltsklima nicht so deprivierend ist. 321 Eine Prisonisation des<br />

Lebenslänglichen ist aber trotz Öffnung nach draussen unvermeidbar, denn <strong>die</strong><br />

Sicherungsfunktion der Anstalten hat Vorrang vor den Resozialisierungsbemühungen. 322 Die<br />

bestehenden Angebote in den Anstalten bieten den Lebenslänglichen jedoch keine echten<br />

Resozialisierungschancen. Hierbei handelt es sich höchstens um Versuche, <strong>die</strong> lange Strafzeit<br />

auszufüllen und einigermassen erträglich zu gestalten.<br />

Dass ein Lebenslänglicher kaum resozialisiert werden kann, liegt aber nicht allein an den<br />

mangelhaften Angeboten des Vollzuges, sondern zum grossen Teil an der sehr langen Dauer.<br />

Über den Zusammenhang von Haftdauer und Auswirkungen auf den Gefangenen ist kein<br />

gesichertes Wissen vorhanden. 323 In der Praxis und in der Literatur wird aber davon<br />

ausgegangen, dass eine Freiheitsstrafe, welche länger als zehn Jahre dauert, kaum mehr der<br />

Resozialisierung eines Straftäters <strong>die</strong>nt. 324<br />

Da <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe keine tauglichen Resozialisierungsmöglichkeiten bietet<br />

und zu lange dauert, muss sie unter dem spezialpräventiven Gesichtspunkt der<br />

Resozialisierung abgelehnt werden.<br />

318<br />

319<br />

320<br />

321<br />

322<br />

323<br />

324<br />

Pless-Bächler, S. 100-104.<br />

Kaiser, S. 424.<br />

Techsel/Noll, S. 22.<br />

Pless-Bächler, S. 105.<br />

Grasberger, S. 65; Laubenthal, N 206; Heer, S. 172; Jung, S. 40.<br />

Pless-Bächler, S. 105-110.<br />

Müller-Dietz, S. 45.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 74<br />

b) Sicherung<br />

Für <strong>die</strong> Zeit, <strong>die</strong> der Täter im Strafvollzug verbringt, wird <strong>die</strong> Öffentlichkeit vor dessen<br />

Rückfalltaten geschützt. 325 In den USA wird <strong>die</strong> „Neutralisierung“ des Gefährdungspotentials<br />

Inhaftierter unter dem Stichwort „incapacitation“ mittlerweile als <strong>die</strong> massgebliche Wirkung<br />

des Freiheitsentzuges erachtet. 326<br />

Die „incapacitation“ enthält eine bescheidene, aber<br />

realistische Wirkungserwartung 327 an den Strafvollzug, welche durch <strong>die</strong> Skepsis gegenüber<br />

anderen anspruchsvolleren Wirkungserwartungen an Boden gewinnt. 328 In der Schweiz hat<br />

sich ein Trend zur negativen Spezialprävention in sehr abgeschwächter Form nach dem Mord<br />

am Zollikerberg bemerkbar gemacht. Die Gerichte ordnen seither vermehrt <strong>die</strong> Verwahrung<br />

von gefährlichen Tätern an, im Strafvollzug wurden Vollzugslockerungen und bedingte<br />

Entlassungen für gemeingefährliche Täter eingestellt und zur Beurteilung der<br />

Gemeingefährlichkeit wurden besondere Kommissionen eingesetzt. 329<br />

Die Problematik liegt darin, dass <strong>die</strong> Einschätzung der Rückfallgefahr von einer Prognose<br />

abhängig ist. Wir können jedoch nicht mit genügender Sicherheit vorhersagen, bei wem mit<br />

einem Rückfall zu rechnen ist, denn <strong>die</strong> Prognoseforschung gibt dafür nicht allzu viel her. 330<br />

Wollte man <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe mit Sicherheitsüberlegungen rechtfertigen,<br />

dann müsste sie für jede Rechtsgutverletzung angedroht werden, sollten Rückfälle wirksam<br />

verhindert werden. 331<br />

Allerdings sind Morddelikte selten und Verurteilungen zu<br />

lebenslänglich noch seltener, womit <strong>die</strong> Gefahr des Rückfalls sehr klein ist und somit auch<br />

das Sicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es ist daher unverhältnismässig, <strong>die</strong><br />

<strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe anzudrohen. Würde <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe<br />

abgeschafft, bliebe <strong>die</strong> Gesellschaft, solange es sichernde Massnahmen gibt, nicht<br />

schutzlos. 332<br />

325<br />

326<br />

327<br />

328<br />

329<br />

330<br />

331<br />

332<br />

Heer, S. 174; Jung, S. 37.<br />

Kaiser/Kerner/Schöch, S. 28; Jung, S. 37-38.<br />

Das Sicherungsanliegen setzt auf eine leicht erreichbare und überprüfbare „low-technology“-<br />

Verhaltenskontrolle durch objektive Verunmöglichung. Das Anliegen der Abschreckung und<br />

Resozialisierung hingegen setzt auf fehleranfällige „higt-technolog“-Verhaltensbeeinflussung, deren Erfolg<br />

von der subjektiven Bereitschaft des Täters, sich beeinflussen zu lassen, abhängt; Kunz, § 32 N 2.<br />

Kunz, § 32 N 1-2.<br />

Aebersold, Menschenbilder, S. 48.<br />

Heer, S. 172.<br />

Schlechtriem, S. 114.<br />

Grasberger, S. 45-46.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 75<br />

9.3 Täter-Opfer-Ausgleich<br />

9.3.1 Im Allgemeinen<br />

Neben den traditionellen Zwecken wird der Strafe seit den frühen achtziger Jahren mit<br />

steigendem Nachdruck eine Aufgabe zugewiesen, <strong>die</strong> sich im Schema von Vergeltung und<br />

Prävention nicht unterbringen lässt. Beim sog. Täter-Opfer-Ausgleich geht es um <strong>die</strong><br />

Wiedergutmachung des Schadens, d.h. um Wiederherstellung des durch <strong>die</strong> begangene Tat<br />

gestörten Rechtsfriedens. 333<br />

Ein solcher Ausgleich ist jedoch nur unter bestimmten<br />

Voraussetzungen möglich. Es gibt Taten, <strong>die</strong> zu schwer wiegen, als dass an<br />

Wiedergutmachung zu denken wäre, und Taten gegen Gemeininteressen, bei welchen sich ein<br />

Opfer nicht angeben lässt.<br />

Ein wirklicher Ausgleich erfordert auch <strong>die</strong> Mitwirkung oder das Einverständnis des<br />

Verletzten. Die Bereitschaft zum Eingehen einer Wiedergutmachungsvereinbarung sowie zu<br />

einem Vermittlungsgespräch sind auf Seiten des Opfers stark von der Deliktsart und dem<br />

Bestehen einer persönlichen Beziehung zum Täter vor der Tat abhängig. Sie ist umso<br />

geringer, je besser das Opfer den Täter gekannt und je gravierender das Opfer das Delikt<br />

empfunden hat. Sodann lässt <strong>die</strong> Akzeptanz dort erhebliche Einbussen erkennen, wo eine<br />

spezielle Wiedergutmachung aufgrund von ausgleichenden Versicherungsleistungen<br />

entbehrlich erscheint. 334<br />

Die Realisierung des Täter-Opfer-Ausgleichs erfordert aber nicht nur eine<br />

Ausgleichsbereitschaft des Opfers, sondern auch eine entsprechende Haltung des Täters. Die<br />

Institution hat, soweit möglich, <strong>die</strong> Motivation für einen Täter-Opfer-Ausgleich zu schaffen.<br />

Dabei ist auch der noch vorherrschenden Einstellung vieler Verurteilter entgegenzuwirken,<br />

welche ihre Schuld, auch dem Opfer gegenüber, durch das „Erleiden“ der Strafe als getilgt<br />

betrachten. 335<br />

9.3.1.1 Exkurs: Straf-Mediation im Kanton Zürich<br />

Die Straf-Mediation 336 ist ein Angebot zur aussergerichtlichen Konfliktschlichtung in<br />

strafrechtlich relevanten Fällen. Die Mediation beinhaltet <strong>die</strong> Aussöhnung zwischen Opfer<br />

und Täter während des Strafverfahrens und bei gelungener Versöhnung den Verzicht auf <strong>die</strong><br />

Strafverfolgung sowie Verurteilung.<br />

333<br />

334<br />

335<br />

336<br />

Stratenwerth, Die Straftat, § 1 N 29.<br />

Kaiser, S. 464-465.<br />

Laubenthal, N 170-172.<br />

In Deutschland und Österreich auch als Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) sowie Aussergerichtlicher<br />

Tatausgleich (ATA) bekannt.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 76<br />

Im Kanton Zürich wird, erstmals in der Schweiz, an der Umsetzung eines Konzepts zur<br />

Mediation zwischen Tätern und Opfern im Bereiche nicht schwerer Kriminalität 337 gearbeitet.<br />

Am 26. September 2001 wurde nach längeren Vorarbeiten der „Verein Straf-Mediation<br />

Zürich (VSMZ)“ gegründet. 338<br />

9.3.2 Bei der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe<br />

Mord ist eine schwerwiegende Tat, da nur schwerste Verbrechen zu einer lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe führen können. Die dem Täter-Opfer-Ausgleich zugänglichen Fälle<br />

entstammen jedoch nach Deliktstypus und Schweregrad vornehmlich dem minderschweren<br />

Bereich. Ein Einverständnis oder <strong>die</strong> Mitwirkung des Verletzten ist sodann bei Mord nicht<br />

mehr möglich. Der Täter-Opfer-Ausgleich wird daher <strong>die</strong> Strafe im Bereich der schweren<br />

Delikte niemals völlig ersetzen können, weshalb sein Anwendungsbereich vor allem im<br />

Bereich der Alternativen zu Kurzstrafen liegt. 339<br />

9.4 Vereinigungstheorien<br />

Die heute vorherrschenden Lehren sind vermittelnde und vereinigende Theorien. Sie streben<br />

eine Harmonisierung absoluter mit relativen Theorien an. Im Wesentlichen lassen sie sich<br />

dahin charakterisieren, dass sie das verübte Delikt als Rechtsgrund der Strafe und das<br />

Verschulden als Prinzip für ihre Bemessung betrachten 340 . Neben der prophylaktischen<br />

Wirkung der Strafdrohung soll durch <strong>die</strong> gerechte Bestrafung <strong>die</strong> Allgemeinheit in ihrem<br />

Rechtsbewusstsein bestärkt werden 341 . Schliesslich ist der Vollzug der Sanktion auf <strong>die</strong><br />

Resozialisierung des Täters auszurichten 342 . Dem schweizerischen StGB liegt eine solche<br />

Konzeption zugrunde. 343<br />

9.5 Fazit<br />

Bei der lebenslangen Freiheitsstrafe überwiegt klar der Vergeltungsgedanke. Nach heutigem<br />

Rechtsverständnis darf eine Strafe jedoch nicht vorherrschend auf<br />

Vergeltungsgesichtspunkten gründen. Es ist unbestritten, dass ein Vergeltungsbedürfnis der<br />

Gesellschaft vorhanden ist, doch ist nicht erwiesen, wie gross <strong>die</strong>ses ist und ob nur <strong>die</strong><br />

<strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe zu seiner Befriedigung genügt.<br />

337<br />

338<br />

339<br />

340<br />

341<br />

342<br />

343<br />

Einfache und fährlässige Körperverletzung, Drohung, Tätlichkeit, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung,<br />

geringfügige Vermögensdelikte usw., somit also Antragsdelikte.<br />

Bewährungs- und Vollzugs<strong>die</strong>nste, S. 1.<br />

Aebersold, Menschenbilder, S. 48.<br />

Ausgleichsfunktion.<br />

Generalpräventive Funktion.<br />

Spezialpräventive Funktion.<br />

Rehberg, S. 4.


9. Die Rechtfertigung der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe 77<br />

Auf <strong>die</strong> direkte Abschreckungswirkung im Sinne der negativen Generalprävention wird<br />

immer seltener überhaupt noch eingegangen, denn eine solche Wirkung wird heute<br />

weitgehend bezweifelt. Stellt ein Rechtsstaat einen Lebenslänglichen als abschreckendes<br />

Beispiel hin, so benutzt er ihn als Mittel zu eigenen Zwecken, was der Menschenwürde<br />

widerspricht. Die Öffentlichkeit, welche zum Grossteil immer noch an Abschreckung glaubt,<br />

sollte darüber informiert werden, wie zweifelhaft es ist, ob mit hohen Strafen eine präventive<br />

Wirkung erreicht werden kann.<br />

Im Zentrum der Überlegungen steht heute <strong>die</strong> positive Generalprävention. Die Wirkung der<br />

<strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe im Sinne der positiven Generalprävention ist jedoch<br />

empirisch kaum zu erfassen. Sodann weisen <strong>die</strong> Erfahrungen, welche mit der Abschaffung der<br />

Todesstrafe gemacht worden sind, darauf hin, dass auch nach Abschaffung der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe nicht mit einer Erschütterung des Rechtsbewusstseins der Gesellschaft und mit<br />

einem Kriminalitätsanstieg gerechnet werden muss.<br />

Die Symbolstellung der lebenslangen Freiheitsstrafe wird dadurch erwirkt, dass der strafende<br />

Staat in totalitärer Weise über den Straftäter verfügt und ihn als Mittel zu eigenen Zwecken<br />

missbraucht, was klar dem Gebot der Menschenwürde widerspricht.<br />

Es kann davon ausgegangen werden, dass in den meisten Fällen kein Bedürfnis nach<br />

spezialpräventiver Einwirkung auf einen Mörder besteht, da er nicht rückfallgefährdet ist. Es<br />

ist unverhältnismässig, durch vereinzelte Fälle, wo eine Resozialisierung oder eine Sicherung<br />

doch einmal nötig ist, <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe zu legitimieren, zumal sie zur<br />

Resozialisierung nicht geeignet ist und sowohl im Hinblick auf <strong>die</strong> Resozialisierung als auch<br />

auf <strong>die</strong> Sicherungsfunktion durch eine Zeitstrafe in Verbindung mit einer Massnahme ersetzt<br />

werden kann. 344<br />

344<br />

Pless-Bächler, S. 114-117.


10. Die Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches 78<br />

10. Die Revision des Allgemeinen Teils des<br />

Strafgesetzbuches<br />

Mit den Gesetzesentwürfen werden eine Gesamterneuerung der Allgemeinen Bestimmungen<br />

und der Vorschriften über <strong>die</strong> Einführung und Anwendung des Strafgesetzbuches sowie eine<br />

parallele Anpassung des Militärstrafgesetzes und ein neues Gesetz über das Jugendstrafrecht<br />

vorgeschlagen.<br />

Im Folgenden wird jedoch nur auf <strong>die</strong> Revision des AT des Strafgesetzbuches eingegangen,<br />

im Speziellen auf <strong>die</strong> Freiheitsstrafe.<br />

10.1 Was ist bisher geschehen?<br />

Der Bundesrat ermächtigte am 6. Juli 1993 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartment<br />

(EJPD), zwei Vorentwürfe zur Revision des Strafgesetzbuches und zu einem Bundesgesetz<br />

über <strong>die</strong> Jugendstrafrechtspflege in <strong>die</strong> Vernehmlassung zu schicken. Am 18. September 1995<br />

nahm der Bundesrat Kenntnis von den Ergebnissen des Vernehmlassungsverfahrens. Er<br />

verabschiedete darauf hin am 21. September 1998 <strong>die</strong> Botschaft zur Änderung des<br />

Schweizerischen Strafgesetzbuches.<br />

Die Beratungen im Ständerat fanden am 14.12.1999, am 19.9.2001 sowie am 2.12.2002 statt,<br />

<strong>die</strong>jenigen im Nationalrat am 6./7.6.2001 und am 6./17.9.2002. Schliesslich fanden am<br />

13.12.2002 <strong>die</strong> Schlussabstimmungen statt.<br />

Inzwischen sind alle drei Gesetzesentwürfe vom Parlament verabschiedet und im Bundesblatt<br />

veröffentlicht worden. Während <strong>die</strong> Referendumsfristen betreffend <strong>die</strong> Revision des AT des<br />

Strafgesetzbuches sowie des Militärstrafgesetzes unbenutzt abgelaufen sind, läuft jene<br />

betreffend das Jugendstrafrecht noch bis zum 9. Oktober 2003. Doch ist auch hier nicht mit<br />

einem Referendum zu rechnen. Alle drei Gesetzesänderungen werden gleichzeitig in Kraft<br />

gesetzt werden, was jedoch frühestens Mitte 2005 geschehen wird. 345<br />

Am 3. Mai 2000 ist <strong>die</strong> Volksinitiative „Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare,<br />

extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“ 346 mit 194’390 gültigen Unterschriften<br />

eingereicht worden. Die Initiative kann <strong>die</strong> Revision jedoch keineswegs in dem Sinne<br />

345<br />

346<br />

Sutter, Auskunft vom 9.9.2003.<br />

Die Initiative will für eine Gruppe von Tätern eine Verwahrung mit restriktiven Entlassungsbedingungen<br />

einführen. Eine Entlassung soll lediglich geprüft werden, wenn durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

nachgewiesen ist, dass der Täter geheilt werden kann und somit künftig für <strong>die</strong> Allgemeinheit keine Gefahr<br />

mehr darstellt. Die Initiative sieht über<strong>die</strong>s vor, dass Gutachten zur Beurteilung von Sexual- und<br />

Gewaltstraftätern immer von zwei voneinander unabhängigen Experten zu erstellen sind und <strong>die</strong> Behörden<br />

für Rückfälle entlassener Straftäter verantwortlich gemacht werden können; Botschaft Volksinitiative 3434-<br />

3436.


10. Die Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches 79<br />

bedrohen, dass durch <strong>die</strong> Annahme der Initiative <strong>die</strong> beschlossene Revision hinfällig würde.<br />

Das Parlament hat <strong>die</strong> Revision im Wissen um <strong>die</strong> hängige Initiative beschlossen. Sowohl der<br />

Bundesrat als auch das Parlament verstehen <strong>die</strong> Revision des AT des Strafgesetzbuches,<br />

insbesondere das neue Massnahmerecht, als indirekten Gegenvorschlag zur Initiative. Sollte<br />

<strong>die</strong> Initiative angenommen werden, ist allerdings nicht ganz auszuschliessen, dass <strong>die</strong><br />

revi<strong>die</strong>rten Bestimmungen noch punktuell ergänzt werden müssten. Tiefgreifende<br />

Änderungen wären aber sicherlich nicht nötig. 347<br />

10.2 Übersicht<br />

Die wichtigsten Anliegen der Revision sind <strong>die</strong> Neuordnung und Differenzierung des<br />

Sanktionensystems, <strong>die</strong> Festlegung von Strafvollzugsgrundsätzen, <strong>die</strong> Anpassung der<br />

Bestimmungen über den Geltungsbereich und <strong>die</strong> Voraussetzungen der Strafbarkeit an<br />

Rechtsprechung und<br />

Jugendstrafrecht.<br />

Lehre sowie <strong>die</strong> Trennung von Erwachsenenstrafrecht und<br />

Was <strong>die</strong> Neuordnung des Sanktionensystems im Besonderen angeht, so sollen kurze<br />

Freiheitsstrafen nur noch ausnahmsweise zur Anwendung gelangen. An ihre Stelle treten <strong>die</strong><br />

Geldstrafe im Tagessatzsystem und <strong>die</strong> Gemeinnützige Arbeit, welche durch das Institut des<br />

„Aussetzens der Strafe“ ergänzt werden. In leichteren Fällen kann von einer Strafe abgesehen<br />

werden oder sie kann in breiterem Ausmass als bisher bedingt ausgesprochen werden. Des<br />

Weiteren wird <strong>die</strong> teilbedingte Freiheitsstrafe eingeführt.<br />

Die Verstärkung des Schutzes vor gefährlichen Gewalttätern ist ein wichtiges Anliegen des<br />

Entwurfs. Zu <strong>die</strong>sem Zweck wird namentlich eine neue Sicherungsverwahrung vorgesehen,<br />

welche umfassender ausgestaltet ist. Zudem sollen psychisch kranke Täter, wenn sie<br />

gefährlich sind, in besonderen Sicherheitseinrichtungen eine geeignete Behandlung erhalten.<br />

Für <strong>die</strong> Entlassung gefährlicher Täter aus dem Vollzug werden <strong>die</strong> Bedingungen verschärft.<br />

Der Entwurf enthält sodann auch neu formulierte Ziele für den Strafvollzug.<br />

Des Weitern wird der Geltungsbereich des Strafgesetzbuches ausgedehnt, damit bestimmte im<br />

Ausland begangene Sexualstraftaten in der Schweiz verfolgt werden können, <strong>die</strong><br />

Verjährungsregeln werden vereinfacht, und neu wird ebenfalls <strong>die</strong> Einführung einer<br />

Bestimmung über <strong>die</strong> strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens vorgeschlagen.<br />

Schliesslich werden mit der Revision verschiedene Klarstellungen zum Aufbau der<br />

347<br />

Sutter, Auskunft vom 9.9.2003.


10. Die Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches 80<br />

Verbrechenslehre vorgenommen sowie offene Fragen durch einen Entscheid des Gesetzgebers<br />

bereinigt. 348<br />

10.3 Die Freiheitsstrafe im E-StGB 349<br />

Die Freiheitsstrafe bleibt weiterhin <strong>die</strong> schwerste Strafe, welche das Strafgesetzbuch vorsieht.<br />

10.3.1 Im allgemeinen (Art. 40 E-StGB) 350<br />

10.3.1.1 Einheits<strong>freiheitsstrafe</strong><br />

Bereits <strong>die</strong> zweite Teilrevision des Strafgesetzbuches hat alle Unterschiede zwischen der<br />

Zuchthaus- und der Gefängnisstrafe, abgesehen von deren Dauer, beseitigt. Aufgehoben<br />

wurde dabei vor allem das schon längst nicht mehr eingehaltene Gebot, <strong>die</strong> beiden Strafen in<br />

besonderen Anstalten oder Anstaltsabteilungen zu vollziehen. Art. 35 StGB bezeichnet jedoch<br />

noch immer <strong>die</strong> Zuchthausstrafe als <strong>die</strong> schwerste Freiheitsstrafe, obschon es im<br />

Anwendungsfall überaus schwierig ist zu bestimmen, welche Strafart verhängt werden soll,<br />

wenn für ein Delikt Zuchthaus und Gefängnis zusammen angedroht werden und sich <strong>die</strong><br />

Strafen im Bereich von einem bis zu drei Jahren überschneiden. Es grenzt daher an<br />

Irreführung, wenn mit dem Hinweis auf beide Strafarten ein Unterschied angedeutet wird, der,<br />

abgesehen von der Dauer, nicht besteht.<br />

Die Einheits<strong>freiheitsstrafe</strong> bedeutet allerdings nicht, dass alle Verurteilten ihre Strafe in<br />

derselben Art von Strafanstalt verbüssen sollen. Die Freiheitsstrafe soll vielmehr in<br />

verschiedenen Anstaltstypen vollzogen werden, welche den Eigenarten des Verurteilten 351<br />

Rechnung tragen.<br />

10.3.1.2 Mindestdauer der Freiheitsstrafe<br />

Die Dauer der Freiheitsstrafe soll in der Regel mindestens sechs Monate betragen. Kurze<br />

Freiheitsstrafen zwischen einem Tag und sechs Monaten sollen im Normalfall durch <strong>die</strong><br />

Gemeinnützige Arbeit, <strong>die</strong> Geldstrafe oder das Aussetzen der Strafe ersetzt werden.<br />

348<br />

349<br />

350<br />

351<br />

Botschaft StGB, 1981.<br />

Botschaft StGB, 2027-2044.<br />

Alle in der Arbeit verwendeten Gesetzesartikel des E-StGB sind im Anhang aufgeführt.<br />

Wie Rückfälligkeit, Fluchtgefahr, Alter usw.


10. Die Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches 81<br />

10.3.1.3 Beibehaltung der langen Freiheitsstrafen für schwere<br />

Verbrechen<br />

Die Höchstdauer der Freiheitsstrafe beträgt wie bisher zwanzig Jahre und ist, wo es das<br />

Gesetz ausdrücklich bestimmt, lebenslänglich. Sie <strong>die</strong>nt in erster Linie der Sanktionierung<br />

schwerer Straftaten, im Bereich der Kleinkriminalität hingegen soll sie weitgehend durch<br />

neue Sanktionen ersetzt werden.<br />

In drei parlamentarischen Vorstössen 352 wurde der Bundesrat aufgefordert, <strong>die</strong> Einführung<br />

einer so genannten „tatsächlich <strong>lebenslängliche</strong>n“ Freiheitsstrafe zu prüfen. Der Bundesrat hat<br />

sich in seinen Antworten den darin vertretenen Anliegen nach einer Verstärkung der<br />

öffentlichen Sicherheit angeschlossen, doch gleichzeitig festgehalten, dass er mit den zu<br />

<strong>die</strong>sem Zweck vorgeschlagenen Neuerungen nicht einverstanden ist. Eine Änderung <strong>die</strong>ser<br />

Auffassung drängt sich auch aus heutiger Sicht nicht auf.<br />

Mit der Einführung einer tatsächlich lebenslangen Freiheitsstrafe müsste das Gericht schon im<br />

Urteilsstadium endgültig beurteilen, ob ein Straftäter so gefährlich sei und auch bleibe, dass er<br />

sein Leben lang inhaftiert werden müsse. Zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt ist in der Regel nicht<br />

voraussehbar, wie sich der Betreffende entwickeln wird. Bei Einführung der tatsächlich<br />

lebenslangen Freiheitsstrafe würde dem Verurteilten von Beginn weg <strong>die</strong> Fähigkeit sowie der<br />

Wille zur Veränderung generell abgesprochen und somit jede positive Lebensperspektive<br />

entzogen.<br />

Die Vollzugskosten einer fünfzehn Jahre dauernden Freiheitsstrafe belaufen sich auf rund 1,5<br />

Millionen Franken 353 . Müsste das Gericht nun eine tatsächlich lebenslange Freiheitsstrafe<br />

oder eine Freiheitsstrafe von dreissig Jahren aussprechen gäbe <strong>die</strong>s eine grosse und unnötige<br />

finanzielle Mehrbelastung des Gemeinwesens. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass Personen,<br />

welche wegen Mordes verurteilt wurden, nicht von vornherein gefährlicher oder<br />

rückfallgefährdeter sind als andere Straftäter.<br />

352<br />

353<br />

Motion Béguin vom 6.12.1989 (überwiesen als Postulat): Besonders gefährliche Straftäter. Revision des<br />

StGB; 1. Lebenslängliche Freiheitsstrafen sollen tatsächlich verbüsst werden; eine bedingte Entlassung soll<br />

nach 15 Jahren nur ausnahmsweise möglich sein. Subsidiär könnte eine unkürzbare Strafe von 30 Jahren<br />

eingeführt werden. 2. Eine Entlassung aus der Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB soll nur<br />

möglich sein, wenn drei unabhängige psychiatrische Gutachten jegliche Gefahr eines Rückfalls<br />

ausschliessen. Vgl. AB 1990 S. 167; Motion Keller Rudolf vom 29.11.1993 (überwiesen als Postulat):<br />

Effektiv <strong>lebenslängliche</strong> Gefängnisstrafen; für bestimmte Mörder soll eine effektiv <strong>lebenslängliche</strong><br />

Verwahrung oder Freiheitsstrafe eingeführt werden. Vgl. AB 1995/1 N 268; Motion Scherrer Jürg vom<br />

14.12.1993 (überwiesen als Postulat): Verwahrung von Triebtätern; Täter, <strong>die</strong> ihre Straftaten unter innerem<br />

Zwang verüben, sollen zu einer tatsächlich lebenslangen Freiheitsstrafe oder Verwahrung (d.h. bis zum Tod,<br />

ohne Ausgang oder Urlaub) verurteilt werden können. Vgl. AB 1994 N 586.<br />

Bei Vollzugskosten von durchschnittlich Fr. 300.- pro Tag.


10. Die Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches 82<br />

Eine Lücke des geltenden Rechts ist allerdings darin zu sehen, dass gegen gefährliche<br />

Straftäter, <strong>die</strong> weder <strong>die</strong> Voraussetzungen für eine lebenslange Freiheitsstrafe noch <strong>die</strong> der<br />

Verwahrung für Wiederholungstäter oder der Verwahrung für geistig Abnorme erfüllen, heute<br />

allein eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe ausgesprochen werden kann. Der Entwurf sieht<br />

deshalb eine neue Form der Verwahrung vor, welche verhängt werden soll, wenn über <strong>die</strong><br />

schuldangemessene Strafe hinaus eine Sicherungsmassnahme notwendig ist.<br />

Zum wirksamen Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Verbrechern sind neben der neu<br />

vorgesehenen Form der Verwahrung nicht schärfere Sanktionen vorzusehen, sondern<br />

vielmehr gewisse Bestimmungen über den Vollzug der Sanktionen zu überprüfen und zu<br />

ändern. Der Entwurf sieht denn auch Verschärfungen im Bereich der bedingten Entlassung<br />

und der Gewährung von Urlauben vor.<br />

10.3.2 Exkurs: Kurze Freiheitsstrafe (Art. 41 E-StGB)<br />

Die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafen durch alternative Sanktionen ist ein zentrales<br />

Anliegen der Revision. Unbedingte kurze Freiheitsstrafen sind namentlich wegen ihrer<br />

möglichen negativen sozialen Folgen und der fehlenden Möglichkeit einer resozialisierenden<br />

Einwirkung kriminalpolitisch verfehlt. Über<strong>die</strong>s belegen empirische Untersuchungen, dass<br />

kurze Freiheitsstrafen weder spezial- noch generalpräventiv effizienter sind als alternative<br />

Sanktionen. Des Weiteren belegt der allgemeine Forschungsstand, dass nicht etwa harte<br />

gesetzliche Strafdrohungen, sondern <strong>die</strong> Verfolgungswahrscheinlichkeit <strong>die</strong><br />

Verhaltensbereitschaft potenzieller Täter beeinflusst. Hat nun der Staat <strong>die</strong> Möglichkeit, mit<br />

weniger einschneidenden, aber ebenso wirksamen Sanktionen einzugreifen, so verpflichtet ihn<br />

der Verhältnismässigkeitsgrundsatz, nur letztere anzuwenden. Gleichzeitig ist es in einem<br />

Rechtsstaat geboten, <strong>die</strong> nachteiligen Wirkungen einer Strafe so gering zu halten wie möglich.<br />

Diese Gebote führen dazu, mit der Freiheitsstrafe, insbesondere mit der kurzen,<br />

Zurückhaltung zu üben.


11. Die eigene Meinung 83<br />

11. Die eigene Meinung<br />

Die lebenslange Freiheitsstrafe trat an <strong>die</strong> Stelle der Todesstrafe und nimmt seither <strong>die</strong><br />

Stellung der Höchststrafe in der Schweiz ein. Meiner Meinung nach stellt sie (leider) ein<br />

geeignetes Bollwerk gegen <strong>die</strong> Forderung nach der Todesstrafe dar. Da es Möglichkeiten der<br />

vorzeitigen Entlassung gibt, halte ich sie für mehr oder weniger tragbar. Grundsätzlich denke<br />

ich jedoch, dass eine lange Zeitstrafe <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe ohne Schwierigkeiten<br />

ersetzen könnte und auch sollte. Für ein gutes Abschaffungsargument halte ich <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe gar nicht lebenslänglich dauert. Ihre effektive Dauer<br />

beträgt in der Regel 14 bis 15 Jahre. Meiner Meinung nach sollte sie daher durch eine<br />

Zeitstrafe von 15 Jahren ersetzt werden. Eine andere Möglichkeit wäre <strong>die</strong> heute bestehende<br />

alternative Strafdrohung zu <strong>lebenslängliche</strong>m Zuchthaus, d.h. Zuchthaus nicht unter zehn<br />

Jahren, womit ein Strafrahmen offenstünde, der von zehn bis zwanzig Jahren reicht. Für den<br />

Fall erhöhter Gefährlichkeit käme zusätzlich <strong>die</strong> Verwahrung in Betracht.<br />

Das Strafübel der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe verfügt über zwei Teilaspekte: Der<br />

Verurteilte wird zum einen durch <strong>die</strong> Inhaftnahme daran gehindert, sein bisheriges Leben in<br />

unveränderter Weise fortzuführen. Zum anderen wird er in das Anstaltsleben integriert,<br />

welches ihn unvermeidbar mit vielfältigen Entbehrungen und Einschränkungen konfrontiert<br />

und ihm erhebliche Anpassungsleistungen abverlangt. 354 Es ist aber bislang nicht zureichend<br />

erforscht, inwieweit <strong>die</strong> Auswirkungen der Inhaftierung auf psychische Funktionen im<br />

Einzelfall zu dauerhaften Negativfolgen führen können. Die Haft kann zwar abnorme<br />

Erlebnisreaktionen und abnorme erlebnisreaktive Entwicklungen als psychische Variationen<br />

hervorrufen, doch führt auch ein Langstrafenvollzug nicht zwangsläufig zu einer irreversiblen<br />

Persönlichkeitsschädigung oder gar zu einem vollständigen Persönlichkeitsverfall. Die<br />

Auswirkungen der Stressfaktoren der Inhaftierung sind vielmehr multifaktoriell bedingt. Bei<br />

der individuellen Vollzugsgestaltung ist daher auf eine Verminderung von Stressfaktoren<br />

hinzuwirken, wobei insbesondere <strong>die</strong> Gewährung von Vollzugslockerungen als zumindest<br />

zeitweilige Ventilmassnahme Bedeutung erlangt. 355<br />

Schwierig zu beantworten ist <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe der<br />

Menschenwürde widerspricht. In der Schweiz wird das Problem der Verfassungsmässigkeit<br />

der lebenslangen Freiheitsstrafe durch den Umstand gemildert, dass das Gesetz <strong>die</strong><br />

Möglichkeit der bedingten Entlassung nach 14 bis 15 Jahren vorsieht. Da Aussicht auf<br />

354<br />

355<br />

Meier, S. 78.<br />

Laubenthal, N 232-233.


11. Die eigene Meinung 84<br />

Entlassung besteht, meine ich, dass <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe verfassungsmässig ist und<br />

<strong>die</strong> Menschenwürde nicht verletzt.<br />

Da <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe nicht auf blossem Vergeltungsgedanken gründen darf, ihre<br />

generalpräventive Wirkung nicht erwiesen ist, sie der Resozialisierung eher entgegenwirkt,<br />

und ihre Sicherungsfunktion nicht notwendig ist, habe ich Mühe <strong>die</strong> lebenslange<br />

Freiheitsstrafe mit den Strafzwecken zu rechtfertigen. Meines Erachtens ist sie durch eine<br />

lange Zeitstrafe zu ersetzen, da <strong>die</strong>se <strong>die</strong> Ziele der Vergeltung und der Vorbeugung ebenso<br />

gut, wenn nicht sogar besser erreicht.<br />

Beim gegenwärtigen sicherheitspolitischen Klima in der Schweiz, man denke nur an <strong>die</strong> Zahl<br />

der Unterschriften, welche <strong>die</strong> Initiative „Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare,<br />

extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“ 356 auf sich gezogen hat, glaube ich<br />

persönlich nicht, dass in naher Zukunft mit einer Abschaffung der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe zu rechnen ist. Die Gesellschaft ist meiner Ansicht nach zu wenig informiert<br />

über <strong>die</strong> Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Strukturen und Kriminalität, um einen<br />

solchen Schritt zu tun. Sie fühlt sich wesentlich sicherer, wenn der Täter einer schrecklichen<br />

Tat lebenslänglich eingeschlossen wird. Die Strafdrohung „lebenslänglich“ klingt<br />

erschreckend und befriedigt das Vergeltungsbedürfnis der Gesellschaft.<br />

Hinsichtlich der Revision des AT des Strafgesetzbuches bedaure ich natürlich, dass der<br />

Gesetzgeber an <strong>die</strong>ser Strafe festhält. Immerhin ist aber positiv zu vermerken, dass künftig<br />

eine bedingte Entlassung ausnahmsweise bereits nach zehn Jahren 357 möglich sein wird.<br />

Solange jedoch das geltende Recht <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe noch kennt, kann es<br />

nicht darauf verzichten, sie bei demjenigen Delikt vorzusehen, welches als das schwerste<br />

Tötungsdelikt bezeichnet wird und als eines der schwersten Verbrechen überhaupt.<br />

356<br />

357<br />

Die Volksinitiative wurde am 3.5.2000 mit 194'390 gültigen Unterschriften eingereicht.<br />

Art. 86 Abs. 5 E-StGB.


12. Weitere Meinungen 85<br />

12. Weitere Meinungen<br />

Zum Schluss folgen einige persönliche Meinungen von Personen aus der Lehre und Praxis.<br />

12.1 Prof. Dr. Peter Albrecht<br />

Die lebenslange Freiheitsstrafe ist aus Sicht von Prof. Dr. Albrecht eine grausame und<br />

inhumane Sanktion, da es sich um eine Strafe handelt, welche dem Täter das Leben<br />

wegnimmt, ohne es auszulöschen, also zugespitzt formuliert, eine Todesstrafe auf Raten,<br />

welche sich kriminalpolitisch nicht legitimieren lässt.<br />

Für <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe gibt es keine stichhaltigen Argumente. Es bleibt daher <strong>die</strong><br />

Frage, woher der Staat eigentlich <strong>die</strong> Befugnis nimmt, einen Bürger zum Zwecke der<br />

Bestrafung lebenslang wegzusperren und ihm somit aus der Gesellschaft zu entfernen, unter<br />

Inkaufnahme einer möglichen Zerstörung seiner Persönlichkeit.<br />

Nach dem heute vorherrschenden Verständnis bildet <strong>die</strong> Schuldvergeltung keine hinreichende<br />

Grundlage für eine Bestrafung. Kann das Verschulden eines Mörders derart schwer wiegen,<br />

dass es sich allein mit der lebenslangen Freiheitsstrafe vergelten lassen kann? Wie kann ein<br />

Gericht im konkreten Einzelfall feststellen, ob das Tatverschulden des Verurteilten eine Strafe<br />

erfordert, welche <strong>die</strong> Möglichkeit einer Internierung bis zum Lebensende enthält? Bei der<br />

negativen Generalprävention fehlen wissenschaftlich abgestützte Nachweise, dass <strong>die</strong><br />

lebenslange Freiheitsstrafe eine höhere Abschreckung auf potenzielle Mörder hat als <strong>die</strong><br />

zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe. Dazu kommt der generelle rechtsethische Einwand, nämlich<br />

<strong>die</strong> Befürchtung eines Missbrauchs des Verurteilten für gesellschaftliche Zwecke. Bei der<br />

positiven Generalprävention ist <strong>die</strong> empirische Basis noch dünner als bei der<br />

Abschreckungsprävention. Es ist nicht erwiesen, dass durch einen Verzicht auf <strong>die</strong><br />

lebenslange Freiheitsstrafe das Vertrauen der Bevölkerung in <strong>die</strong> Rechtsordnung erheblich<br />

erschüttert würde. Prof. Dr. Albrecht ist des Weiteren der Meinung, dass <strong>die</strong> lebenslange<br />

Freiheitsstrafe allein gestützt auf spezialpräventive Bedürfnisse, insbesondere der Sicherung<br />

der Gesellschaft, dem Schuldgrundsatz widerspricht.<br />

Man könnte <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe in der Schweiz sehr wohl abschaffen, doch fehlt<br />

hierfür der politische Wille, wie <strong>die</strong> Revision des AT des Strafgesetzbuches deutlich gezeigt<br />

hat.<br />

Seiner Ansicht nach genügt <strong>die</strong> zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe bis zu einem Höchstmass<br />

von 20 Jahren in Verbindung mit den sichernden Massnahmen für <strong>die</strong> Sanktionierung der<br />

Schwerkriminalität. Weiterreichende legitime kriminalpolitische Bedürfnisse bestehen nicht.


12. Weitere Meinungen 86<br />

Prof. Dr. Albrecht neigt dazu, <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe als Verstoss gegen <strong>die</strong><br />

Menschenwürde zu betrachten.<br />

Angesichts des gegenwärtigen rechtspolitischen Klimas wird sich jedoch auf der<br />

gesetzgeberischen Ebene in absehbarer Zeit nichts ändern. Ob <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe<br />

in der Gerichtspraxis künftig häufiger zur Anwendung gelangen wird, kann Prof. Dr. Albrecht<br />

nicht voraussagen. Er vermutet indessen, dass in unmittelbarer Zukunft <strong>die</strong> zuständigen<br />

Behörden bei der Gewährung der bedingten Entlassung mehr Zurückhaltung üben werden. 358<br />

12.2 Paul Brenzikofer<br />

Herr Brenzikofer hält sehr wenig von der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe. Zwar wird mit ihr<br />

das Ausgleichsbedürfnis der Bevölkerung befriedigt, doch gegen <strong>die</strong>se Strafe spricht, dass <strong>die</strong><br />

meisten Urteile für Mord gefällt werden. Im Schnitt waren das in den letzten 20 Jahren etwa<br />

zwei Urteile pro Jahr. Zudem ist <strong>die</strong> Rückfallquote bei Mördern <strong>die</strong> geringste aller<br />

Delinquenten.<br />

Nach seiner Überzeugung ist <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe nur mit dem Ausgleichsbedürfnis<br />

des Menschen, pointierter mit dem „Rachebedürfnis“, zu rechtfertigen. Er glaubt des<br />

Weiteren, dass man <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Schweiz eindeutig abschaffen<br />

könnte, doch würde <strong>die</strong> Abschaffung das Gesetzesverfahren nicht überstehen. Es wäre<br />

allerdings unvernünftig, <strong>die</strong> Abschaffung durchboxen zu wollen, mit der grossen<br />

Wahrscheinlichkeit, dass im Falle eines Referendums deswegen das Volk <strong>die</strong> ganze Revision<br />

verwerfen würde und das alles bloss, wegen ein bis zwei Fällen pro Jahr.<br />

Der Ersatz der lebenslangen Freiheitsstrafe könnte nach Herrn Brenzikofer entweder in der<br />

klaren Höchststrafe von 15 Jahren oder in der Anwendung des Art. 64 E-StGB bestehen.<br />

Sofern der Vollzug human durchgeführt wird, hält er <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe für<br />

verfassungsmässig.<br />

Die Zukunft der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe sieht er ähnlich wie den Vollzug anderer<br />

unbedingter Freiheitsstrafen, allerdings mit möglichst vielen, stufenweise gewährten<br />

Freiheiten innerhalb der Strafanstalt. Er hält es über<strong>die</strong>s für wichtig, dass <strong>die</strong> Inhaftierten<br />

nicht zu lange in der gleichen Anstalt bleiben. Wenn <strong>die</strong> Entlassung möglich ist, dann sollten<br />

so viele Ausgänge und Urlaube wie nur verantwortbar erteilt werden. Damit verbunden<br />

müssten Versetzungen in offene Anstalten oder Heime sein. 359<br />

358<br />

359<br />

Albrecht, Auskunft vom 7.8.2003.<br />

Brenzikofer, Auskunft vom 9.8.2003.


12. Weitere Meinungen 87<br />

12.3 Prof. Dr. Dr. Günther Kaiser<br />

Prof. Dr. Dr. Kaiser hält <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe wegen ihrer Eingriffsintensität zwar<br />

für hart, doch für unverzichtbar. Im Hinblick darauf, dass es sich nur um eine relativ<br />

lebenslange Freiheitsstrafe handelt, d.h. der Verurteilte mit einer bedingten Entlassung<br />

rechnen darf, lässt sie sich auch unter Humanitätsgesichtspunkten noch hinnehmen.<br />

Für <strong>die</strong> lebenslange Freiheitssprache spricht ihre Unverzichtbarkeit mangels überlegener<br />

Alternativen. Gegen <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe spricht hingegen ihr Defizit in<br />

Resozialisierung und Humanität.<br />

Sowohl <strong>die</strong> absoluten wie auch <strong>die</strong> relativen Theorien können <strong>die</strong>se Strafe rechtfertigen.<br />

Man könnte <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe in der Schweiz zwar abschaffen, doch würden<br />

wahrscheinlich langbefristete Freiheitsstrafen an ihre Stelle treten, so dass im Ergebnis kaum<br />

eine überlegene Lösung zu gewinnen wäre.<br />

Als Ersatzmöglichkeiten sieht Prof. Dr. Dr. Kaiser langzeitige Freiheitsstrafen oder <strong>die</strong><br />

Verwahrung an.<br />

Obwohl <strong>die</strong> Verfassungsmässigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe umstritten ist und<br />

gewichtige Einwände gegen <strong>die</strong> Sanktion erhoben werden, hält er <strong>die</strong> lebenslange<br />

Freiheitsstrafe für verfassungsgemäss. Im Hinblick auf ihre relative Dauer sieht er in ihr<br />

keinen unüberwindlichen Widerspruch gegen <strong>die</strong> Menschenwürde.<br />

In absehbarer Zeit dürfte sich keine wesentliche Änderung ergeben. Prof. Dr. Dr. Kaiser<br />

könnte sich jedoch eine stärkere Anreicherung therapeutischer Hilfen und resozialisierender<br />

Inhalte im Vollzug vorstellen. Er glaubt, dass es voraussichtlich bei der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe als notwendigem Übel bleiben wird, welches nur durch <strong>die</strong> zeitliche<br />

Relativierung und therapeutische Anreicherung unter Humanitätskriterien hingenommen<br />

werden kann. 360<br />

12.4 Prof. Dr. Stefan Trechsel<br />

Prof. Dr. Trechsel hält <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe im schweizerischen Recht für einen<br />

„Papiertiger“. Eine starre Sanktion der Freiheitsentziehung bis zum Tod würde er für<br />

unmenschlich halten, doch <strong>die</strong> Möglichkeit, nach 15 Jahren unter Ansetzung einer befristeten<br />

Probezeit entlassen zu werden und schon früher in Halbfreiheit zu kommen, ergibt für ihn ein<br />

durchaus erträgliches Resultat.<br />

Für <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe spricht seiner Ansicht nach vor allem ein taktisches<br />

Argument. Die Strafe hat unter anderem den Zweck, <strong>die</strong> Erregungen, <strong>die</strong> Verbrechen<br />

360<br />

Kaiser, Auskunft vom 8.8.2003.


12. Weitere Meinungen 88<br />

hervorrufen, zu dämpfen, indem quasi Ersatz für private Rache vom Staat massvoll geübt<br />

wird. Auch bei uns gibt es immer wieder Strömungen, welche nach der Todesstrafe rufen und<br />

<strong>die</strong>s muss man laut Prof. Dr. Trechsel ernst nehmen. Die lebenslange Freiheitsstrafe <strong>die</strong>nt<br />

dem Zweck der Befriedigung auf verschiedene Weise. Sie enthält vom Begriff her und in der<br />

Theorie eine massive Drohung. Die Praxis hingegen ist durchwegs weniger streng. Des<br />

Weiteren wird <strong>die</strong> Strafe recht selten und nur in wirklich schweren Fällen ausgesprochen.<br />

Gegen <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe spricht, dass nach zehn Jahren <strong>die</strong> Freiheitsstrafe meist<br />

nur noch schadet. Der Charakter als „Papiertiger“ birgt ferner ein Element der Unehrlichkeit.<br />

Die Rechtssicherheit ist beeinträchtigt, zumal vornehmlich Verwaltungsbehörden darüber<br />

entscheiden, ob der Verurteilte bedingt entlassen wird.<br />

Wenn man <strong>die</strong> sozialpsychologischen Aspekte nimmt, welche Prof. Dr. Trechsel als<br />

„Racheersatz“ betitelt, ist <strong>die</strong> Antwort auf <strong>die</strong> Frage, „Kann man <strong>die</strong> lebenslange<br />

Freiheitsstrafe mit den Straftheorien rechtfertigen?“, zweifellos positiv. Ebenso unter dem<br />

Gesichtspunkt der absoluten Theorien. Seiner Meinung nach steht <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong><br />

Freiheitsstrafe, so wie sie bei uns praktiziert wird, wohl auch mit der Spezialprävention im<br />

Einklang. Die positive Generalprävention ist nur locker mit der Strafdauer verknüpft und <strong>die</strong><br />

negative korreliert, entgegen einer bei Laien und Politikern verbreiteten Meinung, nicht mit<br />

der Schwere der befürchteten Strafe, sondern vor allem mit der Wahrscheinlichkeit der<br />

Entdeckung.<br />

Prof. Dr. Trechsel hat <strong>die</strong> Auffassung, dass man <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der<br />

Schweiz abschaffen könnte, in der Subkommission „Sanktionen“ der Expertenkommission,<br />

welche den Entwurf 1993 zur Revision des AT des Strafgesetzbuches vorbreitet hat, nicht<br />

vertreten, und er sieht auch heute noch keinen Grund dafür. Angesichts des Drucks, der auf<br />

das Strafrecht ausgeübt wird, erscheint es ihm aus politischen Gründen etwas abwegig, eine<br />

solche Abschaffung ins Auge zu fassen. Würde man im heutigen Klima eine Abschaffung<br />

politisch überhaupt zuwege bringen, was er sehr bezweifelt, bestünde <strong>die</strong> Gefahr, dass <strong>die</strong><br />

Gerichte vermehrt auf Verwahrung ausweichen.<br />

Der Ersatz der lebenslangen Freiheitsstrafe könnte eventuell in einer Höchststrafe von 30<br />

Jahren Zuchthaus bestehen, was jedoch den Verbrecher schlechter stellen würde.<br />

Prof. Dr. Trechsel verneint für das geltende schweizerische Recht mit Überzeugung und auch<br />

in Kenntnis der Strassburger Rechtsprechung <strong>die</strong> Verfassungswidrigkeit der lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe.


12. Weitere Meinungen 89<br />

Schliesslich glaubt er nicht, dass <strong>die</strong> letzte Stunde der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe<br />

geschlagen hat oder bald schlagen wird. 361<br />

361<br />

Trechsel, Auskunft vom 3.9.2003.


Anhang 90<br />

Anhang<br />

Fragebögen<br />

„Die Lebenslänglichen im Strafvollzug“<br />

1. Nehmen <strong>die</strong> Lebenslänglichen eine Sonderstellung in der Anstalt ein?<br />

2. Was ist charakteristisch für <strong>die</strong> Lebenslänglichen?<br />

3. Wie gehen <strong>die</strong> anderen Gefangenen mit den Lebenslänglichen um?<br />

4. Wie geht das Personal mit ihnen um?<br />

5. Wie verhalten sich <strong>die</strong> Lebenslänglichen in der Anstalt?<br />

6. Kommt es bei Lebenslänglichen oft zu Fluchtversuchen?<br />

7. Kommt es bei Lebenslänglichen oft zu Suizidversuchen?<br />

„Schlussworte“<br />

1. Was halten Sie persönlich von der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe?<br />

2. Was ist Ihrer Meinung nach das beste Argument für und gegen <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong><br />

Freiheitsstrafe?<br />

3. Kann man <strong>die</strong> lebenslange Freiheitsstrafe mit den Straftheorien rechtfertigen?<br />

4. Könnte man <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe in der Schweiz abschaffen?<br />

5. Worin könnte ihr Ersatz bestehen?<br />

6. Halten Sie <strong>die</strong> <strong>lebenslängliche</strong> Freiheitsstrafe für verfassungsmässig, oder widerspricht sie der<br />

Menschenwürde?<br />

7. Wie sieht <strong>die</strong> Zukunft der <strong>lebenslängliche</strong>n Freiheitsstrafe Ihrer Meinung nach aus?<br />

Gesetzestexte<br />

dStGB<br />

§ 57a dStGB<br />

(1) Das Gericht setzt <strong>die</strong> Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung<br />

aus, wenn<br />

1. fünfzehn Jahre der Strafe verbüsst sind,<br />

2. nicht <strong>die</strong> besondere Schwere der Schuld des Verurteilten <strong>die</strong> weitere Vollstreckung gebietet und<br />

3. <strong>die</strong> Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen. § 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5<br />

gilt entsprechend.<br />

(2) Als verbüsste Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, <strong>die</strong> der<br />

Verurteilte aus Anlass der Tat erlitten hat.<br />

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und <strong>die</strong> §§ 56b bis 56g und<br />

57 Abs. 3 Satz 2 gelten entsprechend.<br />

(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des<br />

Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.


Anhang 91<br />

§ 211 dStGB<br />

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.<br />

(2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus<br />

niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um<br />

eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.<br />

§ 212 dStGB<br />

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht<br />

unter fünf Jahren bestraft.<br />

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.<br />

GG<br />

Art. 1 GG<br />

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller<br />

staatlichen Gewalt.<br />

(2) Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräusserlichen<br />

Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der<br />

Gerechtigkeit in der Welt.<br />

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung<br />

als unmittelbar geltendes Recht.<br />

Art. 2 GG<br />

(1) Jeder hat das Recht auf <strong>die</strong> freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht <strong>die</strong> Rechte<br />

anderer verletzt und nicht gegen <strong>die</strong> verfassungsmässige Ordnung oder das Sittengesetz verstösst.<br />

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist<br />

unverletzlich. In <strong>die</strong>se Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.<br />

Art. 3 GG<br />

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.<br />

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert <strong>die</strong> tatsächliche Durchsetzung der<br />

Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf <strong>die</strong> Beseitigung bestehender Nachteile<br />

hin.<br />

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache,<br />

seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen<br />

benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.<br />

Art. 19 GG<br />

(1) Soweit nach <strong>die</strong>sem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes<br />

eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten.<br />

Ausserdem muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.<br />

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.


Anhang 92<br />

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach<br />

auf <strong>die</strong>se anwendbar sind.<br />

(4) Wird jemand durch <strong>die</strong> öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg<br />

offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.<br />

Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.<br />

Art. 102 GG<br />

Die Todesstrafe ist abgeschafft.<br />

Art. 104 GG<br />

(1) Die Freiheit der Person kann nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der<br />

darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch<br />

noch körperlich misshandelt werden.<br />

(2) Über <strong>die</strong> Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden.<br />

Bei jeder nicht auf richterliche Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine<br />

richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit<br />

niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten.<br />

Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.<br />

(3) Jeder wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens<br />

am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm <strong>die</strong> Gründe der Festnahme<br />

mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat<br />

unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen Haftbefehl zu erlassen oder <strong>die</strong> Freilassung<br />

anzuordnen.<br />

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über <strong>die</strong> Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung<br />

ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu<br />

benachrichtigen.<br />

E-StGB<br />

Art. 40 E-StGB<br />

Die Dauer der Freiheitsstrafe beträgt in der Regel mindestens sechs Monate; <strong>die</strong> Höchstdauer beträgt<br />

20 Jahre. Wo es das Gesetz ausdrücklich bestimmt, dauert <strong>die</strong> Freiheitsstrafe lebenslänglich.<br />

Art. 41 E-StGB<br />

(1) Das Gericht kann auf eine vollziehbare Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten nur<br />

erkennen, wenn <strong>die</strong> Voraussetzungen für eine bedingte Strafe (Art. 42) nicht gegeben sind und zu<br />

erwarten ist, dass eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit nicht vollzogen werden kann.<br />

(2) Es hat <strong>die</strong>se Strafform näher zu begründen.<br />

(3) Vorbehalten bleibt <strong>die</strong> Freiheitsstrafe an Stelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36) oder nicht<br />

geleisteter gemeinnütziger Arbeit (Art. 39).


Anhang 93<br />

Art. 64 E-StGB<br />

(1) Das Gericht ordnet <strong>die</strong> Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine<br />

schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung<br />

oder eine andere mit einer Höchststrafe von zehn Jahren oder mehr bedrohte Tat begangen hat,<br />

durch <strong>die</strong> er jemanden schwer geschädigt hat oder schädigen wollte und wenn:<br />

a. auf Grund der Persönlichkeitsmerkmale des Täters, der Tatumstände und seiner gesamten<br />

Lebensumstände ernsthaft zu erwarten ist, dass er weitere Taten <strong>die</strong>ser Art begeht; oder<br />

b. auf Grund einer anhaltenden oder langdauernden psychischen Störung von erheblicher Schwere,<br />

mit der <strong>die</strong> Tat in Zusammenhang stand, ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter weitere Taten <strong>die</strong>ser<br />

Art begeht und <strong>die</strong> Anordnung einer Massnahme nach Artikel 59 keinen Erfolg verspricht.<br />

(2) Der Vollzug der Freiheitsstrafe geht der Verwahrung voraus.<br />

(3) Die zuständige Behörde prüft zum Zeitpunkt, in welchem der Täter voraussichtlich aus dem<br />

Vollzug der Freiheitsstrafe entlassen werden und <strong>die</strong> Verwahrung antreten kann, <strong>die</strong> Voraussetzungen<br />

einer stationären therapeutischen Behandlung nach Artikel 59. Diese Prüfung ist nach Antritt der<br />

Verwahrung alle zwei Jahre zu wiederholen.<br />

(4) Die Verwahrung wird in einer Massnahmevollzugseinrichtung oder in einer Strafanstalt nach Artikel<br />

76 Absatz 2 vollzogen. Die öffentliche Sicherheit ist zu gewährleisten. Der Täter wird psychiatrisch<br />

betreut, wenn <strong>die</strong>s notwendig ist.<br />

Art. 86 E-StGB<br />

(1) Hat der Gefangene zwei Drittel seiner Strafe, mindestens aber drei Monate verbüsst, so ist er<br />

durch <strong>die</strong> zuständige Behörde bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug<br />

rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen.<br />

(2) Die zuständige Behörde prüft von Amtes wegen, ob der Gefangene bedingt entlassen werden<br />

kann. Sie holt einen Bericht der Anstaltsleitung ein. Der Gefangene ist anzuhören.<br />

(3) Wird <strong>die</strong> bedingte Entlassung verweigert, so hat <strong>die</strong> zuständige Behörde mindestens einmal<br />

jährlich neu zu prüfen, ob sie gewährt werden kann.<br />

(4) Hat der Gefangene <strong>die</strong> Hälfte seiner Strafe, mindestens aber drei Monate verbüsst, so kann er<br />

ausnahmsweise bedingt entlassen werden, wenn ausserordentliche, in der Person des Gefangenen<br />

liegende Umstände <strong>die</strong>s rechtfertigen.<br />

(5) Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist <strong>die</strong> bedingte Entlassung nach Absatz 1 frühestens nach<br />

15, nach Absatz 4 frühestens nach zehn Jahren möglich.


Selbständigkeitserklärung 94<br />

Selbständigkeitserklärung<br />

Ich erkläre hiermit, dass ich <strong>die</strong>se Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als <strong>die</strong><br />

angegebenen Quellen benutzt habe. Alle Stellen, <strong>die</strong> wörtlich oder sinngemäss aus Quellen<br />

entnommen wurden, habe ich als solche gekennzeichnet. Mir ist bekannt, dass andernfalls der<br />

Senat gemäss Art. 36 Abs. 1, lit. c des Gesetzes über <strong>die</strong> <strong>Universität</strong> vom 5. September 1996<br />

zum Entzug des aufgrund <strong>die</strong>ser Arbeit verliehenen Titels berechtigt ist.<br />

Werdenberg, den 30.9.2003<br />

Kathrin Heinzl


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